Sei ein Narr! - Dirk Rohr - E-Book

Sei ein Narr! E-Book

Dirk Rohr

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Beschreibung

"Ein bemerkenswertes Phänomen. Lachen ist ja – wie der Volksmund zu berichten weiß – gesund. Es ist aber offenbar auch ansteckend und sozial integrierend. Humor in Beratung, Therapie und Supervision nicht zu nutzen, erscheint daher als ein Mangel, wenn nicht gar – eine Bewertung, für die ich persönlich plädiere – als Kunstfehler. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns über die Probleme unserer Klienten und Klientinnen lustig machen sollten, sondern dass wir sie in ihrer Kompetenz ernst nehmen sollten, sich qua Humor selbst zu beobachten, sich von ihrem Erleben zu distanzieren und sich im Idealfall am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Wer könnte es auch sonst tun? Humor ist also eine todernste Angelegenheit. Wie das handwerklich geschehen kann, wird in diesem Buch so ausführlich dargestellt, dass sich selbst humoristisch (vermeintlich) untalentierte Kollegen und Kolleginnen eingeladen fühlen dürften, damit zu experimentieren (und das ist kein Witz)." Fritz B. Simon Warum so ernst? Am mittelalterlichen Hof war der Narr die einzige Person, die den Herrscher kritisieren durfte – solange es auf humorvolle Weise geschah. Therapie, Beratung und Supervision können eine ähnliche Rolle übernehmen: Die humorvolle Respektlosigkeit gegenüber bisherigen Ideen kann Klient:innen im ersten Moment verstören, dann aber Wege aus Spannungen und Konflikten eröffnen. Das Buch ist ein Appell an Berater:innen, den Narren im eigenen Inneren Team zu aktivieren; den Mut aufzubringen, augenzwinkernd provokante Hypothesen zu "erfinden"; eigene Ambivalenzen – und die der Klient:innen – zum Ausdruck zu bringen. Voraussetzung ist, dass dieser spielerische Zugang vollständig auf der Haltung von Wertschätzung und Empathie beruht. Die Autor:innen: Dirk Rohr, Dr.; Studium von Sonderpädagogik und Sport (1. und 2. Staatsexamen) sowie Diplom-Heilpädagogik (Schwerpunkt Beratung); Gestalttherapeut, systemischer Lehr-Supervisor (DGSv/DGSF) sowie Instituts- und Weiterbildungsleiter "Systemische Beratung" im koelner institut für Beratung & pädagogische Professionalisierung und als Akademischer Direktor Leiter des Arbeitsbereiches Beratungsforschung sowie des Zentrums für Hochschuldidaktik an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Herausgeber der Reihe Beratung, Coaching, Supervision im Carl-Auer-Verlag; Publikationen u. a.: "Das hat ja was mit mir zu tun!? Macht- und rassismuskritische Perspektiven für Beratung, Therapie und Supervision" (2021). Tina Heimann, Master Supervision und Coaching, Master Medien & Bildung; langjährige Lehrtätigkeit; freiberufliche Tätigkeit als Beraterin, Supervisorin und Coach. Mitglied DGSv. Negin Ghahari, Bachelorabsolventin der Universität zu Köln in den Fächern Ethnologie und Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Beratung. Mitglied der Forschungsgruppe "Feedback in der Beratung". Esther Scholz, Bachelorabsolventin der Universität zu Köln in dem Fach Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Beratung. Systemische Beraterin (DGSF) (i. A.).

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Seitenzahl: 340

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Die Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«

Die Bücher der petrolfarbenen Reihe Beratung, Coaching, Supervision haben etwas gemeinsam: Sie beschreiben das weite Feld des »Counselling«. Sie fokussieren zwar unterschiedliche Kontexte – lebensweltliche wie arbeitsweltliche –, deren Trennung uns aber z. B. bei dem Begriff »Work-Life-Balance« schon irritieren muss. Es gibt gemeinsame Haltungen, Prinzipien und Grundlagen, Theorien und Modelle, ähnliche Interventionen und Methoden – und eben unterschiedliche Kontexte, Aufträge und Ziele. Der Sinn dieser Reihe besteht darin, innovative bis irritierende Schriften zu veröffentlichen: neue oder vertiefende Modelle von – teils internationalen – erfahrenen Autor:innen, aber auch von Erstautor:innen.

In den Kontexten von Beratung, Coaching und auch Supervision hat sich der systemische Ansatz inzwischen durchgesetzt. Drei Viertel der Weiterbildungen haben eine systemische Orientierung. Zum Dogma darf der Ansatz nicht werden. Die Reihe verfolgt deshalb eine systemisch-integrative Profilierung von Beratung, Coaching und Supervision: Humanistische Grundhaltungen (z. B. eine klare Werte-, Gefühls- und Beziehungsorientierung), analytisch-tiefenpsychologisches Verstehen (das z. B. der Bedeutung unserer Kindheit sowie der Bewusstheit von Übertragungen und Gegenübertragungen im Hier und Jetzt Rechnung trägt) wie auch die »dritte Welle« des verhaltenstherapeutischen Konzeptes (mit Stichworten wie Achtsamkeit, Akzeptanz, Metakognition und Schemata) sollen in den systemischen Ansatz integriert werden.

Wenn Counselling in der Gesellschaft etabliert werden soll, bedarf es dreierlei: der Emanzipierung von Therapie(-Schulen), der Beschreibung von konkreten Kompetenzen der Profession und der Erarbeitung von Qualitätsstandards. Psychosoziale Beratung muss in das Gesundheits- und Bildungssystem integriert werden. Vom Unternehmen finanziertes Coaching muss ebenso wie Team- und Fallsupervisionen zum Arbeitnehmerrecht werden (wie Urlaub und Krankengeld). Das ist die Vision – und die politische Seite dieser Reihe.

Wie Counselling die Zufriedenheit vergrößern kann, das steht in diesen Büchern; das heißt, die Bücher werden praxistauglich und praxisrelevant sein. Im Sinne der systemischen Grundhaltung des Nicht-Wissens bzw. des Nicht-Besserwissens sind sie nur zum Teil »Beratungsratgeber«. Sie sind hilfreich für die Selbstreflexion, und sie helfen Berater:innen, Coachs und Supervisor:innen dabei, hilfreich zu sein. Und nicht zuletzt laden sie alle Counsellor zum Dialog und zum Experimentieren ein.

Dr. Dirk Rohr

Herausgeber der Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«

Dirk RohrTina HeimannNegin GhahariEsther Scholz

Sei ein Narr!

Humorvolle Konfrontation in Beratung, Therapie und Supervision

Mit Vorworten von Fritz B. Simon, Charlotte Cordes und Noni Höfner

2024

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Beratung, Coaching, Supervision«

hrsg. von Dirk Rohr

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: B. Charlotte Ulrich

Umschlagfoto: © Tomislav – stock.adobe.com

Redaktion: Veronika Licher

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2024

ISBN 978-3-8497-0503-9 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8463-8 (ePUB)

© 2024 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Vorwort von Fritz B. Simon – Warum Beratung ohne Humor witzlos ist

Vorwort von Charlotte Cordes und Noni Höfner

1 Einleitung

2 Einführung: Veränderung – ist das möglich?

2.1 Konstruktivismus als Pfeiler unserer Wahrnehmung

2.2 Feedback als Metakommunikation in der Beratung

2.3 »Unveränderbare« Klient:innen: »Ich will mich ja verändern, aber …!«

2.4 »Unveränderbare« Berater:innen: Ist eine humorvoll-konfrontative Haltung erlernbar?

