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Sie kommen aus den Tiefen des Alls und haben nur ein Ziel. Sie wollen die Erde. Überlebende der verheerenden Alien-Attacken retten sich in ein Atom-U-Boot. Auf der Flucht vor den Invasoren durchkreuzen sie die Südsee.
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Seitenzahl: 214
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In dieser Reihe bisher erschienen
3301 Dwight V. Swain Dunkles Schicksal
3302 Ronald M. Hahn Die Stadt am Ende der Welt
3303 Peter Dubina Die Wächter des Alls
3304 Walter Ernsting Der verzauberte Planet
3305 Walter Ernsting Begegnung im Weltraum
3306 Walter Ernsting Tempel der Götter
3307 Axel Kruse Tsinahpah
3308 Axel Kruse Mutter
3309 Axel Kruse Ein Junge, sein Hund und der Fluß
3310Ronald M. Hahn Die Herren der Zeit
3311 Peter Dubina Die letzte Fahrt der Krakatau
3312 Axel Kruse Knochen
3313 Ronald M. Hahn Projekt Replikant
TERRA - SCIENCE FICTION
BUCH 11
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Copyright © 2024 Blitz-Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Bild Künstler: Rudolf Sieber-Lonati
Titelbildgestaltung: Mario Heyer
Vignette: Ralph Kretschmann
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten.
3311 vom 11.08.2024
ISBN: 978-3-68984-079-2
Die letzte Fahrt der Krakatau
Peter Dubina
Im Schatten der Uferfelsen lag ein Mann ausgestreckt auf dem weichen Sandboden, der noch die Hitze des Tages ausstrahlte. Der Himmel über ihm war in nächtliches Dunkel gehüllt. Wenn er den Kopf gedreht hätte, hätte er die Sterne sehen können, die wie verstreute Diamanten auf einem dunklen Samttuch blitzten und glitzerten. Aber der Mann, der im Schatten lag, wandte den Kopf nicht nach oben. Er starrte in die Düsternis hinaus, in die Richtung, in der das Meer lag. Dort konnte er einen leichten Lichtschein erkennen. Ein Schimmer, der durch die Nacht nach ihm rief und lockte.
Vor dem Mann stand eine schussbereite Thermo-Hydrazil-Explosionswaffe. Ein neuartiges Maschinengewehr mit vernichtender Wirkung.
Der Mann ließ seine rechte Hand langsam über das blinkende Schloss der Waffe gleiten. Obgleich die Nacht nicht mehr so heiß war wie der vergangene Tag, stand doch Schweiß auf der Stirn des Mannes. Sein Körper brannte.
Er griff mit der linken Hand nach hinten und zuckte zusammen, als er über die gequetschte Stelle am linken Bein fuhr. Er konnte das Bein nicht ohne Schmerz bewegen. So ließ er es ruhig im Sand liegen. Denn wenn er die Muskeln nicht zu spannen versuchte, dann spürte er kaum Schmerzen. Jetzt lag er schon seit einer vollen Stunde hier im Sand und im Schatten, während der Leuchtzeiger der Armbanduhr weiterging.
Eine Stunde des stummen Wartens. Worauf? Der Mann im Schatten der Felsen wusste es nicht. Er wusste nur, dass er wartete. Die Waffe vor ihm erinnerte ihn immer wieder daran, wenn er glaubte, es vergessen zu haben. Die Verletzung war jetzt vollkommen gleichgültig. Selbst wenn er das Bein verloren hätte, wäre es gleichgültig gewesen. So gleichgültig wie irgendetwas auf dieser toten und verlorenen Welt.
Vom Strand her, wo der Lichtschein geisterte, hörte er das Plätschern der Wellen. Er konnte sie nicht erkennen, denn der Mond war noch nicht aufgegangen, und das schwache Licht der himmlischen Katzenaugen genügte nicht, um die endlose Wasserwüste vor ihm erstehen zu lassen. Sie hatte sich in einen dunklen Mantel gehüllt, in einen Mantel der Geheimnisse.
