Götter der Rache - Giles Kristian - E-Book
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Götter der Rache E-Book

Giles Kristian

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Beschreibung

Norwegen, A. D. 785: Der Wikingerclan unter Führung von Jarl Harald steht vor einem neuen Sturm der Schwerter. Die harten Kämpfer ziehen für ihren König Gorm in die Schlacht: Drachenboot gegen Drachenboot. Doch der verräterische König lockt Harald und seine Mannen in eine tödliche Falle. Ihr Dorf wird vernichtet, Frauen und Kinder niedergemetzelt oder in die Sklaverei gegeben. Nur wenige entkommen, darunter Sigurd, der jüngste Sohn Haralds. Fortan widmet Sigurd sein Leben der Vergeltung. Von den Häschern des Königs gejagt, schart er eine Bruderschaft wilder Krieger um sich: Gnade jedem, der ihnen auf ihrem Pfad der Rache im Wege steht ...

  • Die neue Wikinger-Saga - in England bereits eine Sensation!
  • »Gnadenlose Härte, bombastische Schlachten und mächtige Figuren. Ein Meisterwerk!« (Conn Iggulden)
  • "Ein großes Rache-Epos ... Die Wikinger-Saga von Giles Kristian hinterlässt verbrannte Erde!" (Daily Mail)

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Seitenzahl: 776

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ZUM BUCH

Norwegen, A.D 785: Der Wikingerclan unter Führung von Jarl Harald steht vor einem neuen Sturm der Schwerter. Die harten Kämpfer ziehen für ihren König Gorm in die Schlacht: Drachenboot gegen Drachenboot. Doch der verräterische König lockt Harald und seine Mannen in eine tödliche Falle. Ihr Dorf wird niedergebrannt, Frauen und Kinder erschlagen oder in die Sklaverei gegeben. Nur wenige entkommen: Darunter Sigurd, der jüngste Sohn Haralds. Fortan widmet Sigurd sein Leben der Vergeltung. Von den Häschern des Königs gejagt, schart er eine Brüderschaft wilder Krieger um sich und stärkt sich mit bedingungsloser Härte in der Kunst des Kampfes: Gnade jedem, der ihnen auf ihrem Pfad der Rache im Wege steht ...

ZUM AUTOR

Seine norwegische Herkunft und die Werke von Bernard Cornwell inspirierten Giles Kristian dazu, historische Romane zu schreiben. Um seine ersten Bücher finanzieren zu können, arbeitete er unter anderem als Werbetexter, Sänger und Schauspieler. Doch Kristians Herz schlägt für die Welt der Wikinger, die er in Götter der Rache zum Leben erweckt. Mittlerweile ist Giles Kristian Bestseller-Autor und kann sich ganz dem Schreiben widmen. Mehr Informationen zum Autor finden Sie unter www.gileskristian.com

GILES KRISTIAN

GÖTTER

DER RACHE

Roman

Aus dem Englischen

von Wolfgang Thon

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

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Die Originalausgabe God of Vengeance erschien 2014

bei Bantam Press/Transworld Publishers, London

Vollständige deutsche Erstausgabe 12/2015

Copyright © 2014 by Giles Kristian

Copyright © 2014 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Heiko Arntz

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design

unter Verwendung des Originalartworks von © Johnny Ring

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-16381-5

www.heyne.de

Götter der Rache ist Phil, Pietro und Drew gewidmet,

meinen Rudergenossen im Drachenboot Harald Fairhair.

Ich weiß, dass ich hing

am windigen Baum

neun ganze Nächte,

vom Speer verwundet,

und Óðin geweiht,

ich selbst mir selbst,

an diesem Baum,

von dem niemand weiß,

aus welcher Wurzel er sprießt.

Óðins Runenlied

PROLOG

Anno Domini 775, Avaldsnes, Norwegen

Der Wald war still. Die Männer jedoch nicht. Sie arbeiteten sich langsam und vorsichtig vor, vermieden plötzliche Bewegungen. Die Schultern ließen sie hängen wie Wölfe, zogen die Köpfe ein und hielten die Augen halb geschlossen, damit das Weiße ihrer Augäpfel sie nicht verriet. Dennoch brach immer wieder ein Zweig unter einem Fuß, fuhr ein Stiefel raschelnd durch die Kiefernnadeln. Der Schuldige unterdrückte einen Fluch und verharrte unbeweglich, wartete, ob der Elchbulle die Flucht ergreifen würde.

Doch das Tier stand vorerst zumindest gegen den Wind und bemerkte die Männer nicht. Sein Fell leuchtete blassgolden gefleckt in den Strahlen der späten Vormittagssonne, die durch das Laubdach drangen.

Drei Jäger hatten sich von der Gruppe getrennt. Zwei Männer und ein Junge, alle mit Speeren bewaffnet. Die Waffe des Jungen war anderthalbmal so lang wie er selbst, und ihr Schaft war so dick, dass er ihn kaum mit der Hand umfassen konnte. Dennoch war er ihm noch kein einziges Mal entglitten. Er hatte trotz seiner erst sieben Jahre bereits gelernt, dass man seinen Speer im Wald nicht fallen ließ, wo Keiler auf Futtersuche umherstreifen konnten. Oder wo möglicherweise ein angeschossener Wolf lauerte. Und unter den Augen seines Vaters oder des Königs ließ man den Speer schon gar nicht fallen, ganz gleich, wie sehr die Finger schmerzten.

Vielleicht hätten sie auf die Bogenschützen warten sollen. Und auf die Hunde. Aber Könige und Jarls warteten nicht gern. Ersterer drehte sich jetzt herum, grinste den Jungen an und legte einen dicken Finger auf die Lippen. Sein langer, kupferroter Bart wehte leicht im schwachen Wind. Dann bedeutete er dem Vater des Jungen, um die Lichtung herum auf die rechte Seite zu gehen. Der Junge wusste, dass er damit seinem Vater, dem Stammeshäuptling, eine große Ehre erwies. Stolz glühte in seiner Brust. Sobald der König sich bereit machte, den Speer zu schleudern, würde der Elch die Gefahr wittern und in die entgegengesetzte Richtung flüchten, nach Osten. Dort wartete Jarl Harald, würde seinen Speer werfen und das Wild erlegen.

Der Junge stand jetzt regungslos da, während ihm das Herz bis zum Halse schlug und die Aufregung wie ein Stein in seinem Magen lag. Er würde eher sterben, als das Tier aufzuscheuchen und so ihre Möglichkeit zu vereiteln, es mit einem Speerwurf zu erlegen.

Was für ein prächtiger Bulle, dachte er, während er versuchte, so bewegungslos dazustehen, wie seine Brüder es ihn gelehrt hatten. Mit jedem tiefen Atemzug sog er den süßen, scharfen Duft der Baumrinde, des Kiefernharzes und des Mooses ein, das unten am Fuß der Baumstämme wuchs. Um ihn herum zitterten Farnwedel im Wind. Etwas huschte über den uralten Wildpfad in der Nähe, und weit hinter ihnen hallte das Kläffen eines Hundes zwischen den Bäumen. Aber der Junge hielt den Blick fest auf den Elch gerichtet. Er hoffte, ihn allein durch diesen Blick irgendwie festzuhalten, so als könnten seine Augen das Tier bannen, wie einst Gleipnir, die von Zwergen geschmiedete Fessel, den mächtigen Wolf Fefnir gebunden hatte.

Der König verdeckte das Tier mit seinem Körper und winkte den Jungen zu sich, forderte ihn mit dieser Handbewegung auf, als Erster sein Glück zu versuchen. Der Junge blinzelte und schluckte. Sie waren noch vor Morgengrauen aufgebrochen und das hier war die erste lohnende Beute, auf die sie gestoßen waren. Und nun wurde ihm die Ehre zuteil, den ersten Speer zu schleudern. Er hatte noch etwas anderes mit seinen sieben Jahren bereits gelernt. Man verfehlte sein Ziel nicht, wenn man von einem Mann mit einem Halsreif, fast so dick wie das Handgelenk des Jungen, aufgefordert wurde, den Speer zu schleudern. Der Junge übte zwar jeden Tag mit Schwert und Schild, hatte jedoch noch nie mit einem derart schweren Speer trainiert.

Er nickte dem König zu, der das Nicken erwiderte. Er hätte gern auch seinen Vater angesehen, um sich zu vergewissern, wo er stand, aber er wollte seine Gedanken nicht von dem Elch losreißen.

»Bevor du wirfst, stell dir den Speer vor, wie er gerade und zielsicher fliegt«, hatte sein Bruder Sørlie ihm geraten. Zweifellos hatte Sørlie das von Sigmund gehört, dem es wiederum Thorvard gesagt hatte. So ging es unter Brüdern. »Mal dir aus, wie der Speer Haut und Fleisch des Elchs durchbohrt und mitten in sein Herz dringt. Erst wenn du dieses Bild vor deinem inneren Auge beschworen hast, solltest du den Wurf wagen.«

Also ließ der Junge jetzt dieses Bild in seinem Kopf entstehen, während er seinen Führungsfuß vorschob, um etwas Boden zu gewinnen, und sich darauf vorbereitete, die Kraft seiner ganzen sieben Jahre in diesen Wurf zu legen.

