Sommernachtsgeflüster - Katie Fforde - E-Book
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Sommernachtsgeflüster E-Book

Katie Fforde

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Beschreibung

Theas Leben ist in einer Sackgasse angelangt, und so macht sie kurz entschlossen Urlaub am Meer, um wieder zu sich zu finden. Dort lernt sie den charmanten Künstler Rory kennen, in den sie sich augenblicklich verliebt. Doch ihr bisheriges Leben holt sie wieder ein, und zwar in Gestalt des geheimnisvollen Ben, der folgenreiche Nachrichten für Thea hat ...

Ein beschwingtes Verwirrspiel voller romantischer Überraschungen, von Bestsellerautorin Katie Fforde.

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Seitenzahl: 500

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Danksagung

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Über das Buch

Theas Leben ist in einer Sackgasse angelangt, und so macht sie kurz entschlossen Urlaub am Meer, um wieder zu sich zu finden. Dort lernt sie den charmanten Künstler Rory kennen, in den sie sich augenblicklich verliebt. Doch ihr bisheriges Leben holt sie wieder ein, und zwar in Gestalt des geheimnisvollen Ben, der folgenreiche Nachrichten für Thea hat …

Über die Autorin

Katie Fforde hat bereits zahlreiche Romane veröffentlicht, die in Großbritannien allesamt Bestseller waren. Ihre romantischen Beziehungsgeschichten werden erfolgreich für die ZDF-Sonntagsserie "Herzkino" verfilmt. Katie Fforde lebt mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England.

Offizielle Website: http://www.katiefforde.com/

Katie Fforde

Sommernachtsgeflüster

Aus dem Englischen vonMichaela Link

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Titel der englischen Originalausgabe: Artistic Licence

© 2001 by Katie Fforde

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2003/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Kozhadub Sergei | GlennV; © iStockphoto: Santorines

eBook-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4812-5

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Danksagung

Ich danke der Fotografin Sue Wilson, meiner Reisegefährtin und Schriftstellerin Gilli Allan (die weder herrschsüchtig ist noch schnarcht) sowie Jane und Alan Ford für die Idee. Pam und Julian Swindell mein Dank dafür, dass sie uns zum Hollow Cottage in der Grafschaft Mayo mitgenommen haben. Aix-en-Provence und New York bin ich dankbar, weil sie so wunderbar sind. Aber das größte Verdienst kommt Lyn Cluer-Coleman zu, die The Stroud House Gallery aufgebaut und mich daran hat teilhaben lassen.

Für Lyn Cluer-ColemanundThe Stroud House Gallery in Liebe

Kapitel 1

Thea stand in der Mülltonne und versuchte, deren Inhalt mit den Füßen so weit zusammenzuquetschen, dass sie den Deckel schließen konnte, als sich vom Flur her Stimmen näherten.

»Komm in die Küche. Und entschuldige das Durcheinander. Da sieht es immer so aus.«

Unter dem Druck ihrer Absätze gab eine Pizzaschachtel nach. Gleichzeitig betrat Petal, ihre jüngste und anspruchsvollste Untermieterin, die Küche. Sie hatte einen Mann im Schlepptau, den Thea nicht kannte.

»Hallo, Thea! Was machst du denn im Mülleimer?«, fragte Petal neugierig, aber doch nicht so interessiert, dass sie die Antwort abgewartet hätte. »Das hier ist mein Onkel Ben. Ah, das ist mein Handy.«

Während Petal in ihrer Tasche nach ihrem wichtigsten Begleiter kramte, versuchte Thea, aus dem Abfalleimer zu steigen, ohne hinzufallen. Es war in keiner Weise ehrenrührig, Pizzaschachteln, Müslidosen und Ketschupf laschen zusammenzupressen und so zur Verringerung des Deponiemüllvolumens beizutragen. Trotzdem hätte sie auf Zeugen gut verzichten können. Petal, die sich auf ihr Handy gestürzt hatte wie eine Möwe auf einen Happen Fastfood, ging, bereits in ihr Gespräch vertieft, hinaus.

Über Gebühr erbost, tastete Thea nach der Wand, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Tonne schwankte, und Thea brach mit einem Fuß in die Schicht von Pappabfällen ein. Was darunter lag, war undefinierbar. Beim Versuch, sich zu befreien, verfing sie sich mit dem Absatz im Henkel eines Trinkdosenhalters und geriet nun doch aus dem Gleichgewicht. Einen Augenblick lang sah sie sich selbst der Länge nach auf dem Boden liegen, inmitten von Eierschalen, Kaffeesatz und Gemüseabfällen. Sie streckte die Hand aus, um irgendwo Halt zu finden, konnte aber die Wand nicht mehr erreichen.

Der Fremde erkannte ihre Zwangslage, kam quer durch den Raum, fing erst ihre zappelnde Hand und dann sie selbst auf. Gleichzeitig hatte er auch die Mülltonne stabilisiert.

Wenn sie nicht in so schlechter Stimmung gewesen wäre, hätte sie die Sache vielleicht von der komischen Seite gesehen und ihn angelacht. Aber so, wie die Dinge lagen, wurde sie nur furchtbar rot. Sie sah ihn nicht einmal an, während er sie festhielt, weil sie nicht wissen wollte, ob er über sie lachte. »Heißen Dank«, murmelte sie dem Mülleimer zu. Wenigstens ließ er sich jetzt wieder schließen. »In was für Situationen man sich manchmal bringt!« Petal verfügte über die einzigartige Gabe, Thea unmöglich zu machen. Jetzt war sie stark versucht, Petals so genanntem Onkel zu erklären, das alles sei Petals Schuld; sie hatte nämlich versprochen, neue Müllbeutel zu besorgen, nachdem sie Theas Bestand ganz aufgebraucht hatte. Aber obwohl das der Wahrheit entsprach, wäre es doch außerordentlich kleinlich gewesen, darauf herumzureiten. Es war schon schlimm genug, sich vor Fremden schlecht gelaunt zu zeigen und lächerlich zu machen. Da musste man sich nicht auch noch als kleinlich erweisen.

»Halb so wild«, sagte er. »Das hätte jedem passieren können.«

Nur wenn er dumm genug war, in eine Mülltonne zu steigen, dachte sie, aber sie sprach es nicht aus. Um seine Aufmerksamkeit von dem Teebeutel abzulenken, der sich an ihrem Schuh verfangen hatte, deutete Thea mit dem Kopf in Petals Richtung. »Das Mädchen telefoniert, bis das Telefon an beiden Enden heiß läuft. Ich hoffe, es versengt ihr nicht eines Tages das Gehirn.«

Petals Onkel, der Thea samt ihrer näheren Umgebung anscheinend etwas verwirrt, aber doch sehr konzentriert gemustert hatte, erwiderte: »Vielleicht hat es das schon.«

Es fiel Thea schwer, zu ihrer gewohnten Heiterkeit zurückzufinden. Er war ein großer, dunkler Typ mit tief in den Höhlen liegenden Augen, und sein ruhiges, ernstes Benehmen konnte leicht als Missbilligung aufgefasst werden. Am liebsten hätte sie ihn hinausgeschickt und im Flur auf Petal warten lassen, doch unglücklicherweise litt sie unter chronischer Gastfreundschaft. Wie unwillkommen und uneingeladen ein Besucher auch sein mochte – Thea konnte niemanden davonkommen lassen, ohne etwas zu essen und zu trinken anzubieten. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Kaffee? Oder Tee?« Sie schob den Kessel auf die heiße Seite der Kochplatte ihres Rayburns. Sie brauchte dringend selbst eine Tasse, wollte sich aber keine gönnen, wenn er nicht ebenfalls eine nahm.

»Ich denke, wir werden nicht lange bleiben. Ich bin nur kurz mit Petal hergekommen, um einige Sachen abzuholen.«

»Heißt das, dass Petal ihre Kunstwerke endlich mit nach Hause nimmt?«

Das war eine so gute Nachricht, dass Theas Stimmung sich unwillkürlich hob. Der Gedanke, bald wieder ins Dachgeschoss, in ihr Schlafzimmer und Bad gehen zu können, ohne über die in Müllbeutel verpackten Einzelteile eines Drachens, einer Prinzessin und einer Burg aus Pappmaschee zu stolpern, zauberte ein breites Lächeln auf ihr Gesicht. »Sie sollten auch eine Tasse Tee trinken. Sie wird noch ewig telefonieren.« Und wir wären beschäftigt und brauchten nicht die ganze Zeit zu reden, dachte sie.

Vielleicht war ihr Stimmungsumschwung doch ein wenig zu plötzlich gekommen – eben noch die grantige, unleidliche Frau, der er aus der Mülltonne geholfen hatte, und jetzt eitel Sonnenschein. Der Mann jedenfalls reagierte mit einem Stirnrunzeln. »Ich kann nicht lange bleiben. Ich muss heute Abend noch zurück.«

»Ganz wie Sie wollen. Aber wenn ich jetzt nicht etwas trinke, wird mir die Zunge für alle Zeiten am Gaumen festkleben.«

»Wenn das so ist, dann bitte sehr«, erklärte er mit leicht überraschtem Blick.

Ihre Euphorie flaute etwas ab. Petals Onkel Ben schien nicht recht zu wissen, wie man sich in Gesellschaft verhielt. Warum machte er keine Bemerkung zum scheußlichen Wetter oder etwas in der Art?

»Müssen Sie denn noch weit fahren?«

»Wenn ich Petals Sachen abgeliefert habe, muss ich noch zurück nach London.«

Dafür würde er zu dieser Tageszeit mindestens drei Stunden benötigen. Thea fand eine noch nicht angeschlagene Tasse und legte einen Teebeutel hinein.

