Steinhaufen - Patrice Kragten - E-Book

Steinhaufen E-Book

Patrice Kragten

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Beschreibung

Weltberühmten Sehenswürdigkeiten wie die Terrakotta-Armee und die chinesische Mauer werden mit weniger bekannten Reisezielen wie der Innenstadt von Lijiang oder dem versteinerten Wald von Shilin abgewechselt. In diesem TRAVELKID Reisebericht Steinhaufen - mit meiner Tochter auf Abenteuerreise durch China - entdeckt die Autorin gemeinsam mit ihrer 9-jährigen Tochter diese und andere Weltkultur- und Weltnaturerbe der UNESCO, an denen China reich ist. Außerdem hat sie mehrere unterschiedliche Transportmittel von Bahn bis Flugzeug, von Fahrrad bis Bambusfloß und Tuktuk benutzt und damit die Weltmetropolen Peking und Hong Kong erkundet, sowie die saftig grünen Reisterrassen von Longshen und das prachtvolle Karstgebirge rundum Yangshuo entdeckt. Die traumhafte Landschaft der unbekannten und nicht-touristischen inneren Mongolei, im Norden Chinas, haben die beiden mit Pferden ausgeforscht. Unter www.travelkid.at findest du weitere Informationen. Das eine Kind wird die Schönheit der chinesischen Mauer, der verbotenen Stadt, des Karstgebirges oder einer mongolischen Gedenkstätte erkennen, während das andere Kind diese einzigartigen UNESCO Weltkultur- und Weltnaturerbe als einen Steinhaufen bezeichnet.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Karte China

Wackelzähne

Hutongs

Weltwunder

Eine undichte Jurte

Steinhaufen

Fotos

Wieder kein Essen

Imposante Bauwerke

Körperpflege

Tonfiguren

Noch eine Mauer

Tierische Kontraste

Shopping Paradies

Geisterfahrer

Fotos

Erhai See

Dubioses Labyrinth

Flusskonzert

Wasserpistole

Moondance

Drachenknochen

Beleuchtete Flöten

Hong Kong Island

Ein langer Weg

TRAVELKID

„abenteuerlich einfach“

TRAVELKID Reisetipps

Wichtige Adressen

Meine anderen Bücher

Dankwort

Vorwort

Steinhaufen

Mit meiner Tochter auf Abenteuerreise durch China

Für TRAVELKID bin ich immer auf der Suche nach spannenden Ausflügen, fabelhaften Destinationen und besonderen Geheimtipps um die bestehenden Rundreisen zu erweitern und zu verbessern. Bei der ständigen Recherche bin ich auf einen touristischen Bericht gestoßen, in dem behauptet wurde, dass China ab 2015 die neueste Destination schlecht hin sein wird. Dann habe ich gewusst, China wird die neueste Destination und da möchte ich im Sommer 2012 hin.

China ist tatsächlich eine große Baustelle und ich war begeistert, dass China eigentlich schon sehr touristisch ist. Trotzdem haben wir kaum europäische Touristen gesehen. Im Moment ist China noch sehr authentisch, aber durch die bereits vorhandene Infrastruktur und die Konstruktion mit einem Reiseleiter ideal für Familien mit Kindern.

Genieße den Reisebericht und reise mit uns zu den unterschiedlichsten Weltkulturerben, dem traumhaften Karstgebirge, den bezaubernden Reisterrassen und erfahre, warum das Buch „Steinhaufen“ heißen muss.

Patrice Kragten

Karte China

Wackelzähne

„Putze dir noch schnell die Zähne, dann fahren wir los“, sage ich zu Romy, 5 Minuten bevor wir zum Flughafen fahren müssen. Aber dass das Reisen mit Kindern immer unerwartete Wendungen nimmt, muss ich auch heute, nach einem Schrei aus dem Badezimmer, wieder feststellen. Statt Richtung München zu fahren, eilen wir in Richtung Zahnarzt. Ein Wackelzahn hat sich beim Zähne putzen gelöst und hängt nur noch an einem Faden in Romy‘s Mund. Aber herausziehen darf ich ihre natürlich nicht! Vielleicht hat unsere Zahnärztin mehr Erfolg…

Am nächsten Morgen steige ich vor dem Bamboo Garden Hotel in Peking aus dem Taxi. Und Ja! Unser Wackelzahn ist auch mit dabei. Romy hat den ganzen Flug nichts gegessen und es geht ihr jetzt, nach 14 Stunden ohne Essen, wirklich schlecht. Sie hat sich das Beißen mit, sowie das Herausziehen vom Zahn einfach nicht getraut. Unser Zimmer ist noch nicht fertig. Inzwischen können wir im Restaurant frühstücken, es ist immerhin 8 Uhr morgens.

