Tagebücher 1982 - 2001 - Fritz J. Raddatz - E-Book

Tagebücher 1982 - 2001 E-Book

Fritz J. Raddatz

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Beschreibung

Ein Buch wie dieses hat es noch nicht gegeben. Von Augstein bis Marion Dönhoff, von Grass bis Enzensberger, von Hochhuth bis Kempowski zeigt es die deutschen Intellektuellen, ja überhaupt die ganze bundesrepublikanische Gesellschaft, wie sie so hellsichtig nie beschrieben worden ist: wahrgenommen mit dem Sensorium eines Hochempfindsamen, subjektiv und zutreffend, anteilnehmend, scharfzüngig. Das Buch, das von der Kritik immer erhofft, von den Schriftstellern aber nie geschrieben worden ist – der große Gesellschaftsroman der Bundesrepublik, das balzacsche Porträt unserer Zeit –, hier ist es.

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Seitenzahl: 1195

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Fritz J. Raddatz

Tagebücher

Jahre 1982-2001

Max Liebermann war ein gefragter Porträtist der Berliner Geld-Aristokratie seiner Zeit. Als er das Bild einer Bankiersgattin fertig hatte, bat er die Dame vor seine Staffelei. Die Abgebildete – die offenbar gehofft hatte, schöner, eleganter, liebenswerter dargestellt zu werden – zeigte sich entgeistert. Daraufhin sagte der Künstler:

«Ick habe Ihnen, jnädige Frau, ähnlicher jemalen, als Se sintt.»

Anekdote

1982

13.Mai

Ein Tagebuch. Es schien mir immer eine indiskrete, voyeurhafte Angelegenheit, eine monologische auch – ich möchte nie «hinterher, wenn die Gäste weg sind», aufschreiben, wie sich Augstein oder Biermann, Grass oder Wunderlich benommen haben. Deshalb lange Tagebuch-Pause. Typisch die beiden Daten, die den Neubeginn auslösen: der Tod von Peter Weiss, ausgerechnet an einem 10.Mai– Tag der Bücherverbrennung, an dem ein Exilierter sterben muß! Der mich doch sehr berührt hat, wohl auch wegen unserer «Entfernung» der letzten Jahre, seiner Verletztheit über meine negativen Kritiken seiner «Ästhetik», wobei mir Michaelis merkwürdig-freundlich-versöhnliche Grüße nach der Bremer Preisverleihung überbrachte. Das zweite Datum – ein Beginn, kein Ende: die «Premiere» nächste Woche in Zürich, wovor mir bange ist – die erste Lesung aus «jenem» Buch, auf Einladung von Muschg, der mir ganz ungewöhnliche Briefe schrieb, der sicheren Überzeugung, ich müsse auch anderes schreiben als «nur» Essays. Ertappe mich bei der «Probe» zum Lesen… Es kommt da allerlei zusammen, um nicht zu sagen, hat sich vieles gestaut: so wunderbare Abende wie gestern der bei Grass oder vor drei Tagen bei Wunderlich, nach denen man durchaus das Gefühl hat, Freunde zu haben – beide direkt in mich dringend, sie im Sommer oder wann auch immer auf ihren Landsitzen im Süden zu besuchen; Grass baut angeblich auf dem Dach seines Portugalhauses extra für mich eine kleine Wohnung. Aber nicht nur das, sondern auch – das spüre ich wohl nicht falsch – Respekt vor meiner Arbeit. Natürlich reziprok – ich finde die bildhauerischen Arbeiten von Grass, der 30Jahre in dem Metier nicht gearbeitet hat, enorm. Habe gleich zwei gekauft – obwohl ich im Moment weiß Gott andere Sorgen habe. Es ist dieses Moment gegenseitigen Respekts, auch des Spürens einer gemeinsamen Ermüdung, das bindet; Grass ist kaum noch dazu zu bewegen, auch nur die Tagesschau zu sehen, so weit weg ist er – er! – von allen öffentlichen Dingen. Paul sowieso; sein Hauptziel ist momentan sein – unser? – Museum. Darüber werde ich ja Montag mit Hochhuth in Zürich noch sprechen. Wir vier sind schon eine merkwürdig-schön-verquere Kombination. Ich verkrauche mich in mich, bin nur noch müde, fühle mich am Ende meines Lebens angekommen, empfinde die Hauskauf-Situation als Paradoxon, ähnlich dem Endeinrichten meiner Ostberliner Wohnung, als ich schon wußte, ich werde türmen. Ich bereite ein Nest, das ich nicht mehr bewohnen werde.

15.–17.Mai

Seltsames, im Grunde trauriges Wochenende in Berlin. Freitag abend mit Brasch essen, ein anfänglich wunderbarer, freundschaftlicher Abend – habe das Gefühl, daß wir uns gegenseitig sehr mögen (was er ja, als ich krank war, auch durch rührende Fürsorglichkeit bewies) und uns auch sehr viele «Wahrheiten» sagen können. Er wohnt sehr am Abgrund, an der Finsternis – und versteht dadurch offenbar meine Lebenssituation, die ich als immer auswegloser empfinde; was ich ihm sagen kann. Sonst muß ich ja der Muntere und Flinke sein. «Ediert, nicht geboren», nannte das der ahnungslose Henrichs neulich, weil er annimmt, daß Leben für mich nur aus Lesen und Intellektualität bestünde. Wenn er wüßte, daß ich bereit wäre, die ganze Scheiß-Intellektualität hinzuwerfen, wenn… Neulich nach dem Montand-Konzert sah ich jemanden, der prompt hinterher auch im bösen Keller auftauchte, dann – obwohl ich ihn ansprach – sehr rasch «weg» war. Ärgerte mich nexten Tags, weil ich dachte, das sei wegen «betrunkener, alter Mann» gewesen. Nix da: Donnerstag abend, bevor ich nach Berlin flog, war ich dort wieder, traf den, sprach mit ihm – ein CDU-Parolen plappernder Dummkopf, der mir gleich sagte, er sei aber kein Gesprächspartner für mich. Erstens sei ich doch nun wohl alt genug geworden, um zu wissen, daß man sich hier nicht unterhalten wolle, und zweitens sei ich ihm zu «hoch» – er wisse genau, wer ich sei. Sprach’s und ging vor meinen Augen in den Dunkelraum. Das meinte Brasch, wenn er mich zu «mächtig» nannte. Ein gutes Wort auf der Suche nach dem Grund, warum Menschen – erst von mir fasziniert – mich gleichsam abstoßen, sich retten; mindestens in die «Scheidung» à la Ledig: Alle retteten sich ja vor mir. Es ist irgendeine «Über»-Spannung in mir oder an mir. Ich habe das nun tausendmal erlebt. Der Brasch-Abend wurde eine Brasch-Nacht mit entsetzlichem Besäufnis, wohl ganz komisch, was er mir hinterher davon erzählte – ganze Teile, die ich nicht mehr erinnerte, habe dann ja förmliche Blackouts und wüßte selbst unter Mordverdacht nicht mehr zu sagen, was ich wann und wo tat. Auch kein gutes Zeichen. So lag ich Samstag, bei herrlichstem Berliner Sommerwetter, hinter verhangenen Gardinen des Kempi und kam mittags mühevoll zu meiner Sitzung hoch, um mich gleich hinterher wieder hinzulegen. Ein vertaner (vertrunkener) Tag. An der Sitzung nur interessant, wie mehr und mehr alle Literaten übereinander herfallen, es gibt KEINERLEI Freundschaft oder auch nur Solidarität– Jaeggi über Habermas (und vice versa, «Jaeggis Geschleime»), alle über Wapnewski, selbst ein Niemand wie Wiegenstein erlaubt sich das bereits, Grass zeigte sich mit einem Pasquill von Janssen, das offenbar gegen Wunderlich gerichtet war (er «warnt» Grass davor, sich «sponsern» zu lassen; der reinste Quatsch – wohl weil Grass bei Wunderlichs Lithoanstalt in Zürich arbeitet). Und so: Es geht ihnen entweder zu gut oder zu schlecht, Kaiser ruft mich an und macht sich über Mayers Buch lustig, aber der sitzt nächsten Tag bei mir und erzählt, Kaiser habe ihn voller Begeisterung angerufen. Da bietet sich nicht nur die Frage an: Wie werden sie alle über mich reden, sondern: Was tun wir alle miteinander uns an? Wir wissen es alles besser als die Politiker – aber ich für meinen Teil möchte von keinem von denen regiert werden! Ihre Narzißhaftigkeit und Eitelkeit ist zu schlimm.

