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Er wird sie beschützen - um jeden Preis!
Eliza Cumming ist furchtlos und jederzeit bereit, ihr Leben für ihr Team bei Devereaux Security zu riskieren. Doch dann holt sie ihre Vergangenheit ein. Der Killer, den sie als Teenager hinter Gitter brachte, ist wieder auf freiem Fuß - und er sinnt auf Rache. Eliza beschließt, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen, auch wenn es sie das Leben kostet. Doch sie hat nicht mit dem arroganten Wade Sterling gerechnet, der seine Gefühle für sie immer tief in seinem Innern verborgen hat. In seinem Herzen weiß er, dass sie zu ihm gehört, und niemand wird die Frau, die er liebt, noch einmal verletzen ...
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Seitenzahl: 544
MAYA BANKS
SLOW BURN
Entfesseltes Verlangen
Roman
Ins Deutsche übertragen vonBritta Lüdemann
Eliza Cumming ist furchtlos und würde jederzeit ihr Leben für ihr Team bei Devereaux Security geben. Doch dann holt sie der Schrecken ihrer Vergangenheit ein. Der Killer, den sie als Teenager hinter Gitter brachte, ist durch einen juristischen Fehler wieder auf freiem Fuß – und er sinnt auf Rache. Eliza ist nicht bereit, das Leben der Menschen zu riskieren, die ihr etwas bedeuten. Sie will alles hinter sich lassen und verschwinden. Nicht, um vor dem Dämon ihrer Jugend davonzulaufen, sondern um ein für alle Mal für Gerechtigkeit zu sorgen und um für ihre eigene Schuld, die sie damals auf sich lud, zu sühnen. Doch sie hat nicht mit Wade Sterling gerechnet, der seine Gefühle für sie immer hinter einer Fassade der Arroganz verborgen hat. Obwohl Eliza sich alle Mühe gibt, sich nichts anmerken zu lassen, sieht Sterling den Schrecken in ihren Augen und begreift, dass sie etwas vorhat, das sie in größte Gefahr bringen könnte. Er wird nicht zulassen, dass sie einfach alles zurücklässt. Er wird sie beschützen, ganz gleich, ob Eliza es will oder nicht. Denn in seinem Herzen weiß er, dass sie zu ihm gehört, und niemand wird die Frau, die er liebt, noch einmal verletzen …
Eliza erwachte, anders als sonst, nicht mit der gewohnten Frische und Energie. Vielmehr hatte sie das Gefühl, von einem Lkw überrollt worden zu sein. Am liebsten hätte sie sich noch einmal umgedreht, die Decke über den Kopf gezogen und ein paar Stunden weitergeschlafen. Was für ein verlockender Gedanke! Doch im selben Moment wusste sie schon, dass sie so etwas nie tun würde. Trotzdem, fünf Minuten konnte sie sich ruhig noch gönnen, ehe sie das Bett verließ und unter die Dusche taumelte.
Nachdem sie beim Devereaux Sicherheitsdienst in den letzten Monaten vor lauter Arbeit nicht gewusst hatten, wo ihnen der Kopf stand, herrschte dort seit Kurzem auf einmal Flaute. Sie hoffte nur, dass heute irgendein Auftrag hereinschneite, wenn sie arbeiten ging, damit es nicht wieder einer dieser gähnend langweiligen Tage wurde.
Gerade als sie sich aus dem Bett gequält und die Füße auf den Boden gestellt hatte, klingelte das Festnetztelefon auf ihrem Nachttisch. Verwundert sah sie es an. Dane oder sonst jemand von Devereaux würde sie eigentlich unter ihrer Mobilnummer anrufen. Ein kurzer Blick auf ihr Handy, das gleich neben dem Telefon lag und gerade lud, bestätigte ihr, dass sie keinen Anruf verpasst hatte. Sollte das hier einer dieser Werbeanrufer sein, die die Leute auch zu nachtschlafender Zeit belästigten, dann würde sie ihn aufspüren und so kräftig in den Allerwertesten treten, dass ihm Hören und Sehen verging.
Hätte nicht die – wenn auch nur geringe – Chance bestanden, dass es sich doch um einen ihrer Kollegen handelte, wäre das Klingeln von ihr einfach ignoriert worden. So aber riss sie das Telefon mit einem unwilligen Laut aus der Station und meldete sich mit einem schroffen Hallo.
Nach einem kurzen Moment des Schweigens hörte sie ein Räuspern. »Miss Caldwell? Melissa Caldwell?«
Eliza erstarrte, während ihr das Blut in den Adern gefror. Zehn Jahre lang hatte sie diesen Namen nicht mehr gehört. Zehn Jahre lang war sie nicht mehr diese Person gewesen. Und nun hatte die Vergangenheit sie innerhalb von nur zwei Sekunden wieder eingeholt.
»Was wollen Sie?«, fragte sie mit tonloser Stimme.
»Hier spricht Clyde Barksdale, der Bezirksstaatsanwalt von Keerney County, Oregon.«
Sie wusste verdammt genau, wer Clyde Barksdale war. Wie hätte sie auch vergessen können, mit wessen Hilfe sie Thomas Harrington damals hinter Schloss und Riegel gebracht hatte?
»Sie rufen mich doch bestimmt nicht an, um zu erfahren, wie’s mir geht«, erwiderte sie bitter.
»Da haben Sie leider recht.« Der Anwalt seufzte und klang erschöpft. »Hören Sie – es fällt mir nicht leicht, Ihnen das zu sagen, aber Thomas Harrington hat seinen Fall noch einmal aufrollen lassen und erreicht, dass sein Urteil aufgehoben wird; er kommt in etwa drei Wochen frei.«
Elizas Beine gaben nach, sie sackte in sich zusammen und fiel auf das Bett zurück. Vor Schreck war sie wie betäubt. Schockiert schüttelte sie den Kopf, um den Nebel totaler Verwirrung zu vertreiben, der sie umgab. War das etwa irgendein abgefahrener Traum – Albtraum –, der sie gefangen hielt?
»Wie bitte?«, hauchte sie entsetzt. »Was zum Teufel meinen Sie mit ›das Urteil wurde aufgehoben‹? Das kann ja wohl nur ein schlechter Witz sein.«
»Er muss sich an einen der Polizisten herangemacht haben, der an dem Fall beteiligt gewesen war«, antwortete der Anwalt mit hörbarer Wut in der Stimme. »Anders kann ich es mir nicht erklären. Der Polizist hat unter Eid gestanden, die Beweismittel manipuliert zu haben, um zu verhindern, dass Harrington einer Anklage entgeht. Als ob wir diesen verdammten Beweis überhaupt nötig gehabt hätten, wo wir doch Ihre Aussage hatten. Doch nach diesem Geständnis und angesichts des Bildes, das von Ihnen gezeichnet wurde – das des verschmähten Kindes voller Zorn und Demütigung über die Zurückweisung eines älteren Mannes –, blieb dem Richter nichts anderes übrig, als seine Freilassung anzuordnen.«
Eliza war vollkommen sprachlos. Sie saß da wie gelähmt, gefangen in einer Flut aus unterschiedlichsten Emotionen, die auf sie einstürmten. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, und in ihrem Bauch machte sich ein unheilvolles Gefühl breit. Ihr wurde speiübel. Das durfte doch nicht wahr sein! So einen gefährlichen Psychopathen, so ein Monster, konnte man doch nicht mehr freilassen! Nie mehr!
»Wann?«, gelang es ihr mit krächzender Stimme zu fragen.
Oh Gott, ihr war so übel. Sie schlug sich die Hand vor den Mund und schluckte ein paar Mal heftig, um zu vermeiden, auf der Stelle den Inhalt ihres Magens zutage zu fördern.
»In drei Wochen«, erwiderte der Bezirksanwalt grimmig. »Ich habe dem Gericht noch einmal sämtliche Beweise vorgelegt, die ich hatte. Ich habe wirklich alles in meiner Macht Stehende getan, um ihn mit irgendetwas festzunageln – und sei es noch so banal – und zu verhindern, dass er als freier Mann aus dem Gefängnis spaziert, aber mir sind verflucht noch mal die Hände gebunden! Wegen Mordes kann er kein zweites Mal angeklagt werden, und die Hoffnung, dass er wegen Vergewaltigung zur Verantwortung gezogen wird, können wir begraben, weil wir dafür nicht einen einzigen stichhaltigen Beweis haben. Seine Aussage würde gegen Ihre stehen. Alles, was wir zu diesem Zeitpunkt tun können, ist, dass eines seiner Opfer, das einzige überlebende Opfer, nämlich Sie, eine Zivilklage gegen ihn einreicht, die dann hoffentlich Erfolg hat.«
»Du liebe Güte«, sagte Eliza. Sie hatte die Hand fest auf den Mund gepresst, weshalb ihre Stimme gedämpft klang. »Er wird wieder jemanden umbringen. Der Mann hält sich für unbesiegbar, bei Gott. Und dass er in der Lage ist, das System zu schlagen, wird ihn darin nur noch bestärken.«
»Er wird bestimmt auf Rache aus sein und versuchen, Sie zu finden, Miss Caldwell«, erklärte der Anwalt ruhig. »Ich musste Sie einfach anrufen, um Sie zu warnen.«
»Ich hoffe inständig, dass er es tut«, erwiderte sie resolut.
