Sonne, Meer – und Tod - Dana Kilborne - E-Book
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Sonne, Meer – und Tod E-Book

DANA KILBORNE

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Beschreibung

Willkommen auf der Insel des Todes – der Horror beginnt!
Sonne, Strand und Meer! Klingt paradiesisch? Ist es aber nicht, zumindest nicht für Jamie, als sie im Tropicana Beach Club ankommt. Denn Jamie ist aus einem bestimmten Grund auf Trinidad: Sie ist nämlich überzeugt, dass ihr Bruder hier ermordet wurde. Um den Täter zu finden, schleicht sie sich als Tanzlehrerin in den Club ein. Als eine Reihe von Anschlägen auf andere Mitarbeiter verübt wird, ist klar: Hier kann sie niemandem trauen. Eines Nachts sieht sie plötzlich jemanden vor ihrem Bungalow herumschleichen, und die Lage spitzt sich dramatisch zu … Wird es Jamie gelingen, den Mörder ihres Bruders zu überführen? Oder wird auch sie die Insel nicht lebend verlassen?

Thriller für Jugendliche und Junggebliebene in zwei Teilen. Teil 2 "Party, Palmen - und Mord" ist ebenfalls erhältlich. Beide Teile sind auch einzeln und unabhängig voneinander lesbar. Empfohlen wird dennoch die richtige Reihenfolge. Ist einfach spannender ;-)

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Impressum

Prolog

Dunkel und still lag der Wald da. Schwarze Wolken hingen tief am Himmel und verdeckten die Sicht auf den fast vollen Mond und die Sterne. Die dichten Kronen der Bäume taten ihr Übriges, dass kein Lichtschimmer den Erdboden erreichte, der von dichtem Laub und weichem Moos bedeckt war. Plötzlich kam Wind auf und fuhr raschelnd durch das Unterholz.

Tiger öffnete die Augen.

Um ihn herum war es stockfinster, doch seine Katzenaugen erlaubten es ihm, auch bei absoluter Dunkelheit zu sehen. Nicht, dass es hier draußen viel zu sehen gab. Tiger erhob sich von dem weichen Laubhaufen, in dem er sein Nickerchen gehalten hatte, und streckte sich genüsslich. Dann fing er an, sich das Fell zu putzen, so wie er es immer tat, wenn er gerade aufgewacht war.

Ein seltsames Geräusch ließ ihn innehalten. Was war das? Ein Kaninchen vielleicht? Oder ein Reh?

Nein. Argwöhnisch blickte er sich um, während er angestrengt lauschte. Da war es wieder. Es klang fast wie ihre Schritte – die des Mädchens, bei dem er wohnte. Nur viel schwerer und unbeholfener. Eher wie ein großes, schwerfälliges Tier, nicht wie ein Mensch.

Ein Tier? Tigers Barthaare zitterten vor Aufregung. Nein, das war kein gewöhnliches Tier. Irgendetwas Merkwürdiges trieb sich hier draußen im Wald herum. Doch damit hatte er nichts zu tun.

Er wollte sich gerade erheben, um zurück zum Haus des Mädchens zu laufen, als er das Fauchen hörte. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Erst jetzt fiel ihm auf, wie ruhig es war. Der Wald war sonst immer von unzähligen Geräuschen erfüllt. Das Rascheln von Käfern, die durch das verrottende Laub am Boden krochen, Eichhörnchen, die an den Bäumen emporkletterten, und das Flattern von Vögeln, die ihr Gefieder schüttelten. Jetzt aber war es, abgesehen von den seltsamen Schritten, absolut still.

Totenstill.

Angstvoll legte Tiger die Ohren an. Was für ein Narr er doch war, hier durch die Dunkelheit zu tappen, wo er stattdessen gemütlich zusammengerollt am Fußende vom Bett des Mädchens liegen könnte!

Als er den gewaltigen Schatten mit den langen Klauen und den Reißzähnen der aufrecht laufenden Gestalt erblickte, gab es für ihn kein Halten mehr. Mit einem Fauchen wirbelte Tiger herum und rannte so schnell wie noch nie in seinem Katzenleben zuvor.

