Soziale Arbeit in der Justiz - Wolfgang Klug - E-Book

Soziale Arbeit in der Justiz E-Book

Wolfgang Klug

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Beschreibung

Soziale Arbeit und Justiz sind eng miteinander verflochten, ganz besonders im Arbeitsfeld der Bewährungshilfe, bei gerichtlich angeordneter Führungsaufsicht, in der Gerichtshilfe und im Strafvollzug. Das Buch liefert eine grundlegende Einführung in diese Arbeitsfelder, wobei der Schwerpunkt der Darstellung auf dem professionellen Selbstverständnis und dem methodischen Handeln liegt. Auf diese Weise wird das Buch dem sehr spezifischen Adressatenkreis und den besonderen Ansprüchen im Hinblick auf das Doppelmandat der Sozialen Arbeit (Hilfe und Kontrolle) gerecht. Dabei besticht die Darstellung durch einen durchgängigen Praxisbezug - sichergestellt durch zahlreiche Fallbeispiele - und eine auch für Studierende verständliche Sprache.

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Grundwissen Soziale Arbeit

Herausgegeben von Rudolf Bieker

Das gesamte Grundwissen der Sozialen Arbeit in einer Reihe: theoretisch fundiert, immer mit Blick auf die Arbeitspraxis, verständlich dargestellt und lernfreundlich gestaltet – für mehr Wissen im Studium und mehr Können im Beruf.

Wolfgang Klug Daniel Niebauer

Soziale Arbeit in der Justiz

Professionelles Selbstverständnis und methodisches Handeln

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-037254-2

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-037255-9

epub:     ISBN 978-3-17-037256-6

 

Vorwort zur Reihe

 

 

 

Mit dem so genannten »Bologna-Prozess« galt es neu auszutarieren, welches Wissen Studierende der Sozialen Arbeit benötigen, um trotz erheblich verkürzter Ausbildungszeiten auch weiterhin »berufliche Handlungsfähigkeit« zu erlangen. Die Ergebnisse dieses nicht ganz schmerzfreien Abstimmungs- und Anpassungsprozesses lassen sich heute allerorten in volumigen Handbüchern nachlesen, in denen die neu entwickelten Module detailliert nach Lernzielen, Lehrinhalten, Lehrmethoden und Prüfungsformen beschrieben sind. Eine diskursive Selbstvergewisserung dieses Ausmaßes und dieser Präzision hat es vor Bologna allenfalls im Ausnahmefall gegeben.

Für Studierende bedeutet die Beschränkung der akademischen Grundausbildung auf sechs Semester, eine annähernd gleich große Stofffülle in deutlich verringerter Lernzeit bewältigen zu müssen. Die Erwartungen an das selbständige Lernen und Vertiefen des Stoffs in den eigenen vier Wänden sind deshalb deutlich gestiegen. Bologna hat das eigene Arbeitszimmer als Lernort gewissermaßen rekultiviert.

Die Idee zu der Reihe, in der das vorliegende Buch erscheint, ist vor dem Hintergrund dieser bildungspolitisch veränderten Rahmenbedingungen entstanden. Die nach und nach erscheinenden Bände sollen in kompakter Form nicht nur unabdingbares Grundwissen für das Studium der Sozialen Arbeit bereitstellen, sondern sich durch ihre Leserfreundlichkeit auch für das Selbststudium Studierender besonders eignen. Die Autor/innen der Reihe verpflichten sich diesem Ziel auf unterschiedliche Weise: durch die lernzielorientierte Begründung der ausgewählten Inhalte, durch die Begrenzung der Stoffmenge auf ein überschaubares Volumen, durch die Verständlichkeit ihrer Sprache, durch Anschaulichkeit und gezielte Theorie-Praxis-Verknüpfungen, nicht zuletzt aber auch durch lese(r)-freundliche Gestaltungselemente wie Schaubilder, Unterlegungen und andere Elemente.

 

Prof. Dr. Rudolf Bieker, Köln

 

Zu diesem Buch

 

 

 

Das vorliegende Buch verfolgt das Ziel, einen umfassenden Überblick über die Soziale Arbeit in der Justiz zu geben, und dabei insbesondere das professionelle Selbstverständnis und das methodische Handeln von Sozialarbeiter*innen in diesem Handlungsfeld zu thematisieren. Hierbei werden gleich zwei ›Eckpfeiler‹ unseres Buches deutlich:

Zum einen ist es die Fokussierung auf die Soziale Arbeit in der Justiz, d. h. die im staatlichen Auftrag und unter staatlicher Aufsicht stehende Soziale Arbeit. Diese umfasst insbesondere die Bewährungshilfe, die Führungsaufsicht, die Soziale Arbeit im Justizvollzug und die Gerichtshilfe. Der Bereich der Freien Straffälligenhilfe ist demnach nicht (expliziter) Gegenstand der vorliegenden Ausführungen. Zudem beschränken wir uns bei den genannten Bereichen auf die Arbeit mit erwachsenen straffälligen Personen.

Zum anderen wird eine Schwerpunktsetzung auf das professionelle Selbstverständnis und das methodische Handeln der Sozialen Arbeit in der Justiz anvisiert. Hierbei sind die Besonderheiten des »Doppelten Mandates«, des »Zwangskontextes«, aber auch die besonderen Herausforderungen im professionellen Umgang mit Klient*innen in diesem Arbeitsbereich zu betonen, denen eben – so die These – in methodischer Hinsicht nicht einfachhin wie in anderen Arbeitsbereichen begegnet werden kann.

Wir versuchen also in diesem Buch möglichst spezifische methodische Instrumente und Modelle anzusprechen, die für die Soziale Arbeit in der Justiz als »State of the Art« zu bezeichnen sind. Dabei ist uns durchweg bewusst, dass es sich hierbei um eine Sicht – und zwar die der Wissenschaft – handelt, die aber unseres Erachtens insbesondere dazu beitragen kann, dieses hochkomplexe Handlungsfeld methodisch zu systematisieren sowie eine Reflexionsfolie für ein professionelles Selbstverständnis von Sozialarbeiter*innen in diesem Handlungsfeld zu bieten. Gleichwohl lassen sich auch in dieser vorliegenden wissenschaftlichen Perspektive nur ausgewählte Themenkomplexe der Sozialen Arbeit in der Justiz umfassend darlegen, während andere Diskussionsstränge eher vernachlässigt werden müssen. Doch gerade der von uns skizzierte Fokus des vorliegenden Buches erscheint uns bislang in der fachlichen Debatte stark unterrepräsentiert, insbesondere wenn es um eigenständige Beiträge ›aus‹ der Sozialen Arbeit ›für‹ die Soziale Arbeit geht. Hierzu möchten wir einen Beitrag leisten, womit die Hoffnung verbunden ist, Studierenden einen interessanten Einstieg in die Soziale Arbeit in der Justiz zu ermöglichen sowie Anregungen für eine methodische Ausdifferenzierung der Sozialen Arbeit in der Justiz sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis der Sozialen Arbeit zu geben.

