Star Song Full Album Sammelband - Georgia Rains - E-Book

Star Song Full Album Sammelband E-Book

Georgia Rains

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Beschreibung

Ein Romantic Thriller zum Eintauchen und Wegträumen ... Keine Familie, keine Heimat … Zum Glück hat die 24-jährige Kate Connor eine spannende Karriere in der US-Botschaft, um sich von den traumatischen Erlebnissen der Vergangenheit abzulenken. Das war zumindest der Plan. Stattdessen sitzt sie im zentralasiatischen Sanzharistan fest und ihr Traum scheint in weiter Ferne. Was könnte daher besser passen, als auf Wunsch beider Regierungen für den aufstrebenden Rockstar Adam Zapatenow zu arbeiten und den Glamour-Job als Tarnung für ihre Geheimaufträge im Dienst der US-Regierung zu nutzen? Obwohl die Musikindustrie kaum das richtige für eine angehende Diplomatin ist, hat es Vorzüge, für einen gutaussehenden Star zu arbeiten, der auf der Bühne heller strahlt als eine ganze Galaxie und im Privatleben bescheiden und freundlich ist. Adams Freunde nehmen sie in ihren Kreis auf, und zum ersten Mal in ihrem entwurzelten Leben fühlt Kate sich zugehörig – und mehr zu Adam hingezogen, als sie sich eingestehen will. Bei Adam könnte Kate die Geborgenheit finden, nach der sie sich so lange gesehnt hat, doch ihre Ängste und Adams Kultur stehen zwischen ihnen. Außerdem ist Kate zu professionell, um Grenzen zu überschreiten. Sie ahnt nicht, dass bei der Arbeit für Adam die Liebe nicht die einzige Gefahr darstellt – und beim weitem nicht die schlimmste … Alle 5 Folgen der Romantic-Thrill-Serie in einem Sammelband: Track 01: Liebe hat keine Grenzen Track 02: Von Liebe leben Track 03: Kleiner Mond Track 04: Sprache der Liebe Track 05: Höre auf dein Herz

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Georgia Rains

 

STAR SONG

Full album

 

Sammelband Tracks 01 – 05

 

 

 

Roman

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Baumann

 

 

 

Kapitelübersicht

 

Track 01: Liebe hat keine Grenzen

Kapitel 1: Das war nicht der Plan

Kapitel 2: Willkommen in Sanzharistan

Kapitel 3: Das Zapatenow-System

Kapitel 4: Perfekt für Romantik

Kapitel 5: OMG

Kapitel 6: Liebe hat keine Grenzen

Kapitel 7: Der Künstler

Kapitel 8: Der Star

Kapitel 9: Und nochmal OMG

Kapitel 10: Langeweile und Aufregung

Kapitel 11: Silvester

Kapitel 12: Showtime

Kapitel 13: Unfair

Kapitel 14: Das seltsamste Gespräch aller Zeiten

Kapitel 15: Ich will dich, ich brauche dich

Track 02: Von Liebe leben

Kapitel 1: Busan

Kapitel 2: Seoul

Kapitel 3: Stars sind genau wie wir

Kapitel 4: Gefahr

Kapitel 5: Unklare Absichten

Kapitel 6: Zeit zu gehen

Kapitel 7: Team A-Z

Kapitel 8: Schwarzarbeit

Kapitel 9: Von Liebe leben

Kapitel 10: Gute und schlechte Aufmerksamkeit

Kapitel 11: Der Mann

Kapitel 12: Seine Berührungszonen für Frauen

Kapitel 13: Die Auserwählten

Kapitel 14: Freundschaft

Track 03: Kleiner Mond

Kapitel 1: Unerreichbar

Kapitel 2: Seine königliche Heißblütigkeit

Kapitel 3: Ernsthafte Spionagearbeit

Kapitel 4: Der Tschernow-Auftrag

Kapitel 5: Tuánjié

Kapitel 6: Karten, Kirschen und Kohläpfel

Kapitel 7: Ich bin ein Problem

Kapitel 8: Auftrag in Seoul

Kapitel 9: Überraschung

Kapitel 10: Die Gegendarstellung

Kapitel 11: Der Preis

Kapitel 12: Kleiner Mond

Kapitel 13: Bienvenido a América del Sur

Kapitel 14: Liebe und Spionage

Kapitel 15: Auftrag in Bogotá

Kapitel 16: Los Angeles

Track 04: Sprache der Liebe

Kapitel 1: Ein Date

Kapitel 2: Versöhnung

Kapitel 3: Daheim

Kapitel 4: Ein weiteres Date

Kapitel 5: Nach Westeuropa und darüber hinaus

Kapitel 6: Arrivederci, Roma

Kapitel 7: Willkommen im Paradies

Kapitel 8: Das romantischste Nicht-Date aller Zeiten

Kapitel 9: Ein Geschenk

Kapitel 10: Keine zweideutigen Signale mehr

Kapitel 11: Der Morgen danach

Kapitel 12: Ein Schritt

Kapitel 13: Katastrophe

Track 05: Höre auf dein Herz

Kapitel 1: Rettung

Kapitel 2: Tag und Nacht

Kapitel 3: Heilung

Kapitel 4: Mit Adam zusammensein

Kapitel 5: Auf mein Herz hören

Kapitel 6: Segen

Kapitel 7: Liebe und Komplikationen

Kapitel 8: Was ich nicht wusste

Kapitel 9: Hmm, geheimnisvoll

Kapitel 10: Umzug

Kapitel 11: Was Adam getan hat

Kapitel 12: Endlich

Kapitel 13: Familienangelegenheiten

Kapitel 14: Anfang

Kapitel 15: Sein größter Fan

Danksagung der Autorin

Danksagung der Herausgeberin

Impressum

Georgia Rains

 

STAR SONG

 

Track 01: Liebe hat keine Grenzen

 

 

Roman

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Baumann

 

Kapitel 1: Das war nicht der Plan

 

»Schön, Sie kennenzulernen. Kate Connor.« Nach einem ganzen Tag und einer Nacht im Flugzeug bin ich zu müde, um belanglose Höflichkeiten auszutauschen, aber ich schenke ihm mein geübtes, freundliches und doch professionelles Lächeln.

»Gleichfalls. Warren Child. Kommen Sie rein.« Er ist leicht untersetzt, mittelgroß und hat dichtes, graues Haar. Khakihosen und ein dunkelblaues Golfhemd. Unauffällig. Er hält die Tür seines Hotelzimmers auf und tritt zur Seite, um mich reinzulassen.

Es ist ein normales Doppelzimmer in einem typischen Hotel einer großen Kette, genau wie mein eigenes. Ein offener Koffer auf dem Gepäckständer. Ein paar persönliche Gegenstände auf der Anrichte unter dem Fernseher. Keine Tür zu einem angrenzenden Zimmer, kein Hartschalenkoffer für Geräte, den ich sehen kann, keine Elektronik, nichts Interessantes. Die Vorhänge sind geschlossen, wie sie es sein sollten. Wir sind in der vierten Etage. Niemand kommt durch dieses Fenster herein – oder geht hinaus.

»Danke schön. Das ist für Sie.« Ich überreiche ihm den Diplomatenkoffer, den ich hierher ins schöne Chengdu, China, überbringen sollte. »Ich bin nicht über den Auftrag informiert worden. Man sagte mir, das würden Sie übernehmen.«

»Ja. Es ist ganz einfach.« Er deutet mir an, an dem kleinen Tisch in der Ecke Platz zu nehmen, was ich auch tue. Er nimmt den anderen Stuhl. »Ich bin im Rahmen eines langfristigen Auftrags hier und gebe mich als Textilhändler aus. Heute Abend gehe ich zu einem Empfang mit Führungskräften und Mitarbeitern eines örtlichen Bekleidungsherstellers. Sie begleiten mich und spielen die Rolle meiner Tochter. Sie sind zu Besuch gekommen, um meinen längeren Aufenthalt in der Stadt zu nutzen.«

Ich lege den Kopf schräg. »Ich dolmetsche nicht für Sie?«

»Nein, ich spreche fließend Mandarin. Ihre Aufgabe heute Abend ist es, neben mir zu stehen und so zu tun, als würden Sie nur das einfachste Touristen-Chinesisch verstehen. Das ist alles. Keine weitere Aufgabe.«

Ich bin verblüfft. »Die Sprache nicht zu verstehen, ist das Gegenteil von dem, was normalerweise meine Aufgabe ist.«

»Ich weiß. Aber ich brauche heute Abend eine Tochter, und das sind Sie. Stehen Sie einfach rum, hören Sie zu und lassen Sie niemanden wissen, dass Sie verstehen, was die Leute sagen.«

Ich halte einen Moment inne, während ich versuche, zu verarbeiten, was er mir da sagt. »Soll ich auf etwas Bestimmtes hören?«

»Nein. Es ist nur ein Empfang. Cocktails und Geplauder.«

Ich nicke. »Wie ein Touri verhalten und dumm stellen. Verstanden.« Ich verstehe es zwar nicht, aber das ist nicht der seltsamste Auftrag, den mir das Auswärtige Amt der USA gegeben hat, also nehme ich es hin.

»Ganz genau. Ruhen Sie sich inzwischen aus. Wir werden das Hotel um acht Uhr verlassen. Haben Sie festliche Kleidung dabei?«

»Ja. Ich habe alles mitgebracht, was ich besitze.«

»Stimmt ja, Sie sind ja unterwegs zu Ihrem neuen Posten. Waren Sie schon einmal dort?«

»Nein, noch nicht.«

»Dann willkommen in Sanzharistan. Es wird Ihnen gefallen. Die Menschen sind unglaublich nett.«

Hoffen wir mal, dass er recht hat. Sanzharistan war nämlich nicht gerade der Plan.

 

♪♫

 

Ich kann nicht stillsitzen. Die Party ist bereits in vollem Gange, und wir werden zu spät kommen. Amerikaner im kommunistischen China sollten kein Aufsehen erregen.