1.

Fluchend rammte Jocelyn die schwere Mistgabel ins Stroh und beförderte die übel riechende Ladung in den Schubkarren, der im Gang bereitstand. Wäre ich doch nur nicht so dumm gewesen! Dann bräuchte ich jetzt nicht diesen blöden Stall ausmisten!

Jocelyn war sauer. Auf die Schule, die Lehrer, ihre Eltern – und vor allem auf sich selbst.

»Hey, was machst du denn hier?«

Ihre Miene hellte sich schlagartig auf, als sie die Stimme ihrer Freundin Claire hinter sich vernahm. Jocelyn drehte sich um, und einen Moment standen sich die Freundinnen nur schweigend gegenüber. Dann musste Claire grinsen.

»Kannst du mir mal sagen, was so lustig ist?«, fragte Jocelyn leicht gereizt, obwohl sie es sich eigentlich schon denken konnte. In ihren alten Fetzenjeans, dem dreckigen Pullover und den viel zu großen Gummistiefeln, mit der Mistgabel in der Hand und glänzenden Schweißperlen auf der Stirn gab sie mit Sicherheit ein reichlich dämliches Bild ab.

»Ach, nichts weiter.« Claire winkte kichernd ab. »Ich hab mich nur grad gefragt, ob der Dress nichts für die nächste Party wäre. Das käme bestimmt gut an.«

»Sehr witzig. Glaubst du etwa, mir macht es Spaß, so rumzulaufen?«

»Warum machst du es dann? Es gehört doch sonst nicht zu deinen Aufgaben, die Ställe auszumisten.«

»Stimmt, aber du kannst dir ja bestimmt denken, warum meine Eltern mir diese Strafarbeit aufgebrummt haben.«

Claire überlegte kurz, dann verzog sie mitfühlend das Gesicht. »O je, ist das etwa wegen dem Brief vom alten Matthews? Wegen deiner schlechten Leistungen in Mathe?«

»Erraten.« Jocelyn seufzte. Sie verstand sich ja selbst nicht mehr. Früher war sie mal gut in der Schule gewesen, heute brachte sie eine schlechte Note nach der anderen nach Hause. Wenn kein Wunder geschah, würde es auf dem nächsten Zeugnis sogar eine Fünf geben. Genau das hatte ihr Mathelehrer Mr. Matthews ihren Eltern in seinem Brief auch mitgeteilt. Und auch, dass sie bei der letzten Arbeit schon nach dem ersten Blick auf die Aufgaben aufgegeben und ein leeres Blatt abgegeben hatte. Aber was sollte sie denn machen? Sie konnte den Kram einfach nicht! Dass ihren Eltern dafür jegliches Verständnis fehlte, wunderte sie nicht.

Mathe war ihr Problemfach. Sie wusste selbst nicht, woran es lag, aber sie konnte sich einfach unheimlich schlecht auf den Stoff konzentrieren, auch in den anderen Fächern, aber bei Mathe war es ganz besonders schlimm. Ihren Eltern gefiel das natürlich gar nicht, und ihr Dad ließ sich jedes Mal was Neues einfallen, um seiner Tochter für schlechte Arbeiten einen Denkzettel zu verpassen. Meistens bekam sie Hausarrest, dieses Mal musste sie halt die Ställe der Ponys ausmisten.

Es war ja nicht mal so, dass sie ihren Eltern, die einen kleinen Wildpark leiteten, nie bei der Arbeit zur Hand ging, im Gegenteil: Sie packte sogar recht häufig mit an. Ställe ausmisten aber fand sie ganz furchtbar, und das wusste ihr Dad genau. Gerade deshalb hatte er sie heute zu dieser Aufgabe verdonnert.