Schon als sie es sagte, schüttelte sie den Kopf. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander, während sie versuchte, sich von ihrem Schreck zu erholen. Nein, zum Teufel, nein. Jetzt war Schluss mit Weglaufen, Verstecken und all jenen Dingen, die Thomas von ihr erwartete. Sicher ging er davon aus, noch das sechzehn Jahre alte, ängstliche Mädchen vorzufinden, das Mädchen, das sich nach Liebe und Anerkennung gesehnt hatte.
Oh nein, sie dachte ja gar nicht daran wegzulaufen, sondern würde den Spieß umdrehen und ihn suchen. Und damit er keine Schwierigkeiten hatte, sie zu finden, würde sie auf ihn warten, wenn man ihn aus dem Gefängnis entließ. Und dann würde sie ihn überwältigen und zur Hölle fahren lassen, wohin er gehörte.
Die Stimme des Staatsanwalts nahm einen äußerst beunruhigten Klang an. »Miss Caldwell, tun Sie nichts, was Sie später vielleicht bereuen. Ich habe Sie angerufen, da Sie ein Recht darauf hatten, es zu erfahren, und damit Sie entsprechende Schutzmaßnahmen treffen können und vorsichtig sind.«
»Mr Barksdale, ich kann Ihnen versichern, dass ich nur bereue, ihn nicht gleich beim ersten Mal fertiggemacht zu haben«, entgegnete sie mit eiskalter Stimme. Von eiserner Entschlossenheit gepackt, kannte sie nur noch ein Vorhaben, ein Ziel. Eines, bei dem sie nicht scheitern würde.
Als sie das Gespräch ohne ein weiteres Wort beendete, bebten ihre Nasenflügel, und sie stellte sich der frostigen Kälte, die in der Sekunde Besitz von ihr ergriffen hatte, als sie den Grund für den Anruf hörte. Sie musste das Gefühlswirrwarr, von dem sie beherrscht wurde, in den Griff bekommen, sonst würde sie noch verrückt werden vor Schmerz – und Schuldgefühlen.
Wie von selbst senkte sich ihr Kopf, und ihre Augen schlossen sich, als unermessliche Qualen sie zu überwältigen drohten. Ein Ruck ging durch ihren Körper, denn sie war nicht bereit, sich der Verzweiflung hinzugeben. Die Justiz hatte Thomas Harringtons Opfer im Stich gelassen. Sie hatte sie im Stich gelassen.
Niemand kannte Thomas so gut wie sie. Niemand wusste von seiner ungeheuren Macht und wie leicht er seine Opfer in seinen Bann zu ziehen vermochte. Sie konnte nichts anderes tun, als selbst für Gerechtigkeit zu sorgen, um so die einzigen Menschen zu beschützen, die ihr etwas bedeuteten. Die einzigen Menschen, die sie in den vergangenen zehn Jahren näher an sich herangelassen hatte. So lange war es her, dass durch ihr Zutun der Mann, den sie mit der ganzen Unschuld eines Teenagers geliebt hatte, hinter Gitter gewandert war, wo er – davon war sie ausgegangen – bis an sein Lebensende bleiben sollte.
Besser, sie hätte ihn gleich selbst umgebracht. Doch naiv, wie sie gewesen war, hatte sie dem System vertraut und geglaubt, dass er für seine Verbrechen büßen würde. Aber eben war sie eines Besseren belehrt worden, und wenn sie ihn nicht aufhielt, würde er wieder töten. Immer und immer wieder.
»Bist du bereit?«, fragte Wade Sterling seine gute, ja, seine vielleicht sogar einzige Freundin Anna-Grace Covington.
Wade, das Sinnbild des einsamen Wolfs. Er scheute engere Beziehungen jeglicher Art, und für Freunde hatte er nur wenig Zeit. Einen Freund zu besitzen, bedeutete für ihn, sich auf ein Maß an Vertrauen einzulassen, das er einem anderen Menschen einfach nicht entgegenbringen konnte. Und ganz gewiss war es nicht blindes Vertrauen gewesen, das ihn zu dem rücksichtslosen, erfolgreichen Geschäftsmann gemacht hatte, der er war.
Dennoch hatte seine selbstauferlegte Regel sich in dem Moment in Luft aufgelöst, als er Anna-Grace begegnet war. Sicher, zu Anfang war sein Interesse an ihr persönlicherer Natur gewesen, doch dann hatte er schon bald herausgefunden, welch unvorstellbare Tragödie dieser verletzlichen, zarten Frau widerfahren war und dass eine Beziehung – eine Liebesbeziehung jedweder Art – das Letzte war, was sie brauchte oder wollte.
Stattdessen hatte sich – und er staunte noch immer, wie viel ehrliche Zuneigung er für sie empfand – eine enge Freundschaft zwischen ihnen entwickelt, und er war zu ihrem einzigen Vertrauten geworden.
Anna-Grace, oder Gracie, wie sie allgemein genannt wurde, obwohl Wade sie bis vor wenigen Monaten nur unter ihrem vollen Namen gekannt und angesprochen hatte, ließ ängstlich den Blick über die perfekt zur Geltung gebrachten Bilder gleiten.
Wade legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie aufmunternd. »Sie werden dich lieben.« Dann, um sie abzulenken und ihr die Panik zu nehmen, fragte er: »Hat Cheryl alles nach deinen Vorstellungen arrangiert?«
Gracie nickte, obwohl sie ihre Werke weiterhin mit nachdenklicher Miene musterte und den Eindruck erweckte, sich vor lauter Aufregung gleich übergeben zu müssen. Wade seufzte. Er drehte sich zu Gracie um und nahm ihre Hände in seine.
»Hör mal, Kleines, glaubst du, bei mir bekäme jeder Möchtegern-Künstler eine Ausstellung in meiner Galerie? Ich weiß, du meinst, sie wäre nur ein Nebengeschäft von mir, dem ich wenig bis gar keine Aufmerksamkeit schenke, aber ich habe eine ganze Menge Zeit und Geld in diese Galerie investiert. Und bevor du jetzt sagst, ich würde diese Ausstellung ja vielleicht nur um unserer Freundschaft willen veranstalten, möchte ich dich daran erinnern, dass wir nur wegen deiner Kunst zu Freunden geworden sind. Ich hatte mich schon für deine Werke interessiert und dein Potenzial als Künstlerin erkannt, bevor ich irgendetwas über dich wusste. Unsere Freundschaft war das Ergebnis deines Talents. Außerdem würde ich – Freundschaft hin, Freundschaft her – nicht so viel Geld in deine Karriere stecken, wäre ich nicht hundertprozentig sicher, dass sich die Investition lohnt. Und wenn ein Mensch wissen sollte, wie skrupellos ich bin, wenn es ums Geschäft geht, dann du.«
Zugegeben, das Joie de Vivre war nur eines von vielen Dingen, mit denen Wade sich befasste. Eines seiner vielen legalen Geschäfte. Aber er hatte nicht gelogen. Er hatte tatsächlich etwas für Kunst übrig. Für gute Kunst. Und Gracie war eine sehr talentierte Künstlerin.
Die beiden hatten sich kennengelernt, als sie mit einem ihrer Werke unter dem Arm in seine Galerie gekommen war. Sie hatte ausgesehen wie jemand, der sich schon vor langer Zeit verirrt hatte. Vielleicht hatte er eine verwandte Seele in ihr erkannt. Beide hätten sie ein Lied von Schmerz, Enttäuschung und geplatzten Träumen singen können. Gracies Geschichte war jedoch schlimmer gewesen als die der meisten anderen.
Als die Ursache all ihrer Qualen urplötzlich in ihr Leben zurückgekommen war, hatte er versucht, sie zu beschützen. Doch mit der Zeit war ihm klar geworden, dass Zack Covington, der jetzt ihr Ehemann war, damals genauso einem Verrat zum Opfer gefallen war wie seine Jugendliebe Gracie. Zack hatte ihren Verlust ein ganzes Jahrzehnt lang betrauert und dabei nie die Suche nach ihr eingestellt. Die beiden hatten größte Widrigkeiten überwunden, und selbst, dass sie wieder zueinanderfanden, war lange Zeit nicht sicher gewesen. Aber jetzt waren sie endlich glücklich verheiratet, und die Vernissage – wäre es nach Wade gegangen, hätte sie längst stattfinden sollen – war auf der Tagesordnung zurück. Und nun blieben nur noch wenige Tage bis zu diesem großen Ereignis.
»Ich erwecke bestimmt den Eindruck, nur Komplimente erhaschen und mich wichtigmachen zu wollen«, sagte Gracie mit einem unglücklichen Seufzen.
Wade legte einen Finger auf ihre Lippen, um jedes weitere Wort zu unterbinden.
»Du bist einer der bescheidensten und ehrlichsten Menschen, die ich kenne, Gracie. Niemand käme auf die Idee, du wärst auf Komplimente aus. Also, wenn du mit der Anordnung der Bilder zufrieden bist, könntest du mir dann vielleicht eine Liste mit den Gästen für den Eröffnungsabend geben? Natürlich soll er nicht ausschließlich geladenen Gästen vorbehalten sein, aber ich habe vor, mehreren potenziellen Käufern, von denen ich glaube, dass sie deine Werke lieben werden, persönliche Einladungen zukommen zu lassen. Selbstverständlich werde ich auch jedem anderen, den du gerne dabei hättest, eine Einladung schicken. Cheryl hat eine Werbeagentur engagiert, mit der wir bereits eine umfangreiche Kampagne gestartet haben; mit Werbeanzeigen in Zeitungen, Magazinen, im Internet und Fernsehen. Ich wage zu behaupten, dass du für großes Aufsehen in der Kunstszene sorgen wirst.«
Das Erstaunen stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, als sie Wades Blick erwiderte. Doch dann zog sie die Nase kraus, und der zweifelnde Ausdruck wurde von einer Miene der Betroffenheit abgelöst.