3 Grundhaltungen: Wertschätzung, Empathie, aber keine Kongruenz?

3.1 Wertschätzung

3.2 Empathie

3.3 Aber Kongruenz?

4 Konfrontation

4.1 Konfrontation – Impulse aus der Gestalttherapie

4.1.1 Im Hier und Jetzt sein

4.1.2 Bewusstheit bzw. Bewusstsein

4.1.3 Konfrontation mit sich selbst

4.1.4 Die Ich-Du-Beziehung

4.2 Provokatives Feedback

4.2.1 Der Widerstandswille und die Wachstumsbremsen

4.2.2 Provokation – eine Lösung 2. Ordnung?

4.2.3 Wie provokatives Feedback gelingt

4.2.4 Ein provokativer Methodenkasten

4.2.5 Innere Blockaden überwinden

5 Humor in der Beratung

5.1 Humor – eine allgemeine Definition

5.2 Humor als wichtiger Bestandteil von humorvoller Konfrontation

5.3 Passiver Humor

6 Das Tricksterprinzip

6.1 Hermes

6.2 Till Eulenspiegel

6.3 Captain Jack Sparrow im Kinofilm Fluch der Karibik

6.4 Der Professor in der Serie Haus des Geldes

6.5 Jan Böhmermann

7 Der Narr im Inneren Team

8 Anwendung der Tricksterprinzipen

8.1 Reflektieren

8.2 Erkunden neuer Sichtweisen auf den beruflichen Kontext

8.3 Aktivieren von Ressourcen

8.4 Anstoßen und Begleiten notwendiger Veränderungen

8.5 Anregen und Begleiten von Lernprozessen

8.6 Verbesserung kommunikativer Kompetenz

9 Systemische Prinzipien – sowohl des Inneren Teams als auch des Narren

9.1 Den Möglichkeitsspielraum vergrößern

9.2 Zirkularität – innere Bezogenheit

9.3 Wertschätzung aller eigenen Persönlichkeitsfacetten – auch des Narren

9.4 Die Neugier, sich selbst kennenzulernen

9.5 Ressourcenorientierung

9.6 Der Umgang mit »Widerständen«

9.7 Verstören der gewohnten Sicht

10 Humorvolle Konfrontation im Lehr-Lern-Kontext – Spiel mit Hüten statt Hütchenspiel

10.1 Systemisch spielen

10.1.1 Kontext und Kontextmarkierungen

10.1.2 Spielregeln – Game vs. Play

10.1.3 Prozesse statt Kategorien – oder: Vom Schach zum Go

10.2 Spiel mit Hüten 1 – Irritationen

10.2.1 Hierarchie auf Augenhöhe

10.2.2 »Ich weiß es nicht und auch nicht besser«

10.3 Spiel mit Hüten 2 – Transparenz

10.3.1 »Und, zu wievielt bist du heute hier?« – Studieren mit Familie

10.3.2 Einladung zum Zusammenspiel

10.4 »Es ist nicht mein Hut«, sagte der Hutmacher (Lewis Carroll, Alice im Wunderland)

10.5 Wenn Inhalt und Form übereinstimmen

11 Schlussbetrachtungen

Literatur

Über die Autorinnen und den Autor

Vorwort – Warum Beratung ohne Humor witzlos ist

Ein zum Tode Verurteilter wird am Montagmorgen zum Schafott geführt. Seine letzten Worte: »Die Woche fängt ja gut an!«

Wahrscheinlich ist ja nicht nur das Leben, sondern auch der Tod nur mit Humor zu ertragen. Ob Tiere Humor besitzen, ist fraglich, und auch nicht alle Menschen scheinen Humor zu besitzen. Diejenigen, die nicht über die Fähigkeit verfügen, sich aus ihrem alltäglichen Elend durch ihren Humor herauszubeamen, sind jedenfalls arme Schweine. Denn erst der Humor macht den Menschen wirklich zum Menschen. Er rührt an die existenziellen Grundlagen des Menschseins, ersetzt ein Philosophiestudium und ist Trost auch für areligiöse Leute, die nicht an das ewige Leben, das Nirwana oder die Erlösung glauben. Humor eröffnet den Weg zur Erleuchtung, indem er dem Menschen nicht nur die Begrenztheit seiner Erkenntnis, seiner Macht und die mangelnde Kontrolle des eigenen Schicksals vor Augen führt, ohne ihn in Verzweiflung zu stürzen, sondern ihn über sich und die Welt lachen lässt.

Aus einer systemtheoretisch-konstruktivistischen Perspektive funktioniert Humor u. a. dadurch, dass er den Beobachter mit in eine Außenperspektive gegenüber dem (meist sozialen) System nimmt, in dem er gerade steckt. Er zeigt ihm die Absurdität seiner Weltsicht, seiner Problemkonstruktionen, seiner Lösungsversuche, der bewussten und unbewussten Ziele seines Handelns. Das wird m. E. ganz gut durch eine Karikatur illustriert, die zwei Tramps zeigt, die auf einer Schiene laufen, verfolgt von einem herannahenden Zug. Ihre panisch klingende Situationsbeschreibung: »Wenn nicht bald eine Weiche kommt, sind wir verloren!«

Der Blick von außen relativiert Erklärungen und Bewertungen, stellt affektive Reaktionen in einen anderen Kontext, und er kann – konstruktivistisch von besonderem Interesse – die Probleme der Selbstreferenz von Wirklichkeitskonstruktionen vor Augen führen:

»Hallo, Sie da, ihr Schutzblech klappert!« – »Wie bitte? Ich kann Sie nicht verstehen, mein Schutzblech klappert!«

Das Klappern des Schutzblechs ist es ja, was uns Beratung suchen lässt und was oft genug dazu führt, dass alle Bemühungen von Beraterinnen und Beratern vergeblich sind, weil sie wegen des Klapperns des Schutzblechs nichts verstehen.

Doch das gilt nicht nur für die Probleme der Klientinnen und Klienten, sondern auch für Beraterinnen und Berater. Auch sie sehen und hören oft genug nicht, dass sie in selbstbezüglichen kommunikativen Schleifen stecken, die nicht nur die Beobachtung vermeintlicher oder tatsächlicher Probleme leiten, sondern auch ihrer Aufrechterhaltung dienen:

»Herr Ober, da schwimmt ein Hörgerät in meiner Suppe!« – »Wie bitte?«

Oder etwas aktionsorientierter:

Der Kellner bringt die bestellte Suppe. Der Kunde: »Die Suppe ist nicht heiß genug!« Der Kellner nimmt die Suppe – ganz kundenorientiert – wieder mit in die Küche, lässt sie erhitzen, bringt sie erneut, und wiederum, bevor der Kunde auch nur einen Löffel gekostet hat, beklagt dieser, die Suppe sei nicht heiß genug. Nachdem dies drei- oder viermal geschehen ist, fragt der Kellner endlich: »Sie haben die Suppe nicht probiert. Woher wissen Sie, dass sie nicht heiß genug ist?« Die Antwort des Kunden: »Solange Sie ihren Daumen in der Suppe haben, kann sie nicht heiß genug sein!«

Humor eröffnet supervisorische Perspektiven. Ein guter Witz ist – das mag von Person zu Person und von Kultur zu Kultur qualitativ unterschiedlich sein – meist anschlussfähig. Er ist aber auch ansteckend. Heinz von Foerster berichtete (pers. Mitteilung) von einer Konferenz, bei der Gregory Bateson, einer der Vordenker von Kybernetik und Systemtheorie, dem Auditorium einen Witz erzählen wollte. Er musste gleich von Beginn an dabei so lachen, dass er nicht dazu kam, den Witz zu erzählen. Das führte dazu, dass einige im Auditorium auch zu lachen begannen, und nach kurzer Zeit lachte das gesamte Publikum. Offenbar war das Lachen ansteckend. Keiner konnte sich ihm entziehen. Am Schluss lachten ein paar Hundert Menschen über einen Witz, der nicht erzählt worden war.