In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Thea bahnte sich einen Weg durch die Küche und nahm den Hörer ab. Es war eine gute, alte Freundin, deren Anrufe mindestens eine halbe Stunde dauerten – wenn sie in Eile war. Thea sprach ein paar Minuten mit ihr und leitete dann ein Notmanöver ein. Sie nahm eine Schachtel Streichhölzer und eine Kerze, die zu diesem Zweck immer bereitlagen, und zündete die Kerze an. Dann hielt sie sie mit ausgestrecktem Arm unter den Rauchmelder im Flur. Die Vorrichtung begann gehorsam zu kreischen. »Du«, sagte sie ihrer Freundin, »ich muss Schluss machen. Hier brennt irgendwas!«

»Entschuldigen Sie«, wandte sie sich an Petals Onkel, der sie mit fassungslosem Erstaunen ansah. »Das funktioniert immer. Allerdings bin ich etwas besorgt, dass es hier eines Tages zur Strafe wirklich brennen wird. Also, wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, der Tee!«

»Ich kann wirklich nicht lange bleiben. Und ich sollte auch noch bei Molly – äh, Petals Tante – vorbeischauen.«

»Sie werden ja nicht gezwungen. Aber ich lechze geradezu nach einem Tee.«

Der Mann seufzte. »Ich eigentlich auch.«

Während sie kochendes Wasser in die Teetassen goss, warf sie einen Blick über die Schulter. »Meinen Sie Molly Pickford? Ich kenne sie. Ihr habe ich Petal zu verdanken.« Jetzt war es an Thea zu seufzen, während sie sich die Frage stellte, warum sie sich darauf eingelassen hatte, Petal als Untermieterin aufzunehmen. Hoffentlich nicht einfach, weil sie zu schwach war, um Molly etwas zu verweigern. Doch wahrscheinlich war genau das der Fall. Molly hatte versichert, dass ihre Patentochter und Nichte ruhig und zuverlässig sei und ihre Miete würde bezahlen können. Letzteres entsprach zwar der Wahrheit, und das war wichtig, aber Molly hatte leider nicht erwähnt, dass Petal außerordentlich anspruchsvoll war. Thea dachte oft, dass die junge Frau auch dann noch ein Verlustgeschäft darstellen würde, wenn sie den doppelten Preis bezahlte.

»Milch? Zucker?« Sie reichte ihrem Gast das nötige Zubehör. »Sind Sie auch mit Molly verwandt? Petal meinte, Sie seien ihr Onkel, doch das bedeutet ja nicht zwingend Verwandtschaft mit Molly.«

Normalerweise hätte Thea inzwischen ihre Verlegenheit darüber, dass er sie gerade zum ungünstigsten Zeitpunkt in ihrer Küche angetroffen hatte, überwunden. Aber da der Fremde sich immer noch umsah wie ein Mann in einem Sciencefiction-Film, den man auf einen unbekannten Planeten gebeamt hatte, fühlte sie sich verpflichtet, ihn mit Fragen abzulenken, auf die sie die Antworten gar nicht hören wollte.

»Wir sind so etwas wie Cousin und Cousine. Welchen Grades, müssen Sie Molly fragen. Sie liebt solche Einzelheiten.«

Thea erwärmte sich ein wenig für ihn. Sie nahm einen Stapel Blätter von einem Stuhl und forderte ihn auf, sich zu setzen. »Verzeihen Sie, ich habe Ihren Familiennamen nicht verstanden.«

»Wahrscheinlich weil Petal ihn gar nicht erwähnt hat. Ich heiße Jonson, ohne ›h‹. Ben Jonson.«

»Wie der Dichter?«

»Ja.«

Er schien etwas überrascht zu sein, dass sie von einem der berühmtesten Dichter des sechzehnten Jahrhunderts gehört haben sollte. Was sie ärgerte. »Ich mag seine Gedichte, vor allem das über seinen Sohn.« Sie biss sich auf die Lippen. »Seine beste Dichtung …«

Sein Blick vermittelte ihr das Gefühl, dass sie erstaunlicherweise beinahe so etwas wie ein Mensch war, aber eben nicht ganz. »Exakt heißt es ›Gedicht‹. Sein bestes Gedicht.«

Theas leutselige Stimmung war augenblicklich verflogen, und ihr Ärger kehrte zurück. »Also, ich wusste, dass es etwas in der Richtung war. Sie setzen sich am besten. Petal braucht vielleicht noch Stunden. Und ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich mich wieder ans Kochen mache? In einem Augenblick geistiger Umnachtung habe ich mich breitschlagen lassen, meine Untermieter abends zu verköstigen.«

»Jeden Abend?«

»Freitags und samstags nicht, weil sie dann gewöhnlich ausgehen oder fürs Wochenende nach Hause fahren, aber am Sonntagabend gibt es immer ein großes Essen.« Heute war Sonntag. Die Bolognese zu der Lasagne, die es geben sollte, hatte Thea bereits im Laufe des Tages zubereitet. Stumm bat sie Petal zurückzukommen, bevor sie sich verpflichtet fühlte, ihren Onkel auch noch zum Essen einzuladen. Die Lasagne würde vielleicht reichen, doch der Salat und die Baguettes nicht. »Setzen Sie sich bitte – hier steht auch so schon zu viel rum.«

Thea ersparte sich den Blick über die Schulter, um zu sehen, ob er ihren kleinen Scherz verstanden hatte. Sie war sich beinahe sicher, dass er keinen Sinn für Humor hatte, aber sie mochte es sich nicht bestätigen lassen.

Petal kam zurück in die Küche und sprach immer noch. »Muss jetzt Schluss machen, wir sehen uns dann, tschüss.« Sie hatte ihr Handy noch nicht wieder verstaut, als der Hausapparat zu klingeln begann. »Ah«, meinte Petal unbekümmert und zuversichtlich, »das wird für mich sein.«

Thea nahm einen Schluck Tee und wünschte, es wäre Rotwein gewesen. Nachdem Ben jetzt saß, war er im Weg, wenn sie an den Kühlschrank wollte. »Würde es Ihnen viel ausmachen, mir eine Flasche Milch herüberzureichen? Und das Stück Käse? Der Kühlschrank steht direkt hinter Ihnen.« Er hatte ihre Küche bereits in Augenschein genommen, sodass das Innere des Kühlschranks ihn eigentlich nicht mehr schockieren sollte. Thea achtete allerdings darauf, niemanden hineinschauen zu lassen, der sehr ängstlich war. »Die halbfette Milch in der Tür.«

Er reichte ihr die Milch und den Käse. Petal war immer noch am Telefon und traf Verabredungen. Es dauerte jetzt nicht mehr lange, bis Theas andere Untermieter einer nach dem anderen aus dem Wochenende zurückkehrten. Bald würde es in der Küche wirklich voll werden. Dann war das Kochen kein Vergnügen mehr.

»Es wäre wirklich schön, wenn Petal mit ihrem Gespräch langsam fertig würde«, sagten Ben und Thea gleichzeitig. Sie blickten einander an, und Ben lächelte.

Das Lächeln verwandelte ihn, aber da Petal im gleichen Moment den Hörer auflegte, wandte Thea den Blick ab, bevor sie herausfinden konnte, warum. Als sie Ben wieder ansah, war das Lächeln verschwunden.

»Ach, übrigens, Thea«, bemerkte Petal, »Tante Molly wird nachher noch rüberkommen.«

»O Gott, warum denn das?« Zu spät erkannte Thea, wie grob Mollys Verwandten diese Frage vorkommen musste. »Ich meine, ich habe im Augenblick einfach so viel zu tun.« Thea schüttete die Milch in die Pfanne. »Weißt du also, warum?«

»Wegen irgendeiner Kunstreise oder so was. Am Mittwoch.«

»Gut, Mittwoch ist mein freier Tag. Ich kann also wahrscheinlich mitkommen. Ich werde sie später anrufen. Sie soll sich nicht die Mühe machen herzukommen.« In Wahrheit ging es Thea darum, sich selbst die Mühe zu ersparen, wegen Mollys Besuch die Küche zu desinfizieren. Ben Jonson sah sich vielleicht missbilligend um, doch er behielt seine Gedanken wenigstens für sich. Molly dagegen würde sich des Themas ›Theas Ordnungs- und Hygienestandards‹ wortreich annehmen.

Petal runzelte die Stirn. »Vielleicht habe ich es falsch verstanden, aber ich bin mir sicher, dass sie irgendetwas von Frankreich erwähnte.«

»Frankreich?« Thea rührte inzwischen energisch mit dem Schneebesen in der Pfanne und fragte sich, ob sie wohl genug Soße vorbereitet hatte. Sie hörte gar nicht richtig zu.