»Das klingt aber schrecklich teuer, Wade! So etwas könnte ich mir nie leisten.«
Er schüttelte den Kopf und seufzte wieder. »Das nennt man eine Investition, Gracie. Eine, bei der unterm Strich bestimmt ein hübsches Sümmchen für mich übrig bleiben wird, wenn man bedenkt, dass ich die Exklusivrechte an deinen Arbeiten verlange sowie Provision für jedes verkaufte Bild. Siehst du? Täte ich all das hier aus reiner Freundschaft oder für einen wohltätigen Zweck, wäre ich dann so abgebrüht, Exklusivrechte und Provision zu fordern? So wie ich die Sache sehe, wirst du uns beiden einen Haufen Geld einbringen.«
Sie lachte, während sich ein Teil ihrer Anspannung löste. »Vielleicht solltest du auch noch mein Manager werden. Ich habe weiß Gott keine Ahnung, wie man das ganze … Drumherum bewerkstelligt. Sollte mir auch nur ein bescheidener Erfolg vergönnt sein, werde ich nicht den blassesten Schimmer haben, wie ich meine Angelegenheiten regeln soll.«
»Dafür hast du ja mich«, beruhigte er sie. »Du malst, und ich kümmere mich um alles andere. Ich denke, dass wir beidseitig voneinander profitieren. Also, alles, was ich von dir brauche, ist deine Gästeliste, und dann kann’s losgehen. Ich möchte, dass du nach Hause fährst und dieses umwerfende Lächeln übst. Du wirst der absolute Hit. Und mir winken die Lorbeeren dafür, dass ich den nächsten Star am Künstlerhimmel entdeckt habe.«
Sie schaute ihn mit einem leicht abwesenden Blick an. »Viele Leute habe ich ja nicht, und wenn, sind alle von Devereaux. Und da vor allem Eliza.« Wade verkrampfte sich, als er Elizas Namen hörte und die Sorge sah, die noch in derselben Sekunde in Gracies Miene trat. »Glaubst du, sie wird kommen, Wade? Alle machen sich große Sorgen um sie. Sie sollte unbedingt öfter mal rausgehen.«
»Was ist denn mit Eliza?«, wollte Wade wissen, obwohl er nicht der Meinung war, dass sie mehr unternehmen sollte. Wenn überhaupt, gehörte diese Närrin für ein paar Tage ins Haus – um sich auszuruhen, sich zu erholen und die schrecklichen Dinge zu verarbeiten, die sie durchgemacht hatte. Aber nichts da! Sie hatte nämlich nicht die Zeit dazu gehabt, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt gewesen war, den Rest der Welt zu retten. Alles und jeden, nur nicht sich selbst.
Gracies Miene wurde noch unglücklicher. »Genau das weiß ja keiner, aber alle sind besorgt. Sie ist nicht mehr sie selbst. Schon seit einer ganzen Weile nicht, doch besonders in den letzten paar Tagen. Jeder versucht, irgendwie an sie heranzukommen, aber du kennst ja Eliza. Sie schottet sich ab und ist sehr zugeknöpft.«
»Was, bitte schön, erwarten die auch?«, platzte Wade heraus und das lauter, als es seine Absicht gewesen war.
Verdammt. Diese Frau musste noch nicht einmal in der Nähe sein, um ihn aus seiner sonst immer unerschütterlichen Ruhe zu bringen. Er brauchte dringend ein kleines Techtelmechtel und musste sie – vor allem tagsüber – verflixt noch mal aus dem Kopf bekommen. Das Problem war nur, dass er, wenn er sich nach anderen Frauen in der Absicht umsah, sie in sein Bett zu locken, automatisch immer nur … Eliza sah. Und das ging ihm gehörig auf die Nerven. Gracie wich angesichts der Wut in seiner Stimme zurück. Seine heftige Reaktion erschreckte sie sichtlich.
Wades Kiefer zuckte vor Ärger, als er begann, die Dinge, die Eliza widerfahren waren, an den Fingern aufzuzählen.
»Lass mal sehen. Sie wird entführt, gefoltert und fast ertränkt. Sie war so kurz davor zu sterben«, fauchte er und hielt kurz inne, um mit Daumen und Zeigefinger zu veranschaulichen, wie knapp sie dem Tode entronnen war. »Doch statt sich danach auch nur einen einzigen Tag freizunehmen, um sich zu erholen, geht sie gleich wieder zur Arbeit und jagt mit uns die Schweinehunde, die ihr, dir und Ari wehgetan haben. Und wieder wird sie beinahe umgebracht, nur dass die Kugel, die ihr galt, mich erwischt. Was, wenn ich nicht da gewesen wäre? Dann läge sie jetzt unter der Erde. Und, nimmt sie sich danach endlich eine Auszeit? Weit gefehlt. Sie marschiert munter wieder zur Arbeit, als sei nichts geschehen. Und jetzt auf einmal machen sich plötzlich alle Sorgen um sie?«
Er schüttelte den Kopf, während er vor Wut kochte.
»Schläft die Frau überhaupt irgendwann einmal?«, fragte er.
Gracie blinzelte. »I-Ich weiß nicht, Wade. Woher auch?«
»Du kannst doch ihre Gedanken lesen, oder nicht?«
Gracie errötete, worauf sich sofort das schlechte Gewissen bei Wade meldete.
»Es tut mir leid, Gracie«, entschuldigte er sich leise. »Die Frage war vollkommen daneben. Verdammt! Dieses Frauenzimmer treibt mich noch in den Wahnsinn.«
»Natürlich könnte ich ihre Gedanken lesen, aber dafür müsste ich sie wenigstens mal sehen«, erwiderte Gracie ruhig. »Ich habe das Gefühl …«
»Was?«, fragte Wade schroff.
»Ich habe das Gefühl, dass sie mir genau aus diesem Grunde aus dem Weg geht«, erklärte sie mit finsterer Miene. »Denn wenn wir uns zufällig begegnen oder ich ins Büro komme, um Zack zu sehen, und sie auch gerade da ist, findet sie immer schnell einen Vorwand, um zu verschwinden. Das kann ja wohl nur bedeuten, dass sie mir ausweicht, nicht wahr?«
Wade stieß einen unterdrückten Fluch aus. Oh ja. Dieses zänkische Frauenzimmer hatte vermutlich irgendetwas – oder eher eine ganze Menge – zu verbergen. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass sie wahrscheinlich aus dem letzten Loch pfiff und kurz vor dem Zusammenbruch stand. Er hatte nicht übel Lust, ihr aufzulauern und ein bisschen Verstand in sie hineinzuprügeln, und das war sein voller Ernst; nur dass sie bestimmt den Spieß umdrehen und ihm in den Hintern treten würde oder zumindest seine empfindlichsten Teile neu sortierte. Und außerdem war er fertig mit diesem Weibsbild. Sie bedeutete nur Ärger. Großen Ärger. Ja, Wade war fertig mit ihr, mit dem Devereaux Sicherheitsdienst und allem, was mit ihm und dessen Aufträgen zusammenhing. Er hatte auch so schon genug zu tun und konnte definitiv darauf verzichten, auch noch einer unverschämten Frau nachzulaufen, die meinte, die Welt retten zu müssen, während ihm die unglückselige Aufgabe zufiel, sie zu retten.
Undankbare Kreatur. Sie hatte ihn angefaucht, statt auch nur ein Wort darüber zu verlieren, dass er ihr den Hintern gerettet hatte. Nicht ein einziges Wort des Dankes hatte er von ihr zu hören bekommen. Eher eine Abfuhr, ja. Aber Dank? Weit gefehlt. Sein Lohn war, dass er keine andere Frau mehr anschauen konnte, ohne sie zu sehen, und dass er sich nicht mehr vorstellen konnte, mit einer anderen Frau zu schlafen als mit einer kleinen scharfzüngigen, unverschämten, übellaunigen Blondine. Er schnaubte, worauf Gracie ihn mit einem seltsamen Gesichtsausdruck ansah.
»Eliza ist ein Feigling«, erklärte Wade. »Sie wird nicht scharf darauf sein, einen Fuß an einen Ort zu setzen, der mir gehört oder von mir betrieben wird. Seit ihre Kugel mich erwischt hat, findet sie immer einen Grund, um sich zu verziehen, sobald ich auch nur in ihrer Nähe bin.«
»Willkommen im Klub«, erwiderte Gracie, und man merkte ihr an, dass dieses Verhalten sie verletzte.
Jetzt hatte Wade endgültig genug. Eliza würde schon darüber hinwegkommen, was auch immer sie quälte. Egal, welches Geheimnis der kleine Drache meinte vor Gracie wahren zu müssen, sie würde zu der Vernissage kommen. Er würde nicht zulassen, dass irgendetwas oder irgendjemand Gracie ihren großen Abend verdarb.
