Raven - Söhne des Donners - Giles Kristian - E-Book
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Raven - Söhne des Donners E-Book

Giles Kristian

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Beschreibung

Raven, den man als Blutauge kennt, und seine Wikinger-Brüder sind verraten worden. Der missgünstige Ealdred ist geflohen - in das Reich von Kaiser Charlemagne, wo angeblich unendliche Reichtümer versteckt sind. In der Wut brennender Rache machen Raven und sein Wolfsrudel harter Kämpfer sich auf in das Land der Christen, wo die Heiden unbekannte Gefahren, finstere Intrigen und große Schlachten erwarten.

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Seitenzahl: 496

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ZUM BUCH

Niemand verrät seine Gemeinschaft und erlebt, dass sein Haar weiß wird. Denn eine solche Gemeinschaft ist aus Ehre und Eid geschmiedet. Wenn du eine Kameradschaft verrätst, bist du ein toter Mann, und Ealdorman Ealdred von Wessex hatte uns verraten. Das Segel war gesetzt und die Fichtenruder verstaut, also kümmerten sich die Männer um ihre Ausrüstung. Sie schliffen ihre Schwerter, wetzten geduldig die Scharten aus, die der Kampf hinterlassen hatte. Das rhythmische Schaben wirkte beruhigend, ebenso die gemurmelten Gespräche und das nasse Flüstern, mit dem der Bug der Seeschlange durchs Meer glitt. Wir hofften, dass wir schon bald unsere Beute als einen dunklen Punkt am sonnigen Horizont sehen würden. Die Fjord-Elch, das Schiff, das Ealdred uns genommen hatte. Wenn wir die verräterischen Männer endlich erreichten, die auf ihr segelten, würden unsere Schwerter und Äxte Blut schmecken.

ZUM AUTOR

Seine norwegische Herkunft und die Werke von Bernard Cornwell inspirierten Giles Kristian dazu, historische Romane zu schreiben. Um seine ersten Bücher finanzieren zu können, arbeitete er unter anderem als Werbetexter, Sänger und Schauspieler. Doch Kristians Herz schlägt für die Welt der Wikinger. Mit seinen Trilogien um Sigurd und Raven wurde Giles Kristian zum Bestseller-Autor und kann sich ganz dem Schreiben widmen. Mehr Informationen zum Autor finden Sie unter www.gileskristian.com

Giles Kristian

RAVEN

SÖHNE DES

DONNERS

Roman

Aus dem Englischen

von Wolfgang Thon

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe RAVEN: SONS OF THUNDER erschien 2010 bei Bantam Press/Transworld Publishers, London
Copyright © 2010 by Giles Kristian
Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Heiko Arntz
Covergestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung des Originalartworks von © CollaborationJS
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-22336-6V002
www.heyne.dewww.penguinrandomhouse.de

Söhne des Donners ist meinen Eltern gewidmet.

Sie schickten den Wind und geboten über die Gezeiten.

Männer mit stählernen Armen

Zogen die abgegriffenen Buchenriemen

durch den mäandernden fränkischen Fluss.

Brüder im Schwertlied,

Sachsen, Dänen und Nordmänner,

flüchteten sie vor dem Zorn des Kaisers.

Weit weg von Fjord und Klippe,

jenseits der sturmgepeitschten See,

wartete ein Schatz aus Ruhm.

Ravens Saga

PROLOG

Bist du jemals auf einem Langschiff gesegelt? Ich meine nicht auf einer plumpen, trägen Knørr, die mit Gütern beladen ist und sich wie ein Packtier durch das Meer wälzt. Nein, sondern auf einem schlanken, tödlich schnellen und Entsetzen verbreitenden Drachenschiff. Hast du jemals am Bug gestanden, während der salzige Wind dein Haar peitschte, während Ráns weißhaarige Töchter unter der kräftigen geschwungenen Brust dieser Bestie kreischen? Hast du das Meer gemeinsam mit sonnenverbrannten Kriegern bereist, deren einzigartige Geschicklichkeit im Umgang mit Axt und Schwert eine Gabe des mächtigen Óðin, des Herrn des Krieges selbst ist? Männer, deren Todeswerk den Wolf, den Adler und den Raben nähren? Ich habe all das getan. Es war mein Leben, und obwohl sich all die Anhänger des weißen Christus in ihren Weiberröcken vor Ekel übergeben mussten, und es würde mich nicht wundern, auch vor Angst, war ich glücklich mit meinem Schicksal. Denn einige Männer stehen den Göttern von Geburt an näher als andere. Neben der Quelle von Urd, unter einer der Wurzeln des großen Weltenbaums Yggdrasil, spinnen die Nornen, die Schwestern des Schicksals, der Gegenwart und der Zukunft die Fäden des menschlichen Lebens und weben sie zu einem Muster aus Schmerz und Leiden, aus Ruhm und Reichtum und Tod. Und ihre uralten Finger müssen ermüdet sein, als sie meinen Lebensfaden spannen. Doch warte. Das Bier hat meine Zunge geölt, und sie eilt sich selbst voraus. Komm herein, Arnor! Komm, Gunnkel, sitz ein paar Binsen platt. Wir haben noch die ganze Nacht vor uns und einen weiten Weg zurückzulegen. Vorausgesetzt, dass die Erinnerungen nicht wie aus einem verfaulten Kübel aus meinem alten Kopf gesickert sind. Letzte Nacht habt ihr erst den Anfang gehört, nur den Schaum vom Met geschluckt. Jetzt jedoch werden wir gemeinsam mehr trinken. Und Hallfred, schüre du das Feuer, dass die Flammen tanzen. Sie sollen tanzen wie in Völunds eigener Esse. Ja, so ist es richtig. Ingvar, gib deinem räudigen Köter etwas zu fressen, bei Thórs Liebe! Er kaut ja seit fast einer Stunde auf den Schuhen von irgendeinem armen Dummkopf herum! Ist die junge Runa nicht hier? Wie schade. Nichts taugt besser als zwei pralle Brüste, um einen alten Mann dazu zu bringen, seine Geschichte ein bisschen auszuschmücken. Ich gebe zu, dass ich nicht gerade ein Skalde bin. Mein einziges Lied war bisher das Schwertlied, das Flüstern der großen Bartaxt, wenn ich sie vor dem Schildwall meines Feindes tanzen ließ. Aber Skalden kriechen so weit ihren eigenen Arsch hoch, dass man die Blumen bei all den Fürzen nicht riechen kann. In ihren Geschichten malen sie Sigurd als einen Asen, als einen der Götter von Asgard, und sein Schwert als den Schlächter von Bergriesen. Ihr Raven ist ein rotäugiges Monster, eine hässliche, todbringende Bestie. Pah! Was wissen sie schon? Sind sie mit Sigurd dem Glücklichen übers Meer gesegelt? Diese Hurensöhne. Sigurd war ein Mensch. Sein Schwert war wie jedes andere Schwert, eine Klinge aus Eisen und Stahl, die ein Mann geschmiedet hatte, der etwas von seinem Handwerk verstand. Und was mich selbst angeht, bin ich ein Monster? Ich war gut aussehend … gewissermaßen. Jedenfalls war ich jung, und das ist gut genug. Ich war von einem Tischlerlehrling, von einem Jungen, der zu den Niedersten seiner Siedlung gehörte, zu einem Wolf in einem Wolfsrudel herangewachsen. Ich gehörte zu einer Kameradschaft von Kriegern. Ich war zu einem Reiter der Wellen geworden und zu einem Schlächter von Menschen.

Also lichtet den Anker! Setzt das alte, zerfetzte Segel. Die morgige Arbeit ist noch weit weg, und die Nacht erstreckt sich vor uns wie der Ozean unter einem Sternenhimmel in einer Frühlingsnacht. Auf denn! Stechen wir in See …

1

Niemand verrät seine Gemeinschaft und erlebt, dass sein Haar weiß wird. Denn eine solche Gemeinschaft ist aus Ehre und Eid geschmiedet, sie ist stark wie ein Bär, schnell wie ein Drachenschiff und so nachsichtig wie das Meer. Wenn du eine Kameradschaft verrätst, bist du ein toter Mann, und Ealdorman Ealdred von Wessex hatte uns verraten.

Das Segel war gesetzt und die Fichtenruder verstaut, also kümmerten sich die Männer um ihre Ausrüstung. Sie schliffen ihre Schwerter, wetzten geduldig die Scharten aus, die der Kampf hinterlassen hatte. Das rhythmische Schaben wirkte beruhigend, ebenso die gemurmelten Gespräche und das nasse Flüstern, mit dem der Bug der Seeschlange durchs Meer glitt. Die Männer legten ihre Brynjur über die Knie, suchten nach beschädigten Ringen, die sie mit Ringen der Brynjur ersetzten, die sie den Toten ausgezogen hatten. Zwei Nordmänner warfen sich grunzend einen Sack zu, der recht schwer zu sein schien. In dem Sack war grober Sand, und wenn man sein Kettenhemd hineinlegte und den Sack anschließend herumschleuderte, scheuerte der Sand den Rost vom Eisen und machte das Kettenhemd wie neu. Andere Männer schmierten ihre Brynjur mit Schafsfett ein, wickelten frisches Leder oder dünnen Kupferdraht um ihre Schwertgriffe, reparierten Schildriemen und spannten neue Häute über die Bretter aus Lindenholz. Sie hämmerten Beulen aus Helmen, schärften Speerblätter so spitz, dass man damit eine Schnecke aus ihrem Haus spießen konnte. Axtköpfe wurden auf ihren festen Sitz am Schaft überprüft, damit sie nicht beim ersten Schlag davonflogen. Silber wurde gewogen, Pelze wurden überprüft, und die Männer stritten, nörgelten oder prahlten über die Beute, die sie in ihren Seekisten hatten.