»Ja. Ich glaube, Tante Molly möchte, dass du mit ihr nach Frankreich fährst. Am Mittwoch.«

Thea ließ den Schneebesen sinken und zog eine Spur von Käsesoße über die Arbeitsplatte. »Denk doch noch mal richtig nach, Petal. Was hat Molly gesagt? Sie bittet mich doch wohl nicht, am Mittwoch mit ihr nach Frankreich zu fahren.«

»Doch! Mollys Busenfreundin hat sich das Bein gebrochen oder die Hüfte oder sonst was, deshalb braucht sie jemanden anderen, der mit ihr fährt. Ich habe ihr erzählt, dass du vielleicht dafür infrage kämst.« Gelangweilt von einem Thema, das nicht um sie selbst kreiste, wandte sie sich an ihren Onkel. »Ach, Onkel Ben, schön, dass du eine Tasse Tee trinkst. Ich werde eine Ewigkeit brauchen, um auf dem Dachboden alles zusammenzusuchen, in dem ganzen Müll dort.« Sie blickte auf den überfüllten Tisch, die mit Geschirr bedeckten Arbeitsplatten und zu dem unter Papieren versinkenden Küchenschrank. »In diesem Haus herrscht immer so ein Durcheinander.«

»Das wäre in deinem genauso, wenn es voller Untermieter wäre, die nicht in der Lage sind, eine Tasse in die Spülmaschine zu stellen, mal ganz davon zu schweigen, einen Wasserhahn aufzudrehen und die Tasse abzuwaschen«, entgegnete Thea. »Und ich hoffe, dass du alles wegräumst, was auf dem Treppenabsatz liegt. Die Sachen auf dem Dachboden sieht man wenigstens nicht die ganze Zeit.«

Flüchtig beschämt erklärte Petal: »Tut mir Leid, Thea, aber du machst uns eben nicht genug Druck. Wenn du nicht an den Leuten herumnörgelst, dann räumen sie auch nicht auf. Eins sage ich dir: Wenn ich eine eigene Wohnung beziehe, dann wird dort niemand seinen Mist überall herumliegen lassen!« Energisch und fest entschlossen marschierte Petal hinaus; Thea blieb lahm und ohne jede Entschlusskraft zurück.

»Petal bringt Sie also um den Verstand?«, fragte Ben.

»Ist das so offensichtlich? Also, nur manchmal.« Sie probierte die Soße und griff nach der Muskatnussreibe. »Ich meine, ich mag sie wirklich. Sie macht was her, ist immer sehr lustig, und es ist schön, mit ihr einkaufen zu gehen.«

Sie wusste selbst, dass ihre Untermieter nicht so auf ihr herumtrampeln würden, wenn sie nur eine energischere und weniger nachsichtige Vermieterin wäre. Aber sie war neu in dem Gewerbe und hatte noch nicht gelernt, wie man Regeln aufstellte und dann eisern durchsetzte. »Sind Sie wohl so lieb und reiben mir etwas Käse?«, bat sie – und versuchte sofort, ihr Kichern hinter einem Lächeln zu verbergen, als sie merkte, dass sie Ben wohl etwas zu vertraulich angesprochen hatte.

Er zog eine Augenbraue in die Höhe. »Wie könnte ich Nein sagen, wenn Sie mich so freundlich darum bitten?« Er nahm den Käse und die Reibe und machte sich ans Werk.

»Ich frage mich, was Molly vorhat? Ich kann nicht glauben, dass sie am Mittwoch wirklich mit mir nach Frankreich fahren will. Selbst sie …« Sie hielt inne. Schon wieder war sie drauf und dran, seine Cousine zu kritisieren.

»Wäre das denn wirklich völlig undenkbar?«, wollte er wissen, ohne auch nur anzudeuten, was er selbst über Molly dachte.

»Nein, durchaus nicht. Ich meinte nur, dass sie gewöhnlich alles gut plant. Ich hoffe, sie platzt nicht genau dann herein, wenn sich alle zu Tisch setzen.« Aber genauso würde es wahrscheinlich kommen. Molly, die sich nur um einen Ehemann kümmern musste, hatte wahrscheinlich bis neun Uhr ihr Abendessen längst zubereitet, serviert und wieder abgeräumt. Thea, deren Abendmahlzeit ein bewegliches Fest war, dessen Termin von der Pünktlichkeit oder Unpünktlichkeit ihrer Untermieter abhing, war von diesem glücklichen Zustand weit entfernt.

Petal kam wieder zurück, als Thea gerade das mit allen Zutaten versehene Gericht in den Ofen schob. Aus einem Wust von Plastikbeuteln bemerkte Petal: »Du solltest oben wirklich aufräumen, Thea. Unglaublich, wie viele Pappkartons du hast! Was, um Himmels willen, hast du da überall drin?«

Ihre sorgfältig katalogisierten Fotos und Negative aus der Zeit vom Beginn ihres Studiums bis zum Ende ihrer Laufbahn als Berufsfotograf in. Thea hatte allerdings nicht die Absicht, Petal das auf die Nase zu binden. »Der Dachboden ist wahrscheinlich viel übersichtlicher geworden, nachdem du deine Kunstwerke weggeräumt hast, Petal«, erwiderte sie und konzentrierte sich darauf, den Korkenzieher zu finden.

Vielleicht noch eine Minute, und Petal und ihr Onkel würden verschwinden, sodass sie endlich die Flasche Rotwein öffnen konnte, die hinter den Scheuermitteln im Schrank unter der Spüle stand, der einzigen Stelle, an der ihre Untermieter niemals suchen würden, wie verzweifelt sie auch immer nach etwas Trinkbarem lechzten. Sie würde Molly nichts davon anbieten, wenn sie denn kam. Molly war eine Vertreterin der Philosophie: »Das Leben ist zu kurz, um billigen Wein zu trinken.« Thea hingegen fand, dass das Leben zu lang war, um es nicht zu tun.

Petal, die die Schärfe in Theas Stimme nicht wahrgenommen hatte, sah sich ängstlich in der Küche um. »Findest du nicht, du solltest ein bisschen aufräumen, falls Tante Molly kommt?«

Thea stand der Sinn nach Mord, doch sie beherrschte sich. Ein Mord würde die Unordnung nur vergrößern. »Ich bin gerade damit beschäftigt, ein Essen zuzubereiten, Petal. Und darf ich davon ausgehen, dass du nicht mit uns essen wirst?«

»Oh ja! Habe ich das nicht gesagt? Tut mir Leid.«

In diesem Augenblick klingelte es an der Tür. »Öffnest du bitte?«, bat Thea.

»Aber es wird Tante Molly sein, für dich.« Petal war überrascht, dass Thea so etwas von ihr verlangen konnte. »Ich bin wirklich beschäftigt.«

»Das bin ich auch!«, erklärte Thea, die die Arbeitsflächen mit einem Lappen abwischte.

»Ich werde öffnen«, erbot sich Ben.

Das war freundlich, und wenn er noch freundlicher sein wollte, würde er Molly oben im Flur in ein Zeit raubendes Gespräch verstricken und Thea auf diese Weise zu einigen wertvollen Extrasekunden zum Saubermachen verhelfen.

Thea hatte Molly an ihrem ersten Tag in Cheltenham durch die Vermittlung einer entfernten Verwandten ihrer Mutter kennen gelernt. Molly konnte sehr freundlich sein und hatte diese sehr indirekte Verbindung sofort aufgegriffen und Thea zum Kaffee eingeladen. Thea war erfreut gewesen, den Männern des Umzugsunternehmens den Rücken kehren zu können, und hatte sich in ihren alten Jeans und einem abgewetzten Hemd auf den Weg gemacht. Molly, wie immer makellos gepflegt und gekleidet, hatte sie mit Sherry statt mit Kaffee bewirtet. Sie hatte vermutet, Theas nachlässige Kleidung bedeute, dass sie im weitesten Sinne zu den Künstlern gehörte, und hatte sie unter ihre Fittiche genommen. In den zweieinhalb Jahren, die Thea in Cheltenham wohnte, hatten die beiden Frauen ziemlich viel Zeit miteinander verbracht. Jetzt trat Molly in Theas Küche, die Güte selbst, gut fünf Minuten, nachdem sie an der Tür geläutet hatte.

Ich danke Ihnen, Petals Onkel, dachte Thea.

»Thea, Schätzchen!« Molly war liebevoll, aber direkt.

»Ich hoffe, ich komme nicht völlig ungelegen, doch ich wollte es dir selbst sagen.«

»Mir was sagen, Molly?«, fragte Thea, nachdem sie sich geküsst hatten.

»Das von der Reise.« Molly zog sich einen Stuhl heran, beäugte misstrauisch den Sitz und nahm dann Platz. »Nach Aix. In der Provence. Soll zu dieser Jahreszeit sehr schön sein. Hat Petal es dir ausgerichtet?«

»Sie erzählte etwas davon, dass du am Mittwoch nach Frankreich fahren würdest.«

»Liebes, die Provence liegt in Frankreich. Das weißt du doch? Aber nicht nur ich werde fahren. Du auch.«

Thea, die in der kurzen Zeit mehr Oberflächen abgewischt hatte, als sie gewöhnlich in einer ganzen Woche schaffte, drehte sich um. »Was?«

»Thea, nun hör doch zu! Ich sagte, ich möchte, dass du mit mir in die Provence fährst. Am Mittwoch.«

»An diesem Mittwoch, dem kommenden?«

»Ja. Ich wollte mit meiner Freundin aus dem Töpferkurs fahren, aber sie hat sich ein Bein gebrochen. Wenn ich allein fahre, muss ich den Einzelzimmerzuschlag bezahlen. Komm mit«, sagte sie aufmunternd, als weigerte Thea sich, schwimmen zu gehen, weil ihr das Wasser zu kalt war. »Es sind nur sechs Tage.«

»Nimm Derek mit.«

»Derek hasst Kunst und Sehenswürdigkeiten und alles, was damit zu tun hat. Er ist doch so ein Kulturbanause.«

»Aber Molly – es ist furchtbar kurzfristig.«

»Ach, ich weiß, dass es etwas plötzlich kommt, aber denk doch bloß mal, wie himmlisch es wäre. Anfang April finde ich die Provence am schönsten. Dann sind all die Touristen noch nicht da.« Molly war es offensichtlich entgangen, dass sie selbst zu den Touristen zählte.

