Sturm des Todes - Giles Kristian - E-Book
SONDERANGEBOT

Sturm des Todes E-Book

Giles Kristian

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der mächtige Sigurd Haraldarson kämpft in Schweden als ruhmreicher Söldner. Noch immer dürstet Sigurd nach Rache an König Gorm, der vor Jahren seinen Stamm verriet. Doch das Glück verlässt Sigurd und seinen Mannen. Er gerät in die Gefangenschaft des gnadenlosen Jarl Guthrum und wird wie ein Sklave gehalten. Im Tempel von Ubsola soll Sigurd den Göttern geopfert werden. Doch noch ist er nicht besiegt – mit bedingungsloser Härte lehnt Sigurd sich gegen sein Schicksal auf ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 563

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ZUM BUCH

»Der kriegerische Alrik war kein Jarl, aber ein sehr ehrgeiziger Mann und ein großer Kämpfer. Er war mächtig genug geworden, um König Guthrum herauszufordern. Sigurd und seine Schwertkämpfer hatten für ihn die Hügelfestung erobert, und jetzt wollte Alrik sich erkenntlich zeigen. Nach dem Blutvergießen hatte er Sigurd eine Seetruhe gegeben, gefüllt mit Silber und Eisen. Mit einem solchen Reichtum konnte sich Sigurd Speerkämpfer und vielleicht sogar Schiffe kaufen. Er würde eine Kriegerhorde um sich scharen und nach Norwegen zurückkehren, um den eidbrüchigen König Gorm anzugreifen – um endlich Rache an seinem Todfeind zu nehmen.«

ZUM AUTOR

Seine norwegische Herkunft und die Werke von Bernard Cornwell inspirierten Giles Kristian dazu, historische Romane zu schreiben. Um seine ersten Bücher finanzieren zu können, arbeitete er unter anderem als Werbetexter, Sänger und Schauspieler. Doch Kristians Herz schlägt für die Welt der Wikinger, die er in Götter der Rache zum Leben erweckt. Mittlerweile ist Giles Kristian Bestseller-Autor und kann sich ganz dem Schreiben widmen. Mehr Informationen zum Autor finden Sie unter www.gileskristian.com

GILES KRISTIAN

STURM

DES TODES

Roman

Aus dem Englischen

von Wolfgang Thon

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe WINGS OF THE STORM erschien 2016 bei Bantam Press/Transworld Publishers, Penguin Random House UK, London
Copyright © 2016 by Giles KristianCopyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenRedaktion: Heiko ArntzUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung des Originalartworks von © Stephen MulcaheySatz: KompetenzCenter, MönchengladbachISBN: 978-3-641-16383-9V004
www.heyne.dewww.penguinrandomhouse.de

Für Simon Taylor, mit aufrichtigem Dank.

Du hast an meine Geschichten geglaubt,

und deinetwegen war das Schreiben dieses Werks

ein Vergnügen statt der harten Arbeit,

die ich erwartet hatte.

Wenn der Windgott über den Himmel reitet

mit seiner Meute und den Geistern der Menschen

und die Seelen der schon lange Gefallenen

in der wilden Jagd über Holz und Farn dahinfliegen

und hinter ihnen die Witwen klagen,

dann hütet euch vor Einauge und Sleipnir

weil die Seelen aus den Körpern gerissen werden

vom brausenden Sturm des Todes.

Sigurd Haraldarsons Saga

PROLOG

Anno Domini 775, Avaldsnes, Norwegen

Der Junge war nicht aufgefordert worden, seinen Speer zu schleudern, als die empfindlichen Nasen der Bluthunde des Königs sie endlich zu dem Elchbullen tief in den Kiefernwäldern westlich von Gorms Halle geführt hatten.

»Wir dürfen kein Risiko eingehen, Junge, nicht nach dem letzten Mal«, hatte Harald ihm zugeraunt. Dabei hatte er sich bereits ausgemalt, wie sein Speer das große Tier zur Strecke brachte. Wie der Schaft mit der stählernen Spitze wie ein himmlischer Blitz aus seiner Hand flog, wie König Gorm ihm lachend auf den Rücken schlug. Ihm, einem Jungen! Weil er, ein Kind zwischen erwachsenen Männern, einem König und einem Jarl, diesen mächtigen Elch zur Strecke gebracht hatte.

Aber weder der König noch der Vater des Jungen hatten ihm erlaubt, den Speer zu werfen, den er in diesen letzten vier Tagen in seinen Händen getragen hatte. Seit sie das Tier das letzte Mal gesehen und versucht hatten, es um der Ehre willen und für die Tafel des Königs zu erlegen. An diesem Tag hatte sein Wurf ihm König Gorms Lob und den Stolz seines Vaters eingetragen. Der Speer hatte den Elchbullen in der rechten Hinterhand getroffen, aber der Junge hatte nicht genug Kraft gehabt, ihn so zu schleudern, dass er auch dort stecken blieb. Der Wurf seines Vaters wäre fast würdig gewesen, in einem Heldenlied erwähnt zu werden. Aber das Tier hatte sich im letzten Moment weggedreht, sodass der Speer des Jarls nur eine Furche über seinen Hals gezogen hatte. Dann war der Elch verschwunden und brüllend zwischen den Kiefern davongaloppiert.

Diesmal jedoch hatten sie ihm keine Fluchtmöglichkeit gelassen. Der mächtige Elch war zwar immer vor dem Rudel geblieben, hatte jetzt jedoch das Ende seines Lebensfadens erreicht. Er saß zwischen der Jagdgruppe aus Herdkarls und Bluthunden und einer Felswand fest, über deren graue bemooste Flanke der Regen lief. Er drehte sich zu seinen Verfolgern herum.

»Wenn mein Tag kommt, Junge, dann hoffe ich, dass ich dem Tod ebenso mutig entgegentrete«, hatte sein Vater gesagt, als er auf einen einladenden Wink des Königs vortrat, um seinen mächtigen Speer zu schleudern. Aber davon hatte der Junge nichts hören wollen. Er grämte sich immer noch, dass man ihm seinen Moment des Ruhms versagt hatte.

»Ziel auf sein Herz«, sagte König Gorm und hielt seinen eigenen Speer bereit, falls Haralds Wurf danebenging oder der Elch im letzten Moment losstürmte. Die Männer hinter ihnen nahmen die Hunde an die Leine, die kläfften und knurrten, weil sie sich unbedingt auf das Tier stürzen wollten. Aber einige von ihnen würden ganz sicher sterben, bevor der Elch zu Boden ging, denn das Geweih des Bullen war gewaltig. Die Schaufeln erhoben sich hoch auf seinem mächtigen Schädel, sechs Geweihsprossen pro Seite, zwölf scharfe Spitzen insgesamt. Und das über eine Spannbreite von mehr als anderthalb Schritten. Sie waren mehr als fähig, einem Hund den Wanst aufzureißen. Oder einem Mann.

Und dann stell dir vor, was sie mit einem Jungen machen könnten.

»Es tut mir leid, dass ich dich nicht bei unserer letzten Begegnung getötet habe, Freund«, sagte Harald zu dem Elch. Der hob sein mächtiges Geweih wie ein Krieger, der den Göttern vor dem letzten Kampf sein Schwert zeigt. Dann stieß er einen schrillen Schrei aus, der klang, als würde ein großer Mann in ein kleines Horn stoßen, und blies eine Atemwolke in die kalte Luft. Der Junge erwartete, dass der Bulle jeden Moment angriff. Sein Vater schien das ebenfalls zu denken, denn er packte den Speerschaft plötzlich mit beiden Händen und hielt ihn vor sich, während er gleichzeitig, einen Fuß stützend, zurücksetzte. Aber der Elch war bereits am Ende. Er hatte keine Kraft mehr, keine Wut, keinen Trotz. Er stand einfach da und wartete.

Harald ließ ihn nicht allzu lange warten. Der Jarl nahm zwei Schritte Anlauf und schleuderte den Speer beim dritten Schritt. Er flog gerade durch die Luft und bohrte sich mit einem Klatschen in die Brust des Elchs, das die Hunde förmlich verrückt machte. Der Bulle rutschte durch die Wucht des Aufpralls ein Stück nach hinten, grunzte tief in der Kehle und leerte seine Blase. Die Flüssigkeit dampfte an diesem feuchtkalten Tag, während die Herdkarls des Königs murmelten und den Wurf des Jarls mit anerkennendem Brummen kommentierten.

Einen Moment stand das große Tier einfach nur da, während Haralds Speer tief in seiner Brust steckte. Aber alle Männer auf dieser kleinen Lichtung wussten, dass die Speerspitze ihm das Herz zerfetzt hatte.

»Ein herrliches Tier«, brummte König Gorm. Selbst der Junge, der erst sieben Sommer gesehen hatte, spürte, dass der König mit diesen Worten vergeblich versuchte, dieses wenig ruhmreiche Ergebnis ihrer Jagd zu versüßen.

Die Vorderbeine des Elchs gaben nach, und er kippte nach vorne. Sein Lebensblut strömte aus seiner Brust wie Wasser aus einem Leck in einem Schiffsrumpf. Dann versagten auch seine Hinterbeine den Dienst, und er fiel mit einem verächtlichen Schnauben auf die Seite. Die Hunde hörten auf zu kläffen, denn auch sie wussten, dass es vorbei war.

