Sinologie in Rußland - Hartmut Walravens - E-Book

Sinologie in Rußland E-Book

Hartmut Walravens

0,0

Beschreibung

Rußland gehörte zu den europäischen Ländern, die schon früh Kontakte mit China aufnahmen. Dank gemeinsamer Landverbindungen und Grenzen sowie Handelsinteressen gab es bereits 1689 den Vertrag von Nertschinsk zwischen beiden Reichen. Die Tatsache, daß sich eine kleine Gruppe von russischen Kriegsgefangenen in Peking befand, die nach der Eroberung der Stadt Albasin für den Verbleib in China optierten, nutzte die russische Regierung, auf geistliche Betreuung dieser Landsleute zu dringen, was auch gewährt wurde: Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde eine Geistliche Mission in Peking eingerichtet, die Geistliche, einige Sprachstudenten und einen Arzt umfaßte. Das erste Personal verbrachte die Jahre 1715-1728 in Peking. So wurden im Laufe der Zeit mehrere gute Sinologen herangebildet, denn die Aufenthaltsdauer der Mission währte im Durchschnitt zehn Jahre. Die vorliegende Sammlung enthält teils revidierte, teils bisher unveröffentlichte Beiträge, die einzelne Persönlichkeiten und ihr Werk behandeln. Im Zentrum steht Vasilij Pavlovitsch Vasil'ev (1818-1900), der bedeutendste russische Sinologe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er lernte während seines Aufenthalts in Peking Chinesisch, Tibetisch und Mandschu; Mongolisch hatte er bereits vorher in Kazan studiert. Er übernahm den Lehrstuhl für Sinologie in Kazan, der dann wie mehrere weitere orientalische Fächer 1855 nach St. Petersburg transferiert wurde, wo das bedeutendste Zentrum der russischen Orientalistik entstand. Vasil'ev hatte in Peking mit Unterstützung der Universität Kazan eine ansehnliche Arbeitsbibliothek in den genannten Sprachen erworben, die den Grundstock für die Sammlung der Petersburger Universität bildete. Er lieferte selbst eine Beschreibung dafür. Mit einem Beitrag von Amir Chisamutdinov sowie einem Register.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 444

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Vorbemerkung

Vasilij Pavlovič Vasil’ev (1818–1900) – Sinologe, Tibetologe, Buddhologe, Mongolist

V. P. Vasil’ev: Notiz über die Werke in ostasiatischen Sprachen, die sich in der Bibliothek der Universität von St. Petersburg befinden

Dmitrij Alekseevič Peščurov (1837–1913) – Astronom und Sinologe

Dmitrij Dmitrievič Pokotilov (1865–1908) – Wirtschaftsfachmann und Botschafter

Pavel Stepanovič Popov (1842–1913) – Diplomat und Sinologe

Aleksej Matveevič Pozdneev (1851–1920) – Mongolist

Dmitrij Matveevič Pozdneev (1865–1937) – Sinologe und Japanologe

Amir Chisamutdinov (Vladivostok): Der Sinologe und Russischlehrer Sergej Polevoj (1886–1971): Leben und Werk in Rußland, China und den USA

Register

Abkürzungen

AGO

Archiv der Bibliothek der Geogr. Gesellschaft der SU

AV

Archiv vostokovedov, Institut Vostokovedenija AN SSSR

AVPRI

Außenpolitisches Archiv des Russischen Reiches

BEFEO

Bulletin de l’École française d’Extrême-Orient

BN

Bibliothèque nationale de France

Bull. hist.-phil.

Bulletin historico-philologique de l’Academie des Sciences de St.-Petersbourg

CAJ

Central Asiatic Journal

GIALO

Gosudarstvennyj Istoričeskij Archiv Leningradskoj Oblasti

IAN

Izvestja Akademii Nauk

IRGO

Izvestija Rossijskogo geografičeskogo obščestva

JA

Journal asiatique

JNCBRAS

Journal of the North China Branch, Royal Asiatic Society

Krueger

Mongolia and the Mongols Band 1 und 2. Vgl. <Pozdneev, A 123.124> Anmerkungen von John R. Krueger

LO AAN

Leningradskoe Otdelenie Archiv Akademii Nauk

M.

Moskva

MOAG

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens

MS

Monumenta Serica

NOAG

Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens

OAL

Der Ostasiatische Lloyd

ORGBL

Otdel rukopisej Gosudarstvennoj Publičnoj Biblioteki (heute: Russkoj Nacional’noj Biblioteki, SPb)

OZ

Ostasiatische Zeitschrift

RGO

Rossijskoe geografičeskoe obščestvo

ROGPB

Handschriftenabt. der Staatl. Öff. Saltykov-Ščedrin-Bibliothek

Sk, Skačkov

Skačkov, P. E.:

Bibliografija Kitaja

. Moskva 1960.

SPb

Sankt Petersburg

TP

T‘oung Pao

TVORAO

Trudy Vostočnogo otdelenija Rossijskogo Archeologičeskogo obščestva

VRGO

Vestnik Rossijskogo geografičeskogo obščestva

WMO

Written monuments of the Orient

ZDMG

Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft

ZIAN

Zapiski imperatorskogo Akademii Nauk

ZIRGO

Zapiski Rossijskogo geografičeskogo obščestva

ŽMNP

Žurnal Ministerstva Narodnogo Prosveščenija

ŽS

Živaja Starina

ZVORAO

Zapiski Vostočnogo otdelenija Rossijskogo Archeologičeskogo obščestva

Vorbemerkung

Rußland gehörte zu den europäischen Ländern, die schon früh Kontakte mit China aufnahmen. Dank gemeinsamer Landverbindungen und Grenzen sowie Handelsinteressen gab es bereits 1689 den Vertrag von Nerčinsk zwischen beiden Reichen. Die Tatsache, daß sich eine kleine Gruppe von russischen Kriegsgefangenen in Peking befand, die nach der Eroberung der Stadt Albasin für den Verbleib in China optierten, nutzte die russische Regierung, auf geistliche Betreuung dieser Landsleute zu dringen, was auch gewährt wurde: Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde eine Geistliche Mission in Peking eingerichtet, die Geistliche, einige Sprachstudenten und einen Arzt umfaßte. Das erste Personal verbrachte die Jahre 1715– 1728 in Peking. So wurden im Laufe der Zeit mehrere gute Sinologen herangebildet, denn die Aufenthaltsdauer der Mission währte im Durchschnitt zehn Jahre.

Die vorliegende Sammlung enthält teils revidierte, teils bisher unveröffentlichte Beiträge, die einzelne Persönlichkeiten und ihr Werk behandeln. Im Zentrum steht Vasilij Pavlovič Vasil’ev (1818–1900), der bedeutendste russische Sinologe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er lernte während seines Aufenthalts in Peking Chinesisch, Tibetisch und Mandschu; Mongolisch hatte er bereits vorher in Kazan studiert. Er übernahm den Lehrstuhl für Sinologie in Kazan, der dann wie mehrere weitere orientalische Fächer 1855 nach St. Petersburg transferiert wurde, wo das bedeutendste Zentrum der russischen Orientalistik entstand.

Vasil’ev hatte in Peking mit Unterstützung der Universität Kazan eine ansehnliche Arbeitsbibliothek in den genannten Sprachen erworben, die den Grundstock für die Sammlung der Petersburger Universität bildete. Er lieferte selbst eine Beschreibung dafür.

Die folgenden Beiträge sind mehreren Schülern Vasil’evs gewidmet:

– Dmitrij Alekseevič Peščurov (1837–1913) studierte Astronomie und ging dann als Student und Leiter des 1851 eingerichteten Observatoriums nach Peking. 1867 gewann ihn Vasil’ev als Dozenten für den Sprachunterricht an seinem Lehrstuhl.

– Dmitrij Dmitrievič Pokotilov (1865–1908) trat nach dem Studium bei Vasil’ev in den Finanzdienst ein und wurde der Repräsentant des russischen Finanzministers in China. 1905–1908 war er russischer Botschafter in China.

– Pavel Stepanovič Popov (1842–1913) studierte ebenfalls bei Vasil’ev und trat dann in den auswärtigen Dienst ein, wo er es bis zum Generalkonsul in Peking brachte. Seit 1902 lehrte er Chinesisch an der Petersburger Universität.

– Aleksej Matveevič Pozdneev (1851–1920) studierte auch bei Vasil’ev und wurde 1886 Ordinarius für Mongolistik. Er entfaltete eine fruchtbare publizistische Tätigkeit. Außerdem war er Gründungsdiektor des Orientalischen Instituts in Vladivostok.

– Dmitrij Matveevič Pozdneev (1865–1937), der Bruder des Mongolisten, studierte gleichfalls bei Vasil’ev, wurde aber Sinologe. Er folgte seinem Bruder für kurze Zeit als Direktor des Orientalischen Instituts. Während eines längeren Aufenthalts bildete er sich auch zum Japanologen aus. Er lehrte später an der Petersburger/Leningrader Universität.

– Sergej Polevoj (1886–1971) studierte am Orientalischen Institut in Vladivostok und wirkte danach als Russischlehrer in China. 1937 ging er wegen Schwierigkeiten mit den japanischen Besatzern in die USA, wo er beim Harvard-Projekt eines chinesischen Wörterbuchs mitarbeitete. Dieser Beitrag stammt von Amir Chisamutdinov, Professor in Vladivostok, der den Text für Übersetzung und Veröffentlichung zur Verfügung stellte. Der Autor hat sich in vielen Arbeiten mit der Geschichte des Amurgebietes befaßt und speziell auch die Entwicklung des Orientalischen Instituts erforscht.

