Silvia-Gold 181 - Marion Alexi - E-Book

Silvia-Gold 181 E-Book

Marion Alexi

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Beschreibung

»Wo bist du nur? Begegnet sind wir uns am Frühlingsanfang. Ich habe dir mit etwas Kleingeld am Parkscheinautomaten aus der Klemme geholfen. Du hast mir dafür ein Los geschenkt. Bitte melde dich!«
Estelle Münter seufzte auf. Was für eine Überwindung hatte es sie gekostet, diese Anzeige im »Morgenblatt« aufzugeben! Bei ihrer Schüchternheit! Und nun hieß es warten, auf einen Anruf, eine E-Mail, auf irgendein Zeichen von jenem Fremden. Estelle wollte ihn unbedingt finden. Er musste schließlich erfahren, dass sein Los gewonnen hatte, und außerdem ... ja, außerdem hatte die junge Frau sich rettungslos in den attraktiven Fremden verliebt ...


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Inhalt

Cover

Im Frühling fliegen die Funken

Vorschau

Impressum

Im Frühling fliegen die Funken

Zwei einsame Herzen und ein Neuanfang

Von Marion Alexi

Wo bist du nur? Begegnet sind wir uns am Frühlingsanfang. Ich habe dir mit etwas Kleingeld am Parkscheinautomaten aus der Klemme geholfen. Du hast mir dafür ein Los geschenkt. Bitte melde dich!«

Estelle Münter seufzte auf. Was für eine Überwindung hatte es sie gekostet, diese Anzeige im »Morgenblatt« aufzugeben! Bei ihrer Schüchternheit! Und nun hieß es warten, auf einen Anruf, eine E-Mail, auf irgendein Zeichen von jenem Fremden. Estelle wollte ihn unbedingt finden. Er musste schließlich erfahren, dass sein Los gewonnen hatte, und außerdem ... ja, außerdem hatte die junge Frau sich rettungslos in den attraktiven Fremden verliebt ...

Estelle Münter liebte den Frühling sehr und konnte es nach den dunklen, kalten Wintermonaten kaum erwarten, beim Aufwachen am Morgen die Vögel in den nicht länger kahlen, sondern endlich wieder grünen Baumkronen zwitschern zu hören.

Und hatte sie der lebhafte Chor der Amseln, Drosseln, Finken und Stare geweckt, so sprang Estelle mit einem Satz aus dem Bett, riss das Fenster auf und atmete tief die sonnenwarme Luft ein.

Die frühen Morgenstunden hatten für die junge Frau einen ganz besonderen Charme. Dann stand sie am Fenster ihrer winzigen Wohnung im Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses und beobachtete die Spatzen, die in den Regenrinnen lärmten.

Der wilde Wein an der Hausfassade trieb erfreulich üppig und würde in diesem Jahr Estelles Dachstübchen erreichen und auf das Romantischste umranken.

Der Anblick der verschachtelten roten und grauen Dächer und der Himmel darüber, der wolkenlos klar war und blau bis zum Horizont, gefielen Estelle so gut, dass sie darüber oft ins Träumen kam und vollkommen die Zeit vergaß.

Das passierte ihr auch an diesem Morgen. Deshalb hastete sie nun mit langen Schritten zur nächsten Busstation, wissend, dass ihr Bus die Haltestelle schon vor Minuten passiert hatte. Die Glocken der nahen Marienkirche schlugen zur achten Stunde und trugen mit ihrem mahnenden Geläut noch erheblich zu Estelles schlechtem Gewissen bei.

Oh, ich weiß, dachte Estelle, während sie mit zügigem Schritt über die Straße ging, ich komme schon wieder zu spät! Das ist ganz schlecht und kein gutes Zeichen, denn es lässt auf eine gewisse Charakterschwäche schließen, wie mich Tante Nora oft genug belehrt hat.

Estelle zog viele Blicke auf sich, weil sie eine aparte Erscheinung war mit ihrer schlanken, hochgewachsenen Figur. Sie bewegte sich mit bemerkenswerter Anmut. Ihre Haare waren schwer und honigblond und boten einen schönen Kontrast zu den dunkelblauen Augen. Schade, dass diese Augen meist zu Boden blickten und sie ihre reichlichen Chancen nicht nutzte.

Sie sah wirklich reizend aus, hielt sich aber persönlich nicht für besonders attraktiv. Es hatte ihr auch noch nie jemand gesagt, wie hübsch sie war. Merkwürdig war auch, dass sie sich so gar nichts zutraute, obwohl sie im Kindergarten »Kunterbunt« die mit Abstand beliebteste Erzieherin war.