»Sie wird kommen«, versprach Wade grimmig. »Und wenn ich sie mir über die Schulter werfen und hertragen muss. Sie wird hier sein.«
Gracie sah ihn augenblicklich beunruhigt an. »Ach, Wade, das ist nicht so wichtig. Wirklich. Vielleicht sollten wir Eliza einfach nur für eine Weile in Ruhe lassen, ihr Zeit geben.«
»Keine Angst«, erwiderte Wade mit seidenweicher Stimme. »Ich werd sie schon nicht mit Gewalt zu deiner Vernissage schleifen.« Lügner. »Ich möchte nur ein ganz und gar zivilisiertes Gespräch mit Eliza führen, wenn ich ihr deine Einladung höchstpersönlich überbringe.«
Oder besser gesagt sein Ultimatum. Zum ersten Mal ärgerte er sich nicht, wenn er an eine drohende Konfrontation mit Eliza dachte. Nein, er freute sich darauf, sie zu ärgern. Und das Beste daran? Sie würde sich nicht nur über ihn ärgern – ein ganz auf Gegenseitigkeit beruhendes Gefühl –, sondern auch verdammt genau wissen, dass er nicht bluffte. Und darum bliebe ihr nichts anderes übrig, als freiwillig zu der Veranstaltung zu kommen … oder die entwürdigende Erfahrung zu machen, von Wade dorthin getragen zu werden.
Eliza war klar, dass sie sich seit dem Anruf des Bezirksstaatsanwalts rarmachte. Ihr war außerdem klar, dass sie ihren Kollegen aus dem Weg ging, was nicht besonders klug war, wenn sie nicht wollte, dass diese Vermutungen darüber anstellten oder vielmehr erfuhren, was sie vorhatte – was sie unbedingt tun musste. Doch in Wahrheit konnte sie es nicht ertragen, ihnen gegenüberzutreten. Das schlechte Gewissen war zu ihrem steten Begleiter geworden, wie ein lebendiges Wesen, das atmete und ihr Herz und ihre Seele fest im Griff hatte.
Die Menschen, für die sie arbeitete, verkörperten alles, was gut und richtig war. Zwar handelten sie nicht immer nach den Buchstaben des Gesetzes. Manchmal setzten sie sich auch darüber hinweg, doch letzten Endes wurde der Gerechtigkeit Genüge getan, und war das nicht das Einzige, was zählte?
Einer ihrer Bosse hatte ein Monster unschädlich gemacht, sodass alle gemeint hatten, von ihm würde keine Gefahr mehr ausgehen. Doch das war ein Irrtum gewesen. Mithilfe seiner mentalen Fähigkeiten und weil der Mistkerl bereits eine Verbindung zu Caleb und Ramie hergestellt hatte, war er selbst aus dem Gefängnis heraus in der Lage gewesen, seine Macht auszuüben und so dem Paar das Leben zur Hölle zu machen. Er hatte Caleb dazu benutzt, um Ramie auf grauenvolle Weise wehzutun. Allein die Erinnerung daran drehte Eliza bis heute den Magen um. Calebs einzige Möglichkeit, die unheilvolle Verbindung zu kappen, die ihn und seine Frau mit diesem Kerl verband, hatte darin bestanden, ihn umzubringen. Und das hatte er getan … indem er diesem kranken Hirn eine Kugel verpasst hatte.
Ja, sie hatten die Geschichte ein klein wenig anders dargestellt, hatten dafür gesorgt, dass es so aussah, als hätte Caleb in Notwehr gehandelt. Dafür war diesem Wahnsinnigen eine Waffe, auf der sich keine fremden Fingerabdrücke befanden, in die Hand gedrückt worden, und man hatte seinen Finger an den Abzug gelegt. Legal oder moralisch einwandfrei war es vielleicht nicht gewesen, aber das Richtige.
Das Gleiche galt für ihre Mission. Ihr Vorgehen würde richtig sein, wenn auch vielleicht nicht in den Augen der Öffentlichkeit, der Polizei oder des Justizsystems. Aber was war mit den Frauen, die er gequält und umgebracht hatte? Mit ihren Familien? Mit Eliza? Ja, sie alle fänden es sicher richtig und gerecht. Sie glaubte nicht, dass es die Angehörigen kümmerte, auf welche Weise dieser Mistkerl bezahlte, solange er bezahlte. Allen anderen dürften wohl kaum gewahr sein, welches Monster hinter der Fassade aus angenehmen Umgangsformen und Charme steckte. Aber Eliza kannte ihn besser als sonst jemand. Nur sie kannte das Ausmaß seiner Bösartigkeit, und nur sie vermochte dem ein Ende zu setzen. Möglicherweise machte sie das zu einem nicht minder kranken Wesen als Thomas. Vielleicht konnte das Böse aber auch nur mit Bösem bekämpft werden.
Genau wie ihr hatte man den Familien der Opfer sicherlich schon mitgeteilt, dass Thomas Harrington in Kürze freikäme. Wahrscheinlich machten sie das gleiche Wechselbad der Gefühle durch, welches auch Eliza heimgesucht hatte – und unter dem sie immer noch litt: Verrat, Wut, Sorge, Schmerz. Das überwältigende Gefühl, ihre wäre Unrecht zugefügt worden. Bestimmt hatten sie allesamt den Glauben an das Justizsystem verloren, dessen Pflicht es eigentlich war, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten und diejenigen zu bestrafen, die das Gesetz brachen. Aber all diese Leute waren hilflos, konnten nichts tun, außer von Rache und Vergeltung zu träumen. Von Gerechtigkeit. Eliza hingegen würde dafür sorgen. Eiskalt.
Denn darin unterschied Eliza sich von jenen, die Thomas in ihren finstersten Gedanken vielleicht einen langen und qualvollen Tod wünschten. Sie konnte etwas tun, und sie würde etwas tun, selbst wenn es sie das eigene Leben kostete. In gewisser Weise war sie vor zehn Jahren ohnehin schon gestorben, als ihr ihre Dummheit und unermessliche Naivität klar geworden war. Ihre Leichtgläubigkeit. Sie trug genauso viel Schuld an der Ermordung der Frauen und war darin verwickelt wie Thomas selbst. Nie würde sie sich jene Gräueltaten verzeihen. Ja, sie war gestorben und wiederauferstanden; in der Gestalt einer anderen Frau. Als Eliza Cummings. Sie war zu Eliza geworden und hatte eine neue Chance erhalten, die Chance zu einem Neuanfang. Um es jetzt besser zu machen. Um jenen Schutz zu gewähren, die ihn brauchten. Um jenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die sie aus eigener Kraft nicht einfordern konnten. Und irgendwie hatte sie es geschafft, an ihre neue, aber nicht echte Identität zu glauben. Wie dumm von ihr anzunehmen, dass sie ihre Sünden wiedergutmachen und ihrer Vergangenheit davonlaufen könnte. Man konnte den Tod nur hinauszögern, gänzlich entrinnen konnte man ihm nicht.
In gewisser Weise … Sie hielt wie erstarrt inne, als sich ein bestimmter Gedanke zielstrebig in ihren Kopf stahl. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihre Hände wurden feucht, als sie versuchte, die Tür ihres Wagens zu öffnen. Dann aber wurde ihr bewusst, dass der Gedanke schon seit dem Morgen, an dem sie den Anruf erhalten hatte, da gewesen war. Er hatte sich in dem Moment in ihrem Kopf eingenistet, als sie ihren Entschluss gefasst hatte, nur dass sie sich nicht mit ihm auseinandersetzen wollte, dass sie sich weigerte, ihn auszusprechen, ihn wahrzuhaben, denn er würde sie schwach machen, etwas, was sie nie wieder sein würde. Das hatte sie sich geschworen.
Ja, sie hatte es verdient, mit Thomas zu sterben. Und darauf war sie jetzt vorbereitet. Der Tod war ihre Strafe. Gerechtigkeit bis zur allerletzten Konsequenz. Thomas war der Einzige gewesen, der bezahlt hatte, als er »lebenslänglich« bekam. Sie hatte nicht bezahlt. Aber sie verdiente dieselbe Strafe wie er. Und nun, da sie ihn mit ihrem ganz eigenen Verständnis von Gerechtigkeit zum Tode verurteilt hatte, war es nicht nur wahrscheinlich, dass sie bei der Konfrontation mit Thomas den Tod fand, sondern es war auch genau das, was sie verdiente. Und sie sah ihrem Schicksal mit ruhiger Entschlossenheit entgegen – ohne Angst. Ab sofort würde sie nicht mehr versuchen, mit allen Mitteln das Unausweichliche zu verhindern. Vielleicht fände sie dann so etwas wie Frieden. Und vielleicht wäre Gott ihrer Seele gnädig und vergäbe ihr die Sünden, die sie begangen hatte, als sie noch ein Kind und wehrlos den Einflüsterungen eines älteren, erfahreneren Mannes ausgesetzt gewesen war. Nein, keines Mannes. Eines Psychopathen. Eines Monsters der Art, wie es nur in Albträumen und Horrorfilmen existierte.
Des personifizierten Bösen.
Nur dass er kein Albtraum war. Er war keine Fiktion, keine Figur aus einem Roman oder Film, sondern leider überaus real.
