Sei dir selbst ein guter Freund - Katharina Pavlustyk - E-Book

Sei dir selbst ein guter Freund E-Book

Katharina Pavlustyk

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Beschreibung

Sich selbst lieben: Das ist eine wichtige Aufgabe im Leben. Selbstliebe ist der Schlüssel zu einem glücklichen und erfolgreichen Leben, weil du die für dich besten Entscheidungen triffst, wenn du mit dir selbst im Reinen bist. Wenn du dich selbst annimmst - mit all deinen Gefühlen -, wird sich dein Leben verändern. Du ziehst dann das Gute in dein privates und berufliches Leben. In diesem Buch findest du Geschichten von Menschen, die früher nicht gut mit sich selbst umgegangen sind und oft nach Krisen gelernt haben, sich selbst ein guter Freund zu sein. Daneben liefert der Ratgeber viele Tipps und Übungen, damit auch du Selbstliebe lernst. Damit auch du dich selbst verstehst und deinem Herzen folgst.

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Seitenzahl: 195

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Katharina Pavlustyk

Sei dir selbst ein guter Freund

14 Wege zu Selbstliebe und Glück

© 2017 Katharina Pavlustyk

Cover/Umschlag: Ryan Munir/99designs

Verlag: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-7439-6634-5

e-Book

978-3-7439-6635-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Selbstliebe und Freiheit

Holger Andreas Elsner

Übung

Selbstliebe und Vergebung

Silvia Patricia Schäfer

Übung + Arbeitsblätter

Selbstliebe und Gesundheit

Johanna Bonhage

Übungen + Meditation

Selbstliebe und Bedürfnisse

Mischa Miltenberger

Fragen zum Nachdenken + Tipps

Selbstliebe und Beziehungen

Viktoria Zeis

Übungen

Selbstliebe und Authentizität

Ulrike Hirsch

Tipp + Übung

Selbstliebe und Dankbarkeit

Sandra Seidl

Übungen

Selbstliebe und Lernen

Michael Krakow

Übung

Selbstliebe und Sexualität

Jennifer Wolff

Übung + Tipp

Selbstliebe und Bestimmung

Raho Bornhorst

Tipp + Übung

Selbstliebe und Gleichgewicht

Regine Vollbehr

Übung

Selbstliebe und Hilfsbereitschaft

Manuel Fritsch

Übung

Selbstliebe und Beharrlichkeit

Sandra Reekers

Tipps

Selbstliebe und Wahrheit

Ingrid Bartels

Übung

Quellen, weiterführende Links, Kontakt

Vorwort

Ich stehe vor dem Spiegel und sehe einen Menschen, den ich nicht besonders mag. Diese Frau ist durchschnittlich groß, sie hat eine durchschnittliche Figur und Haare, deren Farbe man gemeinhin als straßenköterblond bezeichnet. Das bin ich. Und zu mir, mit all meinen Unzulänglichkeiten, soll ich nun sagen, dass ich mich liebe?

Ich wäre gern schlanker und sportlicher. Ich hätte gern dichteres und längeres Haar und eine schönere Haut. Mein Bauch ist mir nicht flach genug und mein Hintern war auch mal straffer. Hätte ich magische Zauberkräfte, würde ich mir ein vollkommen anderes Aussehen verpassen. Und wenn ich schon mal dabei wäre, noch ein paar andere tolle Attribute: Ich wäre dann erfolgreicher und beruflich ein ganzes Stück weiter, als ich es jetzt bin.

Seit mehr als 30 Jahren kenne ich mich nun, aber die meiste Zeit davon mochte ich mich nicht besonders.

Sich selbst annehmen, bedingungslos und mit allen Makeln, ist so einfach und doch so schwer. Mit keinem anderen Menschen verbringen wir so viel Zeit wie mit uns selbst. Dennoch sind viele unzufrieden mit der Person, die ihnen jeden Tag im Spiegel entgegenblickt.

„Wie sehe ich schon wieder aus?“

„Mann, bin ich blöd.“

„Wie konnte ich das nur tun?“

Sprichst auch du manchmal so mit dir? Dann bin ich sehr froh, dass du dich für dieses Buch entschieden hast, denn es will dir zeigen, wie du es schaffst, dich zu akzeptieren und dir künftig ein guter Freund zu sein.

