Raven - Odins Wölfe - Giles Kristian - E-Book
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Raven - Odins Wölfe E-Book

Giles Kristian

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Beschreibung

Raven und seine Wikingerkrieger haben gelitten. Gute Männer sind den Schlachtentod gestorben, hart erkämpfte Reichtümer sind wieder verloren. Aber für die Nordmänner gibt es etwas, das für sie wertvoller ist als alles Gold und Geschmeide dieser Welt – Ruhm! Und so segeln die eingeschworenen Kämpfer nach Konstantinopel, jener sagenumwobenen Stadt, die sie Miklagard nennen. Auf ihrer Reise von den windgepeitschten Marschen der Camargue zu den Resten dessterbenden Roms müssen sie sich n neuen Gefahren und Kämpfen stellen: Der Weg zu Gold und Ehre ist mit Blut gepflastert …

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ZUM BUCH

Es ist eine finstere Sache, die leeren

Ruderbänke zu sehen, während sich der Himmel im Süden

Rot färbt vom Blut der Männer.

Die Walküren steigen herab und gehen auf die Jagd,

Denn immer noch singen die Helden des Schwerts

Ihr Kampflied, einst wie jetzt.

Ravens Saga

ZUM AUTOR

Seine norwegische Herkunft und die Werke von Bernard Cornwell inspirierten Giles Kristian dazu, historische Romane zu schreiben. Um seine ersten Bücher finanzieren zu können, arbeitete er unter anderem als Werbetexter, Sänger und Schauspieler. Doch Kristians Herz schlägt für die Welt der Wikinger. Mit seinen Trilogien um Sigurd und Raven wurde Giles Kristian zum Bestseller-Autor und kann sich ganz dem Schreiben widmen. Mehr Informationen zum Autor finden Sie unter www.gileskristian.com

LIEFERBARE TITEL

Götter der Rache

Winterblut

Sturm des Todes

Raven – Blutauge

Raven – Söhne des Donners

GILESKRISTIAN

RAVEN

ODINS WÖLFE

Roman

Aus dem Englischen

von Wolfgang Thon

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe Raven: ODIN’S WOLVES erschien 2011 bei Bantam Press/Transworld Publishers, London
Copyright © 2011 by Giles Kristian Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Redaktion: Heiko Arntz Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung des Originalartworks von © CollaborationJS

Óðins Wölfe widme ich meiner Schwester Jackie. Sie war immer ein goldener Faden im Gewebe meines Lebens.

Es ist eine finstere Sache, die leeren

Ruderbänke zu sehen, während sich der Himmel im Süden

Rot färbt vom Blut der Männer.

Die Walküren steigen herab und gehen auf die Jagd,

Denn immer noch singen die Helden des Schwerts

Ihr Kampflied, einst wie jetzt.

Ravens Saga

PROLOG

Ihr seid erneut gekommen, und wieder sind ein paar neue Gesichter meinem Ruf gefolgt. Ihr seid durch diesen dichten Pelz aus Schnee da draußen gestapft, um euch noch mehr Erinnerungen eines alten Mannes anzuhören. Und das nur, weil ihr selbst nie etwas Erinnerungswürdiges getan habt. Ihr vegetiert dahin wie die Ziegen und Pferde, die in diesem Moment vor Furcht in euren Herden zittern, während der schreckliche Schneesturm da draußen in der Dunkelheit wütet. Fimbulvetr hat begonnen, merkt euch meine Worte! Dies hier ist der erste von drei schrecklichen Wintern, die dem Ende aller Tage und dem Untergang der Götter vorausgehen. Und doch habt ihr euch nasse Stiefel geholt, ihr seid aus euren warmen Pelzen gekrochen und zupft euch die Eisklumpen aus den Bärten. Ihr seid in diese uralte Halle gekommen und reibt euch die Hände wie raffgierige griechische Händler. Ihr seid hier, um von Blutvergießen zu hören, streitet es nicht ab. Ihr seid hier, wegen der Kämpfe und des Todes, weil ihr glaubt, Ruhm läge in solchen Geschichten. Die Schuld daran trage ich, fürchte ich, weil ich zwar die Skalden und ihre Lügen verabscheue, aber dennoch zu viele goldene Fäden in meine Geschichten webe und nicht genug kalte Wahrheit. Ein Mann, der bei lebendigem Leib verfault und den Gestank von ranzigem Eiter verströmt – das ist die Wahrheit! Einen blutüberströmten Ruderkameraden dabei beobachten, wie er versucht, sich seine Eingeweide wieder in den aufgeschlitzten Bauch zu stopfen – das ist die Wahrheit! Vielleicht sollte ich mehr von diesen Dingen reden, damit ihr einen Geschmack davon bekommt, wie es wirklich ist. Vielleicht sollte ich weniger Honig in das Blut mischen.

Dennoch, ich halte daran fest: Wenn ein Jarl im Frühling hier auftaucht und nach Männern sucht, die für ihn rudern, strömt ihr Frischlinge und Flaumbärte hinunter zum Steg, werft euch in die Brust und lasst die Muskeln auf euren unvernarbten Armen spielen. Jünglingen wie euch ist es nicht bestimmt, Abfälle zu den Schweinen zu tragen und den ganzen Tag den Pflug zu ziehen. Das ist eine Verschwendung von guten Schultern – Ruderschultern. Packt ihr nur eure Seekisten! Küsst eure Mütter zärtlich zum Abschied und sagt euren Vätern, ihr brächtet ihnen genug Silber mit, dass sie sich nicht mehr zusammen mit den Thralls den Rücken krumm schuften müssen. Segelt aufs Meer hinaus und seht euch die Welt an. Stellt euch an den Bug und fühlt die salzige Gischt auf euren Gesichtern. Ich sage euch, das ist das beste Gefühl, das ihr jemals erleben werdet.

Und lernt kämpfen. Ein Mann, der andere Männer fürchtet, weil er nicht weiß, wie er für sich selbst eintreten soll, ist ein Neiding. Zudem lieben die Götter Mut, was nicht heißt, dass sie euch einen entsetzlichen Tod ersparen würden, wenn euer Wyrd ihn für euch vorgesehen hat. Aber ich habe lange genug gelebt, um etwas über das Schicksal der Menschen zu lernen. Ein Wyrd ähnelt einem großen schweren Haufen von Holzscheiten, die an das Haus eines Mannes gestapelt sind. Unten im Stapel sind die Schichten, die vor Jahren dort hingelegt wurden, damit sie trocknen. An die kommt ihr nicht so leicht heran, ohne euch die Finger zu klemmen oder aber den ganzen Stapel einzureißen. Ebenso wenig könnt ihr den ganzen Holzstoß gleichzeitig von einem Ort zum anderen tragen. Habt ihr ein Leben geführt, ohne die Sagengeschichten zu respektieren, werdet ihr zurückgelassen und feststellen, dass euer Wyrd viel zu groß und schwer geworden ist, um ihn zu bewegen. Ihr werdet wahrscheinlich den Strohtod sterben oder von einer Klippe stürzen oder miterleben, wie euer Fleisch irgendeiner Fäulnis anheimfällt. Seid ihr aber Männer, die ein großes Feuer hinter sich zurücklassen wollen, wenn sie die Regenbogenbrücke überqueren, dann könnt ihr durch große Taten oder einen mutigen Akt die jüngeren Schichten bewegen und so den Nornen trotzen, die es lieben, den Männern ein armseliges Ende zu weben. Trotzdem, das Schicksal mancher Männer ist mit dem anderer verwoben, und auch ein solcher Wyrd kann noch zu schwer sein. Also könnt ihr nichts anderes tun, als zu kämpfen, mit ganzer Kraft, wann immer ein übler Tod sich an euch heranschleicht.

Ich habe meinen Holzhaufen öfter bewegt, als ich mich erinnern kann. Ich habe mein ganzes Leben lang die Fäden meines Wyrd aufgelöst und sehe keinen Grund, jetzt damit aufzuhören. Weshalb die alten Scharniere meiner Seekiste in letzter Zeit wie eine gefangene Maus gequietscht haben, wie ihr alle sehr wohl wisst. Ich habe etliche eurer Söhne und Frischlinge hinaus in die Welt geschickt, ebenso wie fünf meiner eigenen Thralls, die ohnehin nahezu nutzlos sind und besser daran tun, mir nicht in die Quere zu kommen. Denn ich habe nicht so lange gelebt und so viele Kämpfe überstanden, dass ich jetzt im Schlaf sterben möchte. Dafür warten zu viele Freunde und Ruderkameraden in der Halle des Allvaters auf mich. Obwohl ich manchmal fürchte, dass sie mich nach all der langen Zeit nicht mehr erkennen, mit meinem weißen Haar und meinem gebrechlichen Körper. Jahrelang habe ich die Hoffnung genährt, dass einige meiner Feinde noch leben. Und, bei den Göttern, genug Feinde habe ich mir gewiss gemacht! Ganz sicher sind da draußen noch welche, denen ich Blutgeld schulde. Das habe ich oft genug im Dunkeln geflüstert, und eure Söhne werden gutes Silber verdienen, wenn sie nach ihnen suchen, und noch mehr Silber, wenn sie meine Herausforderung in die Ohren dieser Hurensöhne spucken.