Der Junge folgte Harald und dem König zu dem erlegten Wild. Der moschusartige Geruch des Elchbullen drang ihm in die Nase, und schließlich stand er vor dem einst so stolzen Tier, dessen glasige Augen jetzt ins Leere starten. Aber der Junge hatte nur Augen für die beeindruckenden Schaufeln des Elchs. Sie erhoben sich wie ein uralter abgestorbener Baum vor ihm, und die Sprossen waren mit einer moosigen Haut überzogen, die bis zum Ende des Sommers vollkommen abgeschabt worden wäre. Ein Herdkarl murmelte, dass dieses Vieh verdammt stolz auf diese mächtigen Waffen hatte sein müssen und dass die anderen Bullen ihn sicher gefürchtet hatten.

»Deine Beute, Harald«, erklärte König Gorm. »Und auch die des Jungen, hej?«, setzte er hinzu und deutete mit dem Speer auf den erlegten Elch. Jetzt sah der Junge die Wunde, die er dem Elch vor vier Tagen versetzt hatte, das Loch zwischen dem Rumpf des Tieres und den Muskeln weiter oben auf seiner rechten Hinterhand. Es war ein blutiger Schnitt. Maden wimmelten darin, ebenso wie in der blutigen und vereiterten Furche, die Haralds Fehlwurf in der Haut am Hals des Tieres hinterlassen hatte.

»Keine schöne Art zu gehen«, brummte Harald finster, als er seinen Speer aus der Brust des Elchs zog. Sein Blick fiel auf das dunkle Herzfleisch, das an der Stelle klebte, wo die Klinge auf dem Schaft saß.

Jetzt setzte der Regen richtig ein. Er rauschte durch die Kiefernzweige, sodass die Bluthunde des Königs sich rasch davonstahlen. Einige seiner Männer fluchten. Sie waren sehr weit von der Halle ihres Herrn entfernt, und es würde lange dauern, bevor sie wieder im Trockenen waren. Aber der Junge achtete kaum auf den Regen. Er starrte immer noch auf die Maden in der Wunde und begriff plötzlich, dass sein Vater und der König ihm nicht verboten hatten, den Speer zu werfen, weil sie fürchteten, dass der Elch entkommen könnte, wie beim letzten Mal. Sie wollten ihn nicht mit dem Tod dieses einst so mächtigen, aber jetzt leidenden Tieres beflecken. Denn am Ende war der Erfolg der Jagd keineswegs ruhmreich gewesen. Der Elchbulle war dem Untergang geweiht gewesen. Er war bei lebendigem Leib verfault und wäre ohnehin in einigen Tagen tot umgefallen, obwohl es ihm bis jetzt irgendwie gelungen war, vor der Jagdmeute des Königs zu bleiben.

Trotzdem, es war ein beeindruckendes Tier, und es mussten Rituale beachtet werden, ganz gleich ob es wie aus Eimern schüttete. Harald zückte seinen Scramasax und kniete sich neben den Kopf des Elchs. Er befahl dem Jungen barsch, dasselbe zu tun. Der gehorchte. Der Jarl schob eine Hand in die klaffende Wunde, die sein Speer geschlagen hatte, und als er sie wieder herauszog, dampfte sie vom heißen Blut des Tieres. »Ich weihe diese Beute Ull, dem Herrn der Jagd«, sagte er, hob seine Hand vor sein Gesicht und leckte seine Finger ab. Dabei spritzte er rote Tropfen auf seine Wange und seinen Bart. Dann machte er dasselbe bei dem Jungen, der blinzelte, als die warmen Tropfen ihn trafen. Er atmete tief den fremdartigen, aber nicht unangenehmen Geruch des Blutes ein, das durch dieses prachtvolle Tier geflossen war.

Dann sah Harald, was den Blick des Jungen so fesselte. »Bier!«, rief er über die Schulter. Olaf nahm einen prallen Schlauch vom Rücken eines Pferdes und trat vor. Er blinzelte dem Jungen zu, als er den Schlauch seinem Jarl reichte. Harald zog den Stopfen heraus und goss das Bier in die vereiterte Wunde, die der Speer des Jungen einige Tage zuvor hinterlassen hatte. Dann strich er mit der Hand die Maden heraus, und jetzt witterte auch der Junge den Gestank in der feuchten Luft, als er sich den Regen von der Stirn wischte und sah, dass sein Handrücken mit dem Blut ihres Opfers verschmiert war.

»Es wird der Tag kommen, an dem du einen Speer so schleudern kannst wie dein Vater, Junge.« König Gorm fuhr dem Jungen mit seiner großen Hand über den Kopf.

»Ha!«, sagte Harald zum König. »Vergiss nicht, dass Grimhild die Mutter des Jungen ist.« Er stand da und spülte sich mit noch mehr Bier das Blut von der Hand. »Mit ihrem Blut in seinen Adern wird der Junge mich im Speerwurf übertreffen, wenn seine ersten Barthaare sprießen.«

»Ich freue mich schon darauf, das zu sehen, mein Freund.« Gorm grinste seine Männer an, die trotz des Regens sein Grinsen erwiderten. Ein alter grauhaariger Krieger namens Gerik meinte, dass der Junge schon jetzt die Aura eines Jarls habe und Harald besser aufpassen solle, damit er nicht irgendwann in seine Halle zurückkehre und den Jungen auf seinem Hochsitz vorfinde, Haralds eigenes Methorn in den Fäusten. Das brachte ihm schallendes Gelächter ein, und sein Vater lächelte ihn an, stolz auf die Aufmerksamkeit, die sein Junge sich verdient hatte.

Dann winkte der König zwei seiner Männer heran. Sie zogen ihre Waidmesser und machten sich daran, den Elch auszunehmen, damit sie alle so schnell wie möglich in die trockene Wärme der Halle ihres Königs zurückkehren konnten.

Niemand konnte behaupten, dass König Gorm ein schlechter Gastgeber wäre oder nicht wüsste, wie man ein Fest veranstaltete, bei dem die Männer am Ende auf allen vieren in ihre Betten krochen oder gleich auf den Binsen in der Halle liegen blieben und mit den Hunden und den Mäusen schliefen. Und er versäumte auch nicht, die Götter zu ehren, bevor der Met, das Bier und das Fett von dem Fleisch, das fast bis zu den Dachbalken aufgestapelt war, in die Bärte seiner Männer lief.

»Der König will deinen Vater beeindrucken«, sagte Olaf leise, als die Leute von Avaldsnes sich vor der großen Halle auf der Hügelgruppe versammelten, von der aus man einen freien Blick auf die Karmsund-Enge hatte. In diesem schmalen Meereskanal hätte genauso gut geschmolzenes Silber fließen können, so viel Silber nahm König Gorm den Schiffern und Mannschaften ab, die auf ihrem Weg nach Norden hindurchmussten. »Er will, dass wir sehen, wie großzügig er denen gegenüber ist, die ihm Treue schwören«, fuhr Olaf fort. »Er will den Treueeid deines Vaters, Junge.«

»Wird mein Vater ihm Treue geloben?«, erkundigte sich der Junge.

Olaf hob eine Braue und nahm dann einen tiefen Schluck Met aus seinem Trinkhorn. Das war nicht gerade eine Antwort. Also beobachtete der Junge die anderen Gäste, von denen viele ihre besten Umhänge, Broschen und Fibeln angelegt hatten und mit Silber und Bernstein behängt waren. Wenigstens die Hälfte der Männer trugen Schwerter an den Hüften, zeigten ihre Armreifen aus gedrehtem Silber und Fingerringe. Etliche von ihnen hatten ihre eigenen Trinkhörner mitgebracht, von denen viele am Rand mit Silber beschlagen waren. In alle waren Wölfe, Adler eingeätzt, oder Reptilien, die nach ihrem eigenen Schwanz schnappten. Die Ärmel und Säume der Tuniken waren mit gelben, roten oder blauen Fäden bestickt. Bunte Perlen und Bartringe und glänzende Thór-Hämmer trotzten dem grauen Tag. Gürtelschnallen, die Enden von Riemen und Schwertgriffe glänzten wie Fischschuppen, wann immer sich die Wolken teilten und Sonnenstrahlen auf die Menge fielen, die sich auf diesem Hügel versammelt hatte.

Aber niemand strahlte so wie Aesa, König Gorms junge Frau. Sie lachte und flatterte durch das Gedränge wie ein Schmetterling über eine Sommerwiese. Und so wenig Sommer der Junge auch zählen mochte, so wusste er doch um die Wirkung, die sie auf die Männer hatte.

»Sieh sie nicht an, Junge, sie bedeutet Ärger.« Olaf murmelte diese Worte leise in sein Ohr, obwohl sein eigener Blick ihr folgte wie Möwen einem Ackerpflug. »Genauso viel Ärger wie eine zersplitterte Rumpfplanke.«

Ein Schlag auf den Rücken riss Olaf aus Aesas Bann. »Das ist ein Bulle, was?« Harald drückte die Schulter des Jungen und deutete auf das schnaubende Rind, das die Thralls über den Hügel zerrten, damit alle es sehen konnten. Harald hatte rote Wangen und bereits viel Met intus. Er hatte mit einem gut aussehenden Mann namens Randver gesprochen, der den Gerüchten zufolge schon bald einen Jarlreif um seinen Hals tragen würde. Der Junge hatte gehört, dass der Jarl drüben in Hinderå unter Schmerzen in den Eigenweiden litt und sehr wahrscheinlich den nächsten Winter nicht überleben würde.

