Systemtheoretische Beobachtungen II - Eberhard Blanke - E-Book

Systemtheoretische Beobachtungen II E-Book

Eberhard Blanke

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Beschreibung

Beiträge zum Verhältnis von Theologie und Systemtheorie.

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Inhalt

Einführung

Thesen zur Theologie

Wie ist religiöse Kommunikation möglich?

Sinn und Information in der Predigt

Predigt als Relitainment

Thesen zur Pastoraltheorie

Thesen zur Moral

Religion und Moral

Interaktionssysteme und Moral

Transzendentaltheorie und Systemtheorie

Einführung

Nach unserem Band „Systemtheoretische Beobachtungen I“1, dessen Beiträge zum Verhältnis von Theologie und Systemtheorie sich insbesondere dem Zusammenwirken von Kommunikation und Bewusstsein gewidmet haben, legen wir mit diesem zweiten Band Überlegungen zu kommunikativen Formen in den Bereichen homiletischer, pastoraler und moralischer Fragestellungen vor.

Nach einleitenden Thesen zur Theologie als Reflexionstheorie der Religion folgt unter der Überschrift ,Wie ist religiöse Kommunikation möglich?‘ ein Beitrag zum 90. Geburtstag von Niklas Luhmann, der in gekürzter Form in der Dezemberausgabe 2017 des Deutschen Pfarrerblattes erschienen ist.2

Es schließen sich zwei Beiträge zu Fragen religiöser Rede bzw. Predigt an, die insbesondere auf das Verhältnis zum Funktionssystem der Massenmedien zu sprechen kommen. Die leitenden Stichworte sind Sinn, Information, Unterhaltung und Moral.

In der Mitte unseres Sammelbandes stehen ,Thesen zur Pastoraltheorie‘, die den vier Identifikationsgesichtspunkten Personen, Rollen, Programme und Werte nachgehen, die in kommunikativen bzw. sozialen Erwartungszusammenhängen eine maßgebliche Rolle spielen.

Es folgen drei Texte zu den Verflechtungen religiöser und moralischer Kommunikation, die sich historisch ergeben haben, aber mit der Ausbildung einer funktional differenzierten Gesellschaft fraglich geworden sind. Die These lautet: Religiöse Kommunikation würde gut daran tun, sich in ihrem eigenen Interesse aus der Liaison mit Moral zu lösen und als eigenständiger Sinnhorizont autonom aufzustellen. Insbesondere im Hinblick auf die starke Nutzung von Interaktionssystemen seitens der religiösen Kommunikation und deren Anfälligkeit für moralische Kommunikation ist damit eine beachtliche Herausforderung verbunden.

Unser Sammelband schließt mit einem Beitrag zu den Prämissen genereller Theoriebildung und geht der transzendentaltheoretischen Frage nach der ,Bedingung der Möglichkeit von …‘ und deren Transformation innerhalb der Systemtheorie nach.

Auch in diesem zweiten Band unserer Beobachtungen zum Verhältnis von Theologie und Systemtheorie kommt das Potenzial der Grundbegriffe und Leitunterscheidungen einer auf Niklas Luhmann zurückgreifenden Theoriebildung deutlich zum Vorschein. Es treten neue und zum Teil ungewöhnliche Möglichkeiten sowohl der Auflösung als auch der Rekombination von Begriffen ans Licht, die ebenso neue und ungewöhnliche Strukturmomente zukünftiger Theoriebildungen anzudeuten vermögen.

Meiner Frau Ulrike danke ich sehr für die redaktionelle Durchsicht der Texte.

1 Blanke, Eberhard (2017): Systemtheoretische Beobachtungen I. Norderstedt.

2 Blanke, Eberhard (2017): Wie ist religiöse Kommunikation möglich? Niklas Luhmann zum 90. Geburtstag. In: Deutsches Pfarrerblatt, 12/2017, S. 694-698.

Thesen zur Theologie

1. Theologie als Reflexionstheorie der Religion

Theologie gilt uns als Reflexionstheorie der Religion. In ihrer Kommunikation bezieht sie sich, indem sie sich auf religiöse Kommunikation bezieht, auf sich selbst. Derart reflexive Theorien sind operativ geschlossen, aber kognitiv offen. In diesem Sinne ist Theologie ein sich selbst beobachtendes selbstreferentielles System. Anhand seiner Operationen beobachtet es, wie es operiert. Dies ist zugleich eine Antwort auf die Frage nach dem Theologischen der Theologie, die jede Theologie zu beantworten genötigt ist.

2. Theologie bestimmt die Identität von Religion

Die Frage danach, was theologisch als religiös zu beschreiben ist, ist eine andere Fassung der Frage nach der Identität der religiösen Kommunikation. Theologie als Reflexionstheorie der Religion konstituiert deren Einheit bzw. Identität. Sie beobachtet und beschreibt religiöse Kommunikation hinsichtlich deren Reflexivität und generiert daraus den Aufbau einer bestimmten Sinnstruktur. Insofern kann beispielsweise von einer christlichen Theologie gesprochen werden, die sich aufgrund eines bestimmt gewählten Sinnhorizontes einstellt.