20.Mai

Zürich-Report. Wahrscheinlich liegt’s ja an mir und meinem sonderbaren «Zustand» – ob’s auch das Männer-«Klimakterium» ist? –: Aber genossen habe ich nichts von alledem. Das ist das eigentlich Bemerkenswerte und traurig Machende – es war STRAHLENDSTES Frühlingswetter mit kleinen Wölkchen über dem See, mit feinem Zimmer, herrlichem Essen, ein Leben wie ein König und «Herr Professor» hinten und vorne im Hotel und auch sonst. Behagliches Mittagessen mit Ruthchen Liepman, ganz viel Zeit zum Bummeln – aber, aber. Ich weiß eben nicht, wie man das macht, bummeln. Ich laufe nervös durch die Stadt, die ich ja schließlich auch schon mal gesehen habe; was muß ich mit 50Jahren staunend durchs Niederdorf trudeln, das macht man als Student, oder mir den Kakteengarten am See ansehen. Mumpitz. Ich sitze dort in einem Café – und bin nach 20Minuten nervös, zwinge mich da, eine Straße langzugehen, zwinge mich ins Museum – aber auch Cézanne-Bilder habe ich schon mal gesehen (allenfalls verblüffend eine Hans-Richter-Ausstellung, den ich immer für einen 3.klassigen Dadaisten hielt und der offenbar doch mehr war). Ist es auch unser Fatum, daß wir nicht mehr oder kaum noch neugierig sein können? Was soll man mir schon Neues bieten? So streife ich ziellos und wahllos durch Zürich, getreu dem neuen Motto, mir nicht mehr als 4Termine auf einen Tag zu legen; das halte ich nun zwar brav durch, aber viel Sinn gibt’s auch nicht. Dann also Muschg und die «Kuhauge»-Premiere – hm. Ich war doch ziemlich aufgeregt, hatte ja aus diesem Manuskript noch nie etwas öffentlich gemacht. Muschg holte mich ab, war einerseits nett und fast freundschaftlich wie immer, andererseits merkbar irritiert, daß ich in diesem Hotel wohnte – im «Baur au Lac» hätten seit Jahrzehnten keine Linken mehr gewohnt. Das alte Lied – die Uniform, Ente fahren und Gauloise rauchen… An der Uni dann ein eher merkwürdiger Kreis, keineswegs in erster Linie Studenten, mehr kunstsinnige, alte Damen, davon reichlich. Zuerst ein «Seminar» über mich, was auch merkwürdig ist, mit anzuhören; die Eingangslaudatio ist man ja gewöhnt, es ginge ja auch nicht, jemanden einzuladen, ohne ihn «wundervoll» zu finden. Dann «Textanalyse» – bizarrerweise anhand von WARUM. Dann meine Lesung, ich spürte deutlich, wie sich Muschgs Gesicht verschattete. Hochhuth, der als rührender Kumpel dabei war, meinte – wie er mir am nächsten Tag am Telefon sagte–, das auch bemerkt zu haben; da er wie alle Dramatiker das Böse im Menschen sieht und betont, meinte er nur: «Neid.» Wie immer – und das Abendessen in seinem ganz und gar gräßlichen, kleinstbürgerlichen Hause– Madame kredenzte mit einer Küchenschürze uns etwas Unbeschreibliches, was sie sehr lobte, dazu gab es süßen Wein, der dafür schön warm und wenig war – blieb eher verhangen im Gespräch, so daß ich gegen 23Uhr verschwand. Den Abend zuvor, mit Hochhuth draußen in Paul Wunderlichs Lithoanstalt, so 80km vor Zürich, weil dorten nemmlich Junterchen am Drucken war, und wir wollten in dem attachierten (SEHR guten) Gasthofe zusammen essen. Taten wir auch, und es war eigentlich ein netter Abend, nur daß Grass nicht aufhören wollte zu trinken (was mir neuerdings nicht mehr bekommt) und auch ganz herrschaftlich sagte (auf mein: «Ich möchte den Fahrer nicht so lange warten lassen»): «Chauffeure sind das gewohnt.» Hm.

Kampen, den 28.Mai

Was für eine sonderbare Woche wieder hinter mir liegt. Hier sitze ich nun in meinem geliebten Handschuhfach in Kampen, brennende Ginsterbüsche begrüßten mich, unvorstellbar schön, die Bude renoviert, gereinigt, alles OK – eine neue Hausbesorgerin, selbst einen Masseur für/​gegen meinen schlimmen Rücken scheine ich gefunden zu haben, perfektes Sylt-Wetter mit Sonne, kühlendem Wind, jagenden Wolken, zum Abendessen von der Gänseleber mit frischen Feigen über den Spargel bis zur frischen roten Grütze ein «Dinner»; und trotzdem bin ich innen ganz kaputt. Ob meine Energie, die ich nicht recht loswerde, sich gegen mich selber richtet, mich sozusagen aushöhlt? Diese monologische Situation, die mich – der ich ja sehr auf Gespräche angelegt bin; schon mein Kindermädchen brach in Tränen aus über mein «Geplapper» – zerstört? Ich weiß es nicht – ich merke nur einen regelrechten physischen Verfall, weiche Knie, unsicheren Schritt, ständige kleine «Schrammen» und Beulen am Auto (ich bin in einem Zustand, daß ich eigentlich überhaupt nicht fahren dürfte), das rasende Kopfweh Tag und Nacht IST irgendwas und wird durch Massagen allein nicht weggehen. Meine Hypochondrie läßt mich auf letzte Phase Syphilis oder multiple Sklerose tippen… Tatsächlich habe ich Wortfindungsstörungen, gratuliere Herbort zum schönen Corff-Artikel, wenn ich Orff meine, und sage: «Ich muß noch eine Bank ausfüllen», wenn ich einen Scheck meine; das Gehirn ist also haarscharf «daneben». Meine Chaplin-Scenen mit fallen lassen, vergessen, alles doppelt machen füllen inzwischen Teile des Tages, eigenartigerweise nicht in der Redaktion, wo ich natürlich gefordert bin. Es klappt eben nur noch die Inscenierung – so wie letzten Freitag: Abendessen mit Wunderlich und seiner Familie und meinem Neffen Peter, Anfahrt mit dem großen, Abfahrt mit dem kleinen Rolls-Royce, was für den Jungen, der aus der Wüste Nevada kommt und für den mein Porsche schon der Hollywood-Traum ist, ja auch verwirrend sein muß. Es war ein «vergnügter» Abend. Sonntag abend draußen bei Kunert. Meine ewige Rolle, wenn die Leute wüßten, wie mir eigentlich zumute ist; die nähmen sich fein ihre Krise… Munter aus dem Auto, alles brav bewundert und auch die Kartoffelsuppe brav gelöffelt. Als Vorspeise Salat, Nachspeise keine, für uns drei zwei Flaschen Wein (was ja gut wegen Auto und Kopfweh ist, aber als Angebot halt doch ein wenig wenig). Trotzdem: Beide waren eigentlich wieder nett und fast freundschaftlich, er wirklich sehr endzeitlich, ich glaube nicht nur als Masche, resigniert, bitter vis-à-vis de rien. Durfte dann, nachts, zusehen, wie der einzig gut-, will sagen: nicht verkommen – aussehende Mensch in der Unterwelt durch mich hindurchblickte wie durch eine Glaswand – aber lustige und flirtende Augen bei jemand anderem bekam, mit dem er genau DREI Minuten nach Flirtbeginn abzog. Sehr ermutigend, wieder mal. Inzwischen ist nun Peter Meyerhoff ausgezogen – doch ein ziemlicher Schmerz für mich, auch durch die Art, wie er das tat: nämlich ohne ein Wort. Ich bin’s ja nun von ihm gewöhnt, die Jahre hindurch, daß er aus einer Mischung von komischem Zynismus («Sieh mal die Frau mit den Krampfadern da») und Multschigkeit eigentlich an anderer Menschen Leben nicht teilnimmt, auch an meinem nicht, mich ja in 5Jahren nicht ein einziges Mal zu sich in die Wohnung eingeladen hatte – aber dieser stumme Auszug, ohne ein Abschiedswort, die schönen Biedermeier-Möbel und Palmen auf der Straße vorm Möbelwagen und Peter (als ich in den Wagen stieg) mir nebenbei winkend, so, als sähen wir uns morgen früh wieder; das war doch arg. Wenn man denkt, daß er mal meinetwegen herzzerreißend weinte! Ich glaube, er kann garnicht mehr weinen, und seine lustigen Zynismen sind inzwischen seine zweite Natur geworden (weswegen er letztlich menschlich leer und deswegen auch so unzuverlässig bleibt; letztes von den unzähligen Beispielen: meine Bitte, mir diesen hübschen, kleinen See aufzuschreiben, den er da in Schleswig-Holstein entdeckt hat, damit ich da mal mit meinem Neffen an einem Wochenendtag hinkann; nichts. Es ist ihm so egal, was andere Menschen tun, daß er’s einfach vergißt – sei es nun eine Glühbirne oder geliehenes Geld). Das Pünktchen auf dem i war, als ich zum soundsovielten Male ihn zum Essen– Abschiedsessen – bat, auch, weil ja noch vieles Vertragliche zu bereden war, auch nach vielen Absagen und «Logierbesuchen». (von denen ich nie wußte, wer’s war, und zu denen ich auch nie dazugebeten wurde) bequemte er sich endlich am vorletzten Wochenende, wir gingen zum Italiener, ich hatte vorher noch ein paar kleine melancholische Zeilen oben durchgesteckt (ohne jede Reaktion), und als die Rechnung kam, er hatte gerade 10.000Mark von mir kassiert, sagte er glatt: «Laß es uns doch teilen», und hechtete mit dem Satz: «Laß es uns jetzt nicht dramatisch machen» fast wie in Angst mit einem Riesensatz die Treppe hoch, als wir nach Hause kamen – nix noch ’nen Drink oder wollen wir noch… (ich wollte garnicht, mußte ja nächsten Morgen früh nach Zürich, aber…). Es wird kühler um mich herum, einsamer. Nun wird Frau Stützner dort wohnen, und es wird wohl sachlich in Ordnung gehen, aber eine bestimmte Wärme ist weg. Ich hing menschlich doch sehr an ihm, hatte ein – wieso eigentlich? Er spricht inzwischen von den Verträgen, die «ganz klar» sein müssen, weil ich doch jeden Moment sterben könnte – ganz großes Vertrauen zu ihm. Habe ich zur Stützner auch – aber es ist doch, in gewisser Weise, eine sehr andere Situation. So ist sein Auszug ein Stück mehr Vereinsamung. Zu Zürich nur noch das: Wie merkwürdig, daß ausgerechnet die eine Stelle in meiner «Prosa», die nun ausschließlich und authentisch autobiographisch ist, jener Moment, der mein ganzes Leben bestimmt und zerstört hat, nämlich als mein Vater mich verführt und ich mit seiner Frau ficken muß – daß der als «unwahrscheinlich» abgelehnt wird. «So was gibt es nicht.» Ach Gottchen. «So was tut ein preußischer Mann nicht!» – Tja, ich hab’s ja gerade geschrieben, um zu zeigen, daß so einer so was eben tut. Und mehr.