Es gibt Gerüchte im Dorf, die hier und da herumschwirren wie Motten, dass einer oder sogar mehrere kommen. Raue Männer, die wissen, dass mein Tod ihren Ruf schwellen lässt wie den aufgeblähten Bauch einer Leiche. Dafür danke ich dem alten Einauge, denn Er ist es, der den Blasebalg pumpt, der die Ruhmsucht in der Brust der Männer anfacht.

»Sie kommen, um Raven zu holen«, raunen die Männer in ihre Methörner, während ihre Blicke unruhig umherschweifen.

Wohlan, sage ich, dann lasst sie kommen.

1

Wir waren einundsiebzig Krieger und eine so bunt zusammengewürfelte Rudermannschaft, wie sie nie zuvor das Meer durchpflügt hatte. Nordmänner, Dänen und Engländer – Männer, die sich für gewöhnlich hinter Schildwällen gegenüberstanden. Sie saßen jetzt nebeneinander auf ihren Seekisten, teilten sich unter den Sternen den engen Raumzwischen den Spanten und zogen gemeinsam an den Fichtenriemen, auf dass sie wie die Schwingen eines Adlers schlugen und unser Bug die Wogen durchschnitt. Zu allem Überfluss hatten wir auch einen Mönch und eine Frau dabei, obwohl ein Mönch an Bord eines Langschiffes in etwa so nützlich ist wie ein Loch in einem Schild. Trotzdem, Pater Egfrith war ein guter Mann, auch wenn er der närrischen Hoffnung nachhing, uns die alten Götter austreiben zu können. Und was die Frau anging, ach, sie war Cynethryth, die wunderschöne Cynethryth, und das genügte.

Sieben Wochen hatte sich Jørmungand, die Bugfigur der Seeschlange, den Weg ins Ungewisse gebahnt, entlang der fränkischen Küste. Dann, nach einer langen Fahrt nach Süden, waren wir in westlicher Richtung über das Dunkle Meer gesegelt, entlang des Gestades eines trostlosen steinigen Landes, aus dem zerklüftete baumlose und von Felsbrocken übersäte Berge in den Himmel hinaufragten. Diese verlassene Küste war von steinigen, zumeist von steilen Klippen überragten Buchten durchbrochen, an deren Fuß sich gewaltige Wellen brachen. Wir waren nur selten an Land gegangen, aus Angst, uns den Rumpf aufzuschlagen.

Jetzt durchpflügten wir die See wieder Richtung Süden. Auf der Steuerbordseite erstreckte sich das schwarze Wasser nach Westen, so weit wir sehen konnten. Wer wusste schon, was uns in dieser Richtung erwartete? Wir hielten uns so dicht an der Küste, wie wir es wagen konnten, denn wir waren dem Zorn eines mächtigen Reichs entkommen und konnten von Glück reden, dass wir noch die Haut auf dem Rücken und Blut in den Adern hatten. Drei weitere Schiffe folgten in unserem Kielwasser: Sigurds zweites Schiff, die Fjord-Elch, und die beiden noch seetüchtigen dänischen Schiffe, schlanke, schnelle Schniggen, die Wellen-Hengst und die See-Pfeil. Wir waren den Franken entkommen und dem Tod, dafür jedoch hatten wir unseren Silberschatz verloren. Der hatte so hell gestrahlt und geglitzert, dass vielleicht die Götter in Asgard neidisch geworden waren und beschlossen hatten, auf unseren Ruhm zu pissen. Ich habe wahrlich gelernt, dass dies die Art der Götter ist. Sie sind launisch und grausam, verleiten dich zu Taten, die es wert sind, in einem Skaldenlied besungen zu werden, und dann geben sie dir vor den Augen aller einen Tritt in den Arsch. Vielleicht lieben sie uns ja gar nicht, sondern beobachten nur Kette und Schuss unseres kleinen Lebens und lassen sich ab und zu herab, einen Faden zu zerschneiden oder hinzuzuknüpfen, um sich die Zeit zu vertreiben, von der sie wahrlich mehr als genug haben. Doch selbst wenn die Götter uns nicht lieben, lieben sie doch das Chaos. Und wo es Chaos gibt, gibt es Kriege und Schwerter, Speere und Schilde. Dort gibt es Blut, Schmerz und Tod.

Also segelten wir jetzt nach Miklagard, der Großen Stadt. Denn auch wenn wir unseren Fáfnir-Schatz verloren hatten, waren wir immer noch Krieger, und man sagte, in Miklagard seien selbst die Häuser aus Gold. Außerdem gelüstete uns nach noch größerer Beute. Ich konnte die Gier in den Blicken der Männer sehen. Sie spiegelte sich in dem Glanz ihrer polierten Kriegswaffen, den Helmen, den Schildbuckeln und den Axtköpfen. Diese größere Beute ist der Ruhm. Sie ist das Fleisch in den Liedern der Skalden, an dem sich Männer und Frauen gütlich tun, wenn sie um die Herde sitzen und der Wind an die Tür der Halle hämmert. Ruhm ist die einzige Beute, die einem niemals geraubt werden kann.

Diesen Ruhm würden wir in Miklagard finden.

»Das ist keine Art zu sterben.« Penda schüttelte den Kopf. Das Segel blähte sich im Wind, der von achtern kam. Die meisten von uns hatten sich Pelze um die Schultern geworfen, denn dieser Wind hatte eisige Finger, und wir ruderten nicht. »Es muss schmerzen wie die Feuer des Teufels«, murmelte der Wessexmann und verzog das Gesicht.

»Besteht denn keine Hoffnung für ihn?« Ich stellte die Frage, obwohl ich die Antwort kannte.

»Es hätte vielleicht Hoffnung gegeben«, erwiderte Penda, »wenn sie die Wunde noch einmal aufgemacht und den Eiter ausgewaschen hätten. Aber jetzt?« Er schüttelte noch einmal den Kopf. »Der arme Kerl hat vielleicht noch ein paar Tage, und selbst die werden hart für ihn werden.«

Halldor stand am Bug der Seeschlange und blickte hinaus aufs Meer. Ich vermutete, er tat es aus Scham. Ein fränkischer Speer hatte ihm das halbe Gesicht weggerissen, und obwohl unser Godi Asgot es wieder zusammengenäht hatte, hatte der Wundbrand eingesetzt, und das Gesicht des Nordmanns war aufgeschwollen wie eine Blase voll saurer Milch, sodass man nicht einmal sein rechtes Auge sehen konnte. Stinkender gelber Eiter sickerte aus den Löchern der Stiche heraus, die jeden Moment zu reißen drohten. Ich konnte mir nicht einmal ausmalen, wie schmerzhaft das sein musste. Schon am Tag zuvor hatte ich die grünliche Färbung der geschwollenen Haut bemerkt. Wir alle wussten, dass Halldor ein toter Mann war.

»Ich würde nicht länger warten, wenn ich an seiner Stelle wäre.« Penda zog sein Messer aus der Scheide und prüfte die Schneide mit dem Daumennagel. »Es gibt immer ein Stück Tau und einen Stein«, erklärte er nüchtern und deutete mit dem Messer auf den Ballast der Seeschlange.

»Und dann in Hel frieren bis Ragnarøk?« Ich schüttelte den Kopf. »Kein Nordmann würde sich für den nassen Tod entscheiden«, sagte ich, und es überlief mich kalt bei dem Gedanken. Denn für einen Ertrunkenen gibt es kein Walhall, sondern nur Eis und die steifen schwarzen Leichen all jener, die an Altersschwäche oder Krankheit gestorben sind. Außerdem gibt es dort unten einen riesigen Hund namens Garm, der einem die gefrorenen Knochen zerbeißt, um das Mark auszusaugen. »Der schwarze Floki wird es tun«, sagte ich. »Wenn es so weit ist.« Eine heulende Bö spritzte kalte Gischt über das Deck und traf linksseitig auf das Segel, das wütend knallte.

»Dann lieber früher als später«, knurrte Penda und schob seinen Dolch mit einem zufriedenen Nicken in die Scheide. Auf dem Meer musste man aufpassen, dass man seine Klingen nicht aus Langeweile zu sehr schärfte.

»Ich glaube, er sammelt Erinnerungen, um sie mitzunehmen«, sagte ich und atmete tief die kalte Seeluft ein. Sie duftete nach dem mit Pech getränkten geflochtenen Pferdehaar zwischen den Planken der Seeschlange. »Dort, wohin er geht, will er sich gewiss daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, die Wogen des Meeres zu reiten.« Ich beobachtete Halldor, der einen Metschlauch an seine verzerrten Lippen setzte, um den Schmerz zu betäuben.