3. Theologie ist ungleich Religion und vice versa

Religion und Theologie unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Reflexionsstufe und verbleiben auf diese Weise indeterminierbar gegeneinander. Sowohl religiöse als auch theologische Kommunikation determinieren sich in ihren selbstreferentiellen Operationen selbst und stellen sich insofern autonom auf. Dies bedeutet unter anderem: Die Unterscheidung Religion/Theologie ist eine andere als die Unterscheidung Theologie/Religion. Ob und wie sie sich einander voraussetzen oder bedingen, wird im jeweiligen Sinnhorizont der Theologie bzw. der Religion entschieden. Für eine christliche Theologie folgt daraus, dass sich jeweils eine andere Theologie ergibt, je nachdem wie die Unterscheidungen gewählt werden.

4. Selbstreferenz/Fremdreferenz der Theologie

Wenn von einer selbstreferentiellen Kommunikation der Religion oder der Theologie gesprochen wird, liegt dieser Zuschreibung jeweils die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz voraus. Selbstreferenz findet in der Form der Unterscheidung von Selbstreferenz/Fremdreferenz statt, einer Unterscheidung, die eine Umstellung von einer zweiwertigen auf eine dreiwertige Logik erforderlich macht. Dreiwertig meint, dass nach der Einheit der Unterscheidung gefragt wird. Für (die Form der) Selbstreferenz bedeutet dies, dass Selbstreferenz stets und ausschließlich im Unterschied zu Fremdreferenz auf der Seite der Selbstreferenz stattfindet. Fremdreferenz ist die Fremdreferenz der Selbstreferenz oder, mit anderen Worten: Theologische Kommunikation bezieht sich mit ihren Bezeichnungen und Unterscheidungen auf die Bezeichnungen und Unterscheidungen der religiösen Kommunikation, aber eben mit ihren theologischen Bezeichnungen und Unterscheidungen.

5. Operation und Beobachtung

Sowohl in religiöser als auch in theologischer Kommunikation finden Operationen als Beobachtungen statt. Eine beobachtende Operation trifft blindlings eine Bezeichnung aufgrund einer Unterscheidung, an die sich eine weitere beobachtende Operation gleicher Form anschliesst. Die Anschlussoperation beobachtet rückblickend die zuvor durchgeführte Operation, und zwar ebenfalls mittels einer Bezeichnung aufgrund einer Unterscheidung. In der weiteren Folge dieser verketteten Operationen ergibt sich die Möglichkeit, nicht nur Operationen zu beobachten, sondern auch Beobachtungen zu beobachten. Von daher lassen sich eine Beobachtung erster und eine Beobachtung zweiter Ordnung unterscheiden. Eine Beobachtung zweiter Ordnung trifft eine Bezeichnung aufgrund einer Unterscheidung, um Unterscheidungen voneinander zu unterscheiden.

6. Theologie als Wissenschaft

Theologie ist, wie andere Reflexionstheorien auch, eine Form von Theorie im Modus der Beobachtung zweiter Ordnung. Als solche kann sie wissenschaftlich operieren, muss es aber nicht. Falls die Theologie wissenschaftlich operiert, hat sie Theorie und Methode als Programme von Wissenschaft zu unterscheiden. Die Programme Theorie und Methode machen es möglich, die wissenschaftsinterne Codierung von wahr/unwahr regelgeleitet und darin konsistent zu handhaben. Jede Theorie zielt dabei auf die Identität des jeweiligen Reflexionssystems und konsolidiert sich anhand der Methode der funktionalen Analyse.3

7. Theologie als autonome Formtheorie

Die kommunikative Form der Beobachtung zweiter Ordnung gilt für religiöse Kommunikation ebenso wie für theologische Kommunikation. ‚Beobachtung zweiter Ordnung‘ ist ein anderer Ausdruck für den selbstreferentiellen und darin autonomen Strukturaufbau von Theologie. Auf diese Weise wird Theologie als Reflexionstheorie zu einer Formtheorie. Formtheorien ergeben sich, wenn der Sinn von Sein – in diesem Falle der Sinn religiöser Kommunikation – in bestimmten Sinnformen, das heißt in bestimmten Bezeichnungen aufgrund von Unterscheidungen auftritt. Theologie als Reflexionstheorie der Religion spannt in Bezug auf deren Sinnhorizont, der durch die binäre Codierung immanent/transzendent abgesteckt ist, einen eigenen Sinnhorizont auf. In der Wahl ihrer Einstiegs- und Folgeunterscheidungen ist und bleibt die Theologie dabei autonom.