Kampen, den 12.Juni

Zerwirbelte Vor-Sylt-Tage; fahre nächste Woche, nach dem letzten Autor-Scooter (den ich als «Autor» mit Wapnewski mache), nach Kampen, wie immer: Jetzt freue ich mich auf die Ruhe und Einsamkeit, nach einem wahren Reigen von «social commitments», Abend für Abend. Aber sitze ich dort erst einmal, bin ich spätestens vom 3.Tag an todunglücklich in meiner Einsamkeit. Und die Berge von Arbeit, die ich mitnehme, beunruhigen mich schon jetzt. Merkwürdige «Urlaube» sind das immer. So hat mich auch ein Satz in einem Fassbinder-Nachruf besonders geschockt: Er habe nie in seinem Leben auch nur einen Tag Urlaub gemacht. Was für mich ja nun wirklich auch zutrifft – ob nun Sylt, auf Sardinien oder in Fuerteventura: Ich habe doch stets ein Buch vor der Nase oder kritzle an etwas. Ist wohl eines der «Geheimnisse», nach dem alle immer fragen, wenn sie sagen: «Wann schaffen Sie das alles bloß?» So ist eigentlich eine ziemlich sinnlose Woche vorbeigerast, ein Abend bei Peter Koch, STERN-Chef, schönes Haus in Övelgönne, bemerkenswerte Bilder – aber törichter Abend mit plappernden Gästen in Turnschuhen. Ein anderer Abend mit dem wie immer kakelnd zurückgekehrten Fichte, der wieder viele Male in Lateinamerika ermordet wurde, von der AIR FRANCE die Concorde-Tickets geschenkt bekommen habe («Ich bin eben berühmt») und anstandslos ein entlegenes Hörspiel von sich einen «Klassiker» nennt, den zu verlegen Herr Heinrichs sich freuen würde, weil er dann ja ein Werk hätte. Letztlich genauso grotesk der nächste Abend mit Felix Schmidt, zweiter STERN-Chef, der nur über seine Armut – bei geschätzt 500.000DM im Jahr – klagt und auf eine Insel will. Ich weiß oft nicht: Gehört das nun wirklich zu meinem Beruf, oder warum mache ich’s? Wohl nur, weil man auch nicht Abend für Abend zu Hause seine Boulette alleine rühren mag. Vermutlich, mit wenigen Ausnahmen wie Brasch, reden sie nur schlecht, und die ganzen Angebote wie die vom STERN («Wir engagieren Sie am Tage, an dem Sie bei der ZEIT aufhören») sind nur Gerede. Schrecklichster Klatsch in der Beziehung: ein kleiner, klatschsüchtiger Nicht-Schriftsteller namens Steinke erzählte mir, habe es angeblich von Havemanns Tochter Bille (die früher Biermanns Geliebte war), daß Havemann diesen letzten, berühmten und gefilmten Besuch von Biermann nicht ertragen, immer nur gestöhnt habe: «Wann geht dieser gräusliche Mensch endlich» und nach B.s Abgang gerufen habe: «Jetzt brauche ich SOFORT ein Stück Schweinebraten zum Trost.» Aß es und starb (dran). Freunde fürs Leben nennt man das. Wichtiger als all das: Wie soll ich mich wegen des «Kuhauge»-Manuskripts entscheiden? Ich kann mich auch nicht zu Tode beraten. Es haben nun Grass und Wunderlich, Enzensberger und Brasch gelesen, Muschg Teile gehört und einen hoch-merkwürdigen Brief dazu geschrieben. Alle sind zumindest angetan, einige begeistert, Brasch drängt auf Veröffentlichung und sagt zu Recht, Rücksicht irgendeiner Art wäre nicht nur neu für mich und mir ungemäß, sondern würde sogar alle meine bisherigen Proklamationen und Positionen vis-à-vis Literatur unglaubwürdig machen. Brasch vorgestern: Muß so und nicht anders raus, es ist fertig so. Grass gestern: Es ist aber noch nicht fertig, gib es nicht zu früh aus der Hand. Hat nun Brecht recht oder Thomas Mann? Ich neige zu Brasch-Brecht. Ich finde, dieser Teil hat SEIN Klima, anstückeln ginge auch schon sprachlich nicht, es kommt nach dieser Lebensphase eine andere innere Haltung, damit andere literarische Struktur. Möchte danach lieber meine «Toten vom Spoon River» schreiben. Aber was noch und wann?

Kampen, den 28.Juni

Mitscherlich ist tot – und ich gehe Tennis spielen. Wenn ich schon mal von zwei Gewohnheiten Abstand nehme: abends Tagesschau und morgens VOR dem Frühstück in die Zeitung sehen. So war meine groteske Trauergeste: schlecht Tennis spielen. «Es regnete Tote» – das scheint weiter zu gehen. Zeigt auch meinen Jahrgang, ob nun Havemann, Peter Weiss oder jetzt Mitscherlich – das sind ja alles Menschen, die ich entweder persönlich gut kannte oder deren Arbeit für mich, für meine wichtig war. So bewege ich mich aufs Grab zu, und tatsächlich macht mir mein stetes Kopfweh, von morgens beim Aufwachen bis zum Zubettgehen, große Sorge. Mir ist den halben Tag schwindlig, das muß etwas Ernsthaftes sein, mein tiefes und endlos langes Schlafen ist ja ohnmachtsähnlich, und Luft und Wind, Massage, Tennis und Schwimmen – also perfekte «Erholung» hier eigentlich – haben NICHTS genutzt. Die Kraft, mal 14Tage wirklich keinen Tropfen Alkohol zu trinken, habe ich dennoch nicht gehabt – Schwäche des Alkoholikers? Makaber bei Mitscherlich auch, daß ich 3Tage vorher mit seiner Frau korrespondierte, sie Grüße ausrichtete und ich zurückfragte: «Kann man irgendwie helfen?» Gleichzeitig ein Brief von Augstein, der sich verwundert, wieso der kranke und «debile» Mitscherlich Jury-Mitglied bei der von mir initiierten ZEIT-Bibliothek der 100Bücher ist; was ja nun, auch eine Pointe, in der Tat seine letzte «Arbeit» war. (Augstein, trickreich wie immer, schreibt ja auf meine Frage, ob er den Plato übernehmen möchte: «Ja, gerne mache ich den Hobbes.») Sie sind ja alle absonderlich, die Herren Schreiberlinge, eitel, weswegen sie – von Kreisky bis Bertaux, von Aron bis Golo Mann – mitmachen; aber jeder will ein Extra-Süppchen à la: nein, diesen Titel nicht – aber jenen. Und das MUSS dann einer sein, der – wie die mitgeschickte Liste zeigt – vergeben ist. So muß Küng natürlich den Luther rezensieren, den aber Frau Ranke-Heinemann «hat». Jetzt die Tucholsky-Briefe, meinen Text dazu, die Auswahl für NDR und ZEIT-Magazin, die Zwischentexte, Benjamins Passagenwerk, Ernst-Weiß-Aufsatz vorbereiten. Im Genick der große Jünger-Aufsatz und die beiden großen Gespräche mit Böll und Lenz. Einerseits natürlich alles sehr schön – aber auch bißchen viel (gut, daß ich das meiste für mein Buch verwenden kann; das ist natürlich die privilegierte Situation meiner Tätigkeit). Der Gedanke, daß ich meine «eigentliche» Arbeit dabei vernachlässige, ist momentan etwas erstickt; Unseld hat auf einen gewiß sehr empfehlend-dringlichen Brief von Brasch über «das» Buch reagiert: Er will – wie damals bei der Intervention von Enzensberger – es nicht mal sehen! Ledig reagiert nicht auf Hochhuths Tip: Also diese «Rolle» des Prosa-Schreibers gesteht man mir nicht zu. Wenn ich mich erinnere, daß Unseld, damals nach dem Rowohlt-Bruch, als er mich zu Suhrkamp holen wollte, wörtlich sagte: «Sie sind mir zu groß, ich habe Angst vor Ihnen.» Was ist da nur an/​in mir, was die Leute so reagieren läßt – auch einfach was Großes voraussetzen läßt (Augstein vor Jahren: «Nee, mit dir spiele ich gottserbärmlich Tennis.» Oder Stefan Heym hier neulich, der einfach als selbstverständlich annahm, daß mir DAS GANZE HAUS hier, und nicht nur die kleine Wohnung, gehört).