»So eine Strafarbeit ist aber auch nicht gerade das Wahre«, murmelte Claire. »Vielleicht sollte jemand deinen Alten mal verklickern, dass solche Methoden längst überholt sind.«

»Vergiss es.« Jocelyn schüttelte den Kopf. »Gegen solche Belehrungen sind die resistent. Aber irgendwie bin ich’s ja auch selbst schuld. Wenn ich wenigstens versucht hätte, die letzte Mathearbeit wenigstens einigermaßen auf die Reihe zu kriegen. Aber als ich da vor den Aufgaben saß, wurde mir richtig übel. Ich hatte das totale Blackout, weißt du?«

»Und da hast du aufgegeben.« Claire nickte. »So ganz kapier ich’s ja auch nicht. So schwer war die Arbeit nämlich eigentlich gar nicht. Vielleicht solltest du einfach zu Hause mal ein bisschen was für die Schule tun.« Sie hob rasch die Hände. »Hey, ich will jetzt hier echt nicht die Streberin raushängen lassen, aber …«

»Nee, ist schon gut. Du hast ja auch recht. Ich hätte es wenigstens versuchen können. Na ja, jetzt ist es nicht mehr zu ändern. Wenigstens sind jetzt Herbstferien und ich hab für eine Weile Ruhe vor der doofen Penne... Aber sag mal, was treibst du eigentlich hier?«

Claire lachte. »Na, was wohl? Ich wollte meine beste Freundin besuchen. Und da ich jetzt schon mal hier bin, kann ich dir auch gleich helfen. Also, habt ihr noch irgendwo so ein Teil?« Sie deutete auf die Mistgabel.

Dankbar nickte Jocelyn, und kurz darauf legten die Freundinnen gemeinsam los.

»Sag mal, ist das der Neue, von dem du mir neulich erzählt hast?«

Es dämmerte bereits, als Jocelyn und Claire mit dem Ausmisten der Ställe fertig waren. Sie befanden sich gerade auf dem Rückweg zum Wohnhaus, das sich auf der anderen Seite des Tierparks befand, als Claire plötzlich stehen blieb.

Jocelyn folgte dem Blick ihrer Freundin und verzog die Miene. »Ach, du meinst Percy? Ja, das ist er.« Sie schauderte. »Er ist irgendwie unheimlich, findest du nicht?«

»Unheimlich? Du hast sie ja nicht mehr alle«, erwiderte Claire kopfschüttelnd. »Entweder du bist blind, oder du hast einfach keinen Geschmack. Der Typ ist echt der totale Hammer! Also, mit dem würd ich gern mal ausgehen, das sag ich dir aber. Die Mädels aus unserer Klasse würden blass werden vor Neid!«

»Na, wenn du meinst …«

»Warum fragst du ihn nicht, ob er dich zum Herbstball begleitet?«, fragte Claire. »Soweit ich weiß, hast du doch ebenfalls noch keinen Begleiter, oder?«

Jocelyn schüttelte den Kopf. »Nein, hab ich nicht. Aber Percy werde ich ganz bestimmt nicht fragen, darauf kannst du dich verlassen.«

»Vielleicht sollte ich einfach mein Glück versuchen«, sagte Claire grinsend.

»Tu, was du nicht lassen kannst, meinen Segen hast du. Aber behaupte hinter her bloß nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«

Trotzdem musterte sie den neuen Pfleger, den ihre Eltern erst vor ein paar Wochen eingestellt hatten, noch einmal heimlich aus den Augenwinkeln, während sie weitergingen. Sie konnte nicht verstehen, was Claire an Percy fand. Er sah schon ganz gut aus, das stimmte, aber irgendwie hatte er eine seltsame Ausstrahlung. Außerdem sprach er so gut wie nie, und wenn er mal den Mund aufmachte, dann klang er nicht besonders freundlich.

Nein, ihr Fall war Percy ganz eindeutig nicht. Sie bevorzugte fröhliche, lockere Jungs, mit denen man Spaß haben konnte. Mit trübsinnigen Grüblern konnte sie hingegen nicht so viel anfangen. Und genau so einer schien Percy zu sein.