8. Kontingente Unterscheidungen

Eine Theologie, die ihre Unterscheidungen autonom wählt, wird bemerken, dass ihre Bezeichnungen aufgrund von Unterscheidungen kontingent geraten. Sie können so oder auch anders erfolgen. Dadurch wird die Theologie dazu genötigt, Abstand von festen Vorgaben oder erreichbaren Notwendigkeiten zu nehmen. Theologie wird zu einer freitragenden Konstruktion, die ihre Realitäten in den durch die Konstruktion erzeugten Eigenwerten zu etablieren hat. Auf diese Weise wird Theologie zu einer Modaltheorie.

9. Rekursive Stabilisierung

Für den Selbstaufbau einer autonomen Theologie sind Entscheidungen für die zu verwendenden Bezeichnungen und Unterscheidungen vonnöten. Da anzunehmen ist, dass es keine vorgängig notwendigen Bezeichnungen und Unterscheidungen gibt, wird sich jede Theologie durch ihre Operationen, also durch die Verweise von Bezeichnungen und Unterscheidungen auf Bezeichnungen und Unterscheidungen, selbst stabilisieren müssen. Sie wird notwendigerweise rekursiv verfahren. In ihren Rekursionen wiederum wird sie autologisch verfahren, indem sie ihre Unterscheidungen auf sich selbst wird anwenden müssen.

10. Wiedereinstieg in Position eins

Theologie als Reflexionstheorie von Religion ist in der Wahl ihrer operativen Bezeichnungen aufgrund von Unterscheidungen autonom, gerät dadurch in das Fahrwasser kontingenter Entscheidungen über ihre Unterscheidungen, bedarf deshalb eigener, stabilisierender Rekursionen und manövriert sich damit in die Lage, permanent von vorne anfangen zu müssen. Theologie als Reflexionstheorie von Religion nötigt sich selbst zur fortgesetzten Reflexion und tritt schließlich als Gegenstand ihrer selbst wieder in ihre Reflexion ein. Eine systemtheoretisch fundierte Theologie, die diesen Zirkel durchlaufen hat, steigt schlussendlich – aber in veränderter Weise – wieder bei Position eins ein.

3 Vgl. Luhmann, Niklas (1977): Funktion der Religion. Frankfurt a. M., S. 9 f.

Wie ist religiöse Kommunikation möglich?

Zum 90. Geburtstag von Niklas Luhmann4

Niklas Luhmann wurde am 8. Dezember 1927 in Lüneburg geboren und verstarb ab 6. November 1998 im Alter von 70 Jahren in Oerlinghausen.5 Er wäre im Jahr 2017 demnach 90 Jahre alt geworden, wie es anderen Personen seiner Zeit und seines Jahrgangs durchaus vergönnt ist. Dies ist Anlass genug, an einen der großen Gesellschaftstheoretiker des 20. und 21. Jahrhunderts zu erinnern und einige Grundzüge seines religionstheoretischen Ansatzes zu skizzieren. Dazu richten wir unseren Blick zunächst auf die entsprechenden Schriften, markieren einige Kernpunkte der Gesellschafts- und Religionstheorie Luhmanns und fügen vier Beispiele sich daraus ergebender ,soziologischer Theologumena‘ an, wenn man so will. Wir schließen mit persönlichen Statements von Luhmann, die einen religiösen Bezug haben.

1. Die Sinn- und Systemtheorie Luhmanns

Innerhalb des umfangreichen Gesamtwerkes von Niklas Luhmann nehmen die religionstheoretischen Schriften zahlenmäßig einen besonderen Rang ein, vergleichbar am ehesten mit seinen rechtstheoretischen Schriften, für die dies angesichts seiner Provenienz als Jurist aber naheliegt. Wir beziehen uns insbesondere auf die beiden Monographien ,Funktion der Religion‘, die eine Zusammenstellung von fünf zunächst unabhängig voneinander entstandenen Aufsätzen darstellt, und ,Die Religion der Gesellschaft‘, sodann auf 20 Aufsätze, darunter ,Die Ausdifferenzierung der Religion‘, der nahezu den Umfang einer Monographie erreicht, ,Die Organisierbarkeit von Religionen und Kirchen‘, ,Reden und Schweigen‘, ,Zeit, Geheimnis, Ewigkeit‘ und ,Vom Sinn religiöser Kommunikation‘. Es folgt eine Aufstellung der relevanten Texte in chronologischer Reihenfolge:

Luhmann, Niklas (1972): Die Organisierbarkeit von Religionen und Kirchen. In: Jakobus Wössner (Hrsg.): Religion im Umbruch. Soziologische Beiträge zur Situation von Religion und Kirche in der gegenwärtigen Gesellschaft. Stuttgart, S. 245-285.

Ders. (1972): Religion als System. In: Karl-Wilhelm Dahm, Niklas Luhmann und Dieter Stoodt (Hrsg.): Religion – System und Sozialisation. Darmstadt, S. 11-13.