Als wir in einem heruntergekommenen Industriekomplex neben einem Gebäude halten, das wie eine Textilfabrik aussieht, sehe ich niemanden in der Nähe. Ich sehe nicht einmal Überwachungskameras. Das scheint kein besonders spannender Ort zu sein. Aber wenn wir hier sind, muss es interessanter sein, als es aussieht, also halte ich wachsam die Augen offen.

Wir treten vor eine unscheinbare Tür. Warren rüttelt an der Klinke. »Die Tür ist verschlossen.«

Ich sehe ihn erwartungsvoll an und gehe davon aus, dass wir uns umdrehen und gehen werden.

»Die Tür ist verschlossen«, sagt er wieder.

Oh. »Ich habe mein Lockpicking-Set nicht dabei.« Soll ich etwa das Schloss knacken?

Er holt eine schmale Brieftasche heraus und reicht mir ein einfaches Set, genau wie mein eigenes. »Behalten Sie es von nun an bei sich.«

Obwohl er hundertprozentig selber weiß, wie man das macht, knacke ich das Schloss: ein einfaches Standard-Türknaufschloss. Es lässt sich leicht öffnen, obwohl meine Hände vor Adrenalin zittern.

»Warten Sie hier«, weist er an.

Meine Lippen sind trocken, mein Herz schlägt schnell. Wenn wir erwischt werden, sind wir tot, wahrscheinlich wortwörtlich. Das hier war definitiv nicht der Plan. In höchster Alarmbereitschaft warte ich auf dem Betonpodest vor der Tür, fixiere meinen Blick auf die Kiesauffahrt und die dunklen, augenlosen Fenster der umliegenden Gebäude, um nach Anzeichen von Ärger Ausschau zu halten. Mach hin, Kollege!

Warren ist nur eine Minute lang im Büro. Sobald er herauskommt, renne ich zum Auto. Er lässt sich Zeit und vergewissert sich, dass die Tür wieder sicher verriegelt ist und wir nichts auf das Podest fallen gelassen haben. Kichernd über die Nervosität dieses Frischlings geht er zum Auto.

Auf der Party stehe ich neben Warren und tue so, als würde ich nichts von den Gesprächen um mich herum verstehen. Auf nichts zu reagieren, was jemand sagt, ist gar nicht so leicht, aber ich schaffe es, mein Gesicht unter Kontrolle zu halten. Als der Einsatz vorbei ist, sagt mein Kollege, ich sei perfekt gewesen – obwohl ich überhaupt nichts getan habe.

 

 

Kapitel 2: Willkommen in Sanzharistan

 

Jeder spekuliert darüber, wie eine Vierundzwanzigjährige, die so aussieht wie ich, es soweit geschafft hat. Sie stellen mich ständig auf die Probe: Habe ich wirklich diese Doktortitel, spreche ich wirklich all diese Sprachen fließend? Mit wem genau bin ich im Auswärtigen Amt ausgegangen? Wahrscheinlich mit jemandem von ganz oben? Ich habe gelernt, dass der einzige Weg, dies zu überwinden, darin besteht, doppelt so hart zu arbeiten wie alle anderen – und dabei unsichtbar zu sein.

Allerdings bin ich noch nicht dort, wo ich hinwill. Soeben erst bin ich an die US-Botschaft in Izmara versetzt worden, der Hauptstadt des zentralasiatischen Staates Sanzharistan. Gleich beginnt ein Regierungstreffen, bei dem ich für eine amerikanische Beamtin übersetzen soll, die in Izmara mit Sanzharistans Kulturminister über den sanzharischen Rockstar Adam Zapatenow verhandeln will, der Sanzharistans Beitrag zum Asiatischen Kulturfestival nächstes Jahr in Los Angeles sein soll. Unwichtige Diplomatie auf niedrigem Level, und irgendwie mache ich nur noch solche Arbeit, seit ich hier bin.

Ich bin das erste Mal im Konferenzraum des Botschafters. Der Raum ist im klassischen Stil der US-Regierung dekoriert, protzig, um zu beeindrucken: Amerikanische Flaggen auf Adlerstangen, das Porträt des Präsidenten, Ledersessel, ein riesiger Mahagonitisch und Samtvorhänge. Kronleuchter spenden luxuriöses Licht und Zitronenöl verströmt einen luxuriösen Duft.

Der Kontrast zu den abgenutzten Einrichtungsgegenständen in den Teilen der Botschaft, die Besucher nicht zu sehen bekommen, ist so groß, dass ich lachen muss. Aber ich bin ein Profi. Mein Gesicht wird weder der Sanzharistan-Abordnung etwas verraten, die sich mit der amerikanischen Delegation trifft, noch ihren vier Gästen. Die Gäste vertreten den Star, der offensichtlich zu beschäftigt und wichtig ist, um selbst an der Besprechung teilzunehmen.

Ich nehme sie genau unter die Lupe, so, wie es mir beigebracht wurde. Während einer der Männer in einem ordentlichen, blauen Anzug und roter Krawatte recht anständig aussieht, könnten die anderen drei kaum mehr fehl am Platz wirken. Einer der Männer ist mittleren Alters und ungepflegt, der andere eher in meinem Alter und mit Jeans und T-Shirt vollkommen underdressed. Die junge Frau, die bei ihnen ist, sticht jedoch noch mehr hervor: Sie ist ganz in nietenbesetztem Leder gekleidet und trägt einen etwa einen Meter langen Pferdeschwanz, rote Nägel mit passenden Lippen und schweren Schmuck, dazu einen Nasenring und ein Augenbrauenpiercing.

Warum Regierungen ein Treffen über ein Rockkonzert abhalten, ist mir ein Rätsel, aber als die Diskussion beginnt, wird es klar. Der Star ist ein wandelndes und singendes Werbeplakat für das fortschrittliche, demokratische, postsowjetische Sanzharistan.

Das Festival bietet eine perfekte Gelegenheit, dem Klischee etwas entgegenzusetzen, denn sein Land wird im Westen als russische Marionette und sein Volk als ignorant, rückständig und fanatisch bezeichnet. Das American Bureau of Educational and Cultural Affairs ist Gastgeber des Festivals. Der Kulturminister von Sanzharistan ist hier, um sicherzustellen, dass Sanzharistans Vorzeigejunge gut behandelt wird.

Während ich zwischen Russisch und Englisch dolmetsche, schenkt mir die junge Frau ein warmes Lächeln. Da ich bei solchen Treffen normalerweise mit der Tapete verschmelze, schätze ich es, dass sie mich als echten Menschen wahrnimmt.

Sie stellt sich während einer Toilettenpause vor.

»Amelia Alieva. Ich bin die Keyboarderin von Adam. Und wer sind Sie?« Ihr freundliches Auftreten steht in krassem Gegensatz zu ihrem harten Look.

»Kate Connor, Dolmetscherin des Auswärtigen Amts der USA. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Ich seufze, als ich mich im Spiegel anschaue. Mein »Tarnumhang« ist keine der hochmodernen Geheimdiensttechnologien, von denen ich manchmal von Kollegen höre. Es ist eine lange, schwarze Strickjacke, die eine herablassende Frau eines Geschäftsführers als »Kartoffelsack« bezeichnete, eine große, rosa Brille, eine schwarze Mütze im Militärstil und kein Make-up oder Schmuck. Schlicht und einfach; aber akzeptable Frauenkleidung von der Madison Avenue bis nach Mekka. Die Kleidung versteckt perfekt mein sehr amerikanisches blondes Haar, meine blauen Augen und meine Kurven.

Amelia bemerkt meine Unzufriedenheit. »Sie sehen umwerfend aus. Warum verstecken Sie sich unter dieser furchtbaren Strickjacke?«

Unverblümt, aber wahr. »Dolmetscher sollte man hören und nicht sehen.«

»Das muss schwer für Sie sein, so gut, wie Sie aussehen.« Sie mustert den Kartoffelsack prüfend, offensichtlich um herauszufinden, was sich darunter verbirgt. Ich habe das Gefühl, dass sie meine Maße nehmen würde, wenn sie ein Maßband zur Hand hätte.

Mir ist das Thema unangenehm. Ich kann nichts für mein Aussehen, und es bringt mir sowohl privat als auch beruflich nur Ärger ein. Die Nachteile sind real, stoßen aber im Allgemeinen auf keinerlei Mitgefühl, also habe ich gelernt, mein Aussehen herunterzuspielen und mich nicht zu beschweren.

»Ich bin daran gewöhnt. Diplomatie ist ein hartes Geschäft. Für jemanden in meinem Alter ist es ohnehin schon schwer, ernst genommen zu werden, und mein Aussehen ist da nicht gerade hilfreich. Also bleibe ich schlicht und langweilig, auch wenn ich nicht dolmetsche.«

»Nun, hier in Sanzharistan verstecken wir Frauen unsere Vorzüge nicht. Wenn Sie dazugehören wollen, sollten Sie das auch nicht. Zeigen Sie, was Sie haben, Mädchen!«

Ich erwarte nicht mehr als einen Austausch von Namen. Amelia fängt jedoch sofort an, Fragen zu stellen, angefangen bei meinen Fähigkeiten als Dolmetscherin. Während ich mir die Hände wasche, gebe ich ihr die Kurzfassung und mache mich auf die übliche Reaktion gefasst.

»Meine Eltern waren Diplomaten beim Auswärtigen Amt, sodass ich Spanisch, Französisch und Italienisch gelernt habe, als ich als Kind in Westeuropa lebte. In der Oberschule lernte ich Russisch, nur zum Spaß. Chinesisch, Koreanisch und Japanisch lernte ich während der Arbeit an meinen Doktortiteln in Asienwissenschaften und Internationalen Beziehungen.«

Sie sieht mich mit offenem Mund an und nutzt die Gelegenheit, um noch mehr Lippenstift aufzutragen. »Sie müssen ein Genie sein!«

Meine Leistungen hören sich beeindruckend an, aber damit eine Frau in meinem Alter all das kann, musste etwas sie von einem normalen Leben fernhalten. Etwas Großes. Aber nicht etwas, das man mit einer Fremden teilt.