»Außerdem kann ich es mir nicht leisten.« Das war nur eine Vermutung, aber Molly war nach Theas Maßstäben unglaublich reich und hatte wahrscheinlich eine sehr kostspielige Reise gebucht. »Und eigentlich …«

»Ach, komm schon, Thea. Sei mal ein bisschen spontan. Mach dir keine Gedanken um das Geld, Derek wird bezahlen. Es war eigentlich seine Idee, dich zu fragen. Er meinte, du hättest einen Urlaub verdient – schon allein dafür, dass du dich um Petal kümmerst.«

Thea dankte Derek im Stillen für sein Verständnis. Er schien zu wissen, dass die Betreuung seiner Nichte kein reines Vergnügen war. »Molly, es wäre doch viel billiger, den Einzelzimmerzuschlag zu bezahlen.«

»Oh, das weiß ich. In Wirklichkeit geht es mir um deine Gesellschaft. Man weiß nie, wen man bei solchen Reisen um sich hat. Ich reise gern mit jemandem, den ich kenne. Mit jemandem, mit dem ich reden kann.«

Thea selbst fuhr gern mit jemandem in Urlaub, den sie mochte, und obwohl sie Molly mochte, konnte doch die beste Freundschaft unter solchen Bedingungen welken. Und sie war sich nicht sicher, ob ihre Freundschaft mit Molly das Prädikat »beste« verdiente.

Sie beschloss, Mollys gute Meinung von ihr auf die Probe zu stellen, indem sie ihre Notreserve an Wein hervorholte. Da sich der einzig vernünftige Korkenzieher wahrscheinlich in Petals Zimmer befand, musste sie den Korken mit einem Teufelswerkzeug herauswürgen, das ihr die Finger aufriss. »Das ist ein furchtbar großzügiges Angebot von dir, Molly, doch ich kann es unmöglich annehmen. Nimm auch ein Glas Wein. Es ist nur ein ›Zenz‹, aber er ist wirklich ganz okay, wenn man ihn erst ein bisschen anwärmt.«

»Zenz?« Molly sah sich ihr Glas an, als enthielte es eine sehr bittere Medizin.

»Du weißt doch, Zahle eine, nimm zwei.«

Als Mitglied eines Weinclubs entsetzte Molly diese Bemerkung, aber sie enthielt sich jeden Kommentars. »Natürlich kannst du mit nach Frankreich kommen«, erklärte sie entschieden. Sie nahm ihr Glas, überlegte es sich dann noch einmal und stellte es wieder hin. »Wirklich, Derek kann es sich leisten, und er hat Recht. Du hast für Petals Betreuung einen Urlaub verdient.« Sie blickte zur Decke hinauf. Ein Poltern und Krachen deutete darauf hin, dass Petals Kunstwerke jetzt fast die Eingangstür erreicht hatten. »Kannst du dich so kurzfristig freimachen?«

Plötzlich erschien Thea der Gedanke, ihre Logiergäste und ihren langweiligen Halbtagsjob gegen ein paar Frühlingstage in der Provence einzutauschen, außerordentlich attraktiv. Und selbst wenn Molly bestimmend und herrisch war, war es mit ihr doch auch ganz lustig.

Thea nahm einen guten Schluck Wein und entschied, dass Molly Recht hatte: Er war nicht besonders gut. Der Wein in der Provence war bestimmt besser. Dann zog sie sich einen Stuhl heran und warf ihren Lappen in die Spüle. »Wir haben im Moment nicht besonders viel zu tun, und ich bekomme ohnehin keinen bezahlten Urlaub oder so was. Ich glaube nicht, dass es ein Problem wäre.«

»Super! Du wirst bequeme Schuhe, einen Schirm und einen Sonnenhut brauchen.«

Genau in diesem Augenblick öffnete Petal die Küchentür und rief hinein: »Ben bedankt sich für den Tee und entschuldigt sich, dass er nicht selbst Auf Wiedersehen sagen kann, aber er muss den Wagen beladen. Und, Tante Molly, er wird dich anrufen, da er jetzt keine Zeit mehr hat vorbeizuschauen. Ciao!« Die Küchentür fiel zu und wurde dann noch einmal geöffnet. »Ach, Thea, es sind noch ein paar Sachen von mir im Trockner. Könntest du ein Engel sein und sie für mich zusammenlegen?« In der Annahme, dass Thea ein Engel sein würde, entfernte sich Petal.

Thea blickte Molly an. »Einen Sonnenhut?« Der kalte Frühlingsregen prasselte gegen das Fenster, und im Trockner warteten Petals Sachen. »Klar komme ich mit, Molly.«

Theas Teilzeitarbeit bei einem Fotografen an der Hauptstraße war nichts, was ihr jemals eine gewisse Befriedigung verschaffen würde. Die Urlaubsfotos anderer Leute einzuschicken und sie ihnen vierundzwanzig Stunden später wieder auszuhändigen, riss sie nicht gerade vom Hocker. Als sie zum ersten Mal Kaffee für alle kochte, hatte sie bereits begriffen, dass es ein Fehler gewesen war, speziell diesen Job anzunehmen. Aber ihr als ehemaliger Fotografin war es nahe liegend erschienen, in einem Fotogeschäft zu arbeiten; inzwischen allerdings wusste sie, dass es wesentlich amüsanter gewesen wäre, Bohemiens und Hippies der zweiten Generation preiswerte, importierte Kleider zu verkaufen.

Aber obwohl sie oft die Aushänge in den Schaufenstern anderer Läden und die Stellenanzeigen in der Lokalzeitung durchsah, brachte sie einfach nicht die Energie auf, sich irgendetwas Anspruchsvolleres zu suchen. Es musste mit der Mattigkeit zusammenhängen, die sie in letzter Zeit so oft befiel; sie war nicht zufrieden mit ihrem Leben, und trotzdem fehlte ihr die Initiative, etwas zu unternehmen, um das Ruder herumzureißen. Vielleicht würde ihr eine Kunstreise nach Frankreich den nötigen Anstoß geben.

Es wäre wahrscheinlich übertrieben gewesen zu sagen, Thea hätte ihr »Leben« und die »Liebe ihres Lebens« gleichzeitig verloren, aber sie hatte doch gehofft, dass der Mann, um den es ging, sich zu ihrem Partner – oder sogar zu ihrem Ehemann – mausern würde.

Sie war Fotojournalistin gewesen und hatte gerade begonnen, sich einen Namen zu machen. Das Ende war schmerzhaft und demütigend gewesen, und besonders schlimm hatte sie getroffen, dass all ihre Freundinnen aus der Branche fanden, dass alles ihre Schuld sei.

Sie hatten die Geschichte mit vereinten Kräften aus ihr herausgequetscht. Eines späten Abends hatte sie bei einer dieser Freundinnen vor der Tür gestanden und gefragt, ob sie bei ihr übernachten könne. Drei Tage lang lag Thea dort im Pyjama auf dem Sofa und sah Channel Five. Dann holte sich besagte Freundin Verstärkung – sie wollte ihr Sofa zurückhaben. Man befahl Thea, sich anzuziehen; dann wurde sie in einen Pub in der Nähe abgeführt, wo ihre Freundinnen sie in Ruhe und bei einigen Tequila Slammers auf Vordermann brachten. Nachdem sie herausbekommen hatten, dass es mit Conrad vorbei war (was sie schon vermutet hatten), wandten sie sich der Ursachenforschung zu. Und ihr Urteilsspruch lautete, dass sie, die ein hartgesottener Profi sein wollte, in Wahrheit nur ein naiver Amateur war.

»Ich weiß«, gab sie zu und trank ihren Drink in einem Zug. »Jetzt sehe ich ganz schön alt aus.«

»Oh, damit würde ich schon zurechtkommen«, sagte Zelda, die inzwischen nicht mehr als Fotografin, sondern als Model arbeitete. »Wie viel hast du als ›Dankeschön‹ bekommen?«

Thea wiederholte den Betrag, obwohl sie inzwischen alle die Summe genau kannten. »Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich das Geld angenommen habe, aber Anna, meine Kundin, bestand darauf. Sie sagte mir, dass sie mir mehr verdanke, als man mit Geld bezahlen könne, und dass zur Großzügigkeit sowohl Geben als auch Nehmen gehöre. Ich fand es eigentlich ziemlich nett.«

Der einmütige Gesichtsausdruck ihrer Freundinnen verriet Thea, dass sie es eher ziemlich widerlich fanden, aber sie enthielten sich jeden Kommentars.

»Und was nun? Du kannst statt deiner kleinen Wohnung eine etwas größere nehmen. Das heißt, wenn du den Bastard endgültig losgeworden bist«, schlug eine von ihnen vor.

»Du solltest dir eine wirklich tolle Ausrüstung zulegen, etwas, womit du richtig Geld verdienen kannst.«

Elizabeth war ehrgeizig; neben ihr kam sich Thea selbst zu ihren besten Zeiten stets müde und ausgelaugt vor. »Was ich wirklich möchte«, bekannte sie und bereitete sich schon darauf vor, allem auszuweichen, was man in ihre Richtung werfen würde, »ich möchte mir in Cheltenham ein großes Haus kaufen und viele Studenten aufnehmen.«

Kapitel 2

Sie waren allesamt zu schockiert, um mit irgendetwas nach ihr zu werfen.

»Warum in Cheltenham?«, fragte Elizabeth, nur für den Fall, dass Thea etwas wissen sollte, das ihr entgangen war.

