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Manchmal fügen dir gerade die, die du am meisten liebst, den tiefsten Schmerz zu. Jakobs Träume zerplatzen, als es bei einer Bergtour mit Freunden zu einem tragischen Vorfall kommt. Von der Polizei verdächtigt, darf er das Land nicht verlassen. Zugleich ist er gezwungen, das Alpenchalet seiner Mutter vor dem Ruin zu bewahren. Besessen widmet er sich dieser Aufgabe, bis Aurora mit ihrem Van auftaucht und Nachforschungen zum Tod ihrer Schwester anstellt. Ohne zu ahnen, welches erschütternde Geheimnis zwischen ihnen steht, fühlen sie sich magnetisch voneinander angezogen. Doch Jakob kämpft verbissen gegen die Gefühle an, denn er glaubt, ihre Liebe nicht zu verdienen. Nicht nach dem, was er getan hat … Der Auftakt der berührenden New-Adult-Suspense-Serie von #1-SPIEGEL-Bestsellerautorin Kristina Moninger »Fesselnd, authentisch, romantisch. Kristina Moninger schreibt wahrhaftig meisterhaft.« SPIEGEL-Bestsellerautorin Kathinka Engel
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Seitenzahl: 542
Veröffentlichungsjahr: 2025
The First to Fall
KRISTINA MONINGER wurde 1985 in Würzburg geboren und hat ihre Kindheit in einem kleinen Dorf auf dem Land verbracht, in dem sie auch heute noch mit ihrem Mann und ihren Zwillingen lebt. Sie hat bereits mehrere gefühlvolle Romane veröffentlicht und ist #1-Spiegel-Bestsellerautorin. Findet man sie nicht am Schreibtisch, dann sehr wahrscheinlich mit der Nase in einem Buch oder mit Familie und Hund in der Natur.
MANCHMAL FÜGEN DIR GERADE DIEJENIGEN, DIE DU AM MEISTEN LIEBST, DEN TIEFSTEN SCHMERZ ZU.
Jakobs Träume zerplatzen, als es bei einer Bergtour mit Freunden zu einem tragischen Vorfall kommt. Von der Polizei verdächtigt, darf er das Land nicht verlassen. Zugleich ist er gezwungen, das Alpenchalet seiner Mutter vor dem Ruin zu bewahren. Besessen widmet er sich dieser Aufgabe, bis Aurora mit ihrem Van auftaucht und Nachforschungen zum Tod ihrer Schwester anstellt. Ohne zu ahnen, welches erschütternde Geheimnis zwischen ihnen steht, fühlen sie sich magnetisch voneinander angezogen. Doch Jakob kämpft verbissen gegen die Gefühle an, denn er glaubt, ihre Liebe nicht zu verdienen. Nicht nach dem, was er getan hat …
Die neue New-Adult-Suspense-Serie von #1-Spiegel-Bestsellerautorin Kristina Moninger
Kristina Moninger
Red Summer
Forever by Ullsteinforever.ullstein.de
Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH Berlin1. Auflage März 2025© 2025 Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 BerlinWir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an [email protected]: Favoritbuero GbR - Bettina ArltTitelabbildung: © shutterstock/ Paulo Henrique Pigozzi; © shutterstock/ KsjuKnAbbildungen im Innenteil: © flaticon.comAutorinnenfoto: © Stephanie EisenhuthE-Book powered by pepyrus
ISBN 978-3-98978-033-0
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Quellen zu Auszügen aus Songtexten:
Danksagung
Leseprobe: One Second to Love
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
1
Für Christiane
… I love you, it’s ruining my life …
Aus »Fortnight« von Taylor Swift
Drei Monate vor dem Fall
48 218 7 625 651 324, 16 411 233 541 238 712
Mit der alten Kiste bleibst du stehen, ehe du Kärnten verlassen hast, haben sie gesagt. Bis Wien hat es schon mal gereicht. Jetzt fehlt mir nur noch ein Parkplatz, was sich als schwieriger herausstellt, als ich gedacht hätte. Dreimal habe ich den Block, in dem meine Schwester wohnt, jetzt schon umrundet. Nichts, keine einzige kleine Lücke weit und breit.
Du solltest dir einen Zettel in die Windschutzscheibe kleben, auf der die Höhe des Vans steht, hat mein Kumpel Chris gesagt.
Und ich hätte darauf hören sollen, dann wüsste ich, ob mein Weltreisemobil unter der Tiefgaragenbarke mit der Aufschrift 2,20 m durchpasst oder eben nicht. So scheidet alles, was meinen Camper unter die Erde führt, aus. Verdammt. Also dann doch noch eine Runde um den Block … oder … nein, da, hinter einem schwarzen Kastenwagen mit italienischem Kennzeichen, ist doch noch was frei. Ich versuche, mich an die Rückwärts-seitwärts-Einpark-Anweisungen meines Fahrlehrers zu erinnern, schlage ein, kurble, checke die Spiegel, korrigiere, und dann stehe ich. Krumm, aber ich stehe.