»Danke, aber ich habe einfach ein Händchen für Sprachen. Wenn man ein paar beherrscht, ist jede neue einfacher.«

Sie hört auf, ihren Lippenstift aufzutragen und zieht eine Augenbraue hoch. »Chinesisch ist einfach? Erzähl mir noch einen.«

»Okay, nein, Chinesisch ist brutal. Ich habe vier Jahre gebraucht, um es zu beherrschen.«

Amelia lässt ihren Lippenstift in ihre Tasche fallen, öffnet mir die Tür und wir gehen zurück in den Konferenzraum. Ihre Stiefel klappern auf dem Marmorboden der Gänge, als sie mit ihrer Befragung fortfährt. »Wie alt bist du?«

»Vierundzwanzig.«

Sie bleibt stehen und starrt mich wieder mit offenem Mund an. »Erst? Wie kannst du da all diese Doktortitel und so weiter haben?« Diese Frau ist mir irgendwie sympathisch, obwohl sie kein Blatt vor den Mund nimmt. Vielleicht gerade deswegen.

»Meine Eltern haben mich von klein auf zu Hause unterrichtet, und daher habe ich mit fünfzehn Jahren die Schule abgeschlossen, mit neunzehn das College, und mit zweiundzwanzig habe ich promoviert.«

»Nicht zu fassen. Und seitdem hast du diesen Job?«

»Nein, ich bin erst seit ein paar Wochen hier. Bis dahin war ich für das Auswärtige Amt unterwegs und habe bei diplomatischen Veranstaltungen in der ganzen Welt gedolmetscht. Das war eine tolle Erfahrung, aber zwei Jahre lang in Hotels zu leben, war kein Spaß.«

»Urgs, ich weiß. Auch schicke Hotels werden irgendwann ätzend. Nach ein oder zwei Wochen kann ich es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen.«

Ihre Worte versetzen mir einen Stich. Ich habe schon lange kein richtiges Zuhause mehr gehabt.

Zurück im Konferenzraum setzt sie sich neben mich. »Du bist also beim Auswärtigen Amt, weil deine Eltern hier sind?«

Ich schaue mich im Raum um. Alle sind immer noch in ihre eigenen Aktivitäten vertieft und warten darauf, dass das Meeting wieder weitergeht. »Nicht ganz. Als ich zehn Jahre alt war, musste ich in die Vereinigten Staaten ziehen. Ich bin beim Auswärtigen Amt, weil ich wieder das Leben haben wollte, das ich als Kind hatte.«

»Wir sind hier nicht gerade in Westeuropa. Was hältst du von Sanzharistan? Ist es das, was du erwartet hast?«

Bei der Frage blicke ich betreten zu Boden. »Ehrlich gesagt, habe ich gar nichts erwartet. Ich wusste so gut wie nichts über das Land, bevor man mich hier stationiert hat.«

Sie wirft mir einen kurzen Seitenblick zu. »Das erklärt, warum die Dolmetscherin in der US-Botschaft in Izmara kein Sanzharisch spricht.«

Es ist in der Tat der Gipfel amerikanischer Arroganz, eine Nicht-Sanzharisch-Sprecherin ohne Sanzharistan-Kenntnisse hier in der Botschaft einzusetzen. Fast alle Sanzharer sprechen nicht nur Sanzharisch, sondern ebenso fließend Russisch, und die gebildete, jüngere Generation spricht zunehmend Englisch, sodass ich mich mit fast allen verständigen kann. Aber es ist trotzdem unhöflich, hier vor Ort ihre Muttersprache nicht zu sprechen.

Ich nehme die Kaffeekanne und fülle unsere beiden Tassen. »Es tut mir leid. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, warum man mich hier stationiert hat, aber es ist nur so lange, bis sie mich in die Moskauer Botschaft versetzen. Ich möchte trotzdem alles über die Kultur lernen, was ich kann, solange ich hier bin.«

»Gut, das solltest du auch.« Sie pustet auf ihren Kaffee. »Die meisten im Westen können Sanzharistan nicht von Afghanistan unterscheiden. Sie haben keine Ahnung, dass wir eine Demokratie sind oder dass wir keine religiösen politischen Parteien zulassen. Sie haben noch nie von unseren Städten gehört, obwohl diese riesig und wesentlich moderner sind als die meisten europäischen Städte. Ich wette, du warst überrascht, als du Izmara gesehen hast.«

»Absolut! Der Theaterkomplex in der Innenstadt ist einer der größten, die ich je gesehen habe.«

»Kunst und Kultur, Baby! Das können wir richtig gut. Deshalb ist Adam auch so wichtig. Er ist der einzige Sanzharer, von dem man außerhalb unseres Landes je gehört hat.« Sie lehnt sich selbstbewusst in ihrem Stuhl zurück. »Er zeigt der Welt, wer wir sind.«

Ich senke meine Stimme und beuge mich vor. »Ehrlich gesagt, ich hätte nie erwartet, hier eine Frau in einer Rockband zu treffen. Sanzharistan muss ziemlich fortschrittlich sein, wenn es um Frauen geht.«

Sie wiegt den Kopf und zuckt unverbindlich mit den Schultern. »Das ist unterschiedlich. Meine Familie und alle unsere Freunde sind es, aber es gibt immer noch viele Leute, die denken, eine Frau sollte sich nur um ihren Mann und seine Familie kümmern und seine Kinder zur Welt bringen. Und es gibt viele Mädchen, die mit so einem Leben glücklich sind. So langweilig. Ich verstehe nicht, wie ein Mann, der etwas auf sich hält, das wollen kann.«

Obwohl ich alles andere als traditionell bin, ist es einer meiner größten Träume, eine eigene Familie zu haben. »Und du willst keine Kinder bekommen?«

Sie lacht. »Ich habe schon zwei. Aber mein Mann und ich sind gleichberechtigt. Ich werde meine Karriere nicht aufgeben, genauso wenig wie er.«

»Das würde ich auch nicht tun.«

Während wir darauf warten, dass das Meeting wieder aufgenommen wird, frage ich Amelia über sich selbst aus, über ihre Familie, ihre Arbeit und ihre Interessen, und höre ihr aufmerksam zu. Es fällt mir leicht, sie zum Erzählen zu bringen, sie ist schon von sich aus sehr aufgeschlossen.

Der Rest des Treffens ist interessanter und viel weniger trivial, als ich erwartet hatte. Es ist faszinierend, zu erfahren, was hinter den Kulissen eines großen Rockkonzerts vor sich geht. So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr beim Dolmetschen. Ich wünschte, ich hätte das vorher gewusst und hätte etwas recherchieren können.

Der schlampig gekleidete Mann, der sich als Manager des Stars herausstellt, verscherbelt seinen Kunden wie ein Marktschreier: »Wir brauchen Hilfe, um die Show auf die Beine zu stellen, aber unsere größte Sorge ist, wo Adam auftreten wird. Er ist bereits als einer der weltbesten Sänger bekannt. Er braucht einen Veranstaltungsort mit einer Akustik, die seiner würdig ist. In Los Angeles ist die Hollywood Bowl die einzige Wahl.«

Es ist das übertrieben Schwärmerische, das Stars auf Schritt und Tritt folgt. Ich bin zu professionell, um mit den Augen zu rollen.

Aber die amerikanische Beamtin, elegant und modisch in ihrem fliederfarbenen Anzug, stimmt dem zu. »Adam ist unglaublich, deswegen bin ich hier. Aber die Hollywood Bowl hat 17.500 Plätze und der amerikanische Markt kennt ihn kaum. Was glauben Sie, wie viele Tickets Sie verkaufen können?«

Der Manager des Stars reicht ihr einige ausgedruckte Tabellen, die sie durchblättert, während er antwortet. »Bei seinem derzeitigen Bekanntheitsgrad in den Vereinigten Staaten könnten wir im Moment 9.000 Plätze füllen. Kurz bevor seine Tournee beginnt, bringt er sein zweites Album heraus. Es wird auf den westlichen Markt zugeschnitten sein und wir werden ihn in Nordamerika stark promoten, während er durch Süd- und Mittelamerika tourt. Seine Wachstumsrate in den USA sollte dann exponentiell ansteigen. Realistisch gesehen sollten wir in einem Jahr 17.500 Tickets schaffen. So Gott will, sogar noch mehr.«

Ich habe noch nie gehört, geschweige denn gedolmetscht, dass jemand einen Menschen so sehr wie ein Produkt anpreist wie dieser Manager seinen Star.

Der gut gekleidete Mann, der Vater des Stars, schaltet sich ein. »Adam hat nie traditionelles Marketing oder Werbung gebraucht. Die Leute brauchen nur seine Stimme hören und sie wollen ihn live erleben.«

Normalerweise wäre es keine Überraschung, den stolzen Papa so reden zu hören, aber das hier ist ein Geschäftstreffen!

Die Beamtin nickt. »Sein Gesicht zu sehen, schadet auch nicht.« Ist ihr Gesichtsausdruck etwa ... schwärmerisch? Du bist eine amerikanische Beamtin! Reiß dich zusammen!

Amelia und der Mann mit der lässigen Kleidung sehen es auch, tauschen einen Blick und kichern leise.

Der Kulturminister schließt das Geschäft ab. »Adam ist ein Künstler von Rang. Er gibt in ganz Asien und Osteuropa Konzerte von Weltklasse. Sanzharistan subventioniert seine Show in Los Angeles, damit er das Gleiche in den Vereinigten Staaten tun kann. Sind Sie bereit, uns mit den finanziellen Mitteln entgegenzukommen?«

Die Körpersprache der amerikanischen Beamtin verrät mir, dass sie diese Entscheidung getroffen hat, bevor sie überhaupt in Izmara gelandet ist. »Das bin ich. Ich möchte Ihnen helfen, Adam der Welt zu zeigen. Er kann die Hollywood Bowl haben. Das wird seine Show zu einer der größten des ganzen Festivals machen.« Sie holt tief Luft, beugt sich vor und sieht den Vater und den Manager des Stars mit einem strengen Blick an. »Enttäuschen Sie mich nicht. Ich will, dass sein Konzert so gut wird wie die, die er hier gibt. Ich will, dass das Haus ausverkauft ist.«

Der Vater des Stars erhebt sich und neigt respektvoll den Kopf. »Ich danke Ihnen. Sie können sich auf uns verlassen.«

Nach dem Treffen bleibt Amelia zurück und stellt mir den lässig gekleideten Mann vor, der sich als ihr Ehemann herausstellt.