Kampen, den 16.September

Das letzte Ei ist gegessen, die letzten fahlen Dahlien sind verblüht, das letzte Vivaldi-Band gespielt; time to part. Es ist ja komisch – obwohl dies ja hier auch eine Art «Zuhause» ist und eine Wiederkehr eher wahrscheinlich (wenn auch eventuell mit dem Makler zum Verkauf unterm Arm…), dieses «ziehende» Abreisegefühl, das wir aus dem Wort «partir, c’est un peu mourir» kennen, stellt sich auch hier, und immer wieder, und diesmal besonders stark ein. Verstärkt wohl durch allerlei bedeutsame (?) Details, wie daß ich die Fenster neu streichen ließ, einen langen Sylt-Tee wieder bei meinem Pastor war und die Bepflanzung meines Grabes in Keitum nun endlich erledigt wird (das Grab, by the way, ist sehr «schön» – zwischen Suhrkamp, Avenarius und Baedeker; mehr kann man wohl nicht verlangen…). So beschleicht mich ein wenig das Gefühl: «Haus bestellt.» Nun wird der Blumenkohl und das Töpfchen Rote Grütze in Plastik verschnürt, weil ich nicht genau weiß, ob zu Hause eigentlich der Tisch gerichtet ist. Es waren wieder mal merkwürdige Wochen – einerseits betörend schön dieser Herbst, alle Wetter, die man sich wünschen kann, hintereinander, mal tosende Brandung und mal faul daliegende See, mal heiß und mal herbstlich verschleiert, hinter den pflügenden Bauern diese von weitem wie wehende weiße Brautschleier wirkenden Wolken von Möwen, die sich da aus den Furchen was picken – es hätte ohne diese brutale Störung durch den Herrn Sommer ein schöner Urlaub werden können. Daß alles nicht Zeit hatte bis NACH dem Urlaub, daß nun gar ein Brief meinen sogenannten «Untergebenen» gezeigt wird (was für ein Chef bin ich da eigentlich noch?) – wie grob und taktlos ist das alles. Zur Identifikation mit diesem ZEIT-Hause also kein Grund. Maria Augstein fragt verdächtig «leise», ob die Einladung Siedlers an mich zu seinem morgigen Fest auch «freundlich» sei; mir scheint, daß sie da mehr weiß, als sie sagen will oder darf – es sieht ja wohl so aus, daß er mein möglicher Nachfolger wird, was auch passend wäre: intelligent, konservativ und im Habitus ins Haus «passend», immer gestern mit Golo Mann spazieren gegangen und morgen mit Speer zum Tee. Ich hatte da letztlich doch den falschen Geruch – denn in Wahrheit bin ich nicht nur zu bunt und zu «outwayish», sondern ist ihnen Speer doch lieber als Grass, und die Gräfin ging halt immer mit Jünger zur Schule… Dieses Gefühl – was heißt Gefühl, WISSEN–, eigentlich nirgendwohin zu gehören, von niemandem getragen zu werden, immer nur das Tier mit dem falschen (bzw. keinem) Stallgeruch zu sein – das sägt schon ganz hübsch an meinen Nerven. So fahre ich unfroh zurück, ängstlich sogar – und graule mich sogar vor den beiden «Verlegergesprächen» der kommenden Tage. On verra.

25.September

Zurück aus Lavigny und dem vollkommen sinnlosen Leo-Fest, wo es schlechten Wein, langweilige Leute und ein Steak gab (was mich, alles zusammen, 1000Mark gekostet hat), und in 1Stunde beginnt mein Interview mit Siegfried Lenz, wovor ich mich immer wieder graule, Lampenfieber, habe das Gefühl, es wird nix, es fällt mir nix ein – – – und versinke im übrigen weiter wie eine Beckettfigur im Sand, so in der Finsternis; ich «grinse» noch, aber der Sand knirscht schon zwischen meinen Zähnen. Aufregend und wichtiger eigentlich, daß mein alter Studienfreund Gerd, der ja noch und für immer in Ostberlin lebt, anrief, bei irgendeiner Schwester zum 60. in Solingen oder so, und mir erzählte, daß er STÄNDIG und IMMER WIEDER vom SSD kontaktet würde, meinetwegen. Er könnte so was haben, jede Woche ’ne Westreise, wenn er wolle – wenn er sich bereit fände, mich zu «übernehmen». Ich habe mich fast übergeben müssen – was ist nur an meinem Leben, daß alles so merkwürdig, spektakulär, angriffig ist? Warum ist gestern zum zweiten Mal (von allen hier in der Straße parkenden Wagen) MEIN Wagen versucht worden zu klauen; warum will Bucerius MICH loswerden und nicht Petra oder namenlose Langweiler – oder auch namHAFTE–, warum fühlen sich die Lover «erwürgt» und die Kollegen «überwältigt». (Grass hat Lenz vor dem Interview quasi gewarnt, er müsse aufpassen, ich denke doppelt so schnell wie normale Menschen), und warum fiel der betrunkene Wagner-Zelinsky gestern abend über meinen (kostbarsten) Majorelle-Tisch, daß er hin ist?

Gerade zurück von Lenz; das Gespräch ist eher middle-brow, aber ich war auch nicht auf der Höhe, nicht nur, weil mir zu ihm nicht viel einfiel, sondern weil ich aus Wut über den zerstörten Tisch und aus Kummer über alles Mögliche kaum geschlafen hatte, trotz 9Stunden im Bette, rasendes Kopfweh, obwohl wenig getrunken und Bauchweh vom Lenzschen Pflaumenkuchen. Vielleicht macht mich die Schulaufgabe, ich habe nur noch Glanzstücke zu liefern, auch unfähig zu Glanzstücken. Einzig erfreulich die Reaktion aus dem Hause Fischer, aus dem immerhin dieser junge, neue Cheflektor hingerissen sich für den Abend bedankte (die Inhaberin nicht!) und meinte, daß dieses von mir so «bescheiden» charakterisierte Buch mit Sicherheit der Haupttitel des Fischer-Programms des nächsten Herbstes würde. Hm. On verra. Es soll «Die Nachgeborenen» heißen. Das schließt übrigens eine baldige Publikation von «Kuhauge» aus, denn die Frühjahrsprogramme sind fertig, und ich kann im Herbst nicht neben diesem dicken Schinken meine kleine novelet präsentieren. Dienstag mittag bin ich mit Augstein verabredet – dann wissen wir wenigstens, daß das NICHTS wird. Ich kalkuliere, daß es bei der ZEIT auf eine Trennung im Laufe des kommenden Jahres hinausläuft und auf irgendeinen Mitarbeitervertrag. Dann müssen wir uns eben einschränken… Rührend übrigens und dann eben doch mein alter Tigertank, der sie ja mal war, Mutter und Vater zugleich, die alte Mary Tucholsky, die einen «Donnerwetter»-Brief schrieb, wieso ich sie nicht an meinen Sorgen teilnehmen ließe und wie sie helfen könne. Ich solle ihr mal meine «Bücher» offenlegen (wie in einem Kontor bei Fontane), damit sie wisse, wieviel Geld ich denn brauche, um meinen «Seelenfrieden» zu finden; sie würde das dann irgendwie regeln. Das hat mich doch ziemlich umgeschmissen – und natürlich habe ich Geld-Hilfe abgelehnt; aber daß sich jemand so konkret kümmern will, hat mir gutgetan. So, jetzt ist Bloody-Mary-Time, dann gibt’s Heringe mit Apfel und Zwiebel zum Columbo-Krimi.

1983

22.Januar

Meine München-Reise vorgestern war auf vielfältige Weise gespenstisch: Maximilian Schell war vor Monaten zu dem – wohl letzten – großen Gespräch von Marlene Dietrich empfangen worden und hatte 40Stunden Tonbandaufnahmen. Als ich davon erfuhr, rief ich ihn an, um zu fragen, ob da für die ZEIT etwas bei rauskommen könnte. Kurz: Ich flog nach München, und er spielte mir im Schneideraum die von ihm verabschiedete Fassung vor; er will einen Kinofilm daraus machen, ein «documentary», also mit eingeschnittenen Filmscenen. Der erste Schock: Da saß ein rückenkrummer, ältlich und auseinandergelaufen aussehender Maximilian Schell, mit dicken Ringen unter den Augen und einer Strickjacke an. Nix mehr vom einstigen Film-Beau und Tennisstar-haften. Mein Schock war deshalb so groß, weil ich natürlich sofort dachte: Das geht ihm jetzt umgekehrt genauso, noch dazu mit Bart, den ich damals, als wir uns vor Jahren kennenlernten, nicht hatte. Und: Es geht auch allen anderen so, die mich heute kennenlernen: alt, faltig. Nächster Schock: Eine oft fast lallende, offenbar meist betrunkene alte und dünne Stimme sprach da – die, die wir vom strahlenden «Heute, da such ich mir was aus, einen Mann, einen richtigen Mann!» kennen. Streckenweise sprach sie nur Unsinn, gelegentlich wieder sehr schöne, kluge Sachen – im ganzen aber ein wirres Potpourri. «Das letzte Band», nur nicht als Kunstwerk, sondern ein echter, lebendiger Mensch – der noch gespenstischer dadurch wurde, daß man ihn nie sah; sie läßt sich nicht mehr fotografieren und sagte auf eine wiederholte Bitte von Schell: «I’ve been photographed to death!» Das wird meine Überschrift in der ZEIT! Danach zu Schell – ein unordentlicher, leicht schmuddeliger Junggesellenhaushalt, ungemütlich und auch häßlich, lieblos eingerichtet – – – und dabei die wundervollsten Kunstgegenstände an der Wand, Picassos (ihm gewidmet), Rothko, Chagall, Giacometti. Aber auf dem Tisch eine Decke mit kleinen, eingestickten Weihnachtsbäumen – und AM Tisch ein müder, resignierter Mann, der seinen Beruf nicht mehr mag und nicht weiß, welchen anderen er ausüben soll. Das Essen– Büchsensuppe und Geschnetzeltes – war um 18Uhr vorbei!