Viel zu bescheiden war Estelle Münter, die vor lauter Schüchternheit nicht auftrumpfte oder aus sich herausging. Auch wagte sie es höchst selten, sich durchzusetzen.

Kein Wunder, dass das Glück sie in den ersten dreiundzwanzig Jahren ihres Lebens arg stiefmütterlich behandelt hatte.

Hätte es Estelle verstanden, sich in Szene zu setzen, wäre es ihren Verwandten, die sie nach dem frühen tragischen Unfalltod der Eltern eher widerstrebend aufgenommen und fortan halbherzig für sie gesorgt hatten, nicht eingefallen, ihr so wenig Beachtung zu schenken und sie in jeder Beziehung zu vernachlässigen.

Aber nein, sich in Szene setzen, das konnte Estelle nicht. Es widerstrebte ihr, ihre Vorzüge ins rechte Licht zu rücken, das war ihr schon in frühester Jugend peinlich gewesen. Und wenn ihre beiden kecken Cousinen sich aufplusterten und protzten, dann wäre Estelle am liebsten vor Scham in den Erdboden versunken.

Estelle hatte es nicht leicht gehabt bei ihren engherzigen Angehörigen, die natürlich nicht daran interessiert waren, das junge Mädchen zu ermutigen und ihm einen gehörigen Schuss Schwung und Selbstbewusstsein mit auf den Lebensweg zu geben.

So war Estelle nach und nach die Courage abhandengekommen. Inzwischen traute sie sich kaum noch etwas zu, sie war der Ansicht, dass die süßen Früchte des Lebens den großen Tieren vorbehalten waren und dass es vermessen von ihr wäre, nach den funkelnden Sternen am Himmelszelt zu greifen.

Doch obwohl sich Estelle längst in das ergeben hatte, was sie als ihr Schicksal empfand, verspürte sie doch immer wieder eine unbestimmte Sehnsucht in ihrem Herzen. Dann träumte sie davon, einen Menschen zu finden, der sie verstand und nicht immer an ihr herumnörgelte, der sie lieb hatte und ihr versprach, ihr immer treu zu sein.

So unbescheiden war Estelle natürlich nicht, gleich auf die ganze große Liebe zu hoffen, jene berauschende, überwältigende Leidenschaft, die immer so schön in den Liebesromanen beschrieben wurde.

Nein, Estelle sehnte sich nach dem kleinen Glück, das, ihrer Meinung nach, beständiger war als die große Leidenschaft. Und hinsichtlich ihres Traummannes hatte sie keine besonderen Wünsche. Er musste kein Märchenprinz mit großem Vermögen sein, sondern lediglich lieb, sympathisch und zuverlässig. Ein Mann, mit dem man Pferde stehlen konnte, einer, der zu ihr hielt in guten und in schlechten Tagen.

An diesem Frühlingsmorgen dachte Estelle mal wieder an das Glück, das sich bei ihr partout nicht einstellen wollte. Andere schienen es gepachtet zu haben und gingen damit oft sträflich leichtsinnig um.

»Guten Morgen! Dürfen wir Ihnen eine kleine Freude machen?«

Estelle sah die junge Frau in dem grünen Hosenanzug verdutzt an. Sie hielt ihr mit strahlendem Lächeln einen winzigen Strauß aus Tausendschön und Primeln unter die Nase.

»Süß«, sagte Estelle und meinte sowohl den Duft als auch die Geste. »Aber es handelt sich leider um ein Missverständnis. Heute ist nicht mein Geburtstag. Das kann ich nicht annehmen.«

»Oh bitte, nehmen Sie die Blümchen«, bat die junge Frau fröhlich. »Es handelt sich um eine kleine Aufmerksamkeit unserer Zeitung«, erklärte sie, wobei sie auf den Schriftzug der Tageszeitung auf ihrer Jacke zeigte. »Heute ist doch Frühlingsanfang. Ein wichtiger Tag, nicht wahr?«

»Frühlingsanfang? Natürlich! Deshalb also ...«

Die junge Frau, nach Estelles Schätzung vermutlich eine Studentin, die sich mit diesem Job etwas Geld hinzuverdiente, sah sie fragend an.

»Weshalb?«

Estelle schüttelte den Kopf.

»Ach, nichts. Ich hab nur nicht gewusst, dass heute Frühlingsanfang ist. Dabei hätte ich darauf kommen können, nicht wahr? Dieser Himmel spricht für sich.«

Die junge Frau hatte ihr nicht mehr zugehört und hielt schon nach der nächsten Passantin Ausschau, um ihr einen Frühlingsstrauß im Auftrag der bekannten Tageszeitung zu überreichen.

