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Der Arzt und Schriftsteller Hans Keilson musste 1936 Deutschland verlassen und überlebte den Krieg in Holland, mit gefälschtem Pass und teilweise im Versteck. 1944 schrieb Hans Keilson Tagebuch. Er schildert die Erfahrung des Untertauchens und berichtet von der beängstigenden Entfremdung gegenüber Frau und Kind, einer heimlichen Liebe, von Gedichten und Lektüre, der Angst vor der Zukunft und der täglichen Bedrohung. Dieses Buch, das auch die 46 Sonette enthält, die Hans Keilson wähernd der Niederschrift des Tagebuchs verfasst hat, ist ein persönliches Dokument ersten Ranges, aber auch ein außergewöhnliches historisches Zeugnis darüber, mit welcher Macht und Konsequenz das Klima von Verfolgung und Willkür auch die intimsten Bereiche der Existenz durchdringt. Das ›Tagebuch 1944‹ wird von Marita Keilson-Lauritz aus dem Nachlass herausgegeben und kommentiert. Mit einem Nachwort von Heinrich Detering.
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Seitenzahl: 261
Hans Keilson
Tagebuch 1944
Und 46 Sonette
Herausgegeben von Marita Keilson-Lauritz
FISCHER E-Books
Mit einem Nachwort von Heinrich Detering
Natürlich kann man Hans Keilsons Tagebuch-Text ohne jedes Vorwissen lesen. Und natürlich kann ein Vorwort wie dieses allenfalls zur Orientierung dienen. Und natürlich möchte ich vor allem vermeiden, die Lektüre zu steuern.
Als Literaturhistorikerin habe ich immer gedacht, dass Dichterwitwen ein absolutes Hindernis auf dem Wege zu einem Dichter und seinen Texten sind. Jetzt sitze ich da und schreibe ein Vorwort. Wer hätte das gedacht.
Doch möchte ich zwei Fragen in diesem kleinen Vorwort beantworten: Wie kam es zu dieser Publikation? Und: Was sollte man – vielleicht doch – wissen, bevor man sich an die Lektüre dieses Tagebuchs macht?
Das Heft im Folio-Format – selbst geheftet, einundvierzig und eine halbe Seite dicht beschrieben, meist mit blassblauer Tinte (etwas mehr als zwei Seiten mit Bleistift, in einem Moment akuter Gefahr), in zehn Monaten des Jahres 1944 – kam aus einer Schublade zum Vorschein, als ich für meinen Mann, dessen Augen schon sehr schlecht waren, etwas suchen sollte. Ich weiß nicht mehr, was. Es muss 2010 gewesen sein, und wohl schon nach der unerwarteten Wiederentdeckung von Hans Keilsons Werk durch die amerikanische Übersetzung und die Jubel-Rezension der New York Times. Ich habe ihm, mühsam entziffernd, Teile des Tagebuchs vorgelesen. Ich habe ihn mit der von Niederlandismen durchsetzten Sprache dieser Texte geneckt: »Das also meinte Gertrud, als sie sagte: Du darfst die deutsche Sprache nicht verlernen!« (Gertrud war seine erste Frau, die ihn überredet hatte, 1936 zusammen in die Niederlande zu gehen, und die ihm so das Leben gerettet hat.) Wir haben darüber gesprochen, dass in diesem Text die Urform des Romans Der Tod des Widersachers erwähnt ist, noch mit dem Titel Der Tod des Feindes, und darüber, dass dieser Ur-Widersacher womöglich doch erst während der Untertauchzeit in Delft entstanden sei. Er warf ein, dass Gertrud das Typoskript dann nicht, so wie er sich erinnerte, im Garten in Naarden hätte vergraben können.[1] Aber dafür hätte es – folgt man dem Tagebuch-Text – noch viele Möglichkeiten gegeben, bis hin zu derjenigen, dass diese Aktion erst unternommen wurde, nachdem er Ende 1944 nach Naarden zurückgekehrt war, um für die letzten Monate vor der Befreiung der Niederlande von der deutschen Besetzung bei Gertrud unterzutauchen.
Wir haben auch über Hanna gesprochen, die neben Gertrud in den Tagebuch-Seiten eine zentrale Rolle spielt. Hanna Sanders, die dann die in Delft entstandene Komödie in Moll in ihre Muttersprache, das Niederländische, übertrug und also jene mir immer rätselhafte »H. Sanders« war, die als Übersetzerin in den niederländischen Ausgaben von 1947 und von 2010 steht. Ja, die hatte sich in ihn verliebt. Und zögernd: Ja, die hatte er damals wohl auch geliebt.