Vasilij Pavlovič Vasil’ev (1818–1900) Sinologe, Tibetologe, Buddhologe, Mongolist 1

Einleitung

Der Beginn der russischen Sinologie wird gemeinhin mit dem Namen von Ilarion Rossochin2 (1707 oder 1717–1761) verbunden, der in der Tat über eine für die Zeit beachtliche Kenntnis des Chinesischen und Mandschurischen verfügte; sein Kollege Aleksej Leont’ev 3 (1716–1786) hat demgegenüber seine umfassenden Kenntnisse durch eine große Zahl veröffentlichter Arbeiten, insbesondere Übersetzungen aus dem Chinesischen und Mandschurischen, dokumentieren können. Auch dem Mönch Iakinf (weltlich Nikita Jakovlevič Bičurin)4, wie Rossochin und Leont’ev Angehörige der Pekinger Geistlichen Mission5, die neben Geistlichen auch Sprachstudenten für eine Arbeits- und Studienperiode von 10 Jahren in Peking aufnahm, gelang es, seine Werke zu veröffentlichen, was in der Geschichte der älteren russischen Sinologie keineswegs als Regel zu betrachten ist – sehr viele Arbeiten blieben ungedruckt. Iakinf, Zeitgenosse von Jean-Pierre

Abel Rémusat6 und Julius Klaproth7 (1783–1835), den Begründern der wissenschaftlichen Sinologie in Paris, gilt als Vater der russischen Sinologie, während die universitäre Sinologie ihre Entwicklung weitgehend Vasilij Pavlovič Vasil’ev verdankt. Der erste sinologische Lehrstuhl in Rußland wurde nicht in der Hauptstadt eingerichtet, sondern in Kasan 8 , das damals gewissermaßen als Schnittstelle zu den nichtrussischen Völkern und Kulturen diente. Die Tatsache, daß in Kasan 1838 der erste Lehrstuhl für Mongolistik geschaffen wurde und daß der erste Inhaber, Józef Kowalewski 9 (1801–1878) mit der Russischen Geistlichen Mission in Peking gewesen war, legte es nahe, die mongolischen Studien durch weitere Lehrstühle zu ergänzen, so für Chinesisch, Mandschu und Sanskrit. Der Lehrstuhl für Chinesisch wurde zunächst durch den Mönch Daniil10 (1798–1871, weltlich: Sivillov) besetzt, und als dieser sich nach wenigen Jahren wieder seinen Geistlichen Pflichten widmete, durch den früheren Arzt der Geistlichen Mission, Osip Vojcechovskij11 (1793–1850). Sein Nachfolger wurde Vasil’ev.

Die Orientalische Fakultät der Petersburger Universität

1855 wurde die Orientalische Fakultät der Universität Kasan nach Petersburg verlegt. Die Frage der Verlegung der Fakultät wurde bereits 1850 aufgenommen, als eine bedeutende Verringerung der Zahl der Studenten an der Kasaner Universität und der Schüler am 1. Kasaner Gymnasium, die orientalische Sprachen studieren wollten, den Administrator des Schulbezirks Kasan V. P. Molostvov und das Ministerium für Volksbildung beunruhigten.12 Der Minister P. A. Širinskij-Šichmatov überzeugte sich persönlich bei seinem Besuch Kasans 1851 von der der Stichhaltigkeit dieser Sorge und erstattete Bericht über die Maßnahmen zur Organisation der Absolventen der Fakultät, weil diese den Hauptgrund für die Verringerung der Studentenzahl darstellte. Im Bericht wird vorgeschlagen, sie zum Praktikum zur Russischen Geistlichen Mission zu schicken und sie zur Tätigkeit bei den Ministerien für Äußeres, Finanzen und Domänen zu bestimmen.

Abgesehen davon, daß sein Vorschlag die an der Universität Kasan entstandene Lage verbesserte, empfahl Širinskij-Šichmatov, alle Einrichtungen, an denen orientalische Sprachen gelehrt wurden (Unterrichtsabteilung des Außenministeriums, Orientalische Fakultäten der Universitäten Petersburg und Kasan, Richelieu-Gymnasium in Odessa) zu einem Asiatischen Institut in St. Petersburg zusammenzufassen. Der Entwurf sah den Unterricht der chinesischen und mandschurischen Sprache, Geschichte, Religion, Recht und Literaturgeschichte Chinas vor.

Für die Zusammensetzung des Exposés des Statuts des Instituts wurde ein besonderes Komitee eingerichtet, zu dem gehörten: von der Universität Kasan Józef Kowalewski, von der Petersburger Universität A. K. Kazem-Bek13, vom Außenministerium P. I. Demezon und vom Kaukasuskomitee14 Meier. Das Projekt der Einrichtung des Instituts und der Entscheidung des Komitees wurden sogar vor Molostvov, dem Administrator des Schulbezirks Kasan, geheim gehalten. Dabei wurde vorgeschlagen, daß das Außenministerium (wegen des Instituts) auf seine Unterrichtsabteilung der Orientalischen Sprachen beim Asiatischen Departement verzichten sollte. Das könnte bedeutende Geldmittel ergeben, deren Abwesenheit die Hauptschwierigkeit bei der Organisation des Instituts darstellte. Nachdem jedoch das vom Komitee zusammengestellte Exposé des Statuts und Budgets des Asiatischen Instituts an das Außenministerium geschickt worden war, stellte sich heraus, daß das Ministerium seine Unterrichtsabteilung behalten wollte, was dadurch motiviert war, daß sie «ausschließlich für die speziellen dienstlichen Erfordernisse des Außenministeriums genutzt würde.»15

Ein zweijähriger Schriftwechsel zwischen dem Ministerium für Volksbildung und dem Außenministerium endete 1854 mit der kategorischen Weigerung des letzteren, die Unterrichtsabteilung zu schließen und die ihm zugewiesenen Mittel dem neugegründeten Asiatischen Institut zu übergeben. Das Außenministerium erklärte nur seine Bereitschaft, jährlich 2000 Rubel für den Unterhalt von 10 Zöglingen zu geben.16

Die unversöhnliche Position des Außenministeriums in der Gestalt von L. G. Senjavin zwang dazu, neue Formen der Organisation des Instituts zu finden. Es entstand ein weiteres Projekt: Die an der historischphilosophischen Fakultät der Petersburger Universität entstandene Abteilung der Orientalischen Sprachen würde in eine Fakultät der orientalischen Sprachen umgewandelt. Der Minister für Volksbildung A. S. Norov legte dem Kaiser im Februar 1854 eine gründliche Denkschrift vor, in der er die finanziellen Schwierigkeiten berichtete, die aufgrund der Weigerung des Außenministeriums, die Unterrichtsabteilung zu schließen, entstanden, und führte die folgenden Argumente zum Nutzen des neuen Projekts an: «Der Bedarf der Regierung an einer richtigen, schnellen und geordneten Entwicklung der Kenntnisse auf dem Gebiet der orientalischen Sprachen und Länder verringert sich nicht nur nicht, sondern im Gegenteil, bei dem hohen Anteil, der bei der gegenwärtigen politischen Lage der Dinge ... Rußland in den Schicksalen des Orients vorherbestimmt ist, wird er schnell wachsen und dringender werden.»17

Die Notwendigkeit, die Erforschung des Orients und seiner Sprachen zu organisieren, war so offensichtlich, daß die Denkschrift A. S. Norovs ohne Verzögerung vom Zaren gebilligt wurde.

Auf der Denkschrift wurde eine Beischrift angebracht, daß vom Ministerium für Volksbildung «Überlegungen über die Einführung des Unterrichts der chinesischen und mandschurischen Sprache am Irkutsker Gymnasium angestellt werden» sollten.18 Das Projekt des Unterrichts der chinesischen und mandschurischen Sprache am Irkutsker Gymnasium wurde dem Zaren von N. N. Murav’ev, dem damaligen Generalgouverneur von Ostsibirien, vorgestellt. Das Ministerium für Volksbildung fragte bei Murav’ev an: «1. Welche finanziellen Mittel werden für den Unterricht der chinesischen und mandschurischen Sprache am Irkutsker Gymnasium vorgestellt und was wird die zusätzliche Ausgabe sein? 2. Was wird an Lehrkräften (1 oder 2) notwendig sein und was für ihre Bezahlung? 3. Wird das Sprachstudium für alle Schüler des Gymnasiums verpflichtend sein oder nur für die, die nach der Herkunft das Recht auf den Eintritt in den Staatsdienst haben?» Murav’ev schlug vor, beim Gymnasium einen Lehrstuhl für chinesische und mandschurische Sprache einzurichten, deren Studium nach Absolvierung des Gymnasiums beginnen sollte, indem «an den Lehrstuhl jährlich sechs Personen nach Auswahl der Leitung der fähigsten Studenten auf Staatskosten entsandt werden» sollten. Die Zeit des Sprachstudiums wurde auf 4 Jahre festgesetzt (wie an der Universität). Die den Kurs «mit vollem Erfolg» absolviert hatten, erhielten alle Rechte der Universitätsabsolventen mit der Verpflichtung, mindestens zehn Jahre in Ostsibirien zu dienen.

Im November 1854 antwortete das Ministerium für Volksbildung, daß man dem Gymnasium unmöglich universitäre Rechte geben könne, und schlug vor, da am 22. Oktober 1854 an der Petersburger Universität ein Lehrstuhl der chinesischen und mandschurischen Sprache eröffnet würde, die notwendige Zahl von Absolventen des Gymnasiums nach St. Petersburg zu schicken. Murav’ev stimmte diesem Vorschlag zu, und die Frage nach der Einrichtung eines Studiums des Chinesischen und Mandschurischen in Irkutsk, die so manches Mal aufgekommen war, fiel erneut weg. Die Tatsache der Anfrage Murav’evs beweist den erneuten Bedarf in Ostsibirien an Personen, die das Chinesische und Mandschurische beherrschten. Das war verbunden mit der Organisation von Expeditionen an den Amur, der Vorbereitung zur Regelung von Grenzfragen und der Handelsbeziehungen mit China.