»Ich habe dem Jungen gerade gesagt, dass sie nur Ärger bedeutet«, erklärte Olaf. Denn Haralds Blick ruhte nicht mehr auf dem Bullen, sondern folgte Aesa.

»Ja, hör auf Olaf, Junge. Sie alle bringen einem nur Ärger ein«, sagte sein Vater, als Aesa erneut laut lachte. Ihre Augen glänzten wie ein Bach im Sonnenlicht.

»Der König will deinen Treueschwur, Harald.« Olaf drehte sich zu seinem Herrn herum. »Er will ihn nicht nur. Ich glaube, er braucht ihn auch. Um dafür zu sorgen, dass er noch andere bekommt.

Harald brummte nur, weil er genauso gut wie alle anderen auf diesem Hügel wusste, dass er der Ehrengast des Königs war. Und deshalb war Harald der eigentliche Grund, warum sechs von Gorms Knechten an diesen Seilen und Stricken zerrten und mit diesem gehörnten Berg aus Wut kämpften, dem beeindruckendsten Bullen, den der Junge oder sein Vater je gesehen hatten.

Der Bulle wehrte sich gegen die Männer, weil er merkte, dass man ihm Böses wollte, und darüber nicht besonders froh war. Er schnaubte, trat um sich und schwang seinen gehörnten Schädel hin und her. Die Augen traten ihm aus den Höhlen. Das Fell auf seinem Rücken war gesträubt und stach ab wie Dornen.

»Das sollte gelingen«, bemerkte Olaf, als die Thralls den verängstigten Bullen endlich in ihre Gewalt gebracht hatten und der König selbst die langstielige Axt nahm, die ihm einer seiner Herdkarls hinhielt. Es war eine von zwei gleichen Äxten, deren Klingen mit Silber eingelegt waren. Seinen Zwilling hielt ein anderer Herdkarl, der auf einen Wink des Königs vortrat und sie Randver von Hinderå gab.

Randver packte den Schaft und prüfte das Gewicht der Waffe. Dann grinste er und bedankte sich mit einem kurzen Nicken bei Gorm für diese Ehre. Denn mit dieser Geste hatte der König praktisch den Halsreif eines sterbenden Jarls um Randvers Hals gelegt. Dieser Moment mit den beiden Äxten entging niemandem, und der Junge hörte, wie Olaf murmelte, dass Jarl Englis Eingeweidefäule wahrscheinlich gar keine Chance bekäme, ihn umzubringen. Engli würde vermutlich tot sein, kurz nachdem Randver sein Boot an dem Steg in Hinderå vertäut hatte.

»Das hier lohnt sich anzusehen, Junge«, sagte Harald. »Daran wirst du dich noch erinnern, wenn dein Bart weiß ist und deine Knie knarren.«

»Richtig, aber wir sollten trotzdem ein paar Schritte zurücktreten«, meinte Olaf. Bei diesen Worten wichen sie und die anderen Gäste um sie herum ein Stück zurück, während Randver sich vor den schnaubenden Bullen stellte. Er kehrte dem Jungen den Rücken zu, als er die wundervolle Axt packte. Mit einer Hand hielt er das Ende des Schafts, mit der anderen umklammerte er den Schaft unmittelbar unter dem mit Silber beschlagenen Kopf. Der König hatte seinen blauen Umhang abgelegt und ihn seiner jungen Königin gegeben. Er stand an der Seite des Bullen, sein Haar offen und glatt gekämmt, bis auf die Zöpfe, die sein Gesicht einrahmten. Obwohl sie die letzten vier Tage, während sie den Wald nach dem verletzten Elch durchstreift hatten, mehr Zeit unter Kiefernzweigen verbracht hatten als unter den Dachbalken der Halle des Königs, war Gorms Bart ordentlich gekämmt und glänzte. Für den Jungen war er das Abbild eines großen Königs, ein Mann, der näher bei den Göttern war als alle anderen Männer. Und in den Augen dieses Jungen kam nur sein Vater ihrem Gastgeber an Statur und Ausstrahlung gleich. Und doch war er sicher, dass der König trotz all seines Silbers und seiner Schiffe, seiner Krieger und seines goldenen Mets, der, wie Olaf sagte, der beste war, den er je gekostet hatte, niemals einen Speer so weit werfen konnte wie sein Vater. Und auch nicht so weit rudern konnte, einen wütenden Widder niederringen oder eine nervöse Kuh besser beruhigen konnte als Harald. Der Junge wusste das alles ohne den geringsten Anflug von Zweifel, während er zusah, wie der König seine Schultern lockerte und Randver zunickte, sich bereit zu machen. Der Bulle brüllte heiser und zerrte an den Seilen, die die Thralls festhielten. Sie zogen das Tier in alle Himmelsrichtungen, damit es so ruhig stand, wie es nur ging.

»Óðin! Ich schlachte dieses Tier dir zu Ehren, damit es dir Kraft gebe und damit du weißt, dass ich, Gorm, Sohn von Grimar, ein würdiger König bin. Dass ich ein Ringgeber bin, der seine Leute mit Met und Fleisch versorgt, im Austausch für ihre Treue.«

»Óðin! Óðin! Óðin!«, riefen Gorms Herdkarls. Andere nahmen den Ruf auf, und etliche blickten in den wolkenverhangenen Himmel. Einige beobachteten dagegen ihren König, der von Óðin sehr geliebt wurde, jedenfalls dem Festmahl nach zu urteilen, das sie schon bald auf den Bänken in der Halle ihres Herrn verzehren würden.

Dann flogen die mit Silber beschlagenen Äxte. Randver holte mit seiner aus und drehte dabei den Schaft, sodass der Kopf auf dem Bullen landete, nicht die Klinge. Er traf das Tier genau zwischen seinen aufgerissenen Augen, und das unmissverständliche Knacken, mit dem ein Schädel gespalten wurde, ertönte. Einen Herzschlag später traf auch die Klinge des Königs. Die Zuschauer keuchten angesichts der enormen Kraft, die hinter diesem Axthieb saß. Sie durchschlug die dicke Haut, den Knorpel und die Halsknochen des Bullen und trennten ihm sauber den Schädel vom Körper, bevor sich die Klinge in die Erde grub. Blut spritzte wie roter Regen aus dem Stumpf. Die Fontäne reichte mehr als vier Schritt weit, bespritzte Sigurds Schuhe, während sie in rhythmischen Stößen aus dem klaffenden Hals pumpte. Dann gaben die Beine des Bullen nach, so wie die des Elchs, und das große Tier stürzte zu Boden.

Randver drehte sich zu der Menge herum. Sein Gesicht war blutverschmiert, und seine Zähne blitzten weiß unter dem Rot. Männer, Frauen und Kinder jubelten ihm zu.

Nur aus dem Mund des Jungen kam kein Jubel.

Aber dann reichte König Gorm seine Axt einem Diener und trat zu Harald. Er legte ihm einen Arm über die Schulter. »Und jetzt trinken wir!« Harald grinste, als sie beide, der König und der Jarl, an der Spitze der Leute den Hang hinauf zu den offenen Türen der großen Halle gingen – jener Halle, die hoch über der Karmsund-Enge thronte, gleich der Seetruhe eines Giganten, angefüllt mit Hacksilber aus jedem Schiff, das an ihr vorbeisegelte. Die Halle war eine Schatzkiste, auf der König Gorm saß und um die sich andere reiche und mächtige Männer versammelten, in der Hoffnung, dass etwas von ihrem Glanz auch auf sie übergehen möge.

»Da hast du ein paar schöne Geschichten zu erzählen, wenn du nach Skudeneshavn zurückkehrst, was, Junge?« Olaf und der Junge waren an den Tisch des Königs gebeten worden, an dem nur seine wichtigsten Herdkarls saßen. Harald selbst saß Schulter an Schulter bei dem König. »Sag mir, warum der König gerade dieses schöne Tier geköpft hat, Junge.« Olaf hielt sein Horn einer Thrall hin, die es aus einem Krug füllte, der so schwer war, dass sie ihn kaum heben konnte.

»Er will, dass alle sehen, wie großzügig er ist«, gab der Junge zurück. Er wusste, dass er eigentlich mit großen Augen dasitzen und über all das Essen auf dem Tisch vor ihm staunen sollte, auf die Platten mit Wildschwein, Ziege, Pferd, Gans und Hase. Über die vielen Laibe heißen Brotes und die gekochten Möweneier, die Berge von reifen roten Trauben und Pflaumen, über all den Käse, die Schüssel mit Skyr und Honigwaben. Aber etwas an der Art und Weise, wie dieser stolze Bulle gestorben war, war ihm auf den Magen geschlagen.