Sie riss die Fahrertür auf, sprang in den Wagen und parkte just in dem Moment rückwärts von ihrem Stellplatz beim Büro des Devereaux Sicherheitsdienstes aus, als sie Dane das Gebäude verlassen sah. Sie vermied es tunlichst, Blickkontakt zu ihm herzustellen, beobachtete aber aus den Augenwinkeln, dass er ihr zuwinkte, um sie zum Anhalten zu bewegen. Wenn sie nicht in seine Richtung schaute, konnte sie hinterher behaupten, ihn gar nicht bemerkt zu haben, wenn er sie fragte – und das würde er ganz gewiss –, warum zum Teufel sie ihn ignoriert hatte.
Oh nein, keine zehn Pferde würden sie dazu bringen anzuhalten. Wenn sie mit Dane sprach, musste sie topfit sein und ihm ihre unbefangenste Miene präsentieren können. Sie gab etwas zu viel Gas, und die Reifen quietschten, als sie förmlich losraste. Kein Zweifel, dass ihr geschätzter Vorgesetzter und Partner – Dane bekleidete viele Positionen bei Devereaux – sie zur Rede stellen wollte, und das war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Sie wusste, dass Dane und die übrigen Kollegen sie schon seit einiger Zeit verstohlen beobachteten, wenn sie der Meinung waren, dass sie es nicht merkte. Alle waren sie hochgradig um sie besorgt, was sie zutiefst bekümmerte und erneut Schuldgefühle in ihr hochkommen ließ. Sie wussten, dass irgendetwas nicht stimmte und dass sie nicht sie selbst war, doch Dane war es natürlich am meisten klar. Sie und Dane waren schon viel zu lange Partner, als dass es ihm entgehen könnte. Und Dane entging verflucht noch mal nichts.
Der Mann hatte eine Art an sich, die andere dazu brachte, sich unbehaglich unter seinem Blick zu winden, ohne dass er dafür auch nur ein einziges Wort sagen musste. Dem würde sie sich auch nicht entziehen können. Er brauchte sie nur anzusehen, dann würde ihre Beichte nur so aus ihr heraussprudeln und er sie daraufhin, wenn es sein musste, einsperren. Auf jeden Fall aber würde er verhindern, dass sie durchführte, was sie mittlerweile als ihre heilige Mission betrachtete. Ihre letzte Mission. Eine Mission, die wichtiger war als alles, was sie je geleistet hatte.
Sie wagte einen Blick in den Rückspiegel und verzog das Gesicht, als sie Dane mitten auf der Ausfahrt stehen und ihr nachdenklich und verwirrt nachblicken sah.
Sie könnte ihm nicht für immer aus dem Weg gehen. Aber bis sie bereit war, bis sie gelassen genug war, um ihrem engsten Vertrauten die größte – die einzige – Lüge aufzutischen, die sie je erzählt hatte, würde sie vor ihm und den anderen weiterhin aus fadenscheinigen Gründen Reißaus nehmen, sobald sie Gefahr lief, mit einem von ihnen allein zu sein.
Nur noch ein paar Tage, versprach sie sich selbst. Ein paar Tage, um die letzten Lücken in ihrem Plan zu schließen, alles zusammenzutragen, was sie brauchte, und Dane ihre ausgeklügelte Lüge zu präsentieren, und dann wäre sie weg.
Sie wurde traurig und schloss eine Sekunde lang die Augen, ehe sie sich in den fließenden Verkehr einfädelte. Es wäre das letzte Mal, dass sie einen von ihnen sähe. Daher hatte sie ihr Gespräch mit Dane gleich im Anschluss ans Meeting zur »Lage der Nation« geplant, das an jedem Ersten des Monats entweder von Caleb Devereaux oder seinem Bruder Beau in den Räumlichkeiten des Sicherheitsdienstes abgehalten wurde.
Dort hätte sie die letzte Gelegenheit, noch einmal all jene Menschen zu sehen, die ihr so wichtig, ja, zu ihrer Familie geworden waren. Menschen, für die sie jeden Tag aufs Neue bis zum Äußersten gehen würde und gegangen war. Menschen, die dasselbe für sie getan hatten. Das Einzige, was sie bedauerte, war, dass sie die Ehefrauen der Devereaux-Brüder sowie Zacks Frau Gracie nicht mehr würde sehen können, ehe sie ging.
Eliza zuckte innerlich zusammen, als sie daran dachte, dass sie Gracies Gefühle mehr als einmal verletzt hatte, indem sie vor ihr Reißaus genommen hatte, sobald sie in ihrer Nähe aufgetaucht war. Ein Verhalten, das auch den anderen Frauen nicht entgangen war. Und Eliza hatte Gracie nun wirklich nicht wehtun wollen.
Gracie war der Inbegriff von Liebenswürdigkeit und hatte in ihrem noch jungen Leben schon so viel erleiden müssen. Eliza war so glücklich gewesen, als Gracie und Zack nach mehr als einem Jahrzehnt der Qualen, unter denen Gracie noch mehr als Zack gelitten hatte, am Ende wieder zueinandergefunden hatten. Die Frauen waren Eliza sehr ans Herz gewachsen. Ramie, Ari und Gracie. Und nicht zu vergessen Tori Devereaux – Calebs, Beaus und Quinns kleine Schwester, der, wie den anderen Frauen auch, gewaltiges Leid durch die Hand eines Wahnsinnigen widerfahren war. Dieser Serienkiller hatte sie auf brutalste Weise misshandelt, was sie bis heute noch nicht überwunden hatte. Vielleicht würde ihr das auch nie gelingen. Eliza könnte es ihr nicht verdenken.
Wäre es Caleb nicht gelungen, Ramie, eine junge Frau mit übernatürlichen Kräften, aufzuspüren und ihr keine andere Wahl zu lassen, als ihm bei der Suche nach seiner Schwester zu helfen, hätten sie Tori nicht rechtzeitig befreien können und sie verloren.
Jede der Frauen besaß außergewöhnliche Kräfte. Tori konnte künftige Ereignisse sehen, obwohl ihre Gabe im Vergleich zu den anderen nicht so stark ausgeprägt war und sich auch nicht steuern ließ. Ihre Fähigkeit war mehr ein Fluch als ein Segen und zeigte sich nur in Form von plötzlichen Bildern. Und da ihr diese Visionen nicht genügend Erkenntnisse über das drohende Unheil lieferten, hatte sie keine Möglichkeit, es zu verhindern oder gar die Menschen zu warnen, die in Gefahr schwebten. Das machte ihr schwer zu schaffen. Ramie war in der Lage, genau die Art von Monster ausfindig zu machen, mit der Eliza sich nun konfrontiert sah. Doch Eliza würde es nie auf ein Kräftemessen zwischen Ramie und einem Mann ankommen lassen, der vermutlich genauso große übersinnliche Fähigkeiten besaß wie Ramie. Ari wiederum verfügte über enorme telepathische Kräfte, deren ganzes Ausmaß noch gar nicht erforscht war. Sie wurde von Mal zu Mal stärker und würde nicht mehr aufzuhalten sein, sobald sie erst gelernt hatte, ihre Fähigkeit vollständig zu beherrschen. Und Gracie … Eliza zuckte wieder zusammen, denn es waren nicht die anderen beiden, denen sie auf Teufel komm raus aus dem Weg ging. Nein, es war Gracie, weil Gracie in der Lage war, Gedanken zu lesen, und Eliza es nicht riskieren konnte, in ihrer Nähe zu sein. Denn wenn Zacks Frau Einblick in Elizas Gedanken bekäme, wäre alles vorbei, und das durfte sie nicht zulassen.
Eliza fuhr tief in Gedanken versunken in Richtung ihrer Wohnung und legte noch einen kurzen Stopp bei einem Schnellrestaurant ein, um sich etwas zum Mittagessen zu holen, obwohl ihr der Sinn überhaupt nicht nach Essen stand. Aber sie musste bei Kräften bleiben. Denn wenn sie Thomas gegenübertrat, konnte sie sich nicht die geringste Schwäche erlauben. Weder in körperlicher noch emotionaler Hinsicht.
Ohne einen Bissen des auf dem Beifahrersitz liegenden Essens verzehrt zu haben, bog sie auf ihren Parkplatz ein. Ihre ohnehin nicht besonders gute Laune verschlechterte sich noch, als sie das neben ihr stehende teure Auto und den Mann sah, der dort auf lässig-arrogante Weise an der Motorhaube lehnte.
Was zum Teufel hatte Wade Sterling hier verloren?
Ohne auch nur noch einen Gedanken an das Essen zu verschwenden, stieg sie aus und knallte die Tür übertrieben fest zu, während ihre Miene sich verfinsterte. Zu ihrem Verdruss hatte Wade nur ein Grinsen für sie übrig, und seine Augen funkelten amüsiert, als er sah, wie sie auf seine Anwesenheit reagierte.
Nachdem sie beschlossen hatte, ihn lieber links liegen zu lassen, statt ihn zu fragen, was er hier wollte, packte sie ihre Schlüssel und stapfte los, um wortlos an ihm vorüberzugehen. Ihre »freundliche« Miene würde ihm schon hinreichend verdeutlichen, was sie von seiner Anwesenheit hielt.
Sie zuckte vor Schreck zusammen, als sie – fast schon an ihm vorbei – plötzlich am Arm gepackt und festgehalten wurde. Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen, und sie fuhr mit einem wütenden Knurren zu ihm herum.