Der Mann tastete wieder nach seinem zerquetschten Fuß. Das Schienbein war glatt abgebrochen, die Muskeln und Nerven zerfetzt. Eigentlich wundersam, dass er sich noch bis hierher hatte schleppen können. Er zog die Hand, die mit Blut bedeckt war, wieder zurück.
Das Leben war seltsam. Man bekam es und verlor es, und dazwischen? Ja, dazwischen lag ein winziger Augenblick der Erfüllung oder der ungestillten Sehnsucht. Ein Augenblick nur, nicht mehr.
Der Mann bemerkte, dass er seinen Humor verloren hatte, und er lachte lautlos und bitter. Es war ein Lachen der bösen Erinnerung an eine Zeit, die so endlos lange vorbei zu sein schien wie jede Hoffnung auf das Leben. Eine Zeit, die unendlich weit zurücklag, die er aber deutlich vor sich sah.
Er blickte wieder zum Meer hinaus, aber er konnte immer noch nichts sehen.
Den Kopf in die Armbeuge gelegt, so lag er im Sand und blickte in die abgrundtiefe Dunkelheit, die alles vor ihm verbarg. Gefahr und Hoffnung, Zukunft und Gegenwart. Nur eines konnte sie nicht verschleiern. Die Vergangenheit. Die Vergangenheit, die das umfasste, was geschehen war.
Die Nacht war dunkel und undurchdringlich, seit die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war. Der Himmel war jetzt bedeckt, und kein Stern durchdrang mehr mit schwachem Licht die dichte Schicht der Wolkenbänke. Nur hier und da kam ein Strahl des Mondes hindurch, fiel auf die Erde, zuckte und malte Kringel in den Sand des Strandes und verschwand. Die Banda-See lag wie ein Tuch, aber man konnte sie nicht sehen. Nur ein leises Rauschen war zu vernehmen, sonst nichts.
Jäh stiegen aus den dunklen, nächtlichen Fluten die steilen, schroffen Wände von West-Celebes auf. Der schmale Strand war an der Stelle, an der sich die dunkle Gestalt ruckweise bewegte, stark mit Steinblöcken und Geröll übersät. Zwischen den Blöcken gluckerte das schwarze Wasser. Es klang wie ein außerirdischer Ruf, doch der Mann, der sich zwischen den Blöcken dem Meer zuwandte, vernahm es nicht einmal. Er hörte nichts außer seinem eigenen Keuchen.
Carter Grant blieb wie ein Stein liegen, als er auf der hohen, schroffen Wand, durch die er eben herabgekommen war, einen Lichtschimmer aufblitzen sah. Es musste eine sehr starke Lampe sein, ein Scheinwerfer, und Carter wusste, dass sie ihn suchten. Er wusste auch, dass es keine Gnade für ihn geben würde, wenn sie ihn fanden.
Denn Carter Grant befand sich auf der Flucht.
Es war schwer, sie abzuschütteln. Das bemerkte Grant erst in diesem Augenblick. Jetzt, da es fast schon zu spät war. Der Lichtschein auf der Wand wurde greller und schmerzhafter. Ein langer Lichtfinger stieß durch die Dunkelheit wie ein Speer.
Unwillkürlich duckte sich Carter zusammen, als der Strahl dicht neben ihm einen Lichtfleck auf den Boden malte. Die Steinblöcke lagen schutzlos jedem Blick preisgegeben, und Carter presste sich hart zwischen das Geröll, um nicht gesehen zu werden. Schnell und mit flackerndem Blick suchte er seine nächste Umgebung nach einer Deckungsmöglichkeit ab. Die Schatten, die die Steinblöcke warfen, waren kurz und nicht ausreichend. Denn der Scheinwerfer stand sehr hoch oben, und der Winkel, in dem er auf die Erde auftraf, war sehr gering. Carter Grant musste sich aber verstecken. Jetzt, da der Lichtfleck in unregelmäßigen Bewegungen zu tanzen begann, drückte er sich ein wenig auf die Seite, um zu entkommen.
Er musste sehr schnell und geschickt handeln, denn diejenigen, die oben auf dem Plateau des Felsens standen, kannten keine Gnade.