Gestärkt durch das herrliche Frühstück, wobei Romy zumindest etwas Reis gegessen hat, wird es Zeit für Kulturelles und wir möchten den Himmelstempel anschauen. Vom Hotel aus sind es nur 5 Gehminuten bis zur Hauptstraße. Dort angekommen habe ich keine Ahnung, ob ich nach rechts oder links gehen muss und biege gefühlsmäßig nach rechts ein. Es ist heute nebelig, bewölkt und trüb gleichzeitig. Ich bin mir gar nicht sicher ob dies der Smog ist oder ob die Trübheit einfach am Wetter liegt. Tausende Autos, die auf der Straße fahren, lassen eher das erste vermuten, aber gehen wir vom positiveren aus. Zwischen den vorbeifahrenden Autos suche ich nach einem Taxi oder Tuktuk, das uns zum Tempel fahren kann. Zum ersten Mal werde ich auf dem Gehsteig mit der enormen Anzahl an Chinesen konfrontiert. Und es sind viele, soviel ist sicher! Dann nähert sich ein komisches Fahrzeug und ich bin gleich von der erdrückenden Schönheit dieser fantastischen Blechdose beeindruckt. Ich hebe meine Hand hoch und ein freundlicher Chinese steigt aus. „Tempel of heaven“, sage ich ihm freundlich und er zuckt mit den Achseln. Er versteht kein Wort English. Natürlich habe ich bei den Vorbereitungen der Rundreise gelesen, dass die Kommunikation mit den Chinesen teilweise sehr schwierig sein sollte. Nur geglaubt habe ich es natürlich nicht. Bis jetzt, weil er bei „Himmelstempel“ und „tempel van de hemelse vrede“ genauso mit den Achseln zuckt. Ich grabe den Lonely Planet aus meinem Rucksack aus. Hier stehen, ganz praktisch, alle Sehenswürdigkeiten mit der chinesischen Schrift erwähnt. Gottseidank kann er lesen - es gibt in China immerhin 116 Millionen Analphabeten - und versteht, wo wir hinfahren möchten. Die Fahrt mit der Blechdose ist ein Traum! Es ist eigentlich ein Motorrad, aber hinten ist ein Aufbau aus Blech geschweißt. Es ist nicht mehr als ein kleiner Schuppen mit einer kleinen 1-Personen Sitzbank, einer Türe und einem Fenster. Aber wir sind vor dem unglaublichen Gestank des Auspuffs halbwegs geschützt und lassen uns bequem durch die besondere Weltmetropole kutschieren.

Der Himmelstempel liegt im Süden Beijings in einem großen Park und die gesamte Anlage ist von einer kilometerlangen doppelten Mauer umgeben. In jede Himmelsrichtung gibt es ein Eingangstor, wir betreten das Gelände durch das südliche Tor. Mit einer Fläche von ca. 270 ha ist der Himmelstempel der größte Tempelkomplex Chinas. Sogar dreimal so groß wie die Fläche des Kaiserpalastes. Wir wandern zuerst an der Halle des Himmelgewölbes, oder Huangqiongyu, vorbei. Diese Halle ist eine knapp 20 Meter hohe runde Halle mit einem wunderschönen Dach aus dunkelblau glasierten Ziegeln. Die Halle ist von der Echo-Mauer umgeben, bei der man ein leise zur Wand gesprochenes Wort an jeder anderen Stelle von der Wand glasklar versteht. Wir haben die Funktionalität leider nicht geprüft, dafür war uns die Warteschlange einfach zu lange.