»Weil ich in Cheltenham niemanden kenne. Dort kann ich ein völlig neues Leben anfangen. Etwas vollkommen anderes machen. Mir meinen Lebensunterhalt verdienen, ohne um Aufträge buhlen und eine halbe Tonne Ausrüstung dorthin schleppen zu müssen, wo es endlich etwas zu tun gibt. Ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht und meine Entscheidung getroffen.«

»Aber es ist doch so aufregend! Nie zu wissen, wo du am nächsten Tag arbeiten wirst«, meinte Magenta. »Und die Ausrüstung wird heutzutage auch immer leichter.«

»Aber leider nicht schnell genug für meinen Rücken.«

»Und du könntest doch auch im Studio arbeiten.«

»Ich könnte«, stimmte Thea zu, »und vielleicht richte ich mir später auch mal ein Studio ein, aber im Moment will ich mich nur verstecken und meine Wunden lecken.«

»Du musst sehr verletzt sein, wenn du dich in die Provinz zurückziehen willst«, bemerkte Zelda mit einem Schaudern. »Bist du jemals dort gewesen?«

Thea nickte. »Ich habe da beim Literaturfestival mal Aufnahmen gemacht. Es gibt da eine schöne Reihe von Läden mit Karyatiden dazwischen. Cheltenham hat es mir wirklich angetan. Und ja, ich bin sehr verletzt. Ich glaube nicht, dass Conrad mich je geliebt hat.«

»Was sagst du da? Habt ihr gestritten?«

»Nein, nicht wirklich. Ich konnte ihm einfach nicht klar machen, dass er etwas getan hatte, das falsch war. Es hatte keinen Sinn zu streiten. Ich glaube nicht, dass man mit Menschen streitet, die einem gleichgültig sind. Ich war ihm immer gleichgültig, und mir ging es mit ihm plötzlich genauso. Und jetzt reicht es mir mit Männern zunächst mal.«

»Gibt es in Cheltenham denn keine Männer?«, erwiderte Elizabeth.

»Nein, ich glaube nicht. Deswegen habe ich mich ja gerade dafür entschieden.«

Alle lachten, aber sie schafften es nicht, im Verlauf des Abends Theas Entschluss ins Wanken zu bringen, und sie stimmten alle darin überein, dass sie für den Fotojournalismus viel zu naiv sei.

»Also gut«, erklärte Magenta, »du kannst jederzeit herkommen und hier wohnen, wenn du wieder in die Welt zurückkehren willst.«

»Und du kannst bei mir wohnen, wenn du ihr den Rücken kehren willst.«

»Danke schön, Schätzchen. Das klingt himmlisch«, gab Magenta völlig unbeeindruckt zurück.

Eine ganze Weile genoss Thea den neuen Lebensstil. Sie setzte ihre ganze Arbeitskraft ein, um ihr Haus herzurichten, gewann dabei Freunde und erklärte jedem, der es wissen wollte, dass sie keinen Mann wollte, vielen Dank, nie mehr. Jetzt, beinahe zwei Jahre später, war ihr Haus komplett eingerichtet und voller Logiergäste, und diese Gäste brachten sie um den Verstand.

Meistens hatte sie ihre Freude an den jungen Leuten. Sie war gelassen und gutmütig, und es machte ihr nicht viel aus, für die Studenten die Wäsche aufzuhängen und sie auch wieder abzunehmen, wenn es regnete. Und nur eine wirklich dumme Ziege hätte sich geweigert, irgendein Kleidungsstück zu bügeln, wenn jemand »total spät« dran war und verzweifelt eine weiße Bluse brauchte, vor allem, wenn dieser Jemand sie »für die Arbeit« brauchte. Aber sie spielte mit ihren fünfunddreißig Jahren die Ersatzmutter für Menschen, die viel zu alt waren, um ihre eigenen Kinder zu sein. Ihre Mieter waren oft das erste Mal von zu Hause fort und nur allzu glücklich, eine freundliche, hilfsbereite Vermieterin zu finden, die sich ihre Probleme anhörte und ihnen im Notfall auch mal einen Knopf annähte. Wenn sie die Studenten gelegentlich damit nervte, dass sie nicht überall im Haus ihr schmutziges Geschirr herumstehen lassen sollten, ignorierten sie sie meist. Zumindest knöpfte sie sie sich nicht vor, um herauszufinden, mit wem sie ausgingen.

Thea hatte das Gefühl, dass sie den Schritt heraus aus dem Leben einer potenziell erfolgreichen Fotojournalistin und hinein in das einer Teenagermutter zu abrupt getan hatte. Dazwischen hätte es noch irgendetwas anderes geben müssen, ein drittes Leben. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer, und als London gerade hinter ihr lag, hatte sie das, erschöpft und seelisch verletzt, wie sie war, als Allerletztes gewollt. Es war ihr nur noch darum gegangen, sich zurückzuziehen, ihre Verhältnisse zu ordnen und sich nicht jeden Morgen beim Aufwachen fragen zu müssen, in welcher Stadt sich ihr Hotelzimmer eigentlich befand. Sie hatte nicht länger ihre Abende damit verbringen wollen, die Annäherungsversuche von Fotografen zurückzuweisen, die ihre Minibar leer tranken und versuchten, es sich in ihrem Doppelbett gemütlich zu machen.

Es war nicht ihre Absicht gewesen, die Männer völlig aufzugeben – wenigstens nicht für immer. Selbst wenn Conrad ein Mistkerl war, wusste sie sehr wohl, dass es eine Menge ehrenwerter und vertrauenswürdiger Männer gab. Sie war seit ihrer Flucht aus London sogar mit einigen Männern ausgegangen. Leider war es aber so, dass sich diese Kardinaltugenden anscheinend immer bei Langweilern und Liebhabern klassischer Musik fanden.

Sehr zu Petals Missfallen hatte Thea ihre Beziehung zu einem dieser Exemplare erst kürzlich beendet. Petal war entsetzt gewesen: »Aber Thea, ich weiß, dass er nicht sehr aufregend ist, aber immerhin ist es jemand, und du solltest nicht mit einem Jungen – Mann, meine ich natürlich – Schluss machen, bevor du einen anderen hast. Sonst stehst du allein da. Kein Mann, keine Verabredung!«

Thea verkniff sich angesichts von Petals Entrüstung ein Lächeln. »Ich dachte, ich nehme mal alles, wie es kommt, wie die Frauen in Sex and the City.« Diese amerikanische Serie gehörte zu Petals Lieblingssendungen.

»Thea! Du bist doch nicht wie die! Du könntest gar nicht so herumbumsen, wie sie es tun!«

Thea war erleichtert, das zu hören. Sie wusste sehr gut, dass sie selbst nicht so »herumbumsen« konnte; aber die Tatsache, dass Petal diese Vorstellung ebenfalls schockierend fand, bedeutete, dass Petal es möglicherweise auch nicht konnte. Molly fand, dass Thea Petals Lebenswandel im Auge behalten sollte, eine Aufgabe, der Thea sich auch nicht ansatzweise gewachsen fühlte. »Wie dem auch sei«, erklärte sie, »ich konnte jedenfalls nicht noch einen Abend mit gregorianischer Musik in einer bitterkalten Kirche durchhalten.«

»Dann sag ihm, dass du keine Lust dazu hast! Du brauchst doch mit einem Kerl nicht Schluss zu machen, nur weil du andere Musik als er hörst. Überzeug ihn einfach von dem, was dir gefällt!«

Thea war sich zwar sicher, dass Petal auch den entschiedensten Liebhaber klassischer Musik zu Techno oder Heavy Metal bekehren konnte, aber sie hatte nicht das Gefühl, dass ihre Fähigkeiten zur Manipulation denen Petals gleichkamen. Molly dagegen hätte selbst Petal noch das eine oder andere darüber beibringen können, wie man seine eigenen Vorstellungen durchsetzt.

Derek, Mollys Ehemann, hatte sich bereit erklärt – er war gut abgerichtet, und ihm winkte die Aussicht auf eine Woche, in der Molly sein Leben nicht durchorganisierte –, die beiden Frauen nach Gatwick zu bringen. Molly nahm einen eleganten Koffer auf Rädern und einen passenden Kosmetikkoffer als Handgepäck mit. Theas Gepäck bestand aus einer schon recht strapazierten Reisetasche, die sie sich von Jerry geliehen hatte, einem ihrer Untermieter, und einer großen, geblümten Baumwolltasche von wirklich unglaublichem Fassungsvermögen. Molly war wie immer nach einer Liste vorgegangen: für jeden Tag und jeden Abend eine andere Garderobe und dazu Schuhe in größerer Menge. Thea hatte alles Marineblaue, das sie besaß, eingepackt, sodass sich die Farben nicht beißen würden, wenn sie vielleicht auch nicht genau zusammenpassten. Außerdem hatte sie noch ein Paar Schuhe für den Abend eingesteckt, die nicht ganz so schäbig waren wie die Turnschuhe, die sie an den Füßen trug.

Derek und Molly trafen um acht Uhr morgens bei Thea ein. Molly hatte volle Kriegsbemalung angelegt und sah wunderbar aus. Sie beäugte Thea mit geschürzten Lippen. »Oh«, entfuhr es ihr. »Turnschuhe.«

»Du hast doch gesagt, ich brauchte bequeme Schuhe«, rief Thea ihr ins Gedächtnis.