Carter kannte die Fremden. Er hatte sie gesehen, und sie hatten ihn gesehen, und deshalb befand er sich jetzt auf der Flucht vor ihnen. Denn es war klar, dass sie ihn töten wollten. Carter hatte ihnen nichts getan, aber trotzdem würden sie ihn umbringen.
Sie hassten die Menschen. Sie hassten sie so sehr, wie eine Rasse nur eine andere hassen kann.
Es war grausam, gejagt zu werden. Das empfand Carter Grant in diesen Minuten sehr deutlich. Der Lichtfleck tanzte weiter über den Boden und näherte sich in unregelmäßigen Zuckungen Carter, der wie versteinert hinter einem Block in der Dunkelheit kauerte und dem unausweichlichen Verhängnis entgegensah.
Er konnte sich an seinen Fingern abzählen, dass etwa ein Dutzend Elektroschockwaffen in die Dunkelheit gerichtet waren. Bereit, loszugehen, gegen jede auch noch so kleine Bewegung.
Carter hatte keine Zeit, jetzt große Überlegungen über das unaussprechliche Hassgefühl anzustellen, das jene Fremden bewegte, die Menschheit wie Tiere zu jagen und sie auszurotten. Aber es gab etwas, das für Carter viel schlimmer war als der Tod. Er wusste, dass er der einzige noch lebende Mensch war. Dass es außer ihm niemanden seiner Rasse mehr gab. Er wusste, dass die Erde tot und leer war. Er war nur noch ein Überbleibsel, etwas, das man vergessen hatte. Und der Gedanke daran war noch schlimmer als der Gedanke ans Sterben.
Kriechend bewegte sich Carter zwischen den Steinblöcken mühsam weiter. Der Lichtfleck wanderte hinter ihm her. Dann war der Strand jäh zu Ende. Eine Felswand, die bis ins Wasser vorsprang, beendete den kurzen, steinigen Strand. Carter lehnte sich schwer atmend dagegen und blickte hinauf zum Plateau. Was würde nun geschehen?
Er hatte keine Waffe, er war wehrlos. Der einzige Weg, der ihm blieb, war der ins Wasser. Vielleicht konnte er schwimmend entkommen. Nein, es war unmöglich. Er konnte nicht entkommen. Am ganzen Strand würden sie auf ihn warten, bis er zurückkam. Hunderte, Tausende würden ihm auflauern. Hass, Hass, Hass!
Selbst der Lichtfleck auf den Steinen schien Hassgefühle auszustrahlen, die Felsen, der Himmel, das Meer.
Carter Grant fühlte einen ohnmächtigen Zorn in sich aufwallen. Der Lichtfleck hatte ihn fast erreicht. Er bückte sich und hob einen Stein auf, dann presste er sich wieder gegen die Steinwand, unfähig, den Blick von der unerreichbar hohen Lichtquelle abzuwenden. Sein Herz pochte in wütenden Schlägen. Der Lichtfleck wanderte weiter, jetzt musste man die Gestalt schon im Widerschein sehen, der vom Boden reflektiert wurde. Der Lichtfleck schien einen Satz zu machen, und da war Carter mitten in einem schneeweißen Kreis, den der Lichtfinger auf die Felswand malte.
Ein scharfes Zischen durchdrang die Nachtluft. Ein weiß glühender Blitz purer Elektrizität schlug dicht neben Carter in die Felswand. Er spürte ein unangenehmes Rieseln unter der Haut, und seine Nackenhaare sträubten sich.
Er machte einen Satz nach vorn und schlug klatschend im Wasser auf. Brausend schlugen die Fluten über ihm zusammen, und er sank. Wieder und wieder spürte er den leisen Schauer. Sie schossen ihm also ins Wasser nach. Er ging tiefer und versuchte, unter Wasser zur Felswand zu gelangen. Er hatte noch viel Luft in den Lungen und konnte wenigstens noch eine Minute unter Wasser bleiben. Das wollte er auch tun. Vielleicht nahmen sie dann an, ihn getroffen zu haben.
Um ihn herum war es vollkommen schwarz und dunkel. Das Wasser war kühl.