Sechsundvierzig Sonette hat er für diese Hanna geschrieben, die damals 22 Jahre jung ist, ein Mädchen in seinen Augen – sicher im Vergleich mit Gertrud, die acht Jahre älter war als er. Gedichte hatte er mit ihr gelesen – wann hat er mir das erzählt? Viel früher schon? Nicht nur seine Erinnerungen sind unzuverlässig, wie er selbst in seinen Erinnerungsfragmenten Da steht mein Haus betont.
Die sechsundvierzig Sonette (er schreibt meist »Sonnette« wie Stefan George und in Anlehnung an die englische und die niederländische Schreibweise) haben sich in einem Typoskript erhalten. Die kamen erst nach seinem Tode zum Vorschein. Genau genommen hat sein treuer Lektor Roland Spahr sie mit sicherer Hand aus einem Stapel von Gedichtmanuskripten gefischt. Ich hatte sie zunächst für Übersetzungen gehalten.
Bei näherem Zusehen erweisen sich diese Sonette nicht nur als ebenjene Gedichte, von deren Entstehen im Tagebuch immer wieder die Rede ist. Sie erwiesen sich zudem als Begleitmelodie zum Tagebuch und werden darum unverändert und vollständig in diese Publikation des Tagebuch-Textes aufgenommen. Sie sprechen von der Begegnung mit und der Beziehung zu Hanna, von ihren traumatischen Erlebnissen (eines handelt von der Zerstörung ihres Elternhauses bei der Bombardierung von Rotterdam), von den Gemeinsamkeiten und von dem, was sie trennte. Von der Schwierigkeit, dass er auf Deutsch dichtete und sie seine Gedichte nun ausgerechnet in der Sprache des Feindes lesen musste, der doch auch sein Feind geworden war.
Nein, von Verbrennen oder Vernichten des Tagebuches war nie die Rede. Gut aufbewahren! Dass man es hätte veröffentlichen können, daran hat er sicherlich keine Sekunde gedacht. Um einen solchen Text zu Lebzeiten zu publizieren, dazu müsste man doch über ein höheres Maß an Exhibitionismus verfügen. Dass wir ihn jetzt doch zugänglich machen, in einer – leider, aber das ging nicht anders – von den zahllosen Niederlandismen befreiten, aber ansonsten treulich dem Original folgenden Form[2] – ich denke, dass er damit wohl einverstanden gewesen wäre.
Die Sonette waren in Delft – und vieles spricht dafür, dass das Typoskript in Delft angefertigt wurde – jedenfalls zur Publikation bestimmt, das kann man dem Tagebuch entnehmen. Hat er das dann nach dem Kriege versucht? Davon gibt es einstweilen keine Spuren. Es kann auch sein, dass er mit der Rückkehr zu Gertrud, Ende 1944, nicht nur das Widersacher-Typoskript buchstäblich, sondern auch das Sonette-Projekt im übertragenen Sinne »begraben« hat.[3]
Hanna hatte es nicht leicht mit seiner Entscheidung für Gertrud, die zugleich das Ende der Tagebuchaufzeichnungen bedeutete. Nach dem Kriege sah man sich wohl noch (auch weil Hanna bei der staatlichen Kommission für Jüdische Waisenkinder arbeitete und Hans Keilson bei Le-Ezrat HaJeled, der jüdischen Hilfsorganisation für dieselben Kinder). Sie war beeindruckt von Gertrud und scheint sogar deren graphologische Gutachten übersetzt zu haben. Dann heiratet sie Chanan Hoffman, der in der Jüdischen Brigade gekämpft hatte, und geht mit ihm bzw. zu ihm 1946 nach Palästina.[4] Nach dem Tode von Gertrud 1969 und der Wiederverheiratung von Hans Keilson (mit mir) hat sie ihm im November 1971 ein liebes, kleines Briefchen geschrieben, das er jedenfalls aufbewahrt hat. Ob er es beantwortet hat, wissen wir nicht, denn nach ihrem Tode 2007 haben ihre Kinder wohl etwas ratlos vor den niederländischen Teilen ihres Nachlasses gestanden. Von ihrer Übersetzung der Komödie in Moll wussten sie nichts. Ich schickte ihnen die englische Übersetzung von Damion Searls, aus der sie, wie sie mich wissen ließen, jedenfalls etwas über ihre Untertauchsituation erfuhren. Sie selbst hatte nie darüber gesprochen.