Sie nahmen die Abkürzung durch das Gehege der Damhirsche, und kurz darauf erreichten sie das Haus, in dem Jocelyn mit ihren Eltern lebte. Es war ziemlich idyllisch, wenn auch einsam gelegen. Die nächste kleine Ortschaft, in der auch Claire und die meisten anderen Kids aus ihrer Schulklasse wohnten, war mit dem Auto gut eine Viertelstunde entfernt. Mit dem Fahrrad brauchte man locker eine halbe Stunde, und das war gerade bei schlechtem Wetter nicht immer eine Freude.

Aber wenn sie recht darüber nachdachte, konnte sich Jocelyn eigentlich gar nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Der Wildpark war schon ihr Zuhause, solange sie zurückdenken konnte. Sie liebte die Arbeit mit den Tieren, obwohl diese zugleich auch sehr zeitintensiv war – auch wenn das Ausmisten der Ställe nicht zu ihren Lieblingsaufgaben gehörte. Nein, im Grunde war ihr Leben gar nicht mal so verkehrt, wenn man mal von der Schule absah, und davon, dass ihr noch immer nicht der richtige Junge über den Weg gelaufen war.

Aber das mit dem ›über den Weg laufen‹ war in einer Gegend wie dieser auch gar nicht so einfach. Eigentlich kannte Jocelyn nur die Leute von der Schule (von daher war es vielleicht doch gar nicht so schlecht, dass es so was gab), und ein paar Kids aus Ambleside, aber das war ziemlich weit entfernt, von daher sah man sich nur recht selten. Die Besucher des Parks bekam man in der Regel nur einmal zu sehen, ehe sie wieder nach Hause abreisten. Nicht gerade die perfekten Bedingungen für eine Fünfzehnjährige, um die Liebe fürs Leben zu finden.

»Na, worüber grübelst du denn jetzt schon wieder nach?«, riss Claire sie aus ihren Gedanken.

Jocelyn seufzte. »Kannst du dir das nicht denken? Ich bin die Einzige in unserer Klasse, die noch nie mit einem Typen ausgegangen ist. Selbst du hattest schon mal ein Date!«

»Ich? Hör mal, du spielst doch hoffentlich nicht auf das Desaster mit Kevin Preston an, oder?« Ihre Freundin verdrehte die Augen. »Das kann man ja wohl kaum als ein Date bezeichnen. Du weißt genau, dass meine Mom die ganze Sache eingefädelt hat. Und das auch nur, weil Kevins Mutter immer zusammen mit meiner im Kirchenchor singt. Ich sag dir, das war eine abgekartete Sache! Außerdem waren wir nur zusammen auf einem Pfarrfest gewesen, und es war tödlich langweilig.«

»Immer noch besser als gar nichts«, wandte Jocelyn ein, obwohl sie Claire nicht gerade um ihre Erfahrung beneidete. »Im Gegensatz zu mir kannst du wenigstens überhaupt etwas vorweisen!«

»Ach, und was ist mit dir und Liam?«

Jocelyn schnaubte empört. »Liam? Hast du sie noch alle? Mit dem würde ich nichts anfangen, selbst wenn er der letzte Junge auf Erden wäre. Nee danke, ich verzichte.«

»Wieso? Eigentlich ist er doch ganz niedlich.«

»Du leidest heute wohl an Geschmacksverkalkung?« Sie schüttelte den Kopf. »Zuerst findest du Percy süß, und jetzt soll Liam niedlich sein? Hast du Fieber oder so was?«

»Also, besser als Kevin ist er allemal.« Sie verzog das Gesicht. »Hab ich dir eigentlich mal erzählt, dass er versucht hat, mich zu küssen? Das war voll widerlich, sag ich dir! Ich wette, dein Liam küsst besser.«

»Lass dir bloß nicht einfallen, ihn noch einmal meinen Liam zu nennen! Echt, der Typ ist die reinste Pest! Ich versuch jetzt schon seit einer halben Ewigkeit ihm klarzumachen, dass er bei mir nicht landen kann, aber er kapiert es einfach nicht.« Jocelyn suchte ihren Schlüsselbund, doch sie konnte ihn nicht finden. Dann fiel ihr ein, dass sie ihn im Ponystall an einen Nagel gehängt hatte – wo er zweifelsohne noch immer hing. »Shit, ich hab mein Schlüssel im Stall vergessen«, sagte sie. »Ich muss noch mal zurück.«