In Kapitel 1 stellen wir zunächst überblicksartig die institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen für die oben genannten Bereiche der Sozialen Arbeit in der Justiz dar. Im Anschluss werden in Kapitel 2 mit der Lebensweltorientierung und der ökosozialen Sozialarbeit zwei theoretische Perspektiven aufgegriffen, um zu verdeutlichen, welchen ›Blick‹ Soziale Arbeit auf das Handlungsfeld Justiz einnehmen kann. Kapitel 3 thematisiert den »doppelten« Auftrag und die Zielsetzungen der Sozialen Arbeit im Feld der Justiz, wobei auch der Charakter des Zwangskontextes in diesem Handlungsfeld verdeutlicht wird. In Kapitel 4 werden unterschiedliche Erklärungsansätze zur Entstehung von Kriminalität beleuchtet. Hierfür werden sowohl kriminalpsychologische Erklärungsmodelle aufgegriffen, die sich verstärkt auf die handelnde Person fokussieren, als auch eher soziologisch geprägte Ansätze, die Umweltbedingungen zur Entstehung von Kriminalität in den Mittelpunkt stellen. Abschließend zeigt sich gerade die Verschränkung dieser beiden Perspektiven im Rahmen von integrativen Ansätzen als besonders anschlussfähig für ein ganzheitliches Erklärungsmodell von Kriminalität im Sinne der Sozialen Arbeit. In den darauffolgenden Kapiteln rücken zunächst methodische Paradigmen in den Mittelpunkt, die das professionelle Selbstverständnis und die professionelle Grundhaltung von Sozialarbeiter*innen im Feld der Justiz adressieren (Kap. 5), um darauf aufbauend methodische Schlüsselprozesse der Sozialen Arbeit in der Justiz darzulegen (Kap. 6). In Kapitel 7 wird zudem das methodische Handeln mit zwei besonders herausfordernden Teilzielgruppen (Sexualstraftäter und straffällige Menschen mit dissozialen Persönlichkeitsstörungen) thematisiert. In Kapitel 8 geben wir Einblicke in Forschungs- und Entwicklungsprozesse in den Sozialen Diensten der Justiz, wobei wir für eine fortlaufende Konzept- und Methodenentwicklung insbesondere die Kooperation von Wissenschaft und Praxis als erfolgsversprechend betrachten. Das Buch schließt in Kapitel 9 mit einem zusammenfassenden Fazit und Ausblick, indem wir abschließend zehn Thesen zur zukünftigen Ausrichtung der Sozialen Arbeit in der Justiz formulieren.

Jedes Kapitel wird mit einer kleinen, real erlebten, »Anekdote« eingeleitet, damit auf (selbst-)ironische Weise der Einstieg in die Materie vielleicht leichter gelingt. Damit soll selbstverständlich niemand ›vorgeführt‹ werden. Die Autoren hoffen auf ein Schmunzeln der Leser*innen und auf Nachsicht, wenn man darin eine zu kritische Haltung zu entdecken vermeint.

Wir hoffen mit der vorliegenden Publikation zu einer konstruktiven Auseinandersetzung und weiteren Professionalisierung der Sozialen Arbeit in der Justiz beitragen zu können.

Abschließend danken wir ganz herzlich unseren Familien, deren Geduld und Unterstützung es uns ermöglicht haben, uns diesem Buch zu widmen.

 

Eichstätt/München, Februar 2021Wolfgang Klug und Daniel Niebauer

 

Inhalt

 

 

 

Vorwort zur Reihe

Zu diesem Buch

1 Institutionelle und strukturelle Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit in der Justiz

1.1 Vorbemerkung

1.2 Bewährungshilfe und Führungsaufsicht

1.3 Gerichtshilfe

1.4 Strafvollzug

2 Theoretische Perspektiven der Sozialen Arbeit zum Handlungsfeld Justiz

2.1 Vorbemerkung

2.2 Zwei Grundlagentheorien Sozialer Arbeit

2.2.1 Ökosozialer Ansatz

2.2.2 Lebensweltliche Ansätze

2.2.3 Bewertung und Ertrag

2.3 Sozialarbeitswissenschaft als Handlungswissenschaft

3 Auftrag und Zielsetzungen der Sozialen Arbeit im Handlungsfeld Justiz

3.1 Vorbemerkung

3.2 Das »doppelte Mandat« als Grundlage der Sozialen Arbeit im Feld der Justiz

3.3 Der Hilfeauftrag der Sozialen Arbeit in der Justiz

3.4 Der Kontrollauftrag der Sozialen Arbeit in der Justiz

3.5 Sozialräumliche Ansätze

4 Erklärungswissen zur Entstehung von Kriminalität

4.1 Vorbemerkung

4.2 Kriminalpsychologische Erklärungsmodelle

4.3 Umweltbedingungen für die Entstehung von Kriminalität

4.4 Integrative Ansätze

5 Methodische Paradigmen der Sozialen Arbeit in der Justiz

5.1 Vorbemerkung

5.2 Methodisches Selbstverständnis: Evidenzbasierung als tragender Grund

5.3 Risikoorientierung und ihre Kritiker*innen

5.4 Hilfeorientierung

5.5 Zielgruppenorientierung: von »Hard-to-Reach« zu »How-to-Reach«

6 Methodische Schlüsselprozesse

6.1 Vorbemerkung

6.2 Methodische Falllogik: Case Management

6.3 Motivationsarbeit

6.3.1 Motivationsarbeit ist unverzichtbar

6.3.2 Ein kurzer Blick in die Motivationstheorie

6.3.3 Vorgehensweisen

6.4 Beziehungsgestaltung

6.5 Übergangsmanagement

6.6 Ausgewählte Gruppenprogramme

6.7 Soziale Netzwerkarbeit

6.8 Fachlichkeit in der Gerichtshilfe

7 Methodisches Handeln mit besonders herausfordernden Teilzielgruppen

7.1 Vorbemerkung

7.2 Zielgruppe: Sexualstraftäter

7.2.1 Die Bedeutung der Zielgruppe

7.2.2 Phänomenologie

7.2.3 Erklärungswissen: Wie entstehen Sexualstraftaten?

7.3 Zielgruppe: Menschen mit dissozialen Persönlichkeitsstörungen

7.3.1 Die Bedeutung der Zielgruppe

7.3.2 Phänomenologie

7.3.3 Menschen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung verstehen

7.4 Methodisches Handeln

8 Forschung und Entwicklung in den Sozialen Diensten der Justiz als Kooperation von Wissenschaft und Praxis

8.1 Vorbemerkung

8.2 Konzept- und Methodenentwicklung als Kooperation von Wissenschaft und Praxis

8.3 Implementierung von Innovationen in den Sozialen Diensten der Justiz – Erfahrungen und Erkenntnisse

8.3.1 Die fachliche Reform der Bewährungshilfe in Bayern

8.3.2 Kritik

8.3.3 Bedingungen gelingender Entwicklungsmodelle sozialer Innovationen

8.3.4 Folgerungen

8.4 Forschungs- und Entwicklungsbedarf

9 Fazit und Ausblick – Zehn Thesen zur zukünftigen Ausrichtung der Sozialen Arbeit in der Justiz

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildungen

Tabellen

Stichwortverzeichnis

Die Autoren

 

1          Institutionelle und strukturelle Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit in der Justiz

 

 

 

Das erwartet Sie …

In diesem Kapitel werden überblicksartig die institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen jener Sozialen Dienste der Justiz dargestellt, auf die sich die nachfolgenden Kapitel und die entsprechenden Ausführungen zum methodischen Handeln und professionellen Selbstverständnis der Sozialen Arbeit beziehen. Dabei liegt der Fokus auf den ambulanten Diensten der Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und Gerichtshilfe sowie im stationären Setting auf dem Strafvollzug. Im Mittelpunkt stehen zudem Maßnahmen bzw. Institutionen für erwachsene – und damit nicht für jugendliche bzw. heranwachsende – Straftäter*innen.