Ein klein wenig stolz auf mein Werk, schlüpfe ich in meine leichte Daunenjacke, steige aus und renne direkt einem Typen in die Arme. Oder besser gesagt, seinem Umzugskarton. »Ups, sorry.«
»Pass doch auf«, kommt es brummig zurück.
Ich sehe nur nackte Arme und dann die kleine Kiste, die oben auf dem Karton gefährlich wackelt. Ehe ich meine Finger um die Kiste schließen kann, ist sie schon auf die Straße gekippt, und das unschöne Geräusch lässt keine positive Interpretation zu.
Ich bücke mich gleichzeitig mit dem Typen, der seinen Karton abstellt und einen leisen Fluch von sich gibt. Aber ich bin schneller als er, begutachte die Kiste und fische eine weiße Tasse heraus, die einen mehr als merkwürdigen Henkel hat. Er erinnert mich an die bunten Griffe in der Boulderhalle, in die ich Em manchmal begleitet habe. Ein feiner, aber deutlicher Riss zieht sich vom Rand der Tasse über den Schriftzug 6b hinunter bis zum Boden.
»Sorry«, nuschle ich zum zweiten Mal. »Das tut mir echt leid.«
Er sagt nichts, sondern greift in die Kiste, und ich packe alarmiert mit der freien Hand die seine.
Er zuckt zurück, ich zucke zurück.
»Pass auf, sonst schneidest du dich!«, warne ich ihn und schiebe schnell noch ein drittes »Sorry« hinterher. Für die zerbrochene Tasse und die übergriffige Berührung.
Er hebt den Kopf ein wenig, und das erste Mal sehen wir uns direkt an. Blaue Augen hat er, wie ein Gletscher. Sie sind genauso eisig wie der Zug um seinen Mund. Unfreundliche Menschen verursachen bei mir eine Gänsehaut. Es ist ein natürlicher Abwehrmechanismus. Früher dachte ich, das ginge allen anderen auch so. Bis Em mich ausgelacht und mir erklärt hat, dass Gänsehaut absolut nichts mit Abneigung gegen Unfreundlichkeit zu tun hat. Höchstens mit Ekel. Aber Ekel ist es nicht. Wirklich nicht, dazu muss man ihn sich nur anschauen. Er sieht gut aus. Wenn man auf durch und durch athletische Typen steht, die so tun, als wäre ihnen ihr Aussehen egal, aber ihre Muskeln vermutlich jeden Abend vor dem Spiegel zucken lassen. Typen, die bei zehn Grad Außentemperatur Muskelshirts aus schweißabweisendem Trikotstoff tragen, auf dem auch noch fett die Namen irgendwelcher Sponsoren prangen. Und … ich fasse es nicht, die olympischen Ringe. Klar, warum nicht gleich die Weltherrschaft.
Er sagt noch immer nichts. Stattdessen macht er eine alberne Bewegung, als müsste er mich um Erlaubnis fragen, erneut in die Kiste greifen zu dürfen. Ich presse die Lippen aufeinander und weiche ein klein wenig zurück, das Opfer unseres Zusammenstoßes noch immer in der Hand. Er zieht eine Tasse nach der anderen heraus – ziemlich gewöhnliche Ikea-Modelle, die den Sturz überlebt haben – und legt sie nach der Inspektion wieder zurück. Nur die mit dem seltsamen Griff ist kaputt. Er nimmt, nein, er reißt sie mir ruckartig aus der Hand. Und in dem Moment geht sie endgültig zu Bruch. Wie eine Felsspalte klaffen die beiden Hälften auseinander, die er mit gerunzelter Stirn mustert.
»Vielleicht solltest du dir Blechtassen kaufen?«, schlage ich vor und schiebe ein Lachen hinterher, das viel zu hoch gerät. Fehlt nur noch der Schluckauf.
»So weit kommt es noch«, sagt er. Als wären bruchsichere Tassen in der Küche ein Indikator dafür, die Kontrolle über sein Leben verloren zu haben.
»Ich ersetze dir die natürlich«, biete ich an.
»Nicht nötig«, brummt er. »Die ist von meiner Ex-Freundin.« Er hat eine sehr tiefe, aber melodiöse Stimme, so Marke Dokumentarfilmkommentator. Nur eben in unfreundlich. Lieblos stopft er die Tassenhälften zurück in die kleine Holzkiste, richtet sich auf und fährt sich durch die dunklen Haare. Der Wirbel an seiner Stirn bleibt davon genauso unbeeindruckt wie ich.