[5] Als ich ihnen vorsichtig von der Liebesbeziehung ihrer Mutter zu Hans Keilson während der Delfter Untertauchzeit berichtete und ihnen die Frage vorlegte, ob ich die Identität ihrer Mutter in dieser Publikation enthüllen dürfe, war die Antwort ein uneingeschränktes Ja: »We are actually happy to find that Hanna had a love affair in the middle of this hellish period.«
Zum besseren Verständnis des Tagebuch-Textes und zur genaueren biographischen Einbettung sollte man wissen, wo genau sich Hans Keilson befindet, als er das Tagebuch schreibt, und wieso er dort ist, wo er ist. Das Tagebuch entsteht in den Niederlanden, in Delft, Wallerstraat 3, im Hause von Leo und Suus Rientsma[6], denen er 1947 seine Komödie in Moll gewidmet hat und von denen er immer wieder mit Dankbarkeit sprach. Leo Rientsma war Leiter einer Researchabteilung einer großen chemischen Fabrik in Delft, der Nederlandse Gist- en Spiritusfabriek (nach dem Kriege Gist Brocades, heute DSM).[7] Das war einer der wichtigen Industriebetriebe der Stadt, die ferner außer durch »Delfter Blau« durch den Maler Johannes Vermeer (1632–1675) berühmt ist, dessen Delfter »Straatje« im Amsterdamer Rijksmuseum und dessen Stadtansicht »Gezicht op Delft« ebenso wie das Mädchen mit der Perle im Mauritshuis in Den Haag zu sehen sind. Aber weder von Delfter Blau noch von Vermeer ist im Tagebuch die Rede. Ebensowenig von der Technischen Hochschule, die in Besetzung und Widerstand ihre eigene Geschichte hat.[8]
Was die allgemeine Situation zumal des jüdischen Teiles der niederländischen Bevölkerung betrifft, so waren schon bald nach der Überrumpelung der Niederlande durch die deutschen Besetzer im Mai 1940 die ersten anti-jüdischen Maßnahmen erfolgt. Im Februar 1941 hatten die ersten Razzias auf Juden den allgemeinen Februar-Streik zur Folge, der mit harter Hand niedergeschlagen wurde. Im selben Monat war der »Joodse Raad« auf Befehl der Besetzer eingerichtet worden, der letztendlich die Deportation der Juden aus den Niederlanden selbst zu organisieren hatte. Im Mai 1942 wurde der Judenstern eingeführt. Es gibt ein Foto, auf dem die Eltern Keilson mit diesem Judenstern zu sehen sind (Abb. 6); sie wurden im April 1943 in das Lager Westerbork gebracht und im November desselben Jahres in Auschwitz ermordet.
Hans Keilson und Gertrud Manz[9] wohnten in den Niederlanden zunächst in Amsterdam, aber schon seit September 1936 an wechselnden Adressen in Naarden, dem Nachbarort von Bussum, wo Hans Keilson dann bis zu seinem Lebensende leben und arbeiten sollte.[10] Nach Naarden konnte Hans Keilson Anfang 1939 seine Eltern aus Berlin nachkommen lassen. Dort entstanden in Zusammenarbeit mit Gerd Klaaß, ebenfalls vor den Nazis geflohen, unter dem gemeinsamen Pseudonym Benjamin Cooper eine Reihe niederländischer Auswahlbände verschiedenster Texte. Dort wurde 1941 die Tochter Barbara geboren, deren Vaterschaft geheim bleiben musste – der Rassengesetze wegen. Dort auch lernte Hans Keilson Leo Rientsma kennen, dessen jüngste Tochter Hannie zeitweise in Bussum bei ihrer Tante (der Schwester von Suus) wohnte, um hier die Montessori-Schule zu besuchen. In dieses Haus kam Hans Keilson vermutlich durch seinen Freund, den Arzt Cas Emmer, als pädagogischer Berater. Dort hat Leo Rientsma ihm angeboten, im Notfall bei ihnen in Delft unterzutauchen.