1.1       Vorbemerkung

Anekdote zum Einstieg

Bei einer Fortbildungstagung mit Gerichtshelfer*innen erlebte der Verfasser dieser Zeilen eine kleine Überraschung. Bestrebt, die Fortbildung kommunikativ zu gestalten, stellte er allerlei Fragen zur Diskussion, die allesamt unbeantwortet blieben. Die Diskussion war sehr einseitig und beschränkte sich auf wenige Fragen. Beim Mittagessen, in das sich der ziemlich ratlose Referent wie ein Boxer im Ring beim Schlagen der Ringglocke gerettet hat, fragte er einen Teilnehmer nach dem Grund für dieses Verhalten. In unvermuteter Offenheit entgegnete der Gerichtshelfer: »So richtig verstehe ich nicht, was wir hier sollen. Alles, was ich brauche, steht doch im Gesetzbuch.«

Obwohl der Fokus dieses Buches auf dem methodischen Handeln und dem professionellen Selbstverständnis der Sozialen Arbeit in der Justiz liegt, sind diese beiden Aspekte nur unter Berücksichtigung der jeweiligen juristischen, institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen zu betrachten. Sie sind wichtig als strukturelle Voraussetzungen, wenngleich nicht als Handlungsanweisungen und schon gar nicht als fachliche Standards für Soziale Arbeit. Deshalb sollen in diesem Abschnitt – zumindest überblicksartig – diejenigen Handlungsfelder vorgestellt werden, auf die sich die weiteren Ausführungen zum methodischen Handeln und professionellen Selbstverständnis der folgenden Kapitel beziehen werden.

Für den ambulanten Bereich der Sozialen Arbeit in der Justiz konzentrieren wir uns auf die Bewährungshilfe und Führungsaufsicht sowie die Gerichtshilfe, für den stationären Kontext auf die Soziale Arbeit im Strafvollzug. Zudem beziehen sich die Ausführungen – zumindest größtenteils – auf erwachsene Straftäter*innen, da für jugendliche bzw. heranwachsende Straftäter*innen sowohl die institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen als auch die daraus resultierenden fachlichen Anforderungen für die Soziale Arbeit durchaus stark differieren und unserer Ansicht nach ein eigenes Lehrbuch erfordern würden.

Die konkrete Ausgestaltung der genannten Handlungsfelder obliegt aufgrund des föderalistischen Systems der Bundesrepublik Deutschland den einzelnen Bundesländern. Daher ergibt sich für die justizielle Straffälligenhilfe ein insgesamt sehr uneinheitliches Bild, zudem erweist sich die Datenlage zur Sozialen Arbeit in der Justiz als ›ausbaufähig‹. Aus diesen Gründen sind die folgenden Ausführungen auch nur als grober Überblick der institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen zu verstehen, und es sei schon hier auf die vertiefende Literatur am Ende des Kapitels hingewiesen.

1.2       Bewährungshilfe und Führungsaufsicht

Mitte der 1950er Jahre wurde die Unterstellung einer Person unter eine*n Bewährungshelfer*in im Zusammenhang einer Straf-(Rest-)Aussetzung zur Bewährung – im Folgenden auch als Bewährungshilfe betitelt – im Strafrecht gesetzlich verankert. Die bundesgesetzlichen Vorschriften der Bewährungshilfe sind maßgeblich im StGB geregelt. Diese enthalten jedoch keine Vorgaben zur organisatorischen, personellen und fachlichen Ausgestaltung, da hierfür aufgrund der föderalen Struktur die Zuständigkeit bei den einzelnen Bundesländern liegt. Aus diesem Grund zeichnet sich eine sehr uneinheitliche Ausgestaltung der Bewährungshilfe über die Bundesländer hinweg ab (vgl. Klug & Schaitl 2012).

Als zentrale Rechtsgrundlagen lassen sich für die Bewährungshilfe die §§ 56, 57 StGB benennen. Demnach kann die Strafaussetzung zur Bewährung bei Vollstreckung einer (gesamten) Freiheitsstrafe erfolgen (§ 56 StGB), wie auch als Aussetzung eines Strafrestes, der nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe noch verbleibt (§ 57 StGB). Darüber hinaus ist eine Aussetzung zur Bewährung bei Maßregeln zur Besserung und Sicherung möglich (§§ 63, 64, 66, 68, 69, 70 StGB). Grundsätzlich geht einer Strafaussetzung zur Bewährung eine günstige Sozialprognose voraus, wie folgender Gesetzestext zeigt:

»wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind« (§ 56 Abs. 1 StGB).

»Mit ›erwarten‹ wird zum Ausdruck gebracht, dass von der Prognoseentscheidung des Gerichtes keine sichere Gewähr für die künftige straffreie Lebensführung gefordert wird. Vielmehr reicht es aus, dass das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass die Begehung weiterer Straftaten nicht wahrscheinlich ist […]« (Grosser 2018a, 201). Analog ist auch die Strafrestaussetzung zur Bewährung an eine günstige Sozialprognose gebunden, wobei nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB dies explizit an das Ausmaß der Gefahr gekoppelt ist, die ein Rückfall der verurteilten Person für die Allgemeinheit darstellen würde (ebd., 203).

Das Gericht kann der verurteilten Person Auflagen (§ 56b StGB) erteilen, die der Genugtuung des begangenen Unrechts dienen, wie z. B. die Wiedergutmachung des Schadens, die Zahlung eines Geldbetrags an eine soziale Einrichtung oder die Staatskasse sowie das Erbringen sonstiger gemeinnütziger Leistungen. Des Weiteren kann das Gericht der verurteilten Person für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen (§ 56c StGB) erteilen, wenn sie dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen, wie z. B. Anordnungen bezüglich Aufenthalt, Ausbildung, Arbeit oder Freizeit zu befolgen, sich zu bestimmten Zeiten bei Gericht zu melden, bestimmte Personen oder Gruppen zu meiden sowie gewisse Gegenstände nicht zu besitzen, die Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, oder submittelabstinent zu leben (vgl. auch Grosser 2018a, 202; Kawamura-Reindl & Scheider 2015, 168f.).