Ein bemerkenswertes Phänomen. Lachen ist ja – wie der Volksmund zu berichten weiß – gesund. Es ist aber offenbar auch ansteckend und sozial integrierend. Humor in Beratung, Therapie und Supervision nicht zu nutzen, erscheint daher als ein Mangel, wenn nicht gar – eine Bewertung, für die ich persönlich plädiere – als Kunstfehler. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns über die Probleme unserer Klienten und Klientinnen lustig machen sollten, sondern dass wir sie in ihrer Kompetenz ernst nehmen sollten, sich qua Humor selbst zu beobachten, sich von ihrem Erleben zu distanzieren und sich im Idealfall am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Wer könnte es auch sonst tun? Humor ist also eine todernste Angelegenheit.

Wie das handwerklich geschehen kann, wird in diesem Buch so ausführlich dargestellt, dass sich selbst humoristisch (vermeintlich) untalentierte Kollegen und Kolleginnen eingeladen fühlen dürften, damit zu experimentieren (und das ist kein Witz).

Fritz B. Simon

Berlin, im September 2023

Vorwort

Bei den Wörtern Konfrontation oder Provokation denken viele als Erstes an Aggression und Zynismus und daran, dass so etwas in Beratung, Therapie und Supervision nichts verloren hat. Werden diese Wörter mit solchen Negativbegriffen in Verbindung gebracht, haben diese Kritiker natürlich vollkommen recht. Zynismus und Abwertung sollten in Beratungen keinen Platz finden. Allerdings hat die Bedeutung des Ausgangswortes provocare nichts mit »jemandem auf die Fresse hauen« zu tun. Es bedeutet »hervorholen«, »ans Licht bringen«, und das ist genau die Provokation, die nicht verletzt, sondern für Klienten und Klientinnen sehr hilfreich sein kann. In unserer Arbeit mit dem Provokativen Ansatz geht es um genau dieses »Hervorholen« und nicht um Aggression.

Dem Provokativen Ansatz liegt eine mentale Haltung der Wertschätzung und des bedingungslosen Wohlwollens und Zutrauens zugrunde. Provokativ Beratende sind davon überzeugt, dass Klienten in der Lage sind, selbst aus ihren Sackgassen herauszukommen. Wir halten sie für stärker als sie sich selbst. Wir sagen ihnen das jedoch nicht direkt, sondern denken es nur. Stattdessen sprechen wir kontraproduktive Gedanken aus, mit denen sich die Klienten selbst im Weg stehen und von denen wir glauben, dass Klienten sie fühlen und denken oder fühlen und denken könnten. Diese Gedanken verzerren wir ins Komische und Absurde, um unser Gegenüber zum Lachen über ihre eigenen Stolpersteine zu bringen. Das Lachen schafft den notwendigen emotionalen Abstand von der Problematik und provoziert einen emotional geladenen Widerstand gegen die eigenen Stolpersteine. Gelingt uns diese wohlwollende Haltung nicht, weil wir die Klienten für arme, schwache Opfer halten, sollten wir nicht provokativ werden. Denn dann werden die Provokationen aggressiv, der Widerstand geht gegen uns, und wir verlieren die Klienten.

Probleme werden bei dieser Vorgehensweise nicht weggelacht, Klienten werden auch nicht vorgeführt oder ausgelacht, sondern sie und ihre oft schlimmen Vorerfahrungen werden sehr ernst genommen. Persifliert wird ausschließlich der sog. »sekundäre Krankheitsgewinn«, mit dem es sich viele in der »Opferecke« gemütlich gemacht haben. Durch wohlwollende Karikierungen können sich die Klienten über ihren »eigenen Scheiß« amüsieren (oft zum ersten Mal überhaupt). Das ermöglicht ihnen einen Blick von außen auf ihre Problematik und hilft ihnen, sich zu entspannen und ihre Themen nicht nur mit rationaler Einsicht, sondern emotional gefüttert zu relativieren. Überraschende und lang anhaltende Verhaltensänderungen sind die Folge.

In der frühen tiefenpsychologischen Literatur findet sich der schöne Satz: »Wenn ein Klient lacht, ist das eine neurotische Regression und sofort zu unterbinden.« Auch auf den ersten Humorkongressen, die in den 1990er-Jahren in der Schweiz stattfanden, hatten viele Profis noch Sorge, dass solch eine verrückte Veranstaltung ihrem seriösen Ruf schaden könnte. Inzwischen wird Humor in Therapie, Beratung, Coaching und Supervision als wirkungsvolle Möglichkeit gesehen, in festgefahrene Situationen Leichtigkeit zu bringen und neuen Bewegungsspielraum zu schaffen.

Wir sind sehr froh, dass Humor auf diese Weise Einzug in Therapie, Beratung, Coaching und Supervision gefunden hat. Wir haben den Narren sogar im Logo unseres Instituts: Er steht auf dem Kopf, weil wir mit unserer Arbeit bewusst vieles anders machen als gewohnt, um die Klienten und uns beweglich zu halten bzw. wieder in Bewegung zu bringen. Seien Sie selbst der Narr oder die Närrin und trauen Sie sich mehr zu, als Sie zu können denken! Dieses Buch wird Ihnen dabei helfen.

Charlotte Cordes und Noni Höfner

München, im September 2023

1 Einleitung

Barbossa: »Das ist nicht möglich!«Captain Jack Sparrow: »Sagen wir: nicht üblich.«

aus Fluch der Karibik

Jack Sparrow, Pirat und Hauptfigur der erfolgreichen Filmreihe Fluch der Karibik, ist ein Meister im »nicht üblichen« Denken und Handeln. Er stiftet Verwirrung, bringt Bewegung in festgefahrene Situationen und findet alternative Lösungen. Ebenso könnten auch Aspekte einer systemisch-konstruktivistischen Beratung beschrieben werden. Wäre Jack Sparrow womöglich ein guter Berater?