Mit langen Schwimmzügen kehrte er zur Oberfläche zurück. Da er die Augen offenhielt, konnte er schon vorher den hellen Fleck über sich tanzen sehen. Im Widerschein des Scheinwerfers wirkte die Oberfläche des Wassers wie gesponnenes grünes Glas mit hellen Flecken und Kringeln. Er zog nach rechts hinüber, doch der Lichtstrahl folgte ihm beharrlich. Er brauchte Luft. Lange konnte er nicht mehr bleiben, ohne zu atmen. Schon begannen seine Lungen zu brennen. Die Atemnot würde ihn jetzt in wenigen Sekunden zur Oberfläche zwingen.
Er war im Augenblick zwar noch zu tief, als dass einer der Schüsse eine paralysierende Wirkung auf ihn hätte haben können, doch er musste ja im nächsten Moment hinauf. Was er in diesen Augenblicken dachte, wusste er nicht. Er schoss schließlich mit gewaltigem Schwung nach oben und brach durch die Wasseroberfläche. Keuchend sog er die Luft ein und röchelte. Das Salzwasser brannte noch in seinen Augen und ließ sie tränen.
Ein Blitz zuckte herab und stieß neben ihm ins Wasser. Der jähe, heftig brennende Schmerz ließ Carter aufschreien. Gurgelnd wollte er sich untergehen lassen, doch sein linker Arm bewegte sich nicht mehr. Die elektrisch paralysierende Wirkung der Schockwaffen schien ihn voll erwischt zu haben. Träge trieb er auf den Wellen, ein Spielball für die weiteren Schüsse. Wäre er näher am Strand gewesen, hätten ihn schon die ersten Blitze unbedingt tödlich getroffen.
Auf einmal war noch ein anderes Geräusch da.
Carter ging nahezu unter, bekam Salzwasser in den Mund und spuckte. Dann wusste er ganz plötzlich, was dieses Geräusch zu bedeuten hatte. Es kam vom Meer her. Er riss den Kopf herum und erblickte weit draußen eine zuckende blaue Flamme. Eine Flamme, die aus der Dunkelheit herauszuspringen schien.
Oben auf dem Plateau erfolgten kurz hintereinander einige Explosionen.
Hohe, spitze Schreie voller Todesangst erschallten, und das Licht erlosch. Dann hörte man, wie einige Körper über die Steilwand herabgepoltert kamen. Einige Steinchen rollten ihnen nach. Der Lärm auf dem Meer war verstummt, es war das typische Hacken einer Maschinenwaffe gewesen. Carter Grant war für den Bruchteil einer Minute so überrascht, dass er wieder unterging. Als er hochkam, sah er einen neuen Scheinwerfer, aber diesmal nicht vom Plateau herunter, sondern von der offenen See her.
„Hallo!“, schrie Carter aus Leibeskräften. „Hallo, hierher!“
Er begann mit raschen Zügen durch das Wasser zu kraulen, immer näher an das Licht heran. Vor ihm tauchte etwas schemenhaft aus der Dunkelheit auf, geriet für Sekunden ins Feld des Scheinwerfers und verschwand dann wieder. Aber das Platschen im Wasser blieb.
Carter Grant spürte, dass eine raue Hand seinen nassen Haarschopf ergriff, er streckte beide Arme weit nach vorn. Er bekam etwas Festes zu fassen, dann sah er einen Blitz neben sich im Wasser einschlagen und schrie auf. Etwas weiter entfernt fing die fremde Maschinenwaffe wieder an zu rasseln, und die Geschosse pfiffen über das Meer hinweg und trafen gegen das Felsplateau. Ein blaues Flämmchen tanzte in der Dunkelheit vor der Mündung einer Waffe.
Dann zerriss plötzlich ein furchtbarer Schmerz die Dunkelheit vor seinen Augen. Alles um ihn wurde in glühende Helligkeit getaucht, bevor er wieder in die Dunkelheit zurückfiel. Dann spürte er nichts mehr.
