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Wie alles begann...
Es ist Dezember, und an der Anthropologischen Fakultät der Universität von North Carolina sitzt Temperance Brennan an ihrer Doktorarbeit. Als zwei Cops ihr Labor betreten, ändert sich Brennans Leben schlagartig. Die Detectives Slidell und Rinaldi untersuchen den gewaltsamen Tod eines Arztes, dessen stark verbrannte Leiche in einem Wohnwagen gefunden wurde. Ob Tempe mit ihrer Erfahrung im Analysieren menschlicher Überreste die Identität des Opfers bestätigen kann? Ihr erster Kriminalfall stellt nicht nur ihr ganzes Können auf die Probe, sondern bringt auch das Leben der Detectives und ihr eigenes in große Gefahr...
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Seitenzahl: 98
Kathy Reichs
Tempe Brennans erster Fall
Aus dem amerikanischen Englischvon Klaus Berr
Blessing
Zum Buch
Es ist Dezember, und an der Anthropologischen Fakultät der Universität von North Carolina sitzt Temperance Brennan an ihrer Doktorarbeit. Als zwei Cops ihr Labor betreten, ändert sich Brennans Leben schlagartig. Die Detectives Slidell und Rinaldi untersuchen den gewaltsamen Tod eines Arztes, dessen stark verbrannte Leiche in einem Wohnwagen gefunden wurde. Ob Tempe mit ihrer Erfahrung im Analysieren menschlicher Überreste die Identität des Opfers bestätigen kann? Ihr erster Kriminalfall stellt nicht nur ihr ganzes Können auf die Probe, sondern bringt auch das Leben der Detectives und ihr eigenes in große Gefahr …
Zur Autorin
Kathy Reichs, geboren in Chicago, lebt in Charlotte und Montreal. Sie ist Professorin für Soziologie und Anthropologie und unter anderem als forensische Anthropologin für gerichtsmedizinische Institute in Quebec und North Carolina tätig. Ihre Romane erreichen regelmäßig Spitzenplätze auf internationalen und deutschen Bestsellerlisten und wurden in 30 Sprachen übersetzt. Tempe Brennan ermittelt auch in der von Reichs mitkreierten und -produzierten Fernsehserie Bones – Die Knochenjägerin.
Lieferbare Titel
Blut vergisst nicht
Knochen zu Asche
Der Tod kommt wie gerufen
Das Grab ist erst der Anfang
Fahr zur Hölle
Knochenjagd
Totengeld
Mit Haut und Haar
Hals über Kopf
Knochenarbeit
Lasst Knochen sprechen
Totgeglaubte leben länger
Fährte des Todes (1)
Knochen lügen nie
Wasser des Todes (2)
Die Sprache der Knochen
1
Ich saß auf einem Stuhl, den ich dicht an sein Bett gezogen hatte, und unter meinem Brustbein schwelte eisige Hitze. Angst.
Durch die Glasschiebetür kamen gedämpft Krankenhausgeräusche. Eine Aufzugtür, eine ratternde Rollbahre, ein piepsender Pager. Im Zimmer das leise, rhythmische Pingen der Vitalzeichensensoren.
Sein Gesicht wirkte hager und grünlich-grau im Schein der Maschinen, die seinen Puls und seine Atmung überwachten. Hin und wieder warf ich einen Blick auf den Monitor. Sah die Linien in einem unregelmäßigen Zickzackmuster hüpfen. Hoffte inständig, dass das Pingen und Hüpfen weiterging.
Chirurgische Intensivstation. So kalt. So steril. Und doch, eine menschliche Spur. Ein Fleck wie ein Mickymausohr auf einem der Gitter des komplizierten Betts. Schon komisch, was einem unter Stress auffällt.