Doch der Elchbulle hatte mehr Jahre auf dem Buckel als der Junge, viel mehr. Er riss plötzlich den Schädel hoch und nahm Witterung auf. Der Elch war ein Ungetüm von gewiss sieben Fuß Schulterhöhe, und die Spannbreite des Geweihs auf seinem gewaltigen Schädel war größer, als der Junge an Länge maß. Die Nackenhaare des Tieres sträubten sich, als es den Schädel senkte und die Ohren anlegte. Der Junge war dem Tier so nahe, dass er die Fliegen um seine Nüstern summen sah, und hörte, wie die Zähne des Elchs knirschten, als er die harten Wurzeln kaute, die er eben aus der Erde gewühlt hatte.

Jetzt!

Der Junge machte drei schnelle Schritte und schleuderte beim vierten den Speer. Der beschrieb einen flachen Bogen, bevor er den Bullen in den Hinterlauf traf. Aber der Wurf war nicht kraftvoll genug, um den Speer tief in das Fleisch des Tieres zu treiben. Der Bulle brüllte auf, fuhr herum und galoppierte zwischen den Bäumen davon.

Genau auf den Vater des Jungen zu.

Haralds Brüllen, als er seinen Speer schleuderte, stand dem des Bullen in nichts nach. Die eiserne Spitze blitzte, aber irgendwie wich das Tier aus, fast zu geschmeidig für seine Größe. Der Speer des Jarl hinterließ zwar einen roten Streifen an seinem Hals, flog dann jedoch harmlos zwischen die Bäume.

»Bei Thórs Arsch!«, schrie Harald, als der Bulle davonstürmte, rücksichtslos durch Zweige und Äste brach und schließlich tief im Kiefernwald verschwand.

Der König lachte schallend. Sein Gelächter hallte von den Bäumen wieder und zwang ihn, sich zu bücken, die Hände auf die Knie zu stützen. Sein Speer stak in der Erde neben ihm.

»Was gibt’s da zu lachen?« Der Vater des Jungen hatte vor Ärger einen hochroten Kopf, denn er hatte vorbeigeworfen. Das allein war schon schlimm genug, auch ohne dass sein Gastgeber sich darüber lustig machte.

Der König lachte immer noch, als er sich aufrichtete, zu dem Jungen trat und ihm einen Arm um die Schultern legte. Der Junge warf sich in die Brust und versuchte, in einem Herzschlag ein Jahr an Wachstum zuzulegen.

»Dein Junge, Harald!«, erklärte der König. »Bei den Göttern, was für ein Wurf! Ich schwöre, dieser stolze Bulle hat sich vollgeschissen, als er das Gesicht des jungen Sigurd gesehen hat!«

Der Junge wusste nicht genau, ob der König ihn lobte oder verspottete. Er versuchte zu lächeln, spürte jedoch selbst, dass er nur die Zähne zeigte. Dann lachte sein Vater plötzlich auch, und ihr Lachen donnerte wie die Brandung des Meeres.

»Dich möchte ich nicht zum Feind haben, Junge!« Der König schüttelte die Schultern des Knaben so heftig, dass er nicht wusste, wie ihm geschah.

Aber er dachte immer noch an den Elchbullen. Und daran, dass er ihn nicht hatte erlegen können. Beim nächsten Mal würde sein Speer das Fleisch durchbohren, das gelobte er sich. Nächstes Mal würde er stärker sein.

»Ich weiß nicht, wie es dir geht, Harald, aber ich bin durstig«, sagte der König und zog seinen Speer aus der Erde.

»Ich bin immer durstig«, sagte Harald, als der Rest der Jagdgruppe herankam. Die Männer beeilten sich, ihre Herren einzuholen, und die Hunde kläfften wie wild, als sie die Witterung des Elchbullen aufnahmen.

Sigurd holte seinen Speer zurück, und sein Vater deutete auf die Klinge.

»Siehst du das Blut, Junge?«, erkundigte sich Harald. »Das war ein guter Wurf. Besser als meiner.«

Nach diesen Worten gingen sie nach Norden zurück, zu König Gorms Halle und dem Met, der dort bereits auf sie wartete.

Und der Speer in den Händen des Jungen fühlte sich plötzlich nicht mehr zu groß an.

1

Anno Domini 785, Skudeneshavn, Norwegen

Der Jarl fuhr mit den Fingern durch die Fleischreste und die weißen Knochen auf dem Teller vor sich. Dann griff er mit der fetttriefenden Hand nach den Reifen aus gehämmertem Silber, die unter dem Bizeps seines linken Arms saßen, und schmierte das Fett zwischen Metall und Haut. Er grinste, als einer der Ringe sich so weit lockerte, dass er seinen dicken Daumen zwischen die Schädel der drohenden Bestien schieben konnte, die den Ring mehr als ein Jahr lang geschlossen gehalten hatten.

»Der gehört dem Mann, der Olaf auf den Arsch setzt!«, brüllte er. Lautes Hämmern von Fäusten auf die hölzernen Tische antwortete ihm, als er den Armreif herunterzog und ihn hochhielt. Das Licht der Öllampen ließ das Silber dunkel schimmern, bevor der Jarl den Reif neben sein Schneidebrett knallte. »Wir müssen Hagal ein paar neue Geschichten liefern, was? Er singt uns seit Jahren dasselbe Lied und glaubt, er könnte uns zum Narren halten, wenn er einfach nur die Namen ändert!«

Darüber lachten alle, außer Hagal »Krähenlied«, der unter seinem fein säuberlich gestutzten blonden Bart errötete und irgendeine halbherzige Entschuldigung murmelte.

»Er glaubt, wir merken nicht, dass er uns immer und immer wieder denselben Mist erzählt!«, schrie Harald. Die große silberne Brosche, die seinen Umhang auf der rechten Schulter hielt, glänzte im Licht der Flammen. »Aber er weiß nicht, dass wir einschlafen, während er aus seinem Mund furzt!« Die Männer johlten und hämmerten auf die roh gezimmerten Tische. Der Skalde fuhr abwehrend mit der Hand durch die Luft, während er beleidigt sein Trinkhorn an den Mund setzte.

»Aber brich niemandem das Genick, Olaf!«, warnte ihn Harald, hob drohend den fettigen Finger und zog die dichten Brauen zusammen.

Olaf machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen und zu sehen, ob es Herausforderer gab, denn es gab immer welche. Er zuckte mit den breiten Schultern und erhob sich von der Bank, während er sich Krümel von der Tunika strich, die über seiner breiten Brust spannte. Er setzte das Trinkhorn an die vollen Lippen und leerte es mit einem Zug, begleitet von lautem Jubel und Hämmern auf die Tische, das die Dachbalken von Eik-Hjálmr, der Halle des Jarl, erschütterte.

»Lass dir Zeit, Olaf! Du wirst viele Jahre mit der Demütigung leben müssen, die dir jetzt blüht«, rief Sørlie und grinste seine Freunde an, die ihre Methörner hoben, um Sørlies Prahlerei zu feiern. Männer und Frauen vergnügten sich derweil in den dunkleren Ecken der Halle, und Hunde rauften sich knurrend um Essensreste.

»Ha!«, rief Olaf und setzte sich das Methorn umgedreht auf den Kopf, um zu zeigen, dass es leer war. Dann warf er es einem dunkelhaarigen Thrall zu, der es geschickt auffing.

»Du wirst dich schon sehr bald mit Mäusen und Hunden anfreunden müssen, alter Mann«, sagte Sørlie trunken und trat mit einem Fuß das frische Stroh auf dem Boden hoch, wobei er fast das Gleichgewicht verloren hätte. »Jetzt kriegst du was zum Erzählen, Krähenlied!«, schrie er dem Skalden zu. Der verzog nur missmutig die Lippen.

Sigurd hob sein eigenes Trinkhorn an den Mund und murmelte einen Fluch. Sein Freund Svein neben ihm schüttelte den Kopf, und die dicken Zöpfe seines roten Haars schwangen durch die Luft, wie Taue an einem Segel. »Dein Bruder hat sich das Hirn weggesoffen!«, meinte er und grinste. »Aber wenigstens kriegen wir was zu lachen, hej!«

Sigurd nickte wenig überzeugt. Er war nicht in der Stimmung zu lachen, was jedem klar war, der auch nur in seine Nähe kam. Trotzdem würde er bleiben und zusehen, wie sein älterer Bruder versuchte, mit Prahlereien für Stimmung zu sorgen, wie man sie in Eik-Hjálmr häufig hörte.