Wenn sich das Gericht von einer Unterstellung unter eine*n Bewährungshelfer*in eine positive Beeinflussung und Hilfe zur künftigen Straffreiheit erhofft, kann es diese anordnen (Schäfer & Sander 2000). Der gesetzliche Auftrag der Bewährungshilfe ist folgendermaßen geregelt:

§ 56d StGB: Bewährungshilfe

(1)  Das Gericht unterstellt die verurteilte Person für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers, wenn dies angezeigt ist, um sie von Straftaten abzuhalten.

(2)  Eine Weisung nach Absatz 1 erteilt das Gericht in der Regel, wenn es eine Freiheitsstrafe von mehr als neun Monaten aussetzt und die verurteilte Person noch nicht 27 Jahre alt ist.

(3)  Die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer steht der verurteilten Person helfend und betreuend zur Seite. Sie oder er überwacht im Einvernehmen mit dem Gericht die Erfüllung der Auflagen und Weisungen sowie der Anerbieten und Zusagen und berichtet über die Lebensführung der verurteilten Person in Zeitabständen, die das Gericht bestimmt. Gröbliche oder beharrliche Verstöße gegen Auflagen, Weisungen, Anerbieten oder Zusagen teilt die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer dem Gericht mit.

(4)  Die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer wird vom Gericht bestellt. Es kann der Bewährungshelferin oder dem Bewährungshelfer für die Tätigkeit nach Absatz 3 Anweisungen erteilen.

(5)  Die Tätigkeit der Bewährungshelferin oder des Bewährungshelfers wird haupt- oder ehrenamtlich ausgeübt.

Nach § 56d Abs. 3 StGB lässt sich bereits das Spannungsverhältnis von Hilfe und Kontrolle (Doppeltes Mandat, Kap. 3.2) als konstitutives Merkmal der Bewährungshilfe festhalten, da laut Gesetzestext der*die Bewährungshelfer*in der verurteilten Person sowohl helfend und betreuend zur Seite steht als auch überwachend und über die Lebensführung der verurteilten Person berichtend. Die fachlichen und methodischen Konsequenzen, die sich aus diesem grundlegenden Auftrag der Bewährungshilfe ableiten lassen, werden in den folgenden Kapiteln ausführlich beleuchtet.

Gemäß § 56f StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und/oder gegen Auflagen und Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt. Ein Widerruf der Bewährung kann auch geschehen, wenn sich die verurteilte Person der Aufsicht und Leitung der*des Bewährungshelfer*in beharrlich entzieht und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass sie erneut Straftaten begehen wird.

Nach § 56g StGB wird nach Ablauf der Bewährungszeit die Strafe erlassen, sofern das Gericht die Strafaussetzung nicht widerrufen hat.

Die kriminalpolitische Bedeutung der Bewährungshilfe ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2011 standen in Gesamtdeutschland (aktuellere Daten sind seit 2011 nur für vereinzelte Bundesländer verfügbar; Stand: Oktober 2020; vgl. DBH o. J.) 150 713 Menschen – davon 131 735 männlich und 18 978 weiblich – nach dem allgemeinen Strafrecht unter Bewährung, also ohne Unterstellungen nach dem Jugendstrafrecht (vgl. Statistisches Bundesamt 2013, ohne Hamburg und mit Angaben für Berlin aus 2007). Im Jahr 2012 war es sieben von zehn Personen, die zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe verurteilt wurden, möglich, ihre Haftstrafe durch eine erfolgreiche Bewährungszeit zu vermeiden (vgl. Kawamura-Reindl & Scheider 2015, 167). Somit leistet die Bewährungshilfe einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung des Strafvollzugs. Insbesondere für Verurteilte von Delikten leichter und mittlerer Kriminalität leistet die Strafaussetzung zur Bewährung eine zentrale Alternative zum Strafvollzug und schafft dadurch bessere Voraussetzungen für eine soziale Eingliederung. Zudem beansprucht die ambulante Alternative nur etwa 10 % der Gesamtkosten im Verhältnis zum Strafvollzug und ist somit deutlich kostengünstiger (vgl. Grosser 2018a, 214).

Die Führungsaufsicht zählt zu den nichtfreiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 68 StGB). Als zentrale Rechtsgrundlagen lassen sich für die Führungsaufsicht §§ 68ff. StGB benennen.

§ 68 StGB: Voraussetzungen der Führungsaufsicht

(1)  Hat jemand wegen einer Straftat, bei der das Gesetz Führungsaufsicht besonders vorsieht, zeitige Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verwirkt, so kann das Gericht neben der Strafe Führungsaufsicht anordnen, wenn die Gefahr besteht, daß er weitere Straftaten begehen wird.

(2)  Die Vorschriften über die Führungsaufsicht kraft Gesetzes (§§ 67b, 67c, 67d Abs. 2 bis 6 und § 68f) bleiben unberührt.

Voraussetzung für eine Führungsaufsicht ist die Gefahr, dass der*die Straftäter*in weitere Straftaten begehen wird (§ 68 Abs. 1 StGB). Im Gegensatz zur Bedingung für die Aussetzung einer Strafe zur Bewährung geht der Gesetzgeber bei Verhängung der Führungsaufsicht also von einer ungünstigen Sozialprognose aus. Eine Führungsaufsicht wir insbesondere angeordnet

•  bei Vollverbüßung einer Haftstrafe von mindestens zwei Jahren (§ 68f StGB),

•  bei Entlassenen aus der Sicherungsverwahrung (§ 67d Abs. 3 StGB),

•  bei Beendigung der Maßregel wegen Ablauf der Höchstfrist (§ 67d Abs. 4 StGB).

Gemäß § 68a Abs. 1 StGB wird der verurteilten Person für die Dauer der Führungsaufsicht vom Gericht nicht nur ein*e Bewährungshelfer*in bestellt, sondern sie untersteht auch einer Aufsichtsstelle. Der*Die Bewährungshelfer*in und die Aufsichtsstelle stehen »im Einvernehmen miteinander der verurteilten Person helfend und betreuend zur Seite« (§ 68a Abs. 2 StGB; Herv. nicht i. O.). Zudem überwacht die Aufsichtsstelle »im Einvernehmen mit dem Gericht und mit Unterstützung der Bewährungshelferin oder des Bewährungshelfers das Verhalten der verurteilten Person und die Erfüllung der Weisungen« (§ 68a Abs. 3 StGB).

Die Führungsaussicht soll also entsprechenden Straftäter*innen

»vor allem nach Verbüßung der Strafhaft oder dem Ende einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie einer Entziehungsanstalt auch eine Unterstützung für den Übergang in die Freiheit geben. Damit soll sie nicht nur einen Beitrag zur Resozialisierung leisten, sondern auch mit erweiterten Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten Straftaten verhindern, relevante negative Sozialentwicklungen rechtzeitig feststellen und erforderliche Maßnahmen ergreifen« (Kawamura-Reindl & Scheider 2015, 176).