»Rashid, das ist Kate. Sag hallo.«

Ich bin verblüfft, wie bestimmt sie das sagt.

Rashid streckt seine Hand aus. »Hallo, Kate.«

Ich schüttle seine Hand. »Freut mich.«

Amelia legt ihren Arm um meine Schulter und erschreckt mich mit dieser beiläufigen Berührung. »Kate ist ein schönes, amerikanisches Genie, das sein Leben damit verbracht hat, die Welt zu bereisen. Sie ist vierundzwanzig, hat zwei Doktortitel und sie spricht …« Sie blickt mich an. »Wie viele Sprachen?«

»Acht.« Ich kichere verlegen, während ich meinen Hut und meine Brille in die Tasche packe.

»Acht Sprachen. Sie ist gerade hierher gezogen. Sie ist außerdem sehr nett.« Amelia wirft Rashid einen vielsagenden Blick zu. »Ich denke, sie sollte Bekanntschaft mit unseren Freunden machen.«

»Selbstverständlich. Willkommen in Sanzharistan.«

»Ich danke euch. Ich fühle mich geehrt, hier zu sein.« Eine automatische Antwort, wie ich sie für solche Gelegenheiten immer bereithalte.

Amelia lässt mich los und holt ihr Handy heraus. »Was ist dein Benutzername auf Instagram?«

»Ich bin nicht in den sozialen Medien.«

Sie starrt mich erneut an. »Was bist du, ein Dinosaurier? Gib mir deine Telefonnummer. Du musst mal zum Essen vorbeikommen.«

Da ich in den letzten zwei Jahren kein Sozialleben hatte und weder Freunde noch Familie habe, freue ich mich darüber, Leute kennenzulernen. Außerdem kann ich als Mitglied des diplomatischen Korps ihr Angebot der Gastfreundschaft nicht ablehnen.

Und überhaupt – Amelia ist die coolste Frau, die ich mir vorstellen kann. Das könnte richtig Spaß machen.

Kapitel 3: Das Zapatenow-System

 

Es macht tatsächlich richtig Spaß. So viel Freude hatte ich seit Jahren nicht mehr. Seit drei Monaten habe ich nun ein reges Sozialleben voller interessanter und kreativer Menschen. Amelia und ihre Freunde schleppen mich überall mit hin: zum Essen gehen, zu Spaziergängen im Park, ins Kino, zu Besuchen in Kunstgalerien und so weiter. Ich babysitte für sie. Ich arbeite mit ihnen freiwillig auf einer Baustelle für ein Heim für behinderte Kinder. Alles Aktivitäten, die im heutigen Ereignis ihren Höhepunkt finden.

Als ich den Veranstaltungsort betrete, überfliege ich den Raum mit geübtem Blick. Vier Ausgänge. Große Fenster, die so aussehen, als könnten sie bei Bedarf geöffnet werden. Ein halbes Dutzend Sicherheitskameras an der Decke unter grauen Plastikblasen. Aber kein offensichtliches Sicherheitspersonal. Keiner der Kellner ist übermäßig korpulent oder trägt einen Knopf im Ohr, den ich sehen kann. Keine Ausbuchtungen, die auf eine Waffe hindeuten könnten. Die Gäste –

Großer Gott, was soll das? Das ist eine Hochzeitsfeier! Und ich arbeite nicht. Ehrlich gesagt, genau das ist das Problem. Egal, wie viel Übung ich darin habe, es ist nie einfach, allein auf einer großen, gesellschaftlichen Veranstaltung aufzutauchen. Allerdings wurde es durch Übung einfacher, selbstbewusst auszusehen, selbst, wenn ich es nicht bin. Ich stelle mich aufrecht hin, entspanne meine Schultern, setze ein hoffentlich sympathisches Lächeln auf und halte Ausschau nach den lieben Menschen, die mich zu den heutigen Feierlichkeiten eingeladen haben.

Sie stehen um einen Tisch am Rand der Tanzfläche und trinken Cocktails. Amelia und ihre Freundin Saraiya entdecken mich und winken mich zu sich. Ich hebe meine Hand als Zeichen, dass ich sie gesehen habe, und bahne mir zwischen den Tischen hindurch einen Weg zu ihnen.

Alle versammeln sich, um mich zu begrüßen.

»Vielen Dank, dass ihr mich heute Abend eingeladen habt«, sage ich. »Es ist wirklich eine Ehre.«

Amelia, auffällig wie immer in einem pinkfarbenen Cocktailkleid und kniehohen Lederstiefeln mit Schnallen, umarmt mich zuerst. »Wann hörst du endlich auf, solche Dinge zu sagen? Mädchen, du bist eine von uns.«

»Es ist sehr lieb von dir, das zu sagen.« Es mag lieb gemeint sein, aber es ist nicht die Wahrheit. Amelia und ihre Freunde waren unglaublich großzügig mit ihrer Gastfreundschaft, aber ich werde nie wirklich eine von ihnen sein.

Saraiya, elegant in einem puderblauen, bodenlangen Etuikleid, umarmt mich als nächstes, dann treten die Ehemänner der Frauen vor und küssen mich auf die Wange. Ich tue, was alle tun, und umarme und küsse sie alle zurück. Es fühlt sich sehr schön an, wenn auch etwas unangenehm, denn ich bin solch offene Zuneigung oder überhaupt Zuneigung nicht gewohnt.

Saraiya neigt dazu, in der Nähe ihrer lebhafteren Freundinnen in den Hintergrund zu treten, also nehme ich ihre Hände und schenke ihr ein wenig mehr Aufmerksamkeit. »Diese Farbe steht dir großartig! Du leuchtest förmlich.« Das Kompliment bringt sie noch ein bisschen mehr zum Strahlen.

»Du siehst auch toll aus«, antwortet sie und mustert mich von oben bis unten. »Du weißt doch, dass du die Braut bei einer Hochzeit nicht in den Schatten stellen sollst.«

Bis jetzt haben mich meine neuen Bekannten nur in meiner absichlich hässlichen Aufmachung gesehen, daher überraschen mich ihre Reaktionen nicht. Nach ein paar Augenblicken erscheinen jedoch die Braut und der Bräutigam und machen ihre Runde. Elena, die zweifellos schönste Frau des Abends, lenkt zum Glück die Aufmerksamkeit auf sich.

Mehr Umarmungen und Küsse unter den Freunden. So herzerwärmend das auch ist, es gibt mir einen Stich. Solche Beziehungen waren noch nie Teil meines Lebens. Ich hoffe, dass es mir eines Tages ebenfalls vergönnt sein wird, irgendwo Wurzeln zu schlagen – in Moskau, wenn alles so läuft, wie geplant. Dann werde ich endlich eigene Freunde und eine eigene Familie haben.

»Immer noch kein Adam?«, fragt Elena.

Saraiya streicht sich eine Strähne ihres kurzen, braunen Haares hinters Ohr. »Er hatte heute Nachmittag ein Fotoshooting. Aber keine Sorge, er wird schon kommen. Das lässt er sich auf keinen Fall entgehen.«

Ich habe den Star noch nicht kennen gelernt, obwohl fast alle meine neuen Bekannten in irgendeiner Form für ihn arbeiten und alle eng mit ihm befreundet sind. Erstaunlicherweise haben sie mir nicht viel über ihn erzählt. Sie nehmen ihn sehr in Schutz und sprechen nie über ihn, wenn er nicht anwesend ist. Für mich ist das in Ordnung. Ich habe schon so viel Zeit mit Stars und Sternchen und ihren nicht gerade hell glänzenden Persönlichkeiten verbracht, dass der Ruhm ihres Freundes mein Interesse aktiv dämpft.

Eine andere Frau an unserem Tisch nickt in Richtung des Eingangs, wo plötzlich Aufruhr herrscht. »Da ist er.«

Nun ja. Interesse oder nicht, natürlich werde ich mir ihn ansehen. Der ganze Raum schaut schließlich zu ihm hinüber.

Okay, wow.

Ich hätte gewusst, dass er es ist, ohne dass es jemand gesagt hätte. Er sieht definitiv wie ein Star aus. Es handelt sich um eine ganz normale Hochzeit mit Black-Tie-Dresscode, wo ein einfacher Smoking für die Herren reichen würde, aber sein dreiteiliger, schwarzer Smoking mit kräftigen, weißen Akzenten ist für den roten Teppich geeignet und offensichtlich maßgeschneidert. Keine Krawatte, offener Kragen, trotzdem wahnsinnig elegant. Der Star ist schon fast unrealistisch gut aussehend, ein Modellbausatz des perfekten Menschen, der aus manchen Blickwinkeln eher asiatisch und aus anderen eher europäisch wirkt. Seine Gesichtszüge sind scharf geschnitten und doch fein: diese vollen Lippen, mit denen so viele Asiaten gesegnet sind; die Kieferpartie einer griechischen Statue; perfekt zerzaustes, schwarzes Haar, das in große, weite, dunkle Augen fällt.

Verdammt! Sexy, auf jeden Fall.

Ich bin jedoch keine Frau, die sich von einem hübschen Gesicht übermäßig beeindrucken lässt.