»Du solltest lieber wegsehen, Junge!«, fuhr Sørlie Harek an, der in der Menge grauhaariger Männer wegen seines bartlosen Gesichtes auffiel, vor allem jedoch wegen seines Haars, das so weiß war wie Bierschaum und glatt wie das eines Mädchens. »Ich will nicht, dass du Zeuge wirst, wie dein alter Vater vor seinen Freunden auf den Arsch gesetzt wird!« Sørlie verzog finster das Gesicht und kratzte sich sein dichtes blondes Haar. Es hatte ihm den Beinamen Baldur eingebracht, denn wenn er es offen trug, so wie jetzt, fanden sowohl Frauen als auch Männer, dass Sørlie diesem hübschesten aller Götter ähnelte. Allerdings war Baldur, Sohn Óðins, angeblich auch der weiseste aller Götter. Und in dem Punkt, dachte Sigurd, hört die Ähnlichkeit auf.

Harek jedoch sah nicht weg, sondern warf Sørlie ein freundliches Lächeln zu und nickte. Dann sah er zu seiner Mutter, die mit Hareks kleinem Bruder an der Brust dasaß. Das Einzige, was von dem Kind aus der Decke herauslugte, war ein Haarschopf, ebenso weiß wie der von Harek. Die Frau verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und flüsterte weiter Liebkosungen in das Ohr des kleinen Erik.

»Ich bin so weit, Junge«, sagte Olaf und schob die Männer zur Seite, die sich in der Mitte der Halle versammelt hatten, um dem Kampf zuzusehen. »Und verkneif dir die Tränen. Dein Vater und deine Brüder sehen zu.« Olaf zwinkerte Sigurd zu, der unwillkürlich grinste. Dieser Mann war der engste Freund seines Vaters und sein Schwertbruder. Während er aufstand und sich auf die Bank stellte, um besser sehen zu können, dachte er, wie sonderbar es war, dass er einerseits wünschte, Olaf würde Sørlies prahlerisches Gehabe mit einer ordentlichen Tracht Prügel vergelten, und gleichzeitig hoffte, dass sein Bruder sich gut hielt und vielleicht sogar Olaf aufs Kreuz legte.

»Mach uns keine Schande, Bruder!«, rief Thorvard. Er hob sein Methorn, aber sein breites Grinsen konnte seine ernste Besorgnis nicht verbergen. Thorvard war der älteste der Brüder, und, wenn Sørlie zu leicht geschlagen wurde, wäre er wohl oder übel gezwungen, Olaf selbst herauszufordern, um dadurch die Familienehre wieder herzustellen.

»He, Asgot!« Slagfids laute Stimme dröhnte wie Donner durch den Lärm in der Halle. »Wer gewinnt? Was sagen deine Runen?« Doch der Godi ignorierte den offiziellen Preiskämpfer des Jarl, der, abgesehen von Harald selbst vielleicht, der einzige Mann in der Halle war, der es wagen konnte, ihn so frech anzusprechen. Er saß unbeeindruckt wie eine drohende Gewitterwolke rechts neben dem Hochsitz des Jarl.

»Was machst du für eine saure Miene?« Svein sah Sigurd fragend an. Er nahm den Kamm aus Hirschgeweih, der an einem Band um seinen Hals hing, und fuhr sich damit durch den roten Flaum in seinem Gesicht, auf den er so stolz war. Wie viele Male hatte Sigurd mit seinen siebzehn Jahren bereits seinen Freund prahlen hören, dass er vom Donnergott Thór selbst abstammte? »Liegt es am Runensack des Godi?«

Jubel brandete auf, als sich Olaf und Sørlie wie zwei Bullen in der Brunft aufeinanderstürzten und sich gegenseitig zu packen versuchten.

»Du weißt genau, dass es damit nichts zu tun hat«, gab Sigurd zurück.

Sørlie befreite sich aus Olafs Griff und schlug mit der Faust nach ihm, verfehlte ihn jedoch. Die Männer brüllten begeistert, als Olaf sich in der Halle umsah, als wollte er wissen, ob irgendjemand gesehen hatte, wo dieser Schlag gelandet war.

»Wir bekommen unsere Chance noch«, erklärte Svein. »Wenn du dich auf eines verlassen kannst, dann darauf, dass es mehr Kämpfe geben wird, als Thór Haare am Sack hat, solange der alte Biflindi König ist.«

Olaf hämmerte Sørlie seine Faust gegen die Schläfe. Der jüngere Mann taumelte zurück, hielt sich jedoch auf den Beinen.

»Du und ich haben noch Jahre Zeit, um Ruhm zu ernten«, fuhr Svein fort und winkte einem Thrall, sein Trinkhorn neu zu füllen. »Wir werden unsere Schwerter zu kurzen Stümpfen abschleifen«, fügte er hinzu und grinste anzüglich, um klarzumachen, dass er auch die Schwerter in ihren Hosen meinte.

»Aber nicht morgen«, entgegnete Sigurd. Verbitterung fraß an ihm wie Rost an einem Helm. Er hatte mit Schwert, Axt und Schild trainiert, seit er stark genug war, die Waffen halten zu können, und doch musste er immer noch zurückbleiben, wenn seine drei Brüder und ihr Vater in den Eisensturm zogen.

»Ach, trink aus!« Svein stieß sein Methorn gegen das von Sigurd. Die Flüssigkeit schwappte über den Rand und tränkte die Schulter eines Mannes, der jedoch den Kampf viel zu begeistert verfolgte, als dass er es bemerkt hätte. Zudem hätte er ohnehin keinen Streit mit Svein riskiert. Das nahm Sigurd jedenfalls an, denn Svein war trotz seiner jungen Jahre schon gebaut wie ein mächtiger Troll. Noch ein paar Jahre mehr, dann würde er ein rothaariger, rotbärtiger Riese sein, vielleicht sogar noch größer als sein Vater Styrbjørn, der, den Bart voller Met und eine Thrall auf dem Schoß, auf der anderen Seite der Halle saß und nicht das geringste Interesse an dem Kampf zeigte.

Sigurd trank.

»Schon besser.« Svein fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und stieß einen stinkenden Rülpser aus. In dem Moment duckte sich Olaf unter Sørlies Führungshand weg, rammte dem jüngeren Mann die Schulter gegen die Brust und rollte sich über ihn. Jetzt konnte er Sørlies Arm mit beiden Fäusten packen und bog die Hand zurück. Dadurch zwang er Sørlie auf die Knie, weil der vermeiden wollte, dass sein Handgelenk brach.

Sørlie fluchte. Olaf hatte ihn so gut im Griff, dass er mit gespielt entspanntem Gähnen einen Arm ausstrecken konnte.

»Scheiße!«, schrie ein Mann namens Aud in der offenen Tür. Er war nach seinem kurzen Ausflug zur Jauchegrube dabei, den Gürtel über dem massigen Bauch zu schließen. »Ich hab den Kampf verpasst.«

»Da gab es nicht viel zu verpassen«, meinte ein anderer.

»Noch jemand?« Olafs Blick fuhr durch die Versammlung wie die Zangen eines Schmiedes durch glühende Kohlen. Etliche Männer erwiderten seine Herausforderung oder traten vor, doch als sie sahen, wie Thorvard sich durch die Menge drängte, blieben sie aus Respekt vor ihm stehen. Und das nicht nur, weil er der Sohn ihres Jarls war.

»Ich kämpfe gegen dich, Onkel!«, schrie Sigurd plötzlich. Das brachte ihm einige Lacher ein, aber nicht sehr viele. »Und wenn ich dich schlage, bekomme ich morgen einen Platz an Bord der Reijnen.«

Olaf riss die Augen auf, dann blickte er ratlos zu seinem Jarl. Harald musterte Sigurd böse. Doch Hagal der Skalde hob nur die Brauen. Sigurds Herausforderung hatte ihn aus seiner düsteren Stimmung gerissen, wie ein Haken einen Fisch aus der Dunkelheit der Tiefe. Er kletterte hastig auf die Bank, um besser sehen zu können, und verschüttete dabei achtlos den Met aus seinem Horn.

»Setz dich wieder hin, Junge!«, fuhr Harald seinen Sohn an und machte eine herrische Geste mit der Hand, an der silberne Ringe glänzten. »Ich musste mit ansehen, wie sich bereits ein Sohn zum Narren gemacht hat. Auch wenn der Kampf so fruchtlos war, als würde man Wasser nass machen. Ich werde nicht zulassen, dass du ebenfalls vor ihm in die Knie gehst.«

»Lass ihn kämpfen!«, schrie ein Mann.

»Heja, er hat alles, was ein guter Kämpfer braucht. Ich habe gesehen, wie Svein und er mit Speeren geübt haben! Lass es ihn versuchen!«, schrie jemand anders.