Im April 1854 begann das Komitee zur Einrichtung der Fakultät der Orientalischen Sprachen an Petersburger Universität unter dem Vorsitz von A. S. Norov seine Tätigkeit. Das Komitee bestand aus dem Administrator des Petersburger Schulbezirks, M. N. Musin-Puškin, dem Direktor des Departements für Volksbildung P. I. Gaevskij, dem Rektor der Universität, P. A. Pletnev, dem Leiter der Unterrichtsabteilung der Orientalischen Sprachen beim Asiatischen Departement, P. I. Demezon, und den Professoren der Universität A. K. Kazem-Bek, A. O. Muchlinskij19 und A. V. Nikitenko.20 Erneut wurden alle Projekte geprüft, angefangen von dem Vorschlag Osip Ivanovič Senkovskijs21, auch die Frage nach den Etats der Universität, und schließlich erfolgte am 22.Okt. 1854 ein Erlaß des Regierenden Senats, unterzeichnet von Nikolaj I., und die Fakultät, die in der Folge der russischen Wissenschaft eine glänzende Plejade von Orientalisten gegeben hat, wurde eröffnet.

Am Richelieu-Gymnasium, an der Universität Chaŕkov und am Gymnasium Taganrog wurde der Unterricht der orientalischen Sprachen eingestellt, und an der Universität Kasan verblieb nur das Studium der tatarischen Sprache. Alle Finanzmittel, die für die Ausgaben des Unterrichts der orientalischen Sprachen an diesen Lehranstalten bestimmt waren, wurden der Petersburger Universität überwiesen. Dem Außenministerium wurde vorgeschlagen, jährlich der Fakultät 3000 Rubel zu überweisen und seine Stipendiaten zu schicken.

U.a. wurde an der Orientalischen Fakultät ein Lehrstuhl des Chinesischen und Mandschurischen eingerichtet, den V. P. Vasil’ev übernahm. I. A. Laduchin wurde zum Hilfsbibliothekar ernannt, Ismail Abu-Karimov zum Lektor. Nach St. Petersburg wurden zwei Studenten «auf Staatskosten» – Michail Civil’kov und Michail Kafarov – überwiesen sowie zwei «Selbstzahler» – Karl Berner und Peter de Gress «zur Fortsetzung ihrer Ausbildung im nämlichen Gegenstande, mit Erstattung eines Betrags für die Reisekosten».

Für die Organisation der Orientalischen Fakultät hat auch eine nichtoffizielle Denkschrift Vasil’evs Bedeutung, die die Notwendigkeit aufzeigt, den Unterricht der orientalischen Sprachen in St. Petersburg zu konzentrieren und das Studium des Sanskrit und Tibetischen einzuführen, und auch einiger allgemeinbildender Gegenstände, deren Kenntnis den Absolventen der Fakultät in verschiedenen Dienststellen zu arbeiten erlaubte. Er hielt dafür, daß der theoretische und praktische Sprachunterricht parallel gehen müßte.22 W. Barthold schrieb, daß die Denkschrift Vasil’evs sich von dem offiziellen Exposé durch größere Breite unterschied und von der Sorge um die Einstellung der künftigen Absolventen der Orientalischen Fakultät durchdrungen war.23

Am 27.August 1855 fand die feierliche Eröffnung der Orientalischen Fakultät statt. Professor A. V. Popov24 und der zum Dekan ernannte A. K. Kazem-Bek traten mit Reden hervor. Popov erzählte von der Vergangenheit der russischen Orientalistik und begrüßte die Einrichtung der Orientalischen Fakultät in St. Petersburg als einen höchst günstigen Platz «für die erfolgreiche Entwicklung der orientalischen Sprachen». 25 Kazem-Bek sprach über die Struktur der Fakultät, ihre Aufgaben und wandte sich an Lehrkörper und Studenten mit dem Aufruf, alle Kräfte zum künftigen Ruhm der Fakultät einzusetzen.26

Für die weitere Entwicklung der russischen Sinologie und Mandschuristik war es von entscheidender Bedeutung, daß der Lehrstuhlinhaber der orientalischen Sprachen Vasil’ev war, der bereits Erfahrung in der Arbeit an der Universität Kasan hatte und im wissenschaftlichen Plan die Kernprobleme der Philologie, Ideologie und Geschichte ausgearbeitet hatte.

Vasil’ev wurde am 20.Februar 1818 in Nižnij-Novgorod geboren.27 Bis zum 14. Lebensjahr besuchte er das örtliche Gymnasium. Bis zum Eintritt in die Universität, wo man erst mit 16 aufgenommen wurde, mußte Vasil’ev, der 1832 seinen Vater verloren hatte, als Repetitor arbeiten und half seiner Mutter so, die Kinder aufzuziehen. 1834 wurde Vasil’ev in die orientalische Abteilung der Philosophischen Fakultät der Universität Kasan als Schüler von Jozef Kowalewski aufgenommen, der den Lehrstuhl für Mongolistik innehatte. Gleichzeitig beschäftigte sich Vasil’ev auch mit dem Studium des Tatarischen.

Unter dem Einfluß von Kowalewski bildeten sich bei Vasil’ev die wissenschaftlichen Interessen und politischen Ansichten. Er schrieb in seiner «Autobiographie», daß noch in seiner Studentenzeit die Worte Kowalewskis «bei der Suche nach der Wahrheit nicht der Autorität zu huldigen, vollzogene oder erzählte Fakten sine ira et studio der Kritik zu unterziehen und keine Frage als für die Ewigkeit entschieden anzusehen, tief in meinen Geist fielen und mir Richtschnur bei meinen Sympathien und Antipathien waren».28

An der Universität lebte Vasil’ev vier Jahre lang, 1835–1839, zusammen mit Gecul Galsan Nikituev, einem burjatischen Lama aus Transbaikalien. Er übte mit ihm mongolische Konversation, und so beherrschte er das Mongolische so wie ein richtiger Mongole.

1837 absolvierte Vasil’ev die Universität und ging an die Arbeit an der Kandidatendissertation heran. Nachdem er sie 1837 zum Thema des buddhistischen Werkes Qutuγtu degedü Altan gerel-tü sudur noγodun Erketü Qaγan verteidigt hatte, erhielt er den Rang eines Kandidaten und wurde bei der Universität behalten zur Vorbereitung auf die Professorenlaufbahn. Kowalewski, der sich selbst mit der Erforschung des Buddhismus befaßte, riet Vasil’ev, mit dem Studium des Buddhismus fortzufahren, und 1839 verteidigte Vasil’ev seine Magisterdissertation «Über die Grundlagen der buddhistischen Philosophie».

Die Verteidigung der Dissertation zog die Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Kreise auf Vasil’ev. P. I. Mel’nikov-Pečerskij schrieb im Zusammenhang damit einen Aufsatz, der in den Vaterländischen Memoiren veröffentlicht wurde.29 Die Leitung der Universität und der Administrator des Schulbezirks Kasan M. N. Musin-Puškin wurden auf Vasil’evs große Fähigkeiten und seinen ungewöhnlichen Fleiß aufmerksam. 1839 wurde Vasil'ev als Mitglied der XII. Russischen Geistlichen Mission nach China geschickt.

Vasil’ev, zur Mission abgeordnet, fand sich in der Lage eines Studenten und geriet unter die Leitung eines ignoranten, kleinlichen Menschen, des Archimandriten Polikarp Tugarinov. «Hart bis zum Starrsinn», wie Vasil’ev ihn in einem Brief an P. S. Popov beschrieb, erlaubte er ohne seine Entscheidung und sein Wissen nicht, über eine einzige Kopeke zu verfügen, selbst von dem Geld, das Vasil’ev von der Universität Kasan zur Bezahlung seiner Lehrer überwiesen wurde. Die letzteren stellte Tugarinov selbst ein, ungeachtet ihrer Unwissenheit und völligen Hilflosigkeit.

Das Tagebuch, das Vasil’ev in Peking geführt hat, ist bis heute erhalten und nur teilweise publiziert. Es fällt schwer, die Stellen zu lesen, wo der Autor über die von ihm durchlebten Minuten der Verzweiflung schreibt und sich über die demütigende Aufsicht über sein Betragen seitens Tugarinovs beklagt.

Die Aufgaben, die Vasil’ev von der Universität übertragen worden waren, waren enorm. Nach der Instruktion sollte er «sich das Tibetische samt seinen Mundarten aneignen», das Sanskrit, Chinesische und Mandschurische studieren und seine Kenntnisse im Mongolischen ausbauen. Ihm war das Studium der Literatur, Geschichte, Geographie und Statistik, Religion, Wissenschaft und Kunst, des Handels und der Industrie Chinas, Tibets, der Mandschurei und Mongolei «in der Gegenwart wie in der Vergangenheit» aufgetragen.30

Außerdem erhielt Vasil’ev Instruktion von der Akademie der Wissenschaften, Bücher zu erwerben. Ein solches Programm in zehn Jahren durchzuführen, wäre über die Kräfte mehrerer Gelehrter hinausgegangen. Vasil’ev leistete die enorme Arbeit, den Buddhismus und das Tibetische zu studieren. Es mag genügen zu sagen, daß er nach seiner Rückkehr aus Peking der Leitung der Universität Kasan eine Reihe von Arbeiten vorlegte, darunter: Grundlagen der tibetischen Grammatik, Tibetische Chrestomathie, Übersetzung eines tibetischen terminologischen Wärterbuchs, Übersetzung der Geschichte des Buddhismus in Indien, Geschichte des Buddhismus in Tibet, China und der Mongolei, Geographie Tibets (Übersetzung aus dem Tibetischen), Übersetzung des Xiyuji西域記31, Übersetzungen aus den chinesischen Quellen über die Khitan, Jurčen, Mongolen-Tataren und der Berichte über Ningguta des Qing-Beamten Wu Nanzhong, historische Karten Chinas, Buddhistische Literatur (Übersetzung aus dem Chinesischen).