* * *
Sein Traum war wirr und chaotisch. Er lag im Wasser und spürte ein Gewicht an beiden Beinen, das ihn langsam, aber stetig in die Tiefe zog. Er war schon bis zum Kinn im Wasser versunken, und unaufhaltsam strömten fremde schreckliche Gesichter an ihm vorbei. Blitze zuckten durch die Nacht seiner Besinnungslosigkeit und trafen ihn immer wieder. Er begann, sich mit beiden Händen zu wehren.
Gurgelnd erwachte er.
Das Erste, was ihm auffiel, als er die Augenlider öffnete, war eine Decke über ihm. Eine Decke aus Metall. Sie bedeutete, dass er sich in einem Raum befand. Das war sein erster Gedanke. In den ersten Sekunden seines fortschreitenden Erwachens konnte er sich überhaupt nicht zurückerinnern. Er wusste weder, was geschehen war, noch wo er sich befand. Er wusste gar nichts. Die Erinnerungen kamen nicht, trotz seiner Bemühungen, dafür aber fühlte er, während er ruhig und ausgestreckt auf einer weichen Unterlage ruhte, leise schwankende Bewegungen dieser Unterlage. Seine nächste Wahrnehmung war: Die Decke über ihm war grau gestrichen und unansehnlich. Sie war aus Metall. Man konnte die Schweißstellen und Nieten erkennen, von denen sie zusammengehalten wurde.
Jetzt streckte er langsam die Hand aus und tastete über einen Rand seines Lagers nach unten. Die Unterlage fühlte sich weich und schmiegsam an.
Langsam versuchte Carter nun, sich zu erheben, aber es ging nicht. Es war unmöglich. Es war kein körperliches Unbehagen, das er empfand. Es war einfach eine unerklärliche Schwäche und mitunter ein leiser Druck in der Herzgegend. Zwischen seinen Schulterblättern prickelte es leise und kaum wahrnehmbar.
„Hallo“, wollte er sagen, aber er bekam kein Wort über die Zunge. Sie lag wie ein totes Stück Kork in seiner Mundhöhle und ließ sich nicht bewegen. Erst beim dritten Versuch klappte es endlich, und er brachte einen Ton über die trockenen Lippen.
„Hallo!“ Fast wäre er vor seiner eigenen Stimme erschrocken.
„Hallo“, antwortete eine fremde Stimme. „Wie fühlen Sie sich?“
Unendlich langsam begann Carter, den Kopf zur Seite zu drehen. Unendlich langsam und unter Aufbietung aller Kräfte. Seine Muskeln schienen nicht richtig arbeiten zu wollen. Vielleicht war das eine Folge der vielen Elektronenschocks, die er erhalten hatte. Oder war es nur ein Traum gewesen? Das alles?
Nachdem Carter den Kopf vollends zur Seite gedreht hatte, sah er wie durch einen flutenden Schleier ein fremdes Gesicht vor sich. Es war das Gesicht eines Menschen! Vielleicht war es dieser plötzliche Schock, der es bewirkte, dass Carter auf einmal sein Gedächtnis wiederfand. Das versetzte ihm den zweiten Schock, denn es war nicht leicht, die plötzlich auf ihn einströmenden Empfindungen und Gedanken, Erinnerungen und Gefühle so rasch zu verarbeiten.
„Wie fühlen Sie sich?“, fragte die Stimme wieder.
Der Nebel vor Carters Augen verzog sich, und er konnte ein älteres Männergesicht erkennen, das sich über ihn neigte. Ein Gesicht, das sehr hager und abgezehrt wirkte. Ein Kopf, der einen unheimlichen Eindruck machte, weil seine Knochen nur von einer dünnen Hautschicht überzogen zu sein schienen. Tief in den Höhlen glühten zwei durchdringend blickende Augen von einem eisigen Blau. Gekrönt wurde der merkwürdige Schädel von weißem, schütterem Haar.
„Danke ich fühle mich gut“, sagte Carter langsam.
„Das freut mich“, erwiderte der alte Mann, und ein leises Lächeln erschien auf seinen Zügen.
„Wo bin ich?“, wollte Carter wissen.