»Was zum Teufel ist Ihr Problem, Sterling? Lassen Sie mich gefälligst los. Sofort!«
»Bedankt man sich so bei dem Mann, der Ihnen das Leben gerettet hat?«, fragte er gedehnt.
Sie hätte am liebsten geschrien. Niemand, und damit meinte sie wirklich niemand, versetzte sie so sehr in Rage wie dieser Kerl. Allein seine Anwesenheit reichte aus, um sie auf die Palme zu treiben. Er brauchte nur den Mund aufzumachen, und schon war sie auf hundertachtzig. Und dann immer dieser arrogante Zug um seine Lippen, dieses ganze grässliche Alphamann-Gehabe, diese Selbstgefälligkeit. Sie konnte gar nicht sagen, welche dieser Eigenschaften sie am meisten aufregte.
Sie knurrte ihn förmlich an. Oder vielmehr war es eine Mischung aus einem gefährlich klingenden Fauchen und einem kehligen Laut der Verdrossenheit. Sie war drauf und dran, etwas höchst Kindisches zu tun, etwas, das Eliza ganz und gar nicht ähnlich sah, wie mit dem Fuß aufzustampfen, sich die Haare zu raufen oder richtig auszurasten. Herrje, sie hatte heute einfach nicht die Zeit für so einen Mist! Seit dem Vorfall, den er gerade angedeutet hatte, waren sie sich – gegenseitig – ziemlich erfolgreich aus dem Weg gegangen. Einem Vorfall, den Eliza lieber ganz aus ihrem Gedächtnis streichen wollte, einem Vorfall, der ihr den Hintern gerettet hatte, das Leben! Wäre er gar nicht erst mitgekommen und sie nicht so verdammt beschäftigt damit gewesen aufzupassen, dass seinem blöden Zivilistenhintern nichts passierte, dann wäre sie nie um ein Haar von einer tödlichen Kugel erwischt worden – einer Kugel, die er für sie abgefangen hatte. Und es brachte sie richtig in Rage, dass er offensichtlich der Meinung war, sie müsste ihm auf Knien danken für etwas, das er sich selbst zuzuschreiben hatte! Sie waren sich doch so wunderbar aus dem Weg gegangen, was also machte er hier? Warum war er gekommen?
Natürlich hatte sich die eine oder andere Begegnung zwischen ihnen nicht vermeiden lassen. Auf der Hochzeit von Zack und Gracie zum Beispiel. Und bei diesen wenigen Gelegenheiten hatte Sterling sie erbarmungslos getriezt. Zuerst hatte er sie einen Hasenfuß genannt und ihr vorgeworfen, sich vor ihm zu verstecken. Dann hatte er sie aufs Höchste erbost, indem er sie während des Empfangs um einen Tanz »gebeten« hatte, und zwar als sie gerade bei Zack und Gracie stand, um den beiden alles Gute für die Zukunft zu wünschen und danach sofort dem vor Glückseligkeit und Kitsch nur so strotzenden Liebesfest zu entfliehen. Die dort herrschende Stimmung schien nämlich noch mehr angesteckt zu haben als nur das frisch vermählte Ehepaar. Doch in der Situation hatte sie natürlich keine Chance gehabt, ihm auf charmante – oder uncharmante – Weise einen Korb zu geben; denn Gracie hatte sich geradezu entzückt gezeigt und zu Eliza gesagt, dass sie natürlich mit Wade tanzen müsse, da sie und Wade schließlich zwei der ihr wichtigsten Menschen auf der ganzen Welt seien.
Eliza hatte innerlich gestöhnt, weil dieser boshafte Kerl sie gründlich ausgetrickst hatte. Er hatte alles von vornherein geplant und war in voller Absicht in dem Moment an sie herangetreten, als sie ihm, wie er ganz genau gewusst hatte, nicht sagen konnte, wohin er sich seinen Tanz stecken sollte. Worte, mit denen sie die meisten Gäste sicher schockiert und die strahlende Braut in Verlegenheit gebracht hätte. Doch während des Tanzes hatte sie sich nicht davon abhalten lassen, ihn nun ihrerseits zu triezen. Allerdings war er nicht auf ihren Sarkasmus oder ihre Beleidigungen und Provokationsversuche eingegangen. Er hatte sie stattdessen mit blasierter Belustigung angestarrt und sie mit viel zu wissender Miene gemustert. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, hatte er eine viel engere Tanzhaltung eingenommen als nötig und es so aussehen lassen, als wären sie miteinander verwachsen, als würden sie es mitten auf der Tanzfläche miteinander treiben. Um die fast unerträgliche Situation irgendwie zu überstehen, hatte sie sich mindestens ein Dutzend unterschiedlicher Möglichkeiten vorgestellt, ihn seiner edelsten Teile zu berauben.
Als wäre ein ganzes Rudel Höllenhunde hinter ihr her, war sie von der Tanzfläche geflohen. Aber sie war nicht schnell genug gewesen – sie hatte noch sein herzhaftes Lachen gehört und wie er »Hasenfuß« rief. Ein Ausdruck, mit dem er sich allmählich auf sie einzuschießen schien und den er ihr an dem Abend schon zum zweiten Mal an den Kopf geworfen hatte.
Und nun, da sie anscheinend in einer Sackgasse steckten, in der sie ihn mit vernichtenden Blicken bombardierte und er sich über sie zu amüsieren schien, gewannen die Bilder seiner Kastration, die ihr während des gemeinsamen Tanzes in den Sinn gekommen waren, an neuem Reiz.
Sterling bemühte sich nicht einmal, sein Grinsen zu verbergen, als sie nur ein Knurren für ihn übrighatte. Seine Augen funkelten, und dann verwandelte sein Grinsen sich in ein ehrliches, glaubwürdiges Lächeln. Sie starrte ihn an und vergaß für einen Moment, wie wütend sie auf ihn war. Die Veränderung seiner Gesichtszüge haute sie um. Er lächelte nie. Nicht richtig jedenfalls. Er zeigte immer nur so eine Art Halblächeln, das mehr einem Grinsen oder manchmal auch einer Grimasse ähnelte, je nachdem, wie er gelaunt war. Aber er hatte noch nie – zumindest nicht in ihrer Gegenwart – dieses dermaßen gewinnende Lächeln gezeigt, das sich vom Mund bis zu den Augen erstreckte. Gütiger Himmel, was für ein … verführerischer Anblick. Fast hätte ihr der verräterische Gedanke ein Stöhnen entlockt. Verführerisch? Sie war wohl nicht ganz bei Trost. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich selbst.
Mit einer Mischung aus Verwirrung und weiblicher Faszination starrte sie ihn wie gebannt an, wie verzaubert von dem umwerfenden Anblick, den er mit seinem Eine-Million-Megawatt-Lächeln bot. Heiliger Bimbam, jetzt konnte sie verstehen, warum es ihm nie an weiblicher Gesellschaft mangelte. Gracie hatte ihr erzählt, sie habe irgendwann damit aufgehört, die Frauen zu zählen, die episodenartig in seinem Leben auftauchten, seitdem sie und Sterling darin übereingekommen waren, es bei einer reinen Freundschaft zwischen ihnen zu belassen.
Zuerst hatte Eliza sie missverstanden und den Mann für ein ausgesprochenes Scheusal gehalten, bei dem es keine Frau lange aushielt. Dieser Gedanke hatte ihr außerordentlich gefallen und sich bei ihr festgesetzt, bis Gracie ihn wie eine Blase platzen ließ, indem sie ihr verriet, dass er sich immer nur wenige Male mit derselben Frau verabredete, ehe er sich von ihr trennte und der nächsten widmete. Männer! Er hatte also wohl nur eines im Sinn. Aber wen wunderte es – ein Mann seines Aussehens und Vermögens konnte es sich leisten, wählerisch zu sein. Die Damenwelt flog auf diesen knallharten Typen, diesen Bad Boy, diese etwas zwielichtige Gestalt und die Gefahr, die aus seinem Blick sprach und ihn umgab wie eine zweite Haut, etwas, wofür Eliza nur ein Naserümpfen übrighatte.
Der Mann war höchst undurchsichtig. Als er wegen eines Auftrags an den Devereaux Sicherheitsdienst herangetreten war, hatte sie ein paar Erkundigungen über ihn eingeholt und war zu dem Schluss gekommen, dass »grundehrlich« eine Eigenschaft war, die auf seine Person nicht zutraf. Sie war der Meinung gewesen, dass er Dreck am Stecken hätte, und war mit dieser Information zu Zack gegangen. Das Problem dabei war, dass sie keine handfesten Beweise dafür vorbringen konnte und sich deshalb nur auf Ungereimtheiten und Mutmaßungen stützte – und ihr Bauchgefühl, das sie niemals ignorierte.
Doch genau diese Eigenschaften von Wade sprachen wahrscheinlich jenen Teil der weiblichen Bevölkerung an, der nicht gerade mit Intelligenz gesegnet, dafür aber oberflächlich genug war, um sich für nichts anderes zu interessieren als für gutes Aussehen, einen Haufen Kohle – was vermutlich die größte Anziehungskraft ausübte – und für die ihn stets umgebende düstere, gefährliche Aura. Wen interessierte es da, ob er niedliche Hunde- oder Katzenbabys oder gar Menschen umbrachte, solange er reich, attraktiv und gut im Bett war? Vor Wut hätte sie fast die Zähne gefletscht, doch dann besann sie sich wieder darauf, den attraktiven, reichen Widerling loszuwerden.