Nach fünf Jahren Lehre an der Universität Kasan, begann Vasil’ev, der 1855 zum Leiter des Lehrstuhls für chinesische Sprache der Orientalischen Fakultät der Petersburger Universität ernannt worden war, auch die Lehre des Mandschurischen. Ismail Abu-Karimov, der als Lehrer der Kalligraphie angestellt war, übernahm die praktische Beschäftigung mit der chinesischen Sprache.

Zu Beginn der Tätigkeit der chinesisch-mandschurischen Abteilung der Orientalischen Fakultät gab es insgesamt drei Studenten – Michail Civil’kov, Karl Berner und Michail Kafarov. Die gesamte Tätigkeit der Orientalischen Fakultät, und besonders der chinesisch-mandschurischen Abteilung, war bis zum Anfang der 90er Jahre ganz eng mit Vasil’ev verbunden, der ihr seine ganze unermüdliche Energie und Arbeitsfreude zuwandte. 12 Jahre lang war er der einzige Dozent des Chinesischen und Mandschurischen in allen vier Kursen der Abteilung. Außerdem hielt Vasil’ev Vorlesungen zur Geschichte, Geographie und Literatur Chinas und der Mandschurei. Das erforderte natürlich große Anspannung von Kraft und Zeit.

In dem Aufsatz über die Beziehungen des Chinesischen zu den zentralasiatischen Sprachen schrieb Vasil’ev: «Ich kann mich nicht ganz der Philologie widmen, weil ich auch Historiker sein muß; ich bin nicht Historiker, weil ich auch Geograph sein muß; ich bin nicht Geograph, weil ich auch die Literatur kennen muß; ich bin nicht Literaturhistoriker, weil ich auch die Religion behandeln muß; ich bin nicht Theologe, weil ich auch Antiquar sein muß».32

Es genügt, sich mit Vasil’evs Lehrprogramm, besonders in den Jahren 1863–1865, vertraut zu machen, um zu erkennen, wie vielfältig dessen Inhalt war. Dazu gehörten Übersetzungen aus den Sishu四書 [den konfuzianischen Vier Büchern], chinesischen Zeitungen, Quellen zur Geschichte Chinas und der Geschichte der chinesischen Literatur. Gleichzeitig las Vasil’ev über die Geschichte des Konfuzianismus und lehrte mandschurische Sprache sowie Geschichte und Literatur der Mandschuren. Seine einzige Hilfe war Laduchin, der auf Anordnung des Universitätsrates für die Studenten Vorlesungen über die chinesische und mandschurische Sprache hielt.

1856 reichte Laduchin der Fakultät ein Gesuch ein mit der Bitte, ihn mit der nächsten Geistlichen Mission nach Peking zu senden, zur Vervollkommnung in den Sprachen und zum Kennenlernen Chinas. Dabei war er einverstanden, als Begleiter zu reisen, wie seinerzeit Kowalewski entsandt worden war. Vasil’ev unterstützte die Bitte Laduchins, den er für die Leitung des Lehrstuhls der mandschurischen Sprache vorgesehen hatte. Das Asiatische Departement stimmte zu, Laduchin als Begleiter in die Mission aufzunehmen. Von dritter Seite gab es keine Schwierigkeiten, und Nikolaj I. gab seine Zustimmung und dem Universitätsrat Anweisung, für Ausgaben 2000 Rubel auszuzahlen. Am 28. Februar 1857 reiste Laduchin nach Irkutsk, wo sich bereits alle Mitglieder der Mission befanden. Die Abreise der Mission aus Irkutsk verzögerte sich, und Ende 1857 unternahm Laduchin, der keine Zeit verlieren wollte, eine Reise zum Amur, die er laut Instruktion der Fakultät auf dem Rückweg von Peking machen sollte. Bei der Reise durch die Station Ust-Bej ertrank er im Amur. Umstände und Datum seines Todes sind nicht bekannt.33

Vasil’ev hat noch mehrfach versucht, einen «praktischen» Lehrer der mandschurischen Sprache zu finden. Insonderheit 1857 sandte er eine offizielle Denkschrift mit der Bitte, «einen eingeborenen Chinesen oder Mandschuren zu suchen» zu genehmigen. Die Suche wollte Vasil’ev jemandem an der Grenze übertragen, zumal Murav’ev im Gespräch mit Vasil’ev seine «Bereitschaft zur Zusammenarbeit» zum Ausdruck gebracht hatte.

Eine praktische Entscheidung auf diese Denkschrift Vasil’evs hin erfolgte jedoch nicht, obwohl die Orientalische Fakultät insgesamt ihre Unterstützung gab. 1858 wiederholte Vasil’ev sein Gesuch und wiederum ohne Ergebnis. Die Aufmerksamkeit, die Vasil’ev der Fakultät widmete, hielt ihn ständig von der Vollendung und Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Arbeiten ab. Alles, was er 1856–1857 veröffentlichen konnte, waren vier Aufsätze34, darunter das «Graphische System der chinesischen Zeichen», in der Folge von ihm überarbeitet im Versuch eines ersten chinesisch-russischen Wörterbuchs35 , das Anwendung in vielen chinesisch-russischen Wörterbüchern fand.36

Außerdem veröffentlichte Vasil’ev seine erste Arbeit über den Buddhismus, die ihm weltweiten Ruhm eintrug. Diese war das 1857 in Petersburg erschienene Buch Der Buddhismus, seine Dogmen, Geschichte und Literatur. T.1.: Allgemeiner Überblick, das bis heute die Aufmerksamkeit aller Buddhismusforscher verdient. Es wurde ins Deutsche und Französische übersetzt.37 Im Vorwort zum Buch schrieb Vasil’ev, daß «es nur ein kleiner Teil all des Geschriebenen» enthielte und sprach von seinen Plänen zur Veröffentlichung von Arbeiten über den Buddhismus.

Wie auch die anderen Arbeiten Vasil’evs ist das Buch ausschließlich auf Primärquellen gegründet und in einer ungezwungenen Manier geschrieben, ungeachtet mancher Nachlässigkeit im Stil. Zur Vorbereitung las Vasil’ev tausende von Seiten tibetischer, chinesischer und mongolischer Werke zum Buddhismus und indem er sich nur auf Primärquellen stützte, gab er selbständige, originale Urteile über die philosophisch-religiösen Lehren des Buddhismus. Nicht zufällig unterstrich I. I. Berezin in seiner Rezension des Buches, daß bezüglich der Kenntnis des Buddhismus «Vasil’ev in Europa keine Konkurrenten hat, da kein einziger Orientalist zugleich Chinesisch und Tibetisch beherrscht.»38

Nachdem er hinreichend genau den Inhalt des Buches dargelegt hatte, rief der Rezensent dazu auf, «endgültig es als bedeutende Leistung in der wissenschaftlichen Literatur, wichtig nicht nur in Rußland, sondern auch in Europa, anzuerkennen».39 Gleichzeitig merkte Berezin einige Unrichtigkeiten an, z.B. Kritiklosigkeit bei der Beurteilung der Quellen und eine Reihe widersprüchlicher Thesen.

1869 gelang es Vasil’ev als Fortsetzung des 1.Teils seines Buddhismus die schon in Peking vorbereitete Übersetzung eines Werkes von Târanâtha als «Teil 3: Geschichte des Buddhismus in Indien» zu veröffentlichen. Im Vorwort und in den Kommentaren bezog er sich auf die Arbeiten von Bičurin, Kafarov und einige europäische Werke, hauptsächlich aber auf tibetische Texte. Wie aus seinen Briefen an P. S. Popov 40 ersichtlich, befanden sich seit 1886 einige Bogen des Buddhistischen terminologischen Wörterbuchs (Mahâvyutpatti) in der Druckerei; es wurde aber nicht vollendet.41

S. F. Oldenburg42, der während der letzten 15 Lebensjahre mit dem Gelehrten verkehrte, schrieb, daß dieser gern und freigebig «seine erstaunlichen Kenntnisse mit allen teilte, die auf demselben Gebiete arbeiteten», d.h. dem Studium des Buddhismus. Vasil’ev interessierte sich weiterhin für den Buddhismus «als die erstaunlichste und kolossalste Mystifikation, die die Menschheit je gesehen hat.»43

Am Ende seines Lebens veröffentlichte Vasil’ev, zum Studium des Buddhismus zurückgeführt, 1895 und 1899 die Aufsätze «Der Buddhismus in seiner vollständigen Entwicklung nach dem Vinaya» 44 , «Bemerkungen über den Buddhismus»45 und einige Beiträge im Russischen Enzyklopädischen Wörterbuch von Berezin.

Die verhältnismäßig geringe Zahl der von Vasil’ev zum Buddhismus veröffentlichten Arbeiten erklärt sich nicht nur durch die «Gleichgültigkeit der Gesellschaft» dem Gegenstande gegenüber. Die professoralen Pflichten, verschiedenartige wissenschaftliche Probleme, die publizistische Tätigkeit – all das lenkte Vasil’ev ständig ab und störte die Durchführung seiner Vorhaben.

