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'Wenn du verstehst, dass du dir all` deine Lebensumstände selbst erschaffen hast, um bestimmte Erfahrungen machen zu können, dann beschreitest du den ersten Schritt zur Versöhnung mit deinem inneren Kind', musterte Alber Jarno mit gefurchter Stirn. 'Nein, das glaube ich nicht!', schaute der Junge die Elfe mit gerümpfter Nase an. Und so nehmen die Lichtwesen Jarno mit in eine sagenumwobene Welt, in der sie auf ihrer fieberhaften Suche nach dem ›Buch des Glaubens‹ höchst eigenartigen Fabelwesen begegnen. Doch warum sollte gerade Tetrizia, die Herrin der Finsternis, dieses Abenteuer verhindern wollen?
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Seitenzahl: 267
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Die emporsteigende, gleißende Frühlingssonne, die ihre ersten wärmenden Strahlen über die Baumkronen des Mischwaldes schickte, warf auf den Waldesrand einen goldgelben Schimmer. Am Stadtrand des alten Bergdorfs Vilhelmsund, wo die Ebene steil abfiel und das Licht der Landschaft mit dem satten Grün der Bäume verschmolz, erhob sich ein kleines, aus massiven Holzstämmen gezimmertes Haus. Tannen und Kiefern sowie Eichen, Buchen und Birken krochen mühelos die ansteigenden Hügel empor und ummantelten diesen Ort malerisch wie einen Gürtel. Der Wegesrand des Waldes, der direkt an dem Gartentor der Familie Lund entlangführte, säumte überwiegend vereinzelte, uralte Kastanienbäume sowie dicht belaubte Hagebuttensträucher, die hier und da von stacheligem Himbeergestrüpp überrankt waren.
Die aus dem Winterschlaf erwachte, aufkeimende Pflanzenwelt entlang des Waldweges bekundete kraftvoll den Frühlingsanfang. Die ersten Krokusse, die es aus den Gärten der Menschen hierher in das Randgebiet des Waldes geschafft hatten, sprossen kräftig aus dem lehmigen Boden und streckten ihre lilafarbenen Knospen schwungvoll in Richtung der einfallenden, schimmernden Strahlen. Die noch tief stehende Sonne des Morgens, welche die frostige Kälte der Nacht immer mehr verscheuchte, lockte Menschen wie Tiere in Scharen in ihre Gärten: Auch Gerret Lund eröffnete heute die Gartensaison. Er hatte sich während der Osterferien Urlaub genommen. Strebsam und emsig begann er mit den ersten Aufräumarbeiten und widmete sich zuerst dem während des letzten Jahres frisch ausgehobenen Gartenteichs, um ihn vom bunten Laub des Herbstes zu befreien, das wie ein Flickenteppich weitläufig verstreut war. Der harte Winter hatte doch sichtlich seine Spuren in der Natur hinterlassen! Die ewig lange Frostperiode des Januars hatte kräftig am satten Grün gezehrt, welches im Laufe des alljährlichen Frühlingserwachens so beherzt an das pralle Leben erinnerte. Die von Gerret so sorgsam gepflegte Rasenfläche war während der andauernden letzten Sommerzeit sein ganzer Stolz gewesen. So manch ein Golfspieler hätte diesen natürlichen Belag mit Kusshand bespielt. Heute konnten die verblasst wirkenden Farben von jedem entlang spazierenden Wanderer nur noch erahnt werden. Zu erschöpft geisterten die verdörrten Grashalme auf der Wiese wie abgestorbene Fasern umher.
Herr Lunds dreizehnjähriger Sohn Jarno saß mit vor Freude glühenden Augen auf der Schaukel und beobachtete seine zwei Meerschweinchen, die zum ersten Mal in diesem Jahr ihren Käfig, welcher während der kalten Jahreszeit zum Schutz der Tiere ins Haus geholt worden war, genussvoll quiekend verlassen durften. Sie knabberten gierig an den jungen Trieben, die bereits vereinzelt zwischen den noch kraftlosen, matt flimmernden Halmen hervorspitzten. Gerret hatte seinem Sohn zähneknirschend und auf das unnachgiebige Drängen seiner Frau Mayra ein streng begrenztes Territorium in seinem Garten überlassen. Er achtete peinlich genau auf die Einhaltung dieser abgetretenen Fläche. Der Garten war des Vaters Heiligtum. Er war sein auserkorener Rückzugsort, an dem dieser wieder Kraft auftankte und sich der Sorgen des Alltags entledigte.
Die Meerschweinchen schienen sich an der Umzäunung nicht weiter zu stören, denn sie tobten vergnügt und ausgelassen miteinander. Sie hielten nur kurz inne, um ihre nimmersatten Mäuler zu stopfen. Sie taten es den Menschen gleich, die nach dem strengen Winter förmlich nach der wärmeren Jahreszeit lechzten. So labten auch sie sich an den ersten, vorsommerlich warmen Temperaturen.