»Haben deine tiefschürfenden Gedanken zu etwas geführt, Junge?«, brummte Bram der Bär, als er mit schweren Schritten zur Reling der Seeschlange ging, wo er die Hose herunterzog und über die Relingsplanke pisste. »Ich will wissen, wie du mir das, was du mir schuldest, zurückzahlen willst, du Sohn einer räudigen Ziege. Und ich bin nicht der Einzige.«

Ich seufzte, denn ich wusste, dass man mir diese Sache immer wieder vorhalten würde, so unaufhörlich wie Wellen, die an den Strand schlagen. Denn ich hatte unser Silber geopfert, um die Franken abzuschütteln. Sie hatten sich tatsächlich entschieden, lieber den Schatz einzusammeln, als uns zu verfolgen. Das war gut so gewesen, denn sie waren uns fünf zu eins überlegen und wir so erschöpft gewesen wie ein Nordmann in einem Nonnenkloster.

»Im Gegenteil, du schuldest mir etwas, Bär«, gab ich zurück. »Weil ich dir deinen pelzigen Arsch gerettet habe. Wäre ich nicht gewesen, hätte ihn längst ein Franke an seine Haustür genagelt.«

»Pah!« Er wischte meine Worte weg, als wären es Mücken. »Es braucht schon mehr als ein paar furzende Franken, um mich zu erledigen, Junge.« Dann deutete er mit einem Nicken auf Halldor und zupfte sich nachdenklich am Bart, während der Wind seine Pisse verwehte. »Wenn er seinen Schild hochgehalten hätte … oder seinen Kopf unten, müsste er jetzt nicht seine Seekiste für die dunkle Reise packen.« Er schüttelte sich, zog seine Hose hoch und drehte sich um. »Und nein«, er deutete mit einem dicken Finger auf mich. »Du stehst in meiner Schuld, Raven, und es gefällt mir gar nicht, um mein Silber erleichtert worden zu sein.« Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Penda grinste, was bedeutete, dass er allmählich einige Brocken Nordisch verstand. Was es mir ersparte, alles für ihn zu übersetzen.

»Wofür brauchst du überhaupt Silber?«, erkundigte ich mich. »Du kannst Silber nicht trinken. Und ich sehe hier auch nicht allzu viele große Schänken, in denen du es ausgeben könntest.« Ich kratzte mich am Kinn und runzelte die Stirn. »Ich frage mich sogar, ob du es überhaupt bis nach Miklagard schaffst. Schließlich bist du schon älter als die Sterne, und es ist noch ziemlich weit bis zur Großen Stadt.« Einige Nordmänner lachten über meine Worte, aber Bram musterte mich finster wie ein Draugr, der aus seinem Grabhügel gezerrt worden war.

»Roll deine Zunge lieber wieder ein, Welpe«, brummte er, »sonst schneidet Bram sie dir auf deine Größe zurecht.« Er klopfte auf das Messer an seiner Hüfte. »Älter als die Sterne? Du großmäuliger Zwerg! Hej, Svein, hast du das gehört?«

»Raven hat den Nagel auf den Kopf getroffen, Bram.« Svein musterte seinen Freund stirnrunzelnd. »Du siehst wirklich in letzter Zeit ziemlich alt aus.«

»Du Sohn eines Trollweibs!«, brummte Bram. »Ich scheiß dir heute in den Bart, wenn du schläfst, Rotschopf!« Svein lächelte nur über seine Drohung. »Und was dich angeht, Zwerg«, warnte der Bär mich, »du kannst von Glück reden, wenn du den nächsten Sommer noch erlebst, wenn du nicht schnell lernst, deine Herren zu respektieren.« Sein Bart flatterte im Wind. »Denk einfach an das Silber, das du uns schuldest, Raven!«, rief er laut. Das brachte ihm ein paar »Hejs« und mürrisches Gemurmel ein, und seine Augen funkelten. »Kein Mann mag es, wenn er um sein Silber gebracht wird.« Selbst Svein nickte bei diesen Worten.

Ich seufzte erneut.

Aber schon bald machten wir uns über Yrsa Schweinsnase lustig, weil der einen dicken roten Pickel an seinem Mundwinkel hatte. Nach Yrsa bekam der Wessexmann Baldred unseren Spott zu spüren. Denn er hatte die Scheißerei und hatte sich den nächstbesten Eimer geschnappt, der aber zufällig einer unserer Frischwasserkübel war.

Wir zankten uns, weil wir nervös waren. Selbst ich war mittlerweile lange genug zur See gefahren, um einen Sturm in der Luft zu riechen. Und es kam einer auf uns zu, streckte bereits seine langen Finger nach uns aus. Ich hatte es zuerst bemerkt, als sich das hellblaue Wasser dunkel verfärbte, an Stellen, wo die Strömung und der Wind sich um die Richtung stritten, in die die Wellen sich bewegen sollten. Dann hatte der Wind die Gischt von diesen Wellen durch die Luft gepeitscht, der Bug der Seeschlange fing an zu schwingen, und die Refftaue schlugen gegen das Segel. Jetzt redeten wir zu viel und versuchten uns einzureden, es wäre nur eine kleine Bö, die sich schon bald wieder legen würde. In Wahrheit jedoch hatten wir Angst. Ich glaube, der einzige Mann an Bord, der keine Angst hatte, war Halldor, weil der bereits ein toter Mann war. Andererseits wollte nicht einmal Halldor ersaufen.

Ulfbert fluchte, als ein Windstoß ihm die Bärenfellmütze vom Kopf riss und sie einen halben Steinwurf weit davontrug, bevor sie in einem Wellental landete.

»Was hältst du davon, Onkel?«, rief Sigurd vom Heck, wo er mit Knut am Ruder stand. Olaf hatte Osk und Hedin befohlen nachzusehen, ob unsere Ladung sicher vertäut war. Jetzt senkten er und Bothvar die Rah, um danach das Segel reffen zu können.

»Ich glaube, dass diese Küste gefährlich ist«, antwortete Olaf, während er geübt das Tau einholte. »Ich glaube, dass diese Wasser schon Männer und Boote verschlungen haben, bevor sich der Allvater eines Bartes rühmen konnte. Ich glaube auch, dass mein Großvater recht hatte, wenn er sagte, es wäre klüger, zu früh die Segel zu reffen als zu spät.«

Sigurd nickte und betrachtete skeptisch die dunkelviolette Wolke, die sich im Nordosten aufblähte und mit unnatürlicher Hast in unsere Richtung zog. Ich stellte mir vor, es wäre die blanke Wut des Kaisers Karolus, der gekommen war, um uns zu zerschmettern. »Trotzdem, Onkel, wenn wir auf See bleiben, wird Rán ihren Spaß mit uns haben.«

»Ja, sie hat schlechte Laune«, gab Olaf zu und blickte zur Rah hoch, als er sie etwa eine Manneslänge von der Mastspitze herabsenkte.

Sigurd besprach sich mit Knut, der sich mit der freien Hand durch seinen langen Bart fuhr und finster etwas antwortete. Sigurd nickte, als er sich entschieden hatte. »Wir segeln in eine Bucht und suchen nach einem Ankerplatz!« Olaf nickte wenig begeistert bei diesen Worten. Dann gab Sigurd Osten ein Zeichen, der das Horn vom Gürtel nahm und drei lange, tiefe Töne blies. Das war das Signal an die anderen Schiffe, dass wir Kurs auf die Küste nahmen. Ich sah, wie die Männer der Fjord-Elch, der Wellen-Hengst und der See-Pfeil ebenfalls ihre Vorbereitungen trafen. Einige gingen mit Lotleinen an den Bug, andere blickten über die Seiten in die Tiefe und suchten nach Felsen oder Sandbänken. Einer der Dänen kletterte sogar den Mast der See-Pfeil hoch, um besser sehen zu können, was sich unter den Wellen befand. Bei diesem Seegang war das ziemlich mutig.

Knut bediente das Ruder und gab Olaf Informationen, die dieser brüllend an die Leute weitergab, die im Segel arbeiteten. Ich war froh, dass mein Leben in ihren Händen lag, denn es gab wohl keine besseren Seeleute als diese Männer. Der Steuermann wendete Jørmungand, unseren Bug, in eine Welle, und wir nahmen sie gut. Aber ich wusste, dass diese Welle nur ein Vorgeschmack auf das war, was uns bevorstand, und ich berührte unwillkürlich das Óðin-Amulett an meinem Hals. Der alte Asgot wühlte unter den Häuten herum, mit denen wir den Frachtraum der Seeschlange abgedeckt hatten. Nach einer Weile kam er mit einem prachtvollen Trinkhorn zurück, das mit Silberbändern eingefasst und auf Hochglanz poliert war. Es war ein Jarlshorn, und vielleicht verzog Sigurd deshalb das Gesicht, als der alte Godi es als Opfer an Njørð über Bord warf. Aber selbst Sigurd wusste, dass es klug war, den Göttern etwas Kostbares zu geben. Er nahm eine Handvoll Silbermünzen aus seiner kleinen Tasche und verteilte sie in dem wogenden schwarzen Wasser. Damit versuchte er Rán, die Mutter der Wellen, friedlich zu stimmen, damit sie uns nicht in die Tiefe zu ziehen versuchte, um an all die glitzernden Dinge in unseren Seekisten zu kommen.