Bičurin hatte jedoch auch gegen die «Gleichgültigkeit der Gesellschaft» zu kämpfen (so fand sich nur 1 Subskribent für sein Buch Statistische Beschreibung); Bičurin war gesammelter, zielstrebiger, er widmete nicht soviel Zeit der Lehrtätigkeit, und daher gelang es ihm, alle von ihm skizzierten Werke zur Publikation zu bringen.46

Vasil’ev betrachtete den Buddhismus und andere Religionen des Orients im Vergleich mit den Postulaten des christlichen Glaubens und stellte, davon ausgehend, die Frage: «Gab es in der Menschheit je eine Lehre frecher, geradewegs gotteslästerlicher als die buddhistische, die nicht nur den Menschen, sondern auch die ganze Schöpfung zur Gottheit machen will?» Besonders diese «Übel des Buddhismus» forderten seinen Protest heraus.47

Außer den veröffentlichten Arbeiten über den Buddhismus hinterließ der Gelehrte «höchst Wichtiges, höchst Wertvolles» als Manuskript, wie der Schüler Vasil’evs, Oldenburg, sagte.48 Eine gute Übersicht der unveröffentlichten Werke Vasil’evs mit wertenden Anmerkungen hat M. I. Tubjanskij gegeben;49 er nennt folgende Handschriften: Kommentare zum Mahâvyutpatti – Buddhistisches Terminologisches Lexikon; Übersicht der buddhistischen Literatur nach Schulen; Übersetzung des Yuezang zhijin閱藏知津, verf. von Zhi Xue; Die Reise des Xuanzang und einige andere, kleinere nach Bedeutung wie Umfang.50

Bei der Durchsicht der Handschriften Vasil’evs, die sich im Archiv der Akademie der Wissenschaften befinden, wird deutlich, daß der Teil davon, der sich auf die Erforschung von Fragen des Buddhismus bezieht, zum Druck aufbereitet und in Maschinenschrift übertragen ist von M. I. Tubjanskij (Übersicht der buddhistischen Literatur) und von B. A. Vasil’ev (Śataśastra. Bolun).

Die Lehrbücher Vasil’evs

Vasil’ev begann den Unterricht des Chinesischen und Mandschurischen, einschließlich Sprache, Literatur, Geschichte und Geographie, ohne irgendwelche Hilfsmittel. Für das Studium des Chinesischen konnte er den Studenten nur die Grammatiken von Bičurin und Rémusat empfehlen; andere Gegenstände studierten die Studenten nach Aufzeichnungen seiner Vorlesungen.

1857 überreichten die Studenten der Leitung der orientalischen Fakultät eine «Besondere Denkschrift», in der sie vorschlugen, nach Aufzeichnungen von Vorlesungen oder aus Kompilationen von Lehrbüchern in fremden Sprachen eine Reihe von Lehrmitteln, besonders ein Lehrbuch der chinesischen Sprache und eine Chrestomathie herauszugeben. Ob die «Besondere Denkschrift» ein praktisches Ergebnis gezeitigt hat, ist nicht bekannt.51

Ende der 50er Jahre versuchte Vasil’ev, ein kurzes mandschurisch-russisches Wörterbuch herauszugeben, das von dem Studenten M. Civil’kov stammte. Vasil’ev übergab dem Dekan der Fakultät, A. K. Kazem-Bek, einen detaillierten Bericht, in dem er die in Rußland vorhandenen Hilfsmittel zum Mandschurischen und die Unzulänglichkeit der Grammatiken und Wörterbücher in europäischen Sprachen deutlich machte. Mit großem Lob bedachte er Civil’kov, der «schon lange sich mit orientalischen Sprachen beschäftigt hat und wegen seines Talents und Fleißes besondere Aufmerksamkeit verdient.» Indem er auf das von Civil’kov vorgestellte Wörterbuch zurückkam, hieß Vasil’ev die Arbeit gut und unterstrich, daß der Autor «darin nur alle Stammwörter verzeichnet hat, mit sorgfältiger Angabe der Bedeutung» und daß «das Wörterbuch den gegenwärtigen Bedarf bis zu einem gewissen Grade erfüllt und vielleicht am Amur, in der Geistlichen Mission und im Asiatischen Departement verbreitet werden könnte.»

Zur Bitte um Zuteilung von Mitteln für den Druck des Wörterbuchs zurückkommend, übernahm Vasil’ev die Pflicht «einer sorgfältigen Aufsicht bei der Drucklegung» und, wenn die Zeit es erlaubte, «seinerseits Hinweise auf die Verwandtschaft der mandschurischen Wörter mit anderen Sprachen zu ergänzen.»52 Jedoch blieb auch dieses Wörterbuch Manuskript.53

Die Aktivierung der russischen Politik im Fernen Osten am Ende der 50er Jahre des 19.Jahrhunderts führte zu einer Vergrößerung der Zahl der Studenten in der chinesisch-mandschurischen Abteilung. Bereits 1859 traten 5 Personen in den 1.Kurs ein, 1860 8 (insgesamt waren es in 4 Kursen 11 Personen), 1867 waren es in der Abteilung auch 11 Personen, 1875 – 15. Doch war der Ausfall in der Abteilung groß, und 1–2 Personen absolvierten den Kurs.54

Das Anwachsen der Studentenzahl gab Vasil’ev die Möglichkeit, die Zusammenstellung von Lehrmitteln zu beginnen. 1859 bat er den Dekan der Fakultät, über das Asiatische Departement die Pekinger Zeitung zu abonnieren und 350 Rubel für die Veröffentlichung einer von ihm zusammengestellten mandschurischen Chrestomathie bereitzustellen. Die Chrestomathie erschien 1863 und stellte das erste in Rußland publizierte Lehrmittel zum Mandschurischen dar.

1866 wurde ein Mandschurisch-russisches Wörterbuch lithographisch veröffentlicht, in dessen Vorwort Vasil’ev erläutert, daß das von ihm noch in Peking verfaßte Wörterbuch «von jedem seiner Studenten abgeschrieben worden» sei, und wenn er auch eine «unvollkommene Arbeit» nicht veröffentlichen wollte, habe er auf Bitten der Studenten seine Zustimmung erteilt.55

Im selben Jahr gab Vasil’ev «Die Analyse der chinesischen Zeichen» heraus56, und im folgenden, 1867, ein chinesisch-russisches Wörterbuch57, in dem erstmals das graphische System angewandt wurde, das in der Folge weite Anerkennung fand.58

1868 gab Vasil’ev die drei Bände der Chinesischen Chrestomathie heraus, die vielen Generationen russischer Sinologen als Hilfsmittel bei der Lektüre chinesischer Texte diente. In den 80er Jahren gab Vasil’ev «Anmerkungen» zum 2. und 3. Band der Chrestomathie heraus, und 1896 zum 1. Band, worin Übersetzungen der chinesischen Texte in der Chrestomathie gegeben werden.59 Sie setzten in gewissem Grade die Tradition der Chrestomathien Sivillovs und Vojcechovskijs fort.

Am 20. Dezember 1861 wurde als Reaktion auf eine breite Studentenbewegung allgemeinpolitischen Charakters «auf höchsten Befehl» die Petersburger Universität geschlossen, alle Professoren und Dozenten beurlaubt, und den Studenten «das Recht» gegeben, die Universitäten anderer Städte zu besuchen.60 Während die Studenten anderer Fakultäten noch die Möglichkeit besaßen, ihre Ausbildung an anderen Universitäten fortzusetzen, und die Professoren eine Verwendung ihrer Kenntnisse an anderen höheren Lehranstalten finden konnten, waren die Dozenten und Studenten der Orientalischen Fakultät in einer ausweglosen Situation. Ende Dezember erklärte die zaristische Regierung, erschreckt durch eine rollende Protestwoge, die Schließung der Universität zu einer temporären Maßnahme und versprach die Eröffnung nach der Ausarbeitung eines neuen Universitätsstatuts. Bis zur Wiederaufnahme der Tätigkeit wurde im Erlaß bestimmt, «während dieser Interimszeit behalten alle Professoren ihre Aufgaben mit dem bisherigen Gehalt» und weiter blieb die Universitätsverwaltung in den Händen eines ausgewählten Kollegiums von Professoren unter dem Titel «Temporäre Kommission».

Bezüglich der Lage der Studenten wurde keine Entscheidung getroffen, und die Professoren der Orientalischen Fakultät schlugen vor, ein besonderes Orientalisches Institut, der Temporären Kommission unterstellt, zu eröffnen. Auf den Bericht darüber seitens des Ministeriums für Volksbildung im Ministerrat wurde der Entschluß gefaßt, kein neues Institut zu eröffnen, sondern den Vorlesungsbetrieb in der Orientalischen Fakultät wieder zu beginnen, die die einzige Fakultät der Universität blieb, die vom 1. Februar 1862 bis Herbst 1863 unterrichtete.