Jeder, an dem er vorbeikommt, möchte ihm die Hand schütteln oder ein Selfie mit ihm machen. Obwohl es eindeutig eine Zumutung ist und, ehrlich gesagt, unhöflich gegenüber einem Hochzeitsgast, versucht er, allen gerecht zu werden. Ich muss ihm zugute halten, dass er höflich ist, außerdem sehr effizient. Er braucht nur ein oder zwei Minuten, um zu seinem Tisch zu gelangen, wo er sich in einem Stuhl zurücklehnt und Eleganz, Status und Ruhm ausstrahlt.

Das ist also das wertvollste Exportgut Sanzharistans. All das – und Talent hat er auch noch?

Später, beim Abendessen, frage ich meine Begleiter, wie es ist, für einen so offensichtlichen ... das einzige Wort ist »Star« … zu arbeiten.

Amelia hält inne und hebt die Gabel halb zum Mund. »Er hasst es, wenn man ihn einen Star nennt, denn Sterne gehören in den Himmel. Also necken wir ihn natürlich damit. Wir haben ein ganzes Sonnensystem um ihn herum erfunden.«

Saraiya nickt zustimmend, während sie merkwürdig aussehendes Fleisch auf ihrem Teller schneidet. »Er ist ein Star in dem Sinne, dass er eine Berühmtheit ist, aber im Team ist er der Stern, weil alles um ihn kreist. Siehst du die Leute an seinem Tisch? Das sind seine Planeten.«

Ich erkenne seinen Manager und seinen Vater von dem Treffen in der Botschaft. Amelia erzählt mir, dass die schillernde Königin neben ihm seine Mutter ist. Bei ihnen sitzen einige Freunde der Familie und musikalische Mentoren.

An unserem Tisch sitzt auch Rashid, der seit seiner Kindheit der beste Freund des Stars ist und heute für ihn als Produzent und Tontechniker arbeitet.

»Ich bin ein kleiner Mond«, sagt Amelia. »Ich habe jahrelang mit Adam gearbeitet, aber ich umkreise immer noch Rashid, weil er für die Musiker zuständig ist. Er hat uns alle angeheuert, sogar mich.«

Vetternwirtschaft ist hier gang und gäbe.

»Ich bin auch ein Mond«, sagt Saraiya. Sie arbeitet für Adams Manager und betreut seine Internetseiten.

Während sie die »himmlischen« Aufgaben aller Teammitglieder erklären und beschreiben, welche Monde welche Planeten umkreisen, vermischt sich ihr Lachen mit den Geräuschen von Besteck, Geschirr und Gesprächen an anderen Tischen.

Ich bedecke mein Weinglas mit der Hand, als der Kellner um unseren Tisch herumgeht und die Gläser meiner Begleiter auffüllt. »Ist es nicht seltsam, sich seinem Freund so unterzuordnen?«

»Deshalb hasst er das, aber nein«, antwortet Amelia. »Er ist wirklich ein Stern. Es gibt niemanden auf der Welt, der so ist wie er. Ein Teil seines Sonnensystems zu sein, ist eine Ehre.«

Rashid sitzt mit gespreizten Beinen in zerknittertem Smoking auf seinem Stuhl, einen Arm auf Amelias Stuhllehne, den anderen auf dem Tisch. »Ich mag es auch nicht. Amelia ist nicht mein Mond.« Er sieht sie liebevoll an. »Du bist mein Stern, Baby.« Er beugt sich zu ihr und küsst sie auf die Wange.

»Halt die Klappe«, sagt Amelia zärtlich und verpasst ihm einen Klaps gegen die Brust.

Ich gönne ihnen ihr Glück, auch wenn ich wieder diesen viel zu vertrauten Schmerz verspüre.

»Jetzt fühle ich mich ausgeschlossen«, scherze ich. »Ich muss von einem anderen Sonnensystem stammen.« Aber das tue ich nicht. Ich bin ein einsames Himmelsobjekt, ein Komet, der die Länder, die ich besuche, und das Leben der Menschen, denen ich begegne, lediglich überfliegt.

»Keine Sorge«, sagt Amelia. »Wenn du Adam erst einmal kennengelernt hast, wirst du bestimmt irgendwie zu einem kleinen Mond.«

Saraiya schenkt mir ein rätselhaftes Lächeln. »Hm … Ich glaube, du hast das Potenzial zu einem Planeten.«

 

Kapitel 4: Perfekt für Romantik

 

Nach dem Essen geht es mit Cocktails und Tanzen weiter. Abgesehen von königlichen Hochzeiten ist dies der aufwändigste Hochzeitsempfang, den ich je erlebt habe. Der Ballsaal quillt über von riesigen rosa und weißen Blumenarrangements. Tücher aus rosafarbener Seide sind über die Wände und die Decke drapiert. Winzige Lichter glitzern in jeder Ecke.

Die Atmosphäre ist perfekt für Romantik. Da fast alle, die ich bisher in Sanzharistan kennengelernt habe, bereits verheiratet sind, hoffe ich, dass unter den Gästen heute Abend auch ein paar alleinstehende Männer sind, die mit mir auf der Tanzfläche ein wenig auf Tuchfühlung gehen und mich vielleicht sogar um ein Date bitten. Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich positive männliche Aufmerksamkeit bekommen habe.

Mit ihren eurasischen Gesichtszügen sind die Sanzharer genau mein Typ, und in der Tat ist eine nette Auswahl der gut aussehenden jungen Männer, die dieses Land hervorbringt, hier vertreten. Sie erwidern meinen Blick.

Mein Blick wandert weiter, wieder zu dem Star. Er ist definitiv mein Typ. Er wäre der Typ jeder Frau. Aber soweit ich das beurteilen kann, hat er nicht einmal in meine Richtung geschaut. Ich versuche, es nicht persönlich zu nehmen; er ertrinkt sicherlich tagein, tagaus in einer Flut aus jungen, sanzharischen Schönheiten. Allein diese Hochzeit stellt eine beeindruckende Anzahl von ihnen zur Schau. Ein »nur« hübsches, amerikanisches Mädchen wie ich kann einen Mann wie ihn nicht beeindrucken.

Da ich in der Kunst des heimlichen Beobachtens geübt bin, wende ich meinen Blick ab, bevor mich jemand beim Starren erwischt. Das ist auch gut so, denn eine Minute später erscheint der Star an unserem Tisch.

Sein Charisma und seine Attraktivität nehmen viel Raum ein. In dem Moment, in dem er in unsere Galaxie eintritt, erhebt sich jeder und tritt in die Umlaufbahn des Sterns ein. Alles wird von seiner Schwerkraft, die sogar ich spüren kann, angezogen. Nachdem ich die letzten Jahre in der Gesellschaft von Berühmtheiten, Meinungsmachern und Staatsoberhäuptern verbracht habe, neige ich nicht dazu, mich dem Ruhm zu beugen, aber ich stehe auch auf.

Seine Freunde begrüßen ihn herzlich auf sanzharisch. Der Star spielt offensichtlich in einer ganz anderen Liga als wir Normalsterblichen, aber er stellt sein Getränk – Softdrink, kein Cocktail – auf dem Tisch ab, breitet seine Arme aus, umarmt die Männer grinsend, und hebt dabei den ein oder anderen auch noch hoch. Er behandelt jeden an unserem Tisch so, als wäre er einfach einer von uns. Das Ganze wirkt süß und aufrichtig, unprätentiös, ein völliger Gegensatz zu dem Eindruck, den ich hatte, als ich ihn an seinem Tisch beobachtete. Diese Freunde haben sich alle wirklich gern und scheuen sich nicht, das zu zeigen.

Der Star ist nicht nur unrealistisch gut aussehend und offensichtlich übermenschlich talentiert, sondern auch sehr hochgewachsen. Natürlich ist er das. Er beugt sich herunter und küsst Amelias Wange. Saraiya bekommt einen warmen Händedruck mit beiden Händen.

Er dreht sich um, konzentriert seine ganze Starpower auf mich und begrüßt mich förmlich auf Russisch. Er muss davon ausgehen, dass ich kein Sanzharisch spreche. Er hat recht – und ich ein schlechtes Gewissen.

»Erlauben Sie mir, mich vorzustellen.« Er schüttelt meine Hand mit einem sanften Druck und einer leichten Verbeugung, fast so, als wäre er ein normaler Mensch, was er ja auch zu sein scheint. Doch dann lässt er ein wahrhaft umwerfendes Lächeln aufblitzen, das etwas anderes sagt. »Adam Zapatenow.«

»Kate Connor.«

»Wirklich sehr erfreut, Sie kennenzulernen.« Er lässt meine Hand los und schaut sofort weg, ohne mich auch nur im Geringsten abzuchecken. Nun ja. Ein bisschen enttäuschend, aber wahrscheinlich macht er das aus Respekt nicht.

Amelia legt ihre Hand auf meine Schulter. »Kate ist die Freundin, von der ich dir erzählt habe. Die Dolmetscherin in der amerikanischen Botschaft.«

Das weckt sein Interesse. Er wendet sich wieder mir zu. »Ah, ja.« Er hat ins Englische gewechselt, seine Worte sind leise und seidig, sein Akzent ist charmant. »Amelia hat mir erzählt von Ihnen.« Sein Englisch ist gut, aber nicht fließend genug, um automatisch zu sein. Er spricht langsam, mit Pausen zwischen den Sätzen. »Willkommen in Sanzharistan. Kümmern sich meine Freunde gut für Sie?«

»Ja, sie haben mich sehr freundlich aufgenommen. Amelia war sehr nett und hat sich meiner angenommen.«

Der Star betrachtet sie mit Zuneigung. »Amelia ist sehr gute Freundin. Wie finden Sie Sanzharistan?«

Dieses Mal habe ich eine Antwort. »Sanzharistan ist ein schönes Land mit interessanter Kultur. Hier zu arbeiten ist eine Ehre.« In der Zeit, die ich hier verbracht habe, habe ich viel gelernt, und ich meine, was ich sage.

»Danke.« Er scheint zu wachsen. »Natürlich ich stimme zu. Meine Kultur in die Welt zu bringen ist meine …« Seine Augen gleiten zur Seite, während er nach dem Wort sucht.