»Zum Teil, ja«, erwiderte Olaf und nickte. Dann trank er und fuhr sich mit der Hand über seinen Schnauzbart. »Aber warum hat er es selbst getan?« Olaf deutete mit einer Kopfbewegung auf die Männer des Königs, die ihnen gegenüber am Tisch saßen. »Jeder dieser Männer hätte für ihn diesem Bullen die Kehle durchschneiden können, und fertig. Kurz und bündig.« Ein Hüne, der Olaf gegenübersaß, fing seinen Blick auf. Die beiden Krieger hoben ihre Trinkhörner zum Gruß, nickten und spülten dann den Met durch ihre Kehlen.

Der Junge zuckte mit den Schultern. Olaf beugte sich so dicht zu ihm, dass er den süßen Met-Atem des Mannes riechen konnte. »Natürlich ging es auch um das Blut«, sagte Olaf leise. »So wie es gespritzt ist und unsere Schuhe getränkt hat. Das war ein Opfer für die Götter. Aber es erfordert sehr viel Geschicklichkeit und viel Kraft, wenn man einem Bullen so den Kopf abschlagen will, selbst mit einer scharfen Axt.« Olaf lächelte. »Man muss genau im richtigen Moment zuschlagen. Das Tier hätte von Randvers Hieb auf seinen Hirnkasten umfallen können, und der König hätte diese glänzende Klinge nur in den Schlamm gehackt. Und wenn man statt eines Bullen Würmer in zwei Teile hackt, bringt einem das nicht gerade Ruhm ein.« Der Junge musste unwillkürlich bei dieser Vorstellung lächeln, während Olaf einen weiteren Schluck nahm. »König Gorm wollte, dass wir alle sehen, wie er mit einer Axt umgehen kann. Denn es braucht mehr als Silber, mehr als ein Festmahl, um Männern wie deinem Vater zu zeigen, dass du ihre Treue verdienst. Er will, dass Harald sein Schwert küsst. Und er will, dass alle hier es sehen, denn er weiß, dass dein Vater ein Krieger ist.« Er fuhr mit dem Trinkhorn durch die verrauchte Luft. »Alle in dieser Halle wissen das. Also muss der König uns ab und zu daran erinnern, dass auch er ein Krieger ist. Verstehst du das, Junge?«

Der Junge nickte nachdenklich. »Könntest du das auch tun, Olaf? Einem Bullen mit einem Hieb den Kopf abschlagen?«

Olaf dachte einen Moment darüber nach und fuhr sich mit dem Arm über seinen schimmernden Bart. »Selbst mit dem Schaftende, Junge.« Er grinste. »Und mit halbem Schwung.« Er lachte, und der Junge stimmte in das Lachen ein. Da beugte sich der König vor und rief ihm über den Tisch hinweg zu, er solle ihnen doch erzählen, worüber er und der Junge von Harald so herzlich lachten wie zwei junge Bettsklaven unter ihren Fellen.

»An diesem Ende des Tisches reden wir gerade über Schiffssteuern und was wir wegen der Insel-Karls unternehmen sollen, die die Kühe, die Schweine und das Getreide nicht hereinbringen, das sie mir schulden.« Gorm lächelte. »Wenn ihr also etwas Lustiges zu erzählen wisst, nur heraus damit.«

Alle Augen richteten sich auf sie, und der Junge fühlte sie wie die Hitze aus einer Esse auf seiner Haut.

»Herr König.« Olaf nickte respektvoll. »Ich habe dem Jungen gerade erzählt, wie sein Vater und ich mehr als einmal von einem Widderbock auf den Hintern gesetzt wurden. Dein Bulle war wirklich ein Gigant, das kann niemand bestreiten. Aber dieser Widder war ein zweiter Grendel, stimmt’s, Harald?«

»Mich fröstelt immer noch, wenn ich nur an ihn denke«, sagte Harald. »Aber die Geschichte hat wenigstens ein gutes Ende genommen«, fügte er hinzu und prostete Olaf mit seinem Trinkhorn zu. Allerdings schien es König Gorm nicht zu gefallen, außen vor gelassen zu werden. Oder aber er wusste vielleicht auch sehr genau, dass Olaf und der Junge nicht über einen Widder geredet hatten, und es gefiel ihm nicht, belogen zu werden. Doch er nahm den Faden auf, um ihn in seinem Sinne weiterzuspinnen.

»Das ist eine gute Lektion, die du den Jungen lehren kannst, Olaf.« Er deutete mit einem dicken beringten Finger auf den Krieger. »Haralds Junge sollte immer bedenken, dass Größe und Stärke allein einem Krieger noch nicht zum Sieg verhelfen.« In der Halle war es jetzt still bis auf das Knistern der Flammen in der Esse und dem Geräusch, mit dem ein Bluthund des Königs unter dem Tisch an einem fleischigen Knochen herumkaute. »Muskeln sind wichtig. Aber der Verstand ist noch wichtiger.« König Gorm tippte an seinen Schädel, und der Junge hörte das Pochen selbst da, wo er saß. Wie das Festmahl auf diesem Tisch für Haralds Augen aufgetragen worden war, so galten seine Worte jetzt den Ohren des Jarls, was alle wussten. »Ich bin nicht König geworden, in dem ich wie ein Berserker herumgerannt bin und mir Feinde gemacht habe. Ein Mann muss Geduld haben, wenn er hoffen will, zu Ruhm und Ehre zu kommen.«

Alle wussten genau, wie Gorm König geworden war, wie er im Süden und an der Ostküste von Svealand Raubzüge unternommen und seine Seetruhe mit Beute gefüllt hatte. Aber er hatte es aufgespart, auf seinen Moment gewartet, bis er genug Silber zusammenhatte. Genug, um die Jarls und Kriegshäuptlinge und die wohlhabenderen Karls innerhalb eines Umkreises von einer Woche Seereise rund um Karmøy zu überzeugen, ihn dabei zu unterstützen, Jarl Grubbis Sitz zu erobern. Und alle wussten auch, dass er, nachdem er selbst einen Speer in Grubbis Bauch gerammt und so den Sitz errungen hatte, angefangen hatte, den schmalen Kanal in der Enge unter der Halle noch enger zu machen – mit Booten, die sicher an den Felsen vertäut waren. Keine Mannschaft konnte hoffen, unbemerkt hindurchzuschlüpfen. Sie musste Gorm Wegezoll bezahlen oder aber darum kämpfen, was den sicheren Tod bedeutete.

Kurz danach hatte er sich selbst zum König ausgerufen, und keiner der Jarls hatte Einwände erhoben. Genauso gut hätten sie dem Regen verbieten können, auf ihre Dächer zu fallen.

»Geduld ist das, was den großen Jäger vom hungrigen Jäger unterscheidet, Junge«, fuhr Gorm jetzt fort. »Was du ja selbst weißt, denn haben wir die Jagd auf den großen Elch aufgegeben, als er vor vier Tagen im Wald verschwunden ist?« Der Blick des Königs bohrte sich in seinen, bis er nicht mehr länger schweigen konnte.

»Nein, mein König«, sagte er.

»Nein, das haben wir nicht«, meinte Gorm. »Du selbst hast einen Speer geschleudert wie ein kleiner Gott, wie der junge Thór, und du hast diesem mächtigen Elchbullen eine blutige Wunde versetzt. Dann hast du dir Zeit gelassen, niemals an dem Ergebnis gezweifelt, bis wir ihn schließlich eingeholt haben und dein Vater die Sache zu Ende gebracht hat.« Bei diesen Worten stieß er mit seinem Methorn gegen das von Harald. »Dein Junge weiß sich in Geduld zu üben, Jarl Harald«, sagte Gorm. »Aber das kann ich auch. Deshalb sind wir jetzt schon so lange Freunde, und deshalb habe ich dich kein einziges Mal aufgefordert, mir den Treueeid zu schwören. Nicht einmal. Ich habe dich nie gebeten, mein Schwert zu küssen, obwohl andere Jarls das längst getan haben, ebenso wie jeder einzelne Mann an meinem Tisch.«

Harald nickte und räumte damit ein, dass dies die Wahrheit war. Er wusste, dass seine Anwesenheit hier in Avaldsnes, all der Met des Königs, den er getrunken hatte, all das zu diesem Moment geführt hatte. Und auch wenn sich sein Freund tatsächlich Zeit gelassen und bewiesen hatte, dass er ein geduldiger und geschickter Jäger war, war diese Zeit jetzt an ein Ende gekommen.

Der Junge versuchte, all das zu verstehen, aber es war zu verwirrend. Selbst wenn Olaf neben ihm saß und versuchte, ihn durch diese unruhigen Wasser zu steuern. Der Junge dachte bereits an andere Dinge, an die Maden im Fleisch des Elchs oder daran, wie der zukünftige Jarl Randver und der König den Bullen geschlachtet hatten. Und wie das Blut geflossen war, in einem roten Strahl, der wie ein blutiger schimmernder Bifrøst die Welt der Götter und Menschen miteinander verband. Selbst seine Schuhe waren von dem Blut bespritzt worden. Es war ein Tag des Blutes gewesen, aber jetzt erlebten sie eine Nacht des Speisens und Trinkens, eine Nacht der Lieder der Skalden und der Freundschaft.