Wir kämmten uns Flöhe aus den Bärten und dem Haar, durchlebten unsere Kämpfe aufs Neue, wobei wir unsere Taten und unsere Kühnheit übertrieben, spielten Tafl, überprüften die Kalfaterung der Seeschlange und legten Lederstreifen in Stiefel, um Löcher zu stopfen. Wir kümmerten uns um unsere Verletzten und erzählten uns Geschichten von Freunden, die jetzt an Óðins Metbank in Walhall saßen. Wir beobachteten die Möwen hoch über uns und genossen das Knarren des Spanten und das leise Summen der Takelage. Und die ganze Zeit glaubten wir, dass Njørð, der Gott des Meeres, der freundlich zu denen ist, die ihn achten, unser Segel mit Wind füllte und wir schon bald unsere Beute als einen dunklen Punkt am sonnigen Horizont sehen würden. Die Fjord-Elch.

Denn uns trieb ein frischer Wind von achtern vor sich her, und wir machten gute Fahrt. Das Land der Wessexmänner war schon bald nur noch ein grünes Band am Horizont im Norden. Blieb uns Njørðs Wohlwollen erhalten, würde Sigurd mit der Seeschlange auch nachts weitersegeln, um den Abstand zwischen der Fjord-Elch und uns zu verkürzen. Wenn wir dann schließlich die verräterischen Männer erreichten, die auf ihr segelten, würden unsere Schwerter und Äxte bald Blut schmecken.

Asgot der Godi zog einen Hasen aus einem Segeltuchsack. Es war ein räudiges Tier, das seit unserem Aufbruch wie verrückt in dem Sack gekratzt und getreten haben musste. Denn sein Fell war schweißnass, sein Maul blutig, und die Augen wild aufgerissen vor Furcht. Der Godi packte seinen Kopf mit seiner alten Faust, zückte sein scharfes Opfermesser und stach es dem Tier in die Brust. Mit seinen langen Beinen trat es hoffnungslos in der Luft. Dann zog Asgot die Klinge dem Hasen über den Bauch. Ein paar Eingeweide fielen auf die Planken, aber trotzdem trat das Tier immer noch in der Luft, als hoffte es, über eine Sommerwiese entkommen zu können. Dann wischte der Godi das blutige Messer am Fell des Hasen ab, steckte es in die Scheide und riss den Rest der Eingeweide heraus, das immer noch klopfende Herz und den dunklen Darm der Kreatur. Er schleuderte sie ins Meer. Anschließend warf er den Kadaver hinterher. Wir sahen eine Weile zu, während die Wellen diese winzige Opfergabe davontrugen. Die Seeschlange segelte weiter und der Hase verschwand unter Ráns Töchtern. Dabei sprach Asgot unaufhörlich zu den Göttern, bat sie, uns mit einem ruhigen Meer und gutem Wetter zu segnen. Pater Egfrith schlug ein Kreuz als Schutz gegen die alte Magie von Asgot, und ich glaubte, dass er einen Gegenzauber murmelte. Allerdings hielt ich mich von ihm fern, weil ich nicht wollte, dass diese Christen-Worte in meine Ohren drangen.

Dieser Kampf würde verdammt blutig werden. Ein wahres Gemetzel. Denn Ealdorman Ealdred von Wessex und sein Erster Kämpfer Mauger waren nichtsnutzige, schleimige Hurensöhne, die uns feige verraten hatten. Ealdred hatte das Evangelienbuch des heiligen Hieronymus, das wir dem König von Mercia gestohlen hatten, an sich gebracht, und dieses Arschloch von einer Kröte war jetzt unterwegs, um diesen christlichen Schatz an den Kaiser der Franken zu verkaufen, an Charlemagne oder König Karolus, wie manche ihn damals nannten. Dieser Wurm wurde vielleicht so reich wie ein König, nachdem er uns verraten und dem Tod überantwortet hatte. Aber Ealdreds Gott und sein friedliebender Sohn hatten nicht genug Macht. Sie würden ihn nicht vor uns retten können, die wir an den wahren Göttern festhielten, den alten Göttern, die immer noch den Himmel mit Donner erschütterten und den Ozean mit Wellen verfluchten, die so hoch waren wie Klippen. Ich war mir sicher, dass wir diese aufgeblasene Made am nächsten Tag oder am Tag danach einholen würden. Denn die Engländer kannten die Fjord-Elch nicht. Schiffe sind wie Frauen – man kann nicht die eine an denselben Stellen berühren wie eine andere und hoffen, denselben Ritt zu bekommen. Sigurd jedoch kannte jeden Zoll der Seeschlange, und sein Steuermann Knut kannte jedes Salzkorn in jeder wogenden Welle. Wir würden die Engländer einholen, und dann würden wir sie umbringen.

»Diese Christen wissen, wie man kotzt, Raven!« Das Sonnenlicht ließ Bjørns Zähne schimmern. »Die Fische werden heute satt werden, jede Wette.«

»Und wir werden die Fische essen und folglich die Kotze der Christen.« Ich antwortete auf Nordisch, damit Cynethryth mich nicht verstand.

Sie und Penda beugten sich nebeneinander über die Relingsplanke und kotzten sich die Eingeweide aus dem Leib, obwohl die See so ruhig war wie ein Teich, über den ein Windhauch ging, doch es genügte, den Leuten aus Wessex die Mägen umzudrehen. Die Nordmänner grinsten und lachten über die beiden neuen Mannschaftsmitglieder, und auch wenn ich Cynethryth bedauerte, war ich gleichzeitig glücklich, dass sie diesmal nicht über mich lachten. Denn ich hatte am Anfang selbst mehr als einmal über dem Dollbord gehangen.

Penda, der Wessexmann, war ein wahrhaft Furcht einflößender Krieger. Ich hatte gesehen, wie er die Waliser vor Caer Dyffryn abgeschlachtet hatte, bis die grüne Weide rot gefärbt war. Aber jetzt flößte Penda niemandem Furcht ein, weil seine Galle auf die glatte Meeresoberfläche spritzte.

»Es ist nicht normal, auf einem Kienspan über das Meer zu treiben«, sagte Penda, stieß sich vom Dollbord ab und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »So etwas tut man einfach nicht«, knurrte er.

Sigurd grinste mich wissend an. Er wusste, dass ich noch vor nicht allzu langer Zeit an Pendas Stelle gestanden hatte, aber obwohl das stimmte, hätte ich die Seeschlange niemals als »Kienspan« bezeichnet. Ich hatte immer die Handwerkskunst bewundert, die sie erschaffen hatte, denn ich war Schüler des alten Ealhstan gewesen, des Tischlers, und hatte einen Blick für gutes Handwerk. Und die Seeschlange war eine Schönheit. Sie maß sechsundsiebzig Fuß in der Länge und siebzehn Fuß über die volle Schiffsbreite. Für sie waren mehr als zweihundert Eichenbäume gefällt worden, und sie bot ursprünglich Platz für sechzehn Ruderer auf jeder Seite. Aber Sigurd hatte Kampfplattformen am Bug und am Heck errichten lassen, sodass jetzt nur noch Platz für dreizehn Ruderer auf jeder Seite war. Unsere Mannschaft bestand aus zweiunddreißig Männern und einer Frau, sodass es für meinen Geschmack etwas eng war, aber nicht unbehaglich. Olaf hatte mir erzählt, dass sie auf einer von Sigurds Raubzügen mit einer doppelten Mannschaft von siebzig Kriegern gesegelt waren. Damals war die Seeschlange ganz neu und er hatte dieFjord-Elch noch nicht. Eine der Besatzungen ruhte sich aus, während die andere ruderte. Das war zweifellos recht nützlich, wenn es zu einem Kampf kam, aber ich konnte mir nicht vorstellen, mir den Schlafplatz mit so vielen furzenden Männern teilen zu müssen. Das Schiff hatte einen kleinen offenen Frachtraum für Handelsgüter und Proviant sowie ein klobiges Kielschwein und einen Kielbalken. Sie war vierzehn Planken hoch, hatte ein großes viereckiges Segel aus rot gefärbter Wolle, und an ihrem Bug prangte der Kopf von Jørmungand, der Midgard-Schlange, die die Erde umkreist. Die blassroten Augen der Bestie starrten auf das graue Meer hinaus in unsere Zukunft. Jeder Nordmann an Bord, jeder Krieger, der auf seiner Seekiste mit seinen Habseligkeiten hockte, ehrte die Seeschlange so, wie er seine Mutter ehrte, liebte sie, wie er seine Ehefrau liebte, und genoss sie, wie er seine Huren genoss.