Arbeiten Vasil’evs zur Geschichte Chinas und der Nachbarländer

In den 60er Jahren kamen alle wesentlichen Arbeiten Vasil’evs zur Geschichte Chinas und der Nachbarländer heraus: Geschichte und Altertümer des östlichen Teils Zentralasiens vom 10. bis 13. Jahrhundert (1859), Geschichte Chinas (lithographiert), Mitteilungen über die Mandschuren zur Zeit der Dynastien Yuan und Ming (1863), über die Mohammedanerbewegung in China (1862), Die Befriedung der Mongolen zu Beginn der Daicing-Dynastie (1868), eine Reihe Aufsätze zur Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen Rußland und China und Artikel zur Archäologie.61

An die historischen Arbeiten Vasil’evs schließen sich auch einige Arbeiten zur Geographie Chinas an:62 «Nach unserer Meinung», schrieb er, «ist es vor allem notwendig, die Geographie des Landes zu bearbeiten, zuerst die neue, dann die alte.»63 Jedoch wurden die historischen und geographischen Arbeiten Vasil’evs von der zeitgenössischen Kritik nicht berücksichtigt. Sie wurden erst zu sowjetischen Zeiten einer aufmerksamen Prüfung unterzogen.64 Die wichtigste Seite aller Arbeiten Vasil’evs zur Geschichte und Geographie Chinas ist das in ihnen enthaltene kolossale Faktenmaterial, das dem Autor als erste Basis diente.65

Es ist bekannt, daß hinsichtlich der Kenntnis der chinesischen Literatur Vasil’ev alle zeitgenössischen Gelehrten übertraf, aber in allen Arbeiten (mit Ausnahme der Geschichte der chinesischen Literatur) machte er keine Referenzen zu den Quellen mehr. Vasil’ev schrieb geläufig, in vollem Schwunge äußerte er talentierte Gedanken, teils widersprüchlich, stellte sich neue Fragen, und ohne sie zu lösen, ging er zu anderen über, richtete die Aufmerksamkeit auf die ausstehende Behandlung dieses oder jenes Problems, führte zig neue, bis dahin unbekannte Quellen in die Wissenschaft ein. W. Barthold, der die Arbeiten Vasil’evs hochschätzte, nannte ihn «den genialen Erforscher des Fernen Ostens». Dabei wies er aber darauf hin, daß man unbedingt bedenken müsse, daß ungeachtet der «Weite und Tiefe der wesentlichen Ideen» Vasil’evs man in seinen Arbeiten Paradoxe und Widersprüche findet. Das muß jeder, der sich mit den Bücher und Handschriften Vasil’evs beschäftigt, im Auge haben, Die Arbeiten Vasil’evs zur Geschichte sind genugsam in einem Aufsatz von Z. I. Gorbačeva analysiert,66 die ihren Platz in der Sinologiegeschichte bestimmte und die große Behutsamkeit unterstreicht, mit der Vasil’ev an die chinesischen Quellen heranging und die in den Annalen Chinas dargestellten Fakten kritisch evaluierte.

Die Mehrzahl der Arbeiten Vasil’evs zur Geschichte Chinas und seiner Nachbarländer, besonders die Geschichte und Altertümer des östlichen Teils Zentralasiens, setzen thematisch die Richtung fort, die von Bičurin begonnen wurde. Vasil’ev selbst weist im Vorwort zur Geschichte darauf hin, daß da Bičurin in seinen Werken «den Khitan und den an ihre Stelle getretenen Mandschuren und Jurčen keine Aufmerksamkeit schenkte», er sich entschloß, diese Lücke zu füllen, «wenn nicht durch die Übersetzung der Originalwerke, dann wenigstens durch eine Skizze ihres hauptsächlichen Inhalts». Zur Skizze fügte er bei eine Übersetzung aus dem Liaozhi遼志 (Geschichte der Khitan) von Ye Longli 葉隆禮 und Nachrichten über die Dynastie Jin (Jinzhi金志) von Yuwen Maozhao 宇文懋昭 sowie Mitteilungen über die Mongolen-Tataren Meng Da beilu蒙韃備錄, von Zhao Hong 趙珙.67 Mit dieser Arbeit brachte Vasil’ev der wissenschaftlichen Welt reiches, bis dahin unbekanntes Material zur Geschichte von Chinas Nachbarländern zur Kenntnis.

A. Ju. Jakubovskij sieht in seinem historiographischen Aufsatz68 diese Arbeit als bis heute wertvoll an, macht jedoch nur bei den Dingen Halt, die für das Studium der Geschichte der Mongolen nützlich sein können, und unterstreicht besonders, daß die Überlegungen Vasil’evs über den Ursprung des Wortes Mongolen «ihre Bedeutung auch heute nicht verloren haben.»

Ein ziemlich großer Aufsatz Vasil’evs Die Befriedung der Mongolen zu Beginn der Daicing-Dynastie (Übersetzung aus dem Shengwuji聖武記), entging der Aufmerksamkeit der russischen Sinologen und Mongolisten. Die Wahl des Themas belegt das dauernde Interesse Vasil’evs an der Geschichte der mandschurischen Dynastie. Die Arbeiten, die verschiedenen Aspekten der Qing-Dynastie gewidmet sind, können in einem Zyklus zusammengefaßt werden:

Reisebericht des Mitglieds des Staatsrates (nei dachen) Masycha auf dem Marsch nach Norden zur Grenze 69 , Beschreibung der Mandschurei 70 , Berichte über Ningguta 71 , den Erdwall 72 , über die Mohammedanerbewegung in China. 73 Nicht wenige historische Arbeiten Vasil’evs sind Manuskript geblieben. Einige davon sind vollendet und könnten nach nicht aufwendiger Lesung der Handschrift publiziert werden. Nach unserer Ansicht sind die interessantesten:

Die politische Einteilung der heutigen chinesischen Besitzungen, Die (nichtchinesischen) Familiennamen in den Geschichten der Liao, Jin und Yuan sowie der jetzigen Daicing, Allgemeine Bemerkungen über das spezifische Feudalsystem, Über die Bevölkerungsverhältnisse in China. Aus Anlaß des Aufsatzes von Zacharov, Biographie des Wang Anshi.

Das neue Universitätsstatut. Die Schwierigkeit, nach der Absolvierung der Universität Arbeit zu finden.

1863 trat das neue Universitätsstatut in Kraft. Nach diesem Statut erhielt das Professorenkollegium erneut Autonomie. Der Professorenrat begann das gesamte Universitätsleben zu leiten; die Fakultäten wurden durch ihre Räte verwaltet. Der Rektor der Universität, die Dekane der Fakultäten, die Professoren und die Lehrer wurden von Kollegien in der Fakultätsversammlung ausgewählt. Die Orientalische Fakultät machte weiten Gebrauch von diesem Recht.

Das Ministerium für Volksbildung seinerseits erhielt das Recht der Bestätigung der ausgewählten Professoren und weiter ihrer Ernennung. «Einige Entscheidungen des Universitätsrates unterliegen der Bestätigung des Bezirksverwalters oder Ministers; der Verwalter kann auch jegliche Ratsentscheidung aussetzen, wenn er sie nicht in Übereinstimmung mit dem Statut findet.»74

Nach der Ernennung D. A. Tolstojs, eines bekannten Konservativen, zum Minister für Volksbildung 1866 wurden einige Maßnahmen zur Verstärkung der Aufsicht über die Studenten in Kraft gesetzt: Die Polizei und die Universitätsverwaltung mußten über das «politische Wohlverhalten» der Studenten informieren.75

Nach dem neuen Statut wurden in der Orientalischen Fakultät Lehrstühle für Sanskrit und Geschichte des Orients eingerichtet.

Angesichts dessen, daß Vasil’ev sowohl die Leitung des Lehrstuhls für chinesische wie mandschurische Philologie wahrnahm, wurde letzterer aufgehoben und mit dem Lehrstuhl der chinesischen Philologie vereinigt. Als aber 1868 I. I. Zacharov76 für den Unterricht des Mandschurischen berufen wurde, war man genötigt, für sein Gehalt zusätzliche Mittel einzuwerben.

Laut neuem Statut wurden am Lehrstuhl für chinesische und mandschurische Philologie Geschichte der chinesischen Literatur, chinesische Sprache und Erläuterung der Autoren, mandschurische Sprache und Geschichte der mandschurischen Literatur gelehrt.77

Es wurden strengere Anforderungen für die Verleihung der akademischen Grade Magister und Doktor der orientalischen Philologie ausgearbeitet.78

1864 wurde die chinesisch-mandschurische Abteilung in eine chinesisch-mandschurisch-mongolische umgewandelt. Dabei waren folgende Gründe ausschlaggebend: In Anbetracht der großen Verwandtschaft zwischen dem Mongolischen und Mandschurischen «können sie sich, größtenteils unter chinesischer Herrschaft, gegenseitig vertreten.» Es wurde auch die enge Verbindung von chinesischer, mongolischer und mandschurischer Literatur unterstrichen, die Gemeinsamkeit der Geschichte, Chinas, der Mongolei und der Mandschurei, die geographische Lage dieser Länder «die zu einem politischen Ganzen zusammengeschlossen sind.» Es wurde angemerkt, daß «die Struktur der politischen Einrichtungen der Mongolei unter dem Einfluß der jetzigen mandschurischen Dynastie und schließlich die Verbindungen zu China die Notwendigkeit des gesamten Studiums des Mongolischen in Verbindung mit dem Chinesischen und Mandschurischen sowohl für den wissenschaftlichen wie den praktischen Gebrauch erweisen.»79

In Verbindung mit dieser Neueinführung konnten die Studenten auf eigenen Wunsch zwei Hauptsprachen von den dreien wählen: Chinesisch und Mongolisch, Chinesisch und Mandschurisch, Geschichte und Literatur dieser Völker. Die dritte Sprache war fakultativ.

Anfang der 60er Jahre stand vor allen Absolventen der Orientalischen Fakultät erneut wirklich die Schwierigkeit der Anwendung «der von ihnen erworbenen Kenntnisse für den Staatsdienst.»