»Mission?«

Er zuckt zusammen, als ich seinen Gedanken beende. »Ja, meine Mission, genau.«

Die Bürger Sanzharistans entwickelten einen ausgeprägten Nationalstolz, nachdem das Land vor einer Generation seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erlangt hatte. Aber echt jetzt? Er ist ein sechsundzwanzigjähriger Rockstar, die berühmteste Person in seinem Land, und das ist es, was ihm wichtig ist? Das klingt wie eine Zeile aus der Broschüre des Asiatischen Kulturfestivals.

Ich wechsle ins Russische. »Eigentlich sollte ich Ihnen danken. Ich bin Ihretwegen hier.«

Der Star nimmt die Hände vor der Brust zusammen. »Sie sind meinetwegen in Sanzharistan?«

Das bringt mich zum Lachen. Die berühmteste Person des Landes würde natürlich so etwas sagen.

»Nein, ich bin Ihretwegen auf dieser Hochzeit. Ich habe Amelia und Rashid kennengelernt, als sie wegen Ihres USA-Konzerts in die Botschaft kamen.«

Er hat den Anstand, über seinen Fehler zu lachen. »Ja, das ist richtig. Ich wusste das natürlich.« Er sieht mich mit seinen warmen, ausdrucksstarken Augen an. »Nun. Es scheint, als habe es das Schicksal bestimmt, dass wir uns treffen.«

Er hat diese Art an sich, mit der charismatische Menschen Smalltalk bedeutsam erscheinen lassen – als würde gerade etwas sehr Wichtiges seinen Lauf nehmen. Während er mich mit seinem Blick festhält, sind alle Eindrücke verstärkt. Die Blumen auf dem Tisch erfüllen den Raum mit ihrem Duft. Die Band spielt eine romantische Big-Band-Ballade aus den 1940er Jahren. Jemand öffnet eine Tür in die frische Oktobernacht, eine kühle Brise weht herein und lässt eine Gänsehaut über meine Haut huschen. Ich schlucke, ausnahmsweise nicht in der Lage, eine passende Antwort zu finden.

»Wirst du heute Abend singen?«, fragt Saraiya und lenkt meine Aufmerksamkeit von dem viel zu schönen Gesicht des Stars ab.

Er steht aufrecht und wirkt einen Moment lang sehr würdevoll für jemanden, der noch Minuten zuvor seine Freunde buchstäblich durch die Luft gewirbelt hat. »Das werden wir sehen.« Er hält inne. »Vielleicht, wenn die Band fertig ist.« Er gibt nach und zuckt mit den Schultern, wobei er ein zwinkerndes, entwaffnendes Lächeln zeigt. »Wahrscheinlich.« Alle klatschen erfreut.

Die Braut erscheint an der Seite des Stars und hält ihm mit einem strahlenden Lächeln die Hand hin. »Adam?«

Er zögert für den winzigen Bruchteil einer Sekunde, dann akzeptiert er. »Aber natürlich.« Er nickt mir zum Abschied zu, dann nimmt er ihre Hand und führt sie auf die Tanzfläche. Alle Kameras im Raum werden gezückt.

Hm. Er sieht aus wie ein Star, aber er verhält sich nicht wie einer.

Während ich mich nach potenziellen Tanzpartnern umsehe, kann ich meine Gewohnheit nicht ablegen, jeden im Raum zu mustern. Ein älterer Herr, der vorher schon an seinem Tisch etwas deplatziert wirkte, sitzt jetzt ganz allein. Seine Tischnachbarn sind unhöflicherweise alle gegangen, um zu tanzen oder sich mit anderen Leuten zu unterhalten. Ich weiß nur zu gut, dass sich das Alleinsein tausendmal schlimmer anfühlt, wenn man von so viel Liebe und Zuneigung umgeben ist.

Ich muss etwas tun. Wenn ich einfach hinübergehe und mich zu ihm setze, hat er das Gefühl, ich würde ihn bemitleiden. Ich selbst würde das ja schon hassen, und Männer hassen das noch mehr. Außerdem gehört es sich nicht für eine Frau in Sanzharistan, einen Mann anzusprechen. Glücklicherweise gehören zu meinen besonderen Fähigkeiten verschiedene Methoden, um eine Zielperson dazu zu bringen, mich anzusprechen. Alter, Geschlecht, Kultur, Umfeld … Ich gehe ein halbes Dutzend Optionen durch und treffe meine Wahl.

Das wird ein Kinderspiel.

Mein Kleid besteht aus einem engen, schwarzen Mieder mit erhabenen Ziernähten in dem schweren Stoff. Im Rock gehen die Stoffstreifen auseinander und enthüllen bei Bewegung den fließenden, weißen Chiffon darunter. Es ist ein Kleid im Stil von Fred Astaire und Grace Kelly, wie geschaffen zum Tanzen. Wie geschaffen, um die Blicke auf sich zu ziehen. Es kontrastiert mit meiner hellen Haut und meinem blonden, langen Haar, das ich zur Abwechslung offen trage. Ein Paar schwarze Riemchenschuhe vervollständigen den Look.

Rashid sitzt neben mir. Ich nutze seinen Körper als Deckung und bücke mich, um den Riemen eines meiner Schuhe zu öffnen.

Er sieht mich neugierig an. »Was machst du da?«

»Pssst. Verrate mich nicht.«

Ich warte auf meinen Moment. Das nächste Lied der Band holt alle auf die Tanzfläche. Sobald die Fläche voll ist, stehe ich auf und beobachte die Bewegungsmuster der Paare, die sich im Kreis drehen.

Jetzt.

Ich gehe auf die Tische zu und positioniere mich so, dass ich direkt neben dem Herrn ankomme, als ein besonders schwungvolles Paar an ihm vorbeirauscht. Eingeklemmt zwischen ihm und dem sich schnell bewegenden Paar, verliere ich das Gleichgewicht. Die Schnalle am Riemchen geht auf, ich rutsche aus meinem Schuh und stolpere.

Der Mann springt von seinem Stuhl hoch und fängt mich auf.

»Junge Frau! Geht es Ihnen gut?«

»Ach du meine Güte, danke! Das hat mir vielleicht einen Schrecken eingejagt! Wie konnte das denn nur passieren?«

»Sie haben Ihren Schuh verloren.« Er bückt sich und hebt ihn auf.

Ich schüttle zerknirscht den Kopf. »In der Tat. Nochmals vielen Dank.« Ich setze mich neben ihn und ziehe den Schuh an, wobei ich mir viel Zeit nehme, um das Riemchen zu schließen. Währenddesse stelle ich mich vor. »Ich bin Kate. Und wie heißen Sie?«

Es dauert fünf Sekunden, ihn zum Reden zu bringen, und fünf Minuten, ihn zum Tanzen zu bringen.

Ein Kinderspiel.

Er ist ein ziemlich guter Tänzer, wie sich herausstellt. Ich fühle mich elegant und genieße den Effekt meines Kleides, das sich weich und seidig an meine nackten Beine schmiegt. Da mein Kleid seine Aufgabe erfüllt, ignoriere ich die Blicke, die ich auf mir spüre, und konzentriere mich lieber auf meinen Tanzpartner. Dann ist es eben so. Das Auf-Tuchfühlung-gehen – mit einem jungen Single – muss warten.

Nach ein paar weiteren Liedern kommen Amelia und Rashid auf uns zu getanzt.

Rashid klopft dem Herrn auf die Schulter. »Darf ich?«

Amelia tritt mit einem breiten Lächeln und offenen Armen vor und bietet sich als Ersatz-Tanzpartnerin an. Der Herr lächelt zurück, tauscht mich gegen Amelia aus, und Rashid tanzt mit mir davon. Auf der anderen Seite der Tanzfläche schaut er fast stolz auf mich herab. »Du bist einfach viel zu nett.«

Ein kleiner Schauer der Wärme durchfährt mich. »Pfft. Das war doch gar nichts.«

»Das war aalglatt. Du bist in Wahrheit eine Spionin, oder?«

Ich kann mir nicht verkneifen, eine Augenbraue verschwörerisch hochzuziehen. »Wenn ich es wäre, dürfte ich es dir nicht sagen.«

Ich wollte heute Abend männliche Aufmerksamkeit, und ich habe sie bekommen. Leider kommt sie ausschließlich von älteren Herren, von denen die meisten etwas zu viel getrunken haben. Die jungen Männer im Raum halten sich unerklärlicherweise auf Distanz.

In dieser Kultur führt der tief verwurzelte Sexismus dazu, dass die Männer im sozialen Umfeld einer Frau dafür sorgen, dass sie vor unerwünschter Aufmerksamkeit sicher ist. Die Jungs tun ihre Pflicht und halten meine beschwipsten potenziellen Verehrer gekonnt in Schach. Obwohl ich ihren Schutz heute Abend zu schätzen weiß, hat es nicht nur Vorteile, denn die Jungs scheinen selbst zu entscheiden, wessen Aufmerksamkeit erwünscht ist und wessen nicht.

Eine Hochzeit ist der perfekte Ort, um noch mehr über den tief verwurzelten Sexismus einer Kultur zu lernen. Während ich das üppigste Dessertbuffet durchstöbere, das ich je gesehen habe, bekomme ich eine Unterhaltung der Jungs mit. Einer von ihnen stupst Rashid an, während sie ihre Teller füllen.