Claire stöhnte. »Also ehrlich, eines Tages vergisst du noch mal deinen Kopf. Ich muss jetzt aber los, Süße. Du kommst doch allein klar, oder?«

»Du meinst, ob ich mich fürchte, im Halbdunkeln noch mal zurück zu den Ställen zu gehen?« Lachend schüttelte Jocelyn den Kopf. »Du solltest mich echt besser kennen. Ich fürchte mich nicht im Dunkeln, und hier auf dem Gelände gibt es keinen Stein, den ich nicht kenne. Mach dir also mal keine Sorgen um mich.«

Zweifelnd schaute Claire zum Himmel. »Bist du sicher? Es ist höchstens noch eine halbe Stunde hell und …«

»Ich muss auch noch die Kaninchen füttern«, sagte Jocelyn. »Weiß auch nicht, wie ich die armen Viecher vergessen konnte. Du siehst also, es bleibt mir sowieso nichts anderes übrig, als noch mal zurück in den Park zu gehen.«

»Wenn du meinst.«

»Ich meine«, erwiderte Jocelyn. »Und jetzt mach, dass du wegkommst. Im Gegensatz zu meiner Mom dreht deine ja durch, wenn du nicht vor Sonnenuntergang zu Hause bist.«

Die beiden Freundinnen verabschiedeten sich voneinander, dann machte Jocelyn sich auf den Weg zurück zu den Ponyställen.

»Hey, mein Sonnenschein, wie geht’s, wie steht’s?«

Jocelyn unterdrückte ein Seufzen. Es war tatsächlich schon fast stockfinster draußen, als sie endlich dazu kam, die Kaninchen zu füttern. Aber sie brauchte auch kein Licht, um den Neuankömmling zu erkennen.

»Was willst du, Liam?«, fragte sie barsch. »Hast du eigentlich kein Zuhause oder so?«

»Wie immer ist deine Freundlichkeit geradezu überwältigend«, erwiderte er mit einem strahlenden Lächeln. »Aber glaub nicht, dass ich mich davon beeindrucken lasse. Wie oft habe ich’s dir jetzt bereits gesagt? Eines Tages krieg ich dich schon noch rum, Sweetheart.«

Darauf kannst du lange warten, dachte Jocelyn genervt. Liam war so ziemlich der letzte Typ auf dem Planeten, mit dem sie freiwillig ihre Zeit verbringen wollte. Dummerweise war ihre Mom der Ansicht, dass Liam total gut zu ihr passte. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit versuchte sie, Jocelyn mit ihm zu verkuppeln. Und Liam machte natürlich begeistert mit. Er nutzte so ziemlich jede Chance, sie anzubaggern, was Jocelyn total auf die Nerven ging.

Sie hatte schon ein paar Mal versucht, ihre Mutter zur Vernunft zu bringen. Gebracht hatte es allerdings nichts. Wenn Janet O’Hara sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war sie nicht so schnell davon abzubringen. Dasselbe traf allerdings auch auf ihre Tochter zu – und die war fest entschlossen, sämtlichen Kuppelversuchen zu widerstehen. Im Fall von Liam fiel ihr das allerdings nicht besonders schwer, denn sie konnte den Typen einfach nicht ausstehen.

Jocelyn beschloss, eine neue Strategie an ihm auszuprobieren, indem sie ihn einfach ignorierte (was nicht gerade leicht war, da er beinahe ununterbrochen redete). Dabei half ihr, dass sie im Moment ohnehin etwas anderes im Kopf hatte: Eines der Kaninchen – ausgerechnet ihr Liebling Spottie – schien spurlos verschwunden zu sein.

»Wo steckst du denn bloß?«, murmelte sie geistesabwesend, während sie zum wiederholten Male sämtliche Käfige durchsuchte.