Warum Selbstliebe wichtig ist

Selbstliebe betrifft alle deine Lebensbereiche, weil sie mit dir zu tun hat. Wenn du das Gefühl hast, dass dir immer wieder Negatives widerfährt, wenn du ständig in Konflikte gerätst und den Eindruck hast, dass dir nichts gelingt, bist du in der Vergangenheit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht gut mit dir selbst umgegangen.

Wenn du dich selbst nicht annimmst – mit all deinem Potenzial und deinen Marotten –, versteckst du dich vor der Welt oder hinter einer Fassade. Das macht dich auf Dauer unglücklich und dieses Unglück zieht sich durch all deine Beziehungen. Wenn du dich selbst nicht lieben kannst, kannst du auch andere nicht voll und ganz lieben; du fürchtest dich vor echter Nähe oder kompensierst fehlende Selbstliebe, indem du in Beziehungen zu sehr klammerst. Wenn du es nicht aushalten kannst, ohne Ablenkung mit dir selbst allein zu sein, wirst du keine innige Beziehung mit einem anderen Menschen führen können, ohne dass sie dich belastet. Wenn du dich für eigentlich gar nicht so wertvoll hältst, wirst du versuchen, Wertschätzung und Aufmerksamkeit von anderen zu bekommen. Von deinem Partner, deinen Eltern, deinem Chef.

Fehlende Selbstliebe zeigt sich auf so vielfältige Weise, doch meist sind wir uns dessen überhaupt nicht bewusst. Wir verurteilen andere, obwohl (oder gerade weil) sie uns sehr ähnlich sind. Wir knüpfen unsere Liebe an Bedingungen, die andere erfüllen sollen. Wir opfern uns auf und ärgern uns, wenn wir keinen Dank dafür erhalten.

Warum ich dieses Buch geschrieben habe

Selbstliebe ist die Basis für ein glückliches und erfülltes Leben. Doch leider können sich die meisten Menschen nicht annehmen, wie sie sind. Wir meckern an uns selbst herum, schätzen unsere Leistungen nicht, halten unsere Fähigkeiten und Talente für nichts Besonderes. Wir sind unsere größten Kritiker. Und mit „wir“ meine ich auch mich.

Als ich angefangen habe, dieses Buch zu schreiben, war ich voller Groll auf Menschen, die mich früher einmal verletzt hatten. Ich habe andere Menschen kritisiert und verurteilt. Ich mochte mein Aussehen nicht und fand mich selbst nicht genug.

Sollte das für immer so bleiben? Nein!

Also habe ich mit Menschen gesprochen, die mir ihre ganz persönlichen Geschichten auf dem Weg zur Selbstliebe erzählt haben. Geschichten, die zeigen sollen, wie es uns gelingt, eine stabile Beziehung mit uns selbst aufzubauen. Geschichten, aus denen wir lernen dürfen, weil das Leben so viel schöner ist, wenn man mit sich selbst im Reinen ist.

Was dich in diesem Buch erwartet

Dieses Buch ist ein Ratgeber – und dann doch wieder nicht. Hier findest du 14 Geschichten von Menschen, von denen die meisten früher nicht gut mit sich umgegangen sind. Sie haben sich abgelenkt, nach Anerkennung von außen gestrebt, sie lebten unbewusst. Nach Einschnitten in ihren Biografien fanden die Männer und Frauen wieder zu sich selbst und lernten, sich selbst zu mögen.

Jede Geschichte trägt ein anderes Thema in sich, einen anderen Aspekt der Selbstliebe. Diese Aspekte finden sich wieder in den Tipps und Übungen nach den einzelnen Geschichten.

Im ersten Kapitel erfährst du, was Freiheit mit Selbstliebe zu tun hat. Im zweiten Kapitel geht es dann um Vergebung. Ein weiterer Aspekt der Selbstliebe ist die Gesundheit, wie du aus der Geschichte von Johanna Bonhage erfahren wirst, die einen extremen Wandel hinter sich hat. Weiterhin lernst du, wieso du auf deine Bedürfnisse achten solltest, wenn du mit dir selbst zufrieden sein willst. Was etwa Eifersucht in Beziehungen mit Selbstliebe zu tun hat, zeigt das fünfte Kapitel. Über das Zu-sich-selbst-Stehen berichtet Ulrike Hirsch. Dankbarkeit, Lernen, Sexualität, Bestimmung, Gleichgewicht, Hilfsbereitschaft, Beharrlichkeit und Wahrheit – das sind weitere Facetten der Selbstliebe, über die ich mit meinen Interviewpartnern gesprochen habe.