Und später, als die Tranlampen bereits anfingen zu flackern und die Flammen in der Esse heruntergebrannt waren, als die ersten Männer und Frauen auf ihren Bänken eingeschlafen waren, während sie noch ihre Trinkhörner umklammerten, da leistete Jarl Harald dem König seinen Treueschwur.

1

Die Hügelfestung auf Fornsigtuna gehörte jetzt Alrik, und Sigurd war jetzt einer von Alriks Männern. Jedenfalls hatte er für den Kriegshäuptling der Svear diese Festung eingenommen, als er sich mit einer List Zugang zu den Toren verschafft und Tod unter den Verteidigern gesät hatte. Diese gehörten zu Alriks Feind, einem Jarl der Svear namens Guthrum. Sigurd und seine halbe Mannschaft waren zusammen mit einigen Männern von Alrik unter Guthrums eigenem Banner, der weißen Axt auf schwarzem Grund, zu der Burg marschiert. Guthrums Männer hatten beim Anblick des Banners geglaubt, ihr Herr wäre zurückgekehrt, und sie hatten die Tore geöffnet. Nur war es nicht Guthrums Banner gewesen, und der Jarl hatte es auch keines Blickes gewürdigt. Immerhin war es nur ein Stück Segeltuch an einem Bärenspieß. Sigurd hatte ihn zuvor Solmund zusammen mit Nadel und Faden in die Hand gedrückt, und das Resultat war überzeugend genug.

Mit dieser Loki-List und seiner Kampfkraft hatten Sigurd und seine Wölfe Alrik diese Hügelburg in einem wahren Strom aus Blut gewonnen. Aber Sigurd wollte dem Kriegsherrn nicht die Treue schwören. Alrik gelang es zu verbergen, ob ihn das verstimmte. Jedenfalls weitgehend.

»Er hat uns schon genug abverlangt, ohne dass wir ihm jetzt auch noch Treue schwören«, hatte Olaf zu Knut gesagt, Alriks engstem Vertrauten. Knut hatte angedeutet, dass Sigurd und seine Männer es schlechter treffen könnten, als ihre Schwerter auf den Kriegsherrn einzuschwören und ihm zu helfen, Jarl Guthrum selbst zu besiegen, der früher oder später an der Hügelfestung auftauchen würde.

Knut hatte von Olaf zu Sigurd geblickt, weil er diese Weigerung aus Sigurds eigenem Mund hören wollte.

»Wir haben Alrik zu einem reichen Mann gemacht, Knut«, ergriff Sigurd das Wort. Knut wusste sehr genau, dass dies eine Untertreibung war. Denn wenn man Alrik reich nannte, konnte man ebenso gut das Meer feucht nennen. Knut hatte genickt und eine Hand gehoben, als wollte er sagen, dass er diese Angelegenheit fürs Erste auf sich beruhen ließ.

Denn die Hügelfestung war voll von wahren Schätzen. Seetruhen bis zum Rand gefüllt mit Hacksilber und Eisen, das bereits geschmolzen und zu Barren gegossen worden war, genug, um Nieten für zwanzig Schiffe zu gießen. Das war mehr Eisen, als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben zu sehen bekamen. Und all das hatte Guthrum gehört. Der Jarl hatte auf diesem Schatz gehockt, während er eine Kriegerhorde zusammenstellte, die groß genug war, um es mit König Erik aufzunehmen. Denn der war der mächtigste Mann in diesem Teil von Svealand. Er kontrollierte den Handelshafen Birka und Länder wie Götaland ganz im Süden.

Alrik war zwar noch nicht einmal ein Jarl, aber ein sehr ehrgeiziger Mann und ein großer Kämpfer. Er war mächtig genug geworden, um Guthrum herauszufordern, obwohl er und seine ganze Kriegerhorde vergeblich diese Hügelfestung belagert hatten, während ihre Bärte länger und länger wurden wie um sie herum das Gras. Alrik war ebenso versessen darauf gewesen, diese Festung einzunehmen wie ein Mann, den es nach der Frau eines anderen gelüstete. Schließlich waren Sigurd und seine Schwertkämpfer gekommen, und Sigurd hatte ihm die Hügelfestung und ihre Schätze auf einem Tablett serviert. Also konnte der Kriegsherr auch gut ohne Sigurds Treueschwur leben.

Was nicht bedeuten sollte, dass Alrik geizig gewesen wäre. Nach dem Blutvergießen hatte er Sigurd eine Seetruhe gegeben, auf der Raben und Adler eingeschnitzt waren. Und sehr schwer war sie auch, weil sie mit Silber und Eisen gefüllt war, mit Fingerringen, Einfassungen für Schwerter und Scheiden, Thórhämmern, Umhangfibeln, sehr viel Silberdraht und Silberbarren, Eisenstangen, Axtköpfen und sogar Gold. Der Schatz in dieser Kiste war so viel wert wie alles, was Sigurds Vater Jarl Harald jemals besessen hatte. Und Alrik hatte versprochen, dass sie noch mehr Schätze bekämen, wenn die Nordmänner bei ihm blieben und für ihn kämpften, bis Guthrum ein Fraß für die Aaskrähen und seine Kriegerhorde in alle Winde zerstreut wäre.

Mit einem solchen Reichtum konnte sich Sigurd Speerkämpfer und vielleicht sogar Schiffe kaufen. Er könnte selbst eine Kriegerhorde um sich scharen und nach Norwegen zurückkehren, um den eidbrüchigen König Gorm anzugreifen. Vielleicht bekam er dann sogar seine Rache und konnte die Waagschalen ausgleichen, die sich so sehr zu seinen Ungunsten und dem seiner Familie gehoben hatten, seit diese ganze Sache angefangen hatte. Und es war der Glanz dieser Beute, die Sigurd und seine Mannschaft blind für die Anwesenheit eines Mannes in Alriks Kriegerhorde gemacht hatten, einem Kjartan Auðunarson, den der Skalde Hagal Krähenlied erkannt hatte, der zurzeit recht wenig Lieder sang. Aber es hatte eine Weile gedauert, bis es ihm gelungen war, diese Erinnerung aus seinem Hirnkasten hervorzukramen.

»Er war Jarl Randvers Mann, bevor er für Alrik gekämpft hat«, hatte Krähenlied erklärt und ihre Gedanken auf jenen blutigen Kampf im Fjord vor Hinderå gelenkt. Sigurd selbst hatte Jarl Randver getötet, aber jetzt trug Hrani Randversson den Halsreif, und er wollte Rache an Sigurd.

»Was sollte diesen Kjartan daran hindern, nach Hause zu gehen und zu einem reichen Mann zu werden, indem er Hrani Randversson erzählt, wo wir sind?«, hatte Olaf Sigurd gefragt, als sie überlegten, was sie wegen Kjartan unternehmen sollten.

»Wir töten ihn.« Svein hatte mit seinen breiten Schultern gezuckt, während er sich den struppigen roten Bart kämmte, auf den er so stolz war.

»Er muss verschwinden«, stimmte Solmund ihm zu. Der alte Schiffsführer, der seinen Schicksalsfaden an den Wyrd von Sigurd gebunden hatte, hatte lieber eine Ruderpinne als ein Schwert in der Hand, aber trotzdem wusste er, wann jemand getötet werden musste.

»Natürlich muss er verschwinden«, warf auch Bram ein. »Aber die Frage ist wie. Wir können nicht einfach zu der Bank des Mannes gehen und ihn im Schlaf aufspießen.«

Sigurd und Olaf waren auch der Meinung, dass man darüber nachdenken müsste, doch in dem Moment hatten Alriks Männer diese schwere Seetruhe hereingebracht, und sie alle hatten Kjartan Auðunarson vergessen.

Als sie am nächsten Morgen die Burg nach dem Mann aus Hinderå durchsucht hatten, war dieser nirgendwo zu finden.

»Was jetzt?«, fragte Olaf, als klar wurde, dass Kjartan verschwunden war, verduftet wie ein Furz im Wind, wie Bjarni es ausdrückte.

»Du bist jetzt reich, Sigurd«, fuhr Olaf fort. »Du hast genug Silber, um eine ordentliche Mannschaft zusammenzustellen.«

»Aber nicht genug, um es mit dem Eidbrecher aufzunehmen«, gab Solmund zu bedenken. Und das stimmte, auch wenn es niemandem gefiel, dies zu hören.

»Ich finde, wir können auch hier auf diesem Hügel bleiben und noch mehr Silber verdienen, indem wir für Alrik kämpfen.« Bjarni hob eine Braue. »Es gibt schlimmere Orte zum Wohnen.«

»Und selbst wenn Kjartan nach Westen geflüchtet ist, um Hrani Randversson die Kunde über uns zu verkaufen, wird es lange dauern, bis wir uns deshalb den Kopf zerbrechen müssen«, meinte Aslak.

»Das stimmt«, pflichtete Olaf ihm bei. »Und es kann uns auch nicht schaden, wenn wir hier noch etwas an unserem Ruf arbeiten.« Denn wegen ihrer Waffen und der Art, wie sie diese Festung für Alrik erobert hatten, behandelten die anderen Männer innerhalb der Palisaden Sigurds kleine Mannschaft ehrfurchtsvoll und mit demselben Respekt, mit dem sie Alrik und Knut begegneten.