Ein Laken bedeckte ihn vom Hals abwärts, nur seine Arme lagen frei. Ein gegabelter Schlauch versorgte ihn durch die Nasenlöcher mit Sauerstoff. Eine Nadel infundierte ihm Flüssigkeiten in eine Ader am Handgelenk. Der Arm mit der Infusion lag eng am Körper. Der andere ruhte auf seiner Brust, am Ellbogen in stumpfem Winkel gebeugt.
Ich sah seinen Brustkorb unter dem Laken sich heben und senken. Irgendwie wirkte sein Körper kleiner als sonst. Geschrumpft. Oder es war eine Illusion, die von der Aquariumsbeleuchtung erzeugt wurde.
Er bewegte sich nicht, zwinkerte nicht. In dem gespenstischen Licht wirkten seine Lider durchscheinend lila, wie die abgeschälte Haut einer roten Zwiebel. Die Augäpfel lagen tief in den Höhlen.
Hollywoods dramatische Todesszenen sind Unfug. Eine Kugel, die in einen Körper eindringt, zerstört knapp sechzig Gramm Gewebe, nicht mehr. Eine Kugel bringt einen Mann nicht unbedingt sofort um. Um sofort zu töten, muss man in den Kopf oder weit oben in die Wirbelsäule schießen oder starke Blutungen hervorrufen, indem man eine Schlagader oder das Herz trifft. Nichts davon war ihm passiert. Er hatte überlebt, bis ein spätabendlicher Spaziergänger mit seinem Hund ihn gefunden hatte, zwar bewusstlos und stark blutend, aber noch mit tastbarem Puls.
Der Anruf in den frühen Morgenstunden hatte mich aus einem tiefen Schlaf gerissen. Sofort schoss mir das Adrenalin durch den Körper. Mit zitternder Hand griff ich nach dem Telefon. Mit hämmerndem Herzen fuhr ich durch die Stadt. Vor der Intensivstation stritt ich, bis man mich einließ. Ich hielt mich nicht lange mit Höflichkeiten auf.
Tod durch Schusswaffen hängt von mehreren Faktoren ab: ein Projektil, das tief genug eindringt, um lebenswichtige Organe zu erreichen; Erzeugung eines dauerhaften Hohlraums entlang des Wegs der Kugel; Erzeugung eines temporären Hohlraums durch Übertragung der kinetischen Energie der Kugel; Zersplitterung von Kugel und Knochen. All diese Dinge waren ihm passiert.
Die Chirurgen hatten getan, was sie konnten. Sie hatten leise und einfühlsam gesprochen, die Stimme ruhig vor Erschöpfung, der Blick sanft vor Mitleid. Die inneren Verletzungen seien zu schwerwiegend. Er liege im Sterben.
Wie konnte das sein? Männer seines Alters starben nicht. Aber sie taten es. Amerika war bis an die Zähne bewaffnet, und niemand war sicher.
Ich spürte ein Beben in der Brust. Kämpfte dagegen an.
Der gleichgültige Tod war dabei, ein Loch in mein Leben zu reißen. Über die kommenden Wochen wollte ich lieber nicht nachdenken. Die Monate. Wir hatten so viel miteinander getan. Hatten uns gegenseitig Kraft gegeben, physisch und emotional. Trotz der gelegentlichen Distanziertheit, Barschheit. Die hitzigen Diskussionen. Die unbegründeten Rückzüge. Die Wortwechsel waren nicht immer angenehm, aber sie trieben den Prozess voran, halfen uns, mehr zu erreichen, als wir allein geschafft hätten. Jetzt sah die Zukunft düster aus. Unerträgliche Traurigkeit hüllte mich ein wie ein Leichentuch.
Er war ein guter Mann. Kompetent. Sehr engagiert in seiner Arbeit. Immer beschäftigt, aber immer auch bereit zuzuhören, Feedback zu geben, manchmal haarsträubend, manchmal weise. Immer in Bewegung.