Dabei wird – wie bereits im Kontext der Bewährungshilfe – das Spannungsverhältnis von Hilfe und Kontrolle deutlich. Analog zur Bewährungshilfe kann das Gericht der verurteilten Person Weisungen erteilen (§ 68b StGB), wobei diese bei den unter Führungsaussicht stehenden Proband*innen aufgrund der negativen Sozialprognose zum Teil einschneidender ausfallen bzw. einen erweiterten Kontroll- und Überwachungscharakter haben (vgl. Kawamura-Reindl & Scheider 2015, 176). Solche Weisungen können für eine verurteilte Person u. a. sein:

•  den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen (§ 68b Abs. 1 Nr. 1 StGB),

•  sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können (§ 68b Abs. 1 Nr. 2 StGB),

•  zu der verletzten Person oder bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen (§ 68b Abs. 1 Nr. 3 StGB),

•  sich zu bestimmten Zeiten bei der Aufsichtsstelle, einer bestimmten Dienststelle oder der Bewährungshelferin oder dem Bewährungshelfer zu melden (§ 68b Abs. 1 Nr. 7 StGB).

•  keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird, und sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind (§ 68b Abs. 1 Nr.10 StGB).

Darüber hinaus kann das Gericht den*die Proband*in anweisen, sich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen bei einer*einem Ärztin*Arzt, einem*einer Psychotherapeut*in oder einer forensischen Ambulanz vorzustellen (§ 68b Abs. 1 Nr. 11 StGB).

Einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Freiheitsrechte stellt die Weisung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung dar (auch unter den Begriffen »elektronische Fußfessel«, »elektronisch überwachter Hausarrest« diskutiert; vgl. Kawamura-Reindl & Schneider 2015, 332), bei der die jeweiligen Proband*innen die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen haben (§ 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB). Die elektronische Überwachung im Rahmen der Führungsaufsicht ist gemäß § 68b Abs. 1 Satz 3 StGB jedoch nur möglich, wenn

»1. die Führungsaufsicht auf Grund der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder auf Grund einer erledigten Maßregel eingetreten ist,

2.  die Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe oder die Unterbringung wegen einer oder mehrerer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art verhängt oder angeordnet wurde,

3.  die Gefahr besteht, dass die verurteilte Person weitere Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art begehen wird, und

4.  die Weisung erforderlich erscheint, um die verurteilte Person durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Absatz 4 Satz 2 der Strafprozessordnung, insbesondere durch die Überwachung der Erfüllung einer nach Satz 1 Nummer 1 oder 2 auferlegten Weisung, von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art abzuhalten.«

Für die elektronische Aufenthaltsüberwachung

»kommen vor allem verurteilte Sexual- und Gewaltstraftäter in Betracht, die von Orten ferngehalten werden sollen, an denen sich Kinder oder Tatopfer aufhalten. Obwohl es sich um eine begrenzte Zahl angeordneter elektronischer Überwachungsmaßnahmen handelt (seit 2014 etwas über 70 ständig Überwachte), bedeutet die Anordnung der Weisung eine neue Qualität der Eingriffsintensität« (Grosser 2018b, 220f.).

Hinzuweisen ist noch auf ein besonders ›scharfes Schwert‹ der Führungsaufsicht. Es ist verankert im § 145a StGB, wo es heißt:

»Wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Absatz 1 bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tat wird nur auf Antrag der Aufsichtsstelle verfolgt.«

Als Teil der Führungsaufsichtsstelle haben Sozialarbeiter*innen die Pflicht zur Berichterstattung und auch die Möglichkeit, bei Weisungsverstößen (was wohlgemerkt keine neue Straftat beinhalten muss) eine Haftstrafe zu beantragen.

Der gesetzliche Rahmen für Bewährungshilfe und Führungsaufsicht lässt sich demnach so zusammenfassen:

Die beiden ambulanten Sozialen Dienste der Justiz sind im Auftrag des Gerichts einer verurteilten Person zugeordnet, um dieser einerseits bei einer straffreien Lebensführung zu helfen, sie andererseits aber auch zu überwachen, um mögliche Rückfallrisiken zu erkennen.

1.3       Gerichtshilfe

Mitte der 1970er Jahre wurde durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) die Gerichtshilfe in das Strafrecht aufgenommen. Als zentrale Rechtsgrundlagen sind für die Gerichtshilfe die §§ 160, 463d StPO zu nennen. Gemäß § 160 Abs. 3 StPO kann sich die Staatsanwaltschaft im Strafverfahren der Gerichtshilfe bedienen, um die Umstände zu ermitteln, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Hierbei soll die Gerichtshilfe durch die »Exploration der Persönlichkeit und der sozialen Situation der Beschuldigten und Verurteilten Diagnosen und Prognosen« (Thier 2018, 193) in das Strafverfahren einbringen.

§ 160 StPO: Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung

(1)  Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.

(2)  Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist.

(3)  Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen sich auch auf die Umstände erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu kann sie sich der Gerichtshilfe bedienen.

(4)  Eine Maßnahme ist unzulässig, soweit besondere bundesgesetzliche oder entsprechende landesgesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen.

Zudem kann gemäß § 463d StPO die Gerichtshilfe zur Vorbereitung von Entscheidungen, die dem Urteil nachfolgen, in Anspruch genommen werden, insbesondere vor einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung des Strafrestes.

§ 463d StPO: Gerichtshilfe

Zur Vorbereitung der nach den §§ 453 bis 461 zu treffenden Entscheidungen kann sich das Gericht oder die Vollstreckungsbehörde der Gerichtshilfe bedienen; dies kommt insbesondere vor einer Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung des Strafrestes in Betracht, sofern nicht ein Bewährungshelfer bestellt ist.

Im Gegensatz zur Jugendgerichtshilfe ist die Einschaltung der Gerichtshilfe im Rahmen des Erwachsenenstrafrechts nicht zwingend vorgeschrieben (vgl. Kawamura-Reindl & Schneider 2015, 162), sondern als Kann-Vorschrift formuliert. Die Zuständigkeit für die Ausgestaltung der Gerichtshilfe obliegt – wie auch bei der Bewährungshilfe – den Bundesländern und wird entsprechend durch die Landesgesetzgebungen konkretisiert. Insgesamt liegen jedoch nur wenige aussagekräftige Daten zur Tätigkeit der Gerichtshilfe in den jeweils einzelnen Bundesländern vor (vgl. Thier 2018, 194).

Beispiel: Oberlandesgericht München – Aufgaben der Gerichtshilfe

 

»Aufgabe der Gerichtshilfe ist es, Staatsanwaltschaften und Gerichten in verschiedenen Stadien des Ermittlungs-, Straf- und Strafvollstreckungsverfahrens durch Berichte zur Persönlichkeit und dem Umfeld erwachsener Straffälliger wichtige Entscheidungshilfen zu geben. Die Gerichtshilfe

stellt die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse von Beschuldigten

und Verurteilten fest,

klärt die Gründe für Auflagen- und Weisungsverstöße,

wirkt mit Mitteln der Sozialarbeit an der Resozialisierung straffällig gewordener Menschen mit und

überprüft Gnadengründe.