»Warum sollten wir uns in eine Blutfehde zwischen zwei Svearmännern verstricken, wenn wir unsere eigene Fehde auszukämpfen haben, in der sogar ein König eine Rolle spielt?« Moldof fuhr mit seinem einen Arm durch die rauchige Luft. Seine Worte brachten ihm zustimmendes Gemurmel ein. Sie hatten sich früher, als sie erwartet hatten, an Jarl Randver gerächt, indem sie ihn und viele seiner Männer ins Nachleben auf den Meeresgrund geschickt hatten. Aber Randver war nur ein Schwert gewesen, das König Gorm geschwungen hatte. Gorm war das Gift, das die Luft für Sigurd verpestete. Ein Neiding von König, der mit Sigurds Vater Harald Met und Fleisch an seinem Tisch geteilt, mit dem Jarl gelacht und gejagt, ihn einen Freund genannt und am Ende verraten hatte. Zuerst in dem Schiffskampf im Karmsund, als er Harald nicht zu Hilfe kam, als dieser gegen Jarl Randvers Schiffe kämpfte. Und dann in den Wäldern in der Nähe von Avaldsnes, als er Harald mit Schwertern und Speeren begrüßt hatte, statt mit dem Met, den er ihm versprochen hatte.

»Da hat Moldof nicht ganz unrecht«, gab Bram zu. »Auch wenn es mir sehr gefällt, diese Svearmänner zu töten, könnten wir hier irgendwann festsitzen. Wir könnten mit Alrik untergehen wie die Ballaststeine in einem sinkenden Schiff. Und dann könnte dieser eidbrüchige König sich weiterhin wie stinkende Ziegenscheiße aufführen, wie er es schon seit vielen Jahren tut.«

Diese Vorstellung stimmte niemanden froh, also erklärte Sigurd, dass er in den nächsten Tagen darüber nachdenken und dann entscheiden würde, was er tun wollte.

Drei Tage später jedoch wurde ihm diese Entscheidung abgenommen, denn Jarl Guthrum rückte gegen sie vor. Er brachte den Rest seiner Kriegerhorde mit, und das war ein recht beeindruckender Anblick. Die Männer traten aus dem Waldessaum im Westen der Burg, und ihre Speerblätter, Axtköpfe und Schildbuckel glänzten im Morgenlicht. Einige von ihnen besaßen Helme, einige sogar Kettenhemden, aber es war die Größe von Guthrums Kriegsschar, bei der Alriks Männer Flüche ausstießen, unwillkürlich ihre Thórhämmer befingerten, die ihnen um den Hals hingen, und ihre Waffen überprüften. Sie kontrollierten, ob die Klingen scharf und die Schilde in Ordnung waren. Außerdem häuften sie noch weitere Speere und Felsen an der Palisade oben auf den Erdwällen auf. Und sie schleppten Behälter mit Regenwasser die Böschung hinauf und stellten sie in Abständen von zwanzig Schritten auf. So konnten sie jedes Feuer löschen, sollten Guthrums Männer versuchen, die Pfähle in Brand zu stecken.

»Silber oder nicht, allmählich glaube ich, wir hätten uns besser Guthrum angeschlossen als Alrik«, meinte Solmund, als immer noch mehr Krieger zwischen den Bäumen hervortraten. Alrik hatte Sigurd befohlen, den Wehrgang oberhalb der Tore zu bemannen, denn das war der schwächste Teil der Festung, wo er seine besten Krieger haben wollte.

»Das sagst du nicht mehr, wenn Guthrum durch diese Tore schlendert und einen Speer in seinen Wanst bekommt«, rief Olaf, während ein Hornsignal Guthrums Ankunft verkündete.

Sigurd warf einen Blick auf das Axtbanner, das an seinem langen Schweinespieß über der Palisade hing. Der Wind fuhr in das Tuch, sodass die weiße Axt aufleuchtete. Er glaubte nicht, dass es so einfach sein würde, wie Olaf gesagt hatte. Die List hatte einmal funktioniert. Als Guthrums Männer in der Festung dieses Banner gesehen hatten, das aussah wie das ihres Jarls, hatten sie angenommen, ihr Herr wäre gekommen, und sie hatten die Tore geöffnet. So hatten sie den Tod in die Burg gelassen. Es war möglich, dass Guthrum, der jetzt endlich aufgetaucht war, dieses Banner sah und glaubte, dass seine Männer immer noch die Hügelfestung hielten. Aber etwas sagte Sigurd, dass sie ein zweites Mal nicht so viel Glück haben würden.

Alrik befahl einem seiner Männer, mit einem Hornsignal zu antworten. All jene seiner Krieger, die nicht auf dem Wehrgang standen, drängten sich neben den Toren, Schild und Speer bereit, während sie darauf warteten, dass ihre Falle zuschnappte.

Die List war einen Versuch wert, aber sie barg ein gewisses Risiko, worauf Bram hinwies. »Wenn genug von ihnen hereinkommen, bevor wir die Tore schließen und die anderen aussperren können, dann könnte es sein, dass allein ihre Übermacht uns überwältigt.«

»Nicht, wenn wir Guthrum töten«, hatte Sigurd erwidert. »Ich habe gesehen, wie ein Huhn herumgerannt ist, nachdem man ihm den Kopf abgehackt hat. Aber es weiß nicht, wohin es rennen soll, und fällt bald um.« Er zuckte mit den Schultern. »Sind Guthrum und seine besten Männer erst tot, wissen die anderen nicht, was sie tun sollen.«

»Ich würde gern sehen, wie sie herumirren wie dein Huhn«, meinte Bjarni grinsend.

Aber es kam nicht dazu. An diesem Tag erwartete den Jarl kein eiserner Tod. Stattdessen ging er um die Hügelfestung herum und bis auf Pfeilschussweite an das Tor heran. So dicht, dass Sigurd ihn betrachten konnte. Er war ein großer Mann mit langen Beinen und breiten Schultern und trug ein Brynja, das fast bis zu seinem Knie reichte. An seinem Hals schimmerte sein silberner Jarlreif. Sein Helm hatte Augenschlitze wie der von Sigurd, sodass sein Gesicht nicht zu erkennen war, bis auf den blonden Bart. Aber etwas an diesem Mann sagte Sigurd, dass er kein Narr war.

In diesem Moment hob Guthrum eine Hand und winkte seine Männer dichter an die Festung heran. Sie warteten, mehr als zweihundert Svearkrieger mit Schilden über dem Arm, weil sie den Braten rochen.

»Der Hurensohn weiß es«, erklärte Olaf.

»Er weiß es«, stimmte Sigurd hinzu. »Aber schau dir an, wie er seine Wut beherrscht.«

Olaf nickte. »Der hat Eis in den Adern«, meinte er. »Er weiß, dass es sich Alrik in seiner Festung bequem gemacht hat, was bedeutet, dass der Rest seiner Männer wahrscheinlich tot ist. Und er weiß auch, dass er noch mehr Männer verlieren wird, wenn er versucht, uns von hier zu vertreiben.« Olaf zupfte an seinem Bart. »Das ist nicht leicht zu schlucken.«

Das stimmte, und doch stand Jarl Guthrum einfach da und blickte zu der Festung hoch. Er fluchte nicht, und er lief nicht vor Wut rot an. Er stieß nicht einmal Drohungen aus.

»Es geht los«, sagte Svein, als Guthrum sich einen Speer von dem Mann neben ihm geben ließ, der größer war als er selbst, und den Hügel hinauf zu den Toren ging.

»Guthrum kommt!«, rief Sigurd zu Alrik hinunter.

»Ich sehe ihn«, erwiderte Alrik. Er stand auf einem Fass und spähte durch einen Spalt zwischen den Brettern des Tores.

»Er ist nah genug.« Valgerd hatte einen Pfeil eingelegt und den Bogen gespannt. Die Schildmaid war die einzige Frau in dieser Festung, aber keiner von Alriks Kriegerhorde oder Sigurds Mannschaft konnte besser mit einem Bogen umgehen als sie. Und es gab auch nur wenige, die besser mit einem Schwert waren. »Soll ich ihm damit das Grinsen aus dem Gesicht wischen?«, fragte sie.

»Nein«, antwortete Sigurd. »Hätte Alrik das gewollt, würde er drei oder vier Männer losschicken und Guthrum in die Festung zerren, bevor der Rest seiner Leute auch nur die Hälfte des Hügels geschafft hätte. Hören wir uns an, was dieser Jarl zu sagen hat.«

Aber Jarl Guthrum sagte nichts. Er nahm ein paar Schritte Anlauf und schleuderte den Speer hoch in die Luft. Er segelte über die Palisade hinweg, und Sigurd verfolgte seine Flugbahn, bis er sich in den Boden der Festung hinter Alrik bohrte. Es war ein Wurf, von dem die Skalden sangen. Wichtiger jedoch war, dass Guthrum damit seinen Anspruch auf die Festung und jeden Mann erhob, der sich darin befand.

»Es gibt also Krieg«, sagte Olaf.

»Hast du etwa geglaubt, er würde Alrik ein Horn von gutem Met anbieten, um einen Waffenstillstand auszuhandeln?«, versetzte Solmund.

»Der Mann hätte mich enttäuscht, wenn er es getan hätte«, räumte Olaf ein.