Plötzlich kam es mir vor, als wären wir von einer unsichtbaren Wand getroffen worden, denn die Seeschlange schwankte und rollte, ihr Segel wurde von Seitenwinden getroffen, sodass das Tuch Ulfbert und Arnvid aus den Händen gerissen wurde. Das untere Ende des Segels flatterte heftig hin und her, und es schien fast so, als würde das ganze Segel herunterkommen. Aber Olaf und Bothvar und noch ein paar andere konnten den dicken Rand des Stoffs packen und hängten sich als Gewichte daran, bis die Schot wieder am Block befestigt werden konnte. Der Regen peitschte mir ins Gesicht, ein schlechtes Zeichen, weil ich zum Land blickte. Das bedeutete, der Wind hatte sich gedreht und stand jetzt gegen uns.

»Bei Christus am Kreuz, das sieht nicht gut aus!« Ulfbert zuckte unter dem peitschenden Regen zusammen und sah in die Wanten hoch, die sich knarrend mühten, den Mast zu halten. Die Seeschlange war gebaut worden, um auf der Dünung des Meeres zu reiten, nicht um gegen sie anzukämpfen. Sie war ein gutes Schiff und so tapfer, wie man es sich nur wünschen konnte, aber selbst sie schien zu erbeben, als die Wellen gegen ihren Rumpf prallten und die Strömung unter ihr wirbelte und der Wind entschlossen zu sein schien, ihr mit dem Segel den Mast vom Kielschwein zu reißen. »Woher ist dieser Mistkerl gekommen?« In Ulfberts Augen funkelte die Furcht. Sein Freund Gytha schöpfte mit Pater Egfrith Wasser, aber mir kam es vor, als würden sie den Kampf verlieren, als immer mehr Wogen auf das Deck schlugen.

»Wir erreichen das Ufer, bevor der Sturm uns versenken kann«, sagte ich, klang aber nicht besonders zuversichtlich. Ich konnte das Ufer jetzt nicht einmal sehen, weil es hinter einem grauen Schleier verschwunden war und mir der Regen in die Augen peitschte. Ulfbert küsste das hölzerne Kreuz, das er unter seiner Tunika trug, und mich störte es nicht, als ich es sah. Ich war der Meinung, es könnte nicht schaden, auch seinen Gott auf unserer Seite zu haben, falls meine Götter vom Bier benommen in Asgard feierten, unfähig, unser Flehen und das jammernde Knarren der Planken der Seeschlange zu hören. Er stolperte zu mir herüber und hielt sich an der Relingsplanke fest. Dann hielt er mir das Kreuz an seinem Lederriemen vor das Gesicht und grinste grimmig.

»Ein Kuss darauf kann einem tapferen, jungen Heiden wie dir nicht schaden«, meinte er, während das Wasser von seinen dicken Haarzöpfen tropfte.

»Nimm mir das Ding aus dem Gesicht, bevor ich es mit dir zusammen über Bord werfe«, erwiderte ich. Ulfbert grinste erneut und steckte das Kreuz wieder in seine Tunika. Ich fand, es sagte viel über Sigurd aus, dass er diese Handvoll Christen in seine Kameradschaft aufgenommen hatte. Es waren gute Männer, trotz ihrer Liebe zu dem ans Kreuz genagelten Gott, und ich war froh, dass wir sie damals nicht getötet hatten.

»Hej! An die Riemen!«, übertönte Sigurd das Brausen des Windes, das Rauschen der Wellen und das Knattern des Segels. »Die Seeschlange hat uns um Hilfe gebeten, und wir schulden es ihr, also setzt euch auf eure Bänke und arbeitet! Drei Reffs, Onkel!«

Die Rah glitt noch ein Stück den Mast herunter, so geschmeidig wie Olaf und seine Männer es schafften, und andere refften dabei das Segel. Wir anderen versuchten, so gut wie möglich auf den Füßen zu bleiben, da die Seeschlange jetzt dem Sturm gehörte. Aber es fühlte sich gut an, meinen Riemen in diese schwarze See zu tauchen. Man könnte fragen, was ein schlanker Fichtenriemen gegen diese ungeheure Wut ausrichten konnte, und doch, als wir sie ins Wasser stießen, erklärten wir unsere Herausforderung, brüllten unsere Weigerung heraus, nachzugeben, und genau das lieben die Götter: wenn sterbliche Menschen sich rühmen, es mit Giganten aufnehmen zu können.

»Rudern!«, schrie Sigurd und strich sich sein nasses goldblondes Haar aus der vernarbten Stirn. »Rudert, ihr Wölfe!« Er stand auf der erhöhten Kampfplattform am Heck der Seeschlange, der Wut des peitschenden Regens und der donnernden Wellen ausgesetzt, die immer wieder gegen meinen Rücken schlugen, als ich mich in den Riemen legte. Der Jarl konnte für seine anderen Schiffe jetzt nichts tun. Sie waren auf sich allein gestellt. Aber er konnte der Seeschlange helfen: Er stand dort, wo wir alle ihn sehen konnten, und brüllte kampflustig, als würden wir in die Schlacht ziehen.

Also ruderten wir. Die Seeschlange drehte sich, sodass ihr Bug jetzt gegen den Wind gerichtet war. Das bedeutete, dass uns die Wellen von der Seite trafen und das Schiff heftig durchschüttelten. Nur ein Fingerbreit Planke hielt die dunkle See davon ab, uns zu verschlingen. Aber mittlerweile hatte Olaf das Segel dreimal gerefft und dadurch seine Fläche deutlich reduziert. Den Rest des Segels hatte er im Griff, obwohl wir nicht dichter am Wind segeln konnten.

»Gut zu wissen, dass sie wieder auf den Füßen ist«, sagte Penda auf der Bank hinter mir. Ich sah, wie Cynethryth zusammen mit den anderen Wasser schöpfte. Ihre einst so feinen Kleider waren jetzt zerrissen und zerlumpt und klebten nass an ihrem entkräfteten Körper. Seit Wochen hatte ich sie kaum zu Gesicht bekommen. Sie erholte sich in einem improvisierten Zelt am Heck der Seeschlange davon, was man ihr in dem fränkischen Nonnenkloster angetan hatte, aus dem wir sie gerettet hatten. Davor in Wessex hatte sie uns vor der Hinterlist ihres Vaters gewarnt, und das hatte vielen Männern das Leben gerettet. Jetzt gehörte sie ebenso zu der Kameradschaft wie jeder andere auch. Außerdem glaubten die Männer, sie wäre meine Frau. Das hatte ich auch eine Weile angenommen, jetzt jedoch wusste ich, dass ich ein Narr gewesen war. Vielleicht hatte Cynethryth mich einmal geliebt oder mich zumindest lieb gewonnen. Möglicherweise hatte sie mich auch einfach nur verhext, damit ich tat, was sie wollte – und das hatte ich auch getan, indem ich ihren Vater gerettet hatte. Obwohl Ealdred jetzt trotzdem tot war, und das auch noch durch Cynethryths Hand. Vielleicht war all das zu viel für sie gewesen. Möglicherweise hatten aber auch die Nonnen im Frankenreich, die glaubten, das Mädchen wäre vom Satan besessen, mit ihrer Grausamkeit Cynethryth um den Verstand gebracht. Sie hatten sie geschlagen und fast verhungern lassen. Was auch immer der Grund sein mochte, jedenfalls nahm Cynethryth mich seit Wochen nicht einmal mehr wahr.

»Sie hasst mich, Penda«, erwiderte ich finster und zog am Riemen, während ich Cynethryth mit brennenden Augen betrachtete. Sie kniete in dem schäumenden Wasser des Schiffsrumpfs und hielt sich am Dollbord fest, als die Seeschlange rollte. Olaf, Bothvar, Ulfbert und Wiglaf kämpften immer noch mit dem gerefften Segel, das vollkommen durchnässt und sehr schwer war. Ich wusste, dass die Taue den Wessexmännern die Handflächen verbrennen würden, denn sie waren an diese Arbeit nicht gewöhnt.

»Sie war ohnehin zu gut für dich, Junge«, gab Penda zurück. »Aber ich glaube, dass sich ihr Hass nicht gegen dich richtet. Das Mädchen ist durch rauere Gewässer gesegelt als dieses hier. Sie braucht Zeit.« Die Seeschlange kippte erneut und glitt eine riesige Welle hinunter. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass das Steuerruder vollkommen in der Luft hing. Dann schnitten wir durch eine andere Welle, und ich hörte, wie Bjarni in ängstlicher Freude johlte. »Und wir brauchen eine Welle, die diesen alten Mistkerl über Bord spült!«, setzte Penda hinzu. Ich wusste, dass er über Asgot redete, der gerade Cynethryth auf die Beine half. Sein strähniges, mit Knochen durchflochtenes Haar klebte an seinem wölfischen Gesicht. Irgendwie hielt der alte Godi Cynethryth schützend in seinen Armen, was höchst sonderbar war. Denn schließlich war sie eine Christin, oder zumindest war sie einmal eine gewesen.