Auch Till Eulenspiegel wurde schon mit der Profession der Supervision in Verbindung gebracht: Der Sozialarbeitswissenschaftler, Supervisor und Konstruktivist Heinz J. Kersting ernannte Eulenspiegel sogar zum »Schutzpatron systemischer und konstruktivistischer Supervisoren und Supervisorinnen« (Kersting 1993, S. 18), sieht er doch einige Parallelen in den Geschichten über den Narren Till Eulenspiegel zum Beruf des Supervisors. Unter anderem machen beide »ihr Narrenamt zum Beruf«, stören als Provokateure festgefahrene Muster sowie Wirklichkeitskonstruktionen und sind respektlos gegenüber Theorien und Konzepten – oder, wie Kersting über Eulenspiegel schreibt: »[…] er hatte kein Konzept, er selbst war sein Konzept […]« (ebd., S. 22). Also ein weiterer Narr, der sich für den Beruf des Beraters qualifizieren würde? Oder ist es das Narrenhafte an sich, das Teil der Berater:innentätigkeit ist?

Eine der wohl – von außen betrachtet – absurdesten Strömungen ist der provokative Ansatz in Coaching und Beratung. »Natürlich kannst du dich nicht verändern!«, ist dort das gängige verbale Feedback an Klient:innen, welche mit dem Wunsch zur Veränderung in die Beratung kommen (vgl. Kap. 2). So seltsam es auch klingen mag, kann genau dieses Feedback Klient:innen helfen, wenn sie auf ihrem Weg nicht mehr weiterzukommen scheinen.

Während Beratung, Therapie und Supervision bzw. Coaching unterschiedliche Kontexte darstellen1, haben sie dennoch zwei Dinge gemeinsam. Erstens: Sie sind nicht komisch.2 Zumindest würde auf die Frage, wie wir denn diese Verfahren beschreiben würden, den wenigsten »amüsant« als erstes Adjektiv einfallen. Denn zweitens: Alle Arten der Beratung sind ernst zu nehmende Angelegenheiten. Oder wann amüsierten Sie sich zuletzt, als Ihr:e Klient:in von ihrem suizidgefährdeten Kind sprach – oder rissen einen Spruch, als es um die nie endenden Schikanen der Kolleg:innen ging?

In diesem Buch soll nichtsdestotrotz das Potenzial von Humor und provokativem Feedback aus einer konstruktivistischen Perspektive dargelegt werden. Im Zentrum werden die Veränderungen des Selbstbildes und der mit ihm verbundenen Verhaltensweisen stehen, die für Klient:innen eine große Herausforderung sein können, wie auch bestimmte Eigenschaften von Narren, die in ein sogenanntes Tricksterprinzip zusammengefasst und in beraterischen Kontexten beispielsweise in der Arbeit mit dem Inneren Team3 miteinbezogen werden können.

In Paulo Coelhos Weltbestseller Der Alchimist reist ein junger Schafhirte los, um einen Schatz zu finden, von dem er immer wieder nachts träumt (vgl. Coelho 2008). Seine Reise führt ihn zu jahrelangen Aufenthalten an verschiedenen Orten, an denen er unterschiedliche Bekanntschaften schließt und Erfahrungen durchlebt. Als er schließlich an seinem Ziel, den ägyptischen Pyramiden, ankommt, muss er feststellen, dass der Schatz nicht dort ist, sondern von Anfang an dort war, wo er die Reise begonnen hatte. In vieler Hinsicht spiegelt diese Reise auch unsere eigene Suche nach persönlicher Veränderung wider. Auch wir »brechen auf«, wenn wir uns verändern wollen. Wir lesen Ratgeber, besuchen Kurse, buchen ein Retreat. Wie auch bei Coelhos Schafhirten können diese Maßnahmen nur Stützen sein. Veränderung des Verhaltens dagegen erfolgt nur im Ursprung selbst, wenn wir innerlich eine neue Haltung eingenommen haben.

Beratung ist der Ort, an welchem uns das Thema Veränderung in jeder Sitzung begegnet. Klient:innen kommen zu uns, wenn sie auf ihrem Weg zu der gewünschten Veränderung ein Stück begleitet werden wollen – oder sollen. Berater:innen wissen um die Notwendigkeit der inneren Resonanz für die nachhaltige innere Veränderung und sind daher bemüht, ihre Klient:innen mit den eigenen Ressourcen in Kontakt zu bringen (vgl. Schubert, Rohr u. Zwicker-Pelzer 2019, S. 64, 138 ff.). Während sich alle Arten der Beratung an der Reise der Klient:in orientieren, herrschen jedoch drastische Unterschiede in den verschiedenen Schulen, wenn es um die Art und Weise geht, wie Berater:innen ihre Klient:innen begleiten (vgl. ebd., S. 38 f., 63 f.).

Die »humorvolle Konfrontation in Beratung, Therapie und Supervision« im Untertitel dieses Buches lässt zunächst noch offen, an wen sich die Aufforderung »Sei ein Narr!« richtet. Auch wenn nichts dagegenspricht, Klient:innen und Supervisand:innen einzuladen, sich gelegentlich »angemessen ungewöhnlich«, schelmenhaft oder närrisch zu verhalten, geht die Einladung hier doch an die Berater:innen, Supervisor:innen und Coaches selbst. Wie eingangs schon angedeutet, werden wir Parallelen zwischen Narren (bzw. dem Tricksterprinzip) und Berater:innen betrachten – wir gehen der Frage nach, ob sich Übereinstimmungen zwischen der Figur des Narren und dem Beruf der Berater:in, der Supervisor:in und des Coachs zeigen und ob es, als Konsequenz daraus, sinnvoll sein könnte, dem Narren im Inneren Team der beratenden Person eine prominente Position einzuräumen. Denn der Narr war im Mittelalter am Hof wohl die einzige Person, der es gestattet war, mittels Humor den »Autoritär« zu kritisieren. Diese Figur kann daher in Beratungskontexten als Personifizierung der von Konfrontation geprägten Beratungsstile fungieren und aktiviert werden, wenn es darum geht, die gewohnte Sicht von Klient:innen zu verstören und humorvoll Konflikte und Spannungen zu überwinden.

Unser heuristisches Vorgehen schließt die subjektive Perspektive explizit zum Erkenntnisgewinn ein, ausgehend von der Annahme: »Wir erkennen niemals ›Dinge an sich‹, sondern stets ›Dinge für uns‹« (Breuer 2010, S. 41).

Provokative und humorvolle Konfrontationen mögen nicht für jede:n etwas sein und auch nicht bei allen Klient:innen fruchten, doch wie Frank Farrelly, der Begründer der provokativen Therapie, stets zu sagen pflegte: »Selbst Jesus verlor einen von zwölf« (Farrelly, zit. n. Lohmeier 2018, S. 118; Übers.: N. G.).

1 Wir werden in diesem Buch der Einfachheit halber meist Beratung als Oberbegriff für die verschiedenen Formate wie Coaching, Supervision, Therapie, Einzel- oder Familienberatung etc. verwenden. Zur Vertiefung siehe Schubert, Rohr u. Zwicker-Pelzer 2019, S. 7 ff.

2 Dass wir diese These nicht vollends unterstützen und empfehlen wollen, könnten die Leser:innen bereits am Titel erkannt haben.

3 Wir werden im Weiteren in Anlehnung an Schulz von Thun (2019) und sein »Inneres Team« die Begriffe »Innere Dilemmata«, »Innere Machtkämpfe« und »Innere Dialoge« als feststehende Begriffe betrachten und somit »Innere« großschreiben. »Innere« steht hierbei synonym zu »intrapersonal« und bezieht sich auf psychische Prozesse. Den Begriff des Inneren Teams werde ich in seinem weitesten Sinn als Beschreibung der Gruppe der personifizierten Persönlichkeitsanteile übernehmen.