Jarl Guthrum kehrte seinen Feinden den Rücken zu und schritt den Hügel hinab und ging zu seinen Männern zurück. Dann schlug der Rest seiner Kriegsschar, geschützt von einem Schildwall aus fünfzig Kriegern, das Lager an der Stelle auf, an der Alriks Männer zuvor gelagert hatten.

Es war ein grauer, regnerischer Tag, als Jarl Guthrum seine Krieger zum ersten Mal gegen die Festung schickte. Fünfzig Männer griffen den östlichen Teil der Palisade an, weitere fünfzig den westlichen Abschnitt, und einhundert Krieger rannten gegen den südlichen Teil. Die meisten von ihnen drängten sich vor dem Tor. Sie kamen mit Leitern und Seilen, hatten jedoch offensichtlich nicht die Absicht, auf die Palisaden zu klettern. Stattdessen kamen sie so nahe, dass Alriks Männer keine Wahl hatten, als ihre Speere zu schleudern und Steine zu werfen. Die meisten spalteten ein paar Schilde oder versetzten Guthrums Männern Schnitte und Platzwunden.

»Verschwendet eure Speere nicht«, rief Olaf den Männern auf dem Wehrgang über dem Tor zu. Er ahnte, was Guthrum im Schilde führte. »Er will uns nur reizen, das ist alles«, sagte er zu Sigurd. »Er wird sich ins Fäustchen lachen, wenn wir am Ende nur noch bösartige Beleidigungen und Eimer mit Pisse gegen seine Leute schleudern können.«

Als Guthrum das zweite Mal angriff, machten es seine Männer wie beim ersten Mal, und wieder versuchten die Männer in der Festung, einige von ihnen zu töten. Aber sie versuchten es nicht so verbissen wie zuvor und schleuderten weder so viele Speere, noch verschossen sie sehr viele Pfeile. Beim dritten Mal legten einige von Guthrums Männern ihre Leitern an und machten Anstalten hinaufzuklettern. Sie hielten die Schilde zum Schutz über ihre Köpfe, während Bogenschützen vom Boden aus Pfeile gegen die Verteidiger auf den Wehrgängen abschossen. Und gleichzeitig hatte Guthrum dem Tor gegenüber einen beeindruckenden Schildwall aufgebaut, als Abschreckung für Alrik, falls der auf die Idee kommen sollte, einen Ausfall zu wagen. Einige seiner Krieger schafften es, bis nach oben zu klettern und auf den Wehrgang zu springen. Dort kämpften sie erbittert, wurden aber schon bald auf den Weg nach Walhall geschickt.

Als der Jarl ein viertes Mal angriff, wussten die Verteidiger nicht, was er beabsichtigte. Sie schleuderten ihre Speere und ihre Steine, töteten sieben von Guthrums Kriegern und verwundeten ein weiteres Dutzend. Daraufhin jubelten Alriks Männer, als erwarteten sie, dass Guthrum kehrtmachte und seine geschlagene Kriegsschar wieder in den Wald führte.

»Warum greift er das Tor nicht an?« Thorbjørn wirkte enttäuscht. Er war ein Dänenprinz und mehr an Bettsklavinnen und metgetränkte Nächte in der Halle seines Vaters gewöhnt als daran, Befestigungen zu bemannen und anderen Männern Steine auf die Köpfe zu werfen. Aber König Thorir hoffte, sein Sohn würde als Mitglied von Sigurds Mannschaft den Umgang mit dem Schwert und das Kriegshandwerk lernen, und die Hoffnung war nicht vergeblich – Thorbjørn schien sein neues Leben weidlich zu genießen. »Warum greift er nicht einfach an?«, wiederholte er die Frage.

»Weil er nicht mehr grün hinter den Ohren ist, so wie du, Junge«, schnauzte Olaf ihn an.

»Er weiß, dass wir hier sind«, meinte Sigurd zu Thorbjørn und beobachtete die Kämpfe an den anderen Abschnitten der Palisaden. »Und er weiß, dass wir erfahrene Krieger sind.«

»Aber das ist doch nicht gerecht.« Svein umklammerte seine große Axt, fand jedoch nichts, wo er sie hätte hineinschlagen können. »Es ist, als müsstest du anderen Männer beim Essen und Trinken zusehen, wenn du selbst hungrig bist.«

»Er wird das Tor morgen angreifen, Rotschopf«, behauptete Bram hoffnungsvoll. »Ja, er wird morgen kommen, wenn die Götter das Blut fließen sehen wollen.«

Was jedoch keiner von ihnen erwartete, war ein weiterer Angriff in derselben Nacht. Eigentlich hätte Guthrum sich um seine eigenen Toten kümmern und seinen nächsten Zug planen sollen, wie Olaf es ausdrückte. Sie kamen unmittelbar vor dem Morgengrauen, Männer mit Seilen und Enterhaken, und sie kamen aus dem Norden.

Sigurd und seine Mannschaft merkten es erst an den Schreien, denen ein lautes Tuten der Hörner von den Wachen auf den nördlichen Befestigungen folgte.

»Dieser Guthrum ist ein hinterhältiges Stück Scheiße«, knurrte Olaf. Er setzte sich in seinen Fellen auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen, während die anderen um ihn herum stöhnten und fluchten.

»Ich habe gerade angefangen, den Mann zu mögen, aber jetzt hat er bei mir verschissen.« Bram leerte einen Becher Bier, den jemand auf einem Hocker am Herd hatte stehen lassen. »Ich habe gerade von einer schönen Frau geträumt, verdammt.«

»Wer auch immer diese Frau war«, erwiderte Valgerd, »sie schuldet Guthrum etwas, weil er sie aus deinen stinkenden Fingern befreit hat, Bär.« Sie zog ihr Brynja über den Kopf und strich dann ihr blondes Haar zurück, um es zu einem Zopf zu binden. Es war eine ganz natürliche weibliche Geste, und doch schnitt sie Sigurd wie eine Klinge ins Fleisch. In gewisser Weise verstand Valgerd ihn besser als alle anderen. Sie waren ein Paar gewesen, wenn auch nur für eine Nacht. Und doch hatte er weniger Macht über sie als über jeden anderen in seiner Mannschaft. Valgerd gehörte ihm ebenso wenig, wie der Schildmaid der Wasserfall gehörte, an dem sie gelebt hatte. Sie und die Vølva der heiligen Quelle hatten ein ganzes Leben miteinander geteilt, und vielleicht hatte Valgerd zu der Vølva gehört. Aber die Seherin war verwelkt und gestorben, etwas, wofür Valgerd den Göttern die Schuld gab. Nein, dachte Sigurd jetzt, als er beobachtete, wie sich Valgerd auf den Kampf vorbereitete. Er konnte ebenso wenig behaupten, dass sie ihm gehörte, wie er Besitzanspruch auf den Herdrauch erheben konnte, der aufstieg und durch das Loch im Dach über ihnen entwich.

»Fertig?« Olaf gab Sigurd einen frisch geschärften Speer und bedachte ihn mit einem noch schärferen Blick. Sigurd nickte.

Sie beeilten sich nicht, wie die anderen Männer, die in dem Langhaus schliefen. Sie stürmten halb schlafend aus dem Haus heraus, die Blasen noch voll Bier und ihre Klingen eine ebenso große Gefahr für sich selbst wie für den Feind. Aber als Sigurds Mannschaft ihre Ausrüstung angelegt hatte und nachdem einige sich in dem Graben draußen erleichtert hatten, führte Sigurd sie durch die Burg zu den Kämpfen.

Guthrums Männer waren in die Festung eingedrungen. Etwa dreißig von ihnen kämpften halb im Mondlicht und halb im Schatten der nördlichen Palisadenwand. Währenddessen kletterten weitere hinüber, sprangen in die Burg. Die Angreifer hatten an dieser Stelle einen großen Teil der Befestigungen erobert, was den Nachfolgenden erlaubte, relativ gefahrlos an ihren Stricken emporzuklettern. Die Männer der Burg, die den Rest der Palisaden bewachten, konnten nichts tun, um es zu verhindern. Denn wenn sie ihre eigene Position verließen, würden sie damit den Feind nur einladen, von allen Seiten über die Palisaden zu klettern.

»Wartet!« Sigurd hielt den schwarzen Floki und Bram zurück, die, ohne auch nur ihre Schritte zu verlangsamen, in den Kampf marschiert wären. Der Rest blieb neben Sigurd stehen, während er in aller Ruhe das Chaos vor ihnen betrachtete.

Alrik kämpfte im dichtesten Gewühl, feuerte seine Männer an und hämmerte mit seinem Schwert auf Schilde ein. Es gab keinen richtigen Schildwall, nur zwei aufeinanderprallende Wogen von Männern, die sich an verschiedenen Stellen vermischten. Und einige Gruppen von Kriegern schufen ihren eigenen Eisensturm.

