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MeToo war ein öffentliches Gesprächsangebot – nehmen wir es wahr! Jetzt haben wir endlich die Chance, offen über Männer und Frauen, über Rollenbilder und Macht zu reden. Lassen wir es nicht scheitern in Zeiten, wo mit »Bikinis statt Burkas« um Wählerstimmen geworben wird. Geben wir der Debatte in Deutschland eine eigene Richtung. Nutzen wir als Frauen die Chance und definieren uns selbst. Erfinden wir neue Held*innenrollen. Und holen die Männer mit ins Boot. Denn im Kampf um Machtmissbrauch müssen alle an einem Strang ziehen. Dafür will dieses Buch ein Anstoß sein und Perspektiven zeigen. Ein Anstoß für all jene, die das längst wissen. Und für die anderen erst recht.
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Seitenzahl: 105
Jagoda Marinic
Sheroes
Neue Held*innen braucht das Land
FISCHER E-Books
Das Selbstverständliche zu Beginn:
Missstände anprangern heißt nicht, die Opferrolle einzunehmen. Und Held wird man nicht, indem man das Spiel von gestern spielt. Das ist ein Buch für all jene, die das längst wissen. Und für die anderen erst recht.
»One of the simplest paths to deep change is
for the less powerful to speak as much as they listen,
and for the more powerful to listen as much as they speak.«
Gloria Steinem
Eine kurze Notiz vorab oder Vorwort zum Vorwort
SHEROES, was sollen das für Frauen sein?
Wer braucht schon Heldinnen im 21. Jahrhundert?
Genaugenommen niemand, klar. Helden sind heute ohnehin Eintagsfliegen. Niemand überlebt das lange. Big Men von Trump über Putin kämpfen für das Heldentum von gestern. Sie erheben sich dabei nicht nur über Minderheiten. Sie haben es auch auf die Mehrheit abgesehen: Frauen. Sie wollen den alten Helden noch einmal den roten Teppich ausrollen und die Frauen unterwerfen. Das Ergebnis bislang? Trump hat nun das weiblichste Repräsentantenhaus der US-amerikanischen Geschichte zum Gegenspieler.
Die Wiedergeburt des autoritären Mannes vollzieht sich in Zeiten, in denen die Rechte der Frauen hundertjähriges Jubiläum feiern. Herrschaft in Zeiten, in denen Frauen, die sexuell missbraucht wurden, mit #MeToo eine weltweite Debatte in Gang setzten. Während in Ländern wie den USA, Indien oder Frankreich ein regelrechtes Erdbeben die Folge war, bleibt es in Deutschland bei zaghaften Versuchen, dem Thema gerecht zu werden. Man könnte ja das Verhältnis zwischen den Geschlechtern unnötig belasten. Keine Welle, als wäre auch hier der Teppich über den Dingen die erträglichere Variante, gemäß De Maizières beschwichtigender Aussage: »Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.«
In den USA sind seit der Veröffentlichung von Weinsteins Machenschaften über zweihundert Fälle publik geworden, in denen Männer ihre berufliche Machtposition missbraucht haben. Diese Männer sind inzwischen ihren Job losgeworden. Nur einige von ihnen wurden gerichtlich belangt. Die Hälfte dieser Männer wurde durch Frauen ersetzt. Es bewegt sich einiges seit #MeToo. Doch in Deutschland läuft neben Dieter Wedel und einer Analyse des WDR, die dem Sender Probleme in diesem Bereich bescheinigt, nicht viel. Konkrete Folgen hat kaum jemand zu fürchten, da keine Namen fallen. In Frankreich und den USA entwickelte sich #MeToo zu einem regelrechten Erdbeben in der Berufswelt. Es veränderte die Geschlechterrollen, das Verständnis von männlichem Erfolg und den Umgang mit seinen dunklen Seiten. Früher wären Männer einfacher durchgekommen. Es hieß, für so etwas gäbe es Gerichte. Andernfalls gelte die Unschuldsvermutung. Doch inzwischen geht es um mehr.