26.April

Beerdigung vom alten «Papa» Pisarek, hat mich ungeheuer aufgewühlt – wobei, wie immer bei Tod, man nie genau weiß, ob man nicht nur um sich selbst heult. Hier ist das gewiß sehr stark: Ich bin immer bei «meinen» Beerdigungen– Bernd, Eckfried – der «Eigentliche»; gleichzeitig habe ich hinten zu sitzen, der Fremde, der ja nicht wirklich zur Familie gehört. So war’s auch hier. Für Ruth war ich der Bezugspunkt; noch in der kleinen Kapelle, neben ihr saß ihr Mann, schaute sie sich wie ertrinkend nach mir um. So weinte ich am jüdischen Grab, zu jüdischen Klageliedern, wohl auch um mein «falsch gelebt» – und zwar doppelt: Einmal war es ja in gewisser Weise mein Schwiegervater, den ich da mit Käppchen auf dem Kopf beerdigte, der mir als jungem Mann in herrlichem Jiddisch Thomas Manns Joseph-Romane auf Hiddensee vorgelesen hatte, wo ich mit der verliebten Ruth im Gras lag und Angst hatte, sie «zu nehmen». (Was auch nie klappte; ein Tucholsky-Mary-Syndrom?) Diese Frau, diese «mögliche Familie», die da jetzt ihre ist – sähen meine/​unsere Söhne so aus oder sehr anders?–, könnte meine sein. Zum anderen auch «falsch gelebt», so anders-allein: als Ruth – im Arbeitszimmer ihres Mannes mit mir alleine – erzählte, wie der Vater sie, sie den Vater geliebt hatte, wie er im Koma sie «Mama» genannt hatte, wie er in der Familie gestorben sei, die aber auch seine Liebe erfahren hatte; wie sie selber sagt, daß sie ist, was sie ist, durch ihn, weil seine Liebe ihr Selbstbewußtsein gegeben hatte, Liebesfähigkeit ihrerseits – da fragte ich schon: Und ich? Und mir? Wer hat das je mir gegeben? Kommt daher ihre großzügige Uneitelkeit und meine übertriebene, die ja inzwischen Menschen verprellt? Selbstbestätigung und Unbestätigtsein? Und das wird nun durch Papier ersetzt, möglichst Selbstbeschriebenes, Selbstbedrucktes? Es war auch die Beerdigung unserer Jugend. Wieviel Leichtsinn, wieviel Fröhlichkeit, Unbelastetheit, Frechheit haben wir drei – sie, Georgi und ich – geteilt, ob jubelnd ohne Führerschein betrunken am Wannsee oder bei Katja nach der Lenya-Platte tanzend, Georgi immer gerade von einer anderen Flamme – noch bettwarm – kommend. Heute stand da ein grauhaariger Familienvater mit Tränen in den Augen. Bin vom Friedhof geflüchtet ins Kempi wie in eine Wagenburg – jetzt Kaffee und Kuchen mit Freunden: das nicht. Werde bald Ruth alleine sehen, wollen müssen. Wie anders wäre mein Leben verlaufen, wenn…

21.Juli

Nach einem Tag bei Claude Lévi-Strauss in einem Château (!) in Burgund sehr verwirrt wieder hier, verwirrt, weil: ich mich eben doch an jenen 20.Juli erinnerte, an dem Eckfried starb und an dem ich auch ein «Interview» – nämlich mit Walter Mehring – hatte; am selben Datum Bernd Geburtstag hat; und weil ich mir dieses Gesprächs überhaupt nicht sicher bin. Ich habe buchstäblich Wochen in die Vorbereitung investiert, war – und bin – immer wieder hin- und hergerissen, weil seine Gedanken einerseits hochstaplerisch-reaktionär wirken, andererseits sehr überzeugend. Bahnt sich da in mir selber eine wachsende Bereitschaft zu reaktionärem Denken an? Nicht im täglichen «Geschäft» angesichts des Kohl-Deutschland: aber in den «tiefen» Einsichten, z.B. der Vergeblichkeit allen Tuns, der Unsinnigkeit, wirklichen Kontakt, eine wirklich sich gegenseitig befruchtende menschliche Beziehung haben zu können. Dazu kam – bis zur Schlaflosigkeit am Vor-Abend in Paris, vor Nervosität – das Sprach-handicap. In Wahrheit ist es ja die reine Hochstapelei, daß ich mit meinem kümmerlichen Küchenfranzösisch ein solches Gespräch führe. Was treibt mich überhaupt zu solchen Eskapaden – warum MUSS ich den Herrn Lévi-Strauss interviewen, der doch meine ureigenste Arbeit garnicht betrifft? Ist es ein ewiges «Penis zeigen», ein – noch immer – Ausruf: «Ich bin der Größte», jenes alberne «Außen-gesteuert-Sein», das schon Rousseau (den ich zu meinem größten Vergnügen bei der Vorbereitung las) verächtlich verurteilte? Immer noch und immer wieder «das ungeliebte Kind», das sich eine Ersatzliebe durch Bestätigung holt und dabei sozusagen vorm Schokoladeklauen (i. e. «falsche Interviews» machen als Süßigkeitenersatz) nicht zurückscheut?

28.Juli

In mir eine zitternde Unruhe, die ich nicht «lokalisieren» kann. Es kann eine innere «Umbruch»-Situation sein; gestern den ganzen Tag Korrektur der Erzählung gelesen und sie doch ziemlich gut gefunden; aber auch ziemlich aufgewühlt durch den Gedanken: vielleicht falsch gelebt? Will sagen: Hätte ich mich nicht viel früher, Jahre früher, trennen sollen von der unendlichen und mühseligen Sekundärliteratur-Schreiberei, mir den Mut zum Eigenen früher fassen sollen? Ist es zu spät? Oder ist, umgekehrt, das sogar ein Irrtum? Das nächste «Sekundär-Buch», Weimar Culture, macht mir Spaß, das merke ich bereits jetzt beim Einlesen in das Material (das uferlos ist) – – – aber in Wahrheit ist es ein Buch, ausgepreßt aus vielen anderen. Es wird nichts drinstehen, das nicht anderswo auch schon stand, allenfalls zerstreut. Eine auch noch so schmale eigene Erzählung wäre doch mehr? Wieder andererseits: las gestern abend spät Gerd aus dem KUHAUGE vor, das Kapitel DIE RUSSEN KAMEN GANZ IN WEISS; offenbar zu seiner VOLLKOMMENEN Verblüffung und Verstörung. Die nicht einmal so sehr von dem «anstößigen» Text ausging – das auch: auch wegen des «Vielen», was da angeboten wurde–, sondern vor allem von dem, was er, nun wieder zu meiner Verblüffung und Verstörung, in der Frage zusammenfaßte: Wozu machst du so was? Das geht doch niemanden etwas an? Du setzt dich ja vollkommen anderen Menschen aus. (Er findet bereits zumindest indezent, daß ich das so «nahe» Wunderlich-Portrait auf dem NACHGEBORENEN-Umschlag abbilden lasse.) Verstörende Frage: Warum macht man so was? Warum schrieb Thomas Mann den TOD IN VENEDIG (mit dem er sich ja, noch zumal damals, sehr «aussetzte»…) oder Proust die RECHERCHE? Ist es nur der gigantische Schrei nach Liebe, das ewige Thema «Ich-armes-Kind-habe-ja-keine-Mutter-gehabt», was ja allmählich platt und banal wird? Ist es «Kreativität»? Wichtigtuerei?

Mittags Jürgen Becker und Rango – lieb, aber auch strange: Wenn man denkt, daß sie bereits quasi-geschieden waren, er ausgezogen zu einer Rothaarigen, und sie weinend zu mir nach Hamburg kam – und jetzt saß man sich fremd-siezend gegenüber und machte literarische «Konversation». Vielleicht auch das ein Beispiel für das, was Lévi-Strauss (und Rousseau) meint, wenn er sagt, daß man sich selbst und seine «Wirkung» überhaupt nicht einschätzen kann. Paar Tage später kam ein rührender Brief, in dem u.a. steht: «Ein nachwirkendes Erlebnis, Sie und Ihre fabelhafte Adresse besuchen zu dürfen. So kurz, so intensiv, und seitdem weiß ich auch wieder, daß Sie und Gespräche mit Ihnen mir fehlen. Ich rede ja kaum noch mit jemandem, wozu auch, ein paar Stunden mit Ihnen wiegen alles auf. Ich bin Ihnen dankbar, war tagelang noch bewegt. In Ihrem Haus ein guter vibrierender Geist. Verlieren Sie nicht die Begeisterung, darin zu leben und zu arbeiten.» Hm. Scheint ernst, kein Parfum-Kompliment.

3.August

Was ist nur mit den Menschen los – saurer Regen über den Intellektuellen? «Schade, daß sie eine Votze ist», soll Fichte über Marlis Gerhardt vom Süddeutschen Rundfunk gesagt haben, die es mir heute abend beim Essen, lieb-doof-verquatscht-empört, weitererzählte. Platschek habe ihr das weitergetratscht (was auch sehr überflüssig ist), und sie wird Fichte das nie vergeben, er wird dort nie mehr eine Sendung kriegen (wo eigentlich noch – er ist mit allen, saurer Regen, verkracht). Ich schämte mich, den alten, nun auch mit mir entzweiten Copain nicht besser verteidigen zu können, verteidigt zu haben – stattdessen meine Funk-Schäfchen ins Trockene zu bringen versucht zu haben.

4.August

Kunert. Sehr betroffen machender Abend bei herrlicher Kartoffelsuppe, die seine Juno gekocht hatte; er IST tatsächlich, ohne Koketterie, ein Endzeit-Pessimist, sieht uns nicht VOR, sondern IN der Katastrophe. Das dann allerdings schon bei gepflegten Weinen. Eben noch berichtet er eindringlich, wie all die Menschen auch durch elektrische und magnetische Schwingungen vergiftet würden – da erstrahlt plötzlich, beim Aus-dem-Haus-Gehen, ohne daß ein Schalter berührt worden wäre, Halogen-Licht überall unterm Dachfirst. «Ja, das mache ich mit einem kleinen, elektromagnetischen Sender in der Hosentasche.» Menschen sind eben konsequent.