 

Im Ermittlungsverfahren leistet die Gerichtshilfe damit einen Beitrag zur

Bestimmung täterbezogener Rechtsfolgen,

Entscheidung für eine Bewährungsunterstellung,

Ergänzung gerichtsmedizinischer und psychiatrischer Begutachtungen und

Einleitung bzw. Vermittlung erster Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen.

 

Im Vollstreckungsverfahren trägt die Gerichtshilfe dazu bei

Bewährungsauflagen an die Lebenswirklichkeit der Verurteilten anzupassen,

den gerichtlichen Entscheidungen Nachdruck zu verleihen und

vermeidbare Bewährungswiderrufe und damit Haftverbüßung abzuwenden.

(…)

Gerichtshelfer*innen sind organisatorisch den Staatsanwaltschaften oder den Landgerichten unterstellt.« (Quelle: Oberlandesgericht München o. J.).

Neben den genannten, gesetzlich festgeschriebenen Aufgaben der Gerichtshilfe als Ermittlungs- und Entscheidungshilfe im Strafverfahren hat sich das Tätigkeitfeld der Gerichtshilfe in den vergangenen Jahren erheblich erweitert. So kann die Gerichtshilfe auch als Haftentscheidungs- bzw. Haftverkürzungshilfe fungieren, wenn Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen werden. In diesem Fall hilft die Gerichtshilfe bei der Einschätzung, ob Fluchtgefahr besteht oder eine Haftverschonung oder Verkürzung der Untersuchungshaft möglich ist. Die Vermittlung von gemeinnütziger Arbeit zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen kann ebenfalls in einigen Bundesländern zu den Aufgaben der Gerichtshilfe zählen. Darüber hinaus kann auch die Opferberichterstattung ein Tätigkeitsgebiet der Gerichthilfe sein, womit die Würdigung der Opferseite im Rahmen des Strafverfahrens verbunden ist. Hierbei bringt die Gerichtshilfe Informationen zum Opfer einer Straftat in das Strafverfahren ein, wie z. B. die Lebenssituation des Opfers vor der Tat, die Beziehung zur Tatperson oder die Auswirkungen der Straftat auf das Opfer in physischer, psychischer und/oder materieller Hinsicht. Zudem informiert die Gerichtshilfe das Opfer über den Ablauf der Gerichtsverhandlung sowie über geeignete Hilfs- und Unterstützungsangebote, wie z. B. Opfereinrichtungen, Rechtsberatungsmöglichkeiten oder den Täter-Opfer-Ausgleich als Schadenswiedergutmachung. In einigen Regionen ist die Gerichtshilfe unmittelbar mit der Umsetzung des Täter-Opfer-Ausgleichs betraut, womit besondere Kompetenzen in der Konfliktberatung und Mediation notwendig sind (vgl. Kawamura-Reindl & Schneider 2015, 165f.; Thier 2018, 193f.).

1.4       Strafvollzug

Neben den oben dargestellten ambulanten Sozialen Diensten der Justiz ist Soziale Arbeit auch im stationären Kontext mit straffälligen Menschen anzutreffen. Der Strafvollzug – also der Vollzug einer Freiheitsstrafe – findet grundsätzlich in einer Justizvollzugsanstalt(JVA) statt. Auch hier sind für die in Deutschland insgesamt 179 Justizvollzugsanstalten (Stichtag: 30.11.2018; vgl. Statista 2019) große institutionelle Unterschiede festzustellen. Unterbringungen können in unterschiedlichen Formen des geschlossenen oder offenen Vollzugs, in unterschiedlichen Wohn- bzw. Behandlungsgruppen oder in sozialtherapeutischen Abteilungen stattfinden. Zudem sind wesentliche Unterschiede bei einer Untersuchungshaft sowie der Unterbringung im Maßregelvollzug zu verzeichnen (vgl. Kawamura-Reindl & Schneider 2015, 233; eine ausführliche Darstellung des Strafvollzugs findet sich u. a. bei Laubenthal 2019).

Am Stichtag 31.03.2020 befanden sich 59 487 Gefangene (Personen, die sich in Untersuchungshaft befinden oder zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe verurteilt wurden) und Verwahrte (Personen, die unter Sicherungsverwahrung oder sonstigen Freiheitsentzug gestellt wurden) in Justizvollzugsanstalten. Davon verbüßten 42 177 Personen (39 637 Männer und 2 540 Frauen) eine Haftstrafe im Erwachsenenvollzug und 12 251 Personen (11 640 Männer und 611 Frauen) waren in Untersuchungshaft (vgl. Statista 2020a; 2020b).

Die zentralen Rechtsgrundlagen ergeben sich aus dem 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz (StVollzG), insbesondere den §§ 2, 3 StVollzG.

§ 2 StVollzG: Aufgaben des Vollzuges

Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.

 

§ 3 StVollzG: Gestaltung des Vollzuges

(1)  Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden.

(2)  Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken.

(3)  Der Vollzug ist darauf auszurichten, daß er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.

Wenngleich seit der Föderalismusreform 2006 die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Bundesländer übertragen wurde (siehe die einzelnen Landesstrafvollzugsgesetze; guter Überblick in Dünkel & Pruin 2015) und dadurch zum Teil der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten an die erste Stelle gesetzt wurde (vgl. z. B. Bayerisches Strafvollzugsgesetz; BayStVollzG), stellt § 2 StVollzG das Ziel derResozialisierung für jede*n Gefangene*n in den Mittelpunkt, das auch durch das Bundesverfassungsgericht entsprechend bestätigt wurde. Die Resozialisierung stellt somit die Zielvorgabe für alle Bereiche und Berufsgruppen im Strafvollzug dar, auf das gemeinsam (und nach § 154 StVollzG auch in Zusammenarbeit mit Stellen und Behörden außerhalb des Strafvollzugs, wie z. B. der Bewährungshilfe, der Agentur für Arbeit, den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege) und verpflichtend hinzuwirken ist (vgl. Cornel 2018b, 310; Kawamura-Reindl & Schneider 2015, 235f.; Laubenthal 2019, 116ff.). Das Vollzugsziel der Resozialisierung wird gemäß § 3 StVollzG durch die folgenden Gestaltungsprinzipien konkretisiert:

•  durch den Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 StVollzG),

•  den Gegensteuerungsgrundsatz (§ 3 Abs. 2 StVollzG) und

•  den Integrationsgrundsatz (§ 3 Abs. 3 StVollzG).

Diese Grundsätze der Gestaltung des Strafvollzugs sollen dazu verpflichten, dass das Leben der Gefangenen in einer totalen Institution (Goffman 1981) an menschenwürdige Lebensverhältnisse anzugleichen ist (Laubenthal 2019, 147).

Totale Institution

»Eine totale Institution wie die Justizvollzugsanstalt kennzeichnen nach Goffman folgende zentrale Merkmale:

1.  Alle Angelegenheiten des Lebens finden an ein und derselben Stelle unter ein und derselben Autorität statt.

2.  Die Mitglieder der Institution führen sämtliche Phasen ihrer täglichen Arbeit in unmittelbarer Gesellschaft einer großen Gruppe von Schicksalsgenossen aus, wobei allen die gleiche Behandlung zuteil wird und alle die gleiche Tätigkeit gemeinsam verrichten müssen.