Doch bevor du denkst, dass das alles viel zu viel ist, was du berücksichtigen sollst, möchte ich dir sagen: Du sollst gar nichts. Du kannst dich mit Hilfe der Geschichten anderer Menschen selbst besser kennenlernen. Du kannst dich, wenn du magst, einem Aspekt widmen, der dir am ehesten zusagt, und schauen, wohin dich deine Reise bringt.

Veränderung geschieht in den meisten Fällen nicht über Nacht. Sie ist ein Prozess, der Wochen, manchmal Monate, dauern kann. Also sei bitte gelassen mit dir selbst, lass dir selbst genug Zeit, um zu wachsen, wenn du es möchtest.

Ich wünsche dir, dass du mit dir selbst zufrieden bist. Dass du dich selbst schätzen lernst, dass du erkennst, was für ein wunderbarer Mensch du bist.

Alles Liebe,

Katharina

Selbstliebe und Freiheit

Freiheit bedeutet für jeden wohl etwas anderes: Der eine will die halbe Welt bereisen und empfindet dies als absolute Freiheit. Dem anderen reicht es, seine freie Zeit so gestalten zu können, wie er es will. Allgemein lässt sich sagen, dass frei ist, wer aus eigenem Willen Entscheidungen trifft. Und da kommt auch Selbstliebe ins Spiel, denn sobald du ein fremdbestimmtes Leben führst, handelst du gegen deine eigenen Wünsche und Bedürfnisse.

Wir treffen oft Entscheidungen, weil sie in den Augen anderer Menschen vernünftig sind. Weil wir sie aufgrund unserer Erziehung oder Prägung selbst für die vernünftigste Variante halten. Weil wir keine andere Option in Erwägung ziehen.

Wer etwa eine Arbeit nur des Geldes wegen annimmt – und nicht weil er sie zumindest ganz in Ordnung findet, macht sich abhängig vom Geld. Viele Menschen kompensieren die fehlende Freiheit mit Dingen: mit Kleidung, Schuhen, Elektrogeräten, Autos. Sie sind gebunden an Jobs, in denen sie unzufrieden sind, die aber nötig sind, um ihren Lebensstandard halten zu können.

Warum tust du, was du tust?

Die Frage nach dem Warum ist entscheidend, wenn es um die persönliche Freiheit geht. Sie ist der Antrieb, die Motivation. Sobald du anfängst, dich zu fragen, warum du gewisse Dinge tust, lernst du dich selbst besser kennen und fängst an, Meinungen und Einstellungen zu hinterfragen.

Warum übst du deine Arbeit aus?

Warum bist du mit deinem Partner zusammen?

Warum verbringst du deine Abende lieber auf dem Sofa als im Fitnessstudio?

Erst wenn du dich nach dir und deinen Wünschen richtest, lebst du selbstbestimmt. Du übernimmst Verantwortung für dein Handeln, deine gesamte Welt. Du lebst nicht angepasst an Vorstellungen anderer, sondern bist du selbst.

Freiheit ist die Überwindung von Angst. Erst wenn du dich selbst liebst, bist du in deiner vollen Kraft und findest Frieden in dir selbst. Dann triffst du Entscheidungen nicht mehr aus Sorgen heraus, sondern aus einer stabilen mentalen Haltung. Um wirklich frei zu sein, ist es daher wichtig, sich selbst, seine Werte und Wünsche, aber auch seine Ängste zu kennen und immer wieder bei sich selbst anzukommen.

Holger Andreas Elsner

 

Holger ist Betriebswissenschaftler und Investmentbanker. Er hatte alles – Geld, ein schönes Haus, Anerkennung im Beruf, Frau und Kind. Und doch nagte eine Angst an ihm, die ihn im Laufe der Jahre an eine Grenze brachte, an der er fast alles verlor. Seine Geschichte zeigt, dass es zur Selbstliebe gehört, sich selbst (wieder) zu finden, um frei zu sein.

Als Kind war Holger unglaublich neugierig, offen, kontaktfreudig. „Ich wollte die Welt kennenlernen, bin mutig auf andere zugegangen, hatte wenig Angst. Ich wollte alles erfassen, verstehen und gestalten“, sagt er. Als Junge wollte Holger Pilot werden. Das Fliegen – als Passagier und so, wie er es sich im Cockpit vorstellte – vermittelte ihm ein Gefühl von Freiheit. Kein Wunder, dass er sich gern in Flughäfen aufhielt.