In den Materialien wird häufig eine ausführliche und interessante Denkschrift Prof. Kazem-Beks zitiert, des früheren Gegners der Unterrichtsabteilung der Orientalischen Sprachen des Asiatischen Departements.80 In dieser Denkschrift griff Kazem-Bek sarkastisch das Außenministerium an, das die Organisation eines Asiatischen Instituts wegen der Erhaltung der Unterrichtsabteilung verhinderte. Kazem-Bek zeigte anhand einer Reihe von Fakten die Notwendigkeit der Schließung der Unterrichtsabteilung und ihrer Vereinigung mit der orientalischen Fakultät der Universität auf und unterstrich, daß sich die Existenz dieser Unterrichtsanstalt kaum rechtfertigen ließe «wegen 5–6 Zöglingen, auf die jeweils mindestens 1 Professor käme.»81

Er erwähnte auch, daß der Umfang des Unterrichts in der Universität «viel umfangreicher und unvergleichlich vollständiger als in der Unterrichtsabteilung» sei, die seiner Meinung nach existierte «einerseits zum wirklichen und lange anerkannten Schaden jeder Fakultät, anderseits zum unnützen Nachteil für den Fiskus.»82

Der grundlegende praktische Vorschlag Kazem-Beks lief auf folgendes hinaus: Das Ministerium für Volksbildung legt den anderen Ministerien eine Liste der in jedem Jahre fertig gewordenen Studenten vor mit der Bitte um Mitteilung, wieviel Stellen für ihre Einstellung gewährt werden können.83

Im Februar 1864 teilte der Dekan der Fakultät A. O. Muchlinskij dem Ministerium für Volksbildung «die Ansicht der Fakultät» mit, in der jedoch nicht alle Vorschläge Kazem-Beks Unterstützung fanden. Indem darauf hingewiesen wurde, daß «der Eintritt der Orientalisten in den Dienst, der nicht in Übereinstimmung mit ihrer Spezialisierung steht, nichts Besonderes oder Herausragendes aus der gewöhnlichen Ordnung der Dinge in Rußland darstellt», wird in dem Dokument festgestellt, daß «im Arbeitsgebiet des wirklichen Lebens die Spezialisierung des Orientalisten in Rußland undankbarer ist als jede andere.» Die Orientalisten konnten nur im öffentlichen Dienst eingesetzt werden, entweder als Lehrer oder als Übersetzer. Im einen wie im andern Falle waren die Stellen außerordentlich begrenzt, die Gehälter immer bescheiden. Es wurde auch unterstrichen, daß man in die Fakultät großenteils mittels Stipendien eintrat und notwendigerweise studierte, um sich nach Beendigung des Studiums «von der unglücklichen Spezialisierung zu trennen.» Im Resümee wurde darauf hingewiesen, daß «man erstaunt sein muß, wie unter solch ungünstigen Umständen die Fakultät noch gute, nicht selten sogar ausgezeichnete Absolventen hervorbringen kann».84

Im Dokument sind Vorschläge enthalten, deren Verwirklichung die «elende Zukunft» der Studenten verbessern sollte. Was den Einsatz der Absolventen der Fakultät angeht, so wurde vorgeschlagen, Beamte, die sich mit Fragen der Beziehungen zu orientalischen Völkern beschäftigten, durch Spezialisten zu ersetzen, die die Sprachen beherrschten. Damit die Absolventen im juristischen Bereich, in den Ministerien für Finanzen sowie Inneres und im diplomatischen Dienst tätig werden könnten, empfahl der Professorenrat, eine Reihe von Unterrichtsgegenständen einzuführen (bürgerliches und Strafrecht, politische Ökonomie, Finanzrecht, internationales Recht usw.).85

Dazu sah es die Fakultät als unmöglich an, die Fakultät von der Universität zu trennen und auf ihrer Grundlage (unter Einschluß der Unterrichtsabteilung des Asiatischen Departements) ein selbständiges Institut zu gründen. Indem sie entschieden erklärte, daß «die Fakultät die Universität ebenso brauchte, wie die Universität die Fakultät», drückten die Autoren des Dokuments ihre Unterstützung für Kazem-Bek aus, der vorgeschlagen hatte, die Unterrichtsabteilung zu schließen und sie mit der Orientalischen Fakultät zu vereinigen.

Jedoch verbesserte sich der Einsatz der Absolventen der Orientalischen Fakultät nicht, und die Lage änderte sich nicht, solange nicht zugleich mit der Erweiterung der diplomatischen und Handelsbeziehungen zu den Ländern des Orients ein praktischer Bedarf an Orientalisten entstand. Freilich verbesserte sich der Einsatz der Absolventen der chinesisch-mandschurischen Abteilung der Orientalischen Fakultät etwas, besonders zu Beginn der 70er Jahre, als das zaristische Rußland in Übereinstimmung mit den Verträgen von Tientsin und Peking Konsulate in einigen Städten Chinas eröffnete und sich die Handelsbeziehungen zum Ch‘ing-Reich erweiterten.

Die Professoren und Dozenten der Orientalischen Fakultät ( 70er Jahre)

Im Oktober 1865 starb der engste Mitarbeiter Vasil’evs, Ismail Abu-Karimov. Zu der Zeit befand sich K. A. Skačkov86 in St. Petersburg, der 1863 aus Čugučak gekommen war, wo er als Konsul amtiert hatte. Im Februar 1865 wurde Skačkov an das Asiatische Museum berufen, um einen Katalog der Bücher in chinesischer Sprache anzufertigen, eine Beschreibung des Altbestandes und der großen Sammlung, die man 1864 vom Asiatischen Departement erhalten hatte. 87 Er übernahm die Aufgabe, «die gesamte jetzt dem Asiatischen Museum gehörige Sammlung chinesischer Bücher, Handschriften und Landkarten zu analysieren, sie in die gehörige Ordnung zu bringen und dazu einen wissenschaftlichen Katalog in russischer Sprache zu verfassen.» Skačkov begann die Arbeiten am Katalog88, aber unterbrach sie wegen der für ihn interessanteren Vorschläge von Vasil’ev, der ihn durch den Dekan Kazem-Bek einlud, «praktische Übungen im Chinesischen» zu unterrichten.

Am 8.Januar 1866 begann Skačkov seine Tätigkeit an der Universität gemäß dem von Vasil’ev bestätigten Programm, in dem für ihn eingeschlossen waren: Übungen in der chinesischen Umgangssprache, Zusammenstellung von umgangssprachlichen Redewendungen aus dem Russischen ins Chinesische, Lektüre und Übersetzung ins Russische von chinesischen, in der Umgangssprache geschriebenen Werken, Hongloumeng紅樓夢, Jin Ping Mei金瓶梅 u.a. 89

Die pädagogische Tätigkeit Skačkovs war jedoch nur kurz. Die Ausweitung des Handels zwischen Rußland und China erforderte eine Vermittlung zwischen russischen und chinesischen Kaufleuten. Die Wahl fiel auf Skačkov, der die russisch-chinesischen Handelsbeziehungen gut kannte, und 1867 reiste er als Konsul nach Tientsin.

Vasil’ev war wieder allein an der chinesisch-mandschurischen Abteilung, aber nicht lange. Aus Peking kam D. A. Peščurov zurück, der dort Dolmetscher an der Gesandtschaft gewesen war. Er hatte einige Zeit als Übersetzer beim Asiatischen Departement gearbeitet, und nahm die Berufung an die Petersburger Universität an, chinesische Sprache zu unterrichten.

Dmitrij Alekseevič Peščurov90 (1833–1913) erhielt seine Ausbildung zuhause und in einer Privatpension; 1853 absolvierte er die physikalisch-mathematische Fakultät der Petersburger Universität. Das Thema seiner Magister-Dissertation war: Untersuchung der Bewegung des kleinen Planeten Fortunus.

Nach der Universität unterrichtete Peščurov etwa drei Jahre lang Mathematik am 3. St. Petersburger Gymnasium. 1857 nahm er den Vorschlag an, als Student der Geistlichen Mission nach China zu reisen und das Observatorium zu betreuen. In der Folge bemerkte diesbezüglich einer seiner Biographen: «Der Astronom und Sinologe ersetzte einen Agronomen und Sinologen.» (K. A. Skačkov)

In verhältnismäßig kurzer Zeit beherrschte Peščurov die chinesische Sprache und begann die chinesische Astronomie zu studieren. In Peking schrieb er den Aufsatz «Erdbeben in China zur Zeit der Ming-Dynastie», gegründet auf Auszüge aus dem Ming-shih und 1860 publiziert. 91

Peščurov beherrschte die chinesische Umgangs- und Schriftsprache vorzüglich. Alekseev92, ein Schüler Peščurovs, nannte ihn «einen geduldigen und hochherzigen Pädagogen», der seine Kenntnisse der chinesischen Sprache «seinem phänomenalen Gedächtnis und seinem Fleiß verdankte.» Er las «Texte auf dem Kopf, womit er unser Auditorium verblüffte.» 93

Am Anfang seiner Lehrtätigkeit setzte Peščurov, wie auch Skačkov, die Beschäftigung mit den Studenten mit praktischen Übungen im Chinesischen fort, wobei er die Aufgaben stufenweise schwieriger machte. Im akademischen Jahr 1870/71 bestand sein Unterricht im 1. und 2. Kurs aus Übungen in der Umgangssprache, aus Übersetzungen aus Büchern, die in einer der Umgangssprache nahen Sprache geschrieben waren, wie Qingwen qimeng清文啓蒙, Haoqiuzhuan好求傳 u.a., wobei den Hörern die «grammatischen Formen der Sprache» vermittelt wurden. Im 3. und 4. Kurs schlug Peščurov den Studenten vor, «ohne die praktischen Aspekte des Sprachlernens aus dem Auge zu verlieren», Übersetzungen aus dem Chinesischen ins Russische zu machen «aus den verschiedenen Gebieten der chinesischen Literatur, aber auch offizielle Schreiben und Dokumente» und «leichte Aufsätze aus dem Russischen ins Chinesische zu übersetzen.» Peščurov machte die Studenten mit der Geographie und Geschichte Chinas und den Besonderheiten der Verwaltungsstruktur des Landes vertraut. Als Lehrmittel dienten die Zeitung Jingbao京報 und die Sammlung von Wade. 94

1890 wurde Peščurov zum amtierenden außerordentlichen Professor ernannt. 1889 veröffentlichte er eine Sammlung der Verträge Rußlands und Chinas für 1869-1881.95 Bis heute ist die Sammlung ein einzigartiges Werk, in dem die Texte aller Verträge parallel russisch, chinesisch, mandschurisch und französisch gegeben werden.