»Kann ich dich dann auf einen Kaffee einladen, als Entschädigung?«
Ich bin nicht so wirklich gut im Flirten. Zu wenig subtil, viel zu direkt. Jetzt aber würde ich gern flirten können. Er mustert mich kurz, und seine Miene wird ein, vielleicht sogar zwei Grad wärmer.
»Danke, aber ich trinke keinen Kaffee aus Blechtassen.«
Okay, der war nicht schlecht.
»Ganz schön zerbrechliche Laune, was?«, scherze ich, aber da hat er sich längst gebückt, die Kiste wieder auf dem Karton platziert und mir den Rücken zugedreht.
Em kann mir erzählen, was sie will. Unfreundliche Menschen sind Gänsehautgaranten. Ganz gleich, wie sie aussehen. Ich zwinge mich, ihm nicht nachzuschauen, und ein viertes »Sorry« schlucke ich runter. Stattdessen sehe ich mich kurz auf der Straße um, versuche, mich zu orientieren. Dann ziehe ich das Handy aus der Tasche und tippe meiner älteren Schwester eine Nachricht.
Bin jetzt da, zeigst du mir den Wandschrank?
Em wohnt, seit sie vor ein paar Wochen nach Wien gezogen ist, in einem winzigen WG-Zimmer, das ihren Aussagen und den Fotos nach halb so groß ist wie Harry Potters Domizil unter der Treppe. Laut Mietvertrag sind es großzügige 8,98 Quadratmeter, die Schräge mit eingerechnet.
Schau mal hoch, vierter Stock, das gelbe Haus.
Ich folge ihrer Anweisung und entdecke sie wild winkend auf einem Miniaturbalkon.
»Em«, brülle ich und hüpfe wie ein kleiner Flummi auf und ab.
Wir sitzen in einem Wiener Café mit dunklen Möbeln und riesigen Spiegeln an den Wänden. Es ist herrlich und gleichzeitig irgendwie beängstigend.
Em lacht. »Sachertorte und ein Verlängerter, Aurora. Das ist also deine Henkersmahlzeit, bevor es losgeht.«
»Fühlt sich alles ein bisschen so an, als würden wir Erwachsensein spielen«, sage ich. »Also du bist erwachsen, ich spiele«, korrigiere ich schnell.
Em trägt eine Cat-Eye-Brille mit pastellfarbigem Rahmen, obwohl sie im Gegensatz zu mir gute Augen hat. Ich kneife lieber die Augen zusammen oder blinzle, als mich um Kontaktlinsen oder eine Brille zu kümmern. Ihr Pony sitzt ordentlich und glätteisenglatt auf ihrer Stirn, und kein einziges Haar ihres dunkelbraunen Longbobs steht ab. Ich zupfe an dem Crunchy an meinem Hinterkopf herum, mal wieder Opfer des Em-Effekts.
»Das täuscht«, sagt sie. »Oder glaubst du, ich hätte wirklich eine Ahnung vom Leben? Ich bin nur nicht so mutig wie du.«
»Vielleicht bist du auch einfach schlauer.«
»Hast du Angst, weil es jetzt losgeht?«
»Ein bisschen«, gebe ich zu. »Und du wirst mir fehlen.«
Ich strecke die Füße unter dem Tisch, bis sie Ems berühren, wie früher, als wir Kinder waren.
Em hasst das, aber jetzt lacht sie. »Ich könnte dir einen Platz unter meinem Bett anbieten, Untermieterin in Harry Potters Wandschrank. Du könntest irgendwas … studieren.«
»Safe, könnte ich«, erwidere ich grinsend, stütze die Ellbogen auf den Tisch und bette das Kinn auf meine gefalteten Hände. »Aber ich will nicht. Du kannst deinen Anteil von Omas Erbe gern in einen Bausparvertrag investieren, ich investiere in Zeit. Das ist die Währung der Zukunft.«
Em zieht die Augenbraue übertrieben Richtung Stirn und spitzt die Lippen wie unsere Mutter. »Die ADAC-Mitgliedschaft hast du aber abgeschlossen, oder?«, fragt sie und imitiert dabei auch Mamas Stimme.
»Klar«, behaupte ich, kann aber nicht beschwören, wirklich daran gedacht zu haben. »Weißt du, was Mama zum Abschied gesagt hat?«
Em zuckt mit den Achseln, hebt ihre Kaffeetasse mit dem sehr gewöhnlichen Henkel an und führt sie zum Mund.
»Pass bloß auf an der Côte d’Azur, die Franzosen klauen dir das Auto unterm Hintern weg.«
»Und was hast du geantwortet?«, will Em wissen. Die Tasse schwebt vor ihrem Mund, und der Anblick des Porzellans lenkt mich für einen Moment ab.