»Wie ist die Entführung verlaufen?«

»Es war ein Riesenspaß. Wir haben uns betrunken, sind rübergeschlichen und haben sie um drei Uhr morgens durch ihr Schlafzimmerfenster geholt.«

Der Mann kichert wissend. »Was hat er ihr gegeben?«

»Die Halskette, die sie jetzt trägt.«

Strinrunzelnd drehe ich mich zu den Mädchen um. »Wovon reden sie?«

Saraiya, frisch verheiratet und Expertin in Sachen Eheschließung, rümpft die Nase. »Eine sexistische Junggesellenparty. Der Bräutigam und seine Freunde ›entführen‹ die Braut.«

Ich lege den Kopf schief. »Warum?«

»Heirat durch Entführung. Wenn ein Mann früher die Zustimmung der Familie eines Mädchens nicht einholen konnte, entführte er sie und brachte sie nach Hause zu seiner Familie. Wenn sie über Nacht im selben Bett schliefen, wurde sie seine Frau, ob sie wollte oder nicht. Der einzige Ausweg war die Scheidung. Aber dann würde sie wenigstens ausgesorgt haben.«

»Das ist ja furchtbar! Und das machen die bei Junggesellenabschieden?«

»Nun, fairerweise ist es jetzt umgekehrt. Ein Mann kann eine Frau nicht auf diese Weise in die Ehe zwingen, aber wenn sie es will, dann sind sie damit automatisch verheiratet. Viele Paare brennen jetzt auf diese Weise durch.« Sie beißt in einen Trüffel.

Die romantische, moderne Version gefällt mir viel besser. Und sie ist spannender.

»Wirklich?« Mein Blick schweift über die Hochzeitsgäste. Der Star ist der begehrenswerteste Mann im Raum, aber es gibt eine Menge realistischere, aber immer noch gut aussehende Optionen. »Ich kann also einen dieser Typen zwingen, mich zu heiraten, indem ich einfach in seinem Bett schlafe? Sehr effizient.«

Saraiya hat den Mund voller Schokolade, also antwortet Amelia lachend. »Tut mir leid, aber so einfach bekommst du keinen Ehemann. Er müsste dich erst irgendwie entführen.«

Als wir zu unserem Tisch zurückgehen, erklärt Saraiya einige der anderen Rituale, die das glückliche Paar in den letzten Tagen durchgeführt hat. Einige sind uralte sanzharische Traditionen, wie eine besondere Zeremonie, die sich auf die alten, mystischen Traditionen dieses Landes bezieht. Hier kommt die Ehe dadurch zustande, dass Gott die Seelen zweier Menschen zusammenführt, die er speziell füreinander geschaffen hat. Bei dieser Zeremonie gibt es keinen Pfarrer oder Gäste; sie findet nur zwischen dem Paar und Gott statt. Für die meisten traditionellen Sanzharer ist das die wahre Ehe.

»Ist die Halskette auch eine sanzharische Tradition?«

»Nein, eine islamische. Der Bräutigam muss der Braut ein Geschenk machen, das so wertvoll ist, dass sie es verkaufen und im Notfall eine Zeit lang davon leben kann.«

Wie praktisch. Trotzdem hätte ich nichts gegen ein schönes Schmuckstück als Liebesbeweis eines Mannes. Vergessen wir den Schmuck. Ich würde mich mit der Liebe eines Mannes zufrieden geben. Eines Tages.

Die Band hat jetzt das Tempo angezogen und spielt mitreißende, ungestüme russische Standards. Die Lieder sind kitschig, aber lustig, die russische Version von »What’s New Pussycat«. Alle im Raum sind in Feierlaune, sogar der Star, der die Lieder lauthals mitsingt und mit seinen Planeten lacht. Jetzt ist er jungenhaft, unbeschwert und ohne Zurückhaltung. Ein Chamäleon.

Der ältere Herr hat die Tanzfläche erobert und zeigt sein Können, während alle Mädchen im Raum Schlange stehen, um mit ihm zu tanzen. Die Jungs in unserer Gruppe – leider alle verheiratet – tun das Gleiche für mich. Der Star scheint jedoch vergessen zu haben, dass ich existiere. Nun gut. Abgesehen von dem Tanz mit der Braut und dem mit seiner Mutter tanzt er auch mit niemandem sonst. Vielleicht war es unser Schicksal, uns zu treffen, aber anscheinend war es nicht unser Schicksal, zu tanzen, zu reden oder Augenkontakt herzustellen.

Trotzdem habe ich eine tolle Zeit. Die Lichter im Raum wirbeln vor meinen Augen, während meine Partner mich auf der überfüllten Tanzfläche herumwirbeln und Musik und Gelächter meine Ohren erfüllen. Ich bin so entspannt und glücklich wie schon lange nicht mehr.

Sicher, ich habe keine potenziell geeigneten Männer kennengelernt. Der große, gut aussehende und vermutlich heterosexuelle Mann, der am Anfang des Abends direkt vor mir stand, hat nicht einmal einen Blick auf mein Dekolleté geworfen. Das ist praktisch physisch unmöglich. Aber als der strahlende ältere Herr an mir vorbeitanzt, bin ich zufrieden. Er war es wert.

Im Laufe des Abends finden sich alle zusammen und hängen aufeinander, und es wird langsam auffällig, dass ich als Einzige keinen Partner habe. Meine Begleiter sind immer noch nett und versuchen, mich mit einzubeziehen. Aber die Blicke, die sie austauschen, verraten mir, dass meine Anwesenheit ihnen Unbehagen bereitet.

Ich stupse Amelia an. »Ich gehe dann mal.«

»Warum? Die Band ist doch noch gar nicht fertig.«

»Es wird langsam Zeit für mich. Nochmals vielen Dank, dass ich dabei sein durfte. Genießt den Rest des Abends.«

Ich spüre wieder die Blicke auf mir, als ich hinausgehe, genauso allein wie bei meiner Ankunft.

Kapitel 5: OMG

 

»Bist du total aufgeregt?« Ich höre das Lachen in der Stimme am Telefon.

Es ist Juliet Botticelli, die Beamtin des American Bureau of Educational and Cultural Affairs.Sie war diejenige, die bei dem Treffen mit Adams Team vor ein paar Monaten dabei war, und ich bin so aufgeregt, dass ich mich gar nicht wieder hinsetzen kann. Meine Kollegen werfen mir neugierige Blicke zu, während ich in meiner Bürokabine auf und ab laufe und das Telefonkabel hinter mir herschleife.

»Und ob ich aufgeregt bin! Das ist so cool! Vielen Dank, dass du mich eingeladen hast. Was muss ich wissen?«

»Das Gipfeltreffen findet in Rom statt. Er wird drei Tage dauern; am zwanzigsten Oktober geht’s los.«

»Ich liebe Rom! Ich habe dort viel Zeit verbracht, als ich klein war. Drei ganze Tage?«

»Es gibt eine Menge logistischer Probleme zu lösen. Die Tournee von M-POWER wird enorm sein. Fünfundsiebzig Termine in zwanzig Ländern. Sie werden in L.A. auf dem Asian Culture Festival beginnen, auf dem auch Adam spielt.«

»Oh, ich hoffe, ihre Shows sind nicht am gleichen Abend.« Weder Adam noch irgendein anderer Star auf der Welt kann mit M-POWER mithalten.

»Nein, so etwas würde ich niemals planen. Ich muss doch die heißen Typen auf alle zehn Tage verteilen. Außerdem will ich alle ihre Shows sehen. War nur ein Scherz. … Na ja, nicht wirklich. Die Shows zu sehen, ist ein Vorteil des Jobs.«

Ich lache. »ABECA: Förderung der interkulturellen Verständigung durch Ausbeutung heißer Typen.«

Juliet lacht lauthals auf. »Das ist die amerikanische Art! Aber ich bin nicht komplett oberflächlich. Die Musik von M-POWER ist fantastisch.«

»Ich stehe nicht mal auf Pop und ich liebe sie.«

»Sie sind nicht ohne Grund eine der größten Bands der Welt. Ich bin sicher, es ist noch besser, wenn man Koreanisch versteht. Apropos heiße Musikgenies, hast du Adam schon auftreten sehen?«

»Nein, aber ich habe ihn am Samstagabend auf einer Hochzeit getroffen. »

»Hervorragend! Wie war er denn so? Heiß, nehme ich an?«

»Auf jeden Fall.« Ich denke einen Moment lang nach. »Eigentlich schien er sehr, sehr nett zu sein. Er war sehr liebevoll zu seinen Freunden und extrem höflich zu mir.«

»Das ist sein Ruf. Nun, meine Liebe, jetzt wirst du auch M-POWER kennenlernen. Unsere Botschaft in Rom gibt am zweiundzwanzigsten Oktober einen Empfang, und du wirst für die Mitglieder dolmetschen.«

Jetzt kann ich mich nicht mehr zusammenreißen. »Oh mein Gott! Echt jetzt? Und das an meinem Geburtstag!«

»Dann betrachte dies als mein Geburtstagsgeschenk für dich. Meine Sekretärin schickt dir eine E-Mail mit den Einzelheiten.«

Als Juliet im August hier war, fragte ich sie nach ihrer Arbeit bei ABECA, einem besonders angenehmen Teil des Außenministeriums. Ihre Arbeit macht Spaß, ist abwechslungsreich und interessant und findet überall statt. Sie bekommt viel Kunst und Kultur zu sehen und nimmt an aufregenden Events teil.

Aber das sind keine Spaßveranstaltungen, das ist echte Diplomatie. Wenn wir schlechte Beziehungen zu Ländern haben und über nichts wirklich reden können, können wir immer noch über den Austausch von Tanzgruppen sprechen. Das ist es, was Juliet tut. Nicht das, worauf ich mein Leben lang hingearbeitet habe, aber gerade klingt es wie ein Traumjob.

In den nächsten Wochen darf ich einen auf interkontinental machen und mein Italienisch und Koreanisch auffrischen. Diesmal recherchiere ich vorher, was vor allem bedeutet, dass ich mir stundenlang Musikvideos von M-POWERs umwerfend schwierigen und unglaublich sexy Choreografien anschaue. Noch mehr Stunden, in denen die Mitglieder charmant, bezaubernd, verführerisch und faszinierend sind. Jetzt bin ich in alle neun von ihnen verknallt.

Die Mitglieder von M-POWER gehören zu den meistbegehrten Männern der Welt. Einer von ihnen, Song Choji, ist vielleicht der begehrteste Mann der Welt, der jedes Geschlecht und jede Orientierung anspricht. Als jemand, der bereits eine Vorliebe für Asiaten hat, bin ich besonders empfänglich für Chojis Charme, also schaue ich mir zahllose Videos von ihm an. Natürlich nur zu Recherchezwecken.