»Aber ich stehe doch direkt neben dir, Baby«, erwiderte Liam in einem erfolglosen Versuch, komisch zu sein.

»Halt die Klappe«, fuhr sie ihn an. »Deine dummen Witze helfen mir auch nicht weiter.«

Zuerst schwieg er eingeschnappt, erkannte dann aber, dass er sich damit ins eigene Fleisch schnitt, und fragte stattdessen: »Was ist denn los? Wurde einem der Viecher eine Möhre geklaut?«

»Nein«, antwortete Jocelyn (sie hatte beschlossen, ihre neue Liam-Abwehrtaktik ein anderes Mal zu versuchen). »Spottie ist weg. Er ist einfach verschwunden. Ich versteh das überhaupt nicht. Keiner der Käfige war offen! Er kann überhaupt nicht ausgebrochen sein!«

»Spottie?« Liam hob eine Braue. »Du gibst diesen Tieren Namen?«

»Natürlich haben sie Namen, Blödmann! Das sind auch Lebewesen, falls du es noch nicht erkannt hast.«

»Das sind Kakerlaken auch – und ich hab noch nie erlebt, dass denen irgendjemand Namen verpasst hätte.«

Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu. »Du bist echt unmöglich. Manchmal frag ich mich wirklich, warum du eigentlich hier arbeitest. Ich meine, wo du Tiere doch ganz offensichtlich überhaupt nicht abkannst.«

»Das stimmt doch gar nicht«, protestierte Liam sofort. »Ich mag Tiere. Sehr sogar. Nur mit diesen kleinen Karottenfressern kann ich nun mal nix anfangen. Das wird ja wohl erlaubt sein.«

Jocelyn sparte sich die Antwort. Es war ein Fehler gewesen, überhaupt mit Liam zu sprechen. Am besten konnte man den Typen ertragen, wenn man ihn einfach wie Luft behandelte. Dummerweise machte er einem das mit seiner nervigen Art ziemlich schwer.

»Willst du nicht langsam mal mit der Sucherei aufhören?«, fragte er nach einer Weile.

»Wenn es dir zu langweilig ist, kannst du ja gehen.«

»Sorry, aber ich finde das reichlich überflüssig. Ist doch offensichtlich, dass das Viech irgendwie aus seinem Käfig gekommen ist. Und wenn es jetzt irgendwo da draußen im Wald ist, kann man ihm eh nicht mehr helfen.«

»Du hast ja keine Ahnung, wovon du sprichst!«, fauchte Jocelyn wütend. »Kümmere dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten, und lass mich in Frieden.« Sie schüttelte den Kopf. Obwohl sie selbst inzwischen ebenfalls befürchtete, dass Spottie von einem Fuchs oder einer Wildkatze zum Abendbrot verspeist worden war, fand sie Liams Art einfach total daneben. »Sag mal, bezahlen dich meine Eltern nicht eigentlich dafür, dass du ihnen nach der Schule bei der Arbeit hilfst? Mir kommt es irgendwie so vor, als würdest du die ganze Zeit immer nur hinter mir herschleichen.«

»Deine Mutter sagte, ich solle für heute Schluss machen«, erwiderte er grinsend. »Um genau zu sein, meine letzte Aufgabe ist es, dich zum Haus zu begleiten.«

Jocelyn unterdrückte ein Stöhnen. Typisch Mom, dachte sie und bereute einmal mehr, ihren Schlüsselbund im Stall vergessen zu haben. Hätte sie dran gedacht, hätte sie nicht noch einmal zurückkommend müssen – und dann bräuchte sie sich jetzt nicht mit diesem Vollidioten rumärgern.

»Ich schaff das schon ganz gut allein«, sagte sie abweisend. »Du kannst dich also jetzt vom Acker machen, verstanden?«

»Aber deine Mom …«

»Das interessiert mich nicht, Liam. Ich will, dass du mich in Ruhe lässt und einen Abgang machst, ist das echt so schwer zu verstehen?«

Für einen kurzen Moment schien er wie erstarrt. Dann warf er Jocelyn einen letzten wütenden Blick zu, ehe er auf dem Absatz kehrtmachte und ging.