Ders. (1974): Institutionalisierte Religion gemäß funktionaler Soziologie. In: Concilium 10, S. 17-22.

Ders. (1977): Funktion der Religion. Frankfurt a. M.

Ders. (1978): Die Allgemeingültigkeit der Religion. Diskussion über Luhmanns Religionssoziologie. Luhmann zu Pannenberg. In: Evangelische Kommentare 11, S. 350-356.

Ders. (1985): Läßt unsere Gesellschaft Kommunikation mit Gott zu? In: Hugo Bogensberger und Reinhard Kögerler (Hrsg.): Grammatik des Glaubens. St. Pölten, S. 41-48.

Ders. (1985): Society, Meaning, Religion – Based on Self-Reference. In: Sociological Analysis 46, S. 5-20.

Ders. (1987/2009): Brauchen wir einen neuen Mythos? In: Niklas Luhmann (Hrsg.): Soziologische Aufklärung 4. Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. 4. Aufl. Wiesbaden, S. 269-290.

Ders. (1989): Die Ausdifferenzierung der Religion. In: Niklas Luhmann (Hrsg.): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. 1. Aufl., [Nachdr.]. Band 3. Frankfurt a. M., S. 259-357.

Ders. (1989): Geheimnis, Zeit und Ewigkeit. In: Niklas Luhmann und Peter Fuchs (Hrsg.): Reden und Schweigen. 1. Aufl., [Nachdr.]. Frankfurt a. M., S. 101-137.

Ders. (1989): Kommunizieren im System der Religion. Ein Gespräch mit dem Soziologen Professor Niklas Luhmann. Gesprächspartner sind Karl-Fritz Daiber und Hans-Volker Herntrich. In: Lutherische Monatshefte 28, S. 509-513.

Ders. (1989): La religione e indispensabile? In: Prometeo 1, S. 16-21.

Ders. (1989): Reden und Schweigen. In: Niklas Luhmann und Peter Fuchs (Hrsg.): Reden und Schweigen. 1. Aufl., [Nachdr.]. Frankfurt a. M., S. 7-20.

Ders. (1990/2009): Die Weisung Gottes als Form der Freiheit. In: Luhmann, Niklas (Hrsg.): Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. Wiesbaden, S. 75-91.

Ders. (1991): Religion und Gesellschaft. In: Sociologia Internationalis (291), S. 133-139.

Ders. (1995): Die Weltgesellschaft und ihre Religion, in: Solidarität 45. Jg., 9/10 (1995), S. 11-12.

Ders. (1996): Die Sinnform Religion. In: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 2 (1), S. 3-33.

Ders. (1996): Religion als Kultur. In: Otto Kallscheuer (Hrsg.): Das Europa der Religionen. Ein Kontinent zwischen Säkularisierung und Fundamentalismus. Orig.-Ausg. Frankfurt a. M., S. 291-315.

Ders. (1997): Das Medium der Religion. Eine soziologische Betrachtung über Gott und die Seelen. In: Evangelische Theologie 57 (4), S. 305-319.

Ders. (1997): Vom Sinn religiöser Kommunikation. In: Franz-Xaver Kaufmann, Karl Gabriel, Alois Herlth und Klaus Peter Strohmeier (Hrsg.): Modernität und Solidarität. Konsequenzen gesellschaftlicher Modernisierung. Für Franz-Xaver Kaufmann. Freiburg, Basel, Wien, S. 163-174.

Ders. (1998): Religion als Kommunikation. In: Hartmann Tyrell, Volkhard Krech und Hubert Knoblauch (Hrsg.): Religion als Kommunikation. Würzburg, S. 135-146.

Ders.; Kieserling, André (2002): Die Religion der Gesellschaft. 1. Aufl. Frankfurt a. M.

Luhmann hat sich, seinem Selbstverständnis nach, als Soziologe mit der Religion befasst. Ihm gilt Religion bzw. religiöse Kommunikation als ein Thema unter vielen anderen Themen, die eine umfassende „Theorie der Gesellschaft“6 zu berücksichtigen hat. Verschiedentlich grenzt er sich daher davon ab, womöglich als (Krypto-) Theologe missverstanden zu werden.7 Der begriffliche Ausdruck für seinen Zugang zur Religion gewinnt Gestalt im Terminus der Fremdbeobachtung. Als Soziologe beobachtet er diejenigen Kommunikationen, die von sich sagen, dass sie religiös seien, von außen, und zwar von einem fremden Außen und nicht nur ,als ob von außen‘, wie es Theologen von Zeit zu Zeit auch tun mögen. Luhmann benutzt dazu inkongruente Perspektiven – „perspectives by incongruity“8 –, um einerseits die Nähe und Distanz zum jeweiligen Thema zu regulieren, und um andererseits neue, überraschende Einsichten in die religiöse Kommunikation gewinnen zu können.