Jarno, der seine beiden tierischen Freunde Browny und Rapunzel in ihrem selbst zusammengeschusterten Gehege sicher wähnte, welches er sorgsam auf seinem Teil der Gartenanlage aufgestellt hatte, wurde immer mutiger. Kraftvoll lehnte er sich während des Zurückschwingens auf seiner Schaukel sitzend nach hinten, um dann mit seinem nach vorne verlagerten Körpergewicht seinem Auftrieb noch mehr Elan zu verleihen. Ausgelassen lachend schleuderte er immer höher, bis er plötzlich erschrocken innehielt. Ihm grub sich vor Verwunderung eine tiefe Furche bis zur Nasenwurzel in die Stirn, als er unversehens ein gleißendes Leuchten über der Grasnarbe neben dem hölzernen, braun gestrichenen Gartenzaun aufblitzen sah. Entgeistert rieb er sich seine blauen Augen. Jarno drosselte seinen Schwung zunehmend, indem er seine Schuhsohlen über den abgewetzten Boden fahren ließ, den er durch seine unzähligen Bremsaktionen mit der Zeit durch das Schlurfen seiner Füße unter ihm verursacht hatte.
Seiner Mutter, die sich stets um das Wohl der Schuhe sorgte, wäre diese Aktion ihres Sohnes sicherlich ein Dorn im Auge gewesen. Jarno hätte sich eine üble Schelte abgeholt, wenn ihr dieses scharrende Geräusch durch das geöffnete Küchenfenster zu Ohren gekommen wäre. Doch der summende Lärm der Abzugshaube vereitelte diese Möglichkeit, sodass er nochmals mit einem blauen Auge davonkam.
Das blendende Licht schien nur einen Wimpernschlag später wie vom Erdboden verschluckt, sodass er nun in dieser Höhe leicht pendelnd nichts Auffälliges mehr beobachten konnte.
›Vielleicht muss ich über den Zaun hinweg schauen können?‹, schlussfolgerte er klug.
So startete er einen erneuten Versuch, rasch so hoch wie nur irgend möglich zu schaukeln. Als er fast die Höhe der Querstange seiner Schaukel erreicht hatte und sich bald zu überschlagen drohte, machte er das gleißende Leuchten als einen grellen, hellgelben Farbtupfer aus, der deutlich die Grashalme um ihn herum erzittern ließ. Und da, argwöhnisch erblickte er auch ein rotes Aufglitzern, das sich nun ebenfalls dem bunten Treiben hinzugesellt hatte. Nur, dieses Mal befanden sich die Köpfe der immer wieder über die Grasnarbe hervorschnellenden, unheimlichen Lichtgestalten bereits gefährlich nah an dem Gehege seiner Meerschweinchen. Es schien fast so, als würden zwei kleine Wichte ausgelassen tänzelnd umherhüpfen.
»Aber das kann doch überhaupt nicht möglich sein!«, dachte er laut vor sich hin.
Er bemühte sich, seine Höhe während des Schaukelns beizubehalten. Immer wieder erspähte er an einer anderen Stelle einen gelb schimmernden Funken aufleuchten, welcher an einem grau getupften Pilzhut eines Hallimaschs erinnerte.
›Das dicht dahinter folgende rote Aufblitzen könnte vielleicht sogar ein stark zerzaustes Haarknäuel sein‹, hing Jarno mit vor Aufregung roten Wangen seinen Gedanken nach. ›Und diese ›Dinge‹ nähern sich mir mit einer raschen, beängstigenden Geschwindigkeit. Als was werden sie sich wohl entpuppen?‹
Jarno fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, obwohl ihn die Neugierde trieb, seine Beobachtungen näher zu erforschen. Und dennoch fürchtete er sich sehr vor dem Unbekannten, vor allem jedoch sorgte er sich um seine über alles geliebten Meerschweinchen. Seine Gesichtszüge wirkten nun äußerst angespannt. Da er seine Aufmerksamkeit einzig auf dieses Ereignis richtete, verlor er seinen Vater, der nur wenige Meter von ihm inmitten des Teichs stand, völlig aus den Augen.
»Bombo, nun komm schon! Bald haben wir unser Ziel erreicht!«, vernahm Jarno ein leises, schrilles Wispern, welches der Wind auf zarten Flügeln zu dem Kind trug.
»Und was, wenn der Junge uns gar nicht sehen kann? Was, wenn er uns nicht helfen mag?«
»Ich bin überzeugt, dass er uns wahrnehmen wird!«
Obwohl Jarnos Angst seinen Tatendrang zu lähmen schien, überwand er sich dennoch mutig und drückte seine beiden Füße kräftig auf den Boden, um die Schaukel abrupt zu stoppen. Er hielt kurz inne, atmete einmal hörbar tief durch und hüpfte schwungvoll von dem hölzernen Sitz. Langsam, leicht erblasst, bewegte er sich in die Richtung, aus der er zuletzt diese sich bewegenden Lichter beobachtet hatte.
›Was wird es sein? Was könnte es wohl sein? Wer hat da eben geflüstert?‹, zeigte er ein mehr als ratloses Gesicht.