Deutschland verschläft diese Chance. Man verleiht zwar Mr #MeToo, Ronan Farrow, den Deutschen Reporterpreis für die investigative Leistung, die Weinstein-Affäre ins Rollen gebracht zu haben, doch Deutschland selbst bleibt Zaungast der wichtigsten feministischen Debatte der letzten Jahrzehnte. Kein Journalist macht sich hierzulande einen Namen und recherchiert das Thema in vergleichbarer Größenordnung. Zu vieles bleibt im Vagen. In Deutschland gelangen weite Teile feministischer Debatten leider nicht über einen Kreis von Eingeweihten hinaus. Gleichzeitig werden Missstände kaum debattiert, geschweige denn angegangen.
In sechs deutschen Länderparlamenten liegt der Frauenanteil unter dreißig Prozent. Aufschrei? Wir wollen doch niemanden verunsichern. Den Typ Mann, der sich dadurch verunsichern ließe, schon gar nicht. Und was ist mit jenen Männern, die aufseiten der Frauen stehen? Männer, die sexuellen Missbrauch für ein Vergehen halten, das sie niemandem durchgehen lassen möchten? Die Angriffe auf Sexisten nicht als Angriff gegen sich selbst verstehen? Warum halten es diese Männer aus, wenn andere ihren guten Ruf schädigen? Müssten nicht solche Männer – statt sich von ominösen Behauptungen verunsichern zu lassen, dass die Erotik in Gefahr sei – eben genau das tun: klarstellen, weshalb sie mit dieser Art Männlichkeit nichts zu tun haben? Wann diversifiziert sich das öffentliche Bild der Männer, weil auch unterschiedliche Männer zu Wort kommen? Schneiden nicht jene machtbesessenen, selbstverliebten Alphatiere, die sich keine Grenzen zu setzen wissen, auch anderen Männern das Wort ab?
Wie steht es um Frauen und ihre Themen im öffentlichen Diskurs in Deutschland? Ja, es geht auch darum, wie Frauen repräsentiert werden, wenn sicher nicht nur darum. Weshalb wurde in Deutschland #MeToo nicht genutzt, um endlich öffentlich über sexuellen Machtmissbrauch so zu sprechen, dass es einer Aufarbeitung gleichkommt? Es wirkt beinahe so, als gäbe es in Deutschland kaum solche Vorfälle wie in Frankreich oder den USA. Und all die Debatten, die in anderen Ländern durch das Reden über #MeToo ausgelöst wurden? Fehlanzeige.
In Deutschland bleibt uns, wenn wir diesen Moment nicht gänzlich verstreichen lassen wollen, eine weiche Debatte aus #MeToo zu machen. Da keine Namen fallen, doch Themen gesetzt werden, gilt es über das Geschlechterverhältnis neu nachzudenken und zu sprechen. Wieder über Repräsentation zu reden. Über die Grenzen des deutschen Feminismus und den Bedarf nach einer Bewegung, die Männer wie Frauen einschließt und eine Emanzipation für beide bedeuten könnte. Es braucht eine Frauenbewegung, die auch mit »dem Mann« spricht. Das mag paradox sein: Doch je klarer #MeToo absteckt, wo die Grenzen männlichen Machtmissbrauchs liegen, desto besser wird das Gespräch zwischen Männern und Frauen laufen. Es ist unerhört, und nur wenige machen sich das in seiner ganzen Dimension klar: Die Frau existiert politisch erst seit 100 Jahren.
Es gibt bei diesem Thema eine beeindruckende Datenlage. Soziologie, Forschung, Zahlen und Fakten. Über all das muss man sprechen. Ich habe mit SHEROES jedoch weder vor, die bekannten Fakten aufzulisten oder die Geschichte der Frau neu aufzurollen. Noch möchte ich darüber sprechen, welche gendergerechte Sprache es braucht, um besser über Frauenthemen zu sprechen. Ich respektiere alle laufenden Debatten und Ansätze, und doch möchte ich mit diesem Buch aus dem bekannten Fahrwasser treten und anders über das Frausein sprechen. Ich habe Fragen, die mir gängige Debatten nicht beantworten. Aus meiner Sicht ist der Diskurs eingefahren und durchgekaut und genau deshalb nicht mehr in der Lage, eine Bewegung wie #MeToo nach Deutschland zu transportieren: Wir verlassen hierzulande den sicheren Boden der akademischen Konfliktlinien zu selten.