Später war sein Wunsch, als Lehrer zu arbeiten – oder als Arzt. „Ich wollte Chirurg werden und Herzen oder Gehirne operieren“, sagt Holger. Heute weiß er, dass in diesem Berufswunsch ein tieferer Sinn steckt: „Letztlich habe ich einen anderen beruflichen Weg gewählt, aber der innere Wettstreit zwischen Herz und Hirn hat mich mein Leben lang begleitet – oft unbewusst.“ Wie bei vielen anderen steuerte auch Holgers Kopf in die eine Richtung, während sein Herz allmählich leer und traurig wurde, bis sich die Situation in einer Krise zuspitzte.

Entscheidung aus Angst

Das lag vor allem an seiner Entscheidung, Betriebswirtschaft zu studieren. Diese traf er mit dem Kopf. „Bei mir ging es ums Geldverdienen. Ich habe nach Sicherheit gestrebt und wollte meine wirtschaftlichen Existenzängste verdrängen, nicht in Armut oder Halbarmut leben“, sagt Holger. Seine Verwandten mütterlicher- und väterlicherseits hatten eigene Höfe, Wohlstand und Ansehen. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs verloren sie jedoch all ihr Hab und Gut. Sie wurden aus ihrer Heimat vertrieben und fanden sich in erbärmlichen Verhältnissen wieder. „Ich wurde dadurch geprägt, obwohl ich selbst kein Flüchtling bin“, sagt Holger. Seine Eltern kamen als Kriegsflüchtlinge ins ländliche Baden-Württemberg. „Sie waren wie Aussatz, sie störten, nahmen Wohnraum ein. Sie hatten ihr Heim verloren, besaßen nichts und wurden auch noch schlecht behandelt.“

Im Leben gibt es keine Zufälle

Holgers Vater machte in den Nachkriegsjahren Karriere in der Wirtschaft. Er baute für seine Familie ein schönes Leben auf, verlor jedoch wieder alles, als Holger 16 oder 17 Jahre alt war. „Ich habe die Ängste und Sorgen meiner Eltern erlebt, sie mit ihnen geteilt. Deswegen wollte ich nach dem Abi etwas studieren, das mich nie in so eine Situation bringen würde.“

Im BWL-Studium musste sich Holger kaum anstrengen, lernte unterdurchschnittlich wenig. Dass ihm das Studium leichtfiel, betrachtet er nicht als Zufall; im Leben gebe es ohnehin keine Zufälle. „Es war zwangsläufig die Wahl, die ich treffen musste. Der Schöpfer kann alles sehen und kennt meine Wahl. Er setzt uns Menschen und Situationen aus, damit wir lernen. Deshalb war es kein Zufall, dass mir das Studium so leichtfiel. Mein Erfolg in diesem Feld führte dazu, dass ich an einen Punkt kam, an dem ich weitere Dinge lernen durfte“, sagt er.

Während der Uni-Zeit arbeitete Holger für ein Reiseunternehmen und war auf der ganzen Welt unterwegs. Das gefiel ihm gut. Auf Bitten seiner damaligen Freundin und späteren Frau bewarb er sich jedoch für einen festen Job in Deutschland und wurde eingestellt.

Die Zeit in der Gesellschaft für Finanzierung von Immobilien und Flugzeugen – lustig, wie das Leben Holger an seinen Wunsch nach Freiheit erinnerte – sei fürchterlich gewesen. Als Schüler und Student hatte er sich nicht groß anstrengen müssen. „Dann hatte ich meine erste Anstellung und merkte, dass ich nichts kann und nichts bin – und genauso behandelt wurde“, sagt Holger.