7.August

Paul Wunderlich zurück aus Frankreich, beide sahen herrlich aus, hatten den Zorn, Wut und Demütigung offenbar hinter sich, müssen dort auch wirklich angenehm leben, inzwischen mit Freunden, Nachbarn, Leuten, die zu Besuch kommen – mal zum Riesen-Diner, mal zum Bistro-Besuch. Zutiefst versteht er natürlich nicht, warum ich mit dem Hauskauf zögere: weil ich eben das Geld nicht habe, daß es mich strangulieren würde, daß ich den Apparat nicht in den Griff bekäme, daß jeder Anruf «Die Regenrinne leckt» mich aus der Balance brächte; noch dazu in meinem Angestellten-Beruf, der ja doch einen anderen Rhythmus hat als der Tag des freien Künstlers. Aber unser Essen mit all meinen schönen Geräten, dem alten Meißen, den Tiffany-Schälchen, den Fadengläsern und den neuen Lampen, viel Silber und allerlei Gerät und herrlichem Essen, war schon ein großer Genuß; er sieht eben jedes Detail, jedes ulkige Messerbänkchen und jeden Lichteinfall auf einer Skulptur. Ein großer Genuß.

Rottach, den 21.August

Zu Mary Tucholsky nach Rottach: schlimmer Eindruck, ein zusammengesunkener, ganz grau gewordener Mensch, eine erlöschende Kerze, nur noch (dann geradezu ridiküle) Reste ihrer alten Energie. Fahl, schlotterig, ein paar central issues («Die Stützner kann kein Englisch» oder «Das Tucholsky-Archiv bin ich» oder «Das Haus gehört ja mir, ich kann damit machen, was ich will») – – – aber sonst alles durcheinanderbringend: UNSER UNGELEBTES LEBEN nennt sie «Unser ungemachtes Bett». (o heiliger Freud!) und Tucholskys BRIEFE AN EINE KATHOLIKIN seine «Briefe an eine Kommunistin». Will das Haus verkaufen und ins Altersheim – aber wie soll das alles, z.B. die Post, arrangiert werden? Weiß sie selber nicht – in meine Trauer mischte sich auch die Bitterkeit: Von mir nimmt man alles, so selbstverständlich – sie erzählt zwar, daß ihre Sekretärin aus einem entfernten Ort jeden Tag per Taxi hin- und herfährt; sie fragt aber nicht, wer den Flug nach München bezahlt. Nächsten Tag Sammlung Wormland, die mich fast glücklich machte; meine «Sammlung ist dagegen wie ein äffisches Echo»; der «Vergleich» bietet sich deshalb an, weil er in dieselbe Richtung sammelte: Wunderlich, Hundertwasser, Max Ernst, Botero, Magritte. Nur meins eben, außer Paul (und meinem besseren Hundertwasser), alles klein, klein – – – und da groß, groß. Trotzdem oder deswegen eine herrliche Ausstellung. Dann noch kurz in einer SEHR schönen Wunderlich-Ausstellung: immer wieder nicht zu begreifen, warum die Leute so auf ihm herumhacken – dahingegen wirklich gute Bilder und Lithos und Gouachen, auch schöne Objekte. Auch hier wieder merkwürdig: In derselben Artcurial-Galerie war neulich eine Ausstellung von «meinem» Chadwick. Mittwoch Bayreuth. Meistersinger. Unerheblich. Nur EIN schöner Satz: «Versungen und vertan.» Merken. Donnerstag Tiefpunkt der Woche: Hans Mayer in Stuttgart. Der Egoismus des Mannes hat nun endgültig krankhafte Züge angenommen, hob schon im Hotel – zwecks Abendessenverabredung – den Hörer ab mit dem Satz: «Ich sehe gerade mich im Fernsehen…» Nicht «Guten Abend» oder «Gute Reise gehabt?». (war immerhin seinetwegen gekommen) – ich, ich, ich. Das ging im Galopp den ganzen Abend, zu dem er nicht einmal einen Tisch bestellt hatte und nun – wo er ist, ißt, MUSS es fein sein – in einem behelfsmäßig hergerichteten Hotelsalon das von ihm direkt BEFOHLENE – «also wir essen kalt» – Essen eingenommen wurde. Gleich nach der Vorspeise platzte die Kröte – ich verfolge ihn seit Jahren, kränke ihn seit Jahren, vergleiche mich, auf ungute Weise, mit ihm, habe keine Zeile von ihm gelesen und wisse überhaupt nicht, wer er sei. Hätte ich nicht das unglaublich verwinkelt-liebe FS von Gerd bekommen (der auf diese Weise einen Eklat in der deutschen Literaturscene zu verhindern wußte!…), ich wäre mitten beim Tatar aufgestanden, auf Nimmerwiedersehen. So beruhigte ich den Mann wie einen Kranken, rief alte Erinnerungen herauf, beschwor sein Gedächtnis, wo ich was für ihn getan habe, in Wort und Schrift und Fluchthilfe mit seiner Bibliothek. Anfangs noch als einzige Reaktion sein aggressives, kindhaftes «Nein, nein, ich habe viele Beweise, lassen wir es, das Gespräch hat keinen Sinn» – bis er (weil ich so energisch wurde, fast laut?) wie ein Schiff bei anderem Wind abdrehte; was allerdings hieß: den GANZEN Abend NUR ausschließlich von sich sprach, vom 2.Band seiner – sicherlich wieder wie der erste verlogenen – Memoiren, wie ALLE Leute den 1.Band gelesen hätten (Auflage 12.000), wie und bei wem und vor allem MIT wem er eingeladen sei zu Vorträgen (das sind doch fabelhafte Leute, müssen Sie doch zugeben…), wie er dort herrlich bewirtet und da bejubelt worden sei (die Leute waren sehr nett zu mir), mit dem schließlich alles krönenden Satz: «Kurzum: Ich bin sensationell.» Das ist er – ein Alp. Wäre froh, den Menschen nie mehr im Leben wiedersehen zu müssen. Ranicki ist nun wahrlich nicht mein Freund – ihn aber den ganzen Abend «der Pole» zu nennen, das ist geradezu faschistisch. Im selben Ton über Augstein oder Wapnewski, Jens oder wen immer. Er ist erbarmungslos – und in seinem Urteil überhaupt nicht sicher, ich meine im literarischen auch. War Walser «nett» zu ihm, ist der groß, hat Handke ihn nicht gegrüßt, ist er nix. Von mir mit keinem Wort die Rede, ich meine meiner Arbeit, vom neuen Buch keine Silbe. Als ich – wie ein Testpilot – meine Geschichte mit Kunert und dessen vergebliche Einsätze für den Améry-Preis für mich berichtete, einleitend mit «Améry mochte mich ja sehr gerne und hat über mich geschrieben», nickte und bejahte er sonderbar heftig – bis sich herausstellte: Er hatte falsch gehört und meinte, ich spräche von ihm! Als ich nur sagte: «nein, es war von MIR die Rede», war in Sekundenschnelle ein anderes Thema, ein Vortrag von IHM dran. Das Merkwürdige ist, daß er mit einer Sache (die mal aufzudröseln interessant wäre) recht hat: daß wir uns in unseren Arbeiten berühren, sei es Genet oder Lukács, Sartre oder Karl Kraus oder Tucholsky oder Bloch. Wobei keiner dem anderen «nachschreibt», mal er, mal ich zuerst zum Thema. Ist das Eifersucht auf den («erfolgreichen») Jüngeren, muß (wie Henrichs, als ich’s im Ressort erzählte, sagte) für einen alten Mann – siehe Bucerius – die Welt mit ihm enden? Bucerius dagegen nexten Tag bei aufregender, fast seminarhaft intensiver Sitzung frisch und dann doch wieder sehr liberal: «Wenn ein solches Buch – wie das von Kuby – in diesem Land nicht mehr erscheinen darf, dann ist an dem Land etwas falsch.»