»Ich weiß, aber ich meinte – ach, schon gut, spielt keine Rolle. Hast du einen leichten Regenmantel und einen Schirm?«

»Ich habe einen Anorak, aber keinen Schirm«, erklärte Thea bestimmt. »Damit komme ich nicht zurecht.« Sie hatte auch keine Bescheinigung ihrer Krankenversicherung und keine Reiseversicherung, doch wenn sie Molly das erzählte, würde sie einen Anfall bekommen. »Nun, das musst du wissen. Und wo ist dein Koffer?«

»Das ist mein Koffer.«

Molly wirkte entsetzt. »Mit einer Tasche von der Größe könnte ich nicht einmal für eine Nacht außer Haus bleiben.«

Thea zuckte die Schultern und hoffte, dass sie nichts wirklich Wichtiges vergessen hatte – ihre einzige ordentliche Hose zum Beispiel.

»Nun gut. Du weißt, dass wir jeden Abend in Restaurants essen?«

»Ich werde zurechtkommen.« Thea zog die Tür hinter sich zu und fragte sich, ob es sich nicht als fataler Fehler erweisen würde, einem gemeinsamen Urlaub mit Molly zuzustimmen. Sie fühlte sich jetzt schon von ihr unter Druck gesetzt.

»Wir heften uns unsere Abzeichen erst in der Abflughalle an«, entschied Molly. Thea hatte darauf bestanden, dass Derek sie lediglich am Eingang absetzte – statt erst einen Parkplatz zu suchen und dann ihnen beiden, zwei gesunden, kräftigen Frauen, beim Einchecken behilflich zu sein. »Wir wollen doch nicht, dass man zu früh weiß, wer wir sind. Du hast doch ein Namensschildchen bekommen, oder? Sie haben versprochen, dir eins zu schicken.«

»Ach ja«, stimmte Thea zu. »Ich habe es bloß verloren. Aber macht ja nichts. Wenn du deines hast, halte ich mich eben in deiner Nähe.«

Molly warf Thea einen verärgerten Blick zu. »Wirklich, Thea …« Aber noch bevor diese antworten konnte, fiel Molly wieder ein, dass Thea nur zwei Tage Zeit gehabt hatte, um sich auf die Reise vorzubereiten. »Natürlich, es war ja furchtbar kurzfristig, und ich freue mich wirklich, dass du dich freimachen konntest …«

Thea lächelte. »Und ich freue mich wirklich, dass du mich gebeten hast mitzukommen. Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr im Ausland.«

»Oh, mein Gott! Du hast doch nachgesehen, ob dein Pass noch gültig ist, oder?«

»Ich muss gestehen«, bemerkte Thea, die ganz schwach war vor Erleichterung, dass niemand an ihrem Pass und ihrem Ticket etwas auszusetzen gefunden hatte, »dass ich mich darauf freue, unserem Führer wie ein Schaf ohne jeden eigenen Gedanken folgen zu dürfen. Es war in letzter Zeit alles so hektisch. Es wird mir gut tun, gesagt zu bekommen, was ich zu tun habe.«

Molly folgte nie jemandem wie ein Schaf und ließ sich auch nicht gern vorschreiben, was sie zu tun hatte. Aber sie brauchte auch gut vierzehn Tage, um zu packen, um sich das Haar machen und sich maniküren, zupfen und verschönern zu lassen, und es wäre ihr schlechthin unmöglich gewesen, in der kurzen Zeit reisefertig zu sein, die Thea zur Verfügung gehabt hatte. »Es war eine furchtbare Hetze für dich. Aber mach dir keine Sorgen, ich kann dir wahrscheinlich alles leihen, was du vergessen hast.«

»Danke«, murmelte Thea matt, der einfiel, dass sie keine Zahnpasta eingesteckt hatte.

»Sollen wir jetzt Kaffee trinken oder erst, wenn wir beim Parfüm waren?«, fragte Molly.

»Ich muss mir noch ein Buch kaufen …«

»Oh nein. Du hast auf diesen Reisen niemals Zeit zu lesen, du wirst viel zu sehr auf Trab gehalten.«

»Du hast also schon oft solche Reisen unternommen?«

»Ja, und unser Reiseleiter ist ein sehr netter Kerl. Man könnte fast sagen, dass ich eine Art Gerald-Groupie bin.« Molly kicherte viel sagend.

Thea liebäugelte kurz mit dem Gedanken, eine plötzlich auftretende Erkrankung vorzuschützen und wieder heimzufahren, aber das wäre ihr selbst sowohl feige als auch undankbar erschienen. Außerdem hätte Molly in diesem Falle herausgefunden, dass sie keine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen hatte. »Na, wenn es dir so gut gefallen hat, dass du es wiederholst, dann wird es für mich wohl auch das Richtige sein.« Sie versuchte es sich zumindest einzureden. »Was ist denn der Dozent über Cézanne für einer?«

»Keine Ahnung. Nie von ihm gehört. Ich glaube nicht, dass er fest für Tiger Tours arbeitet.« Das stufte ihn in Mollys Buchführung definitiv einige Klassen zurück. »Aber ich würde doch sagen, dass er in Ordnung sein sollte. Sie achten sehr auf fähige Mitarbeiter. Komm jetzt, ich will mir eine Augencreme besorgen.« Sie musterte Thea mit einem prüfenden Blick. »Ich denke, du könntest auch eine gebrauchen. Es ist unklug, gegen die Fältchen erst dann etwas zu unternehmen, wenn sie sichtbar werden.«

Thea, die inzwischen selbst an der Idee des zollfreien Einkaufs Gefallen gefunden hatte, lächelte. »Ich denke, ich werde erst mal in den Buchladen schauen. Wir können uns dann später hier wieder treffen.«

Als sie am Flughafen von Marseille an der Gepäckausgabe standen, hatte Molly sich inzwischen das unverwechselbare gestreifte Tiger-Tours-Namensschild angeheftet. Nach und nach entdeckte Thea weitere dieser Namensschilder; sie zierten samt und sonders Frauen eines bestimmten Alters und Typs. Langsam gewann Thea den Eindruck, dass sie das Nesthäkchen der Gruppe sein würde. Selbst Molly mit über fünfzig war jünger als die meisten anderen. Es tauchten auch einige Männer mit diesen Namensschildern auf, und zaghaft wurde hie und da ein erstes Lächeln getauscht.

»Da siehst du, warum ich dich mitnehmen wollte.« Mollys Bühnenflüstern erreichte todsicher die letzten Ränge. »Die meisten dieser guten Leute gehören eigentlich in die Geriatrie. Ich wäre vielleicht von irgendeiner lieben alten Dame mit Inkontinenzeinlagen, die gar nicht mit mir mithalten kann, mit Beschlag belegt worden.«

Thea hoffte, dass die lieben alten Damen alle stocktaub waren. Hatte nicht jeder, der noch genug Unternehmungsgeist besaß, im Ausland Urlaub zu machen, das gewisse Etwas? Sie lächelte einige der Mitreisenden an, um sich von Mollys unfreundlichen Bemerkungen zu distanzieren.

»Gut, Leutchen«, meinte ein großer, dunkelhaariger Mann von Anfang fünfzig. »Bildet mal eine Runde, damit ich ein paar Anweisungen loswerden kann. Ich sehe schon einige vertraute Gesichter, und das ist gut so, weil ihr mir dann helfen könnt, die Neulinge auf Vordermann zu bringen.«

Thea warf Molly einen Blick zu und sah, dass sie wohlwollend lächelte. Es gab noch ein paar andere lächelnde Gesichter. Das waren offensichtlich alles Geralds Groupies. Gut, wenn er mit Molly fertig wurde, musste er schon über besondere Fähigkeiten verfügen. Der gute alte Derek dagegen stand eindeutig unter dem Pantoffel.

»Und warum tragen Sie kein Namensschild, junge Dame?«, fragte Gerald Thea mit einem öligen Lächeln.

»Ich habe es verloren«, erwiderte sie mit einem Anflug von Aufsässigkeit. Sie wusste bereits, dass Molly und sie sich niemals um einen Mann würden streiten müssen, jedenfalls nicht, wenn Gerald Mollys Idealbild entsprach.

»Das ist schon okay, Gerald, ich habe sie mitgebracht«, erklärte Molly. »Sie erinnern sich doch an mich? Letztes Jahr in Aix? Molly Pickford?«

»Molly! Gut, dass wir Sie wieder dabeihaben. Und Sie haben eine Freundin mitgebracht. Ausgezeichnet! Also, die toilettes liegen dort drüben, Leute, in der Richtung, und die Gepäckkarren stehen da hinten.«

Unter den Mitreisenden brach eine Debatte aus, was sie momentan nötiger brauchten; also bot Thea an: »Soll ich ein paar Gepäckkarren herholen? Sonst sind sie gleich alle weg.«

»Gute Idee. Ich werde hier bleiben, bis alle wieder da sind. Dann werden wir zum Bus gehen.«

Die Ferien hatten begonnen. Thea fragte sich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, sich für ein paar Tage von einem Billigflieger an einen Massenferienort bringen zu lassen, aber sie musste zugeben, dass sie sich niemals aufgerafft und alles stehen und liegen gelassen hätte, wenn Molly sie nicht praktisch zu dieser Tour gezwungen hätte. Wenn Molly sie zur Verzweiflung brachte, redete sie sich ein, konnte sie sich immer noch an eine der alten Damen hängen – sie hatte ja reichlich Auswahl.