2 Einführung: Veränderung – ist das möglich?

Veränderung liegt in der Natur des Lebendigen. Auf biologischer Ebene können wir das Geborenwerden, Heranwachsen und Sterben unserer lebendigen Umwelt klar und deutlich beobachten. Dennoch findet das Wort Veränderung in diesen Kontexten kaum Verwendung.

Wenn wir vom Verb verändern sprechen, meinen wir zum einen »(im Wesen oder in der Erscheinung) anders machen, ändern (1a), umgestalten« oder »(im Wesen oder in der Erscheinung) anders werden, sich ändern (2)« (Duden 2023). Besonders in der ersten Definition wird deutlich, dass Veränderung als eine intentionale Handlung eines aktiven Subjekts verstanden werden kann, welches sie von organischen Prozessen wie Wachstum unterscheidet. Veränderung kann jederzeit gewollt herbeigeführt werden, so auch in der Beratung, wo sie oftmals einen zentralen Gegenstand darstellt.

Beobachtet man Maßnahmen, die Menschen treffen, um sich oder ihre Umwelt äußerlich zu verändern, wird deutlich, dass in unserer Vorstellung der intentionalen Veränderung ein Mittel notwendig ist, welches als die Ursache des Übergangs von A nach B fungiert. Wollen wir beispielsweise ein neues Auto haben, so kann der Kauf des Autos als die Ursache herausgestellt werden, welche uns zu der ersehnten Position (Besitz eines neuen Autos) führt. Der Ablauf der Veränderung von einem Zustand in den anderen ist in Abbildung 1 zunächst vereinfacht und linear dargestellt.

Abb. 1: Ablauf materieller Veränderung

Die Tatsache, dass wir uns noch ein ganzes Leben lang ertragen müssen, macht Persönlichkeitsentwicklung zu einem zentralen Thema, mit dem sich Menschen beschäftigen. Auf dieser Ebene ergibt sich jedoch, bezüglich unseres Verständnisses von Veränderung, ein Problem. Die Frage nach einer klaren Ursache, welche uns die ersehnte Veränderung bringt, lässt sich bei inneren und zwischenmenschlichen Angelegenheiten nicht mehr eindeutig beantworten.4 Was hilft uns dabei, unsere Ängste vor sozialen Situationen zu überwinden? Was hilft, eine problematische Beziehung zu verändern?

Es könnte sein, dass die Suche nach einem funktionierenden Mittel uns daran zweifeln lässt, ob Veränderung für uns überhaupt möglich ist. Schließlich gibt es Menschen, welche als »unveränderlich« bezeichnet werden. Sind wir vielleicht auch nur eine:r von ihnen?

Um diese Fragen zu beantworten, werden wir uns im nächsten Abschnitt genauer mit unseren »Realitäten« befassen. Wir wollen schauen, wie Menschen in einen Zustand A geraten und was die Natur dieses Zustandes ist, welchen es zu verändern gilt.

2.1 Konstruktivismus als Pfeiler unserer Wahrnehmung

»Wirklich ist, was eine genügend große Zahl von Menschen wirklich zu nennen übereingekommen ist.«

Watzlawick 2020, S. 269

Wir scheinen unser Dasein immer wieder zu evaluieren (vgl. Watzlawick 2020, S. 50 f.; von Foerster 2002, S. 44 ff.). Im Zuge dieser Evaluation unseres Selbst, durch uns und andere, wird uns immer wieder der ein oder andere Titel angehaftet, den wir nutzen, um uns zu beschreiben: Workaholic, tiefenentspannt, Shoppingqueen, Frugalist:in usw. Diese Label können uns ein Gefühl der Befreiung geben, wenn wir durch sie unser Verhalten besser verstehen können. Sie können uns aber auch fesseln, wenn sie unseren Wünschen und Bedürfnissen Grenzen setzen. Doch sind diese Bilder, die uns ausmachen, tatsächlich so stabil, wie wir glauben?

Es kann zum Beispiel vorkommen, dass zwei verschiedene Menschen auf einem sozialen Ereignis die gleichen Verhaltensweisen aufzeigen. Sie ziehen sich zurück und reden kaum mit den anderen Anwesenden. Fragt man sie daraufhin, warum dies der Fall sei, könnte man beispielsweise die folgenden Antworten erhalten: »Ich fühle mich auf großen Feiern nicht wirklich wohl« (Person 1) oder »Ich liebe es, das Geschehen von außen zu beobachten« (Person 2). Es könnte sich sogar um dieselbe Person handeln, an unterschiedlichen Tagen, Momenten oder gegenüber verschiedenen Menschen auf demselben Event. Würden wir das Verhalten nur von außen labeln, würden wir auf der Basis der ersten Antwort die Person vielleicht als introvertiert, schüchtern oder antisozial einschätzen. Bei der zweiten jedoch könnten wir vermuten, dass sie intrigant, sozial interessiert, analytisch sei. Vielleicht hätte(n) die Person(en) sich selbst auch so gelabelt. Scheinbar kann also dieselbe Situation – abhängig von verschiedenen Faktoren – ein anderes Charakteristikum sowohl in der Wahrnehmung der betroffenen Person selbst als auch bei ihren Mitmenschen über sie erzeugen. Diese Wahrnehmungen können sich auch paradox gegenüberstehen (vgl. Watzlawick 2003, S. 97 f., 183). Wo ist dann die Wirklichkeit, wenn wir sowohl sozial als auch antisozial sein können, und was ist mit den Labeln, die uns schon unser Leben lang verfolgen? Die Antwort auf diese Fragen liegt in der Art und Weise, wie wir unsere Realität erschließen.

Wir erleben uns und unsere Umwelt in erster Linie durch unsere Sinneserfahrungen (vgl. Watzlawick 2020, S. 341 f.). Wir wissen um die Existenz eines Baumes, weil wir ihn sehen, ertasten, riechen, hören (und sogar schmecken)5 können. Diese Objekte unserer Sinneserfahrung sind für uns real erfahrbar und können durch alle, die »ein normales Zentralnervensystem haben, in derselben Weise [gesehen werden]« (Watzlawick 2020, S. 341). Diese Wirklichkeit bezeichnet Watzlawick als die Wirklichkeit erster Ordnung (vgl. ebd.).

Es ist nun aber so, dass wir unsere Sinneseindrücke nicht nur erfahren und abspeichern. Im Zuge der Ansammlung dieser Informationen beginnen wir, diese in beobachtete Ähnlichkeitskriterien einzuordnen. Ein gewisses »Erfahrungswissen« entsteht (vgl. von Glaserfeld 2002, S. 31 f.; Watzlawick 2020, S. 271 f.). Dieses Erfahrungswissen beruft sich auf die Bewertungen unserer erlebten Sinneseindrücke als etwas Gutes (mehr erwünscht) oder Schlechtes (sollte vermieden werden) (vgl. von Glaserfeld 2002, S. 31). Beispielsweise lernt ein Kind früh, dass das Berühren einer heißen Herdplatte Schmerzen erzeugt. Um zukünftiges Handeln zu planen oder Prognosen zu erstellen, ist solches Erfahrungswissen unabdingbar. Das Kind wird in Zukunft sicherlich nicht noch einmal unwissend den Herd berühren (vgl. Watzlawick 2002c, S. 92).