Mit der Unterscheidung von Selbst- und Fremdbeobachtung lässt sich auch das Missverständnis ausräumen, als ob Luhmann theologisch gelesen werden könnte. Vielmehr bietet er einen wissenschaftlich kohärenten Blick auf die unterschiedlichen Funktionssysteme der Gesellschaft, um auf diese Weise eine in sich zusammenhängende und stimmige Gesellschaftstheorie zu erzielen. So ist auch die Religionstheorie Luhmanns in seine umfassende Gesellschaftstheorie eingebunden.9

Als Bezugspunkt gilt ihm das evolutionär entwickelte System der Kommunikation. ,System‘ meint hierbei eine einheitliche, in sich geschlossene Operationsweise, die alles andere als Umwelt ausschließt. Die Operationsweise der Kommunikation vollzieht sich als permanente Synthese der dreistelligen Selektion von Mitteilung, Information und Verstehen.10 Dabei fungiert kommunikatives Verstehen als Umschlagspunkt von einer vorangehenden Unterscheidung zwischen Mitteilung und Information zu einer nachfolgenden Unterscheidung dieser beiden Selektionen. Mit anderen Worten, frei nach Norbert Wiener: ,Ich weiß nicht, was ich gesagt habe, bevor ich nicht die Antwort des anderen darauf gehört habe.‘

Aus dieser einheitlichen und in sich geschlossenen Operationsweise von Kommunikation folgt: Nur Kommunikation kann an Kommunikation anschließen. Damit ist zugleich ausgeschlossen, dass lebende Zellen oder Bewusstseine an Kommunikation anschließen oder in sie eintreten können. Von der Annahme einer operativen Schließung von Systemen aus ergibt sich unter anderem die maßgebliche Unterscheidung von Kommunikation und Bewusstsein. Luhmann behandelt beide als jeweils in sich operativ geschlossene Systeme, die sich aber evolutionär gesehen in struktureller Koproduktion zueinander befinden.11

Sowohl Kommunikation als auch Bewusstsein sind zudem darin vergleichbar, dass sie im Medium Sinn agieren. Sinn fungiert bei Luhmann als Grundbegriff der Soziologie und damit seiner Gesellschaftstheorie insgesamt.12 Sinn kommt als Einheit von Aktualität und Potentialität sowohl in kommunikativen als auch in bewussten Systemoperationen vor. Die Unterscheidung Aktualität/Potentialität wird jeweils systembezogen konstituiert und hält das System nach außen hin geschlossen, nach innen hingegen bringt die Unterscheidung einen unabschließbaren Sinnverweisungszusammenhang in Gang. So werden Moment für Moment und Operation für Operation bestimmte (bewusste oder kommunikative) Sinnformen im Medium Sinn gebildet. Dabei stehen Medium und Form wie lose und feste Kopplung von Elementen zueinander, wobei die Formen das jeweilige Medium zugleich regenerieren, selbst aber – im Gegensatz zum dauerhaften Medium – kurzlebig und daher erneuerungsbedürftig sind.

Sowohl Kommunikation als auch Bewusstsein bewegen sich mit ihren je eigenen Sinnformen im für sie nicht-verlassbaren Medium Sinn. Von daher sind zwei Unterscheidungen auseinanderzuhalten: zum einen die Unterscheidung von sinnhaft und sinnfrei, die den Umstand beschreibt, dass Kommunikation und Bewusstsein die Grenzen von Sinn nicht überschreiten können, zum anderen die Unterscheidung von sinnvoll und sinnlos, die im Bereich des Sinnhaften beschreibt, dass ein System etwas als sinnlos auffassen kann. In der Regel ist Sinnlosigkeit durch eine Verwirrung der benutzten Zeichen verursacht.13

In diesem Zusammenhang nehmen wir die Unterscheidung von sinnhaft und sinnfrei in Anspruch und markieren damit, dass Sinnsysteme wie Kommunikation und Bewusstsein stets und ausschließlich auf der Seite ,sinnhaft‘ anschließen und die Seite ,sinnfrei‘ für sie nicht erreichbar ist. Insofern sind Kommunikation und Bewusstsein per se sinnkonstituierende Systeme.14 Sie tragen in eine Welt, die ist, wie sie ist, Sinn ein. Genauer: Sie rezipieren alles, was ist wie es ist, immer und einzig sinnhaft und formen damit die unbestimmbare Komplexität der Welt in bestimmte, sinnhafte Komplexität der eigenen Systembildung um.