Cynethryth drehte sich um und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ich schwöre, ihr Gesicht war so grün wie frischer Farn. Sie begegnete meinem Blick etwas verlegen. Also sah ich zur Seite und zeigte dem schwarzen Floki ein Stück geteertes Tau von der Kalfaterung, das sich gerade aus den beiden Planken neben ihm herausquetschte. Der Nordmann grunzte und drückte das dünne Stück Tau mit seinem knotigen Daumen wieder zurück. Früher einmal hatte ich geglaubt, dass Floki mich hasste. Aber mittlerweile waren wir uns nähergekommen, wie das bei Schwertbrüdern eben so ist. Allerdings schien er heute wieder schlechte Laune zu haben.

Pater Egfrith litt, soweit ich sah, nicht unter dem Schaukeln der Seeschlange, was vielleicht etwas damit zu tun hatte, dass Glum ihm mit einem Schwerthieb den Schädel fast gespalten hätte. Irgendwie hatte der kleine Mönch diese schreckliche Verletzung überlebt. Und schlimmer war noch, dass er sich entschlossen hatte, mit an Bord zu kommen. Es war ein sonderbarer Weg für einen Mönch, wenn der ihn auf ein Schiff voller Heiden führte, und vielleicht hatte das ebenfalls etwas mit dem Schwerthieb zu tun. Er war eine neugierige, miese kleine Ratte, aber irgendwie bewunderte ich ihn. Denn er musste gewusst haben, dass jeder von uns ihn wie eine Laus zerquetschen konnte, wenn er uns auch nur den kleinsten Vorwand dafür lieferte, oder einfach nur, weil wir Vergnügen daran fanden. Sicher, der Christensklave glaubte, dass er die Seeschlange in ein Schiff voller Christen verwandeln konnte, so wie er damit herumprahlte, dass sein Gott Wasser in Wein verwandelt habe. Allerdings glich meiner Meinung nach die Verwandlung von Nordmännern in Christen eher der Verwandlung von Wein in Pisse. Vielleicht hoffte er ja sogar, den Namen der Seeschlange zu ändern, vielleicht in Heiliger Geist oder Jerusalem, oder Christi haariges linkes Ei oder was weiß ich? Egfrith war ein Narr.

Als der kalte Seewind die Hitze des Tages vertrieb und die goldene Scheibe der Sonne nach Westen gerollt war, hatten wir die Fjord-Elch immer noch nicht gesehen. Am Bug der Seeschlange nickte Jørmungand sanft über den Wellen, starrte mit ihren blassroten Augen auf das Meer und suchte unermüdlich nach ihrem Schwesterschiff. Ich konnte mir fast vorstellen, dass die bösartige Bugfigur triumphierend brüllte, wenn die Fjord-Elch in Sicht kam.

»Ich glaube, dass dieses verfluchte Stück Schweinescheiße einen östlicheren Kurs gewählt hat als wir«, sagte Olaf, tauchte eine Kelle in das Fass mit dem Regenwasser und trank schlürfend. Er stand neben Knut, der das Ruder so vertraut hielt wie ein Mann die Hand seiner Braut. Sigurd stand hinter und etwas über ihnen auf der Kampfplattform und blickte in Richtung der Sonne, die allmählich hinter dem Rand der Welt versank und sein langes blondes Haar in goldenes Licht tauchte.

»Hältst du ihn wirklich für so gerissen?« Knut hustete und spuckte Schleim ins Meer. Olaf zuckte mit den Schultern.

»Ich glaube, dass er klug genug ist«, ergriff Sigurd das Wort, »um den kürzesten Weg für die Überfahrt zu nehmen und dann in Sichtweite der Küste nach Süden zu segeln, statt das offene Meer zu überqueren, wie wir es getan haben. Und dann wird er in die Mündung der Sequana einlaufen, des großen Flusses, der sich bis in das Herz des Frankenlandes frisst.« Olaf zog skeptisch eine buschige Braue hoch, aber meiner Meinung nach hatte Sigurd wahrscheinlich recht. Als christlicher Edelmann hatte Ealdorman Ealdred von den fränkischen Schiffen, die an der Küste entlang patrouillierten, weniger zu fürchten als wir Heiden. Außerdem hatte er zweifellos mehr Angst vor der offenen See als vor uns.

Olafs bärtiges Gesicht verzog sich fragend. »Also nuckelt dieses englische Arschloch an der Küste, als wäre es die Titte seiner Mutter«, sagte er. »Das ist dann wohl der Grund, warum wir bisher nichts von ihm zu sehen bekommen haben.«

Sigurd spitzte die Lippen und kratzte sich den blonden Bart, antwortete aber nicht. Er blickte hoch zum Segel, prüfte, wie der Wind es bewegte und das Tuch kräuselte. Dann betrachtete er den Tanz der dicken Schoten, die Richtung, aus der die Wellen kamen, und blickte dann erneut zur Sonne. Sie stand bereits tief im Westen. Er verzog die dicken Lippen wie ein Wolf, kurz bevor er die Zähne fletschte. Denn wenn er recht hatte, und Ealdred das Meer auf dem kürzesten Weg überquert hatte, dann hatte er die fränkische Küste weiter im Norden erreicht. Danach brauchten wir uns nur noch einen Ankerplatz mit einem guten Blick auf den offenen Kanal zu suchen und dort zu warten.

Bei Einbruch der Dunkelheit kamen wir an Land. Das Reich der Franken. Ich wusste damals nichts über die Franken, aber trotzdem wog allein dieses Wort schwer. Es bedeutete Macht – ein Wort, in dem, zumindest in den Ohren eines Heiden, die Drohung von scharfem Stahl und hasserfüllten Kriegern mitschwang, und der neuen unersättlich gierigen Magie – der Magie des weißen Christus. Denn der König der Franken war Karolus, der Herr der Christenheit. Sie nannten ihn Kaiser, so wie die Römer ihre Könige genannt hatten, die über Länder herrschten, die so weit entfernt waren wie der Himmel über ihnen. Und trotz seiner Ergebenheit gegenüber dem ans Kreuz genagelten Gott behaupteten die Männer, dass dieser Kaiser Karolus der größte Krieger auf der gesamten Welt sei.

»Riecht ihr das?«, rief Pater Egfrith. Er stand am Bug der Seeschlange und hütete sich davor, den geschnitzten Tierschädel von Jørmungand zu berühren. Vielleicht hatte er Angst, dass die Schlange Geschmack an Christen fand. »Man kann die Frömmigkeit riechen!«, rief er und schnupperte eifrig. Dabei verzog er sein spitzes Frettchengesicht vor Vergnügen. Die Küste tauchte vor uns auf – eine niedrige grüne Linie, die von grauen Felsen durchbrochen war. »Die Franken sind ein gottesfürchtiges Volk, und ihr König ist ein Licht in der Dunkelheit. Er ist das Leuchtfeuer, das die Menschen von dem Frevel wegführt, wie die große vom Wind gepeitschte Flamme, die die Schiffe davor rettet, an einem Felsen zu zerschellen.« Der Vergleich schien ihm ganz offensichtlich zu gefallen. »Wenn wir Glück haben, Raven, werden wir diesen großen König treffen, und weil Gott ihn liebt und weil Karolus angeblich ein großzügiger und gütiger König ist, bekommst du vielleicht die Gelegenheit, deine schwarze Seele reinzuwaschen. Kratze die Sünde davon ab wie Fett von der Haut eines Kalbes. Christus der Allmächtige wird Satan an seinem knorrigen Knöchel aus deinem blutigen Auge ziehen.« Das Frettchen grinste, und ich fragte mich, wie es sich wohl anfühlen würde, ihm dieses Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln. Doch dann lächelte ich, denn obwohl Egfrith mich für die Brut Satans hielt, so wertlos wie Schneckenschleim, hatte er etwas an sich, was ich mochte. Nein, mögen wäre zu viel gesagt. Der kleine Mann amüsierte mich.

»Dann hat Euer Gott hoffentlich starke Arme, Mönch«, sagte ich und deutete auf die Mannschaft aus Nordmännern hier auf der Seeschlange, »wenn er den Teufel aus uns allen herausreißen will. Vielleicht findet er Satan ja auch in Brams Achselhöhle oder in Sveins Arsch.«

»Die Sünde findet keinen Zufluchtsort, junger Mann«, tadelte Egfrith mich, als die Seeschlange eine hohe Welle nahm und er fast das Gleichgewicht verlor. Irgendwie schaffte er es, auf den Füßen zu bleiben, ohne Jørmungand berühren zu müssen. »Denn der Lohn der Sünde ist der Tod. Aber das Geschenk Gottes ist ewiges Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn!«

»Was faselt der kleine Mann da, Raven?« Svein drehte sich zu mir herum und legte seinen gewaltigen Kopf auf die Seite. Er fuhr mit einem neuen Elfenbeinkamm durch sein dichtes rotes Haar. Ich vermute, er hatte seinen alten Kamm mit dem fehlenden Zahn bereits vergessen. Svein war der größte Mann, den ich je gesehen hatte, ein Furcht einflößender und wortkarger Krieger, und er beobachtete Pater Egfrith wie ein narbenübersäter Hund einen verspielten Welpen betrachtet.