Olaf kratzte sich seinen gewaltigen Bart und sah Jarl Harald an. »Ich tue ihm nicht weh«, erklärte er. »Solange er mich nicht kitzelt.« Er drehte sich um und lächelte Sigurd strahlend an. »Kitzeln mag ich nicht«, erklärte er.

»Lass es ihn versuchen, Vater«, mischte sich Sigurds Bruder Sigmund ein. Er stand auf einer Bank neben dem Herd, in jedem Arm eine hübsche Thrall. Seine weißen Zähne blitzten in seinem goldenen Bart. »Wenn er Olaf schlagen kann, ist er morgen im Eisensturm ein brauchbarer Mann.« Sigurd nickte ihm dankend zu. Sigmund erwiderte die Geste.

»Nein, Sigurd«, erklärte Thorvard. Das Gesicht ihres Bruders wirkte wie aus Granit gemeißelt. »Geh und brüte weiter beleidigt in deiner Ecke. Das hier ist mein Kampf.« Doch Sigurd hörte nur: Mach uns keine Schande.

Sigurd brannte innerlich, als er die Blicke aller Anwesenden auf sich fühlte. Selbst Var und Vogg, die beiden Haushunde seines Vaters, hatten im Streit über einen schmackhaften Knochen Waffenstillstand geschlossen und blickten jetzt mit rotgeränderten Augen zu ihm hoch. Es war nicht das erste Mal, dass Sigurd seinen Vater um Erlaubnis gebeten hatte, in einem Schildwall stehen zu dürfen, aber es war das erste Mal, dass er es vor seinen Freunden und allen Schwert- und Speerträgern des Dorfes tat. Er hatte das Gefühl, wie ein Schiffsanker zum Meeresboden zu sinken, als ihm klar wurde, wie gedemütigt er wäre, falls sein Vater ihm jetzt seinen Wunsch versagte. Vielleicht wusste Harald das auch, oder aber er hatte entschieden, es wäre an der Zeit, dass sein jüngster Sohn eine wichtige Lektion lernte: nämlich was es hieß, zum Mann zu werden. Ganz gleich aus welchem Grund – Harald nickte schließlich. Für Sigurd war diese einfache Geste süßer als jeder Met.

Thorvard stieß einen Fluch aus, schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück, um zu zeigen, dass er seine Herausforderung zurücknahm.

Svein tippte sich mit einem Finger an den Kopf. »Du bist verrückt, Sigurd«, sagte er. »Olaf wurde nur einmal geschlagen, und zwar, weil er zu viel Met getrunken hatte und im Stehen eingeschlafen war, bevor der Kampf überhaupt begonnen hatte.«

»Vielleicht passiert das ja wieder«, gab Sigurd zurück.

»Genauso gut könnte Asgot ein paar gute Omen aus dem Arsch eines Bullen ziehen«, konterte sein Freund.

Sigurd verzog die Lippen, um anzuzeigen, dass wohl keins von beidem sehr wahrscheinlich war.

»Also dann, geh und vergnüg dich«, sagte Svein und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich komme und kratze dich vom Boden auf, wenn es vorbei ist.«

Sigurd leerte sein Methorn und gab es dem Freund, der irgendetwas Unverständliches murmelte. Dann drehte er sich um und trat auf denselben Platz in der Halle, auf dem sein älterer, stärkerer und weit erfahrenerer Bruder gerade eben besiegt worden war.

»Geh behutsam mit Olaf um, Sigurd!«, rief Sigmund. »Wenn man so alt ist wie er, dauert es eine Weile, bis man wieder hochkommt. Und morgen wartet ein Kampf auf uns.«

Das rief Getrommel und Gelächter hervor. Natürlich wussten alle, dass Olaf stark wie ein Ochse und zudem ein sehr erfahrener Kämpfer war. Olaf selbst würdigte den Einwurf keiner Antwort, sondern beugte sich so dicht zu Sigurd vor, dass der den Met in seinem Atem und das Schweinefett in seinem Bart riechen konnte. »Bist du dir wirklich sicher, Junge?« Er sprach leise und ohne die Lippen zu bewegen, damit die Zuschauer nichts merkten.

Sigurd hob eine Braue. »Ich habe ihr versprochen, ich würde dich jaulen lassen wie einen getretenen Hund«, entgegnete er.

Olaf riss die Augen auf. »Wem hast du das versprochen?« Sein Lächeln erlosch, und seine Lippen wirkten in seinem buschigen Bart plötzlich so klein wie ein Katzenarsch.

»Ihr da.« Sigurd deutete mit einem Nicken auf das Portal von Eik-Hjálmr. Als Olaf hinsah, trat Sigurd ihm mit voller Wucht in die Eier. Olafs Augen quollen aus ihren Höhlen wie die von einem Fisch, den man an Land gezogen hatte. Er sackte zusammen, ging erst auf die Knie und kippte dann langsam zur Seite, wobei er die Hände zwischen die Beine klemmte. Einen Moment lang stand Sigurd neben dem Mann, während die anderen um ihn herum vor Empörung tobten, lachten oder Sigurd als den neuen Preiskämpfer von Eik-Hjálmr ausriefen. Das Getöse in der Halle war so groß, dass Sigurd nicht einmal Olafs Heulen hörte, obwohl er es ihm vom Gesicht ablesen konnte.

Mitten in diesem Tumult erinnerte sich Sigurd an die Geschichte vom Helden Beowulf, die so oft von Skalden neben dem Herd in Eik-Hjálmr gesungen oder gebrüllt worden war. Denn so wie das Ungeheuer Grendel vom Lärm der Feiernden in König Hrothgars Halle angezogen worden war, so schienen auch hier die Männer das Unheil noch anziehen zu wollen mit ihrem Toben und Lärmen. Jedenfalls feierten alle unbekümmert, als gäbe es kein Morgen.

Sigurd warf einen Blick durch das Gewühl und fing Thorvards Blick auf. Sein Bruder nickte ihm unmerklich zu. Das war das größte Lob, das er erwarten konnte.

»Vater, der Armreif!«, brüllte Sigmund durch den Lärm. »Mein kleiner Bruder hat seine Belohnung verdient.«

»Heja, gib dem Burschen seinen Preis!«, schrie Orn Hakennase. »Olaf auf seinem Arsch sitzen zu sehen ist diesen Armreif wert, mehr als das sogar!«

Harald schüttelte den Kopf und schlug mit seiner großen Hand auf den Armreif vor sich auf dem Tisch. »Nicht dafür! Der Junge muss erst Respekt lernen.«

Andere stimmten ihm zu, aber Sigmund fuhr sie wütend an und schwenkte sein Methorn durch den Dunst. Sigurd ignorierte sie alle und hielt Olaf die Hand hin, um ihm vom Boden hochzuhelfen. Olaf vergalt ihm das mit einem wilden Fluch, also zuckte Sigurd nur mit den Schultern und ging zu seiner Bank zurück. Dort wartete Svein bereits auf ihn, mit zwei bis an den Rand gefüllten Trinkhörnern und einem Grinsen, das so breit war wie das Portal der Halle.

»Du hast ihm den Abend versaut«, sagte Svein. »Heute gibt’s nur eine Kerbe für den alten Olaf.«

»Dafür wird dir seine Frau für eine ungestörte Nachtruhe danken«, nuschelte ein Junge namens Aslak mit vollem Mund. »Falls Olaf nicht die ganze Nacht oben im Schilfdach nach seinen Eiern sucht.«

»Das war nicht sehr ehrenvoll, Sigurd«, sagte ein Mann namens Vigdis und sah Sigurd missbilligend an. Seine grauen Brauen hatte er finster zusammengezogen. »Ihr Jungen verhöhnt die Götter mit eurer Respektlosigkeit.« Er schüttelte den Kopf. »Als Sohn des Jarls solltest du es besser wissen.«

Svein und Aslak hüteten sich, den älteren Mann weiter zu ärgern, und schwiegen, aber Sigurd erwiderte Vigdis Blick unerschrocken.

»Ich weiß, wie man einen Kampf für sich entscheidet«, erwiderte er. »Und das reicht Óðin.«

Der Mann schüttelte wieder den Kopf und ging zu seinem Essen zurück. Svein, Aslak und Sigurd warfen sich Blicke zu, wie es junge Männer gern tun, wenn Ältere sie belehren.

Das Gebrüll schwoll wieder an, als ein stämmiger Mann namens Alfdis sowie Jarl Haralds Preiskämpfer Slagfid in den Kreis traten. Jenseits dieses verräucherten Baldachins aus Kiefern- und Eichenholz ritten die Walküren durch den Nachthimmel. All die trunkenen Prahlhänse spürten ihre Gegenwart, aber keiner verlor ein Wort darüber. Morgen wartete der Sturm der Schwerter auf sie. Drachenboot gegen Drachenboot in der Karmsund-Enge.

Der rote Krieg.