»Verraten Sie mir, was Sie so lustig finden?«, fragte Eliza herablassend. Nicht in einer Million Jahren würde sie zugeben oder jemandem anvertrauen, wie sehr sie dieses Lächeln durcheinandergebracht oder welche Fantasien es ihr für einen Moment entlockt hatte.
Trotzdem war sie enttäuscht, als das Lächeln wieder dem gewohnten spöttischen Zucken um seine Mundwinkel wich, was ihr verriet, dass er sich auf den Gegenangriff vorbereitete, um mit denselben Beleidigungen, Sticheleien und Zurechtweisungen zu kontern, mit denen sie immer auf ihn losging. Nun ja, wo bliebe auch der Spaß, täte er es nicht? Sie hätte es wirklich bedauert, hätte er sich jetzt in seinen zarten Gefühlen oder seinem männlichen Stolz verletzt gezeigt. Ihn zu reizen war das einzige Vergnügen, das sie dieser Tage hatte. Wenn er sich wie ein arroganter Schnösel aufführte, fiel es ihr außerdem nicht nur leichter, ihn zu verabscheuen, sondern sie fing auch nicht an, sich – wie ein verflixtes Schulmädchen – vorzustellen, von diesen köstlichen Lippen zu kosten.
Und dann rief sie sich in Erinnerung, dass sie keine Zeit für derartigen Spaß oder jugendliche Fantasien hatte. Waren es nicht genau diese Dinge gewesen, die sie vor all den Jahren ins Unglück gestürzt hatten? Wie hatten ihre Gedanken abschweifen können, wenn doch ihr Fokus, ihre Konzentration und Gedanken einzig und allein der wichtigsten Mission ihres Lebens gehören sollten?
Sterling kniff plötzlich die Augen zusammen, und noch ehe sie wusste, wie ihr geschah, lag seine Hand an ihrem Kinn. Er drehte ihr Gesicht zu sich um und musterte sie durchdringend mit forschendem Blick, bis sie das Gefühl hatte, nackt und höchst verwundbar vor ihm zu stehen.
»Woran zur Hölle haben Sie gerade gedacht?«, wollte er wissen. »Und sagen Sie jetzt nicht an mich, Eliza. Das würde ich Ihnen nämlich nicht abnehmen. Das wissen Sie ganz genau. Sie lieben es, mich zu reizen, mir Beleidigungen an den Kopf zu werfen und mir mit aller Macht weiszumachen zu wollen, dass Sie kein Interesse an mir haben, was, wie wir beide wissen, nicht stimmt. Was Ihnen auch gerade durch den Kopf gegangen ist, es war alles andere als angenehm. Sie sind kreidebleich geworden, und Ihr sonst feuriger Blick sprühte keine Funken mehr, sondern wurde finster und trüb. Außerdem sackten Ihre Schultern ein Stück nach unten, wo Sie doch sonst das Selbstvertrauen in Person sind. Ihr Rücken ist immer gerade, Ihre Schultern sind immer straff, und Sie senken den Blick vor niemandem. Und dennoch haben Sie all das gerade getan. Was zum Teufel ist nur mit Ihnen los?«
Sie starrte ihn staunend an und wusste nicht, welche seiner absurden Feststellungen sie zuerst widerlegen sollte. Auf seine ganz eigene Art hatte er ihr soeben ein Kompliment gemacht – soweit Sterling einem anderen Menschen überhaupt ein Kompliment machen konnte. Zumindest hielt sie das, was er gesagt hatte, dafür. Immerhin war sein Blick beim Aufzählen ihrer Attribute frei von Verachtung oder sonstigen Anzeichen von Missbilligung gewesen. Er hatte sie ganz … sachlich beschrieben.
Sie vergegenwärtigte sich noch einmal all den Quatsch, den er abgelassen hatte – ja, es war Quatsch –, und lief in einer Mischung aus Wut und höchster Verlegenheit puterrot an, als sie zum wichtigsten Punkt kam, dem Punkt, in dem dieser arrogante Mistkerl sich am meisten irrte.
Sie regte sich furchtbar auf und stach ihm mit spitzem Finger in die Brust, womit sie ihn einen Schritt zurücktrieb, ehe er sich wieder fasste. Dann wischte er ihren Finger einfach beiseite, verschränkte die muskulösen Arme vor der nicht minder muskulösen Brust und betrachtete sie, wobei er die Lippen zusammenpresste, als würde er gleich anfangen zu …
»Wagen Sie es bloß nicht zu lachen!«, herrschte sie ihn an. »Und was Ihre Behauptung betrifft, ich hätte Interesse an Ihnen! Ich will Ihnen mal was sagen, Sterling. Eine Frau, die Interesse an Ihnen hat, sagt nicht ›Hauen Sie ab‹ zur Begrüßung. Sie beleidigt Sie auch nicht ständig oder geht Ihnen aus dem Weg, weil Sie ihr tierisch auf den Wecker fallen. Kapieren Sie’s endlich. Ich will überhaupt nichts von Ihnen und wünschte mir, Sie wären nicht hier. Was mich zu der Frage bringt, warum sind Sie eigentlich hier? Dass wir uns aus dem Weg gehen, beruht doch auf Gegenseitigkeit. Ich mache einen Bogen um Sie, Sie machen einen Bogen um mich. Ich dachte, wir wären uns einig, dass wir uns nicht ausstehen können. Keiner von uns möchte im selben Raum mit dem anderen sein, eine Regelung, die mir sehr gut gefällt. Also erzählen Sie mir nicht, wir wüssten nicht beide, es sei gelogen, dass ich kein Interesse an Ihnen habe!«
Sie stach ihm knapp oberhalb der verschränkten Armen in die steinharte Brust und betonte jedes folgende Wort mit einem weiteren Stich.
»Ich.« Piks. »Will.« Piks. »Sie.« Piks. »Nie.« Piks. »Niemals wiedersehen!« Beim letzten Wort ballte sie die Hand zur Faust und bekräftigte es mit einem Boxhieb.
Sterling warf den Kopf in den Nacken und lachte. Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie der Anblick, der sich ihr bot, verzauberte. Sterlings Lächeln, ein aus tiefstem Herzen kommendes Lächeln, hatte sie bereits umgehauen. Aber sein Lachen? Ihn lächeln und lachen zu sehen, war wirklich wunderschön. Er war wunderschön.
»Reden Sie sich das von mir aus weiter ein, Eliza«, sagte er, und dabei funkelten seine Augen noch immer vor Lachen. »Wenn Sie Ihre Lügen nur oft genug wiederholen, glauben Sie sie am Ende vielleicht sogar.«
»Ach, zum Teufel mit Ihnen«, brummte sie, wobei sie auf dem Absatz kehrtmachte, um an ihm vorbeizustapfen und ihn so endlich loszuwerden.
Doch er packte sie wieder am Arm, wenn auch diesmal mit sanfterem Griff. Sanfter, doch nicht weniger entschlossen. Sein Daumen fuhr zärtlich über die nackte Haut unter dem Ärmel ihres T-Shirts – eine sanfte Liebkosung mit einer seltsam albernen Wirkung auf ihren Herzschlag. Sie versuchte sich loszureißen, was aber nur zur Folge hatte, dass sein Griff wieder fester wurde – nicht so grob, dass er womöglich blaue Flecken hinterließ, aber fest genug, damit sie sich nicht befreien konnte.
Sie starrte ihn schweigend an, ehe sie den Blick demonstrativ auf ihren Arm sinken ließ. Entweder war der Kerl nur begriffsstutzig, oder er wollte sie einfach nicht verstehen.
»Heute Abend findet Gracies Vernissage statt. Darf ich davon ausgehen, Sie dort zu sehen?«
Das war keine Frage. Seine Worte kamen einer Frage oder höflichen Bitte noch nicht einmal nahe. Nein, er hatte einen Befehl ausgesprochen, und Befehle ließ Eliza sich nicht gern erteilen. Nicht einmal Dane ließ sich dazu hinreißen, und der war ihr Partner und so etwas wie ihr Boss.
»Da habe ich leider schon einen anderen Termin«, erwiderte sie mit zuckersüßer Stimme. »Einen sehr wichtigen, den ich nicht verschieben kann. Beruflicher Natur. Ich bin sicher, dass Gracie dafür Verständnis hat.«
Allein Sterlings Anwesenheit bei der Ausstellung reichte ihr als Grund für eine Absage, aber dann auch noch das Wissen, dass Gracie Gedanken lesen konnte? Nie im Leben käme sie auf die Idee, sich in der Galerie blicken zu lassen.