»Er sagt, sein Gott möchte in deinem Arsch nach Satan suchen«, antwortete ich auf Nordisch. »Ich habe ihm geantwortet, dass dir das vielleicht sogar gefallen könnte.« Die anderen lachten, Svein jedoch runzelte die Stirn. Seine haarigen Brauen trafen sich über seiner dicken Knollennase.

»Sag ihm, dass er und sein Gott sich gern an allem vergnügen dürfen, was aus meinem Arsch kommt«, gab er zurück, was ihm noch mehr aufmunternde »Hejs« einbrachte. Dann hob er seine rechte Arschbacke und furzte. Es war so laut, dass selbst Rán auf dem Grund des Meeres es gehört haben musste. »Für dich, Christensklave«, sagte er. »Komm und schnapp ihn dir, solange er noch warm ist.«

Ich lächelte immer noch, als ich Cynethryths Blick auffing. Ich biss die Zähne zusammen und verfluchte mich, weil ich mich aufführte wie der derbste Bauer. Cynethryths Augen hatten die Farbe von Efeu, und ihr Blick war fern und schwer, als sähe sie in meinem Blick die schrecklichen Ereignisse, die ihr Leben zerstört hatten. Ihre Seele wurde von diesen Erinnerungen versengt, wie Seide, die man zu nah an eine Flamme gehalten hatte. Ihr Gesicht war bleich und abgehärmt von der Seekrankheit, und doch war sie immer noch wunderschön. Sie blinzelte langsam, als läge in diesem Nichts vor ihren Augen die Freiheit, dann wendete sie sich ab, um die fernen Gestade zu betrachten, während die Seeschlange durch die Wogen glitt. Das Mädchen war rank wie ein Birkenzweig, und doch hatte es mich nach einem Kampf mit den Walisern weggeschleppt, als ich zu schwach war, um laufen zu können. Zusammen hatten wir uns in einer hohlen Eiche versteckt, und sie hatte meine Schulter genäht, hatte Beeren für mich im Wald gesammelt und nach unseren Feinden Ausschau gehalten. Aber ihr Vater hatte uns verraten, und da wir jetzt die Küste des Frankenreichs erreicht hatten, musste Cynethryth wissen, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis wir Ealdred gegenübertreten würden. Sie wusste auch, dass wir für diesen verräterischen Wurm nur kalten, harten Stahl übrig hatten. Jedermann an Bord war ein besserer Krieger als ich, außer vielleicht Pater Egfrith, und trotz allem, was ich zuvor gehofft hatte, war es höchst unwahrscheinlich, dass ich Ealdred töten würde. Aber für seinen Verrat an meinem Jarl und für den Schmerz, den er Cynethryth bereitet hatte, vor allem aber auch, weil ich jung und von Stolz beherrscht war, wünschte ich, dass Ealdred durch meine Klinge starb. Vielleicht würde Cynethryth ja Frieden finden, wenn der Ealdorman tot und kalt war. Aber vielleicht würde sie mich dafür auch hassen.

2

»Refft das Segel, Männer. Wir sollten die Fahrt lieber verlangsamen, es sei denn, einer von euch Hurensöhnen kann bei der Milch seiner Mutter schwören, dass diese Franken keine Felsen in ihrem Meer haben!«, rief Olaf von der Ruderpinne. Sechs Männer reagierten umgehend auf seine Worte. Sie schienen froh zu sein, endlich etwas zu tun zu haben. Zwei von ihnen lösten das Fall und ließen das Segel ein Stück den Mast herunter. Die anderen vier rollten das untere Drittel des Segels auf und verschnürten es mit den Reffbändern. Dann zogen die Männer erneut am Fall und spannten das verkleinerte blassrote Segel wieder, bis der Wind mit einem lauten Klatschen hineinfuhr. Das ganze Manöver dauerte so lange, wie ein Mann brauchte, um zu pissen, und Olafs Gleichgültigkeit verriet, dass er von seiner Mannschaft nicht weniger als diese Geschicklichkeit erwartete. Olaf war Jarl Sigurds Stellvertreter, sein vertrautester Hauptmann und Freund. Er war der erste von Sigurds Wölfen gewesen, der Erste, der dem Jarl sein Leben und sein Schwert geweiht hatte, und die anderen Männer nannten ihn liebevoll Onkel. Denn er war älter und erfahrener als alle anderen, außer dem alten Asgot, Sigurds Godi.

Olaf, Sigurd und Knut waren am Heck der Seeschlange ins Gespräch vertieft gewesen, noch bevor die gelbe Sonne das Meer im Westen berührte. Jetzt erlosch ihr Feuer lautlos im Wasser, machte dem Tag ein Ende und zwang uns, an Land zu gehen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollten, die Seeschlange auf unsichtbare Felsen zu setzen. Laut Knut, unserem Steuermann, nannte sich der Landstrich, auf den der Bug des Drachenschiffes gerichtet war, Bayeux. Wir mussten uns in den Wind drehen und Kurs nach Osten nehmen, sonst riskierten wir es, an der Sequana-Mündung vorbeizusegeln, was bedeutete, dass wir anschließend mühsam gegen den Wind nach Norden rudern mussten. Das konnte unsere Aussicht zunichtemachen, dieFjord-Elch einzuholen, bevor sie in die Mündung einlief.

»Also, Raven«, sagte Sigurd, »wir müssen uns entscheiden. Wollen wir die Geister der Franken verscheuchen? Oder kommen wir in Frieden?« Ich wusste, dass er auf die Bugfigur der Seeschlange anspielte, Jørmungand, die wir entweder auf dem Bug lassen oder abmontieren konnten, je nach Absicht der Nordmänner. Blieb sie, verärgerte sie vielleicht die Landgeister, die wir nicht kannten, statt sie zu verscheuchen, und möglicherweise waren diese Geister mächtig.

»Ich würde sie abnehmen.« Ich nickte zu der Figur. »Bis wir mehr über dieses Land wissen.«

»Bjørn! Bjarni!«, rief Sigurd. »Wir sind heute Händler.« Die Brüder grinsten, als sie von ihren Seekisten aufstanden und zwischen den anderen Männern zum Bug gingen. Sie würden Jørmungand abnehmen und sie im Frachtraum verstauen. Dort würde die Bestie geduldig im Dunkeln unter einer Schicht von Häuten warten, mit ihren roten Augen und ihrem zähnestarrenden Maul, das stets hungrig aufgerissen war.

Ich wusste, dass Sigurd seinen Befehl nicht wegen meines Ratschlags gegeben hatte. Sigurd war ein Furcht einflößender Krieger, aber selbst er würde nicht wie ein blutrünstiger Bär über ein unbekanntes Land herfallen. Er hatte mich auf die Probe gestellt, denn Sigurd glaubte, dass ein Jarl sowohl die Verschlagenheit Óðins als auch die grausame Stärke Thórs besitzen sollte. Er hatte diese beiden Fähigkeiten in gleichem Maß, und das war der Grund, warum ihm seine Männer bis zum Ende des Ozeans folgen würden.

Aber auch wenn wir in Frieden kamen, mussten wir uns auf einen Kampf einstellen. Es herrschte rege Betriebsamkeit, als die Männer sich auf die Landung vorbereiteten. Wir halfen uns gegenseitig in unsere Kettenpanzer, was auf einem schwankenden Schiff nicht einfach war. Ein Mann hielt das Brynja hoch, damit sein Kamerad sich hineinzwängen konnte. Bram half mir bei meinem, und wie immer überraschte mich das Gewicht des Panzers. Er hatte einmal Sigurds Steuermann Glum gehört, aber Glum war ein raffgieriger Haufen Ziegenscheiße gewesen. Er hatte Sigurd hintergangen, und jetzt war er tot.

Ich dankte den Klingen der Waliser, die seinem Leben ein Ende bereitet hatten. Doppelt, erstens, weil er den Tod verdient hatte, und zweitens, weil mir jetzt sein schönes Brynja gehörte. Nur sehr wenige Männer besaßen solche Kettenhemden, und jeder Krieger in Sigurds Wolfsrudel hatte eins. Ein guter Kettenpanzer konnte eine Klinge ablenken, was bedeutete, einer von Sigurds Wölfen war vier Männer in Lederrüstungen wert. Und damals war ich noch jung und versessen darauf, zu beweisen, dass ich das Brynja verdient hatte und es wert war, etwas zu tragen, was ein Vermögen kostete.

»Wir suchen einen ruhigen Ankerplatz«, sagte Sigurd zu seinem Steuermann.

Knut zog seinen langen, dünnen Bart durch die Faust und nickte. »Ein geschütztes Plätzchen mit einem schönen Blick aufs Meer gewährt, hej«, sagte er.