Sigurd spürte, wie die Wut in seinem Leib sich wie eine zischende Schlange zusammenzog, aber er unterdrückte sie, damit er nicht alle Blicke auf sich zog. Er war wie alle zum Hafen hinuntergegangen, gekleidet für den Kampf in seinen dicken, wollenen Mantel, der bis zum Oberschenkel reichte und um die Taille gegürtet war, mit Wollhose und dazu Beinschienen aus eisernen Platten, die mit Lederriemen an den Waden befestigt wurden. Sie waren ein Geschenk von dem Mann gewesen, dem er in der Nacht zuvor in die Eier getreten hatte. Ein Schwert besaß er nicht. Sein Vater sagte, eine solche Waffe müsse er sich erst noch verdienen, aber er hatte seinen Speer mitgebracht, der ohnehin besser für einen Schiffskampf geeignet war.

Allerdings würde er keine Gelegenheit bekommen, ihn zu nutzen. Jedenfalls nicht jetzt.

»Ich habe die Herausforderung ausgesprochen, und alle unter diesem Dach haben die Bedingungen gehört, Vater!«, stieß er hervor. Seine Wut drohte ihn fast zu ersticken. »Habe ich etwa nicht gewonnen?«

Der Jarl hob eine Braue. »Ja, in einem wahrlich ruhmreichen Kampf.« Er räusperte sich vernehmlich. »Du kannst von Glück reden, dass Olaf dich nicht bei lebendigem Leib zerlegt und gehäutet hat«, fuhr er fort und sah kurz zu Olaf. Der schien Sigurd nichts nachzutragen, denn er warf ihm einen mitfühlenden Blick zu, während er die Riemen seines Helms unter seinem dichten Bart festzurrte.

»Also nimmst du dein Wort zurück? Schleichst zurück wie ein Fuchs in seinen Bau?«, provozierte ihn Sigurd.

»Hüte deine Zunge, Bursche!«, knurrte Harald.

Hagal Krähenlied führte sein Pony am Zügel, weil er vorhatte, Skudeneshavn zu verlassen. Er blieb stehen, um dem Wortwechsel zu folgen.

Der Jarl sah auf der Mole aus wie ein Kriegsgott. Das Licht der aufgehenden Sonne färbte das Meer blutrot und ließ die eisernen Ringe seines Brynja aufleuchten. »Außerdem, was würde deine Mutter dazu sagen?« Er nickte in Grimhilds Richtung, und Sigurd drehte sich um zu seiner Mutter. Sie stand zusammen mit Sigurds jüngerer Schwester Runa und den anderen Frauen auf den mit Moos und Gras bedeckten Felsen. Die Gesichter der Frauen waren ebenso grimmig wie die ihrer Männer, während sie ihnen zusahen, wie sie sich für die Schlacht rüsteten.

»Sie liegt mir ohnehin schon in den Ohren, weil ich drei Söhne in diese Schlacht führe«, fuhr Harald fort. »Wenn ich dich jetzt auch noch mitnehme, wäre das, was du mit Olaf gemacht hast, ein zärtlicher Kuss auf die Wange im Vergleich zu dem, was sie mit mir anstellen würde.«

»Der Wind steht gut, Harald, und die Männer sind bereit!«, rief Olaf in diesem Moment von der Mole aus. Er stand neben dem Bug der Reijnen. Harald hob eine Hand und nickte. Dann bellte er eine Gruppe von Thralls an, sich gefälligst zu beeilen. Die Diener trugen so viele Speere, wie sie konnten, von Eik-Hjálmr zum Hafen herunter und luden sie auf die Schiffe. Es waren zwei Langschiffe von fünfundsiebzig Fuß und ein kürzeres Karvi mit dreizehn Paar Rudern. Die Reijnen war Haralds bestes Schiff und trug ihren Namen »Rentier« zu Recht. Sie war kräftig gebaut und doch schnell, und sie strich durch die Wogen des Meeres so würdig wie ein stolzer Rentierbulle über das Hochland im Osten von Karmøy. Sigurd hatte sich oft den Tag ausgemalt, an dem er an Bord der Reijnen stehen würde, gewappnet für die Schlacht in einer Gemeinschaft von Kriegern.

»Ich werde vorsichtig sein, Vater«, sagte er. Ihm war jedoch klar, dass er genauso gut in den Regen hätte spucken können.

»Ha!« Diese Bemerkung hätte Harald fast ein Lächeln entlockt. »Keiner meiner Söhne weiß, was dieses Wort bedeutet!« Dann fuhr er lauter fort, damit Grimhild ihn hören konnte: »Als dein Jarl verbiete ich es. Und als dein Vater verbiete ich es. Mehr gibt es nicht zu sagen.«

»Sei nicht betrübt, kleiner Bruder.« Sigmund trat zu Sigurd und schlug ihm auf die Schulter. Er hatte sein Haar für den Kampf zum Zopf geflochten, den Helm unter einen Arm geklemmt und war einer der wenigen Männer, die ein Kettenhemd, ein Brynja, trugen. »Ich lass ein paar von den Hurensöhnen laufen. Für den nächsten Kampf – wenn Mutter dich endlich ziehen lässt«, sagte er lächelnd und winkte Grimhild und Runa zu. »Heute Abend besaufen wir uns, hej?«

Sigurd sah mürrisch zu, wie Slagfid das große Rentiergeweih zum Bug der Reijnen trug. Sobald das Schiff in den Fjord hinausglitt und weit genug weg von Skudeneshavn wäre, um die Landgeister nicht zu erzürnen, würde er den zähnefletschenden Tierschädel am Steven befestigen. Als der Mann, der an diesem Tag am Bug kämpfte, gebührte Slagfid diese Ehre. So für die Schlacht gerüstet, würde die Reijnen Angst und Schrecken unter ihren Feinden verbreiten.

Sigurd fühlte, wie eine starke Hand seine Schulter packte. Er sah sich um und blickte seinem Vater in die Augen. »Deine Zeit wird kommen, Sigurd«, erklärte Harald. »Ein Krieger muss ebenso die Kunst der Geduld meistern, wie er den Kampf mit Schwert und Schild beherrschen muss.«

»Ich könnte dir von Nutzen sein, Vater, wenn die Dinge sich gegen uns wenden sollten.« Sigurd hielt seinen Speer fester umklammert. »Asgot sagte, dass du heute nicht kämpfen solltest, Vater, dass die Vorzeichen schlecht stehen. Ein weiterer Speer könnte hilfreich sein.«

»Die Runen dieser alten Krähe verkünden stets Unheil«, erwiderte Harald. »Hätte ich auf jeden Wurf seiner Runen gehört, hätte ich niemals auch nur einen Fuß aus meiner Halle gesetzt.« Der Jarl drehte sich zu seinen Männern um, die auf der Mole und den umliegenden Felsen verteilt waren. Einige hatten bereits ihre Plätze an Bord der Reijnen eingenommen sowie auf Haralds zweitem Schiff, der Seeadler, und auch auf dem kurzen Karvi, das den Namen Kleiner Elch trug. Sie alle waren mit Schilden, Speeren und Äxten bewaffnet. Einige trugen eiserne Helme, die meisten jedoch hatten nur lederne Schädelkappen oder Fellmützen zum Schutz aufgesetzt. Diese Männer würden schon sehr bald Blut und Wasser schwitzen.

»Männer von Skudeneshavn!« Haralds Stimme konnte man ebenso wenig ignorieren wie eine Langaxt in den Händen eines Feindes. Sie dröhnte laut über das stille Wasser des Hafens und erhob sich wie donnernde Brandung über die Felsen. »Wir wurden gerufen, um für König Gorm zu kämpfen, dem wir Treue geschworen haben und dessen Hochsitz zu schützen wir durch einen Eid verpflichtet sind. Biflindis Ländereien im Osten werden von Jarl Randver bedroht. Und darüber ist unser König nicht sonderlich glücklich.« Zähne blitzten in Haralds blondem Bart. »Dieser Hund Randver hat seine Kette abgestreift, und sein Appetit kennt keine Grenzen. Heute werden wir diesem Hund die Peitsche zu schmecken geben!«

Die Männer jubelten bei seinen Worten, und die Speerträger hämmerten die Schäfte gegen ihre Schilde. Es war wie ein Echo von König Gorms Beinamen Biflindi, der »Schildschüttler«, den er sich einem von Óðins Beinamen entlehnt hatte. Selbst Hagal, der Skalde, schien von der Rede beflügelt, trotz der Art und Weise, wie der Jarl ihn in der Nacht zuvor verspottet hatte.