Als Thea auf dem Bett lag und Molly beim Auspacken zusah, ging ihr durch den Kopf, dass sie seit einer Klassenfahrt während der Schulzeit nicht mehr das Zimmer mit einer Geschlechtsgenossin geteilt hatte. Damals hatten sie alle aus dem Rucksack gelebt. Dieses Stadium hatte Molly vielleicht nie kennen gelernt, oder es lag schon sehr weit hinter ihr. Sie erhob das Auspacken geradezu in den Rang einer Kunst. »Nur ungefähr ein Dutzend Kleiderbügel. Ich nehme an, du hast selbst keine mitgebracht, oder?«

»Nein«, antwortete Thea. »Aber zwölf Kleiderbügel sollten doch ausreichen, oder nicht? Das ist einer pro Tag.«

Molly seufzte. »Vielleicht hätte ich doch Einzelzimmer für uns beide buchen sollen. Die Hälfte des Platzes reicht niemals aus, um all meine Sachen unterzubringen.«

»Das geht schon. Niemand …« Sie wollte Molly gerade sagen, dass niemand unter fünfzig jemals seine Sachen auspackte, merkte aber gerade noch rechtzeitig, wie unfreundlich das geklungen hätte. »Ich werde meine Sachen einfach über diesen Stuhl hängen.«

»Aber den werden wir als Sitzgelegenheit brauchen, wenn wir Make-up auflegen.«

»Können wir das denn nicht im Bad erledigen? Im Stehen?«

»Also, du kannst das vielleicht, aber ich brauche dafür einen Stuhl, einen Vergrößerungsspiegel, gutes Licht und mindestens eine gute halbe Stunde Zeit. Ich bin nicht mehr so jung wie du.«

Nachdem sie alle Kleiderbügel bestückt und ihr Reisebügeleisen, ihren Föhn und die beheizbaren Lockenwickler auf die Schubladen verteilt hatte, machte Molly sich daran, ihre Schönheitsmittelchen zu entladen. Sie verteilte sie über den Tisch, nachdem sie es zunächst mit dem Platz unter dem Fenster versucht hatte. Das bedeutete, dass Thea ohne Ablage neben dem Bett auskommen musste und ihr nur noch eine winzige Einflugschneise am Fußende blieb, um ihr Bett zu erreichen. Aber nachdem sie bereits Boden verloren hatte, was die Garderobe anbelangte, befand sie sich in einer geschwächten Position. Außerdem faszinierte sie die schiere Anzahl der Patentcremes und Gesichtswässerchen, die Molly mitschleppte. Molly sah für ihr Alter sehr gut aus, und wenn das an all diesen Fläschchen lag, überlegte Thea, sollte sie ihr eigenes Schminkritual vielleicht auch auf einen neueren Stand bringen. Endlich war Molly fertig. Ihre vielen Kleider waren ordentlich im Schrank untergebracht. Ihre Unterwäsche füllte die Kommode. Ihr Badeöl, ihr Duschgel, ihr Shampoo, ihre Pflegespülung und ihr Haarspray standen in Reih und Glied auf der Ablage im Bad. Alle vorhandenen Haken hatten sich als notwendig erwiesen, um Beutel mit Wattebäuschen, Tupfern und Papiertüchern aufzunehmen, und auf dem Handtuchhalter hing ein spezielles Leinentuch für ihr Gesicht.

»Schätzchen, wo willst du all deine Sachen unterbringen? Ist das alles, was du dabeihast? Liebes, ich weiß, dass du viel jünger bist als ich, aber du musst doch mehr brauchen als nur diesen einen Topf Astral, oder? Wie sieht es mit Hautreiniger und Toner aus?«

Thea war immer noch verblüfft über die Vielzahl der Zutaten, die nötig waren, damit Molly wie Molly aussah; sie hatte das Gefühl, als könne sie ebenso gut gleich mit der Wahrheit herausrücken. »Ich habe mich nie viel mit Reinigern und Tonern abgegeben. Ich schmiere mir einfach etwas Creme ins Gesicht, wische sie mit Toilettenpapier wieder ab und schmiere dann vielleicht noch etwas mehr drauf.«

Molly war entsetzt. »Ich kann gar nicht glauben, dass irgendjemand heutzutage noch ohne Reiniger und Toner auskommt.« Sie musterte Thea eindringlich. »Gut, du scheinst bisher davongekommen zu sein, doch es könnte sich furchtbar rächen. Du musst etwas für dich tun, Thea …«

Bevor Molly den Rest aussprechen konnte, der nach Theas Erfahrung in etwa lauten musste: »Sonst wirst du nie einen Mann finden«, unterbrach Thea sie: »Was ich habe, ist ein Deodorant, das gleichzeitig eine Feuchtigkeitscreme ist. Davon werden meine Achselhöhlen wunderbar weich und lassen sich leicht enthaaren.«

Molly schürzte die Lippen. Sie war die geborene Kupplerin. Thea hatte das gespürt, sobald sie sich kennen lernten, und ihr daher eine sehr anschauliche und drastische Schilderung ihres Bruchs mit Conrad geliefert. Andernfalls, das hatte Thea damals schon gewusst und seither keinen Anlass gehabt, ihre Meinung zu ändern, hätte Molly einen allein stehenden Mann nach dem anderen aus dem Hut gezaubert, bis Thea vor lauter Langeweile nichts anderes übrig geblieben wäre, als in ein Kloster einzutreten.

Jetzt blickte Thea auf ihre Uhr. »Wir haben noch eine Dreiviertelstunde, bevor wir uns unten zum Dinner treffen.«

»Tatsächlich? Oh, Gott! Macht es dir etwas aus, wenn ich zuerst bade? Was wirst du anziehen?«

Thea hatte keine große Auswahl. »Irgendetwas in Marineblau, denke ich.«

Gerald lief ungeduldig im Foyer des Hotels hin und her und wartete auf die letzten Schäfchen seiner Herde, als Molly und Thea herunterkamen. Er wollte alle geschlossen zum Dinner antreten lassen. »Schon wieder zu spät, Molly! Haben wir uns nicht schon mal über Pünktlichkeit unterhalten, als wir letztes Mal zusammen unterwegs waren?«

»Es war meine Schuld«, sagte Thea und opferte ihrer Freundin zuliebe die Wahrheit. Aber dann merkte sie, dass sich Molly fröhlich gegen Geralds ernst gemeinte Ermahnung auflehnte, und begriff, dass es ihrer Freundin so gefiel. Ohnehin hätte Thea niemand geglaubt, dass sie mehr als zehn Minuten gebraucht hatte, um sich zurechtzumachen – ihr Haar war immer noch feucht und ihr marineblauer Rock ausgesprochen zerknittert.

»Ach, Gerald, was sind Sie doch für ein Tyrann!«, seufzte Molly. »Ich weiß gar nicht, warum ich mit Ihnen fahre.«

Während die ganze Schar Reisender durch die enge Straße zum Restaurant marschierte, fragte sich Thea, ob es Molly wohl gefallen würde, wenn Derek ebenso herrisch aufträte wie Gerald. Sicherlich nicht. Es war eine Sache, es zu genießen, sich in den Ferien einige Tage lang von Gerald herumkommandieren zu lassen – aber etwas ganz anderes, mit jemandem zusammenzuleben, den man nicht unter Kontrolle hatte.

»Also, ich für meinen Teil finde, dass das Bad schrecklich eng ist«, bemerkte eine Frau, die ihren Ehemann mitgebracht hatte und sich damit den weniger Glücklichen gegenüber im Vorteil befand.

»Wie war es wohl für seinen Teil?«, murmelte Thea vor sich hin.

Vor dem Klingen der Gläser wurde eine Stimme mit südostenglischem Akzent laut. »Ich habe gesucht und gesucht, und sie hatten auch sonst alles da, aber eben nicht Karten, auf denen ›An meine Putzhilfe‹ stand. Also musste ich für sie eine mit Blumen nehmen.«

Thea lauschte fasziniert und überhörte zuerst die freundliche Frage ihrer Tischnachbarin. »Ist dies Ihre erste Reise mit Tiger Tours?« Sie war bestimmt jenseits der fünfundsiebzig, aber ihre Augen glänzten verräterisch.

»Ja«, antwortete Molly für Thea. »Ich habe sie mitgebracht.«

»Ich verstehe«, meinte die alte Dame und nahm Molly in Augenschein. »Es ist schön, eine jüngere Begleitung zu haben, wenn man selbst älter wird.«

Molly wollte schon protestieren, als die alte Dame unbeirrt fortfuhr: »Nur ein kleiner Scherz, meine Liebe.« Sie zwinkerte Thea schelmisch zu.

»Also, alle mal herhören«, rief Gerald vom Kopf der Tafel aus. »Die Vielgereisten unter Ihnen kennen ja schon die Regeln von Tiger Tours. Wir nennen alle unseren Nachbarn zur Linken unseren Namen, und dieser Nachbar macht Sie dann mit der Person zu seiner Linken bekannt, sodass wir anschließend alle wissen, wie wir heißen.«

»Ich hasse das«, brummte die alte Dame. »Ich heiße Doris, meine Liebe. Verraten Sie mir Ihren Namen, aber machen Sie sich nicht die Mühe, mir den irgendeines anderen zu nennen. Ich werde ihn ohnehin nicht behalten.«

»Du hast mich nicht vorgewarnt, dass es Gesellschaftsspiele geben würde«, beschwerte sich Thea bei Molly, als das Ritual durchgestanden war. »Unter diesen Umständen wäre ich nicht mitgekommen.«

»Papperlapapp«, sagte Molly, »das ist nur ein bisschen Training, damit wir uns besser kennen lernen. Ah, gut, da kommt der Wein.«

Am Ende des Abends war Thea müde, sah dem Urlaub aber auch mit sehr viel mehr Optimismus entgegen. Nicht alle Mitreisenden waren wirklich alt, und die wenigen, auf die das zutraf, schienen ihre Jahre durch ihr Interesse aneinander und am Leben ganz allgemein wettmachen zu wollen. Auf dem Heimweg ins Hotel gähnte sie herzhaft, beteiligte sich nicht an dem allgemeinen Geschnatter und war bereits eingeschlafen, bevor Molly ihr großes Schlafenszeit-Schönheitsritual beendet hatte.