»Land!«, schrie einer. Wer auch immer es war, er musste bessere Augen haben als ich, denn als ich mich umdrehte, sah ich nur aufgewühltes Wasser. Aber meine Aufgabe war es zu rudern, bis Sigurd oder Olaf mir befahlen aufzuhören, also ruderte ich. Die Seeschlange bewies sich in diesem Sturm, sodass wir schließlich eine kleine Bucht erreichten, eine Flussmündung zwischen Felswänden, an denen sich die Wellen brachen, während im Flussbett selbst das Wasser fast unbewegt war.

»Ganz ruhig!«, rief Olaf vom Heck. Die Rah lag längs auf dem Deck, weil wir jetzt die volle Kontrolle über das Schiff brauchten, die uns nur die Riemen gaben. Olaf und Asgot standen mit Lotleinen rechts und links neben Jørmungand, hielten sich am Dollbord fest und überprüften ständig die Tiefe, als wir uns der Küste näherten. Das war in einer so stürmischen See nicht einfach. Trotz des Heulens des Windes und der Schreie der Männer hörte ich das wilde Rauschen und Krachen der Brecher an den Felsen. Dieses Geräusch versetzte einen in kaltes Entsetzen, wenn man in einem Boot war. Über uns schrien Möwen, es roch nach Algen. Wir waren jetzt ganz nah, und ich erwartete, jeden Moment das Splittern von Holz zu hören. Trotzdem legte ich mich in die Riemen, und dann brüllte Sigurd: »Riemen hoch!« Ich drückte auf das Holz und hob das Blatt aus dem Wasser. Im nächsten Moment war der Tumult vorbei.

Wir blickten uns um, keuchend und rotzend. In dem prasselnden Regen bildete unser Atem Nebel, und unsere Knöchel waren weiß vor Kälte. Rechts und links neben uns tauchten Felsen aus dem aufgewühlten Wasser auf, und wir zuckten zusammen, als der Rumpf der Seeschlange über ein Riff kratzte. Doch dann hatte sie es überwunden, und wir waren dem Sturm entkommen. Ich hörte die Rufe der Mannschaft der Fjord-Elch, und kurz darauf tauchte auch ihr stolzer Bug an diesem Zufluchtsort auf. Ihr Schiffsführer, Bragi Eierkopf, beugte sich über das Dollbord, und sein kahler Schädel berührte fast das Wasser, als er die Tiefe auslotete.

Wir hatten Bug und Heck an den Felsen befestigt, den Anker gesetzt und unseren Durst gestillt, den wir durch das salzige Wasser spürten, als die Wellen-Hengst und die See-Pfeil in den Kanal einfuhren. Die Dänen sahen aus, als hätte man sie aus der Hölle gejagt, und auf ihren weißen Gesichtern war die Furcht tief eingegraben. Wir jubelten ihnen zu, und als sie uns hörten, grinsten sie sich fast ihre salzverkrusteten Bärte ab. Denn sie wussten, dass sie ihre Sache gut gemacht hatten, weil sie in diesen kleinen Booten durch dieses aufgewühlte Meer gekommen waren.

»Es sind gute Seeleute«, räumte Aslak mürrisch ein.

»Oder sie haben Glück gehabt«, schlug Orm vor.

»Oder beides«, sagte Olaf. »Das ist das beste Rezept, wenn ihr mich fragt.«

Der schwarze Floki spuckte über die Relingsplanke. »Sind sie gute Kämpfer? Das müssen wir herausfinden, bevor wir Schild an Schild neben ihnen stehen.« Seine Worte lösten zustimmendes Gemurmel aus, denn es ist nicht gut, wenn man in einem Kampf nicht weiß, ob der Mann neben einem Stahl in seinem Rückgrat hat.

Schließlich ruderten wir tiefer in diese fjordähnliche Flussmündung. Die Felswände schienen bis in den grauen Himmel zu reichen, und auf ihren unerreichbaren Höhen waren sie mit dunklem Wald gekrönt. Die Nordmänner blickten anerkennend hoch und sagten, wir hätten endlich einen Platz gefunden, den man mit Norwegen vergleichen könnte. Wir passierten mehrere Nebenarme, die gefährlich flach aussahen, bis unser Kanal so schmal war, dass kaum noch Wasser rechts und links neben dem Rumpf war, als alle vier Schiffe Rumpf an Rumpf vor Anker gingen, den Bug zum Meer ausgerichtet. Aber hier war die Strömung schwächer, und die Felsen schützten uns vor dem Wind. Wir schöpften die Schiffe aus, damit wir feststellen konnten, ob sie irgendwelche neuen Lecks hatten. Als wir zufrieden feststellten, dass das nicht der Fall war, setzten wir uns schließlich nieder und schlugen uns Wolldecken und eingefettete Häute um die Schultern, um uns vor dem Regen zu schützen.

Sigurd hielt bis zum Schluss die Stellung. Er ging umher, schlug den Männern auf die Schultern und lachte und sagte, er wäre stolz, mit einem so wild zusammengewürfelten Haufen zu segeln. Seine Stimme hallte laut zwischen den Felsen. Und da wir jetzt alle in Sicherheit waren, fanden wir auch unseren Mut wieder und meinten prahlend, dieser Sturm wäre kaum der Rede wert gewesen.

»Ich habe schon kräftigere Winde aus Sveins Hintern erlebt«, verkündete Bram der Bär und prostete Bjarni mit seinem Trinkhorn zu. Er grinste und erhob ebenfalls sein Horn.

»Und ich habe schon höhere Wellen in meinem Bierhumpen erlebt«, behauptete der rotgesichtige Hastein, der einen Kamm durch sein salzverkrustetes blondes Haar zog. Das brachte ihm ein paar »Hejs« ein.

Vier Männer wurden zur Wache eingeteilt, während die anderen sich schlafen legten. Und außerhalb dieses sicheren Hafens wütete der Sturm.

2

Endlich ließ der Regen nach, aber an seiner Stelle zog jetzt dichter Nebel auf, der die ganze Bucht einhüllte und langsam wie ungesponnene Wolle von den großen Felswänden heruntersank. Kalte Schatten überzogen die Flussmündung, weil die Sonne das hohe bergige Land im Osten noch nicht erklommen hatte. Wir bliesen uns in die Hände und schlugen die Arme um unsere Körper. Der warme Atem von vier Mannschaften stieg auf und schien den Nebel noch zu verstärken.

»Wer will sich denn hier mal umsehen, Jungs?«, rief Olaf, als die Männer dampfenden Brei aus ihren Näpfen löffelten. Das Wasser war so ruhig in dieser Bucht, dass wir Kessel über ein Feuer auf den Ballaststeinen gehängt und mit dem Regenwasser, das wir am Tag zuvor gesammelt hatten, einen dünnen Haferbrei gekocht hatten.

Der schwarze Floki nickte, aber außer ihm schien niemand besonders erpicht darauf zu sein, die zerklüfteten Felsen hinaufzusteigen, um sich einen Überblick über die Küste zu verschaffen.

»Hier gibt es nichts, was sich zu erbeuten lohnt, Onkel«, sagte Svein und rülpste laut, während er die wilden, spitzen Klippen betrachtete. Männer gingen zwischen den Schiffen umher, plauderten mit Freunden.

»Glaubst du wirklich, wir wären die erste Mannschaft, die mit dem Schwanz zwischen den Beinen hier eingelaufen ist, Rotschopf?« Olaf setzte den Helm auf und befestigte den Kinnriemen. »Das Meer da draußen ist unberechenbar. Ich wette, dass es schon länger schlecht gelaunt ist als Brams Borghild.«

»Ich würde lieber hundertmal das Dunkle Meer überqueren, als Borghild in die Quere zu kommen, hej«, brummte Bram.

»Und einige von denen, die hier Schutz gesucht haben, waren vielleicht nicht so faul wie ihr Hurensöhne«, fuhr Olaf fort. »Vielleicht hatten sie genug Feuer im Bauch, um das Gebiet zu erkunden. Und einige von ihnen haben sich vielleicht sogar entschlossen zu bleiben.« Er bückte sich und nahm seinen Speer. »Bei Friggs Titten! Vielleicht gibt es auf der anderen Seite der Felsen ein Dorf mit Huren, die dort herumsitzen und denen Spinnweben zwischen den Beinen wachsen, weil sie keine Freier haben!«

Einige Männer nahmen sofort ihre Helme und Speere, woraufhin der schwarze Floki die Augen verdrehte.

»Kommst du mit, Sigurd?«, fragte Olaf. Der Jarl flocht sich gerade den Bart zu einem dicken Tau, das er mit einem Lederband umwickelte. Der Verschluss bestand aus einem silbernen Wolfskopf.

»Kann nichts schaden, sich die Beine zu vertreten, Onkel«, sagte Sigurd lächelnd. »Heute fühle ich mich so alt, wie du aussiehst.«

Olafs Antwort hörte ich nicht, weil sie von einem lauten Klatschen am Bug der Seeschlange übertönt wurde.

»Bei Njørð, was war das?«, brummte Bram. Wir hatten uns nach dem Geräusch umgedreht, konnten aber nichts sehen.