Der Qiniandian Tempel, am nördlichen Ende des Parks, ist nicht wirklich ein Ort, in dem Gläubige eine Opfergabe bringen. Früher wurde hier lediglich für eine gute Ernte gebeten. Das wichtigste Gebäude ist die Halle des Erntegebets, ein runder Tempel mit einer dreistufigen Marmorterrasse. Jede der drei Stufen ist von einem Geländer aus weißem Marmor umgeben. Beeindruckend ist, dass die ganze Halle ohne Stahlgestell oder Beton gebaut wurde. Sie besteht ausschließlich aus Holz. Die vier mittleren Säulen in der Halle, symbolisieren die vier Jahreszeiten. Im Kreis aufgestellt folgen zwölf Säulen, die die zwölf Monate symbolisieren, und weitere, ebenfalls im Kreis angeordnet, zwölf Säulen, die für die zwölf Tageszeiten stehen. Alle 24 Säulen zusammen stehen für die 24 Einschnitte des Solarjahres im traditionellen chinesischen Bauernkalender.

Bevor wir den Tempelkomplex betreten, suche ich zuerst ein Restaurant auf, in dem wir ein andermal etwas essen können. Durch die Zeitverschiebung kommt mir vor, dass ich etwas Kräftigeres brauche und Romy hat natürlich immer noch Hunger. Direkt neben dem Eingang befinden sich einige Souvenirläden und ein kleiner Imbiss. Ich habe Glück, dass man sich hier schon etwas auf den „westlichen“ Tourismus eingestellt hat. Alle Speisen sind mittels eines Bildes in der Karte abgebildet und ich kann einfach ein „leckeres Bild“ aussuchen. Das Bild mit Reis und Huhn schaut gut aus, dazu einen Cappuccino und für Romy Nasi Goreng und einen heißen Kakao. Romy kämpft immer noch mit ihrem Wackelzahn und isst jedes Reiskorn separat…. An der Theke findet sie Chips und einen Schokoladeriegel und spontan hat sie weniger Probleme beim Essen. Typisch! Aber Hauptsache sie kann wieder etwas Kräfte sammeln. Ich hingegen, nehme einen großen Bissen von dem Huhn und innerhalb von wenigen Sekunden stehen mein Mund, meine Zunge, die Speiseröhre und der Magen in Feuer und Flammen. Hilfe, ist das Zeug scharf!

Nicht nur das Essen, sondern auch die enormen Anzahl an Menschen, die sich in den Tempeln aufhalten, sind gewöhnungsbedürftig. Ich höre, dass es nicht nur Chinesen sind, die sich hier aufhalten. Jährlich besuchen viele Touristen aus asiatischen Ländern wie Taiwan, Japan, Thailand und Indien China. Natürlich sind allen gruppenweise unterwegs, in ständiger Begleitung eines Reiseführers. Mit gefärbten Fahnen, großem Lautsprecher und umgehängten Audio-Systemen versuchen die Führer ihre Anhänger zusammen zu halten und sie mit den wichtigsten Informationen zu versehen. Auch ich bin ständig damit beschäftigt Romy im Auge zu behalten. An sich nicht so schwierig, weil wir hier die einzigen zwei Europäer sind und leicht auffallen. Vielleicht ist es auch deswegen, aber wir sind teilweise eine wahre Sehenswürdigkeit! Vor allem Romy ist, mit ihren langen blonden Haaren, ein beliebtes Foto-Objekt. Und dabei ist es den Chinesen wirklich egal, Romy wird gefragt und ungefragt ständig fotografiert. Auch wenn sie genervt „Nein“ sagt. Natürlich sind die Chinesen auch sehr damit beschäftigt, sich selbst zu fotografieren. Ein Bild mit Frau, eines mit Mann, noch eines mit den Kindern und noch eines mit der gesamten Gruppe. Unglaublich! Da wo ich minutenlang warte, ein Bild vom Himmelstempel ohne Horde Menschen darauf aufnehmen zu können, muss bei den Chinesen immer jemand auf dem Bild mit drauf sein. „Sonst glaubt niemand zu Hause, dass ich auch wirklich dort war“, erklärt uns eine englischsprechende Chinesin. Genauso bewundernswert sind die Geräte, womit sie einander fotografieren. Kompakt-, Spiegelreflex- oder Systemkamera, sowie I-Phone und I-Pad. Es ist beeindruckend, womit die Chinesen unterwegs sind! Hypermodern.