Nach ungefähr einer Stunde wurde sie wieder wach. Molly schnarchte laut und unregelmäßig. Thea vergrub sich unter den Decken und fragte sich, ob sie es jemals schaffen würde, wieder einzuschlafen. Morgen würde sie versuchen, sich Ohrstöpsel zu besorgen, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sie das bewerkstelligen sollte – schließlich sprach sie nur wenig Französisch. Es wäre Molly gegenüber nicht fair gewesen, den redegewandten Gerald um Hilfe zu bitten, da er ja wusste, dass Molly und sie ein Zimmer teilten, und sie so verliebt in ihn war.

Aix-en-Provence gefiel Thea. Es war ein bezauberndes Städtchen, voll von schönen Brunnen, alten Häusern und herrlichen Cafés. Es war schade, dass sie nachts so schlecht schlief – denn das bedeutete, dass sie tagsüber im Bus sehr leicht einschlief. Wenn Molly sie mit geschlossenen Augen erwischte, versetzte sie ihr einen Rippenstoß und befahl ihr, aus dem Fenster zu schauen. Es war nicht so, dass Thea sich nicht gern ein weiteres Mal den Le Mont St. Victoire angesehen hätte – der Berg gefiel ihr, und sie konnte vollkommen verstehen, dass er Cézanne offensichtlich nicht losgelassen hatte –, aber sie war einfach müde.

Am vierten Tag versammelte sich die Reisegesellschaft in einem schönen Raum in einem der alten hôtels, die inzwischen von der Universität genutzt wurden. Porträts der Würdenträger von Aix blickten missbilligend auf die stapelbaren Plastikstühle hinab, die dort für die Studenten aufgestellt worden waren, und die erfahrenen Tiger-Tours-Reisenden hatten ihre Notizbücher und Stifte gezückt. Auf dem Programm stand ein Vortrag über Cézanne.

Thea saß hinten in sicherer Entfernung von Molly neben einigen der älteren Mitglieder der Reisegruppe, die vielleicht selbst einnickten und sie nicht kritisieren würden, wenn ihr das Gleiche passierte. Der Nachmittag war als »freie Zeit« ausgewiesen, und Thea wusste, dass Molly einkaufen gehen wollte. Frei würde die Zeit für keine von ihnen beiden sein: Molly würde sie ein Vermögen kosten, und Thea würde sich vergebens danach sehnen, dem Einkaufsbummel zu entkommen.

Der Dozent betrat den Raum. Zuerst dachte Thea, es müsse jemand sein, den man herbeigerufen hatte, um die Stühle anders hinzustellen oder dergleichen, denn er war viel zu jung, um irgendetwas mit Tiger Tours zu tun haben zu können – er war sogar jünger als Thea selbst. Er war groß, dunkelhaarig und einfach eine Augenweide. Thea setzte sich aufrecht hin und beschloss, doch nicht einzuschlafen – alte Baudenkmäler hatten ihre eigene Schönheit, aber das Gleiche galt für gut gebaute junge Männer mit blauen Augen und langen Wimpern. Er war in Petals Sprachgebrauch »eine Schnitte«.

Thea schenkte ihm ein paar Augenblicke lang ihre Aufmerksamkeit, nur um festzustellen, dass sein gutes Aussehen ihn nicht automatisch zu einem guten Vortragsredner machte. Er sprach zu leise, er lächelte nicht, und im Gegensatz zu dem redegewandten Gerald gelang es ihm nicht, sein Thema mit ein wenig Enthusiasmus zum Leben zu erwecken. Er sprach, soweit sie es hören konnte, in einem typisch irischen Singsang, und das war angenehm einschläfernd.

Nach ungefähr zehn Minuten wachte Thea wieder auf und beschloss, nicht mit Molly einkaufen zu gehen; stattdessen würde sie sich einen Lunch gönnen. Thea ging genauso gern einkaufen wie alle anderen auch, aber nicht zusammen mit jemandem, der eine Goldkarte und ein unbezähmbares Verlangen nach der fünfzigsten Handtasche hatte. Außerdem fand sie immer noch nicht genug Schlaf, sodass ihr einfach die Energie für eine solche Unternehmung fehlte.

Den Rest der Vorlesung brachte sie damit zu, sich eine Gesprächsstrategie für Molly zurechtzulegen: »Ich werde zurück auf mein Zimmer gehen und ein wenig Proust lesen.« Das würde Molly für gut zehn Sekunden zum Schweigen bringen. Würde diese Zeit ausreichen, um in eine Nebengasse zu entkommen und dort in einem kleinen Café zu verschwinden? Möglicherweise, überlegte sie, aber danach würde sie sich ein Buch von Proust kaufen und Molly ihre plötzliche Leidenschaft für Kultur erklären müssen. Sie konnte natürlich auch einfach zugeben, dass sie müde war, weil sie nicht schlafen konnte, und keinen anderen Wunsch verspürte, als draußen vor einem Café in der Sonne zu sitzen. Was aber unfreundlich gewesen wäre. Außerdem würde Molly wahrscheinlich nicht glauben, dass sie schnarchte. Derek und sie schliefen in getrennten Schlafzimmern, aber Thea war bisher der Eindruck vermittelt worden, der Grund dafür seien Dereks Körperfunktionen und nicht die Mollys.

Als die Vorlesung beendet war, hatte Thea sich immer noch nichts ausgedacht, was Molly zufrieden stellen würde. Molly hatte sie noch nicht ganz erreicht, als sie ihr bereits erklärte: »Wir werden uns den Lunch sparen und später nur einen Kaffee trinken …«

Es war nicht sofort erkennbar, dass Molly gar nicht mit Thea sprach, sondern mit der Frau hinter ihr, Joan, die, wie Thea wusste, eine ganz nette Person aus der Gegend von London war. Joan stand Molly, was das Alter und das verfügbare Budget anbelangte, näher als ihr und suchte jetzt offensichtlich jemanden, der mit ihr einkaufen ging.

»Bist du bereit, Thea? Ich habe gerade gesagt, dass wir den Lunch ausfallen lassen und später einen Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen.«

»Ach, eigentlich … Molly, würde es dir sehr viel ausmachen, wenn ich nicht mitkäme? Ich will ein paar Fotos machen und muss noch Postkarten schreiben.«

Molly ließ das fast ohne Widerspruch durchgehen. »Bist du dir sicher? Nun, das ist gut. Joan und ich werden schon zurechtkommen.«

Thea fühlte sich wie früher beim Schuleschwänzen, als sie Molly nachwinkte, und machte sich dann selbst auf den Weg. Vierundzwanzig Stunden Seite an Seite mit Molly Pickford hatten in ihr eine starke Sehnsucht nach Einsamkeit geweckt.

Sie fand einen bezaubernden place mit einem schönen kleinen Brunnen und einem reizenden Café, vor dessen Tür Tische und Stühle aufgestellt waren. Auf einen davon ließ sie sich fallen und bestellte sich ein Bier und einen Salade Niçoise. Dann nahm sie ihr Buch aus der Tasche.

»Darf ich mich zu Ihnen setzen? Ich spreche kein Wort Französisch, und ich habe einen Durst, der mich … noch um den Verstand bringt.«

Thea blickte auf; vor ihr stand der gut aussehende, langweilige Dozent. Aus der Nähe betrachtet wirkte er viel weniger langweilig. Sie musste lächeln. »Sie können sich doch bestimmt ein Bier bestellen, oder? Ich spreche auch nicht gut Französisch.«

Er setzte sich auf einen Stuhl an ihrem Tisch. »Das kann ich, und ich könnte vielleicht auch einen Cognac bestellen, aber ich möchte außerdem etwas essen. Und ich weiß, dass man hier, wenn man nicht aufpasst, plötzlich einen Salat mit lauter Innereien vor sich stehen hat. Was ist das denn?« Misstrauisch musterte er Theas Salat, der in diesem Moment serviert wurde. »Sie geben hier Mägen an den Salat, wissen Sie?«

»Anschovis. Das ist ein Salade Niçoise. Bestellen Sie sich einen, er ist köstlich.«

»Pour moi aussi«, sagte er zu dem Kellner und deutete auf Theas Teller und Glas. »S’il vous plaît.«

»Sehen Sie, Sie kommen wunderbar zurecht.« Thea fühlte sich immer wohler. Es gab Schlimmeres im Leben, als mit einem attraktiven Mann in der Sonne zu sitzen, zu essen und zu trinken.

»Das stimmt, aber als ich Sie hier sitzen sah, dachte ich: ›Warum an einer attraktiven Frau vorbeigehen und allein essen, wenn ich sie zumindest vom Sehen kenne und ihr meine Gesellschaft aufdrängen könnte?‹« Er streckte ihr die Hand hin. »Rory Devlin.«

Thea nahm seine Hand und hoffte, dass er ihr Erröten dem Sonnenschein der Provence zuschrieb. »Thea Orville.«

»Was macht denn so eine nette junge Frau wie Sie auf einer Reise von Tiger Tours?«

»Ein bisschen Kultur schlabbern und netten jungen Männern zuhören, die mir etwas über Cézanne erzählen.«

»Ich war Mist, was? Ich habe mehr über Cézanne vergessen, als die meisten dieser Leute jemals wussten, und ich bringe es nicht fertig, ihn interessant zu machen.«