Null Freiheit im Job

Sein damaliger Chef habe ihn malträtiert, ihm die Freiheit geraubt, ihn Freitagnachmittags, als Holger schon unterwegs nach Hause war, zurückgepfiffen und bis in den späten Abend mit vermeintlich dringenden Aufgaben beschäftigt. „Ich habe an den Wochenenden mit meinen Freunden abgeschaltet, gefeiert, Alkohol getrunken. Sonst hätte ich es nicht ertragen. Meine Freunde haben alle bei Banken gearbeitet, ihnen ging es wie mir: Unser Selbstwertgefühl wurde an der Hochschule aufgeblasen und uns im Job genommen.“

Drei Jahre hielt Holger durch: „Weil der Kopf sagte, dass sich das gut verkaufen lässt, wenn nach drei Jahren der nächste berufliche Schritt kommt.“ In seinem nächsten Job bei einem Autohersteller ging es dann steil nach oben: Holger wurde gefördert, anerkannt. Für seine Arbeit bekam er viel Geld und schöne Autos. „Dann kommst du plötzlich in eine andere Liga und es beginnt der andere Druck. Du kommst nicht mehr raus und merkst, dass du dich verkauft hast. Du bekommst Autos, musst aber auch Steuern für sie zahlen. Du mietest eine größere Wohnung, die du aber auch bezahlen musst. Du musst ständig leisten. Du wirst zwar sehr gut bezahlt, aber deine Freiheit hast du verloren.“

Runde um Runde im Hamsterrad

Wie bei fast allen Menschen in der Leistungsgesellschaft hatte Holgers Kopf über das Herz gewonnen. Er drehte sich im Kreis, in seinem Hamsterrad – und fand keine Lösung, wie er rauskommen könnte. „Die innere Stimme ist so degeneriert, dass du sie nicht hörst, oder wenn du sie hörst, kannst du sie nicht einordnen“, sagt Holger.

Diese Stimme ersetzte ihm sein Sohn: Wenn Holger von der Arbeit nach Hause kam, war er gedanklich noch immer im Büro. Er war in seinem Kopf gefangen. „Ein Partner mag das akzeptieren, ein Kind aber nicht. Mein Sohn hat immer darauf bestanden, dass ich ihm zuhöre, dass ich ihn anschaue, dass ich achtsam bin, wenn ich da bin. Er konnte mir Dinge zeigen, die ich nicht sah, Dinge sagen, die ich nicht wusste“, sagt Holger.

An einem Abend habe René, sein kleiner Junge, ihm gesagt: „Papa, sei nicht traurig.“ Das hat Holger im Herzen getroffen, weil sonst niemand seine wahren Gefühle gesehen hat. „Als Investmentbanker kannst du das nicht zeigen. Du trägst eine Maske, du musst stark wirken.“ Holger fing an, auf seinen Sohn zu hören. Wirklich da zu sein, achtsam zu sein.

Der amerikanische Medizinprofessor und Begründer der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion Jon Kabat-Zinn schreibt in seinem Buch „Achtsamkeit für Anfänger“, dass Achtsamkeit das sei, was sich zeige, wenn wir absichtsvoll und nicht-urteilend unsere Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment richten, so als würde unser Leben davon abhängen.

Holgers Leben hing tatsächlich von seinem Umgang mit sich selbst ab; die Achtsamkeit seinem Sohn gegenüber war nicht genug. Holger bekam Asthma und wurde auf einer weiteren Ebene seiner Freiheit beraubt: Sport machen? Seinem Sohn hinterherrennen? Nicht mehr möglich. „Ich hatte sogenanntes Belastungsasthma; bei Anstrengung jeglicher Art bekam ich einen Anfall.“

Keine Freiheit im Privaten

Wenn Holger wusste, dass er sich anstrengen muss, nahm er präventiv ein Medikament ein, das nach 20 Minuten wirkte. Wenn sein Sohn jedoch während des Urlaubs am Meer ins Wasser rannte, war Hinterherrennen ausgeschlossen. „Du kannst das Medikament auch nicht vor anderen Menschen einnehmen, weil es eine Schwäche ist. Als Manager macht man das nicht vor anderen“, sagt Holger.

So dachte er eine Weile. Er arrangierte sich mit seinen Leiden, denn beim Asthma blieb es nicht. „Ich bekam Allergien, Lebensmittelunverträglichkeiten. Auch das war eine Einschränkung meiner Freiheit: Ich konnte nicht mehr unterwegs essen, feiern oder im Büro ein Glas Sekt trinken, weil ich darauf allergisch reagiert habe. Ich habe mich an einen Punkt gebracht, an dem das Fass voll war“, sagt Holger. Die Begegnung mit einem aggressiven Menschen oder eine Mahlzeit konnte bei ihm einen allergischen Schub auslösen. „Man kann sagen, dass es übel war, dass ich nicht mehr am normalen Leben teilnehmen konnte. Aber es waren die Symptome, die mich lehrten, was Energie ist und was sie zu bedeuten hat“, sagt Holger. Viele Jahre hat er an diesen Symptomen arbeiten müssen, um sie zu verstehen. „Da war das Leben ein großer Lehrer für mich.“