Ein hübscher Einfall, diese blumige Werbeaktion, fand Estelle und schnupperte lächelnd an den pastellfarbenen Blüten.

»Ich bedanke mich herzlich«, sagte sie.

»Gern geschehen«, entgegnete die junge Frau flüchtig und fischte das nächste Sträußchen aus dem Weidenkorb. »Guten Tag! Dürfen wir Ihnen eine kleine Freude ...«

♥♥♥

Beschwingt eilte Estelle weiter und betrachtete dabei lächelnd das zarte Blumengebinde. Ihre Freude über den unerwarteten Zwischenfall war so groß, dass sie beschloss, diesen Tag zu einem besonderen zu machen. Einen Teil der Freude, die sie empfand, wollte sie weitergeben, großzügig verschenken an den nächsten Menschen, der ihr über den Weg lief und der Aufmunterung bedurfte.

Die Welt, dachte Estelle, braucht viel, viel mehr Freude. Die Menschen laufen mit ernsten Gesichtern herum und sind viel zu nervös. Dabei ist es so leicht, ein Lächeln auf ihre Gesichter zu zaubern. Es genügt ein freundliches Wort, ein Blumensträußchen ...

»Oh, verdammt und zugenäht, auch das noch!«

Diesen markigen Fluch stieß ein junger dunkelhaariger Mann aus, der keine drei Schritte von Estelle entfernt vor einer Parkuhr stand und diese so grimmig anstarrte, als habe sie ihn beleidigt.

Estelle blieb unwillkürlich stehen und vergaß vollkommen, wie spät sie eigentlich dran war.

Erstens wegen des unchristlichen Fluchs. Predigte sie nicht ständig »ihren« Kindern im Kindergarten »Kunterbunt«, niemals grobe Worte zu benutzen?

Zweitens war er zweifellos der nächste Mensch, der ihr nach ihrem Beschluss, ihre Freude weiterzugeben, begegnete und der somit für ihre gute Tat des Tages infrage kam.

Eine schwierige Situation. Wie macht man einem grimmigen jungen Mann klar, dass man ihm eine Freude machen will?

Estelle bewunderte ihn sofort. Er war jung, mochte Ende zwanzig sein, sonnengebräunt und mit einem korrekten Dreiteiler in gedecktem Blaugrau bekleidet. Ein junger erfolgreicher Geschäftsmann, zweifellos.

Unwillkürlich fragte Estelle sich, ob so ein Mann, den das Schicksal offensichtlich mit allen irdischen Gütern bedacht hatte, ihrer Freude überhaupt bedurfte.

Andererseits war es nun zu spät zum Davonlaufen, denn er hatte sie entdeckt und betrachtete sie aufmerksam.

»Tut mir leid. Wenn ich gewusst hätte, dass eine so überaus reizende junge Dame in der Nähe ist, hätte ich mich natürlich nicht so drastisch ausgedrückt«, entschuldigte er sich charmant.

Dabei musterte er sie ganz ungeniert, und was er sah, gefiel ihm offenbar, denn sein Blick drückte nun unverhohlene Bewunderung aus.

Estelle hatte den markigen Fluch bereits vergessen. Woran seine ausdrucksvollen grauen, von dichten Wimpern umkränzten Augen schuld waren. Diese Augen und sein Lächeln, das fraglos zu jener Sorte gehörte, die in ihren Liebesromanen als unwiderstehlich beschrieben wurde, übten auf Estelle eine seltsame Wirkung aus.

Sie erwiderte sein Lächeln, ohne sich dessen bewusst zu sein. Zeit und Raum verloren in diesem Augenblick jede Bedeutung.

Er sah sie fasziniert an, wie sie so dastand, groß und sehr schlank, die Morgensonne auf dem honigblonden Haar, das Sträußchen Frühlingsblumen an die Lippen haltend, die wundervoll verträumt lächelten.

Estelle hörte auf den Schlag ihres aufgeregten Herzens. Merkwürdig atemlos war sie. Ein Gefühl der Erwartung hatte sich ihrer bemächtigt, so als ob irgendetwas geschehen sollte.

Eine unerklärliche und doch verlockende Magie lag in der Luft, und auf einmal verspürte Estelle den sonderbaren und sehr verwirrenden Wunsch, der fremde junge Mann mit dem unwiderstehlichen Lächeln möge sie an die Hand nehmen und mit ihr fortgehen, irgendwohin, wo es friedvoll war und die Menschen glücklich waren.