Die Tempelanlage liegt in einem wunderschönen Park mit vielen Kieferbäumen, welche einen herrlichen Duft versprühen. An der rechten Seite befindet sich ein langer Korridor, unter dem die Chinesen sich mit Karten und Brettspielen beschäftigen. Es ist übrigens nicht nur eine Männersache, die Frauen sind vielleicht noch fanatischer bei der Sache, als die Männer. In China erreichst du das pensionsgerechte Alter bereits mit 55 Jahren. Noch frisch und jung vom Geist her, wird hier die Freizeit in einem beruhigenden Ambiente genossen.

Am Abend treffen wir uns mit Li Hong und Zhang Yan von meiner Agentur. Zhang hat die gesamte Rundreise für uns zusammengestellt und ihre Chefin Li hat uns zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen. Das Bamboo Garden Hotel hat ein gutes Restaurant, wie wir bereits beim Frühstück erfahren haben, und Li bestellt verschiedene Speisen zum Probieren. Etwas mit Gemüse, mit Huhn, gefüllte Teigtaschen, eine Suppe und natürlich Reis. Ich liebe die chinesische Küche, probiere alles aus und bin von dem fantastischen Geschmack begeistert. Romy schmeckt Nasi Goreng sehr gut. Es ist ein Gericht aus gebratenem Reis mit Gemüse und manchmal auch mit Huhn. Zhang schreibt uns den Namen des Gerichts in chinesischer Schrift auf ein Blatt Papier, damit wir es während der Rundreise in anderen Restaurants nur vorzeigen brauchen. Zur Sicherheit nehme ich noch ein Foto von ihrem Teller. Romy ist nicht unbedingt eine einfache Esserin und ich bin froh, dass sie zumindest etwas gefunden hat, was ihr schmeckt und was sie mit ihrem Wackelzahn essen kann. Während dem Essen bemerke ich, dass die Essgewohnheiten schon etwas anders als bei uns sind. So bekomme ich logischerweise nur Stäbchen zum Essen. Der Löffel ist für die Suppe, die übrigens erst am Ende serviert und gegessen wird. Und du naschst mit deinen Stäbchen einfach von den Tellern, auf denen die Gerichte serviert werden. Und alle anderen naschen vom gleichen Teller mit. Ich finde es nicht unbedingt hygienisch, aber nicht nachdenken Patrice. Einfach nachmachen! Bevor wir uns von den zwei Damen verabschieden, gibt Li mir noch ihre Handynummer. Die werde ich während der Reise noch brauchen!

Hutongs

Am nächsten Tag wandere ich mit Romy zum Qianhai See, etwas nördlich von unserem Hotel. Ich möchte eine geführte Rikscha-Tour durch die Hutongs buchen. Die Hutongs sind enge Gassen, in denen du die traditionellen Wohnhöfe bewundern kannst. Heutzutage gibt es noch etwa dreitausend Wohnungen, aber auf Grund der Umgestaltung des Stadtzentrums zunehmend seltener. Während der Wanderung zum Startpunkt der Tour genießen wir das Ambiente des Sees, wo Fischer geduldig warten bis die Fische zubeißen, waghalsige Schwimmer im kalten Wasser tauchen und Jungverliebte ein Boot mieten um eine Runde über den See zu paddeln. Wasser hat immer eine magische Anziehungskraft, so auch hier in Peking. Am Ende der Promenade stehen viele Rikscha-Fahrer in einer langen Schlange bereit und warten geduldig auf ihre Fahrgäste. „Verhandeln ist nicht möglich. Es gibt nur einen Fixpreis“, sagt der Kassier, wenn ich nach dem Preis frage. Für 180 Yuan pro Person bekommen wir einen freundlichen Fahrer, der erstaunlich gut Englisch spricht. Wir steigen in seine glänzend geputzte Rikscha und radeln zur Jinding Brücke. „Diese Brücke ist 500 Jahre alt und stammt aus der … Dynasty“, erzählt er. Damit er die Rikscha über die Brücke bringen kann, müssen wir kurz aussteigen und die Brücke zu Fuß überqueren. Inzwischen ärgere ich mich über die Geschichte der Chinesen. Jeder Kaiser war so ungefähr eine andere Dynastie angeordnet und ich blicke da überhaupt nicht durch! Es waren auch so viele. Ich kann es mir einfach nicht merken. Und, wenn ich ehrlich bin, interessieren die Dynastien mich auch nicht so besonders. Nach der Brücke springen wir wieder auf das Fahrrad und fahren am See entlang. Es ist immer noch recht nebelig, aber trotzdem fein warm. Wir sitzen gemütlich auf der Bank und schauen uns das Treiben der Chinesen wortlos an. Rechts und links entstehen neue Hutongs. Ich habe schon bemerkt, dass China eine große Baustelle ist. Überall wird gebaut und sind Häuser und Gebäude von Gerüsten umgeben. In diesem Stadtteil, in dem wir uns gerade befinden, entstehen neue Hutongs, die wieder im alten Stil neu gebaut werden. Sowie die Taxis in London. Leider ist es abzusehen, dass in einigen Jahren kaum noch originale Hutongs in Peking anzutreffen sein werden. Die Hutongs sind in der Qing-Dynastie entstanden - das habe ich mir dann schon gemerkt. Die Qing-Dynastie löste 1644 die Ming-Dynastie ab und endete 1911 mit der Gründung der Republik China. Als Beijing damals in Schutt und Asche gelegt wurde, entstand eine neue Stadt mit 2000 neuen Häusern, eben Hutongs - oder enge Gassen - genannt. „Ursprünglich bewohnte nur eine Familie ein Haus, heutzutage sind die Häuser so teuer geworden, dass sie von 4 bis zu 17 Familien geteilt werden“, erzählt unser Führer noch.