1868 übergab Vasil’ev den mandschurischen Unterricht an Zacharov. Zacharov hatte früher im Asiatischen Departement gearbeitet, wo er sich mit A. A. Tatarinov96 und I. A. Goškevič97 in der Situation von «Zum Departement Gezählten» befand. Völlig unerwartet wurden alle drei gleichzeitig verabschiedet.

I. I. Zacharov (1814–1885) war Sohn eines Priesters, absolvierte das geistliche Seminar Voronež und erhielt seine höhere Ausbildung an der Petersburger geistlichen Akademie. 1839 wurde er auf eigenen Wunsch als Student in die 12. Geistliche Mission aufgenommen. In Peking beschäftigte sich Zacharov vornehmlich mit dem Mandschurischen, aber er beherrschte auch das Chinesische gut. Schon hier begann er mit der Abfassung des mandschurisch-russischen Wärterbuchs, dessen Publikation ihm in der Folge weltweite Bekanntheit eintrug. Nach den russisch-chinesischen Verhandlungen von 1851, bei denen er als Dolmetscher unter E. P. Kovalevskij teilnahm, wurde Zacharov zum Konsul in Kuldscha ernannt und blieb dort bis 1864.

Während seines Aufenthalts in Kuldscha schrieb Zacharov zwei Arbeiten, die ungedruckt blieben: «Denkschrift über den westlichen Teil Chinas», zusammengestellt nach chinesischen Quellen und «Denkschrift über das Balkašnur-Bassin». Der Erforscher der russisch-chinesischen Beziehungen dieser Zeit muß seine Aufmerksamkeit auf die Briefe Zacharovs an Egor Petrovič Kovalevskij und die Dokumente richten – der Schriftwechsel zwischen Lifanyuan und Senat lief über Zacharov in seiner Funktion als Dolmetscher Kovalevskijs und Konsul in Kuldscha. Während der letzten zwei Jahre seines Aufenthalts in West-China nahm Zacharov direkten Anteil an der Festlegung der westlichen Grenze des Qing-Reiches mit Rußland. Der Leiter der Kommission zur Grenzbestimmung, I. F. Babkov, hat Zacharov in seinen Erinnerungen etliche Seiten gewidmet.98 Indem er Zacharov und Skačkov verglich, unterstrich er, daß ihre Teilnahme und Aufmerksamkeit dabei gleich waren, «die Verschiedenheit war nur die, daß die Angaben Zacharovs praktischer als die Skačkovs waren, der sozusagen einen theoretischen Charakter hatte. Als Diplomaten stelle ich Zacharov über Skačkov. Zacharov war ein aktiver Diplomat, der direkt und entschieden auf das gesetzte Ziel losging. Die Diplomatie Skačkovs war passiver. Er handelte vorsichtig und bedächtig, wog ab und überdachte jeden Schritt und bemühte sich, das Ziel auf dem Wege friedlicher Übereinstimmung zu erreichen.» Während seines Aufenthalts in West-China hat er eine gute Karte von Xinjiang zusammengestellt. Obwohl die Karte nicht gedruckt wurde, erhielt Zacharov dafür eine Medaille auf dem Internationalen Geographen-Kongreß in Paris.99 Vasil’ev weist in seinen Erinnerungen an I. I. Zacharov auf dessen große Arbeit «Beschreibung der westlichen chinesischen Besitzungen» hin. Die Handschrift wurde dem Asiatischen Departement eingereicht; ob sie erhalten ist, ist nicht bekannt.

Im Herbst 1868 begann Zacharov seinen Unterricht des Mandschurischen an der Petersburger Universität. Zu dem Zeitpunkt hatte Vasil’ev bereits seine Mandschurische Chrestomathie und sein Mandschurisch-russisches Wörterbuch100 vorbereitet, die Zacharov auch benutzte.

Im 1. Kurs unterrichtete Zacharov nach der mandschurischen Grammatik Qingwen qimeng und eigenen Aufzeichnungen. Übungen in der Lektüre und Übersetzung leitete Zacharov anhand der Chrestomathie Vasil’evs101. Im 2. Kurs wurden schon schwerere Stücke aus der Chrestomathie ausgewählt und erste Versuche der mündlichen Übersetzung aus dem Russischen ins Mandschurische gemacht. Im 3. und 4. Kurs wurden für die Übersetzung aus dem Mandschurischen Texte aus dem Xixiangji西廂記, aus dem kaiserlichen Lobgedicht Mukden fu-i bithe, aus den Uheri kooli bithe (Statuten), der Geschichte Tung giyan g‘ang mu bithe ausgewählt sowie Übersetzungen diplomatischer Dokumente aus dem Russischen ins Mandschurische angefertigt.

Das von Vasil’ev ausgearbeitete Lehrprogramm für die chinesische Sprache wurde während seiner gesamten Unterrichtszeit kaum geändert, obgleich er es in einigen Jahren buchstäblich in wenigen Worten formulierte. Nur das Programm für das Studienjahr 1870/71 ist von Vasil’ev in breiterem Aspekt gegeben worden. Die Studenten des 1. Kurses führte er in die Analyse chinesischer Zeichen ein (Herkunft der Zeichen, Bedeutung der Radikale und der phonetischen Zeichen), die etymologische Analyse der Satzteile und die Besonderheiten der Syntax. Die Studenten begannen, chinesische Texte aus seiner Chrestomathie zu übersetzen. In den Kursen 2–4 übersetzten die Studenten Texte aus den klassischen Büchern Lunyu論語 und Shijing詩經, aber auch aus der Chrestomathie. Außerdem machten sie eine Analyse von Auszügen aus den buddhistischen Büchern Shoulengyan jing首楞嚴經 (Śūraṅgama Sūtra) und Poruo boluomi jing般若波羅密經 (Prajñāpāramitā).

Für alle Kurse gab Vasil’ev Vorlesungen zur Geschichte Chinas und zur chinesischen Literatur. Dabei wechselte die Thematik der Vorlesungen zur Kulturgeschichte, aber nicht jedes Jahr. Z. B. kamen im Programm für 1863–1865 im Vorlesungskurs folgende Abteilungen vor: «3) Die ältere Bildung in China, die dem Konfuzianismus voranging. 5) Die Bedeutung des Konfuzianismus. 6) Das Leben des Konfuzius und die Geschichte der Verbreitung seiner Lehre bis zu den ersten Zeiten der Han-Dynastie einschließlich.» 1868 wurde der Kurs wiederholt, aber schon mit einigen Änderungen. Im Vorlesungsprogramm zur chinesischen Literatur heißt es: «Überblick über die Werke zur geistigen Entwicklung Chinas. Der Konfuzianismus in allen seinen Phasen; Philosophen, die nicht zum Konfuzianismus gehören; Daoismus; Buddhismus.»

Als interessanter erweist sich das Programm für das Studienjahr 1870/71, in dem genau der Inhalt des Vorlesungskurses zur «Geschichte und Literatur des Buddhismus» angegeben ist. Nirgends hat Vasil’ev so genau den Plan der Zusammenstellung seiner Werke erläutert, dem er zehn Jahre gewidmet hat. Obwohl es ihm bis 1870 gelungen war, zwei (von vorgesehenen 3) Bänden zum Buddhismus zu veröffentlichen, sind einige Fragen, die von ihm im Programm aufgenommen sind, in den publizierten Werken nicht behandelt. Deshalb sei dieser Teil des Programms vollständig angeführt, denn es handelt sich eigentlich um den Plan eines höchst umfassenden Werkes über den Buddhismus: «Allgemeiner Überblick über die Lage des Buddhismus in Indien. Buddhistische Dogmatik: Moral, Spekulation und Kontemplation. Kosmologie. Die Einteilung der buddhistischen Literatur nach indischen, tibetischen und indo-chinesischen Begriffen. Werke, die sich auf den alten Buddhismus beziehen. Werke, die sich auf Vinaya beziehen. Mahâyâna und Mystik. 102 Geschichte des Buddhismus in China. Über den Grad der Glaubwürdigkeit der frühen Verbreitung dieses Glaubens in China. Die Wege, auf denen die Verbreitung des Buddhismus in China erfolgte. Die Beziehungen der Regierung zu diesem Glauben: Gönnerschaft und Verfolgung. Welche Besonderheiten charakterisieren den chinesischen Buddhismus. Verschiedene Schulen, die sich in China selbst gebildet haben. Die bedeutenden Persönlichkeiten der chinesischen Hierarchie. Die allmählichen Übersetzungen der buddhistischen Bücher ins Chinesische. Die Bedeutung der chinesischen Reisenden nach Indien für die Wissenschaft.»

1873 schrieb und veröffentlichte Vasil’ev sein großes Werk Die Religionen des Orients: Konfuzianismus, Buddhismus, Taoismus. Dieses Buch erschien zu dem Zeitpunkt, da die Religionen des Ostens die Aufmerksamkeit von Philosophen, Gelehrten und Orientalisten auf sich zogen. Sie wendeten sich dem religiösen Denken der orientalischen Völker zu und versuchten, eine Erklärung jener «Starrheit» zu finden, die Gelehrte aller Richtungen vielen Ländern des Orients zuschrieben. Sie fanden die Ursachen der «Starrheit» nicht in der sozialökonomischen Struktur der Länder, sondern erläuterten alles, was sich von ihren gewohnten Vorstellungen unterschied, durch die Besonderheiten der religiösen Lehren des Orients. Einen gewissen Tribut zollte dem auch Vasil’ev. Er schrieb: «Nichts macht uns so bekannt mit einem Menschen wie seine Religion.»

W. Barthold hat völlig recht, wenn er urteilt, daß Widersprüche in den Ansichten Vasil’evs «zur Beziehung zwischen Okzident und Orient sich daraus erklären, daß er, wie die Mehrzahl der Orientalisten, die Bedeutung der Religion im Leben der Völker im allgemeinen und der asiatischen Völker im besonderen überschätzte».103