Holgers Unsicherheit wuchs

Doch vor diesem Verstehen bekämpfte Holger die Symptome eine ganze Weile. Einige dämpfte er mit Medikamenten ein. Andere waren nicht heilbar und wurden immer schlimmer. „Asthmaspray und Kopfschmerztabletten konnte ich mir verschreiben lassen, aber Lebensmittelunverträglichkeiten und Autoimmunkrankheiten, bei denen die Haare ausfallen und die Haut fleckig wird, da gab es nichts.“ Haarausfall und weiße Flecken auf der Haut. Einzig und ausgerechnet im Gesicht. „Und du siehst das jeden Tag, mehrmals am Tag, und kannst es nicht verstecken. Es verunsichert dich. Und diese innere Unsicherheit, die du bei jedem Blick in den Spiegel erlebst, trägst du in Verhandlungen. Das hinterlässt etwas in dir und auch dein Gegenüber reagiert und fragt sich: ‚Was hat er da? Was stimmt bei dem nicht?‘ Diese Fragen habe ich mir auch gestellt.“

Heute ist Holger den Flecken gegenüber gleichgültig. Er hat seine vermeintliche Schwäche in eine Stärke verwandelt. Anfangs war die Situation jedoch extrem belastend für ihn. Es ging nicht nur um Eitelkeit, sondern um einen inneren Schmerz, den er aufgrund der Symptome spürte. Es gab viel, das er damals nicht verstand. Es musste erst zum vollständigen Kollaps kommen.

Kurz vor der Herz-OP

Es war ein ganz normaler Sonntagabend; zu jener Zeit leitete Holger sein eigenes Unternehmen in der Finanzbranche. Er arbeitete unter der Woche in München und war am Wochenende zu Hause bei der Familie im 220 Kilometer entfernten Reutlingen. Sonntagabends, kurz bevor er sich auf den Weg nach München machte, stellte er mit seinem Sohn die Mülleimer nach draußen. Eine Art Ritual bei den beiden. Danach brachte er René normalerweise ins Bett und fuhr auf die Autobahn.

Beim Wettrennen von den Mülleimern an der Straße zum Haus merkte Holger, dass sein Herz unregelmäßig schlug. Er fühlte sich merkwürdig, legte sich auf den Boden und hatte mal einen Puls wie bei einem starken Training und dann für einige Sekunden gar keinen. „Da zwingt dich das Leben, auf dein Herz zu hören“, sagt er.

Dennoch war sein Kopf auch in der Situation sehr stark. Nach einer Stunde auf dem Sofa sagte er sich: „Das wird schon. Ich schreibe ein paar E-Mails, weil ich heute nicht nach München fahre, teile Geschäftspartnern mit, dass ich das erste Meeting nicht wahrnehmen kann.“ Holgers Frau bestand darauf, dass sie ins Krankenhaus fuhren. Sie hatte im Internet recherchiert und machte sich große Sorgen. Schon vorher sei sie diejenige gewesen, die mehr auf ihr Herz gehört habe, sagt Holger. „Nach außen sah unsere Beziehung aus, als wenn ich das Sagen hätte. Aber eigentlich habe ich oft gemacht, was sie gesagt hat. Bei wichtigen Dingen, die mein Kopf nicht entscheiden konnte, habe ich ihr vertraut, weil sie die richtige Intuition hatte.“

Im Krankenhaus schlugen die ersten beiden Behandlungen mit Medikamenten nicht an. „Als auch die dritte keine Wirkung zeigte, bereitete man mich für eine Herzoperation vor“, sagt Holger. Am Morgen darauf wurde er gewaschen, die OP stand kurz bevor. Holger verabschiedete sich von seiner Frau. „Ich sagte zu ihr: Das ist der Punkt, ab dem ich auf mein Herz hören will.“ Das habe er sich selbst und seiner Frau versprochen. Und in der Sekunde fing sein Herz wieder an, rhythmisch zu schlagen. Der Arzt konnte es kaum glauben, ließ Holger genau untersuchen. Dieser wurde nach einer Stunde wieder entlassen und hatte seither nie wieder Herzprobleme.