„Ni Hao“, klingt es hinter mir. Ein kleiner Herr begrüßt uns freundlich und lädt uns in sein Haus ein. „Ich bin Künstler“, erzählt er, „und mache Bilder, wobei ich Figuren und Muster aus Papier ausschneide.“ Seine millimetergenaue Arbeit beeindruckt mich sehr. Die Kunstwerke sind in einem kleinen Raum, nicht größer als mein Schlafzimmer, ausgestellt und hier befindet sich auch sein Arbeitsplatz. Im Nebenraum, so groß wie mein Badezimmer, kann ich die Küche, das Wohnzimmer und das Schlafzimmer erkennen. Unglaublich! Es ist eindeutig, dass diese Menschen sich nicht viel Platz leisten können. Trotzdem macht die Familie einen glücklichen Eindruck.

Nach der Tour verabschieden wir uns vom Rikscha-Fahrer und ich halte wieder eine Blechdose an. Jetzt möchte ich Romy die Verbotene Stadt zeigen. Es ist schon wieder sechzehn Jahre her, dass ich in China war. Damals habe ich eine Einladung von Swiss bekommen um im Januar fünf Tage nach Peking zu kommen und natürlich gerne angenommen. Ich erinnere mich eigentlich nur noch daran, dass es kalt war. Irrsinnig kalt! Jetzt bin ich neugierig, ob ich von damals noch etwas wiedererkennen kann.

Die fast 600 Jahre alte Stadt, eben Kaiserpalast oder Zijincheng genannt, liegt im Herzen von Peking am Ende des Tiananmen-Platzes. War dieser Platz während der Regierungszeit der Kaiser noch nicht für die Allgemeinheit zugänglich, so entwickelte er sich im 20. Jahrhundert zum Aufmarsch-Platz der Massen und zum Ort politischer Demonstrationen. Aus diesen Demonstrationen entstand die 4.-Mai-Bewegung, die lange Zeit Einfluss auf das chinesische Geistesleben ausüben konnte. Die Niederschlagung einer solchen Demonstration würde man in China am liebsten aus den Geschichtsbüchern verbannen. Im Frühsommer 1989 begannen Demonstrationen für Pressefreiheit und Demokratie und gegen die Korruption in der Partei, bei welcher Tausende von Studenten und Bürgern über Wochen den Tiananmen-Platz mit Zelten besetzten und tägliche Debatten und Reden führten. Um dem ganzen ein Ende zu setzten rückte in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989 die Armee in die Hauptstadt ein und räumte den Tiananmen-Platz mit Gewalt. Hierbei kamen Tausende Demonstranten ums Leben.