»Ein Wolf braucht seinen Bau«, stimmte Sigurd ihm zu. Er legte sich seinen grünen Umhang über die Schultern und befestigte ihn am Hals mit der Silberfibel in Form eines Wolfskopfes. Die Männer folgten seinem Beispiel, sodass ihre Kettenpanzer zum größten Teil unter ihren Umhängen verborgen waren, jedenfalls aus größerer Entfernung. Ich sorgte dafür, dass mein eigener brauner Umhang das Schwert an meiner Hüfte bedeckte. Dieses Schwert hatte ebenfalls Glum gehört und war eine sehr feine Waffe. Es hatte einen fünffach eingekerbten, versilberten Knauf, und auch der Griff war mit feinem Silberdraht umwickelt. Auf der Parierstange hatte der Schmied acht winzige Thór-Hämmer eingearbeitet, vier auf jeder Seite. Jeder einzelne war ein kleines Meisterwerk und zeigte, dass der Schmied sein Handwerk beherrschte. Glum musste viel Silber für diese Waffe bezahlt haben, oder aber er hatte einen reichen Edelmann im Kampf getötet und es erbeutet. Er könnte es natürlich auch gestohlen haben, obwohl ich das bezweifelte, denn obwohl Glum am Ende seinen Treueschwur gebrochen und seinen Jarl verraten hatte, war er einmal ein ehrenhafter Mann gewesen. Aber er war auch ein einfacher Mann, und Sigurds Methoden hatten ihn verwirrt. Sigurd brachte nicht ständig Blutopfer, nur weil er die Nornen und die Götter fürchtete, sondern er vertraute seinem eigenen Urteil, wann ein Opfer notwendig war und wann nicht. Auch pflegte Glum immer sofort zuzuschlagen und erst später nachzudenken. Sigurd hingegen überlegte erst, ob ein Kampf nicht auch zu vermeiden war. Was nicht bedeutete, dass Sigurd einen guten Kampf nicht zu schätzen gewusst hätte. Ich glaubte, dass er sogar mit der Midgard-Schlange ringen würde, wenn er wüsste, dass die Skalden zusahen, sodass sie anschließend davon singen könnten und selbst ihre Nachkommen hundert Jahre nach seinem Tod sich immer noch die Lippen befeuchten würden, um davon zu künden.

Als ich Sigurd in diesem Moment ansah, in seinem prächtigen Brynja und mit dem großen Schwert seines Vaters an der Hüfte, dachte ich unwillkürlich an den Helden Beowulf, der das Monster Grendel tötete. Die Geschichten darüber hatten in kalten Nächten am Herd meinen Kopf gefüllt. Ich dachte an den tapferen Týr, den Gott der Schlachten, an den mächtigen Thór, den Herrn des Donners, und an Óðin, den Gott des Krieges, den Vater der Gefallenen und Herrn des Kampfes. Denn Jarl Sigurd war das Mark all unseres Ehrgeizes. Er war die Legenden, die Geschichten, das Flüstern am Feuer. Aber er wandelte auf einem schmalen Grat, und ich glaube, dass er das auch wusste. Denn entweder liebten und begünstigten die Götter ihn, weil er ein großer Krieger war und weise, oder sie waren eifersüchtig auf ihn und wollten ihn vernichten. Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als wir uns der fränkischen Küste näherten, einen Steinwurf von Felsen und kleinen Inseln entfernt, und eine Bucht suchten, in der wir den Anker der Seeschlange setzen konnten.

Mein Mund war so trocken wie ein im Wind gedörrter Hering, aber ich war nicht als Einziger nervös. Ich sah, dass sich auch andere Nordmänner die vom Salz aufgesprungenen Lippen leckten, immer wieder die Fäuste ballten und sich ihr Haar flochten, um sich zu beschäftigen. Die windgepeitschte Küste, die wir jetzt in der Dämmerung erreicht hatten, wirkte menschenleer. Aber man konnte nicht erkennen, ob Krieger im hohen Gras hockten oder sich hinter Felsen duckten. Ein Ausguck auf einer hohen Klippe hätte das rote Segel der Seeschlange schon lange bemerkt, bevor wir ihn gesehen hätten. Vielleicht warteten bereits hundert Krieger darauf, uns niederzumetzeln, wenn wir durch die Brandung wateten. Wir umfuhren eine Klippe, an der sich das Wasser saugend und klatschend brach. Dahinter lag eine Bucht, die vor Ewigkeiten von Wind und Wellen aus dem Land geschnitten worden war. Als wir näher kamen, ertönte ein schrilles Pfeifen, das ich zunächst für das Heulen des Windes hielt, das durch die umliegenden Felsen vielleicht verstärkt wurde. Doch es glich mehr einem sonderbaren Singsang – und plötzlich begriff ich es. Robben! Die schwarzbraunen »Felsen« waren gar keine Felsen. Dutzende Seehunde lagen auf den vielen Sandbänken und stießen ihre heulenden Klagelaute aus.

»Holt das Segel ein, Männer!« Olaf bedeutete den Männern, den Anker fertig zu machen. Es war ein kugelförmiger Felsbrocken in einem schweren Holzrahmen, der an einem langen Seil befestigt war. »Männer, an die Riemen! Und schön ruhig jetzt.« Er ging zum Bug, um Ausschau nach Felsen unter der Wasseroberfläche zu halten. Hastein, ein dicker Mann mit einem runden Gesicht, war bereits dort und beugte sich über das Dollbord. Er maß die Tiefe, indem er ein Bleigewicht an einem Faden ins Wasser ließ. Jedes Mal, wenn das Gewicht den Meeresgrund erreichte, zog Hastein es wieder hoch und maß die Länge mit seinen ausgestreckten Armen. Dann klopfte er den Inhalt des hohlen Bodens des Bleigewichts in seine Handfläche und hielt Olaf und Knut den feuchten Sand hin. Olaf nickte.

»Bester Sandboden!«, rief er Sigurd zu. »Und wir haben Flut.«

Sigurd nickte, weil diese Bedingungen günstig für uns waren. Wir konnten mit der Seeschlange, wenn wir wollten, in die Bucht einlaufen und sie direkt auf den Strand setzen. Ich tauchte meinen Riemen mit kurzen Zügen in die wogende Brandung. Wir hatten Glück, und die Vorzeichen standen gut. Sigurd jedoch hatte andere Vorstellungen. Er rief zu Hastein am Bug. »Wie groß bist du, Hastein?«

Der Mann runzelte die Stirn. »Fünfeinhalb Fuß, Herr.«

Ich vermutete, dass er kleiner war, und dem Lächeln auf Sigurds Lippen nach zu urteilen, dachte er das auch.

»Dann solltest du besser schreien, wenn wir nur noch fünf Fuß Wasser unterm Kiel haben, verstanden?« Er drehte sich zu uns um. »Also los, Mädels, rafft eure Röcke. Ich habe gehört, das Wasser im Frankenreich ist besonders nass.«

Ein paar Männer stöhnten, weil niemand gern im Kettenpanzer über Bord sprang.

»Hört auf zu jammern, ihr Memmen!«, brüllte Olaf, während er den ledernen Kinnriemen seines Helms zuband. »Hofft lieber, dass Karolus nicht irgendwo da oben auf euch wartet, um die Legionen des weißen Christus auf uns zu hetzen!«

»Lieber gegen Legionen von Christen kämpfen, als wie ein Hund an Land zu paddeln«, knurrte Svein und stülpte sich den Helm auf den Kopf, als der Anker mit einem lauten Klatschen am Heck der Seeschlange ins Wasser geworfen wurde. Zwei Taue am Bug würden an Land gebracht und an Bäume oder Felsen gebunden werden. Dadurch würde das Schiff in der Bucht festliegen, sowohl vor Felsen als auch vor Feinden geschützt. Ich fragte mich, worüber Svein sich beschwerte. Immerhin war er so groß, dass ihm das Wasser nur bis zur Brust reichen würde, während es uns bereits in den Mund schwappte.

»Bjørn und Bjarni, ihr bleibt mit Knut und dem Mädchen an Bord«, sagte Olaf, als wir die Riemen in das dunkle Wasser tauchten und die Seeschlange vorsichtig so manövrierten, dass ihr Bug stets zum Strand gerichtet blieb. Hastein und ein Mann namens Yrsa glitten mit dicken Haltetauen über die Seite. Als die Seeschlange vertäut war, verstauten wir die Riemen und schlossen die Riemenlöcher. Dann ließen wir uns in das kalte Wasser gleiten. Wir hielten unsere Schwerter über den Köpfen, damit die mit Schafspelz gefütterten Scheiden nicht voll Salzwasser liefen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis das Fell wieder trocken wurde. Ich hielt mich am Dollbord fest, während ich versuchte, mit den Füßen den Grund zu erreichen. Ich wusste, dass der Schild, den ich auf den Rücken geschnallt hatte, in den Wellen und der Strömung schrecklich hinderlich sein würde.