Auf diese Weise emergieren aus der unbestimmbaren, unterscheidungsfreien und damit formlosen Welt Systeme, die nach einem klaren Einschluss-/Ausschluss-Verfahren operieren. Für Kommunikation und Bewusstsein gilt demnach: Sie verdoppeln die Welt sinnhaft und verweisen mit ihren Sinnoperationen auf weitere interne Sinnoperationen, niemals aber auf ,die Welt‘. Sie vollziehen eine operative Schließung und navigieren mit ihren selbsterzeugten Sinnformen autonom durch das Medium Sinn. Sinnsysteme stellen mithin Formen dar, die nach bestimmten eigenen Kalkülen Sinn ein- und ausschließen.

,Form‘ gilt uns als ein unterscheidungstheoretischer Begriff, der besagen soll: Form ist die Einheit einer Unterscheidung. Jede Form verweist damit auf das zugrundeliegende Paradox, dass die Einheit einer Unterscheidung zugleich eine Einheit und eine Unterscheidung darstellt, sowie auch umgekehrt, dass jede Unterscheidung nur dann eine Unterscheidung darstellt, wenn eine Einheit dieser Unterscheidung angegeben werden kann. So gesehen ist jede Form eine dreiwertige Zweiseitenform.15 Die Unterscheidung von Äpfeln und Birnen etwa, die man in der Regel nicht miteinander vergleichen soll, benötigt eine Einheit, um diese Unterscheidung überhaupt treffen und damit beide Seiten der Unterscheidung vergleichen bzw. unterscheiden zu können. Die Einheit beider Früchte wäre beispielsweise ,Obstbaum‘. Bedeutsamere Unterscheidungen sind dann unter anderem System/Umwelt, Operation/Beobachtung, marked state/unmarked state, beobachtbar/unbeobachtbar oder immanent/transzendent. Wir kommen darauf zurück.

Die hier in Rede stehende Unterscheidung von Kommunikation und Bewusstsein ist vor allem deshalb entscheidend für Luhmann, weil er sich in seiner Gesellschafts- und Religionstheorie (nahezu) ausschließlich der Kommunikation widmet. Gesellschaft ist geradezu definiert „als Gesamtheit der füreinander zugänglichen, kommunikativ erreichbaren Erlebnisse und Handlungen“16. Damit ist Gesellschaft heute als Weltgesellschaft anzusprechen.17 Mit anderen Worten: Die Grenzen der Kommunikation sind die Grenzen der Gesellschaft und die Grenzen der Gesellschaft sind die Grenzen der Kommunikation. Daraus folgt dann unweigerlich, dass die vielen, vielen Bewusstseinssysteme außerhalb der Gesellschaft angesiedelt sind, da sie eigene operative Einheiten bzw. Systeme bilden und nicht zum operativen Zusammenhang der Kommunikation gehören.

Begreift man Gesellschaft als Einheit der Kommunikation, dann ist (zugleich) nach der internen Differenzierung der Kommunikation bzw. der Gesellschaft zu fragen. Auf diese Frage antwortet die Beschreibung der gegenwärtigen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft, die den Begriff einer operativ geschlossenen Kommunikation und den Begriff des Sinns miteinander koppelt. Das bedeutet: Die eine gesellschaftliche Kommunikation differenziert sich am Sinn aus. So wie bereits Kommunikation ,an sich‘ eine sinnhafte Duplikation der Welt oder Realität18, wie sie ist, darstellt, finden innerhalb der einen Kommunikation sinnhaft unterschiedliche Duplikationen statt.

Diese Duplikationen orientieren sich an Regeln des Einschlusses und Ausschlusses bestimmter Kommunikationen und bringen dadurch jeweils spezifischen Sinn hervor. Derart ausdifferenzierte Sinnhorizonte nennt Luhmann Funktionssysteme der Gesellschaft.

Die etablierten Funktionssysteme sind vielfach beschrieben worden, sodass dies an dieser Stelle nicht wiederholt werden muss. Ihnen gemeinsam ist eine jeweils eigene Sinnkonstitution durch eine hinreichend tragfähige Unterscheidung wie etwa recht/unrecht für das Rechtssystem, wahr/unwahr für die Wissenschaft oder regieren/opponieren für die Politik. Die Ausdifferenzierung von Subsystemen im System der Gesellschaft führt dazu, dass die Eigenkomplexität der Gesellschaft insgesamt erhöht wird, wobei Eigenkomplexität eine Form des Sinnreichtums hinsichtlich der Möglichkeiten des Erlebens und Handelns darstellt. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass sich die einzelnen Subsysteme einerseits unabhängig voneinander verhalten, zugleich aber ihre wechselseitige Abhängigkeit voneinander steigern. Folglich findet eine Steigerung auf beiden Seiten statt: Independenz und Interdependenz der unterschiedlichen, spezifischen Sinnhorizonte innerhalb der einen Gesellschaft nehmen gleichzeitig zu oder ab. Die Subsysteme operieren innerhalb eines heteronomen Geflechts autonom und können folglich weder einander ersetzen (substituieren) noch sich gegenseitig vernachlässigen.19 Und erst dieses Zusammenspiel der Subsysteme ergibt Gesellschaft.