Die Faktenlage ist mal mehr-, mal eindeutig. Die Wirksamkeit von Quoten ist international erforscht. Und doch gelingt es Deutschland nicht, gerade in internationalen Vergleichs-Statistiken beeindruckende Ergebnisse zu liefern oder sich zu verbessern. Deutschland forscht und streitet Positionen aus, handelt aber nicht. Ein Wandel der Kultur zwischen den Geschlechtern wird so schwierig zu erreichen sein. Zumal Veränderungen von Rollenbildern oft Generationen brauchen, bis sie messbar werden. Und im Alltag selbstverständlich.
Ich habe stattdessen das Bedürfnis nach einem Gespräch, auch mit Männern, in dem es nicht um Durchsetzen geht, sondern Annäherung. Ich bin überzeugt, dass Frauen lernen müssen, ihre Repräsentation klarer einzufordern. Ich möchte an dieser Stelle nicht wissen, ob ein Mann einer Frau die Tür aufhalten soll, oder ob die Quote notwendig ist, damit auch Frauen die Welt beherrschen. Das sind Debatten, die laufen – verändert haben sie bislang in Deutschland noch zu wenig. Es gibt Studien dazu, gängige Debattenstränge und natürlich unterschiedliche Ansichten. Wer mehr Informationen für dieses Pro – Contra sucht, der wird in SHEROES nicht fündig. Klappe zu! Danke sagen und ein anderes Buch wählen.
Wer jedoch Fragen stellen möchte, Frauen wie Männern, der ist hier richtig. Wer meint, das sind Gespräche, die nicht nur auf Podien, sondern auch abends am Esstisch, in intimen Momenten, bei Spaziergängen geführt werden sollten, darf gerne weiterlesen. SHEROES sind all jene, die den Mut finden, dieses Gespräch zwischen Mann und Frau zu beginnen. Die dabei nicht die eigenen Ansprüche vergessen, oder die überlebenswichtigen Waffen. Aber auch nicht die Empathie. Auch nicht das grundlegende Bedürfnis aller Menschen nach Anerkennung. Am Ende des Ganzen steht hoffentlich ein Gespräch, in dem etwas klarer wird, welche Kraft Frauen brauchen, damit sie spüren, wie sie für eine Welt kämpfen können, an die sie glauben und in der sie leben wollen. Welche Frauen müssen wir dafür im Privaten und in der Öffentlichkeit erleben?
Ich möchte zudem wissen, was für Männer das sind, die ihre oder andere SHEROES lieben und was auch Frauen dafür tun könnten, dass es mehr solcher Männer gibt. Ich entschuldige mich jetzt schon dafür, dass ich Frauen und Männer nicht klarer abgrenzen kann in Gute und Böse. Es gibt keine klaren Striche mehr. Nicht in Zeiten, in denen die Fronten so unklar sind wie in diesen: Eine kritische Masse weißer Frauen haben Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Mehr als eine Handvoll alter weißer Männer bekämpfen Trump und seine Migranten- und Frauenfeindlichkeit, als ginge es um die letzten Tage der Demokratie. Wir müssen viel genauer hinsehen. Trotzdem werde ich verallgemeinern müssen, ungerecht werden. Nehmen Sie es als Diskussionsangebot. Empören Sie sich. Jede Empörung, jedes Missverständnis ist eine Gelegenheit zur Vertiefung der Kommunikation.