»Ich will mitkommen, Raven.« Cynethryth beugte sich plötzlich über mich, als ich dort hing, voller Angst, dass das Kettenhemd mich gurgelnd auf den Meeresboden ziehen würde. Ich versuchte die Panik in meinem Gesicht zu unterdrücken. »Warum soll ich an Bord bleiben?«, fuhr Cynethryth fort. »Mein Kopf schmerzt schon den ganzen Tag, und mein Magen brennt. Ich muss mir die Beine vertreten. Ich will eine Weile allein sein. Kannst du das verstehen?«

Ich klammerte mich an die Seeschlange, bis zur Brust in kaltem Wasser, und hatte Angst loszulassen. Das Meer tötet Männer, und die Franken töten Heiden. Eine Welle schlug über mir zusammen, und ich schluckte Salzwasser, woraufhin ich fürchterlich würgte. »Außerdem«, der Anflug eines Lächelns zuckte um Cynethryths Lippen, »sieht es aus, als bräuchtest du ein bisschen Hilfe. Die anderen haben den Strand schon fast erreicht.«

»Mach doch, was du willst, Weib!«, erwiderte ich und ließ los. Ich landete mit einem Platschen im Meer. Erleichtert fühlte ich, wie meine Füße den weichen Sand aufwühlten. Ich wendete mich dem Ufer zu. Dann platschte es erneut. Cynethryth war ins Wasser gesprungen. Im nächsten Moment schwamm sie schnell wie ein Otter voraus, während ich mühsam gegen das Wasser ankämpfend folgte. Ich starrte in den violett-schwarzen Himmel und presste die Lippen zusammen, damit ich in der wogenden Dünung kein Wasser mehr schlucken musste.

»Warte auf mich, Cynethryth!«, rief Pater Egfrith. Offenbar hatte er endlich den Mut gefasst, an Land zu gehen. »Bei allen Heiligen, Mädchen, warte auf mich!« Wieder platschte es hinter mir. Ich biss die Zähne zusammen und kämpfte mich energischer vor. Lieber nahm ich es mit jeder einzelnen von Ráns Töchtern auf, als dass ein christlicher Mönch vor mir den Strand erreichte.

Am Ufer wrangen wir das Wasser aus unseren durchnässten Umhängen, hüpften in unseren klirrenden Kettenhemden auf und ab und liefen in unseren vor Wasser quietschenden Stiefeln herum. Bei diesen Geräuschen watschelten die Robben in unserer Nähe ans Ufer oder glitten von den Felsen ins Meer. Diejenigen, die etwas weiter von uns entfernt waren, achteten überhaupt nicht auf uns. Ich vermutete, einige von ihnen würden das bald bereuen, denn wir waren hungrig. Ich konnte an der Schilfablagerung weiter oben am Strand erkennen, dass die Gezeiten im Frankenreich stärker waren als an der Küste von Wessex. Ich hoffte, dass Knut das ebenfalls aufgefallen war und er weit genug draußen den Anker geworfen hatte, damit die Seeschlange nicht bei Ebbe trockenfiel.

Der schwarze Floki lief bereits den Strand hoch. Er hielt den Speer in der Hand, und seine schwarzen Zöpfe und sein Schild hüpften, als er einen schmalen Pfad hochrannte. Er wollte zu einer höheren Stelle, von wo aus er Wache halten konnte. Egfrith sah aus wie eine ertränkte Ratte. Seine nasse Kutte klebte an seinem hageren Körper. Ich bemerkte, dass Cynethryths Kleid ebenfalls an ihrem Körper klebte, aber das bot einen erheblich erfreulicheren Anblick. Nach einem Moment sah ich weg und ärgerte mich, als mir auffiel, dass die anderen Männer das nicht taten. Freyja, die Göttin der Schönheit, machte die Männer lüstern, und obwohl Cynethryth vor Kälte zitterte, zog sie die Blicke der Männer an wie ein silberner Halsreif.

Sigurd streifte sein nasses blondes Haar zurück und band es im Nacken zusammen. Dann sah er zurück zur Seeschlange, die sanft in der geschützten Bucht dümpelte.

»Sie ist so wunderschön, hej, Raven.« Die Dämmerung ließ das ruhige Wasser rot und golden aufleuchten.

»Sie ist herrlich, Herr«, sagte ich, dachte aber noch an Cynethryth.

»Es besteht die Möglichkeit, dass dieser Wurm Ealdred noch vor Einbruch der Dunkelheit hier vorbeisegelt. Aber ich halte es für wahrscheinlicher, dass er mittlerweile Anker geworfen hat und erst bei Tagesanbruch weiterfährt. Also bleiben wir an diesem Strand, bis die Fjord-Elch kommt.«

»Wenn wir Glück haben, dann wird Njørð sie in diese Bucht blasen.« Ich beobachtete zwei kreischende Möwen, die hoch über uns geschickt durch die kühle Luft glitten. Die Menschen glaubten, dass Njørð sonnige Buchten und Bäche liebte, weil sie seinen geliebten Seevögeln Heimstatt boten. Dann musste er auch diesen Platz geliebt haben. Auf dem Sand wuchsen in kleinen Büscheln hellrote Grasnelken, deren strahlende Blüten im Wind zitterten. In diesem Zwielicht sah es aus, als würde der Boden selbst beben. Weiter oben hatten sich dichte Sanddornbüsche in den Sand gekrallt. Um ihre silbergrünen Blätter scharten sich Tausende bittere Beeren, die sich im September gelb färbten.

»Glaubst du immer noch, dass ich meinen Namen verdient habe?« Sigurd überrumpelte mich mit dieser Frage. Ich wusste, dass er seinen Beinamen »der Glückliche« meinte. Er drehte sich zu mir herum und sah mich ruhig und offen an.

»Der Frachtraum der Seeschlange könnte keine weitere Fibel aufnehmen.« Ich deutete mit einem Nicken auf das Schiff. »Du hast deine Männer mit Silber und anderen Schätzen reich gemacht.« Ich lächelte. »Svein ist so glücklich wie ein Eber im Pfuhl, und dazu brauchte es nur einen neuen Kamm! Und Floki … er ist zufrieden, solange er über irgendetwas brüten kann. Bevor ich diese Robben gesehen habe, dachte ich, es wäre Floki, der da wimmert, weil er Hunger hat.«

Sigurd fuhr mit den Zähnen über seine Lippe und brummte leise. Er sah mich noch eine Weile an, blinzelte dann und nickte fast unmerklich. Anschließend drehte er sich um und marschierte den Strand hinauf. Seine Linke lag auf dem Knauf seines Schwertes, als er seinen Männern Befehle zubrüllte. Sie sollten ebenfalls auf die höheren Dünen oder Klippen klettern und nach der Fjord-Elch Ausschau halten. Einen Moment sah ich ihm nach, dann holte ich tief Luft und sog den scharfen Geruch der blühenden Grasnelken ein. Dann drehte ich mich um. Cynethryth tauchte hinter drei vom Wasser glatt geschliffenen Felsbrocken in der Brandung auf. Ich fragte mich, ob sie bereits ihre Entscheidung bedauerte, Wessex verlassen und uns begleitet zu haben. Denn sie konnte nicht damit rechnen, dass sie in unserer Gemeinschaft häufig so ungestört sein würde.

Die Sonne war längst untergegangen und ließ nur noch die Wolken im Westen glutrot leuchten. Auf einem Felsen im Meer saß ein Kormoran, der seine großen schwarzen Flügel getrocknet hatte. Jetzt schwang er sich empor in den Himmel, und sein lautes Krächzen hallte über das Wasser. Ich spürte Cynethryth neben mir.

»Er ist besorgt, dein Jarl.« Ihr Blick folgte dem Vogel, der seinen langen Hals streckte und in die Nacht flog.

»Er glaubt, sein Glück rinnt ihm durch die Finger, wie Sand«, sagte ich und stieß mit dem Fuß gegen einen nassen Haufen, der aussah wie ein in sich verschlungener Wurm. Sie waren überall, ebenso wie die winzigen Löcher, aus denen die kleinen Schlammhaufen herausgekommen waren. »Er macht sich Sorgen, dass die Götter sich gegen ihn gewendet haben könnten und er seinen Männern nicht das geben kann, was sie noch mehr begehren als Silber, Felle und neue Elfenbeinkämme.«

»Und was wollen sie, Raven?«, fragte Cynethryth, und mir war klar, dass sie eigentlich wissen wollte, was ich wollte. Sie suchte meinen Blick, und ich fühlte mich wegen meines blutigen Auges unsicher, das blinde Auge, das bei den meisten Menschen Abscheu und Angst auslöste, aber weswegen Sigurd mich verschont hatte. Er glaubte, ich sei von den Göttern auserwählt, von Óðin selbst. Bevor ich antworten konnte, bohrte sich etwas in meinen Rücken, und ich sah mich um. Asgot, Sigurds Godi, stand hinter mir und machte Anstalten, mich erneut mit dem Schaft seines Speers anzustoßen.

»Ich habe es jetzt geschluckt, Junge, also kannst du es auch tun«, sagte er mit seiner uralten, brüchigen Stimme. Ich stand mit dem Wind im Rücken, aber ich konnte den Gestank des Mannes immer noch riechen. Cynethryth ging es offenbar auch so, denn sie presste ihren Handrücken gegen die Nase.

»Was soll ich schlucken?« Ich misstraute dem Mann wie immer, ihm und seiner sonderbaren Magie, die sich auf Blutopfer stützte.