„Das werden Sie noch früh genug erfahren“, wich der andere aus. „Sie sind noch sehr schwach, mein Lieber! Wie ist eigentlich Ihr Name?“
„Grant“, sagte Carter. „Carter Grant!“
„Na gut! Ruhen Sie sich gut aus, Carter, oder darf ich Carry zu Ihnen sagen? Es ist bei uns so üblich, verstehen Sie?“
Carter stimmte zu. „Sagen Sie Carry!“
Er fühlte die zurückkehrende Müdigkeit durch seinen Körper rinnen, und seine Glieder wurden schwer wie Blei. Trotzdem hielt er die Augen offen und studierte jeden einzelnen Zug dieses verbrauchten Gesichts. Eine innere Stimme sagte ihm, dass er Zutrauen zu diesem Mann fassen konnte.
„Sie sind wirklich ein Mensch?“, fragte er nach einer Weile.
„Genau wie Sie“, fügte der Alte hinzu.
„Woher wissen Sie das so genau?“
Der weißhaarige Mann zuckte mit den Schultern, und das Lächeln, das auf seinen Zügen erschien, war bitter. „Ich weiß es nicht“, sagte er. „Ich nehme es aber an!“
„Gut, ich bin ein Mensch“, bestätigte Carter.
„Es wird sich herausstellen“, meinte der Alte. „Übrigens will Sie jemand sprechen, und dazu werde ich Ihnen leider eine Spritze geben müssen, denn Sie sind noch sehr schwach.“
Ohne Carters Einverständnis abzuwarten, begann er, dessen linke Armbeuge mit einem Wattebausch abzureiben. Carter war viel zu erschöpft, als dass er etwas hätte sagen können. Er lag und blickte starr zur Decke hoch. Dann fühlte er den Einstich in der Vene und zuckte ein wenig.
„Schon vorbei“, sagte der Weißhaarige. Er zog die Nadel heraus und legte sie weg. „Jemand wird jetzt zu Ihnen kommen und sich mit Ihnen unterhalten. Ich werde den Raum so lange verlassen, Carry!“
„Wer wird kommen?“, fragte Carter müde.
„Das wird er Ihnen selbst sagen!“
„Gut, schicken Sie ihn. Wie lange hält die Spritze vor?“
„Eine Stunde!“
Der alte Mann ging aus Carters Gesichtsfeld heraus und verschwand. Carter hörte eine Tür gehen, sie quietschte ein bisschen, dann hörte er nichts mehr und achtete nur noch auf das leise Schaukeln seines Lagers. Merkwürdig, dachte er. Als wenn man auf einem Schiff wäre. Aber nein, die Menschen hatten keine Schiffe mehr. Überhaupt seltsam, dass es noch Menschen gab außer ihm. Er, der die ganze Welt bereist hatte, um noch lebende Menschen zu treffen, er konnte es nicht begreifen.
Ob sie wohl noch auf Celebes waren? Sicher, wo hätten sie sonst hinkommen sollen? Vielleicht mit einem Floß?
„Ich habe gehört, Sie fühlen sich besser“, unterbrach eine Stimme seine Gedankengänge, und Carter zuckte zusammen, als hätte er erneut einen elektrischen Schock erhalten. Sofort fuhr ein stechender Schmerz durch seine Brust, und er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu stöhnen. Der Mann, der mit ihm gesprochen hatte, schien das zu bemerken.
„Schmerzen?“, fragte er.
„Nein, es geht schon wieder!“
Ein Mann tauchte vor Carter auf. Ein Mann in jüngeren Jahren, mit dunklem Haar und sonnenverbranntem Gesicht, aber mit tiefen Ringen unter den Augen. Er trug nur ein Kaki-Hemd auf dem Oberkörper, und seine breiten Schultern schienen es sprengen zu wollen, wenn er sich bewegte.
„Ich habe gehört, Ihr Name sei Carter Grant!“
„Stimmt“, hauchte Carter.
„Mein Name ist Jim Graves“, sagte der andere. „Wenn Sie Wert auf eine gegenseitige Vorstellung legen. Ich bin Fregattenkapitän und Commander hier an Bord!“
„Commander?“ Erstaunen schwang in Carters Stimme.
„Ja, hat Ihnen Doc Mattison nicht erzählt, wo Sie sich befinden?“
„Kein Wort“, stöhnte Carter.