Durch dieses Einordnen von Sinneseindrücken bilden wir jedoch nicht nur unser persönliches Verhaltensschema, sondern legen damit auch die Basis für unser soziales Zusammenleben. Geteilte Werte und Glaubenssätze, aber auch warum und wie wir uns und andere wahrnehmen – unsere Selbst- und Umweltbilder –, werden in einem ständigen Deutungsprozess, in Wechselwirkung mit anderen konstruiert (vgl. Watzlawick 2020, S. 55 f.). Dieses »gemeinsame« Bewerten und Deuten der Sinneswahrnehmungen bildet die Basis des menschlichen Zusammenlebens (vgl. ebd., S. 50 f.). Erst durch das Finden von gemeinsamer Bedeutung können Gesellschaften entstehen, die sich auf geteilte Werte und Lebensentwürfe beziehen.

Es sind diese Deutungen unserer Wirklichkeit, welche von uns allmählich als die gegebene Realität angenommen werden (vgl. Watzlawick 2020, S. 269 f.). Vertreter:innen des Konstruktivismus weisen jedoch darauf hin, dass diese Deutungsebene, in welcher wir unseren Sinneseindrücken einen objektiven »Sinn, Bedeutung und Wert« (vgl. ebd., S. 341) zuzuordnen versuchen – die Wirklichkeit zweiter Ordnung –, nicht mit der Wirklichkeit erster Ordnung verwechselt werden darf. Ihr Inhalt ist stark von den individuellen Gegebenheiten sowie der sozialen Umwelt abhängig, welche die Ausbildung, Annahme und Ablehnung bestimmter Deutungsweisen beeinflussen (vgl. ebd., S. 340 f.).

Nach dem Konstruktivisten Ernst von Glaserfeld (2002) können unsere Deutungen und Bewertungen so nur das ausschließen, was unter den gegebenen Bedingungen nicht eintritt, die Gesamtheit der potenziellen Möglichkeiten jedoch nicht (vgl. von Glaserfeld 2002, S. 22 f.). Paul Watzlawick (2002a) beschreibt diese Maxime durch das Beispiel eines Seefahrers, welcher nachts in einer Meeresenge auf einen Sturm stößt:

»Rennt er auf die Klippen auf und verliert Schiff und Leben, so beweist sein Scheitern, daß der von ihm gewählte Kurs nicht der richtige Kurs durch die Enge war. Er hat sozusagen erfahren, wie die Durchfahrt nicht ist. Kommt er dagegen heil durch die Enge, so beweist dies nur, daß sein Kurs im buchstäblichen Sinne nirgends anstieß. Darüber hinaus aber lehrt ihn sein Erfolg nichts über die wahre Beschaffenheit der Meeresenge; nichts darüber, wie sicher oder wie nahe an der Katastrophe er in jedem Augenblicke war […]. Man kann sich leicht vorstellen, daß die wahre Beschaffenheit der Meeresenge vielleicht wesentlich kürzere, sicherere Durchfahrten ermöglicht« (Watzlawick 2002a, S. 14 f.).

Unsere Realitätswahrnehmung kann immer nur einen Abschnitt in Betracht ziehen. Sie ist immer nur »passend« bzw. »viabel«. Sie stimmt aber nicht mit der Wahrheit der Gegebenheit überein (vgl. von Glaserfeld 2002, S. 23).

Eine zweite Begrenzung unserer Realitätswahrnehmung bildet die Subjektivität. Unsere Sinneswahrnehmungen werden immer nur durch die eigenen kognitiven Strukturen gedeutet (vgl. von Foerster 2002, S. 43 f.). Verschiedene Menschen können so ein gleiches Erlebnis durchlaufen, es aber komplett unterschiedlich bewerten. Von Glaserfeld (2002, S. 28) merkt an, dass

»Erfahrung, sowie Gegenstände der Erfahrung, […] das Resultat unserer Art und Weise des Erfahrens [sind], denn sie sind allesamt notwendigerweise durch Raum und Zeit und die von Raum und Zeit abgeleiteten Kategorien strukturiert und bestimmt«.

Besonders in der Kommunikation lässt sich diese Barriere der Subjektivität schnell erkennen, wenn die Gesprächspartner:innen in einer Meinungsverschiedenheit an ihrer jeweiligen Sicht festhalten. Sie übersehen dann, dass es mehr Möglichkeiten gibt, die Interaktion zu deuten, als es ihre Wahrnehmung ihnen erlaubt (vgl. Watzlawick 2020, S. 60; Watzlawick 2021, S. 17). Subjektivität unserer Wahrnehmung bedeutet für unsere Kommunikation, dass wir zwar das von uns Mitgeteilte zu einer hohen Sicherheit bestimmen können, jedoch nicht die Wirkung – geschweige denn die Kontextualisierung –, welche unsere Botschaft bei unserem Gegenüber auslöst (vgl. ebd., Kap. 2; Watzlawick 2003, S. 16 f.).

An den Stellen, an denen wir diese zwei Begrenzungen unserer Wahrnehmung ignorieren und an einer objektiven Weltansicht festhalten, geben wir auch die Möglichkeit auf, der Wirklichkeit gegenüber flexibel zu bleiben. Dafür eröffnen sich uns die Erfahrungswelt und mit ihr Ursache-Wirkungs-Ketten, auf welche sich das Erfahrungswissen beziehen kann. Hier leiten wir aus einer beobachteten Situation, in welcher ein Zustand B auf ein Ereignis A folgt, ab, dass A der Auslöser für Zustand B sein muss. Ruft man sich jedoch die konstruktivistische Barriere, dass unsere Wahrnehmung begrenzt ist, in den Sinn, muss diese lineare Kausalität nicht unbedingt stimmen. A könnte genauso gut unabhängig oder gleichzeitig mit B aufgetreten sein (vgl. Watzlawick 2002b, S. 61 f.; Watzlawick 2002c, S. 91 f.). Ursache-Wirkungs-Denken ist bei bereits eingetretenen Situationen – wie im Beispiel der heißen Herdplatte – außerordentlich wichtig. Es kann sich jedoch zu einer Selbstbegrenzung entwickeln, wenn sich Menschen aufgrund ihrer Erfahrungen Prognosen für noch nicht eingetroffene soziale und emotionale Ereignisse aufstellen und einen Weg bahnen für sogenannte selbsterfüllende Prophezeiungen (vgl. Watzlawick 2002b, S. 64).

In den zu Beginn aufgeführten scheinbar statischen Charakterzügen, welche wir im Laufe des Lebens erst zugeschrieben bekommen, liegt eine selbsterfüllende Prophezeiung vor, wenn wir beginnen, uns nach einer Weile die besagten Charakteristika selbst zuzuschreiben. Denken Sie an einen Teenager, welcher von den Eltern in einem verbalen Schlagabtausch Unzuverlässigkeit zugeschrieben bekommt, sich heftig gegen diese Aussage wehrt – dieselbe Karte der Unzuverlässigkeit jedoch ausspielt, wenn es dann heißt, er solle das Zimmer aufräumen, die Spülmaschine entleeren usw. Auch wenn wir glauben wollen, dass Teenager ihren Eltern im vollen Bewusstsein eins auswischen wollen, leiden sie langfristig unter den Konsequenzen dieses Spiels. Die Erwartungen, welche sich aus der Umwelt erschließen lassen, können unentdeckt auch zukünftig das eigene Verhalten beeinflussen und formen.6 Um dies besser zu verstehen, kann das anfängliche Beispiel der zwei Personen noch einmal aufgegriffen werden, welche sich an den Rand einer Party zurückziehen und kaum mit jemandem reden.