Ich dachte an die Stunden, die wir miteinander verbracht hatten. Die gemeinsamen Herausforderungen. Das Erkennen von Problemen und das Herangehen an ihre Lösungen. Die Detailversessenheit, die aus Fragmenten ein verständliches Ganzes machen konnte. Das Gefühl, etwas erreicht zu haben, wenn wir Antworten auf verwirrende Fragen entdeckten. Die Frustration und Enttäuschung, wenn sich keine Lösung ergab.
Ich habe schon so viel Tod gesehen. Leichen im Ganzen und in Teilen, bekannt und unbekannt. Leben, die auf jede vorstellbare Art endeten. Von den sehr Jungen zu den sehr Alten, Männer und Frauen. Manchmal war die Ursache offensichtlich, bei anderen ein Rätsel, das langwierige Untersuchungen und meinen ganzen Scharfsinn erforderte. Er war meine größte Hilfsquelle.
Während meiner ganzen Karriere war ich oft Überbringer herzzerreißender Nachrichten gewesen. Veränderer von Leben, der nächsten Angehörigen mitteilte, dass ihre Lieben tot waren. Er war dabei gewesen. Oder hatte zugehört, wie ich es ihnen sagte. Der Tod war eine Konstante in meiner Arbeit, und jetzt würde der Tod diese so hoch geschätzte Partnerschaft beenden.
Wieder schaute ich den Mann im Bett an. Alles war Vergangenheit. Eine Zukunft würde es nicht geben.
Die Tür ging auf, und eine Schwester kam herein, die Gummisohlen lautlos auf dem makellosen Fliesenboden. Sie war kurz und rund und so schwarz, dass ihre Haut im Schein der Monitore wie eine Aubergine glänzte. Auf dem Schild auf ihrer Schwesternkluft stand V. Sule.
Schwester V. lächelte, ein schnelles Hochziehen der Lippen, dann tätschelte sie mir die Hand.
»Er bekommt Morphium.« Englisch mit Akzent, weich und trällernd. »Er wird lange schlafen. Gehen Sie, meine Liebe. Trinken Sie einen Kaffee.«
»Mir geht’s gut«, sagte ich.
Noch ein Tätscheln, dann machte sich Schwester V. daran, die Flüssigkeitsstände und Anzeigen und Verläufe zu kontrollieren. Ich zog meinen Stuhl an die Wand und setzte mich wieder. Ich hatte seit Stunden daraufgesessen. Seit man ihn in dieses Zimmer geschoben hatte.
Ich schaute Schwester V. Sule zu. Ihre Bewegungen waren schnell und effizient, zugleich aber merkwürdig anmutig. Ich dankte ihr, als sie das Zimmer verließ.
Der Stuhl war, was Krankenhausmobiliar angeht, ungewöhnlich bequem, gepolstert und mit Armlehnen, und die Rückenlehne neigte sich mit, wenn ich mich nach hinten lehnte. Ich überlegte, ob eine solche Sitzgelegenheit speziell für Zimmer gedacht war, in denen man sich auf eine lange Wache einrichten musste. Für Besucher, die halfen, den Tod hereinzulassen.
Ich schaute zu dem sich hebenden und senkenden Laken. Meine Sicht verschwamm. Der letzte Atemzug würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Erschöpft und übermannt von Trauer, streckte ich die Beine aus, legte den Kopf nach hinten und schloss die Augen.
Nur für einen Augenblick.
2
8 Uhr 07. Mittwoch. 19. Dezember.
Der Türknauf knackt. Ich spüre einen leichten Luftzug und hebe neugierig den Kopf. Es sind Semesterferien, und das Gebäude ist verlassen. Der ganze Campus ist verlassen. Wer könnte da in mein Labor kommen?
Die Tür schwingt auf, und zwei Männer treten ein. Unaufgefordert. Beide sind groß, vielleicht eins achtzig. Einer ist dünn. Der andere ist nicht dünn. Beide sind Mitte dreißig.