»Na endlich«, seufzte sie und setzte ihre Suche nach Spottie fort.

Sie wurde an diesem Abend nicht mehr fündig.

Als Jocelyn knapp eine halbe Stunde später mit ihren Eltern am Abendbrottisch saß, wünschte sie beinahe, Liam nicht so rasch abgefertigt zu haben. Ihr Dad brachte nämlich mal wieder das leidige Thema Schule zur Sprache, wovon ihn die Anwesenheit eines Fremden wahrscheinlich abgehalten hätte.

»So kann das jedenfalls nicht weitergehen mit dir«, schimpfte Mr. O’Hara. »Wir zahlen jetzt schon eine Unmenge Geld für Nachhilfestunden, aber wie es scheint, bringt das ja alles nichts.«

»Lass gut sein, Simon«, versuchte seine Frau ihn zu beruhigen. »Ich bin sicher, Jocelyn versucht ihr Bestes und …«

»Mein Bestes war euch doch nie gut genug«, fiel Jocelyn ihr ins Wort. Diskussionen dieser Art mit ihren Eltern waren sowohl extrem frustrierend als auch fruchtlos. Die beiden würden nie im Leben kapieren, dass Jocelyn einfach keinen Bock mehr auf Schule hatte. Mit ein bisschen Mühe war sie sicherlich in der Lage, bessere Noten nach Hause zu bringen. Aber wozu? Sie wollte viel lieber hier im Park mitarbeiten, und dafür waren Algebrakenntnisse und so ein Kram echt total unnötig. Doch für ihre Wünsche interessierten sich ihre Mom und ihr Dad ja nicht, und das nervte sie gewaltig, auch wenn sie es sicherlich nur gut mit ihr meinten.

»So etwas darfst du nicht sagen«, widersprach Mrs. O’Hara und maß ihre Tochter mit einem vorwurfsvollen Blick. »Dein Dad und ich wollen doch nur, dass du eines Tages einen guten Job bekommst.«

Die alte Leier. Jocelyn seufzte. »Ihr versteht das einfach nicht, oder? Ich will als Tierpflegerin hier im Park arbeiten, und später, wenn ihr die Nase voll habt, mal selbst die Leitung übernehmen.«

»Und du meinst, dass du dafür keine qualifizierte Ausbildung brauchst?« Ihr Dad schüttelte den Kopf. »Dann erkläre mir doch mal, wie du mit der Buchhaltung zurechtkommen willst. Und was ist mit Rechnungswesen?«

»So was lernen wir an unserer blöden Penne doch eh nicht! Und außerdem …«

RUMMMMS!

Die versammelte Familie O’Hara zuckte zusammen. Jocelyn sprach aus, was alle in diesem Moment dachte: »Was zur Hölle war das?«

Sie hatte die Frage kaum ausgesprochen, als schon wieder ein Mordslärm ertönte. Niemand konnte sagen, um was es sich handelte, aber eines stand fest: Er kam vom Tierpark her.

Sofort stürmten alle ins Freie, um nach dem Rechten zu sehen. Dummerweise war es inzwischen so finster, dass man kaum weiter als ein paar Meter weit sehen konnte. Jocelyn schauderte. Was immer auch da draußen war, sie hatte keine Lust, der Ursache dieses infernalischen Lärms im Dunkeln zu begegnen.

Das schien auch Mrs. O’Hara so zu sehen, denn als ihr Mann gerade losstürmen wollte, hielt sie ihn zurück. »Warte, Simon! Schalte zuerst die Notbeleuchtung an, sonst brechen wir uns da draußen noch den Hals. Außerdem sollten wir Taschenlampen mitnehmen. In der Garage liegen noch ein paar ziemlich starke.«

Jocelyns Dad nickte, dann verschwand er in dem kleinen Anbau neben dem Haus, der als Garage genutzt wurde.

---ENDE DER LESEPROBE---