»Mit den Männern des Königs und den freien Bauern, die er zusammengetrieben hat, sind wir in der Überzahl.« Harald hustete und spuckte einen Schleimklumpen auf die glatten Bohlen der Mole. »Aber unterschätzt Jarl Randver nicht. Er ist einer von denen, die warten, bis man den Blick abwendet, und einen dann in den Arsch beißen. Außerdem wisst ihr so gut wie ich, wie schnell die Bauern zu ihren Höfen zurückrennen, wenn die ersten Speere fliegen.«

»Deswegen kämpft Biflindi auf dem Meer gegen Randver!«, brüllte Slagfid vom Bug der Reijnen. »Denn diese ziegenfickenden Landratten können nicht weglaufen, wenn sie auf einem Schiff sind!«

Die Männer grölten über die Bemerkung von Haralds auserwähltem Bugmann, der nur selten Scherze machte. Sigurd kannte keinen größeren Wunsch, als einer von ihnen zu werden, ein Schwertbruder, der in den Kampf zog, statt als jüngster Sohn des Jarls mit den Frauen, Kindern und Alten zurückzubleiben.

»Seht meinen Sohn Sigurd!«, rief Harald. »Der tapfere Týr selbst könnte nicht mehr darauf brennen, heute mit uns zu kämpfen!« Harald legte Sigurd seinen kräftigen Arm um die Schultern und zog ihn an seine Brust, an die glänzenden Eisenringe des Brynja. »Ich schätze mich glücklich, dass all meine Söhne Wölfe sind. Sie verlangen nach dem Blut unserer Feinde!« Sigurd konnte den Met im Atem seines Vaters riechen. Ein Mann brauchte Met oder Bier in seinem Bauch, bevor er sich in den Eisensturm stürzte, sonst, das hatte Olaf ihm einst verraten, konnte allein die Vorstellung, wie sich Klingen in die Haut gruben, einen Mann um den Verstand bringen. »Schon bald wird auch dieser Junge mit uns kämpfen.«

Dann ließ der Jarl Sigurd los und richtete seinen Blick auf Asgot, den Godi, der sechs Thralls anschnauzte, die mit vereinten Kräften einen störrischen Ochsen zum Wasser zerrten. Der Godi war in Tierhäute gehüllt und hatte Knochen in sein langes, wolfsgraues Haar geflochten. Einige Frauen in seiner Nähe umklammerten ihre Bälger fester, als fürchteten sie, der Seher könnte sie ihnen für irgendwelche gräulichen Rituale entreißen.

»Den Allvater verlangt es nach Blut!«, schrie Harald. »Und wir werden ihn davon kosten lassen!«

Alle Augen richteten sich auf den Ochsen und auf den Godi, in dessen Hand jetzt eine Klinge aufblitzte.

Asgot erhob das Messer mit seiner knochigen Hand und reckte es gen Himmel. »Óðin, nimm dieses Opfer an. Gewähre uns deine Gunst, dann werden wir in deinem Namen das Meer mit dem Blut des Verräters rot färben.« Mit diesen Worten trat er hinter einen der Thralls, die den Ochsen hielten, schlang einen Arm um den Kopf des jungen Mannes, riss ihn zurück und schnitt ihm die Kehle durch. Blutroter Nebel sprühte wie Gischt.

Die Frauen keuchten entsetzt, als der Sklave auf die Knie fiel und seine Hand auf die klaffende, blutende Wunde presste. Haralds Krieger schlugen mit Speeren und Schwertern auf ihre Schilder, und der Ochse brüllte, als der Gestank von Blut in seine aufgeblähten Nüstern drang.

»Das war ein guter Thrall«, knurrte Sigmund in den Lärm. Männer schrien »Óðin!«, und der Thrall lag auf den Felsen, blutüberströmt, mit weit aufgerissenen Augen und rasselndem Atem.

»Das war er«, stimmte Jarl Harald ihm zu. »Aber die Vorzeichen standen schlecht. Heute möchte ich lieber auf Nummer sicher gehen, was die Gunst des Allvaters betrifft. Lass den Ochsen am Leben, Asgot!«, rief er und drehte sich zu seinem Sohn um. »Er soll ordentlich geschlachtet werden, Sigurd. Wir verzehren ihn bei unserer Siegesfeier.«

»Ja, Vater«, erwiderte Sigurd. Er beobachtete, wie der Godi den toten Thrall zum Meer schleppte. Das Blut des Jungen beschmierte die Felsen. Dann ließ Asgot den Leichnam in die Brandung fallen. Seine Gliedmaßen wurden hierhin und dorthin geschleudert, und sein bleiches Gesicht starrte in den Himmel. Die Augen waren ihm aus den Höhlen getreten, als wäre er immer noch überrascht über seinen Tod.

Asgot sah Harald und Sigurd an und zog die Zöpfe seines Bartes durch seine blutigen Hände. Dadurch schmierte er sich Blut in sein Haar, wodurch er noch wilder aussah. »Es ist nicht schlecht, vor einer Seeschlacht auch an Njørð zu denken«, sagte er. Harald nickte zustimmend und setzte seinen Helm auf, der selbst einen König mit Neid erfüllt hätte. Er war aus bestem Stahl geschmiedet und mit Platten aus poliertem Silber geschmückt, dazu gekrönt von einem hohen Kamm aus Bronze, der in einen Rabenkopf auslief. Der Schnabel der Kreatur teilte sich zu zwei dicken Augenbrauen aus Messing. Darunter fanden sich der Augen- und Nasenschutz. Beides ließ den Träger so aussehen, als wäre einer der Asen leibhaftig von Asgard hinabgestiegen. Sigurd hatte noch nie etwas Schöneres gesehen.

»Jeder, der mir an diesem Tag zur Seite steht, um den Wolf und den Raben zu füttern, ist mein Bruder!«, brüllte der Jarl.

Olaf hob seinen Speer. »Harald!«, schrie er. »Harald!« Mehr als einhundert Krieger nahmen den Ruf auf. »Harald! Harald!« Ihre lauten, rauen Stimmen weckten den neuen Tag und wurden bis zu den Göttern getragen, so wie der Ruf des Gjallarhorns den Beginn von Ragnarøk, der letzten Schlacht, ankündigt. Sigurd spürte, wie die Erregung sein Blut vibrieren ließ wie die Takelage eines Schiffs, durch die der Wind fährt.

»Viel Glück, Bruder!«, rief Sigurd Sigmund zu, der die Lederriemen seines Helmes unter seinem blonden Bart schloss.

»Ich werde dir heute Nacht alles erzählen, kleiner Bruder«, sagte er grinsend und drehte sich um, um mit den anderen an Bord der Reijnen, der Seeadler und der Kleiner Elch zu steigen. Harald und die fünf besten seiner Krieger nahmen ihre Positionen im Bug der Reijnen ein, der Rest setzte sich auf die Seekisten, die als Ruderbänke dienten. Dann wurden die Riemen aus Rottanne verteilt. Die Vertäuung wurde gelöst, und auf Befehl des Steuermannes der Reijnen, Thorald, stemmten die Männer an Backbord ihre Ruder gegen die Mole und drückten das Schiff vom Liegeplatz weg.

Jetzt traten auch die Frauen auf die Mole und riefen ihren Männern Lebewohl zu. Sie wünschten ihnen Glück, und einzelne ermahnten sie, vorsichtig zu sein. Die Männer murmelten ihre Antworten oder winkten und nickten nur, weil es ihnen unangenehm war, so von ihren Frauen aus der Gemeinschaft der Schwertbrüder herausgehoben zu werden.

In der Zeit, die es braucht, eine Klinge zu schärfen, waren alle drei Schiffe im tiefen Wasser und nahmen Kurs nach Osten, in den Skude-Fjord, der Sonne entgegen. Ihre Riemen wurden im Einklang durchs Wasser gezogen, denn es herrschte nicht genug Wind für die Segel. Außerdem wusste Harald, dass es nicht schlecht war, die Männer vor einem Kampf zu beschäftigen.

Eine Weile sahen die Menschen von Skudeneshavn ihnen nach. Viele berührten Thórs Hammer oder andere Amulette und Glücksbringer, die ihnen um den Hals hingen, und murmelten Gebete zu ihren Göttern, auf dass sie ihre Ehemänner, Väter und Söhne sicher von diesem Tag des Blutvergießens zurück nach Hause brachten.

»Ich komme mit dir, Sigurd.« Runa tauchte neben Sigurd auf, während er der Reijnen nachstarrte, als könne seine Willenskraft allein ihn über das Meer tragen und wie einen Raben auf dem Deck landen lassen, um dort neben seinen Brüdern Thorvald, Sørlie und Sigmund zu stehen.

»Hast du gehört, Bruder? Ich komme mit, um zuzusehen«, erklärte Runa.

Sigurd nickte ihr zu und wandte sich dann an Svein. »Wir müssen uns beeilen, sonst könnte es vorbei sein, bevor wir dort sind.«

Svein schüttelte den Kopf. »Ich habe Thorvald gebeten, keinen der Speichellecker dieser Kröte Randver zu töten, bis wir einen netten Ort mit guter Aussicht gefunden haben.«

Jemand pfiff, und sie drehten sich um. Aslak wartete bereits im hohen Gras auf der Klippe, von der aus man den Hafen überblicken konnte. Er hielt die Leinen der Ponys, die herbeizuholen Sigurd ihn gebeten hatte. Wie es aussah, hatte er eines zusätzlich mitgebracht.