Frankfurter Buchmesse, Oktober

Buchmessen-Cafard: im «Hessischen Hof» nur alte Gespenster, Mumien aus Madame Tussaud. Ansonsten NUR Quark, nur Anrempelei von mindestens 100Autoren und Verlegern: WANN WIRD MEIN BUCH IN DER ZEIT BESPROCHEN, mit der für mich sehr makabren Pointe, daß ich Adolf Muschg (der DIE NACHGEBORENEN ja für den SPIEGEL rezensieren wollte) bei Unseld traf und er als erstes von sich aus zu mir sagte: «Ich habe NIE vom SPIEGEL etwas gehört.» Also: Ich weiß nicht mehr, was ich zu derlei sagen soll, jedenfalls schon garnichts zu der pampigen Monika Böhme, die auf einem anderen Empfang, auch unaufgefordert, sagte: «Unser Abend war neulich auch OHNE euch sehr schön.» Gott sei Dank bin ich nicht langsam und schnippte zurück: «MIT uns wäre er bestimmt schöner gewesen…» Intrigen, nur Intrigen. Jeder gegen jeden. Der erste Verriß nun heute in der SZ, nicht «knallend», aber als erste Reaktion auf ein Buch was Negatives – zum Jauchzen auch das nicht. Im ganzen bleibt meine Metapher, daß der saure Regen auch über uns alle gekommen zu sein scheint. Passend: von George Weidenfeld zu Fest, von Sternberger bis Unseld – wem immer ich sagte: «Gabriele kommt dieses Jahr nicht», drehte sich in Sekundenschnelle um, sagte: «Ach so?» und weiter kein Wort. NIEMAND fragte, WO sie denn sei, wie es ihr ginge, was sie mache – es war halb, als wäre sie schon tot, und halb, als hätte ich mich unanständig benommen, in der Nase gebohrt. George schnaufte in Sekundenschnelle: «But YOU are in the zenith of your fame, everybody says so» – und war im selben Moment weg, nicht mal 1Drink. Auch die Horst-Krüger-Party war fad, gereicht wurde die dünne Gratis-Sauce; IHR BUCH IST DAS GRÖSSTE DER MESSE. Und das Abendessen bei der DVA dann doch nicht meine Sache: Diese Konzentration von in feine Tücher genähten Reaktionären ist mir dann doch zu viel; allein die Art, wie sie über Frauen reden, im Kasinoton (wenn keine dabei ist) – ob nun Fest oder Siedler, Scholl-Latour oder Sternberger, not my cup of tea. Es hat etwas Unbarmherziges, Kultiviert-Widerliches. Da geh ich nicht mehr hin. Was nicht heißt, daß ich die diversen Schultz-Gersteins und ihre Genossen vom SPIEGEL herrlich fände. Dasselbe in Jeans… Ob man sich in Zukunft nicht einfach ersparen sollte, all dies «How are you?» und «Tag, Herr Piper» und «Wie geht’s, Erval?» – – – und lieber arbeitete? Es zehrt ja an den Kräften, ich habe NUR schlecht geschlafen in dem luftleeren Hotel-Loch, habe nur Kopfweh. Von der Messe bei Tatar und Krimi einen ruhigen Abend mich erholt, dann am nächsten Tag ein chaotischer Grass-Geburtstag, an dem mindestens 25Personen durcheinanderquirlten. Der liebenswerte Kunert mit seiner Juno – ein Botero-Paar–, ein gräßlicher SPD-Abgeordneter, ein Schweizer Schriftsteller, dessen Namen ich nie gehört hatte und der dem Geburtstagskind ein Päckchen Bündnerfleisch schenkte, mit einem Gastgeber, der bei Tisch einschlief, und einer Ute, die einen Herzanfall bekam – was niemand außer den aufmerksamen Wunderlichs bemerkte; Karin kümmerte sich rührend um Ute, und Paul hatte zu meinem Erstaunen Herztropfen dabei. Wir beide betranken uns «aus Schutz», und ich hielt eine entsprechende Tischrede… So müde, mürrisch und kaputt, daß ich am nächsten Tag in München kaum genießen konnte, weder die wunderbare «Baumeister Solness»-Inscenierung von Zadek noch das (Business-) Gespräch mit Enzensberger für die ZEIT. Mittwoch abend Paul Wunderlich und Karin zur «Kehr-wieder-Boulette», wir hatten uns ja außer bei dem Grass-Chaos lange nicht gesehen. Schön wie immer mit den beiden. Es war ja auch das offizielle «Haus-Beerdigungs-Essen», denn die beiden (unsere Reisen waren alle durcheinandergelaufen) wußten ja noch garnicht, daß ich mich gegen einen Hauskauf in Frankreich entschieden hatte. Paul – obwohl er verstand und auch akzeptierte – doch auch ein wenig traurig: Hinter dem Ganzen stand ja auch SEINE Bouvard-und-Pécuchet-Idee der beiden alt werdenden Freunde, die ihre Sommersitze in der Nähe haben sollten… Donnerstag abend in Berlin, wo Botho Strauß «auf dem Programm» stand, er hatte mir nämlich sehr nett zu dem Kapitel über ihn in DIE NACHGEBORENEN geschrieben. Es wurde ein sehr guter, intensiver und offenbar von Sympathie getragener Abend – er übrigens viel weniger «zart» und weltfern, als ich vermutet hatte, ein sehr robuster Mann, der sich «völlig normal» verhält. Gern und gut ißt, trinkt und klatscht; sich eben nur mit keinem Stückchen am sogenannten Kulturbetrieb beteiligt, nie TV, nie ein Interview, nie Funk, nur sein Schreiben und das Theater.

Amsterdam und Rotterdam, den 1. und 2.November

Amsterdam und Rotterdam. Niedliches Hotel mit «Salon», schönes Wetter, freundliche Leute, übervolle Lesung, viele Interviews, sie nehmen hier mein Buch als ein (gutes) Buch und kümmern sich nicht um die falschen oder richtigen Söckchen, die ich trage. Interessiert an meiner Arbeit. Michael Krügers Verriß in der SZ wurde nur verlacht.

3.November

Abends in einem Hamburger Studio Fernsehgespräch der ZEIT-Redaktion mit F.J.Strauß, ein schlimmes, schwitzendes, furchterregendes Tier, ein Debakel für die Redaktion (deren GAST er ja war – das ist der Charakter der Sendung) und die in einer Mischung aus Hochmut, Dummheit, Unpräpariertheit und Negativ-Faszination nicht zu reagieren vermochte, von der Gräfin bis zu Sommer. Ich war der einzige, der wenigstens – 1½ Minuten lang – aggressiv war, länger ließ einen diese Dampfwalze nicht zu Worte kommen; manche meinten, ich habe die Ehre der ZEIT gerettet, andere wieder, ich habe sie besudelt, na ja.

7.November

Sehr sonderbarer, eigentlich unsympathischer Besuch – «Antrittsbesuch» – von Helmut Schmidt im Ressort; er hatte sich extra – wegen Feuilleton – einen Rollkragenpullover angezogen, lächerlich (trägt er nicht mal am Brahmsee!). Weltenfern von unseren Dingen, was ja auch sein Recht wäre, er ist eben – if so – Politiker und nicht Schöngeist; wenn dieser Mann nur nicht den Ehrgeiz hätte, über schlichterdings ALLES Bescheid zu wissen, ob den Milchpfennig der EG oder Barock. Damit geht er natürlich bei meinen Eminenzen herrlich unter, zumal, wenn er predigt, wir sollten doch nicht nur die volksferne Avantgarde wie Brecht oder Kafka pflegen – die ja seit einigen Jahrzehnten nicht nur populär, sondern Massenerfolge sind, also nix volksfern und auch seit sehr langem nicht mehr Avantgarde. Daß es die Aufgabe eines guten Feuilletons ist, den Formenkanon DER EIGENEN ZEIT aufzubrechen, da nach vorne zu sehen, die neuen Autoren zu finden, zu sehen, zu beurteilen – das versteht er nicht; Kunst ist Justus Frantz und Christoph Eschenbach, nicht mal Penderecki oder Boulez (auch schon arrière-garde).

Saulgau, den 11./​12.November

Also Saulgau zu Hans Werner Richters Geburtstag (bereits entsetzlich, da auch nur hinzugelangen!), einerseits nehme ich mir’s übel, mich so zu verschwenden und durch die Gegend zu flitzen (statt hier zu sitzen und an Texten zu arbeiten, z.B. zwei sehr wichtigen, vielleicht sogar guten?? Funk-Essays, die verabredet sind). Andererseits finde und fand ich’s schnöde, daß nun, da der alte Mann «nicht mehr ist», alle wegbleiben, die vorher, zu Zeiten der Gruppe, nicht eilig genug ihren Ruhm dort ernten kamen; selbst Böll, der ja für Raketenblockaden Zeit hat, hätte kommen müssen – und sei es nur für zwei Stunden. So war es eigentlich nur 2.Besetzung, mit Ausnahme von Grass, Johnson und Hildesheimer (denn in Wahrheit sind ja auch Raddatz, Kaiser und Hans Mayer 2.Besetzung). Johnson wirklich krank, seit mittags betrunken, wir mußten einmal den Notarzt holen; und wenn er nicht voll ist, ist er bösartig. Ich glaube, der schreibt nie wieder ein Buch. So war es eine eher makabre Veranstaltung, auf der Hans Mayer (der offenbar seine Bücher im Vertreterkoffer mit sich schleppt) das vor Jahren erschienene AUSSENSEITER verteilte (zum peinlichen und stummen Entsetzen der Teilnehmer), auf der Hildesheimer mir erklärte – was ich auch nicht NUR komisch finden kann–, daß er das Wunderlich-Buch, das ich ihm geschenkt habe, ZERSCHNITTEN habe, um Collagen daraus zu machen; eine, wie ich finde, erbarmungslose Sache; selbst wenn jemand Pauls Sachen nicht mag, kann man sie doch nicht ZERSCHNEIDEN. Grass erzählte – zur bleichen Wut Johnsons, der das hatte werden wollen – viel von seiner Akademie-Präsidentschaft, und niemand hörte zu, als ich die (wahre) Anekdote zum besten gab, daß Wunderlich, als man ihn einlud, in die Hamburger Akademie einzutreten, geantwortet hatte: «Gerne – aber nur, wenn auch Horst Janssen aufgenommen wird…» Ich zog immerhin eine Konsequenz: Ich betrank mich nicht, spielte nicht meine stets erwartete Rolle des heiteren Partyclowns, sondern ging Mitternacht zu Bett – nachdem ich zum Dinner dem Geburtstagskind 75 weiße Rosen geschenkt hatte. Die Herren Kollegen hatten ihm je ein Taschenbuch ihres letzten Opus gestiftet. Wer hat mir neulich gesagt: Du lebst unter Verrätern?