Irgendein Autofahrer meinte, sich durch anhaltendes ungeduldiges Hupen bemerkbar machen zu müssen.

Bei dem unerwarteten Lärm zerbrach der Bann, und der Zauber des Augenblicks löste sich im Nu auf. Die Wirklichkeit hatte sie wieder. Und prompt genierte sich Estelle ihrer romantischen Wunschvorstellungen und errötete.

Es war wohl lange her, dass der junge Mann eine junge Dame hatte erröten sehen. Der Anblick ihrer rosigen Wangen steigerte sein Interesse beträchtlich.

Nun ergab sich nur das Problem der Annäherung. Amor, der kleine geflügelte Gott der Liebe, bekannt und gefürchtet wegen seiner witzig-spritzigen Einfälle, löste es kurzerhand, indem er den jungen Mann dazu brachte, sich an den Anlass seines Fluchs zu erinnern.

»O Himmel«, rief der Mann prompt aus und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Ich stehe hier herum, während mir die Zeit davonläuft. Ich müsste schon längst unterwegs zum Flughafen sein.«

»Und warum sind Sie es nicht?«

»Ich brauche dringend Kleingeld für die dämliche Parkuhr.« Er lächelte gequält. »Alles habe ich dabei, nur einen einzelnen Euro nicht. Heute klappt überhaupt nichts, es ist wirklich vertrackt.«

Er erklärte Estelle, schon auf dem halben Wege nach Brüssel zu sein. Dort erwarte ihn eine wichtige Konferenz, die er keineswegs verpassen dürfe. Nicht gerade sein Leben, aber doch seine geschäftliche Zukunft hinge davon ab.

»Ich habe meinem Freund versprochen, den Wagen zurückzubringen und hier zu parken, damit er ihn sich nachher abholen kann. Wir machen das öfter, und bisher hat's auch immer prima geklappt. Ausgerechnet heute, wo ich's eilig habe, fehlt mir der eine Euro.«

»Demnach ist das gar nicht Ihr Wagen?«, fragte Estelle.

»Nein. Er gehört meinem Freund Tom. Ich benötige in meiner derzeitigen Lebensphase kein Auto, weil ich noch nicht weiß, ob ich hierbleibe oder ins Ausland gehe. Es hängt alles von dieser Konferenz in Brüssel ab.«

»Ich möchte Ihnen helfen«, sagte Estelle, zückte ihr Portemonnaie und fischte eine Münze heraus.

»Warum?«, fragte der Fremde erstaunt.

»Weil heute Frühlingsanfang ist«, teilte ihm Estelle lächelnd mit.

»Ach so, deshalb! Ich wunderte mich schon.«

Ihr Lächeln verstärkte sich. Genau das waren ihre eigenen Worte gewesen, als ihr die junge Frau von der Tageszeitung das Blumensträußchen überreicht hatte.

Estelle gab ihm den Euro.

»Bitte schön«, sagte sie.

»Das kann ich unmöglich annehmen.« Er, der eben noch so Souveräne, wirkte jetzt richtig verlegen.

»Warum denn nicht?« Estelles Augen glänzten übermütig. »Ich habe Ihnen doch kein Vermögen geschenkt.«

»Trotzdem. Ich kann mir von Ihnen doch kein Geld schenken lassen. Das ... Ah, da fällt mir etwas ein!«

Er fischte einen rosafarbenen, schwarz bedruckten Zettel aus der Jackentasche und drückte ihr diesen in die Hand.

»Als Gegenleistung für den Euro«, erklärte er. »Ein bisschen ungewöhnlich, doch das passt schließlich zur Situation, meinen Sie nicht auch?«

Estelle warf einen Blick auf den Zettel.

»Das ist ja ein Los!«

»Eins von Tausenden«, meinte er entschuldigend. »Angeblich soll der glückliche Gewinner bei der Ziehung einen Batzen Geld bekommen oder andere sehr ordentliche Preise. Ich bin vorhin bei einer Straßenlotterie vorbeigekommen und habe mir spontan ein Los gekauft. Keine Ahnung, warum ich mich dazu habe verleiten lassen, denn normalerweise glaube ich nicht an solchen Unfug.«

»Heute ist Frühlingsanfang«, erinnerte Estelle ihn lächelnd.

»Das mag eine Erklärung sein für all die Merkwürdigkeiten, die mir heute widerfahren. Nun ja, ich schenke es Ihnen, möge Ihnen Fortuna gewogen sein.«

»Aber das kann ich nicht annehmen«, protestierte Estelle. »Sie können mir doch nicht Ihr Los schenken. Wenn Sie nun der Hauptgewinner sind, was dann?«