 

♪♫

 

Das Gipfeltreffen ist so groß, dass es ein ganzes Konferenzhotel in Beschlag genommen hat. An dem Treffen nehmen Hunderte von Menschen teil, die alle Sprachen sprechen, die ich kenne, und mehrere, die ich nicht kenne. Ich bin ständig in Bewegung und werde per Handfunkgerät von Raum zu Raum gerufen, wenn jemand aus der amerikanischen Delegation mich braucht.

Dafür, dass die Reise so aufregend wird, ist die Planung langweilig. Logistik, Logistik, Logistik. Diese Musikgruppe ist ein multimediales Imperium. In jedem Land wird eine ganze Produktionsfirma benötigt. Die Gruppe wird nicht nur auftreten, sondern auch auf allen wichtigen Medienplattformen präsent sein. Die Managementfirma wird Videoinhalte an den exotischsten Orten der Welt filmen. Genug, um ihre Fans ein Jahr lang oder länger zu füttern. Die armen Jungs werden froh sein, wenn sie das überleben.

Kein Detail ist unwichtig: Visa, Genehmigungen, Transport vor Ort, massive Sicherheitsvorkehrungen, Unterkünfte für die Mitglieder (die in der Nähe von Freizeitmöglichkeiten liegen und malerisch, interessant, komfortabel und groß genug für Kamerateams sein müssen) und für ihr Gefolge (die Wände und ein Dach haben müssen; in manchen Klimazonen sind Wände optional).

Es ist dasselbe wie das Treffen für Adams L.A.-Konzert, nur hundertmal so groß. Im Gegensatz zu jenem Treffen in der Botschaft geht es bei diesem Gipfel darum, die Details zu regeln, bis hin zur Unterzeichnung der Verträge für die Lieferung der richtigen Toilettenpapiermarke. Es wird schnell langweilig.

Aber die neun Mitglieder sind hier, um die Führungskräfte und Beamten daran zu erinnern, dass dies vielen Menschen eine Menge Geld einbringen wird.

Bislang habe ich sie nur aus der Ferne gesehen, aber sie sind wie lebende Puppen. Wunderschöne, talentierte, fotogene, millionenschwere Puppen im Alter zwischen einundzwanzig und neunundzwanzig. Sie alle liegen in einem passenden Altersbereich für mich.

Am Abend meines Geburtstags nehme ich am Empfang der amerikanischen Delegation in der beeindruckenden Villa Aurelia teil, von der aus man einen herrlichen Blick auf die Ewige Stadt hat.

Als ich erfuhr, dass ich für die Mitglieder dolmetschen würde, rang ich mit der Frage, was ich anziehen sollte. Das Kleid, das ich bei der Hochzeit trug, wäre bei dieser Veranstaltung angemessen gewesen. Ich beschloss jedoch, dass mein Ruf als professionelle Dolmetscherin wichtiger ist, als eine Gruppe von Männern zu beeindrucken, die dazu da sind, Leute zu beeindrucken, die viel wichtiger sind als ich, also entschied ich mich für den Kartoffelsack.

Es ist ein schöner, warmer Herbstabend auf einer offenen Piazza unter dem römischen Sternenhimmel. Ein Streichquartett spielt Vivaldi, kleine Lichterketten hängen kreuz und quer über unseren Köpfen, und im Smoking gekleidete Kellner schlendern mit Tabletts voller Vorspeisen durch die Menge. Blätterteig, gebratenes Fleisch, Feigen, frische Kräuter und exotische Käsesorten erfüllen die Luft mit ihrem würzigen Duft.

Ich kann bei einer solchen Veranstaltung nicht völlig unansehnlich sein, also trage ich mein Haar offen, zeige mein Gesicht und nutze etwas Wimperntusche.

Die Party läuft schon seit einer Stunde, ich dolmetsche zwischen Gruppen von Weltbürgern, als M-POWER auf einer Wolke aus Parfüm und Magnetismus hereinschwebt. Da wir Gastgeber sind, können wir bestimmen, wer sie trifft. Die Betreuer von M-POWER bringen sie zu uns und stellen sie unserer kleinen Delegation vor: Juliet, dem amerikanischen Botschafter in Italien, und einigen seiner Kulturattachés.

Dolmetscher sind zu unbedeutend, um vorgestellt zu werden, also stehe ich stumm da und versuche, mein Gesicht neutral zu halten, während neun der weltweit schönsten Exemplare der Männlichkeit nicken und sich vor allen verbeugen. Mein Herz flattert in der Brust und Schmetterlinge flattern in meinem Magen, während mir unter meinem Kartoffelsack der Schweiß ausbricht. Ja, ich bin von den Stars beeindruckt.

Vertreter von Ländern und Unternehmen stehen brav an, um den Mitgliedern vorgestellt zu werden und sich in ihrem Ruhm zu sonnen. Die Mitglieder sprechen eine Reihe von Sprachen, aber ich muss immer noch unterstützen, indem ich für die anderen ins Koreanische übersetze, oder in was auch immer jemand anderes benötigt.

Je nachdem, wer kommt und geht und welche Sprache sie sprechen, treten verschiedene Mitglieder vor, um sich zu unterhalten, während die anderen Interesse heucheln. Wenn einer der Mitglieder aufsteht, darf ich mich direkt neben ihn stellen!

Ich habe noch nie so viele Sprachen gleichzeitig benutzt. Als ich zu meiner vierten oder fünften Sprache wechsle, bemerken die Mitglieder das und scheinen beeindruckt zu sein. Sie tauschen leise ein paar Worte aus, und ich bin mir fast sicher, dass es um mich geht. Ein Kribbeln durchfährt mich.

Mit der Zeit fangen die Männer, die nicht an der Reihe sind, an, sich untereinander zu unterhalten. Sie sind gelangweilt und hungrig. Über einige ihrer Äußerungen muss ich kichern. Ein paar von ihnen sehen es und zwinkern mir zu. Ah! M-POWER hat mich bemerkt!

Irgendwann werde ich nicht mehr gebraucht, also mache ich eine Pause. Hier gibt es keine Wasserflaschen aus Plastik. Ich bestelle ein italienisches Zitronenmineralwasser, das in einem schweren, geschliffenen Glas serviert wird. Meine Rückkehr erregt Juliets Aufmerksamkeit, und sie gratuliert mir zum Geburtstag. Der begehrteste Mann der Welt, der kaum Englisch spricht, kennt diesen Satz.

»Happy Birthday!« Sein Englisch hat einen bezaubernden Akzent, sein Lächeln ist herzerwärmend. Ich habe zwar schon viel Zeit in der Gesellschaft reicher, mächtiger und berühmter Männer verbracht, aber dieser Mann, der mich wahrnimmt, ist für mich ein echter Star.

»Vielen Dank!«, antworte ich auf Koreanisch und schenke ihm ebenfalls ein strahlendes Lächeln.

Wie alle Jungs trägt Song Choji taufrisches Make-up und einen luftigen Anzug aus Seide. Sein Haar ist rosa. Er ist perfekt geschminkt und doppelt so schön wie jede Frau auf der Piazza. Und doch kann ich nicht umhin, mich daran zu erinnern, was diese Musikvideos »versehentlich« unter all der fließenden Seide enthüllten …

»Wie alt bist du geworden?«, fragt er. In Korea bestimmt das Alter, wie man mit jemandem spricht.

»Fünfundzwanzig. Das ist also eigentlich meine Geburtstagsparty.«

»Ich bin auch fünfundzwanzig!« Was für ein perfektes Lächeln. »Du arbeitest aber hart an deinem Geburtstag.« Wenn ein Koreaner jemandem sagt, dass er hart arbeitet, ist das ein Kompliment.

»Danke!«

»Wie kannst du so viele Sprachen sprechen?« Oh mein Gott, Song Choji spricht mit mir! Er hätte mich komplett ignorieren können, also fühle ich mich geschmeichelt. Mit einem entwaffnenden Lächeln trage ich meinen Satz vor.

Der schockierte Ausdruck auf seinem Gesicht gefällt mir außerordentlich gut. Choji braucht einen Moment, bevor er antwortet. »Wow. Das ist erstaunlich. Ich habe versucht, Englisch zu lernen, aber es ist so schwer. Ich bin nicht gut darin. Ich wünschte, ich könnte es besser.« Er hat immer noch dieses fotogene Lächeln, aber er sieht enttäuscht aus.

»Sie sind gut in dem, worin Sie gut sein müssen.« Meine Stimme macht deutlich, dass ich kolossal untertreibe.

»Ah, danke«, murmelt er und schaut zu Boden. Er sieht nicht überzeugt aus. Ein paar der Mitglieder schauen mit einem Hauch von Besorgnis zu, aber sie sind Experten darin, nichts zu zeigen, was sie nicht zeigen wollen, also ist es alles subtil.

Obwohl mir das nicht zusteht, fühle ich mich veranlasst, einen Schritt auf ihn zuzugehen und den schmalen Grat zwischen Mitarbeitern und Prominenten zu überschreiten. »Niemand kann alles. Ich kann kein Ungarisch sprechen.« Mein Gesicht ist todernst. »Außerdem kann ich nicht reiten.« Das war absurd; ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Wahrscheinlich, weil jeder in Sanzharistan reiten kann.

Irgendwie bringt ihn das zum Lachen. Choji sieht mich genau an, nimmt alles an mir wahr, so wie ich es tue, wenn ich mir bei der Arbeit einpräge, wer im Raum ist. Der Augenblick ist atemberaubend.

»Du hast ja Recht. Ich danke dir. Du bist echt schlau. Und einfühlsam.« Er bemerkt eine neue Gruppe, die sich uns nähert. »War nett, dich kennenzulernen.« Choji sieht mir noch einen Moment nach, bevor er sich leicht verbeugt und sich abwendet.