Etwas freundlicher ist es am Nordende des Platzes zugegangen. Die Verbotene Stadt ist eine der am besten erhaltenen antiken Baukomplexe der Welt und lockt auch heute Tausende von Besuchern an. Natürlich steht dieser Palast in der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes, sowie so viele andere Sehenswürdigkeiten in China. Mit dem Bau der Verbotenen Stadt wurde 1406, nach der Verlegung der Hauptstadt von Nanjing nach Beijing vom dritten Ming-Kaiser Yongle, begonnen und schon 1420 abgeschlossen. Die nachfolgenden Kaiser bauten den Palast zwar noch etwas um, aber am Grundriss wurde nichts mehr verändert. Bis 1911 lebten und regierten hier, unter strenger Bewachung, 14 Ming-Kaiser und 10 Qing-Kaiser, während dem einfachen Volk der Zutritt und sogar die Annäherung verwehrt war, wodurch der Name „Verbotene Stadt“ entstand. Dies änderte sich 1924, als die Tore auch für die „normale“ Bevölkerung geöffnet wurden.

Der gesamte Komplex des Kaiserpalastes umfasst 890 Paläste mit 9.999,5 Räumen, wobei ein Raum als eine Fläche zwischen vier Säulen bezeichnet wird. Der Legende nach darf nur der Himmel einen Palast mit 10.000 Räumen besitzen, weswegen sich die „Söhne des Himmels“ mit 9.999,5 zufrieden geben mussten.

Heute sind auch 9.999,5 Menschen unterwegs. Es ist hier beim Eingang ein Wahnsinn, sogar das Bundesheer ist heute unterwegs um die Massen in richtige Bahnen zu leiten. Ich halte Romy gut fest und, obwohl wir die Handys mithaben, bespreche ich mit ihr eine Strategie, falls wir einander verlieren. Zuerst stehen wir beim Ticketschalter natürlich Schlange und 20 Minuten später habe ich endlich zwei Tickets in der Hand. Romy ist größer als 1,20 Meter und muss den Erwachsenen-Preis von 60 Yuan bezahlen, nicht gerade wenig! Obwohl es immer noch wenig ist, habe ich mir die Preise in einem Drittweltland einfach anders vorgestellt.

An den Eingang kann ich mich nicht mehr so erinnern, aber als ich das erste Tor zum ersten Hof durchwandere, erkenne ich das Bild wieder. So auch die Brücke mit dem Wasser, damals war das Wasser gefroren und wir hätten Eislaufen gehen können. Jetzt möchte ich lieber im Wasser eintauchen. Der Himmel ist in der Zwischenzeit langsam blau geworden, es ist warm, eher schwül und wir könnten wohl eine Erfrischung gebrauchen.

Die Gebäude sind alle zugesperrt, du kannst nur daran vorbei wandern. Ich lenke Romy an den Massen vorbei, direkt an der rechten Seite bei den Gebäuden ist es wesentlich ruhiger. Jetzt, wo ich sie mal loslassen kann, versuche ich das Gelände zu fotografieren. Auf ein Bild ohne Leute habe ich keine Chance! Da rennt immer ein Kopf durch das Bild oder jemand streckt gerade seine Hand in der Luft. Die Herausforderung auf gute Bilder steigt. Dahingegen ist bei den Chinesen nicht der Palast das beliebteste Foto-Motiv, sondern Romy. Es nervt sie schon ziemlich, dass die Leute sie heimlich fotografieren. Als Gegenstrategie fotografiert sie einfach zurück. Ständig möchten andere Besucher mit ihr auf ein Foto, aber sie will nur mit anderen Kindern auf ein Bild. Und auch bei diesem Kompromiss ist sie ständig beim Posieren.

Wir betreten den zweiten Platz. Hier befindet sich das Tor der höchsten Harmonie. Wie üblich wird das Tor von zwei bronzenen Löwen, als Symbol der kaiserlichen Macht, bewacht. Jedes Detail, jedes Tier, jedes Motiv der Stadt hat eine Bedeutung. Über jedes Detail wurde nachgedacht und es ist einfach zu viel es hier aufzuschreiben. Langsam findet Romy den „Steinhaufen“ etwas langweilig und sie ist von den vielen Menschen genervt. Auch ich habe genug gesehen und so fahren wir zum Hotel zurück.