Sterlings Miene erstarrte plötzlich zu Stein, während sein Blick gefror und jeder Anflug von Erheiterung und Lachen verschwand – genau wie sein Lächeln. »Damit wir uns nicht missverstehen, Eliza. Sie werden heute Abend da sein, und wenn ich Sie mir über die Schulter werfen und hintragen muss, wobei Sie von mir aus so viel fluchen und drohen können, wie Sie wollen. Diese Vernissage bedeutet Gracie alles. Und alles, was sie sich wünscht, ist die Unterstützung derer, die ihr am Herzen liegen und von denen sie glaubt, dass es umgekehrt genauso ist. Was auch immer Sie plötzlich gegen Gracie haben – sorgen Sie gefälligst dafür, dass sie nichts davon merkt. Es wird sie sehr treffen, wenn Sie nicht kommen, und ich lasse nicht zu, dass Gracie jemals wieder wehgetan wird. Haben wir uns verstanden?«
Eliza sah ihn entsetzt an. »Wie kommen Sie denn darauf, dass ich etwas gegen Gracie habe? Ich liebe sie von ganzem Herzen. Was bringt Sie nur auf die absurde Idee, dass ich ein Problem mit ihr hätte? Dass ich nicht zu ihrer Ausstellung kommen kann, heißt doch nicht, dass ich sie nicht gern habe. Ich komme deshalb nicht, weil ich nicht kommen kann. Ich habe heute Abend wirklich etwas sehr Wichtiges zu tun. Etwas, das ich einfach nicht verschieben kann.«
Sterling zuckte mit den Achseln. »Dann schlage ich vor, dass Sie sich überlegen, wie Sie genau das hinbekommen – das Verschieben. Sie können sich nicht vor mir verstecken, Eliza. Und wenn Sie glauben, ich hätte nur eine leere Drohung ausgestoßen und gar nicht die Absicht, sie wahrzumachen, dann sollten Sie mich mittlerweile gut genug kennen. Ich werde Sie finden und zu dieser Ausstellung bringen, und zwar ganz egal, was Sie gerade anhaben. Wollen Sie meinen Rat hören? Machen Sie sich schick, seien Sie pünktlich, zaubern Sie sich ein Lächeln auf Ihr hübsches Gesicht und tun Sie zumindest so, als hätten Sie Spaß und würden die Frau unterstützen, die Sie ihre Freundin nennt.«
»Was gibt Ihnen das Recht, über mein Leben zu bestimmen?«, fauchte sie zurück. »Ich bin doch keine von Ihren kleinen Miezen, die für Sie mit den Wimpern klimpert und sich von Ihnen herumkommandieren lässt.«
Er lachte ein Mal kurz auf. »Man müsste schon ein Narr sein, um Sie für eine unsichere, ängstliche, unterwürfige Frau ohne Verstand und eigenen Willen zu halten. Trotzdem – fordern Sie mich lieber nicht heraus, Eliza«, warnte er sie mit drohender Miene und bitterem Ernst in der Stimme. Er durchbohrte sie förmlich mit seinem Blick, und das mulmige Gefühl in ihrem Bauch nahm zu, bis es sich in aufkommende Panik verwandelte.
»Oh Gott, Sie bluffen ja gar nicht«, hauchte sie entsetzt.
»Darauf können Sie Ihren süßen Arsch verwetten«, bestätigte er mit schmalen Augen. »Habe ich je geblufft, Eliza? Habe ich je ein Versprechen gebrochen? Je den Kurs verlassen, den zu verfolgen ich geschworen habe? Jemals nicht in die Tat umgesetzt, was ich angekündigt habe?«
»Nein«, erwiderte sie mit schwacher Stimme und wurde von einer Vorahnung drohenden Unheils erfasst.
Sie wäre am liebsten losgerannt, um sich in ihrer Wohnung zu verkriechen, und sie war beileibe kein Mensch, der sich vor irgendetwas versteckte. Sie stellte sich ihren Problemen, ihren Ängsten, und lief nie vor ihnen davon. Aber Wade Sterling war ein Problem, das so ganz anders war als alle, die sie je hatte bewältigen müssen. Und wenn sie eins über diesen Quälgeist wusste, der es immer wieder schaffte, sie auf die Palme zu treiben, dann, dass er jetzt nicht einfach gehen würde. Er war es einfach nicht gewohnt, ein Nein als Antwort zu hören, es gehörte einfach nicht zu seinem Wortschatz – zumindest nicht seinem passiven; denn er selbst war durchaus in der Lage, dieses Wort zu benutzen.
Wenn sie sich heute Abend also nicht im Mittelpunkt einer sehr hässlichen, überaus peinlichen und demütigenden Szene sehen wollte, musste sie ein Kleid und passende Schuhe auftreiben, und zwar ganz schnell.
Wie zum Beweis, dass der Mann entweder eine ureigene Art des Gedankenlesens beherrschte oder äußerst feinfühlig war, zeigte er plötzlich wieder das süffisante Grinsen, das ihr weitaus vertrauter war als das strahlende Lächeln von vor wenigen Minuten.
»Ich war so frei, ein dem Anlass entsprechendes Kleid, Schuhe und sämtliche Accessoires zu bestellen. Die Sachen dürften in der nächsten Stunde zu Ihnen nach Hause geliefert werden. Und falls Sie mir die Bemerkung erlauben, Eliza, Sie werden umwerfend aussehen in dem, was ich für Sie ausgesucht habe.«
Nur um der Überzeugung ihrer Kollegen, dass mit ihr irgendetwas nicht stimmte – einer Ansicht, die sie übrigens nicht teilte und auch nie teilen würde –, nicht auch noch Vorschub zu leisten, legte Eliza zähneknirschend Kleid, Schuhe und Accessoires an, die ihr wie angekündigt nach Hause geliefert worden waren. Sie machte sich fertig für das, was sie jetzt schon als den »Abend in der Hölle« bezeichnete. Das jedenfalls redete sie sich ein, obwohl sie sich gleichzeitig eingestehen musste, dass ihr weibliches Ego durch Sterlings Prophezeiung, sie würde in dem, was er für sie ausgesucht hatte, fantastisch aussehen, gerade ein paar Streicheleinheiten bekommen hatte. Seiner Bemerkung hatte die sonst typische Arroganz gefehlt. Nein, sein Blick war feurig und sein Ton vollkommen ernst gewesen, und schlimmer noch hatte er den Eindruck gemacht, sich für das Ergebnis seines Werkes zu interessieren und es kaum erwarten zu können, es zu sehen. Obwohl sie den Mann verabscheute, waren ihr die untrüglichen Zeichen männlicher Anerkennung und Begierde in seinem Blick nicht entgangen. Und nun juckte es ihr wie einem verflixten Schulmädchen in den Fingern, ihn noch weiter mit dem zu reizen, wovon er nie kosten würde. Und darum hatte sie nicht nur das prachtvolle, irrsinnig teure Kleid angezogen – ohne BH, weil ihr danach war –, sondern sich obendrein besonders viel Mühe mit ihrer Frisur und ihrem Make-up gegeben. Und das widerte sie an, da sie sich ganz bestimmt nicht anmerken lassen wollte, wie viel Mühe sie sich gegeben hatte, um gut auszusehen. Für ihn. Denn ihr Aussehen war ihr nicht nur immer schnurzpiepegal gewesen, sie hatte auch keine Vorstellung von dem, was ihr stand, was wiederum Sterling gemeint hatte zu wissen. Und da er sich die Freiheit herausgenommen hatte, die Garderobe für sie auszuwählen, würde er heute Abend wohl kaum etwas an ihrem Äußeren auszusetzen zu haben. Sie hoffte nur, weder ihm noch Gracie über den Weg zu laufen, wenn sie sich kurz bei der Vernissage blicken ließ und dann so unauffällig wie möglich wieder verschwand.
Herrje, wie konnte sie nur so dumm sein, überhaupt in Erwägung zu ziehen, Wade Sterling ein bisschen Bescheidenheit zu lehren und seine scharfe Zunge zum Schweigen zu bringen. Sie hatte gar keine Zeit für diese Art von Spielchen. Sie wollte weder Sterling noch andere Männer mit diesem verdammten Kleid bezirzen, um ihnen anschließend die kalte Schulter zu zeigen. Oje! An die »anderen Männer« hatte sie in diesem Zusammenhang noch gar nicht gedacht. Nicht dass sie sich Sorgen machen müsste wegen der Männer, mit denen sie zusammenarbeitete. Für sie war sie eine von ihnen, eine Kollegin, ein Kumpel. Aber keiner würde sie noch so sehen, wenn sie in diesem verführerischen Fummel auftauchte.
Ein leichtes Kribbeln kroch ihr über den Nacken, und sie wunderte sich über ihr plötzliches und höchst unliebsames Bedürfnis, nur ein einziges Mal, nur einen Abend lang, nicht nur ein Kumpel sein zu wollen. Sie war eine Frau, auch wenn sie sich nach dem Desaster mit Thomas gescheut hatte, ihre Weiblichkeit in vollem Umfang auszuleben. Und ausgerechnet jetzt, wo er in Kürze wieder draußen wäre und man ihn auf unglückliche Frauen losließe, die ihm als Nächstes zum Opfer fallen würden, da wollte sie plötzlich all das, was er ihr vorenthalten hatte? Sie musste ja vollkommen verrückt sein.
Ihr erstes Mal war längst überfällig und sollte schon lange abgehakt sein. Aber Thomas Harrington übte selbst aus dem Gefängnis heraus noch so viel Macht auf sie aus wie in Zeiten, als er noch ein freier Mann gewesen war, und dieser Umstand ärgerte sie am meisten.
Eliza näherte sich dem Joie de Vivre, der Galerie, die im, wie sie es nannte, »protzigen« Abschnitt der Westheimer Road lag. Alles hier – jedes Geschäft, ja, jedes Gebäude – sah so neu und prächtig aus, dass es förmlich Reichtum, Macht und Einfluss schrie. Mit anderen Worten Protz. Auf jeden Fall war das hier kein Ort, an den sie gehörte.