»Ich habe ihm gesagt, dass ich mitkommen will«, kam Runa Sigurds Frage zuvor.

»Hab ich mir gleich gedacht.« Svein lächelte.

Sigurd war sich nicht sicher, ob es gut war, wenn seine jüngere Schwester sich mit ihnen die Schlacht ansah. Sie war erst vierzehn Jahre alt und noch zu jung für so etwas. Er wollte es ihr gerade sagen, als ihre Mutter, die zusammen mit den anderen Frauen die Mole verließ, nach Runa rief und sie aufforderte, mit ihr ins Dorf zurückzukehren.

Selbst nach fünf Kindern, von denen vier Jungs waren, war Grimhild noch immer eine große Schönheit, doch jetzt war ihr Gesicht so bekümmert vor Sorge, dass sie um Jahre gealtert schien.

»Runa!«, wiederholte sie. »Komm, Mädchen! Wir haben viel für die Rückkehr der Männer vorzubereiten.«

»Ich will mit Sigurd gehen!«, schrie Runa zurück. Sie hatte ihr blondes Haar zu zwei langen Zöpfen geflochten. Sigurd wusste, dass seine Schwester es genoss, ihr schönes Haar zu zeigen. In einem Jahr war sie im heiratsfähigen Alter und musste ihre Zöpfe bedecken. Doch auch wenn sie noch zu jung für die Ehe war, warfen die Männer ihr schon begehrliche Blicke zu.

»Du kommst mit mir nach Hause, Tochter!«, befahl Grimhild. Ihr Gesicht war gerötet vor Zorn über die Halsstarrigkeit ihrer Tochter.

»Lass sie mitkommen, Mutter«, sagte Sigurd. Plötzlich war er fest entschlossen, dass Runa sie begleiten sollte. Er hatte genug von den ewigen Bevormundungen der Erwachsenen. »Sie ist bei uns sicher.«

Grimhild runzelte die Stirn und Sigurd drehte sich zu Runa herum. »Geh einfach weiter«, zischte er. »Vor ihren Freundinnen wird sie dir keine Szene machen.«

»Es gibt viel Arbeit zu erledigen!«, protestierte ihre Mutter schwach. Aber Sigurd, der seiner Mutter die Schuld dafür gab, dass er nicht an Bord der Reijnen sein konnte, sah eine Möglichkeit, sich ihr zu widersetzen, und fasste Runa bei der Hand. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass sich das Gesicht ihrer Mutter verfinsterte, aber kein Donner rollte hinter ihnen her. Seine Aufsässigkeit war im Grunde kindisch, und sein Vater hätte ihn mit einer Ohrfeige gehörig zurechtgewiesen. Sigurd wusste es, und er schämte sich selbst deswegen, doch er stieg unbeirrt den mit Kies bestreuten Weg hinauf, wo Aslak mit den Ponys wartete.

»Danke«, sagte Runa, aber Sigurd erwiderte nichts. Er war in Gedanken bereits mit anderen Dingen beschäftigt, als er jetzt Aslak zunickte. Dann ritten die vier auf ihren Ponys nach Norden über den Küstenpfad bis hinauf nach Kopervik und noch weiter bis nach Avaldsnes. Irgendwo zwischen diesen beiden Siedlungen würden sie aufs Meer hinausblicken und die Flotten von König Gorm Biflindi und dem Rebellen Jarl Randver sehen, die an der zuvor vereinbarten Stelle aufeinandertreffen würden. Die Schiffe würden sich mit Seilen und Enterhaken ineinander verkeilen, und Männer mit Schilden würden sich an den Seiten drängen.

Auf dass das Töten beginnen konnte.

2

Als sie die Stelle schließlich erreichten, waren sie erhitzt und ihre Pferde schweißbedeckt. Die Sonne hatte den Zenit überschritten und stand jetzt am westlichen Himmel wie ein goldener Schild, tief unter dem mit Giebeln verzierten Dach von Walhall, Óðins Halle der Toten. Aslak sagte, es wäre ein guter Tag für einen Kampf.

»Aber nicht, wenn Pfeile aus dem Himmel regnen«, entgegnete Sigurd und verzog das Gesicht bei der Vorstellung, wie ein Geschoss, unsichtbar gegen den Sonnenglanz, sich in die Augenhöhle eines Mannes bohrte.

»Man muss einfach nur den Schild hoch und den Kopf unten halten«, warf Svein ein. Woraufhin Runa ihn mit spöttischem Lächeln fragte, ob er das vielleicht in den vielen Schlachten gelernt habe, in denen er gefochten hatte.

Aber Svein ließ sich nicht beirren. Er lächelte die drei anderen herablassend an. »Warte ab, wenn ich erst einmal im Skjaldborg gestanden habe, Runa« – und er stellte sich den Schildwall lebhaft vor – »die Skalden werden noch Jahrzehnte davon singen.« Er zupfte an seinem spärlichen Bart. »Und die Frauen werden erröten, wenn ich nur in ihre Nähe komme.«

»Wo wir gerade von Skalden reden, ich hatte eigentlich auch Hagal hier erwartet«, warf Aslak ein. »Es sieht ihm gar nicht ähnlich, einen solchen Kampf zu verpassen.«

Svein nickte. »Die Götter wissen, dass es für ihn wahrhaftig an der Zeit wäre, ein paar neue Fäden in seine Geschichten zu weben.«

»Warum sollte er sich hierher bemühen, wenn er es sich genauso gut ausdenken kann – behaglich im Schoß irgendeiner Thrall?«, warf Sigurd ein. Trotzdem, Aslak hatte recht mit seiner Äußerung. Es war ungewöhnlich, dass der Skalde darauf verzichtete, sich mit eigenen Augen die Entstehung eines neuen Heldenliedes anzusehen, das er in Hunderten von Met-Hallen im ganzen Land gegen klingende Münze vortragen konnte.

Sie waren die etwa fünfzehn Rast so schnell geritten, wie ihre Pferde es zuließen, und keiner der Karls, über deren Ländereien sie ritten, stellte sie zur Rede. Einige boten ihnen sogar Bier und Speisen an, und ein Bauer brachte ihnen Wasser für die Pferde. Die Männer wussten, wer Sigurd war, vor allem, wenn Svein sie daran erinnerte. Sie respektierten Jarl Harald und begriffen, dass Sigurd gekommen war, um zu sehen, wie sein Vater und König Gorm mit dem abtrünnigen Jarl Randver kurzen Prozess machten. Was im besten Fall bedeutete, dass er im Haugr landete, im düsteren Hügelgrab. Wenn nicht, landete er auf dem kalten Grund des Fjords, wo ihn die Krabben fraßen.

»Ich hoffe nur, dass diese Leute hier Biflindi zujubeln«, erklärte Aslak. Die vier aus Skudeneshavn waren nämlich nicht die Einzigen, die aus ganz Karmøy gekommen waren, um sich die Schlacht anzusehen.

»Sie wären jedenfalls gut beraten, es zu tun.« Sveins grollende Stimme war laut genug, dass eine kleine Gruppe von fünf jungen Männern in ihrer Nähe sie hören konnte. »Denn jeder, der diesem Schafsdreck Jarl Randver zujubelt, wird über die Klippe springen und sich wünschen, er wäre ein Vogel.« Er warf einen Kieselstein über den Felsrand. »Oder wenigstens ein Fisch.«

Es hatten sich etliche Gruppen hier eingefunden, aus Kopervik, südlich von König Gorms Festung bei Avaldsnes, und aus dem Osten von Åkra, zum Beispiel aus Ferkingstad und etlichen anderen Siedlungen. Sie alle wollten sich an dem Spektakel der Seeschlacht ergötzen. Und tatsächlich bot sich ihnen ein beeindruckender Anblick, als sie sich jetzt auf der Klippe vor dem Kiefern- und Birkenwäldchen versammelten. Sie hatten einen ungehinderten Blick auf die Karmsund-Enge, die Karmøy vom Festland trennte. Seit seiner Kindheit hatte Sigurd die Männer reden hören, der Donnergott Thór durchschreite jeden Morgen auf seinem Weg zu Yggdrasil, dem Baum des Lebens, diese Meerenge.

Morgen früh würde er durch Blut schreiten, dachte Sigurd.