»Du bist Óðins Wechselbalg.« Er verzog sein wettergegerbtes Gesicht. »Zumindest ist dein Wyrd in den Umhang des Allvaters gewoben.« Er lächelte und zeigte seine braunen Zähne, bei dessen Anblick es mich schüttelte. Ich fragte mich, durch welchen Seiðr er herausgefunden hatte, was ich dachte.

»Sigurd hat recht, was dich angeht, denn du hast uns nur Gutes gebracht.« Er nickte und stemmte den Schaft des Speeres in den Sand. »Du bist gezeichnet. Wie sonst könntest du noch atmen? Die Hälfte der Krieger, die mit Sigurd aufgebrochen sind, sind gefallen. Du hast neben Männern im Schildwall gestanden, die viermal besser sind als du, die einige der besten blutgierigen Wölfe waren, die unser Land jemals hervorgebracht hat. Und doch stehst du hier und spuckst große Töne.« Er richtete sein schreckliches Lächeln auf Cynethryth, die ihn finster anstarrte. Der Godi bereitete ihr Unbehagen. »Der Lebensfaden dieses Jungen ist sicher unter dem Hut des Wanderers versteckt, Mädchen«, sagte er auf Nordisch, was Cynethryth nicht verstand. »Sonst würden die Würmer schon längst an seinen Eingeweiden saugen.« Er verzog das Gesicht. »Oder etwa nicht, Raven?«

»Ich habe Glück gehabt, Asgot.« Mir fiel auf, dass ich unwillkürlich nach dem Schwertgriff an meiner Hüfte tastete. Wir berühren unsere Waffen, um das Glück zu beschwören, und die Christen verachten uns dafür. Aber warum sollten wir das nicht tun? Unsere Waffen erhalten uns am Leben. Ich habe gesehen, wie die Christen mit der Hand bekreuzigen. Vielleicht bringt ihnen das ja Glück. Allerdings würde ich gern sehen, was ihnen ihr Bekreuzigen hilft, wenn zwei Schildwälle aufeinanderprallen.

»Glück, sagst du?« Wieder warf Asgot einen Blick auf Cynethryth. Die Knochen, die in sein Haar geflochten waren, klapperten. Seine hellblauen Augen weiteten sich. »Vielleicht erklärt das, warum das Glück unseren Jarl so schnell verlässt, wie Rotz aus der Nase eines Trolls läuft. Du hast Sigurds Glück gestohlen, Raven. Es ist gesprungen«, er hüpfte plötzlich von einem Fuß auf den anderen, »von ihm zu dir, Junge, wie eine Laus.« Er grinste Cynethryth säuerlich an und deutete mit seinem knorrigen Finger auf sie. »Du solltest … dich von ihm fernhalten«, radebrechte er auf Englisch. »Ihm folgt der Tod wie ein Gestank.«

»Es ist allein dein ranziger Gestank, der hier die Luft verpestet, alter Mann.« Cynethryth kehrte dem Godi den Rücken zu. »Geh ein Stück mit mir, Raven. Meine Beine sind froh, dass sie wieder auf festem Boden stehen, und sie wollen sich unbedingt bewegen.« Wir ließen Asgot stehen, der ein Lachen ausstieß, das klang, als würde man Fingerknochen brechen.

Etwas weiter entfernt am Strand sah ich, wie Bram und Svein geduckt und mit den Speeren in den Händen an eine Gruppe von fünf oder mehr schlummernden Robben heranschlichen, von denen einige einen fuchsroten Pelz hatten.

»Wir sollten Holz für das Kochfeuer sammeln«, sagte ich zu Cynethryth. Ich deutete auf die höheren Dünen jenseits des Strandes. »Da oben auf der Klippe sollte genug liegen.«

Obwohl ich erleichtert war, dass Asgot mir nicht mehr mit seinem Opfermesser an die Kehle wollte, war mir das Blut in den Adern gefroren, als er sagte, ich hätte Sigurds Glück gestohlen.

3

Wir holten zwei große eiserne Kochtöpfe aus der Seeschlange und füllten Fleisch und etwas Speck von vier Robben hinein. Wir fügten noch alle möglichen Schalentiere, die wir in der Bucht gesammelt hatten, hinzu, Herzmuscheln, Miesmuscheln und Strandschnecken. Arnvid fand eine Knolle Fenchel, und ein anderer Mann, Bothvar, zog drei Meerrettichwurzeln aus der Erde. Er zerkleinerte sie und warf sie in den blubbernden Eintopf. Unsere Münder brannten, ganz gleich, wie viel Wasser wir tranken. Bram bestand darauf, dass Bier das richtige Heilmittel wäre, solange man bereit war, genug davon zu trinken. Wir folgten seinem Rat nur allzu gern. Wir tunkten diesen schmackhaften Eintopf mit altem Brot auf, das wir aus den Zelten am Strand von Wessex mitgebracht hatten, und auf das wir den restlichen Robbenspeck verteilten. Wir hatten ihn zuvor mit einer Handvoll Salz aufgeweicht.

»Es war eine Schande, diese rote Robbe zu töten, hej, Svein«, sagte Bram. Fett schimmerte im Licht des Kochfeuers in seinem Bart.

»Ich bin immer noch traurig deswegen«, antwortete Svein und schlürfte die Brühe aus einem tiefen Löffel. »Sie hatte so hübsche Augen.«

»Ja, sie hat mich an deine Schwester erinnert«, sagte Bram frech und zwinkerte Arnvid zu, der leise lachte.

Sigurd hatte Männer landeinwärts geschickt, die nach Siedlungen oder Häusern suchen sollten. Er hatte ihnen eingeschärft, sich nicht sehen zu lassen. Wir wollten auf keinen Fall, dass irgendein fränkischer Büttel uns mitten in der Nacht aufweckte. Denn Pater Egfrith war fest davon überzeugt, dass der Heilige Geist, der in diesem Land so viel Macht hatte, die guten Christen vor der Anwesenheit dieser Heiden warnen würde. Sie würden anmarschiert kommen und uns töten, flammende Kreuze schwingen und mit Schwertern zuschlagen, die in Weihwasser getaucht waren.

»Lass sie nur kommen, Mönch«, hatte Sigurd erwidert. »Denn ich habe noch nie gesehen, dass ein hölzernes Kreuz viel gegen eine nordische Axt ausrichtet. Und ob die Franken ihre Klingen in Weihwasser tauchen oder in Fässer mit Jungfrauenpisse, ist mir egal. Solche Klingen rosten, und man muss sich nicht vor ihnen fürchten.« Die Nordmänner hatten darüber gelacht, aber wir hielten sicherheitshalber trotzdem die Augen offen.

Von der Fjord-Elch war nichts zu sehen. Tagsüber behielten mindestens sechs Männer den Kanal jenseits der Bucht im Auge, und auch nach Einbruch der Dunkelheit hatte Sigurd Wachen aufgestellt. Die Männer hielten im Licht des Mondes und der Sterne Ausschau, falls Ealdred kühn oder dumm genug gewesen war, in der Nacht zu segeln. Also warteten wir, eingelullt vom unaufhörlichen Seufzen des Ozeans.

Ich schlief neben Cynethryth, was bedeutete, dass auch Pater Egfrith in der Nähe war. Er zappelte im Schlaf herum und stöhnte. Offensichtlich schützte es einen auch nicht vor Flöhen, wenn man ein Anhänger des weißen Christus war. In seiner Kutte musste es von diesen bissigen Mistkerlen nur so wimmeln. Aber trotz allem schien Cynethryth die Anwesenheit des Mannes zu trösten, und dafür war ich dankbar.

So wie Cynethryth nie weit weg von Egfrith war, entfernte sich auch der Wessexmann Penda nicht weit von mir. Penda wollte den Tod seines Ealdormans ebenso wie wir, vielleicht sogar noch mehr. Zweifellos malte er sich aus, wie er den tödlichen Schlag als Zahlung für Ealdreds Verrat selbst führte, denn der Ealdorman hatte praktisch jeden Wessexmann auf dem Gewissen, der mit uns ins Land der Waliser marschiert war. Aber Pendas Blutgier zerstreute nicht das Misstrauen der Männer, mit denen er jetzt reiste. Trotz seiner Kampfgier und seiner tödlichen Geschicklichkeit war der Krieger mit dem stacheligen Haar immer noch ein Christ. Es fiel ihm sicherlich nicht leicht, die Gesellschaft von Männern zu ertragen, die an den alten Sitten festhielten. Und doch hatten Penda und ich nebeneinander gekämpft und gemeinsam geblutet. Wir hatten überlebt, als der Tod so viele andere geholt hatte, und ganz gleich wie unterschiedlich wir auch sein mochten, waren wir verbunden mit einem Band so stark wie Gleipnir, der magischen Fessel, die aus den Wurzeln eines Berges und der Spucke eines Vogels geschmiedet wurde und den Wolf Fenrir band. Penda behielt Cynethryth ebenfalls im Auge, aber ich vermutete eher, weil er sie beschützen wollte, und nicht, weil Freyja seine Lust erregte. Auf jeden Fall war es nicht derselbe Blick, den er in Wessex dieser rothaarigen Schönheit zugeworfen hatte. Für mich hatte diese große Rothaarige wie ein lasterhaftes Weib ausgesehen, vielleicht sogar wie eine Hure, aber Penda hatte davon geredet, dass er sie heiraten wollte. Also vermutete ich, dass er einfach nur eine Schwäche für Cynethryth hatte, weil sie aus seinem eigenen Land kam. Oder weil sie eine Frau unter rauen Männern war, oder weil er ihren Bruder Weohstan geliebt hatte. Trotzdem, nichts davon würde genügen, um ihren Vater zu retten, wenn die Zeit kam. Auch in dieser Hinsicht waren wir uns beide einig.