Im Frühjahr 1943[11] beschließt Hans Keilson, den Judenstern abzulegen und unterzutauchen: »Ich riß ihn mir / in der kurve / vor den friedhöfen / von der jacke / bestieg einen anderen zug«, schreibt er 1967, ein Vierteljahrhundert später, als er schon fast ein Jahrzehnt im Nachbarort Bussum wohnt und arbeitet, in seinem Haus, von dem der Weg zum Bahnhof zwischen zwei Friedhöfen hindurchführt.[12] Zunächst ging er nach Rekken, Gemeinde Eibergen, im Osten der Niederlande. Dort fand er, ebenfalls aufgrund einer in Naarden-Bussum geknüpften Bekanntschaft, Unterschlupf bei dem Pädagogen Henk Fontein (1899–1981), Rektor der Montessori-Schule in Bussum und seit 1941 Direktor der Rekkenschen Inrichtingen, einer Anstalt für Problem-Jugendliche, der eine Forensisch-Psychiatrische Klinik angegliedert war, in der in dieser Zeit der Dichter Gerrit Achterberg interniert war.[13] Im Hause Fontein schrieb Hans Keilson das lange Gedicht Einer Träumenden für/über Gertrud, von dem im Tagebuch mehrfach die Rede ist. Von dort aus war er, wie es scheint, ab und zu in der Quäkerschule in Ommen zu Gast, wo er möglicherweise schon damals Kontakt mit dem Kreis des späteren Castrum Peregrini hatte[14] und wo er offenbar die im Tagebuch mehrfach angesprochene lebensgefährliche Zahnblutung erlebte.
Im September 1943 kann er aufgrund von allerlei neuen Bestimmungen nicht mehr in Rekken bleiben und geht nun in den Westen des Landes nach Delft, der Einladung von Leo Rientsma folgend. Dort kommt er in eine politisch aktive Umgebung: die Rientsmas gehören zu denjenigen Niederländern, die sich dem deutschen Besetzer nicht so sehr durch Sabotageakte entgegenstellten, sondern durch Hilfe für die Juden, die untertauchten, um ihr Leben zu retten: in Verstecken, in illegalen Situationen verschiedenster Art. Eine solche Untertauchsituation mit all ihren kleinen und großen Schwierigkeiten, Gefahren und Irritationen und einem einigermaßen bizarren Ende hat Hans Keilson noch während dieser Delfter Untertauchzeit in der Komödie in Moll geschildert, wobei die Pointe wohl darin besteht, dass am Ende die Untertauch-Gastgeber, Wim und Marie (übrigens eher Arie und Evy Bakker als den Rientsmas nachgebildet), selbst untertauchen müssen und so etwas von den Erfahrungen der Untergetauchten zu spüren bekommen.
Bei den Rientsmas wurden Untertaucher meist für kurze Zeit untergebracht, eine Durchgangsadresse sozusagen.[15] Zu diesen Kurzzeit-Besuchern gehörten u.a. Joop Andriesse[16] und »Fiet«[17], deren heimliche jüdische Hochzeit im Tagebuch beschrieben ist und die zum Umkreis der Joop-Westerweel-Gruppe zählten, die junge jüdische Menschen auf die Alijah nach Palästina vorbereitete und sie während der Besetzungszeit über Belgien, Frankreich und Spanien nach Palästina durchschleuste. Außer Hans Keilson, der bei den Rientsmas von September 1943 bis Ende 1944 unter dem Namen Van der Linden lebte, gab es im Hause Rientsma noch eine zweite Langzeit-Untertaucherin: Corrie, eigentlich Rosa Groenteman, die als Haushälterin fungierte.[18]
Die Nachbarn in dem gediegenen, von der Gistfabrik für ihre Angestellten gebauten Reihenhausblock Wallerstraat 1 bis 7, am Eingang des nach der Frau des Fabrik-Gründers benannten Agneta-Parks,[19] scheinen zum Teil in die Untertauch-Hilfe der Rientsmas eingeweiht gewesen zu sein. Jedenfalls gilt das wohl für die Familie Van der Lek in Nr. 5, denn zu diesem Hause gab es auf dem Dachboden einen geheimen Durchgang, als Fluchtweg für Notfälle.
Bei den mit den Rientsmas im Widerstand zusammenarbeitenden jüngeren Bakkers[20], die in Delft in der Tak van Poortvlietstraat 20 (zu Fuß knapp 10 Minuten entfernt), ebenfalls in einem Reihenhaus, aber kleineren Zuschnitts, wohnten, gab es eine ganze Reihe von Untertauchern, zu denen auch Hanna gehörte. Dort gab es einen sorgfältig camouflierten Versteckraum, in den die Untertaucher sich bei Gefahr zurückziehen konnten.[21] Dort befand sich auch die Fälscherwerkstatt, in der unter Arie Bakkers Anleitung und mit Hilfe von durch Leo Rientsma gelieferten Chemikalien vor allem Ausweise gefälscht wurden – nicht zuletzt der neue, bessere für Hans Keilson alias Johannes Gerrit van der Linden (s. Abb. 11/12).