Mit dem Bug nach Osten, dem Festland zugewandt, rauschten die Reijnen, die Seeadler unddie Kleiner Elch jetzt unter vollen Segeln durch die Fluten. Auf ihren Ruderbänken drängten sich die Krieger mit funkelnden Klingen, während die Steuerleute und die wenigen Seeleute an Bord versuchten, sie in eine Reihe mit König Gorms sieben Drachenbooten zu manövrieren. Es war eine langwierige, mühsame Arbeit. Das laue Lüftchen, das wehte, mussten die Seeleute geschickt mit ihren Segeln einfangen. Doch genau aus diesem Grund hatten sich beide Seiten auf den heutigen Tag geeinigt, da man wusste, dass das Wasser in der Meerenge ruhig und glatt sein würde.

»Selbst ein Furz von Wind kann eine Seeschlacht nahezu unmöglich machen«, hatte Harald Sigurd einmal erzählt. »Die Möglichkeit, die Boote bei Wind oder einer starken Strömung längsseits zu bringen und aneinander zu binden, ist genauso groß, wie dein Eheweib dazu zu bringen, Arsch an Arsch neben einer hübschen jungen Thrall zu sitzen.«

Trotzdem, der Schildschüttler und Jarl Harald würden mehr als nur einen windstillen Tag und eine schlafende See brauchen, um hier einen Sieg zu erringen. Sigurd suchte auf den Rebellenschiffen nach Anzeichen, dass Randver ein dahergelaufener Lump war, der nicht wusste, auf was er sich da eingelassen hatte, aber er fand keine. Die Schiffe sahen sauber und ordentlich aus, und seine Leute wirkten kampfbereit und wild entschlossen.

»Jetzt begreife ich, warum Jarl Randver bereit war, im Schatten von Avaldsnes zu kämpfen«, erklärte Sigurd. Jeder wusste, dass oft die den Sieg davontrugen, die näher an ihrem heimatlichen Hafen kämpften. »Für einen aufsässigen, ehrgeizigen Jarl hat er ziemlich viele Schiffe. Vielleicht hat der Mann doch mehr Mumm, als man ihm zubilligt.«

»Ja, er hat die Schiffe, aber versteht er auch, Gebrauch davon zu machen?«, fragte Svein zurück. Doch nicht einmal er mochte abstreiten, dass sechs Schiffe erheblich mehr waren, als sie bei einem Aufstand gegen den König erwartet hatten. Vier der Schiffe waren ebenso so groß wie die Reijnen.

»Dieser Ziegenschiss hat mehr Geld und Männer als dein Vater.« Aslak äußerte laut, was sie alle dachten, während er unwillkürlich Thórs eisernen Hammer am Band um seinen Hals betastete. »Die Raubzüge von letztem Jahr haben seine Truhen mit Silber und seinen Kopf mit Ehrgeiz gefüllt.«

»Trotzdem werden auch sechs Schiffe nicht reichen.« Sigurd sah seine Schwester an, die einen zunehmend ängstlichen Eindruck machte. »Der Schildschüttler hat viele Seeschlachten gefochten. Er wäre nicht König, hätte er nicht die meisten, wenn nicht sogar alle gewonnen. Und meinem Vater ist die See gewogen und er besitzt das Talent des Allvaters für den Krieg.«

Die anderen murmelten zustimmend, und Sigurd sah, wie Runa das silberne Freyja-Amulett umklammerte, das sie um den Hals hängen hatte.

Da Jarl Randver zahlenmäßig unterlegen war, erwarteten alle, dass er seine Schiffe längsseits aneinanderbinden würde, um auf diese Weise ein großes Floß zu bilden, und dann auf einen Angriff wartete. Diese Taktik erlaubte, wie Sigurd wusste, eine größere Anzahl von Kämpfern auf kleinem Raum zu konzentrieren und von einem Boot zum anderen zu springen, sobald man irgendwo einen Vorteil erkämpft hatte. Doch stattdessen ruderten Randvers Schiffe mit gerefften Segeln, gerade noch in Rufweite voneinander entfernt, durch die Enge, während Harald seine drei Schiffe zusammengezogen hatte, wie ein Mann, der seine Hunde an die Leine nimmt. Seine Leute waren mit Haken und Tauen beschäftigt.

»Dein Vater macht ein Floß.« Sveins Tonfall und Aslaks Miene machten klar, dass sie angesichts der Lage Haralds Taktik sonderbar fanden.

»Warum macht er das, Sigurd?« Runa war ganz offensichtlich von den finsteren Mienen ihrer Freunde beunruhigt.

Eine Weile beobachtete Sigurd die Schiffe seines Vaters, bis er plötzlich grinste. »Weil er all das schon einmal gemacht hat und die Gezeiten genau kennt«, erwiderte er. Erst als er sich in Haralds Lage versetzt hatte, war ihm die Antwort gekommen, so hell wie eine Makrele an der Angel, die dicht unter der Oberfläche funkelt. »Da die Schiffe des Königs weiter entfernt dort drüben warten, sind die Seeadler und die Kleiner Elch angreifbar. Wären sie getrennt weitergesegelt, hätten Randvers Schiffe sie abgedrängt, wie Wölfe, die einem Reh nachstellen, und hätten sie geentert. Wenn Vater sie mit der Reijnen zusammenbindet, macht er sich einen schwimmenden Stützpunkt, den er leicht verteidigen kann. Er wird die Rebellen anlocken wie Krähen, denen man einen fleischigen Knochen hinlegt, und dann greift der König an.« Sein Blut erhitzte sich bei diesem Gedanken. »Gemeinsam werden sie diesen räudigen Köter zur Strecke bringen und jedes seiner Schiffe erbeuten.«

Svein und Aslak nickten und grinsten über die Klugheit ihres Jarls. Doch in Sigurds Bauch machte sich ein ungutes Gefühl breit. Denn wenn sein Vater seine drei Schiffe erst einmal zusammengebunden hatte und sie umzingelt wurden, war es in dem Tumult nicht leicht, sie wieder zu trennen und davonzusegeln, um sich in Sicherheit zu bringen, wenn die Sache schlecht lief.

Trotzdem, der Schildschüttler hatte sieben Schiffe zur Verfügung, und wenn alles mit rechten Dingen zuging, hätte er allein mit diesen Schiffen Randvers sechs Drachenboote besiegen müssen, selbst wenn Jarl Harald an diesem Morgen in seiner Halle geblieben wäre. Sigurd klammerte sich an diesen Gedanken, während er die beiden Flotten beobachtete, die sich wie Spielsteine auf einem Tafl-Brett aufgestellt hatten.

»Jarls sind gut beim Hnefatafl«, sagte er leise, »aber Könige sind noch besser.« Es würde gut ausgehen, und die Rebellen würden sich entweder ergeben oder sterben.

König Gorms Männer jubelten und brachten sich in Stimmung für das bevorstehende Gemetzel. Der Lärm ihres Gebrülls drang herauf bis zu den versammelten Schaulustigen am Rand der Klippe. Sigurd und die anderen hatten die Arme um Birkenstämme geschlungen, die gefährlich schräg auf dem steilen Hang wurzelten. Unter ihnen, kaum einen Steinwurf entfernt, stand eine Gruppe Fischer auf dem Kiesstrand. Sie blickten auf das Meer hinaus, ebenso gebannt wie alle anderen. Sigurd vermutete, dass sie draußen in der Enge gewesen waren, als sie die beiden herannahenden Flotten bemerkten. Er konnte sich gut vorstellen, wie diese Männer auf ihren kleinen Schiffen geflucht hatten. Jedenfalls hatten sie ihre Boote eingeholt, die jetzt auf dem Kies lagen, denn ans Fischen war nicht mehr zu denken.

Fünf Langschiffe von König Gorm, einschließlich sein eigenes, die Hríð-Visundr, der »Sturm-Bison«, gingen jetzt in einer Reihe backbord von Jarl Haralds Schiffen in Stellung. Zwei andere Schiffe segelten um das Heck der Reijnen herum, um Haralds Steuerbordseite zu schützen.

»Du hattest recht, Sigurd. Dein Vater hat vor, sie anzulocken und den Kampf zu beginnen«, erklärte Aslak. »Hoffentlich schluckt Randver den Köder.« Er verhakte seine Zeigefinger, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Und wenn sie dann von Gorms Schiffen geentert werden und der Kampf so richtig tobt, werden die beiden andern eingreifen, Randvers Schiffe wie Mühlsteine in die Mitte nehmen und den Verräter wie eine Laus zerquetschen.«

Sigurd nickte, denn Aslak sah das ganz richtig. »Es ist ein guter Plan«, sagte er.

Und sein Vater hatte die Ehre, als Erster das Blut des Feindes zu vergießen, wofür ihn König Gorm hinterher zweifellos belohnen würde. Loyale Männer verdienten sich an solchen Tagen viel Silber.

»Da kommen sie!«, schrie einer der jüngeren Männer, die mit ihnen auf der Klippe standen. Vielleicht war sein eigener Vater an Bord eines der Schiffe des Königs. In dem Fall war sein Magen zweifellos genauso verkrampft wie der von Sigurd.

ENDE DER LESEPROBE