Beobachter:innen, welche eine der besagten Personen auf dem Event in einer Ecke alleine stehen sehen, werden sehr wahrscheinlich nach einer Ursache für ihr Verhalten suchen. Wird kein offensichtlicher anderer Grund (z. B. Krankheit oder Streit) entdeckt, scheint die nächstgelegene Ursache in der Person selbst zu liegen. Abhängig von der Wahrnehmung des Beobachters und seiner Vorerfahrung mit der beobachteten Person können ihr unterschiedliche Charakteristika zugeschrieben werden, wie beispielsweise Schüchternheit. Ein solches Bild erweckt eine Reihe von Erwartungen bezüglich Verhaltensweisen und Denkmustern, welche Beobachter:innen mit ihrem Verständnis von Schüchternheit verbinden (vgl. Watzlawick 2002c, S. 98). Der springende Punkt ist jedoch, dass die Beobachter:innen beginnen, sich gemäß ihrem abgeleiteten Bild »vorbeugend« gegenüber der scheinbar schüchternen Person zu verhalten (vgl. ebd., S. 98 f.; Watzlawick 2020, S. 62 f.). So werden sie vielleicht vorsichtiger mit der beobachteten Person umgehen oder sie insgesamt meiden, um sie nicht in eine unangenehme Lage zu bringen. Vielleicht werden sie umgekehrt eine dominante Rolle im Gespräch mit dieser Person übernehmen, um unangenehme Stille zu vermeiden. Die betroffene Person findet sich dann in diesen Interaktionen in Positionen gedrängt, in welchen sie entweder bemuttert, dominiert oder gänzlich vermieden wird. Dass diese Lage das gezeigte »Symptom« (das Vermeiden) bestärkt, ist nun sehr wahrscheinlich. Welches Verhalten ihr Umfeld auch immer zeigen wird, es tendiert – solange es die angenommene Ursache zu vermeiden sucht – dazu, das beobachtete Verhalten nur zu verstärken (vgl. Watzlawick 2002c, S. 107).

Diese selbsterfüllenden Prophezeiungen sind Teil unserer Wahrnehmung von Regelmäßigkeiten, auf deren Basis wir unser Leben gestalten. Sie sind per se weder gut noch schlecht, sondern verleihen unserer Wahrnehmung einen Bedeutungsrahmen, welcher uns mit vergehender Zeit immer »natürlicher« vorkommt (vgl. Watzlawick 2021, S. 56 f.; Watzlawick 2002b, S. 64). Wir verhalten uns in einer bestimmten Art oder fühlen bestimmte Gefühle, weil wir »eben nicht anders können« und »das unsere Art ist«. Dass die Basis unserer Prognosen keine Gegebenheit ist, sondern durch ein subjektives Ausschlussverfahren entwickelt wurde, gerät im Fluss des Alltäglichen verloren (vgl. Watzlawick 2020, S. 270).

Wenn wir annehmen, dass Selbstbilder sich in einem ständigen Austausch mit anderen ergeben, sind die Pfeiler unserer Identität nichts Weiteres als vorübergehende Ergebnisse eines Erkenntnisprozesses (vgl. Watzlawick 2020, S. 55 f.). Einer einzelnen Person sind in ihren Verhaltensweisen keine wirklichen Grenzen gesetzt; sie kann sich in einem Moment so – und in einem anderen genau gegenteilig verhalten. Daraus schließen wir, dass unser jetziges Selbstbild lediglich ein Konstrukt ist, welches nur eine begrenzte mögliche Art darstellt, wie wir uns in der Welt erfahren können. Es ist das Streben nach Stabilität und Ordnung – die uns ein Interagieren und Agieren in der Welt logisch ermöglichen, welches logische Klassifizierungen und Definitionen nötig macht (ebd., S. 271 f.). Wenn wir unser Verhalten und Empfinden klassifizieren, setzen wir uns damit Grenzen, welche unserem Verhalten zwar einen Rahmen verleihen, aber auf der anderen Seite auch den Eindruck erwecken, dass unsere Handlungsoptionen begrenzt sind (vgl. Watzlawick 2002c, S. 98). In Wechselwirkungen zwischen eigenen und von außen eintreffenden Bedürfnissen, Wünschen, Hoffnungen, Glaubenssätzen etc. formen wir unsere Selbstbilder und die selbsterfüllenden Prophezeiungen, die ihr Fortbestehen sichern (vgl. Watzlawick 2002b, S. 64; Watzlawick 2002c, S. 98).

Die Vorstellung, dass wir uns in einem Zustand A befinden, welchen wir für eine Veränderung in einen Zustand B umwandeln müssten, kann daher für das Selbst nicht einfach übertragen werden (vgl. Abb. 1).

Setzen wir unsere gegenwärtigen rationalen Grenzen, unser aktuelles Selbstbild, mit Zustand A gleich, dann müssen wir erkennen, dass auch das von uns angestrebte Selbstbild B nur als Teil von As Gedankenkonstrukt existieren kann, wie in Abbildung 2 (linke Seite) dargestellt (vgl. Watzlawick, Weakland u. Fisch 2013, Kap. 5, Abs. 26; Watzlawick 2020, S. 304 f.). Wir können uns nur vorstellen, wie es wäre, mutiger, lauter, bescheidener etc. zu sein. Die Wahrheit könnte sich, wenn wir tatsächlich eine Veränderung durchmachen, als komplett anders entpuppen. Das Festhalten und Ausarbeiten unserer jetzigen Vorstellung des erwünschten Zustands B kann daher den tatsächlichen Weg zur Veränderung erschweren (vgl. Abschnitt 2.3). In der Hoffnung, uns zu verändern, suchen wir vergeblich nach einer Lösung innerhalb der uns bekannten Wahrnehmungsmuster, wobei es möglich ist, dass wir uns dabei keinen Zentimeter von Zustand A fortbewegen (vgl. Watzlawick 2020, S. 305). Watzlawick, Weakland und Fisch (2013, Kap. 1, Abs. 30) sprechen hier von einer Veränderung erster Ordnung.