Unter dieser nicht-jüdischen Identität, mit einem angeblichen Geburtsort in Niederländisch-Indien, konnte Hans Keilson nicht nur relativ sicher (aber natürlich nicht ohne Risiko) bei den Rientsmas als Untermieter, Gast und pädagogischer Betreuer der beiden Töchter wohnen[22], er konnte auch reisen, wovon das Tagebuch immer wieder berichtet. Wie das genau vor sich ging und zu welchem Zweck, wird aus dem Tagebuch nur andeutungsweise ersichtlich, z.B. wenn er dem Pfarrer Fetter in Den Haag erzählt, dass er »noch öfter zu Juden kam und die Schwierigkeiten miterlebte, die durch das lange Verstecktsein plötzlich aufkamen«.[23]
Als das Tagebuch einsetzt, ist die Befreiung noch mehr als ein Jahr entfernt. Aber im September 1944 gibt es immerhin Hoffnungsschimmer – die Landung der Alliierten in der Normandie, die Befreiung der südlichen Niederlande – und damit zugleich Überlegungen zum »Danach«. Aber die Hoffnungen erweisen sich als verfrüht. Es steht den Niederlanden noch der dramatische Hungerwinter 1944/45 bevor, dessen Vorboten im Tagebuch sichtbar sind.
Die Gedanken an und über das »Danach«, das Ende des Krieges und wie es dann weitergehen solle, durchzieht große Teile des Tagebuchs, wobei es namentlich zwei Dilemmas sind, die sich auftun: Gertrud und das Kind vs. Hanna. Und: Arztberuf vs. Literat und Dichter. Aus Berlin hatte er zwar das medizinische Staatsexamen mitgebracht (das in den Niederlanden nicht anerkannt wurde), aber keine klinische Ausbildung. Bei S. Fischer hatte er 1933 seinen ersten Roman Das Leben geht weiter veröffentlicht. Aber kann und will er vom Schreiben leben? Während er in der ersten Frage am Ende eine deutliche Entscheidung trifft (für Gertrud und das Kind), hat er seine beiden Berufungen, die des Therapeuten und die seiner literarischen Kreativität, in seinem weiteren Leben verbunden – ein Leben, das ich über vier Jahrzehnte teilen konnte, was mich mit Dankbarkeit erfüllt, auch gegenüber all denen, die Hans Keilson zu überleben halfen: Leo und Suus, Arie und Evy, Gertrud und Hanna.
Zu guter Letzt danke ich all denen, die die nicht immer einfache Vorbereitung dieser Publikation möglich gemacht haben: Da sind an erster Stelle die Töchter von Suus und Leo Rientsma, Hannie Rientsma und Lies De Boer-Rientsma, und die Kinder von Hanna: Yoram und Vardit Hoffman. Ich danke Carla van Beers (der Hüterin von Aries und Evys Nachlass), Herbert Berkhout (NIOD), Hermann von der Dunk, Bepje Gülcher, den Mitarbeitern des Joods Historisch Museum in Amsterdam, Chris ten Kate, Rudolf Koumans (Sohn der Nachbarn Wallerstraat 7), Henk und Dorothee Lans, Edwin Lucas, Theo van der Meer, Hans Menco, Ted Musaph-Andriesse (der Schwester von Joop Andriesse), Hans Kristian Ploos van Amstel, Hans Seijlhouwer (Archivar des Historisch Documentatiecentrum voor het Nederlands Protestantisme), Roland Spahr, Ton Stam, Tamar Stern (der Tochter von Olga Gülcher) und Winfried Temme (dem jüngsten Sohn von Cora Temme) und seinen Geschwistern Van der Lek und Rudi Wester (für eine Eilrecherche im Jef-Last-Material). Und nicht zuletzt danke ich unseren Töchtern: Barbara, Christine und Bloeme, die mich in ihrer unerschütterlichen Liebe zu ihrem Vater ermutigt hat, samt Paco, Leila und Hannah, geboren 2009, die vielleicht doch nicht ganz zufällig – was ist Zufall? – diesen Namen trägt.
Hans Keilson