„Hm“, machte Graves und kratzte sich am Kopf. „Das sieht ihm ähnlich. Sie befinden sich hier an Bord eines Unterseeboots, Grant.“ Er lächelte schwach, als er jetzt in Carters verstörtes Gesicht sah.
„Ein U-Boot?“
„Ja, ein amerikanisches U-Boot vom Flottenstützpunkt Djakarta!“ Graves setzte sich auf einen für Carter unsichtbaren Hocker und neigte sich vor. „Sie haben sehr viel Glück gehabt, Carter, dass wir Sie fanden. Sie sind sich doch im Klaren darüber, was mit Ihnen geschehen wäre, wenn wir nicht zur rechten Zeit erschienen wären?“
Carter nickte schaudernd. „Ich habe nicht erwartet ...“
„Was haben Sie nicht erwartet?“
„Menschen hier zu treffen“, sagte Carter rau.
„Ja, Menschen sind eine Seltenheit geworden“, sagte Graves. „Vor wenigen Monaten gab es noch viele Millionen, und heute nur noch wenige.“ Er schwieg und machte eine bittere Handbewegung. „Wir dachten auch nicht, einem Menschen in dieser gottverlassenen Inselwelt zu begegnen. Es war reiner Zufall, dass wir über Wasser fuhren. Sonst verbergen wir uns nachtsüber meist in einer Bucht.“
Er studierte aufmerksam Carters Gesicht, aber er verriet mit keiner Miene, was er von ihm hielt.
„Ich hielt mich für den letzten Menschen“, sagte Carter offen.
Graves lächelte sparsam. „Das wäre zu viel der Ehre gewesen“, meinte er.
„Leben noch viele Menschen?“
„Soweit wir wissen, niemand außer denen, die sich an Bord der Krakatau befinden!“
„Die Krakatau, so heißt Ihr Boot?“, fragte Carter.
„Ja, Sie befinden sich auf ihr!“
„Haben Sie Frauen an Bord?“
„Ja“, sagte Graves lächelnd. „Wir haben fast nur Familien an Bord.“
„Wie das? Ist so viel Platz vorhanden?“
Graves verlor sein Lächeln. „Es ist genug Platz“, sagte er. „Viele Männer hatten in Djakarta ihre Familien mit sich genommen. Andere nicht. Nun ist es so, dass wir nicht genug Platz hatten ...“ Er unterbrach sich mit einer Handbewegung. „Einige mussten zurückbleiben. Wir haben nie mehr von ihnen gehört. Aber wozu erzähle ich Ihnen das alles. Sprechen wir lieber von Ihnen!“
„Es gibt nicht viel zu erzählen“, sagte Carter. Jetzt begann sich bei ihm der Schlaf immer stärker bemerkbar zu machen. Sein Körper war von der kurzen Unterhaltung wie zermartert. Die Wirkung der Spritze ließ offensichtlich nach.
„Wieso lebe ich überhaupt noch?“, fragte Carter.
„Ultraschall-Herzmassage“, sagte Graves. „Sprechen Sie mit dem Doc darüber. Aber nun, woher kommen Sie?“
„Ich sagte es bereits, aus Celebes!“
„Waren Sie allein?“
„Nein. Sie scheinen mir zu misstrauen, Graves“, murmelte Carter. „Ich weiß zwar nicht, warum, doch Sie werden sicher Ihren Grund dafür haben, nicht wahr?“
„So ist es“, bestätigte Graves ernst.