Der Tag brach spät an, weil die Sonne nur mit Mühe die tief hängenden grauen Wolken durchdrang. Es nieselte seit den frühen Morgenstunden, und wir wachten klamm und gereizt auf. Nicht zuletzt, weil unsere Nachbarn, die Robben, wieder angefangen hatten zu heulen, als hätten sie unsere Speere vergessen. Die Männer der letzten Wache kehrten gähnend zurück. Ihre geröteten Augen fielen ihnen zu, als sie das Feuer anfachten und sich unter Decken und geölten Häuten darum herumhockten. Egfrith reichte mir einen Becher Regenwasser, und ich bedankte mich knurrend, bevor ich einen Schluck nahm und den Becher Penda weiterreichte. Cynethryths Schlafplatz war leer, und Penda musste die Falten auf meiner Stirn richtig gedeutet haben. Denn er grinste und deutete mit einem Nicken zu den Felsen, von denen jetzt bei Ebbe viele zu sehen waren. Cynethryths Kleider lagen auf einem der Felsen, während sie verborgen vor unseren Blicken badete. Einen Moment stellte ich mir vor, wie sie sich in der kalten, brausenden Brandung wusch. Aber das Bild in meinen Gedanken war ebenso quälend wie verführerisch, und ich rutschte unbehaglich hin und her, während ich mich auf etwas anderes konzentrierte.

Penda wies mit dem Kopf zu den Dünen hinter uns.

»Sigurd ist seit Tagesanbruch dort oben«, sagte er.

»Er will sein Schiff zurückhaben«, erwiderte ich. Ich verzichtete darauf, zu erwähnen, dass Sigurd Angst hatte, sein Glück würde ihn verlassen, denn der Tod war der Kameradschaft wie ein hungriger Schatten gefolgt, und der Mann, der uns verraten hatte, war entkommen. »Wenn die Fjord-Elch mein Schiff wäre, würde ich sie auch zurückhaben wollen.«

Penda nickte. Der Kormoran war zurückgekehrt und krächzte irgendwo die grauen Wolken an. Offenbar empfand er das fortwährende Nieseln ebenso unangenehm wie wir.

»Was wird er tun, wenn er sie zurückbekommt?«, wollte Penda wissen. »Sind wir genug Männer, um zwei Schiffe zu bemannen?« Trotz der Nässe stand sein dickes Haar in stacheligen Strähnen von seinem Kopf ab. Wir hätten Stöcke sammeln und sie in den Sand bohren sollen, um Zelte aus unseren Ölhäuten aufzuschlagen. Aber als wir uns schlafen gelegt hatten, war die Nacht mild und trocken gewesen. Und jetzt war es zu spät. Wir waren bereits vollkommen durchnässt.

»Sigurd wird schon wissen, was zu tun ist.« Ich kratzte mir den Bart. Es war kein besonders prachtvoller Bart. Ein starker Sturm hätte ihn mir sicherlich vom Gesicht gerissen, aber trotzdem war ich stolz darauf. Obwohl er juckte, als tummelten sich Pater Egfriths Flöhe darin. »Dieser Schatz, den wir Ealdred wegnehmen, muss so groß sein, dass wir uns noch ein Drachenschiff wie die Seeschlange oder die Fjord-Elch kaufen können«, fuhr ich fort. »Wir sind reiche Männer, Penda.«

Er schüttelte den Kopf. »Dieser Schatz da glänzt für mich schon genug.« Er deutete auf die Seeschlange, die ungerührt dalag und sanft in der Dünung des Niedrigwassers schaukelte. »Aber für mich sieht sie aus wie die Frau eines anderen Mannes.« Zwei Nordmänner waren hinausgeschwommen, um Bjørn und Bjarni abzulösen. Die beiden wateten gerade an Land, die Schwerter und Schilde hoch über ihre Köpfe haltend. »Ich werde mir mein eigenes Silber verdienen, Junge«, fuhr Penda barsch fort und berührte das Blatt des Speers neben sich. Er streckte ein Bein aus und trat einen brennenden Ast zurück ins Feuer. Er zischte wütend. Andere Nordmänner saßen um andere Feuer, wachten allmählich auf, tranken Wasser und unterhielten sich leise. Es war ein mieser Tag, aber die Luft roch grün und frisch.

»Sigurd kennt deinen Wert«, erwiderte ich, als ich mich an das Gemetzel erinnerte, das Penda vor meinen Augen angerichtet hatte. Dieser Wessexmann war etwas ganz Besonderes, ein Krieger, der es wert war, sich Sigurds Wölfen anzuschließen. Und das musste auch er selbst gewusst haben, und doch drängte es ihn, sich zu beweisen, wie es allen Kriegern geht.

Er zuckte mit den Schultern. »Wenn wir endlich auf diesen verräterischen Mistkerl Ealdred stoßen, dann wird dein Jarl Sigurd sehen, was für ein Mann ich wirklich bin. Mein Schwert wird für mich sprechen. Es wird singen, Raven, wie ein guter Scop.« So nannten wir die Skalden, und er grinste und griff in der Luft nach etwas Unsichtbarem. »Dann werde ich mir nehmen, was man mir schuldet.«

So verbrachten wir den Tag damit, uns über das Wetter zu beschweren, Tafl zu spielen und uns wiederholt um unsere Waffen zu kümmern. Das war bei feuchtem Wetter eine sich ständig wiederholende Aufgabe. Wir langweilten uns. Bis auf die Kundschafter wagte es niemand, sich allzu weit von der Bucht zu entfernen, weil die Gefahr bestand, auf irgendwelche Franken zu stoßen, oder dass wir rasch in See stechen mussten, weil die Fjord-Elch draußen im Kanal zu sehen war. Aber die Fjord-Elch kam nicht. Wir aßen an diesem Abend wieder Robbenfleisch, weil diese Kreaturen einfach zu dumm waren, um sich vor uns in Acht zu nehmen. Der Himmel hörte nicht auf, auf uns herunterzuspucken, und diesmal wurden an den Feuern nur wenige Witze gerissen.

Sigurd brütete. Der Jarl hielt sich von den anderen fern. Olaf war der Einzige, der es wagte, ihn anzusprechen. Obwohl selbst er nur wenig sagte, weil er in seine eigenen Gedanken vertieft war. Vielleicht dachte er an seinen Sohn, den weißhaarigen Erik, der gespickt mit Pfeilen vor Ealdreds Halle gestorben war. Er war Olafs einziger Sohn gewesen, und jetzt gab es niemanden mehr, der Olafs Blutlinie weitertrug. Ich fragte mich, ob der Mann jemals zu der Mutter seines toten Sohnes zurückkehren würde, oder ob er sein Segel nach einem Wind ausrichtete. Einem Wind, der seinen Namen in eine Geschichte wehte, die in zukünftigen Jahren am Herd eines lebendigen Erben gesungen werden würde. Denn ich hatte gesehen, wie Olaf am englischen Strand selbst in einer aussichtslosen Situation zum Kampf geraten hatte. Deshalb glaubte ich, dass sein Herz gebrochen war.

Wieder wurden Wachen aufgestellt, und diesmal gehörte ich dazu. Ich kletterte gern den feuchten Hügel hinauf, griff in die dichten Grasbüschel und zog mich daran hoch. Den Schild hatte ich auf den Rücken geschnallt, das Schwert trug ich an der Hüfte und in der Linken einen Speer. Penda ging mit mir, obwohl er Cynethryth ebenso ungern verließ wie ich.

»Der Mönch wird sie bewachen«, brach ich das Schweigen, als wir hinaufkletterten. Wir waren etwa hundert Schritte von einem schmalen Felsvorsprung entfernt, der steil nach rechts zum nördlichen Ende der Bucht hinaufführte. Dieser steile Pfad würde uns zu einer Kalksteinklippe auf der Landzunge bringen, einem der Beobachtungsposten, wo ein Mann namens Osk bei der letzten Wache angeblich die Küste von Wessex hatte sehen können. Andere behaupteten jedoch, es wäre nur eine tief hängende Wolke am Horizont gewesen.

»Dieser alte Ziegenbock Asgot macht mich wütend«, sagte Penda schließlich. Er hustete und spuckte aus. »Ich habe beobachtet, wie er Cynethryth mit seinen Blicken förmlich verschlingt, und das gefällt mir ebenso wenig, als würde ich mir den Hintern mit Brennnesseln abwischen.«