3.  Alle Phasen des Arbeitstages sind exakt geplant, eine geht zu einem vorher bestimmten Zeitpunkt in die nächste über, und die ganze Abfolge der Tätigkeiten wird von oben durch ein System expliziter Regeln und durch einen Stab von Funktionären vorgeschrieben.

4.  Die verschiedenen erzwungenen Tätigkeiten werden in einem einzigen rationalen Plan vereinigt, der angeblich dazu dient, die offiziellen Ziele der Institution zu erreichen« (Laubenthal 2019, 147).

Die wesentlichen Akteure im Strafvollzug gehören dem Vollzugsstab (Anstaltsleitung, Verwaltungsdienst, Vollzugsdienst, Werkdienst) oder dem Sozialstab (Seelsorger*innen, Ärzt*innen, Fachkräfte der Krankenpflege, Lehrer*innen, Psycholog*innen, Sozialarbeiter*innen) an (vgl. Kawamura-Reindl & Schneider 2015, 237f.).

Also grober Bezugspunkt für die Aufgabenbestimmung der Sozialen Arbeit im Strafvollzug können die §§ 71ff. StVollzG unter der Überschrift »Soziale Hilfe« angeführt werden. Neben dem Grundsatz ist eine Unterteilung in Hilfe bei Aufnahme, Hilfe während des Vollzuges und Hilfe zur Entlassung festzustellen.

»Soziale Hilfe« im Strafvollzugsgesetz (StVollzG)

 

§ 71 StVollzG: Grundsatz

Der Gefangene kann die soziale Hilfe der Anstalt in Anspruch nehmen, um seine persönlichen Schwierigkeiten zu lösen. Die Hilfe soll darauf gerichtet sein, den Gefangenen in die Lage zu versetzen, seine Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu regeln.

 

§ 72 StVollzG: Hilfe bei der Aufnahme

(1)  Bei der Aufnahme wird dem Gefangenen geholfen, die notwendigen Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige zu veranlassen und seine Habe außerhalb der Anstalt sicherzustellen.

(2)  Der Gefangene ist über die Aufrechterhaltung einer Sozialversicherung zu beraten.

 

§ 73 StVollzG: Hilfe während des Vollzuges

Der Gefangene wird in dem Bemühen unterstützt, seine Rechte und Pflichten wahrzunehmen, namentlich sein Wahlrecht auszuüben sowie für Unterhaltsberechtigte zu sorgen und einen durch seine Straftat verursachten Schaden zu regeln.

 

§ 74 StVollzG: Hilfe zur Entlassung

Um die Entlassung vorzubereiten, ist der Gefangene bei der Ordnung seiner persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten zu beraten. Die Beratung erstreckt sich auch auf die Benennung der für Sozialleistungen zuständigen Stellen. Dem Gefangenen ist zu helfen, Arbeit, Unterkunft und persönlichen Beistand für die Zeit nach der Entlassung zu finden.

Neben der Hilfe für die Gefangenen bei Aufnahme, während des Vollzuges und zur Entlassung lassen sich in Anlehnung an Laubenthal (2019, 218) für Sozialarbeiter*innen im Strafvollzug u. a. folgende Tätigkeitbereiche benennen:

•  Einzelberatung,

•  Gruppenangebote,

•  Schuldenregulierung,

•  Förderung sozialer Außenkontakte,

•  Zusammenarbeit mit Stellen und Behörden außerhalb des Strafvollzugs wie z. B. der Bewährungshilfe oder der Agentur für Arbeit.

Borchert (2015, 458) weist darauf hin, dass Soziale Arbeit im Vollzug im Krisenfall als »Erstsprecher« fungiert, der als erster häufig spontan eine Krise zusammen mit dem Betroffenen bewältigen muss. Sozialarbeiter*innen sind gefragt bei Gefahr von Selbst- oder Fremdschädigungen, Krisen im Umgang mit dem Verlust der gewohnten Umgebung, Entzug oder privaten Problemen. Zum Berufsalltag gehört es auch, »funktionalen Analphabeten« (ebd., 459) Hilfestellung bei Anträgen und Behördenangelegenheiten zukommen zu lassen. Soziale Arbeit trifft im Strafvollzug auf eine sehr heterogene Zielgruppe, die sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Cornel (2018b, 315ff.) gibt einen Überblick über entsprechende Veränderungen der Anstaltspopulation, mit denen zugleich folgende Merkmale der Zielgruppe(n) der Sozialen Arbeit im Strafvollzug verbunden sind:

•  Hohe Arbeitslosenquote, insbesondere bei gering qualifizierten Gefangenen, die sich sowohl auf die Integrationschancen nach der Haft als auch auf die Beschäftigung während der Inhaftierung und die Motivation zu Berufsqualifizierung auswirkt.

•  Hoher Anteil von Inhaftierten, die von Drogenabhängigkeit bzw. problematischen Drogenkonsum betroffen sind.

•  Deutlicher Anstieg alter Gefangener, keine Altersgruppe ist in den vergangenen Jahrzehnten so schnell angewachsen wie die über 60-Jährigen.

•  Deutliche Zunahme der Verschuldung der Gefangenen in den letzten Jahrzehnten.

•  AIDS bzw. HIV-Infektionen stellen eine große Herausforderung im Strafvollzug dar, denn Schätzungen gehen davon aus, dass die HIV-Verbreitung im Strafvollzug etwa 25 Mal höher als in der übrigen Bevölkerung ist.

•  Anteil der nicht-deutschen Gefangenen stieg in den 1980er Jahren an und verbleibt seit Mitte der 1990er mit etwa 22 bis 23 % auf gleichem Niveau. Dabei ist die Staatsbürgerschaft alleine wenig aussagekräftig, sondern an dieser Stelle eher die Zunahme der Vielfalt kultureller Hintergründe – teils verbunden mit unterschiedlichen Norm- und Wertverständnissen oder fehlenden Sprachkompetenzen – zu konstatieren.

•  Die Anlassdelikte der Inhaftierung haben sich deutlich gewandelt: Anteil der Eigentums- und Straßenverkehrsdelikte sank, der Anteil der Drogendelikte und Gewaltkriminalität stieg an. Dies ist einerseits Folge der Kriminalitätsentwicklung, andererseits aber auch Folge der Ausweitung von Strafen, z. B. bei Gewaltdelikten.

Literatur zum Weiterlesen

Cornel, H., Kawamura-Reindl, G. & Sonnen, B. R. (2018): Resozialisierung. Handbuch (4., vollst. überarb. und aktual. Aufl.). Baden-Baden: Nomos.

Kawamura-Reindl, G. & Schneider, S. (2015): Lehrbuch Soziale Arbeit mit Straffälligen. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

Klug, W. & Schaitl, H. (2012): Soziale Dienste der Justiz. Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis. DBH (Hg.). Mönchengladbach: Forum Verlag Godesberg.