Auch in Deutschland wird, aufgrund einer erstarkenden Rechten, die Antifeminismus zu Feminismus umzudeuten versucht, zunehmend der Missbrauch feministischer Diskurse für ausländerfeindliche Zwecke genutzt. Hier agiert der deutsche Feminismus äußert klug, solidarisiert sich mit Schwächeren, gestattet nicht, den vermeintlichen Schutz von Frauen vorzuschieben, um Minderheiten ihre Schutzrechte zu nehmen. Doch auch hier sind es oft Frauen, die einerseits schweigen, wenn eine Studie publik gemacht wird, nach der jede Woche in Deutschland drei Frauen getötet werden. Die andererseits sexuelle Kriminalstraftäter – sobald sie migrantischen Hintergrund haben – nicht im Land dulden. Es ist derselbe Typus Frau, der auch Trump wählen würde, obwohl er Frauen strategisch erniedrigt. Man muss heute fragen, welche Frauen wir in der Öffentlichkeit brauchen, um Feminismus nicht gegen andere Frauen oder ethnische Minderheiten zu wenden. Weil jeder Mensch auch Vorbilder braucht, ein Außen, dem das Innere nachwachsen kann. Das menschliche Gehirn lernt auch durch Nachahmung – daher wird es uns beeinflussen, was wir vorgelebt sehen. Wir brauchen neue Helden. Und mehr denn je brauchen wir Heldinnen, die sich selbst erfinden.
Die Frage, die SHEROES zugrunde liegt, ist jedoch vor allen anderen diese: Was ist die Kraft, die all jene Frauen mobilisiert hat, die jetzt in den USA im Repräsentantenhaus sitzen? Es sind Frauen, die zugleich Teil von Minderheiten sind, Minderheiten, die Trump meint aus dem Land diktieren zu können, wie es ihm gefällt. Frauen, die wie Alexandria Ocasio-Cortez schon mit Mitte zwanzig sagen: Ich brauche einen Platz an diesem Tisch! Ich lasse mich nicht mehr repräsentieren, ich bin selbst da. Ein Repräsentantenhaus so weiblich wie nie. Frauen mit Kopftuch, queere Frauen, dunkelhäutige Frauen. Ihr Sieg stärkt den Zweifel daran, ob Quoten die richtige Antwort auf alle Missstände sind: Hätten Quoten diese Kämpferinnen befördert – oder nicht eher jene, die auch konform und bequem in den Netzwerken sitzen und sich privilegiert beim Kaffeeklatsch nach oben helfen? Wären es nicht wieder nur jene etablierten reichen, vorwiegend weißen Frauen, die sich, wenn sie erst in den Vorständen und Spitzenpositionen sitzen, nicht unterscheiden von den Männern, die zuvor an ihrer Stelle saßen?
SHEROES, das sind jene Heldinnen, die einen Kampf hinter sich haben. Für sich oder für andere. Jene, die sich etwas zu nehmen wussten, von dem andere dachten, dass es ihnen nicht zustünde. Die nicht immer stark sind, aber die es sein können, wenn es drauf ankommt. Die, sobald sie sich Einfluss erkämpft haben, ihre Kräfte nicht nur darauf vergeuden, ihre Privilegien zu sichern, sondern sie auf andere auszuweiten. SHEROES sind jene, die, allen Gewalten zum Trotz, die werden, die sie sind. Sie sind weder allmächtig noch heldenhaft im üblichen Sinn. Heldinnen sind sie, weil sie den Prozess zulassen. Michelle Obama hat ihre Biographie danach benannt: »Becoming« (»Werden«). Wie gelingt es Frauen, diese Stärke zu finden? Weil sie Bilder in sich gefunden haben, die ihnen weder die Medien noch die Politik, weder Märchen noch die eigenen Eltern vorgelebt haben. Solche Frauen können nicht aufhören zu kämpfen, in jedem Bereich, der ihnen wichtig ist, und sei es ihr kleiner Alltag. Sie sind SHEROES, weil sie dadurch in anderen Frauen etwas auslösen, was diese an ihre eigene Stärke erinnert. Weil sie endlich jene Bilder liefern, die wir alle brauchen.