»Ein Seeungeheuer?«, meinte Svein, als wir zum Bug gingen und uns suchend umsahen. Die anderen Mannschaften taten es uns gleich. Dann schrie ein Mann vor Schmerz auf, und plötzlich schlugen Pfeile in das Deck ein und klatschten in das Wasser um uns herum. Wieder platschte es laut, und diesmal spritzte die Fontäne einige Männer von der Fjord-Elch nass. Ein Pfeil schlug hinter den verblassten roten Augen in Jørmungands Schädel ein.

»Das müssen aber ziemlich wütende Huren sein«, sagte Bram zu Olaf, während er seinen Helm holte.

»Schilde!«, schrie Sigurd und blickte zu den zerklüfteten Klippen hinauf, um den Feind zu entdecken. Ich sah, wie der nächste Felsbrocken hinabsauste, und folgte seiner Flugbahn, bis er mit einem mächtigen Krach im Wasser landete.

»Wenn einer dieser Brocken trifft, dann durchschlägt er glatt den Rumpf!«, sagte Penda entsetzt.

Nach oben zu sehen ist keine gute Idee, wenn Pfeile auf einen herunterprasseln, aber wir taten es dennoch, hinter unseren Schilden. Und jetzt sah ich Männer auf dem Kamm, viele Männer.

»Auf dieser Seite sind sie auch!«, schrie jemand von der Backbordseite. Pfeile landeten klappernd auf allen vier Schiffen, und Männer brüllten vor Wut und Schmerz. Ich hatte Angst um Cynethryth und drängte mich zum Heck durch. Sie hatte Schutz unter Kalfs Schild gefunden. Der Nordmann nickte mir zu und trat zur Seite, als ich meinen eigenen Schild über sie hielt.

»Du brauchst einen Helm, Cynethryth!«, sagte ich und zuckte zusammen, weil ein Pfeil nur einen Fingerbreit vor meinem rechten Fuß in das Deck eingeschlagen war. Cynethryth lachte, was unter diesen Umständen höchst sonderbar war. Ich nahm meinen eigenen Helm ab und setzte ihn ihr auf. Er reichte ihr fast bis über die Augen. »Zieh den Kinnriemen straff«, sagte ich. Sie lachte wieder, kalt. Ich deckte sie mit dem größten Teil meines Schildes, was bedeutete, dass der größte Teil meines Körpers ungeschützt war. Außerdem trug ich mein Brynja nicht. Würde sie immer noch lachen, wenn ich einen Pfeil in den Hals bekam? »Ich hole dir einen anderen Helm«, sagte ich. »Einen, der passt.«

»Man kann mich nicht töten, Raven«, erwiderte sie unbekümmert. Bei den Göttern, war sie schön! Trotz des Eises, mit dem sie zurzeit überzogen zu sein schien.

»Selbst die Götter können getötet werden«, murmelte ich und beobachtete, wie die Mannschaften ihre Waffen und Rüstungen holten. Viele von ihnen kletterten von einem Schiff zum anderen.

»Werden diese Hurensöhne jetzt kommen und gegen uns kämpfen?«, brüllte Bram. »Oder geben sie sich damit zufrieden, uns Dinge aus dem Himmel auf den Kopf zu werfen?« Mir wäre das Erstere lieber, dachte ich.

»Asgot hat mich einen Zauber gelehrt«, sagte Cynethryth verschwörerisch, wie ein Kind, das einem ein Geheimnis verrät. Bei diesen Worten wurde mir fast übel. Cynethryth ging es nicht gut, und der Godi hatte das ausgenutzt. Er hatte zuerst meinen Ziehvater Ealhstan ermordet und nahm mir jetzt Cynethryth weg. »Was glaubst du wohl, warum er so lange überlebt hat?« Sie schien das Chaos um uns herum überhaupt nicht zu bemerken. In dem Moment wurde mir klar, dass Cynethryth einfach stehen bleiben würde, wo sie war, mit diesem sonderbaren Lächeln auf den Lippen, wenn ich wegging und meinen Schild mitnahm.

»Ich dachte, du bist Christin«, zischte ich sie an. Ein Pfeil prallte blechern von meinem Schildbuckel ab, glitt über das Holz und blieb harmlos auf dem Deck liegen.

Das weckte Cynethryths Zorn, und ihre Augen funkelten boshaft. Ich war fast versucht, einfach in den Pfeilhagel zu gehen.

»Du bist nicht geboren worden, um zu denken, Raven«, sagte sie. »Du bist ein Schlächter. Also geh los und schlachte.«

Ein Felsen krachte in die Riemen, die auf dem Gestell der Fjord-Elch lagen, und zerbrach etliche, bevor er ein Stück vom Kielschwein absplitterte.

»Ich glaube, ich bleibe lieber hier, wenn es dir nichts ausmacht«, sagte ich.

»Anker lichten!«, brüllte Sigurd. »Wir können nicht gegen Männer kämpfen, die sich uns nicht stellen wollen!« Der schwarze Floki und Aslak hielten sich dicht beim Jarl und schützten ihn mit ihren Schilden, als er über das Deck schritt und Befehle gab. Unser einziger Vorteil war der Seenebel, der langsam durch die Schlucht quoll und uns teilweise verbarg.

»Kommt und kämpft gegen uns, ihr Feiglinge!«, brüllte Svein. Seine Stimme hallte von den Felswänden wider. Er stand da und blickte zu den Klippen hinauf, die Arme einladend ausgebreitet. »Was für Männer seid ihr? Kommt und kämpft gegen uns, ihr feigen Hunde!« Ein Pfeil schlug mit einem Klatschen in die Bärenhaut auf seiner Schulter ein. Er grunzte, zog den Schaft heraus, spuckte auf den blutigen Kopf und warf ihn über Bord. »Meine Schwester hat größere Eier als ihr!« Seine Stimme dröhnte wie eine Gerölllawine.

»Kannst du den Schild halten?«, fragte ich Cynethryth. Die Männer setzten sich auf ihre Ruderbänke, und ich war hin- und hergerissen. Cynethryth blickte zu Pater Egfrith, der am Mast stand und keinerlei Schutz gegen die Felsbrocken und Pfeile trug. Er hob sein hölzernes Kreuz in Richtung Klippen, als würde allein dessen Anblick unsere Feinde in Staub verwandeln.

»Er ist ein tapferer kleiner Mistkerl.« Penda deutete hinter seinem Schild auf den Mönch.

»Er ist ein verfluchter Narr!«, stieß ich hervor. »Kannst du den Schild halten?«, fragte ich Cynethryth erneut, und diesmal nickte sie schwach. Dann rutschte sie an einer Spante herunter und hielt sich den Schild über den Kopf. Ich ließ sie dort, nahm einen Riemen vom Baum und ging zu meiner Bank. Penda begleitete mich, weil Sigurd befohlen hatte, dass die eine Hälfte rudern und die andere Hälfte sich und die Ruderer mit ihren Schilden schützen sollte. Halldor tat keins von beidem. Er stand neben Jørmungand, ohne Helm und ohne Schild, stand einfach da und blickte hinauf, mit seinem schrecklich geschwollenen, eitrigen Gesicht, das Schwert in seiner verkrampften Faust. Flokis Vetter hoffte auf einen grausamen Tod, darauf, dass er von einem Felsen zerschmettert oder von einem Pfeil durchbohrt wurde. So würde er, mit dem Schwert in der Hand, als tapferer Krieger nach Walhall gebracht werden, statt langsam an einer alten Verletzung zu verfaulen. Doch trotzdem war es ein erbärmlicher Anblick, wie er dastand und auf den Tod wartete. Es war trotz allem für einen solchen Mann ein schlechtes Ende.

Die Männer drängten sich auf den anderen Drachenschiffen, als die Mannschaften sich zum Ablegen fertig machten. Die ganze Zeit regneten Pfeile und Felsbrocken und Steine von den Klippen auf uns herunter, und wir verfluchten diese Söhne der Trolle, die nicht wie Männer kämpfen wollten.

Ich warf einen Blick zur Wellen-Hengst hinüber und sah, wie ein Däne von einem Felsen am Helm getroffen wurde. Er stand drei Herzschläge lang da, dann lief ihm das Blut über das Gesicht und er fiel vornüber.

»Das wird von keinem Skalden besungen werden!«, rief Bjarni von seiner Bank, als wir hinausfuhren. Unsere Ankertaue lagen unordentlich auf Deck, außerdem Kleider, Waffen und Essensreste. »Erinnert mich daran, mich an diesen Tag nicht zu erinnern.«

Ich sah zu Svein, der mittlerweile auf seiner Seekiste saß. Er wirkte wie ein Vulkan, der jederzeit auszubrechen drohte. Ich konnte mir das Gesicht vom schwarzen Floki ebenfalls sehr gut vorstellen. Aber was sollten wir tun? Wenn wir in dieser Bucht blieben, würden unsere Drachenboote bald versenkt werden, und es war auch nichts damit gewonnen, die steilen Felsen hinaufzuklettern, ins Ungewisse, behindert von Schilden und Schwertern. Sigurd wusste, dass in dieser Flussmündung kein Ruhm zu gewinnen war, also flüchteten wir, so wie wir vor den Franken auf diesem mäandernden Fluss geflohen waren. Aber diesmal mussten die Männer Eis in ihren Eingeweiden gespürt haben, denn wir ruderten zurück aufs offene Meer, das uns so übel mitgespielt hatte und das möglicherweise immer noch jenseits dieser Flussmündung tobte.