Die tatsächliche Veränderung kann im Bezug zum Selbstbild als ein Zustand C beschrieben werden, der uns rational noch nicht zugänglich ist (vgl. Watzlawick 2020, S. 270, S. 272 f.). Wenn wir im Rahmen des bekannten Zustands A und seiner zugehörigen Vorstellung B verbleiben, erstreckt sich unser Handlungs- und Gedankenrahmen vielleicht über AB, BA, AAB usw. Eine grundlegende Veränderung, welche außerhalb unseres bekannten Systems (jenseits von A und B) liegt, können wir jedoch nicht erreichen. Um diese Veränderung zweiter Ordnung (Watzlawick, Weakland u. Fisch 2013, Kap. 1, Abs. 30) zu erzielen, ist es also notwendig, unsere bekannten Ursache-Wirkungs-Ketten zu verlassen und eine neue Perspektive in einer unbekannten Position C einzunehmen (vgl. Watzlawick 2020, S. 268). Erst dann wird es uns einerseits möglich, auf einer Metaebene unsere bisherige Wahrnehmung (A und B) zu reflektieren, und andererseits auch, durch diesen erweiterten Rahmen weitere Ideen und Lösungsansätze (D) zu entwickeln, darin liegt die Veränderung (vgl. Abb. 2).7

Abb. 2: Veränderung durch Perspektivwechsel

Wir können uns diesen Übertritt nach C erleichtern, wenn wir uns im Hier und Jetzt auf die Wirkungen unseres Verhaltens konzentrieren, anstatt das reine Verstehen der Ursachen als Weg zur Veränderung zu betrachten (vgl. Watzlawick, Weakland u. Fisch 2013, Kap. 7, Abs. 20 f.). So kann durch das Fragen nach dem Was statt des Warums eine Metaebene der Wahrnehmung entstehen, in der wir nicht mehr über unsere Lage rätseln, sondern sie von außen betrachten (vgl. ebd., Abs. 26).8

Generell sind Methoden, um in diese Metaebene zu gelangen und eine Veränderung zweiter Ordnung hervorzurufen, für Betroffene logisch oftmals nicht nachvollziehbar. Das müssen sie auch nicht sein. Denn ihre Aufgabe ist es, die rationalen Muster der von uns geschaffenen Wahrnehmungen sowie die Wahrnehmungsbedingungen zu irritieren und zu unterbrechen (vgl. ebd., Kap. 2, Abs. 20 ff.). Erst wenn wir eine Distanz zu unseren objektiven Überzeugungen geschaffen haben, können wir im Hier und Jetzt die Möglichkeit alternativer Verhaltensweisen zulassen und unser Selbstbild anpassen.

2.2 Feedback als Metakommunikation in der Beratung

Beratung ist darauf angelegt, Klient:innen einen geschützten Raum zu bieten, in welchem sie sich ihrer Gedankenkonstrukte bewusst werden und an diesen arbeiten können (vgl. Schubert, Rohr u. Zwicker-Pelzer 2019, S. 30). Dass dies möglich ist, liegt nicht nur an den spezifischen Methoden, sondern an der maßgeblichen Rolle, die Kommunikation bei der Konstruktion unserer Wahrnehmung spielt.

Wenn »eine Sprache nicht nur Informationen übermittelt, sondern auch Ausdruck einer ganz bestimmten Wirklichkeitsauffassung ist« (Watzlawick 2003, S. 20), können wir annehmen, dass wir im Austausch mit anderen nicht nur unsere Ansichten nach außen tragen, sondern auch, dass diese in der Kommunikation immer wieder in Kontakt zu alternativen Wahrnehmungen treten. Kommunikation ist daher der Ort, an dem wir unsere Wahrnehmung mit anderen abgleichen und austauschen sowie gemeinsame Bedeutungen schaffen (vgl. Watzlawick 2003, S. 6; von Schlippe u. Schweitzer 2016, S. 151 ff.). Nehmen wir weitergehend nach Watzlawicks Axiomen der Kommunikation an, dass 1) es uns nicht möglich ist, nicht zu kommunizieren, und dass 2) Kommunikation eine digitale und eine analoge Ausdrucksform hat,9 wird uns klar, dass Menschen immer wieder neue Auswertungsprozesse bezüglich ihrer Wahrnehmung durchlaufen (vgl. Abschnitt 2.1). Erst hierdurch wird Beratung sinnvoll. Auch wenn die konstruktivistischen Barrieren der Subjektivität und der Begrenztheit unserer Wahrnehmungen den direkten Zugang zu Klient:innen einschränken, ermöglichen es dennoch die digitale und die analoge Resonanz, welche Berater:innen im Beratungsgespräch aussenden, die Wirklichkeitskonstrukte von Klient:innen anzuregen (vgl. Rohr 2016, S. 38 f.; Fengler 2017, S. 20 f.).

Sowohl direktes als auch indirektes Feedback sind ein grundlegender Bestandteil menschlicher Kommunikation (vgl. Watzlawick 2020, S. 20 ff.). Berater:innen können diese Rückmeldungen bewusst anwenden, um Klient:innen durch die angebotene Außenperspektive neue Erkenntnisse zu ermöglichen. Die Berater:in »schildert ihren Eindruck von der anderen Person, spricht also gleichzeitig vom anderen und von sich selbst« (Fengler 2017, S. 22). Klient:innen vermögen aus dieser Resonanz vieles mitzunehmen. Die inhaltlichen Aspekte können auf Perspektiven hinweisen, die ihnen bisher verschlossen waren und die – je nach innerer Resonanz – ihre Wahrnehmung erweitern (vgl. ebd., S. 20 f.).

In einem konstruktivistischen Sinne lenkt Feedback die Aufmerksamkeit der Klient:in von den eigenen, allgegenwärtigen Ursache-Wirkungs-Ketten auf eine angebotene Wahrnehmung der Berater:in im Hier und Jetzt um (vgl. auch Fengler 2017, S. 24). Feedback kann diesen Zweck besonders wirkungsvoll erfüllen, wenn es sich von Kausalitäten wegbewegt und beginnt, das beobachtete Was statt des Warum anzusprechen; wenn es Beobachtungen im Hier und Jetzt thematisiert: »Ich habe den Eindruck, Sie sind heute besonders fröhlich« oder »Das macht mich gerade wütend«, statt einer möglichen Deutung »Ich denke, das kommt daher, dass …«. Denn während die Suche nach dem Warum immer nur durch die bekannte Realitätswahrnehmung ablaufen kann, setzt das Was die Suche nach der Ursache an die zweite Stelle und lenkt den Fokus auf die Wirkung, welche das Angesprochene im Hier und Jetzt auslöst (vgl. Abschnitt 2.1). Diese Umorientierung kann eine Distanz zu der eigenen Wahrnehmung bewirken und den Weg für eine Lösung zweiter Ordnung bahnen.

Auf Selbstbilder bezogen, kann solch ein Feedback von großer Bedeutung sein. Wenn Berater:innen schüchternen Klient:innen rückmelden, dass sie in dieser Situation »ganz schön laut und mutig« gewirkt haben, kann die Betroffene aus der eigenen Problemtrance austreten, welche durch die Suche nach dem Ursprung ihrer »negativen« Eigenschaften aufrechterhalten wird (vgl. Watzlawick 2020, S. 277). Sie richtet nun die Aufmerksamkeit auf die Resonanz der Berater:innen im Hier und Jetzt und kann reflektieren, was diese Aussage für sie bedeutet und wie dies das eigene Selbstbild beeinflusst. Feedback kann somit Klient:innen helfen, ihre Selbstbilder zu überprüfen (vgl. Fengler 2017, S. 26). Es kann ihnen helfen, zu erkennen, dass die gewünschte Veränderung bereits in ihnen existiert, und den »negativen« Eigenschaften durch neue Impulse von außen eine Umdeutung ermöglichen, welche Klient:innen ein Stück weit von der Last ihres Problems erleichtert.