Als Veranschaulichung mag das folgende Beispiel zur Unhintergehbarkeit funktionsbezogener Systemperspektiven gelten:

„Luhmann ist die Lösung für das Problem, die Unhintergehbarkeit von Perspektiven beschreiben zu können. Das ist sehr abstrakt formuliert. Ich möchte deshalb ein Beispiel aus meiner eigenen Forschungspraxis wenigstens andeuten, um zu zeigen, was mit dem Problem der Unhintergehbarkeit der Perspektiven gemeint sein könnte. Man stelle sich vor, ein todkranker Patient äußere auf einer Krebsstation einen expliziten Suizidwunsch mit der Bitte um Unterstützung. Es ist dies keiner der Fälle, die üblicherweise öffentlich diskutiert werden. Unser vorgestellter Patient ist bei vollem Bewußtsein und selbst in der Lage, Hand an sich zu legen. Ein solcher Suizidwunsch ruft unterschiedliche Perspektiven auf den Plan. Diese unterschiedlichen Perspektiven sehen in diesem eindeutigen Fall ganz unterschiedliche empirische Anschlussmöglichkeiten und -notwendigkeiten. Ein somatischer Arzt wird zunächst dem Patienten versichern, was noch zu tun sei, ob kurativ oder palliativ, und dass es deshalb wenigstens aus medizinischer Sicht für einen Suizid keinen guten Grund gibt. Ein psychiatrischer Arzt dagegen wird sehr wahrscheinlich zu dem Ergebnis kommen, dass der geäußerte freie Wille des Patienten kein freier Wille sein kann, denn sonst würde er sich nicht gegen ihn selbst richten. Man wird also aus dieser Perspektive einen einstweiligen Pathologieverdacht äußern. Ein hinzugezogener Jurist dagegen wird bis zum Beweis des Gegenteils den frei geäußerten Willen des Patienten als Ausdruck seiner subjektiven Rechte ansehen und ihn gegen Pathologisierung verteidigen. Aus der Perspektive des Pflegepersonals erscheint der Suizidwunsch womöglich als Kritik an medizinischer Praxis, während ein Seelsorger sich auf biographische Sucharbeit begeben wird oder durch geeignetes Schweigen dem Patienten Gelegenheit verschaffen möchte, seinen Wunsch zu überdenken. Aus der Perspektive der wirtschaftlichen Leitung des Krankenhauses erscheint der Fall womöglich als Marketingproblem, die Klinik in der Öffentlichkeit als eine Institution stehen zu lassen, die ihren Aufgaben nicht gewachsen ist. Aus dieser Perspektive wird man womöglich die wirtschaftlichen Folgen einer Rufschädigung im Blick haben. Aus der Perspektive der Angehörigen werden die Äußerungen des Patienten im Lichte langfristiger gemeinsamer Erfahrungen oder Kommunikationsblockaden wahrgenommen. Was ich beschrieben habe, ist zwar ein dramatischer Fall, aber eine für eine moderne Gesellschaft geradezu undramatische Konstellation. Was hier sichtbar wird, ist die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Kontexte, die unhintergehbar nicht aufeinander abbildbar sind. In diesem Fall auf die ‚richtige‘ Perspektive zu kommen, ist nicht nur schwierig, sondern schlicht unmöglich […].“20

2. Die Religionstheorie Luhmanns

So wie die anderen Funktionssysteme auch, dupliziert das Funktionssystem der Religion die Welt in bestimmter Sinn-Hinsicht, indem es seine kommunikativen Anschlüsse nach einer binären Unterscheidung regelt. Der binäre Code religiöser Kommunikation lautet immanent/transzendent. Mit der Unterscheidung immanent/transzendent wird die ,gesamte‘ Realität beleuchtet und in operationsfähige Kommunikationen gebracht, von denen sowohl die Religion selbst als auch die Soziologie sagen kann: Das ist Religion, bzw. genauer: So wird religiöser Sinn generiert.

An dieser Stelle sind zwei weitere Propädeutika kurz zu benennen. Zum einen ist auf die Unterscheidung der Begriffe Funktion, Leistung und Reflexion hinzuweisen. Jedes gesellschaftliche Subsystem kann in Bezug auf die Gesellschaft, in Bezug auf andere Subsysteme oder in Bezug auf sich selbst beschrieben werden. Funktion ist der Begriff für den Gesellschaftsbezug eines Subsystems, Leistung ist der Begriff für den Bezug auf andere Systeme und Reflexion ist der Begriff für den Bezug auf das System selbst.