Eine Weile folgten uns unsere feigen Feinde über den Rand der Klippe und beschossen uns recht geschickt mit ihren Pfeilen. Sie besaßen sogar die Frechheit, uns zu verhöhnen, als wären wir die Feiglinge und nicht sie, was nur schwer zu ertragen war. Und nachdem wir wenigen Ruderer uns ins Zeug gelegt hatten, waren wir im tieferen Wasser und außerhalb ihrer Reichweite und näherten uns der Mündung. Wo das Meer immer noch kochte.

»Wenigstens sind die Gezeiten mit uns, hej!«, rief Bjarni. Ich verzog das Gesicht. So wie es für uns gelaufen war, vermutete ich, dass die Götter mit uns spielten wie die Katze mit der Maus, und wir alle wussten, wie das enden würde.

»Bei Thórs Eiern, das ist übel!«, sagte Orm Triefauge, der Bjarnis Optimismus nicht teilte. Er hatte seinen Schild über Arnvid am Ruder gehalten, jetzt jedoch trat er an die Seite der Seeschlange und blickte an ihrem Bug vorbei nach vorn.

»Vom Topf ins Feuer«, stimmte Halbdan ihm zu. Er zog das Amulett mit dem Thórshammer heraus und legte es auf seine Tunika, damit der Donnerer es sah und wusste, dass er auf ihn aufpassen musste.

Wir übernahmen die Führung, und die anderen Schiffe folgten in unserem Kielwasser. Olaf und Sigurd überwachten das Reffen und Setzen des Segels. Sie hatten die Ruderer von den Riemen geholt, weil die Ebbe uns unausweichlich aufs offene Meer hinauszog. Drei Reffs ließen nur eine kleine Segelfläche zu, wodurch die Seeschlange in einem Sturm leichter zu handhaben war, aber es bestand trotzdem die Möglichkeit, dass eine mächtige Bö in das Segel fahren und uns kentern lassen würde oder dass eine Welle das Steuerruder aus dem Block riss und uns hilflos Njørðs Willkür auslieferte. Ich konnte die Wellen jetzt hören – Ráns weißhaarige Töchter warfen sich unablässig gegen die Küste und klatschten in großen Gischtfontänen gegen die Felsen. Dann spuckte uns der Seitenarm in den Mahlstrom hinaus, und der Bug der Seeschlange pflügte durch die Brecher. Wellen schlugen gegen ihren Rumpf und schwappten über die Relingsplanke. Wir wurden wieder vollkommen durchnässt, unsere Augen brannten, und unsere Hände an den Riemen froren. Einige dieser Wellen waren mehr als dreimal so hoch wie ein Mann, und die Seeschlange ächzte, weil wir sie wieder diesen Gewalten aussetzten. Pfeile, Becher und Näpfe schwappten im Wasser um unsere Füße, während wir grimmig an den Riemen zerrten und auf Olafs Geschick im Umgang mit dem Segel und Knuts Fähigkeiten als Steuermann vertrauten. Wir anderen konnten nur noch unsere Muskeln gegen den Sturm einsetzen und unsere Götter darum bitten, uns ein schlechtes Ende zu ersparen.

Wir ruderten in die offene Dünung hinaus, und als Sigurd überzeugt war, dass wir weit genug von der Felsenküste entfernt waren, gab er den Befehl, die Riemen zu verstauen. Jetzt hatten wir das Festland an unserer Steuerbordseite zurückgelassen, ein wilder Nordwind fuhr in das Segel. Olaf erwischte ihn und zähmte ihn, sodass wir eher über die Wellen ritten, als durch sie hindurchzupflügen. Es war ein gefährliches Spiel, aber es war auch berauschend, denn die Seeschlange schoss förmlich über die Wogen, ihre Takelage summte und ihr Bauch vibrierte.

An Bord der Fjord-Elch folgte Bragi der Führung seines Jarls, ebenso wie die Dänen, und so flogen alle vier Schiffe in Richtung Süden vor dem Wind. Wir arbeiteten in Schichten am Segel, strafften die Rah und refften oder verlängerten das Segel je nachdem, wie Olaf und Sigurd die Risiken einschätzten. Und über uns wogten die grauen Wolken in einer unheimlichen Spiegelung der sturmgepeitschten See. Wir jagten an nebelverhangenen grünen Klippen und Buchten vorbei, an einsamen, spitzen Felsen, die aus den weißen Brechern aufzusteigen schienen. Dabei peitschte unablässig der Regen auf uns ein, sodass die Männer trotz ihrer eingefetteten Häute und Kappen halb ersoffen wirkten. Dieser Nordwind wollte uns unbedingt gegen die Küste schleudern. Er heulte und jammerte, aber Knut kämpfte dagegen an, lehnte sich in das Ruder, sodass die Steuerbordseite der Seeschlange immer wieder gegen das dunkle Meer drängte, damit wir unseren Kurs hielten. Wir konnten keine Sonne sehen, sondern nur ein schwaches Rot im Osten hinter den schwarzen Wolken und über dem wolkenverhangenen Land.

»Ich werde das vermissen, Sigurd!«, schrie Halldor. Er stand am Vorschiff und hielt sich an der Bugleine fest. »Davon träumen wir, hej!«

»Die Männer werden von Halldor reden, der den Stürmen ins Gesicht lacht!«, schrie Sigurd zurück und lächelte. »Wir werden es in deinen Runenstein ritzen!« Ein Grinsen verzerrte Halldor grotesk aufgeblähtes Gesicht. Der Schmerz musste unerträglich sein, aber den Krieger durchströmte sichtlich glühender Stolz bei den Worten seines Jarls, trotz der eisigen Gischt. Denn nicht jeder Mann konnte erwarten, dass man ihm zu Ehren einen Runenstein aufstellte. Halldor warf einen Blick auf Bjarni, der nickte, als wollte er sagen, dass er sich bei Halldors Runengeschichte Mühe geben werde. Dann drehte sich Halldor wieder zu der Gischt herum und hielt den Kopf gereckt, als wollte er den bleiernen Himmel herausfordern.

Später an diesem Tag erreichten wir einen breiten, flachen und vom Wind gepeitschten Strand. Er war dem Sturm schutzlos ausgesetzt, ein verlorener Ort, über dem die Möwen wie Blätter im Sturm wirbelten, aber hier gab es keine Felswände, von deren Gipfel Männer Felsbrocken oder Pfeile auf uns herabschicken konnten. Es war Niedrigwasser, und wir fürchteten, keinen weiteren solchen Ort vor Einbruch der Nacht zu finden. Also wendeten wir unseren Bug landwärts und hofften, dass sich der sandige Strand noch jenseits der Brecher erstreckte. Der Wind blähte unsere gerefften Segel, und wir ritten die Schiffe geradewegs auf den Strand. Ihre Kiele schnitten durch den weichen Meeresboden und in den grünbraunen Mantel aus Algen jenseits der auslaufenden Wellen. Während die Windböen in unseren Ohren heulten und unsere Stimmen übertönten, hämmerten wir die Vertaupfähle tief in den Sand und machten die Schiffe fest. Dann kauerten wir uns an Deck, denn dieser Teil der Küste war vollkommen verlassen und flach, und wir fanden mehr Schutz an Deck unserer Schiffe als an Land. Das allerdings sagte nicht viel, und das war wahrscheinlich auch der Grund, warum es hier keine Menschen gab, die uns hätten angreifen oder denen wir etwas hätten stehlen können.

Die Seeschlange schwankte im Wind, als wäre sie immer noch auf dem Meer. Der Wind pfiff heulend durch die Riemenlöcher, während die Männer zu schlafen versuchten. Ich lag vergraben in Fellen und Häuten und sah zu, wie der blasse Mond immer wieder hinter den aufgeblähten schwarzen Wolken auftauchte, als ich eine Bewegung wahrnahm, die mich aus einem Sumpf von Gedanken riss, in deren Mittelpunkt Cynethryth stand. Ich sah im bleichen Mondlicht Olaf und Halldor, die sich im Kriegergruß umfasst hielten. Halldors Vetter Floki war ebenfalls dort, ebenso wie Svein und Bram.