Laubenthal, K. (2019): Strafvollzug (4. Aufl.). Berlin: Springer.

Schweder, M. (Hg.) (2015): Handbuch Jugendstrafvollzug. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

 

2          Theoretische Perspektiven der Sozialen Arbeit zum Handlungsfeld Justiz

 

 

 

Das erwartet Sie …

In diesem Kapitel werden zwei Grundlagentheorien der Sozialen Arbeit vorgestellt: der Ökosoziale Ansatz nach Germain und Gitterman sowie die Lebensweltorientierung nach Thiersch. Anhand dieser beiden Theorien wird das Phänomen »Straffälligkeit« betrachtet, wobei sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen lassen. Abschließend wird die Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft beschrieben. Mit diesem Kapitel wird somit ein entsprechender theoretischer und (handlungs-)wissenschaftlicher ›Blick‹ auf die Soziale Arbeit in der Justiz verdeutlicht, der allen weiteren Kapiteln zugrunde liegt.

2.1       Vorbemerkung

Anekdote zum Einstieg

Als es um den Beitrag der wissenschaftlichen Begleitung eines Weiterentwicklungsprojektes in der Bewährungshilfe ging, und die Hochschulvertreter*innen anregten, sich doch in einem ersten Schritt zu vergewissern, welche theoretischen Grundlagen, welches sozialarbeiterische Selbstverständnis, welche sozialarbeiterische Basistheorie etc. von Wissenschaft und Praxis gemeinsam formuliert werden könnte, herrschte in der Runde, die gemischt aus Praktiker*innen und Hochschulvertreter*innen bestand, einige Turbulenz. Als diese zu laut wurde und der Sitzungsleiter zur Ordnung rief, hielt es ein Praktiker nicht mehr aus und rief in die Runde: »Theorien sind nun wirklich nicht das, was wir Praktiker brauchen.«

Nicht nur Wissenschaftler*innen, sondern jedem*jeder Praktiker*in sollte es zu denken geben, wenn in Bezug auf die Qualität der Sozialen Arbeit allein oder hauptsächlich auf die eigene Erfahrung verwiesen wird. Es steckt tiefe Wahrheit in dem Satz von Tucholsky »Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen.« Übersetzt in die Fachsprache heißt das:

»Die Annahme, die eigene ›Lebenserfahrung‹ und die eigene ›Haltung‹ reichten aus, um die Lebenssituation anderer Menschen zu verstehen, zeugt von einer unreflektierten Arroganz. Dieser entspricht auf Hochschulebene der Unwille und die Unfähigkeit, Studierenden die systematische Befassung mit Theorien als wesentlichen Bestandteil zur Vorbereitung auf ihre Berufstätigkeit begreiflich zu machen« (Almstadt & Kotthaus 2018, 19).

Wir wissen spätestens sein Kahneman (2012) um die Manipulierbarkeit der ›Erfahrung‹, und jede*r Professionelle sollte deshalb schon aus eigenem Interesse die korrigierende Funktion von Wissenschaft spätestens im Studium erlebt und erfahren haben.

Dieses Kapitel soll in einer – aus Sicht der Autoren – notwendigen Selbstvergewisserung professioneller Sozialer Arbeit bestehen. Wer über Methoden und Vorgehensweisen spricht, gar »Tools« und »Handlungsanleitungen« erarbeitet, vergisst sehr schnell, dass diese nicht willkürlich entstehen können (oder zumindest sollen), sondern auf dem Hintergrund einer ganz bestimmten, für die Profession typischen »Blickrichtung« entwickelt werden. Diese Blickrichtung ist umso wichtiger, als klar sein muss, was eine Profession in einem Arbeitsfeld zu bieten hat, und mindestens genauso wichtig: was sie nicht zu bieten hat, was nicht ihre Aufgabe ist, wozu man sie eben nicht gebrauchen kann. Wenn diese professionelle Selbstvergewisserung fehlt, wird das methodische Vorgehen entweder völlig subjektiviert und jedem Einzelnen überlassen, oder es besteht aus einem mehr oder weniger zufälligen Konglomerat der gerade anwesenden Mitarbeitenden. Beides ist anfällig für Manipulationen, entbehrt der für Professionen notwendigen Anbindung an die entsprechende wissenschaftlicheDisziplin und führt in letzter Konsequenz dazu, dass Soziale Arbeit für alles zuständig ist, für das sich eine andere Profession nicht zuständig erklärt.

Soziale Arbeit als Profession und Disziplin

»Es ist nicht unüblich ›Profession‹ und ›Disziplin‹ mit ›Theorie‹ und ›Praxis‹ gleich zu setzen. Es gibt Gründe, die für eine solche Gleichsetzung sprechen. Eine genauere Betrachtung empfiehlt allerdings, diese einfache Parallelisierung zu ergänzen und partiell zu revidieren. Profession meint mehr als ›Praxis‹, ebenso wie Disziplin mehr und in mancher Hinsicht auch anderes umfasst als »Theorie«. Profession beschreibt das gesamte fachlich ausbuchstabierte Handlungssystem, also die berufliche Wirklichkeit eines Faches. Für die Soziale Arbeit kennzeichnet demnach der Begriff der Profession das sozialpädagogische Praxissystem, folglich die Realität der hier beruflich engagierten Personen sowie die von ihnen offerierten Hilfe-, Beratungs- und Bildungsleistungen auf der Basis der von der Gesellschaft an sie adressierten Ansprüche und Wünsche. Mithin ist mit dem Professionsbegriff mehr gemeint als die ›einfache‹, sozialpädagogische ›Praxis‹. Vergleichbar verhält es sich mit dem Disziplinbegriff. Mit ihm sind das gesamte Feld der wissenschaftlichen Theoriebildung und Forschung sowie auch das Handlungsfeld charakterisiert, in dem sich die Forschungs- und Theoriebildungsprozesse realisieren. Zielt die Profession auf Wirksamkeit, so setzt die Disziplin im Wesentlichen auf Wahrheit und Richtigkeit (vgl. Merten 1997, 2001, 2009) – anders formuliert: Geht es wissenschaftlichen Disziplinen primär darum, über Forschung, Reflexion und Produktion von Theorien Welt- und Gesellschaftsbilder zu kreieren und zu beeinflussen, wünschen Professionen, ihre AdressatInnen und KlientInnen durch Handeln zu beeindrucken, zu ›bilden‹ und zu ›helfen‹ (vgl. Stichweh 1987)« (Thole 2012, 21).

Diese generelle Einsicht hat auch für Soziale Arbeit in der Justiz ihre Auswirkungen. Wenn Soziale Arbeit als Profession und Disziplin innerhalb der Justiz einen Platz haben will, sollte sie sich in professioneller Hinsicht von anderen Professionen und Berufsgruppen unterscheiden. Diese Unterscheidung muss in ihrer disziplinären Verortung verankert sein, oder anders gesagt: Die Handlungsweisen, die konkreten Methoden und Vorgehensweisen, müssen erklärungs- und handlungstheoretisch