Die Unterbrechung stört mich. Ich bin erst seit einem Semester an der Anthropologischen Fakultät der University of North Carolina, und meine Anstellung hängt davon ab, dass ich meinen Doktor mache. Das Juniormitglied meines Promotionsausschusses hat mich erst vor Kurzem informiert, dass er meine Dissertation nicht abzeichnen werde. Der Blödmann hat sich nicht nur geweigert, meine Arbeit in den Sommerferien zu lesen: Jetzt, da er sie endlich gelesen hat, verlangt er die Aufnahme eines weiteren Merkmals in die statistische Behandlung.
Die geborgte Sammlung, die ich eben untersuche, muss ich in drei Wochen zurückgeben. Das Frühlingssemester steht bevor, und Seminarprofile, Vorlesungen und Übungen müssen vorbereitet werden. Der Weihnachtsbaum ist noch nicht geschmückt und kein einziges Geschenk besorgt. Das heißt, ja, ich bin nicht gerade in Feierstimmung.
Der dicke Mann hat »Cop« auf die Stirn gestempelt. Die, da sie fettig ist, zu seinen Haaren passt. Braunes Cordsakko, am Hintern speckige Polyesterhose, Billigkrawatte, Leck-mich-Miene.
Der dünne Mann ist nicht nur vom Gewicht her das genaue Gegenteil. Designeranzug, Seidenkrawatte, maßgeschneidertes Hemd, auf Hochglanz polierte italienische Lederschuhe. Seine Haare sind geschickt so arrangiert, dass sie die schütteren Stellen kaschieren.
Ich ziehe die Maske herunter, stehe aber nicht auf. Die Männer kommen zu meinem Arbeitstisch. Leck-mich übernimmt die Führung.
»Wo ist Doc Becknell?«
»Ich bin Dr. Brennan.« Ein bisschen vorschnell, was den Titel angeht, aber es dürfte bald so weit sein. Wenn ich mir dieses Paar vom Hals schaffen kann, dann kann ich mich weiter mit Hinterhauptslöchern beschäftigen. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Wir brauchen den Doc.«
»Und die Herren sind?«
Leck-mich zieht eine Marke vom Gürtel und hält sie mir hin. Das Lederetui ist noch so neu, dass es nach Kuh riecht.
»Glückwunsch zur Beförderung, Detective Slidell.«
Slidell hebt das Kinn, und seine unteren Lider kräuseln sich.
»Frisch aus der Presse«, antworte ich auf seine unausgesprochene Frage und wende mich seinem Partner zu.
»Detective Eddie Rinaldi. Bitte entschuldigen Sie die Störung, Ma’am.«
»Wo ist Becknell?«, will Slidell wissen.
»Steht nicht zur Verfügung.«
»Wie wär’s, wenn Sie sich den Hörer schnappen und sie verfügbar machen?«
»Das dürfte schwierig werden.«
»Wir leben in schwierigen Zeiten.«
»Dr. Becknell hat sich ein Sabbatical genommen«, sage ich.
»Soll heißen?«
»Sie ist weg.« Ich befürchte, dass dieser Slidell sich mit akademischen Gepflogenheiten nicht so gut auskennt.
»Und wo ist sie?«
»Im Nordirak und in Jordanien.«
»Und was macht sie dort?«
»Ausgrabungen. Die Grabungsstätte ist epipaläolithisch, frühes Kebarien bis zurück ins Acheuléen. Auch einige tiefere Levallois-Mustérien-Schichten.« Halb erfunden, weil ich weiß, dass der Kerl keine Ahnung hat. Riskant, aber Slidells Arroganz geht mir auf die Nerven.
»Fantastisch.«
»In der Tat.«
Slidells Blick fixiert mich und senkt sich dann auf den Tisch.
»Was ist das?«
»Prähistorischer Leichenbrand.«
Slidell verdreht die Augen, anscheinend ärgert er sich immer noch über meinen Frischlingswitz. Oder über den archäologischen Slang.
»Verbrannte Knochen«, erkläre ich.
»Wer ist das Opfer?«