»Es wird Zeit«, sagte jemand leise, und eine Hand packte meine Schulter. Sigurds Gesicht lag vollkommen im Schatten, nur seine Augen funkelten. »Such mir etwas Glänzendes, Raven. Etwas für einen Krieger.« Seine Zähne schimmerten, aber es war kein Lächeln. »Da du ohnehin wach bist, kannst du uns auch Gesellschaft leisten.«

»Ja, Herr«, erwiderte ich barsch, als er weiterging. Ich stieg aus meinem Nest und suchte mir fröstelnd einen Weg vorbei an den unförmigen Bündeln aus Fellen, an Männern, die so regungslos dalagen, dass man sie für Leichen hätte halten können. Ich blies in meine kalten Hände, als ich mich neben den Frachtraum kniete. »Etwas für einen Krieger«, murmelte ich, nahm die lockeren Planken und Häute ab, die die Fracht im Bauch der Seeschlange schützten, und hob den Deckel einer Eichenkiste an, die mir ihre matt schimmernden Schätze präsentierte. Es gab Broschen und silberne Umhangfibeln, Münzen und Hacksilber. Es gab Halsreife, Ringe und Silberketten, und ich grub meine Hände tief auf den Grund dieser Kiste, damit mir in der Dunkelheit nichts entging. Dann schloss sich meine Hand um etwas Warmes zwischen all diesen kalten Beutestücken, etwas Glattes. Ich hob es ins schwache Licht. Ich hatte die Gestalt eines Kriegers vor mir, geschnitzt aus milchfarbenem Knochen, von vielen Fingern abgegriffen und von nur geringem Wert im Vergleich zu allen anderen Dingen in dieser Truhe. Und doch war es ein mächtiger Gegenstand. Denn es war eine wundervoll geschnitzte Statue von Týr, dem Herrn der Schlacht. Mit einer Hand umklammerte er das Schwert an seiner Hüfte, der andere Arm hatte keine Hand, da sie ihm vom Fenrir-Wolf abgebissen worden war. Der Nasenschutz seines Helms endete an einer Stelle zwischen seinen Augen, die in der Schlacht weit aufgerissen waren. Denn Týr ist der Gott des Sieges. Die Figur hatte in etwa die Größe meiner geschlossenen Faust und würde auf einer flachen Oberfläche stehen, in Stiefeln, denen der Schnitzer das Aussehen von Fellstiefeln gegeben hatte.

»Erst wirfst du unseren Schatz über Bord, und am nächsten Tag beraubst du uns, hej!«, knurrte Osten. Sein Auge funkelte in dem Schatten zwischen den Spanten der Seeschlange.

»Träum weiter von deinen willigen Schafen, Osten«, erwiderte ich, was er mit einem Grinsen kommentierte. Ich packte die Figur und suchte mir vorsichtig den Weg zwischen den Männern am Vorschiff, dann stieg ich über die Relingsplanke und über das Laufbrett auf den Sand. Einen Pfeilschuss windabwärts, gerade außerhalb der Reichweite der hellen gischtgekrönten Wellen, flackerte eine Flamme heftig in der Nacht. Ich ging darauf zu und spürte, wie meine Knochen in dem Gefühl irgendeines dunklen Seiðr zitterten. Obwohl ich nicht wusste, warum diese Männer aus ihren warmen Fellen gekrochen waren, um sich an diesem rauen Strand zu versammeln, überraschte es mich nicht, den alten Asgot zwischen ihnen zu sehen. Allerdings hatte ich nicht erwartet, Cynethryth ebenfalls vorzufinden, und aus irgendeinem Grund gefroren mir bei ihrem Anblick die Eingeweide.

Sie drehten sich herum, als ich näher kam. Einige nickten, als ich mich dieser sonderbaren Gruppe anschloss, und Halldor beobachtete mich aus dem Augenwinkel seines linken Auges, das über der grotesken eiternden Schwellung gerade noch zu sehen war. Sein rechtes Auge konnte man gar nicht erkennen. Er sah aus wie ein Troll aus dem Albtraum eines Kindes, und doch grinste er mich an, bevor er sich wieder zu Asgot herumdrehte. Der redete leise mit ihm. Halldor war für die Schlacht gekleidet. Sein Brynja war auf Hochglanz poliert, und seine Klingen steckten in den Scheiden an seinem Gürtel. Er trug keinen Helm, vermutlich, weil er ihm nicht mehr auf seinen geschwollenen Kopf passte. Ansonsten jedoch sah er aus, als wollte er es mit der Midgard-Schlange aufnehmen. Dann bemerkte ich den schwarzen Floki, der in Halldors Schatten stand. Er hatte sein Schwert gezogen, und sein Gesicht war grimmig und finster. Plötzlich verstand ich, was Sigurd gemeint hatte, als er sagte, es wäre Zeit.

»Raven, hierher, Junge«, sagte Sigurd. Ich trat vor, während der Wind über den dunklen Strand pfiff und mir Sand ins Gesicht peitschte. Ich drehte mich um und spuckte salzigen Sand aus, dann hielt ich meinem Jarl die Knochenfigur von Týr hin. Sigurd nahm sie und drehte sie in der Hand, dann räusperte er sich. »Ich habe schon glänzendere Scheißhaufen gesehen, Raven«, meinte er missbilligend.

»Ist das das Beste, was du finden konntest?«, knurrte Olaf hinter vorgehaltener Hand. Ich zuckte mit den Schultern, wünschte mir jedoch, ich hätte einen Halsreif oder einen silbernen Armring oder zumindest etwas Hacksilber mitgebracht.

»Es muss genügen«, sagte Sigurd und runzelte die Stirn. Dann nickte er Floki zu, der einen Schritt vortrat und sein Schwert leicht hob, als könnte diese scharfe, gierige Klinge Blut riechen.

»Kein Strohtod für uns, Vetter«, sagte Halldor. Aber seine Stimme hatte einen nervösen Klang. Er verzerrte sein Gesicht zu einem leicht säuerlichen Grinsen. Svein und Bram sahen sich trostlos an. Ihr offenes wildes Haar und ihre Bärte wehten im Wind, und Asgot trat von Halldor zurück. Dann nickte er Sigurd ernst zu. Jetzt passiert es, dachte ich und warf einen Blick auf Cynethryth. Die starrte Halldor an, als wäre der Mann bereits ein Haugbui, der in seinem Grabhügel lag, und sie murmelte Worte, die ich nicht hören konnte.

»Warte in Walhall auf mich, Vetter«, sagte der schwarze Floki mit starrem Blick. »Ich komme gewiss schon bald.« Ein eisiger Windstoß zischte von der schaumbedeckten See über den Strand. Ich widerstand dem Impuls, meinen Umhang fester um meinen Hals zu ziehen.

»Du solltest lieber nicht den ganzen guten Met saufen, bevor ich nachkomme, du gieriger Hurensohn«, warnte ihn Bram und deutete mit dem Finger auf Halldor. »Und ich will eine schwanenbrüstige Hure oder zwei, um mein Bett zu wärmen«, fuhr er fort. »Also sorgt dafür, dass es dem alten Bram an nichts mangelt, wenn er Bifrøst überquert und an die Tür klopft.«

Halldor nickte in Brams Richtung, aber seine Blicke hingen an dem schwarzen Floki. Der bedeutete ihm, sein Schwert zu ziehen, was er tat. Die Klinge schabte über den Rand der Scheide.

»Ich habe etwas für dich, Halldor, Sohn von Oleg, etwas, was du auf deiner Reise mitnehmen kannst«, sagte Sigurd und trat mit der Týr-Figur vor. »Es ist kein Silber«, setzte er wie entschuldigend hinzu, »aber vielleicht kannst du es den Asen zeigen, damit sie vergleichen können, wie ähnlich das Abbild ist.« Er spitzte die Lippen. »Ich denke, es ist eine gute Arbeit.« Sigurd hielt die Figur ins fahle Mondlicht, damit alle sie sehen konnten. Und Halldor war alles andere als enttäuscht, im Gegenteil, er schien bewegt. Denn die Bedeutung, dass sein Jarl ihm eine Statue von Týr gab, dem Kühnsten aller Götter, entging ihm dort unter dem kalten Schatten von Flokis Schwert nicht.

Sigurd trat vor und gab Halldor die Figur. Wie es schien, umarmten die beiden Krieger sich. Doch dann blitzte Stahl, und Halldor knurrte leise, als Sigurd den Mann an sich zog. Halldors sichtbares Auge trat schrecklich aus seiner Höhle. Der schwarze Floki stürzte vor, aber Olaf streckte den Arm aus und hielt ihn mit finsterer Miene auf, als Sigurd Halldors Hand umklammerte, sodass der Mann sein Schwert nicht fallen lassen konnte. Dann flüsterte Sigurd Halldor etwas zu, und ich schwöre, dass ein Lächeln über die Lippen des Sterbenden huschte, wie ein flacher Stein über das Wasser hüpft. Er seufzte lange und keuchend, dann sank sein Kopf auf Sigurds Schulter und seine Knie gaben nach. Aber sein Jarl hielt ihn fest, damit er aufrecht stand, bis auch der letzte Atemhauch seinen Leichnam verlassen hatte. Dann war es vorbei, und wir anderen standen da, und ich scheue mich nicht zuzugeben, dass ich einen Kloß von der Größe eines Hühnereis im Hals hatte.

Langsam ließ Sigurd den regungslosen Körper des Kriegers in den peitschenden Sand sinken, und wir drehten uns zu Floki herum. Der hatte Olaf abgeschüttelt und sah Sigurd finster an.

»Das war meine Aufgabe, Sigurd!«, fuhr er ihn an. »Er war mein Verwandter. Er hat erwartet, dass ich es tue.« Er hatte sein Schwert immer noch erhoben, und einen Moment spürte ich, dass es immer noch nach Blut gierte.