Er musste all seine Ängste durchleben

Doch das bedeutet nicht, dass ab diesem Moment alles großartig wurde. Mit dem Entschluss, auf sein Herz zu hören, begann eine Zeit noch größerer Schmerzen. Eine Zeit, in der Holger all seine Ängste durchlebte. Angst vor einem beruflichen Selbstmord. Angst vor Armut, vor dem Verlassenwerden. Alles davon ist eingetreten. Alle Themen, vor denen er sich versteckt hatte, musste Holger bearbeiten.

Für andere, seine Familie und seine Mitarbeiter, hatte er immer eine Verantwortung gespürt, doch um sich selbst kümmerte sich Holger nur wenig. „Das war mangelnde Selbstliebe. Wer sich in die Intensivstation eines Krankenhauses hineinarbeitet und Autoimmunkrankheiten ausbildet, der hat definitiv einen Mangel an Selbstliebe.“

Einige Zeit später stieg Holger aus seinem Unternehmen aus. Er wollte seine Lebensfreiheit nicht mehr verkaufen, um seine größte Angst, die Angst vor der wirtschaftlichen Not, nicht zu spüren. Doch was danach kommen würde, wusste er nicht. „Das Leben bringt dich in bestimmte Situationen. Du sollst deine wirkliche Angst erkennen, weil sie dich sonst dazu führt, etwas zu tun, das nicht deine Berufung ist. Du kannst deinen Ängsten eine Weile davonlaufen, aber sie werden dich einholen. Das Leben gewinnt letztlich. Es wird alles arrangieren, sodass du es nicht ignorieren kannst“, sagt Holger.

Er verlor alles

Seine Ängste durchlebte er, eine nach der anderen. Die folgenden drei, vier Jahre nach der Situation im Krankenhaus waren die Hölle für Holger. Sein Verstand, sein starkes Ego, hatte ihn an einen Punkt geführt, an dem es nicht weiterging. Er war von Erfolg verwöhnt und erlebte nun, dass er sich mit dem Erfolg identifiziert hatte. Wer war er nun, da er kein Investmentbanker mehr war? Nicht mehr der Ernährer der Familie? Nachdem seine Frau ihn verlassen hatte, verstand Holger, welchen Beitrag sie zu seinem Erfolg gehabt hatte. Er war plötzlich alleinerziehender Vater und Hausmann. Alles veränderte sich. „Das Leben hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Du fällst und denkst, du hast keine Chance mehr.“

Für Holger mit seiner dramatischen Geschichte bedeutet Selbstliebe herauszufinden, wer er wirklich ist. Der authentische Kern in ihm. Das sei jener, der um alle Ängste befreit sei. Solange wir Ängste in uns spüren, leben wir nicht das Leben, das wir im Grunde unseres Herzens leben wollen. Solange wir uns von hinderlichen Glaubensmustern oder Konditionierungen leiten lassen, sind wir nicht frei.

Angst ist der Gegenspieler der Freiheit

„Du hast vielleicht den Wunsch, Musiker zu werden, aber deine Ängste lassen es nicht zu. Stattdessen verkaufst du Versicherungen. Ist das Selbstliebe? Nein. Aber du kannst nichts dafür, weil du nicht weißt, was du tust. Sich selbst lieben bedeutet, auf sein Herz zu hören und sich von allen Ängsten und Einschränkungen zu befreien“, sagt Holger.

Er hat die Erfahrung gemacht, dass wir alle miteinander verbunden sind. Dass ein Mensch, der sich dir gegenüber grob, unfair, unflätig verhält, in dem Augenblick keine andere Wahl hat. Aufgrund seiner Ängste und Konditionierungen. Und dass du erst Frieden mit dir selbst schließen wirst, wenn du friedlich reagierst. Bestimmte Situationen und andere

Menschen können wir nicht ändern, aber wir können in jedem Augenblick entscheiden, ob wir uns ärgern oder nicht, ob wir frei und authentisch handeln oder als Sklaven der Überzeugungen, die in uns wirken und meist nicht einmal die unseren sind.

Wenn du dich von Ängsten oder negativen Konditionierungen leiten lässt, wirst du immer wieder in Situationen geraten, die man gemeinhin als negativ bezeichnet. Wenn du das Gefühl hast, du seist nicht gut genug, wirst du immer wieder Fehler machen oder Menschen begegnen, die dich ebenso für unzulänglich halten. Wenn du dich selbst als dumm, hässlich oder einen schlechten Redner bezeichnest, bekommst du das immer wieder gespiegelt.