4.Advent

Vorm Besuch bei einem der anderen «Größten», bei Grass in Portugal, graule ich mich zunehmend. Natürlich nehme ich mir auch übel, Gerd zu Silvester alleine zu lassen – nur ist das eine so alte Verabredung, letztlich schon 2Jahre alt, wenn damals auch noch nicht auf den Tag fixiert, daß ich mir auch wieder etwas Maria-haft vorgekommen wäre, nun April, April zu rufen, wo die Grassens extra alle Kinder meinetwegen ausgeladen haben. Aber ich graule mich auch, weil ja eine Woche zu dritt (ich hab’s schon von 10 auf 6Tage reduziert «wegen Umbruch») doch ziemlich viel ist, weil er sehr Sonnensystem ist, und weil Ute, die ich ja sehr gerne mag, todunglücklich ist – ich weiß nicht, ob da nicht sogar eine Trennung ins Haus steht. Er betrügt sie an jeder Ecke (manches wußte ich durch die Urwaldtrommel und schwieg darüber, wie sich’s gehört, in der Hoffnung, es dränge nicht auch zu ihr). Das Ganze eine Mischung aus verschwiemelter Katholizität und Größenwahnrotz: «Ich wünsche nicht, mit einem schlechten Gewissen zu leben – ich wünsche zu leben, wie ich will.» Hm.

1984

Rückflug aus Portugal, 5.Januar

Was für eine hochseltsame Reise; ich sitze im Flugzeug Faro– Lissabon– Porto– Frankfurt– Hamburg und resümiere: 5Tage in dem bestürzend primitiven Haus von Grass in der Algarve, kein Strom, keine Heizung, kein Telefon, Wasser knapp, unbequeme Möbel, kein einziger Sessel im Haus, kein Sofa, kein Liegestuhl, ein Gärtlein mit Winz-Bäumchen und -Büschen, ein kahles Atelier (mit übrigens ganz schönen neuen erotischen Skulpturen), Frühstück am Klapptisch mit Hockern (!) und abends eine Wärmflasche ins eisige Bett, waschen zitternd vor Kälte (und ich, ungewarnt, zuwenig und zu dünne Sachen dabei):

Und dennoch waren es schöne Tage. Eine Mischung aus großer Herzlichkeit und gänzlicher Gleichgültigkeit anderen Menschen gegenüber, sein Humor («Kannst du eigentlich reiten?» – «Wahrscheinlich») und seine erfinderische Genügsamkeit (macht sich Tinte zum Zeichnen aus der Blase von Tintenfischen) formen schon alles in allem eine starke Persönlichkeit. Ute – der gute Geist, freundlich, lieb Bäume pflanzend oder Jeep fahrend, ständig zur Stelle («Ute, was steht da?», «Ute, wie heißt diese Graphik?» den ganzen Tag) – warum tun Frauen das?

Der große Krach blieb aus, Grass nahm (2.Abend) meine ganz unverhohlene Schärfe erstaunlich gemessen hin bzw. an; ich habe, vom Im-Stich-Lassen Pauls über Ich-nicht-Akademie-Mitglied bis zu seiner unappetitlichen Rumhurerei auch vor Ute (die das so wollte) kein Blatt vor den Mund genommen. Auf sein albern-katholisches: «Ich will kein schlechtes Gewissen haben» sagte ich: «Aber wenigstens Unrechtsbewußtsein könntest du haben.» Aber selbst diese Schärfe trübte die Tage nicht – die mich wieder sehr nachdenklich gemacht haben: Gut, ich drucke – «um im Bilde zu bleiben» – Grass’ diverse Sachen (als inzwischen einzige deutsche Zeitung) und mache – u.a. dadurch – ein gutes Feuilleton. Aber wenn er demnächst daraus einen Band zusammenstellt, ist es ein Buch von Günter Grass– DIE ZEIT wird knapp als Copyrightzeile auftauchen, ich garnicht. So wie er, offenbar stumpf gegen derlei, da unten lebt, möchte ich nicht – aber es gibt auch sehr schöne Häuser, groß, elegant, herrlich gelegen, am Meer, mit Pool; und billig. Ich könnte dort bequem und mühelos bis ans Ende meiner Tage leben, wenn ich mein Leben umstellte. Nur: Alleine geht das nicht.

Mit Gerd? Ginge das? Ich hatte sogar große Sehnsucht nach ihm, weniger am Schwanz als im Herzen (schön übrigens, daß ich, nach wie vielen Jahrzehnten, nun so frei mit meinen Freunden – auch mit Grass – über meine Homosexualität sprechen kann; «zweihäusig» nennt man die Bisexualität bei Pflanzen und Tieren, erzählte Ute). Dennoch: Ginge das, so ganz auf sich angewiesen? Ginge es überhaupt, egal mit wem?

Als ich am vorletzten Tag zum Abendessen den Tisch mit Mimosenzweigen, Muscheln und heimlich gekauften Servietten deckte, sagte Grass ganz gerührt: «Der Fritz ist eben doch eine echte Doppelbegabung – er ist sein eigener Butler.» So war es – trotz (oder wegen?) Streites – eine sehr menschliche, gar intime Atmosphäre, wir sammelten Tannenzapfen für den Kamin oder klauten, wie in Nachkriegszeiten, Mimosenbäumchen am Straßenrand – das exakte Gegenteil jeder Stilisierung. Kann es sein, daß in dem Mann so viel Kraft steckt, daß er die «Krücken» des Schmucks nicht braucht? Denn Zierat – ob Messerbänkchen oder ein Picassobild – ist doch auch gewiß das Harz, das aus Wunden getropft ist. Hier, in irgend so einem Portugal, braucht man Jeans, ’nen Pulli, und die Wachtel kostet achtzig Pfennig. So hat er auch umgekehrt auf mich eingeredet, ich solle mein Leben ändern, nicht meine intellektuelle Kraft und schöpferische Phantasie an eine Zeitung verschwenden – wo ich mich darum kümmern muß, ob Boy Gobert in «My Fair Lady» spielt oder welchen Unsinn ein Redakteur aus New York berichtet. Ob’s das «Kuhauge» entscheidet?

Dabei hat sich ja mein Leben «auf der anderen Ebene» sehr normalisiert; ich bin dankbar für viele Gesten: Heute morgen – zurück in Hamburg–, als ich wie immer schwimmen gehen wollte, rannte Gerd mir die Hausflurtreppe hinterher mit nem Regenschirm: «Es regnet zu stark, du bist ja naß, bis du zur Garage kommst.» Vollkommen ungewohnt in meinem letztlich immer chaotischen Leben, in all meinen Beziehungen steckte ein Glimmerwahn – da genieße ich es doch sehr, wenn mir jemand wie gestern beim Fasanenessen im «Mühlenkamper Fährhaus» sagt «Rauch nicht so viel» oder vor Angst regelrecht aufschreit, wenn ich bei Rot fast in ein Auto hineinrenne.

Frau

Helga Schuchardt

Kultursenatorin der Freien

und Hansestadt Hamburg

Hamburger Str. 45

2000Hamburg 76

11.Januar 1984

Liebe Frau Schuchardt,

eine gute alte Regel will es ja, daß man einen Abend besser unter ein Thema stellt. Nun haben wir am 25. gewiß viele, vor allem Sie beschäftigende Themen, und die hoffentlich gemütliche Runde (Gräfin Dönhoff, Hochhuth, Grass und Wunderlich haben zugesagt) wird da viel Neugier und offene Ohren haben. Ein offenes Ohr jedoch hoffe ich auch bei Ihnen zu finden für folgenden Plan, der nicht unkompliziert ist – daher die Belästigung mit einem so ausführlichen Brief:

Seit geraumer Zeit denkeln Günter Grass, Paul Wunderlich und ich an der Idee einer Stiftung herum. Es geht darum, daß zumindest wir drei (gedacht ist daran, daß auch Gräfin Dönhoff und Rolf Hochhuth mit von der Partie seien) große Teile ihres Nachlasses, wenn nicht im ganzen, öffentlich machen wollen. Unabhängig von persönlichen Legaten und Vermächtnissen an Frau und Kinder und sonstige Verwandte finden zumindest wir drei, daß es nicht in Ordnung ist, Dinge von einem bestimmten kulturellen oder gar kulturpolitischen Wert privat zu vermachen; sie sollten eines (zu bestimmenden) Tages der Öffentlichkeit gehören.

Das betrifft nun, dem Charakter der Arbeit dieser verschiedenen «Produzenten» entsprechend, ganz unterschiedliche Dinge.

Bei Wunderlich ist es am sinnfälligsten und deutlichsten: Es sind optische Gegenstände von großer Vielfalt und Vielzahl, Bilder, Gouachen, Lithographien, Skulpturen, Möbel, Objekte.

Bei Grass ist es sozusagen gemischt. Einerseits existiert ja von ihm inzwischen auch ein ziemlich variiertes bildnerisches und bildhauerisches Werk; andererseits gibt es Manuskripte, Studien und vor allem eine enorme Korrespondenz.

Wieder anders im Fall Raddatz. Abgesehen von meinen vielleicht nicht allzu wertvollen Manuskripten existiert zum einen eine sehr umfangreiche Autographensammlung mit Briefen wohl fast sämtlicher europäischer Intellektueller und Schriftsteller von A wie Aragon oder Alfred Andersch über B wie Böll und Bachmann oder James Baldwin das Alphabet hindurch bis zu Z wie Zuckmayer. Wesentlicher aber vielleicht ist meine private Sammlung, von der Sie ja am Donnerstag einiges sehen werden, die ziemlich viele Exponate der europäischen Moderne umfaßt: Picasso und Max Ernst, Beckmann und Christian Schad, die wohl umfassendste Privatsammlung von Paul Wunderlich überhaupt, aber auch Hundertwasser und Botero, Richard Lindner und Delvaux, um nur einige zu nennen.