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Ein Dorf. Irgendwann. Irgendwo. Kurz nach den Wirren und Schrecken eines Krieges. Hier ist der Alltag zwar hart, aber die Welt noch in Ordnung. Bis dann....
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Regen fiel sanft auf den Trauerzug,
Als man Florean Radu zu Grabe trug.
Freund Hein war still in das Dorf gekommen
Und hatte sich Floreans Seele genommen.
Als Sklav´ und Gefährte in Freud und in Not,
Freund Hein brachte Florean Fieber und Tod.
Er lag auf dem Laken und kämpfte sechs Tag,
Bevor er der Hitze des Fiebers erlag.
Im Fieberwahn hörte man Floreans Flehen:
"Ihr Engel all, helft mir. Ich will noch nicht gehen!"
Es half nichts, drum starb er, entkräftet und hager
Und Hein schwang die Sense an Floreans Lager.
Sechs stumme Männer trugen den Mann
und dumpf schepperte die Kapelle voran.
Der Himmel war Grau am Begräbnistag,
Und die Frauen, sie weinten an Floreans Sarg.
Mit dem Tode Florean Radus begann es. Er war ein ehrenwerter Mann, ganz ohne Zweifel. Bis ins hohe Alter war er engagiert im Dorf und in den Winternächten erzählte er den Kindern die alten Fabeln und Märchen am Kamin. Die Kleinen des Dorfes saßen mit offenen Mündern und Staunen im Gesicht um ihn herum, während er mit leuchtenden Augen von Baba Jaga erzählte, von den verwunschenen Völkern im bodenlosen Land und von Kobolden und Geistern.
Florean kannte all diese Geschichten und er schaffte es, sie mit seiner warmen Stimme zum Leben zu erwecken. Beinahe erwartete man den fleißigen Bartosch mit seinem Koboldbesen hinter dem Kamin hervorkommen zu sehen, wenn der alte Herr Radu begann seine Geschichten zu erzählen. Oder man meinte, in der Ferne die Schritte von Baba Jagas wandernder Hütte zu hören. Und Frau Radu, die gütige alte Frau, die man im Sommer immer in ihrem Gemüsegarten sah, sie buk Bratäpfel dazu. Das war eine herrliche Zeit.
Herr Radu war in unserem Dorf aufgewachsen und hatte immer hier gelebt. Jeder kannte ihn, jeder mochte ihn und als das Fieber kam, legte sich eine bleierne, dunkle Schwere auf die Reetdächer, die Gemüter und die erleuchteten Butzenscheiben. Der Schnee fiel auf ein stilles Dorf und die Leute redeten nurmehr im Flüsterton.
"Hab ihr gehört? Der alte Herr Radu ist krank. Ja, gewiss. Bruder Hein streift übers Feld und fährt seine Ernte ein.", sagten sie und schauten betroffen auf den Boden.
Es waren auch andere krank geworden in diesem Winter. Der Krieg war noch nicht lange vorbei und viele Menschen im Land litten Hunger. Unser Dorf hatte es noch gut, denn jeder hatte seinen Garten. Doch richtig satt waren wir in diesen Zeiten selten. Und immer wieder schlichen abgemagerte, zerlumpte Gestalten übers Land. Sie klopften an die Fenster und Türen und bettelten um Essen. Sie brachen in die Ställe ein und stahlen das Vieh und schliefen im Heu. Sicher, was man übrig hatte gab man ihnen.....doch wer hatte schon etwas übrig zu der Zeit?
Es war allenthalben schwer und man tröstete sich mit der Hoffnung auf bessere Zeiten und solange Florean Radu seine Märchenstunden hielt, war die Welt ein kleines bisschen weniger düster.
Bis das Fieber in unser Dorf kam.