„Wir waren eine Gruppe von sechs Menschen“, fuhr Carter fort. „Wir hatten einen Wagen und kamen damit aus Westeuropa, immer auf der Suche nach anderen lebenden Menschen. Aber es war aussichtslos. Selbst der Dschungel, durch den wir kamen, war von Menschen entblößt. Wir hielten uns also für die letzten. Sie können sich vorstellen, was das für ein Gefühl war, wenn man denkt, die ganze menschliche Rasse besteht nur noch aus sechs Menschen. Drei Männern und drei Frauen. Sie haben es vielleicht ähnlich erlebt? Nun ja, alles ging so weit gut, bis wir vor zwei Tagen des Nachts versuchten, in eine Stadt einzudringen. Wir brauchten Nahrungsmittel, Trinkwasser und eine Menge anderer Dinge. Natürlich konnten wir nicht ahnen, dass die Stadt von den Fremden besetzt war, und liefen prompt in eine Falle!“
„Welche Stadt war das?“
„Makassar!“
„Ja, das kenne ich auch. Es ist ein Schutthaufen. Aber Sie entkamen?“
„Genau“, sagte Carter müde. „Aber ich war auch der Einzige. Die fünf anderen erwischten sie. Wissen Sie, was sie mit Menschen tun, die lebend in ihre Gewalt geraten?“
Graves nickte. „Weiter“, verlangte er.
„Ja, das Weitere war die Flucht. Sie hetzten mich zwei Tage. Ich habe auch zwei von ihnen umgebracht“, sagte Carter, und seine Augen begannen bei dieser Erinnerung zu glühen. „Ich hatte keine Waffe“, fuhr er fort. „Aber ich stand unter ihnen, als sie versuchten, eine Felswand zu überklettern. Ich versteckte mich zwischen den Felsen, und sie sahen mich nicht, bis ich dicht hinter ihnen war. Da erst drehte sich der eine um, und ich sah ihm für Sekunden in die Augen. Sie haben geschlitzte Pupillen, wie eine Katze. Dann stieß ich beide über die Felswand hinunter. Es waren mehr als dreißig Meter. Sie fielen zwischen große Felsblöcke!“
„Und dann wusste man, wo Sie waren?“, fragte Graves.
„Ja, dann wussten sie es!“
„Das war unvorsichtig!“
„Hätten Sie eine solche Gelegenheit außer Acht gelassen, Graves?“
„Ja“, sagte Graves und stieß zischend die Luft aus. „Ja, denn als Mensch muss man in dieser Zeit eines lernen. Wir, die wir die Letzten sind, müssen mehr auf unser Leben achten als auf unsere Rache. Wir können ihnen nur damit Schaden zufügen, dass wir weiterexistieren und uns vermehren, verstehen Sie, Carter? Das ist unsere einzige Möglichkeit zur Rache!“
Während Graves diese Worte rau und hastig hervorstieß, stieg das Blut mit mächtigem Schwall in seine Wangen, und seine Augen begannen schmal zu werden.
Carter nickte betroffen. „Ich verstehe“, sagte er leise.
„Das ist gut. Das werden Sie nämlich befolgen müssen, solange Sie an Bord der Krakatau sind!“
„Ich kann also bleiben?“
Eine wilde Hoffnung flammte in Carter auf.
„Ja, selbstverständlich!“, antwortete Graves. „Sie bleiben. Heute ist einer von uns auf den anderen angewiesen, und wir können nur noch existieren, wenn wir zusammenhalten. Wenn Sie wieder stehen und gehen können, wird man Ihnen Ihre Koje anweisen!“
Damit erhob sich Graves und ging auf die Tür zu, doch ein Ruf Carters ließ ihn noch einmal innehalten.
„Was gibt es noch?“, fragte er.
„Ich möchte eines wissen. Dieser Arzt hat mir vorhin eine Andeutung gemacht, dass es sich herausstellen würde, ob ich ein Mensch sei oder nicht!“
„Ach ja“, meinte Graves. „Ich habe inzwischen gesehen, dass Sie ein Mensch sind!“
„Woran?“, wollte Carter wissen.
„Wissen Sie, die Spritze, die Sie vorher bekamen, das war eine Wahrheitsdroge!“
„Oh“, sagte Carter, dann schwieg er.
„Und was das mit Mattisons Andeutung auf sich hat, lassen Sie sich am besten von ihm selbst erklären. Er kann das besser als ich. Er ist Mediziner. Also dann!“
Er nickte Carter zu und verschwand durch die Tür nach draußen. Hart fiel sie hinter ihm ins Schloss, und Carter fuhr sich mit zitternden Händen über die Stirn. Das war es also, was ihn so ermüdete. Die Wahrheitsdroge. Was hatte es wirklich mit all dem auf sich?
Die Menschen der Krakatau