»Wir erobern die Befestigungen zurück und überlassen es Alrik, die da zu erledigen.« Sigurd deutete mit seinem Speer auf die feindlichen Krieger, die sich bereits in der Burg befanden. Olaf nickte, denn er hätte es genauso gemacht. Sie teilten sich in zwei Gruppen. Sechs gingen mit Sigurd, sechs mit Olaf. Sie umgingen die Woge aus Kämpfenden und widerstanden dem Drang, sich in das Gemetzel zu stürzen. Dann kletterten sie rechts und links neben der Stelle die Böschung hinauf, wo die meisten von Guthrums Männern über den Wall kletterten. Valgerd blieb auf halbem Weg stehen und schoss einen Pfeil in den Schenkel eines Kriegers, der rittlings auf den Pfählen saß. Der Mann war an das Holz genagelt und schrie wie ein waidwundes Tier. Sigurd wusste, dass Valgerd ihn genauso hatte treffen wollen. Ihr war klar, dass die schrecklichen Schreie und die Notlage des Mannes denen auf der anderen Seite, die noch hinaufklettern mussten, Angst machen würden.

»Schildwall!«, schrie Sigurd. Seine Leute bewegten sich geschmeidig und mit eingeübter Geschicklichkeit. Sie traten neben ihn und legten ihre Schilde übereinander, um einen Wall zu bilden, dem jeder von ihnen sein Leben anvertraute.

»Und jetzt tötet diese Scheißkerle!«, brüllte Svein, als ein Speer von seinem Schild abprallte und Floki seine Axt in den Schädel eines Mannes rammte, der mit dem Rücken an der Palisade lehnte. Er hatte sich das Bein gebrochen, als er hinübergestiegen war.

Sie stürzten sich auf Guthrums Männer, hackten und stachen auf sie ein, während Olafs Skjaldborg sich von der anderen Seite der Befestigungen näherte. Es waren zwei mörderische Wellen, die alles wegspülten, was sich vor ihnen befand. Valgerd schoss derweil einen Pfeil nach dem anderen ab. Jedes dumpfe Klatschen, mit dem ihre Geschosse ihr Ziel trafen, verkündete den Tod eines Mannes.

Sigurd rammte seinen Speer einem Krieger in die Schulter, schlug seinen Schildbuckel in das Gesicht des Mannes und schleuderte ihn zu Boden. Hagal spaltete einen Schädel, und Bram schlitzte einem Mann den Bauch auf, sodass seine Eingeweide herausfielen. Svein hielt seine Langaxt etwa an der Hälfte des Stiels und schlug den sichelförmigen Kopf in den Hals seines Widersachers. Dann spießte er ihn auf Asgots Schwert. Es war ein Anblick für die Götter. Und schließlich befanden sich keine lebenden Krieger mehr zwischen Sigurds Skjaldborg und Olafs Schildwall.

»Kommt nur!«, schrie Bram zwei von Guthrums Männern zu, die gerade halb über die Palisaden geklettert waren. Als sie sahen, was da auf sie wartete, wichen sie hastig zurück und waren verschwunden.

»Du wartest hier, falls einer dieser Mistkerle seine Meinung ändert und doch sterben möchte.« Olaf deutete mit seinem blutigen Speer auf die Palisaden. »Wir helfen Alrik, die anderen zu erledigen.«

Sigurd nickte. Olaf ging mit Moldof, Bjarni, Björn, Floki und Svein den Wall hinunter und griff Guthrums Männer von hinten an. Aber diese Männer wussten, dass sie keine weitere Verstärkung von außen erwarten konnten, und kämpften nicht allzu lange. Einer nach dem anderen warf seine Waffe zu Boden und bat lautstark um Gnade. Einige von ihnen starben auf den Knien und wurden zu Tode gehackt, bevor Alrik seine Männer an die Leine nahm und dem Gemetzel ein Ende machte.

Die Krieger standen da und rangen nach Atem, spuckten und husteten und verzogen vor Schmerz das Gesicht. Einige grinsten Freunde an, die ebenfalls überlebt hatten. Andere waren bereits dabei, die Toten auszuplündern, während weitere Krieger Guthrums Männer mit Beleidigungen verhöhnten, die toten wie die lebenden. Eine Handvoll überlebender Feinde stand da und prahlte damit, dass sie gewusst hatten, dass ihre Schicksalsfäden, ihre Wyrds, am heutigen Tag nicht durchtrennt werden würden. Solmund meinte, das sei eine recht kühne Behauptung.

Die Verwundeten wurden in die Langhäuser geführt, wo jene auf sie warteten, die am besten mit Knochennadeln und Fäden aus Pferdehaar umgehen konnten, und wo starkes Bier und Kräuter den Schmerz betäuben und rot glühende Brandeisen die Wunden abgetrennter Gliedmaßen veröden würden.

Sigurd blickte in die Nacht hinaus und sah die Rücken von Guthrums Kriegern, als sie sich über die vom Mond beschienene Wiese und in den Wald zurückzogen. Dann befahl er einigen von Alriks Männern, diese Stelle weiter zu bewachen, damit er und seine Mannschaft das nicht tun mussten. Niemand von ihnen stellte seinen Befehl infrage oder murrte nur, obwohl sie selbst ebenfalls todmüde waren.

»Guthrum wäre ein Narr, wenn er es noch einmal versuchte«, sagte Alrik zu Sigurd. Der Kriegsherr war über und über verdreckt. Blut tropfte ihm von seinem langen Schnauzbart und lief ihm den Hals hinab. Sein Haar war an den Seiten kurz geschoren, der Rest war zu einem Zopf verflochten, der ihm bis über die Schultern fiel.

»Ich würde Guthrum alles zutrauen«, sagte Sigurd.

Alrik beantwortete das, indem er einem knienden Gefangenen seinen Schwertknauf gegen die Schläfe schlug. Der Mann stürzte zu Boden. Dann drehte er sich um und schrie seine Männer an, sie sollten sich gefälligst beeilen, die vierzehn Gefangenen zu fesseln. Anders als die Prahlhänse zuvor schienen sie gespürt zu haben, dass sie jetzt am Ende ihres Lebensfadens angekommen waren. Die Nornen, welche die Zukunft der Menschen spannen, standen bereits mit ihren scharfen Messern und Scheren bereit.

»Diese Fehde, die ihr beide da austragt, Alrik«, Olaf betrachtete das Gemetzel um ihn herum, »ist eine verdammt durstige Metze. Sie säuft Blut wie wir Bier.«

Das konnte Alrik nicht abstreiten, aber er hörte es nicht gern. Er war gerade dabei, einem Toten Silberringe von den Fingern zu ziehen.

»Es ist bedauerlich, dass Guthrum nicht den Mut gehabt hat, seine Männer selbst über den Palisadenwall zu führen.« Er reinigte sein Schwert mit einem Tuchfetzen, den er von einer Tunika gerissen hatte. »Dann wäre er jetzt eine Leiche, und viele seiner Männer würden mir die Treue geloben.« Er rief einen seiner Männer an, der gerade noch rechtzeitig hochsah, um die beiden Silberringe aufzufangen, die Alrik ihm zuwarf. »Sie würden sich meiner Kriegerhorde anschließen, weil ich ein großzügigerer Kriegsherr bin als Guthrum.« Alrik sah Sigurd an. »Wie du ja selbst gesehen hast, Byrnjolf.« Er benutzte den Namen, unter dem die Svearmänner Sigurd kannten.

»Toten nützt Silber nicht viel«, erwiderte Sigurd. Das war keine direkte Beleidigung, aber auch kein Lob, was Alriks Fähigkeiten als Anführer anging. Dabei war es nicht so, dass Sigurd den Mann verachtet hätte. Aber Alrik schien nicht das Wohlwollen der Götter zu besitzen, und das war beunruhigend. Außerdem waren Alrik die Anstrengungen dieser Fehde wie Runen ins Gesicht gemeißelt, und das erfüllte ebenfalls niemanden mit Zuversicht.

»Byrnjolf hat recht«, sagte Olaf. »Noch mehr Nächte wie diese, und du hast keine Kriegerhorde mehr, die diesen Namen verdient.« Und auch das stimmte. Sechzehn Männer von Alrik würden nie wieder für ihn kämpfen, weil sie tot oder so gut wie tot waren. Das waren nur unwesentlich weniger als die Verluste, die Guthrum erlitten hatte. Und Guthrum konnte es sich leisten, Männer zu verlieren, weil er von vornherein mehr zur Verfügung hatte.

»Verdient euch euer Silber, Nordmänner, dann werden wir alle mit reicher Beute hier abziehen.« Alrik kehrte ihnen den Rücken zu und grüßte Knut, seinen Stellvertreter. Der war gekommen, um zu berichten, wie die Lage auf der anderen Seite der Burg aussah. Wie es schien, war nur gegen den Nordwall ein ernsthafter Angriff geführt worden, obwohl Guthrum auch gegen die anderen Tore angerückt war, um Alriks Männer von dem eigentlichen Kampf wegzulocken.

»Wir sollen uns unser Silber verdienen? Hat er das wirklich gesagt?« Svein hielt eine Handvoll Pfeile in der Faust, die er aufgesammelt hatte und jetzt Valgerd überreichte wie einen Strauß Frühlingsblumen. Die Schildmaid lächelte und dankte ihm. Svein spuckte auf seine Axt und rieb mit einer Faust voll Binsen das Blut ab. »Wenn wir nicht gewesen wären, dann würde Guthrum jetzt seinen Met aus Alriks Schädel trinken.«