Für den Funktionsbegriff entscheidend ist zum einen, dass er sich auf gesellschaftliche und damit auf kommunikative Fragen, nicht aber auf psychologische oder anthropologische Vollzüge bezieht.21 Zum anderen meint der Begriff der Funktion innerhalb der Systemtheorie stets einen sich autonom bildenden Problem-Lösung-Zirkel. Es geht also nicht um – womöglich phänomenologisch – vorgefundene Probleme, für deren Lösungen Funktionen gefunden werden (müssten), sondern die gesellschaftlichen Subsysteme bringen mit ihrer Emergenz ihre eigenen Probleme, die sie zu lösen beabsichtigen, allererst mit sich.22 Mit anderen Worten: Wer beispielsweise nicht nach recht/unrecht unterscheidet, hat das damit verbundene Problem nicht (und dies tun täglich viele Teilnehmer der Gesellschaft, die zu recht (!) darum bemüht sind, sich vom Rechtssystem fernzuhalten – es sei denn, sie werden in einen Autounfall verstrickt). Oder: Wenn nicht nach immanent/transzendent unterschieden wird, dann kommt das damit verbundene Problem erst gar nicht auf, wie auch Überlegungen zur „Säkularisierung“23 zeigen, die als ein religionsinternes Problem zu markieren sind und außerhalb des religiösen Sinnhorizontes kaum Sinnanschlüsse finden.

Somit lässt sich für das gesellschaftliche Subsystem der Religion gezielt fragen, wie sein Problem-Lösung-Zirkel beschaffen ist, und mit welchen Sinnofferten es dieser seiner Funktion gerecht zu werden vermag. Dabei steht der Bezug auf Gesellschaft als Kommunikation im Fokus. Es geht demnach – und dies ist erneut zu betonen – in erster Linie nicht um psychologische oder anthropologische Leistungen, die das Religionssystem erbringen kann oder soll, wie es vielfach anhand der Vorstellung einer individuellen ,Kontingenzbewältigung‘, also der Behandlung von Sinnverhältnissen, die weder notwendig noch unmöglich sind24, missverstanden wird. Sicherlich kann religiöse Kommunikation in einem zweiten oder dritten Schritt auch etwas für die Kontingenzbewältigung von Individuen anbieten, aber vorrangig bezieht sich das Problem der Kontingenzbewältigung auf die kommunikativen bzw. gesellschaftlichen Verhältnisse (siehe unsere Beispiele unter 4.3 und 4.4). Denn: Sinnhafte Kontingenzen treten zuallererst im Verlauf der gesellschaftlich begriffenen Kommunikation auf. Und an genau dieser Stelle wirkt religiöse Kommunikation auf ihre Weise mit.25

Wir fragen also erneut: Wie kann die Funktion religiöser Kommunikation in der gegenwärtigen Gesellschaft beschrieben werden? Die Antwort darauf kann mit Hilfe der bereits eingeführten Begriffe wie Sinn, System, Form, Einheit und Unterscheidung usw. erfolgen. Dann lässt sich sagen: Religiöse Kommunikation findet ihre gesellschaftliche Funktion darin, Sinnformen zur Findung von Sinnformen überhaupt anzubieten. Religion stellt eine, wenn man so will, Sinnformfindungsform dar.26 Damit bietet religiöse Kommunikation einerseits eine generalisierte Funktion an, die – wie bei den anderen Funktionssystemen auch – einen umfassenden Zugriff auf die Welt bzw. auf die Gesellschaft vornimmt, eröffnet andererseits aber einen eigenen, spezifischen und in sich abgeschlossenen Sinnhorizont. Zum Verständnis dessen wird im Folgenden eine Passage aus ,Die Religion der Gesellschaft‘ zitiert, die an dieser Stelle weiterhelfen kann:

„Was immer Religion sein mag: sie ist darauf angewiesen, Formen im Medium von Sinn zu bilden. Wie jedes andere Prozessieren von Sinn auch. Das läßt zunächst noch nicht erkennen, worin das Spezifische von Religion liegen könnte. Wir können gleichwohl, zur Überleitung, auf die im vorigen Kapitel begonnene Formenanalyse zurückgreifen. Uns wird es nicht weiterhelfen, nach dem »Sinn von Religion« wie nach etwas Vorhandenem zu fragen, da jede Antwort auf diese Frage eine Form benutzen, also eine Unterscheidung treffen muß, die etwas, eben die Religion, bezeichnet und »alles andere« ausschließt. Wie könnte aber eine Religion eine Sinngebung akzeptieren, die »alles andere« ausschließt, die die Innenseite ihrer Form gleichsam als Entschuldigung benutzt, um sich um den unmarked State der Welt und also: den Beobachter, nicht weiter zu kümmern?

Wie immer die Grenze zwischen marked und unmarked gezogen wird: als Religion kann uns nur eine Sinngebung gelten, die genau darin ihr Problem sieht.

Das heißt vor allem: daß jeder Formgebrauch Religion involviert, da jeder Formgebrauch einen unmarked state erzeugt. (Ohne Markierung gäbe es selbstverständlich auch nichts »Un