»Wusstest du, dass es Tassen gibt, deren Henkel Bouldergriffen ähneln?«
Em zieht eine Grimasse.
»Egal«, sage ich schnell und lehne mich dann ein wenig nach vorn über den Tisch. »Ich hab zu Mama gesagt, dass ich gehört habe, dass die Franzosen sehr attraktive Hintern haben sollen.«
»Aurora …«, prustet sie und hält sich die Hand vor den Mund. Zwischen ihren Fingern quillt ein Schwall Kaffee hervor.
Wir glucksen gemeinsam, und weil Ems Glucksen schon immer mein allerliebster Laut auf der Welt war, lache ich laut. So laut, dass die Leute am Nebentisch zu glotzen anfangen, ich das Lachen schlucke und Lachschluckauf bekomme.
»Vielleicht begegnet mir in Frankreich ja die große Liebe oder in Spanien, spätestens in Portugal.«
»Glaubst du denn dran?«, will sie wissen, während sie sich die Finger an einer Serviette abtrocknet. »An die große Liebe?«
»Klar, du nicht?«
Em streckt ihre Hand über den Tisch und legt sie auf meine. Ich kann sehen, wie sich ihr Kehlkopf bewegt. »Wenn ich an unsere Eltern denke, bin ich mir da nicht sicher«, sagt sie leise und löst ihre Finger von meinen. »Wie war es mit ihm …?«
Em schafft es noch immer nicht, Papa zu sagen oder unser Vater. Seit er uns verlassen hat, ist er für sie nur noch er. Ich kann nicht lange böse sein, nicht einmal, wenn das gesünder wäre, weil es Menschen gibt, die einem nicht guttun. Em dagegen ist so ziemlich der nachtragendste Mensch, den ich kenne. Aber auch mir rutscht das Grinsen halb aus dem Gesicht. Ich denke an die Lücke zwischen den Körpern meiner Eltern, als wir uns im Hof verabschiedet haben. Eine Lücke, die selbst zu Coronazeiten ein übertrieben großer Sicherheitsabstand gewesen wäre. Eine Lücke, in die Em gepasst hätte und die ohne sie so gewirkt hat, als hätte ich sie verursacht.
»Komisch«, antworte ich. »Es war komisch.«
»Hast du noch mal mit Mama gesprochen …?«
Ich schüttle den Kopf.
»Und … er?«
»Wollte mir Geld zustecken, Notgroschen. Das Kuvert war so dick, das hätte wahrscheinlich für Notfälle aller Art bis 2035 gereicht.«
»Hätte?«, hakt Em nach.
»Ich hab’s natürlich nicht angenommen!«
»Warum nicht?« Sie starrt mich an.
»Aus Prinzip!«
Em wird sofort laut. »Aus welchem Scheißprinzip nimmst du sein Geld nicht an? Das ist das Mindeste, was dieser Voll…«
Irgendetwas in meinem Gesicht bringt sie zum Schweigen. Aber ich sehe, wie sich die Wut in ihren Augen staut. Im Jähzorn ist sie unserem Vater nicht unähnlich. Schnell stopfe ich mir ein sehr großes Stück Sachertorte in den Mund, damit ich das nicht laut ausspreche.
Ich spüle die Torte mit Kaffee runter und versuche zu lächeln. »Lass uns über was anderes reden, bitte.«
»Gut«, presst meine Schwester zwischen dünnen Lippen hervor.
»Wie gefällt es dir in Wien? Hast du schon neue Freunde gefunden? Vermisst du Max? Wie sind die Profs? Kannst du schon Wienerisch?« Wie immer, wenn mir etwas unangenehm ist, neige ich dazu, zu viel zu sprechen.
Em weiß das. »Weißt du was, warum kommst du nicht einfach heute Abend mit!«
»Wohin?«
»In irgendeinen angesagten Club, hab den Namen vergessen.«
»Mit wem?«
»Mit Freunden von Hannah.« Und weil sie meinen verständnislosen Blick auffängt, fügt sie hinzu: »Na Hannah, die ich in der Bibo bei dieser Übernachtungsparty kennengelernt hab. Du weißt schon, die auch Jura studiert. Ich kenne ihre Leute noch nicht besonders gut. Aber sie sind nett. Sie feiern den Abschied eines Kommilitonen, der sein Studium geschmissen hat, und haben mich eingeladen.«
Ich verziehe das Gesicht. »Ich hasse Clubs.«
»Ich weiß, aber du könntest meinetwegen mitkommen.«
Die Vorstellung, noch einen Abend mit Em zu verbringen, ist verlockend, aber dann denke ich an meine Etappenziele, an den Campingplatz, den ich vorgebucht habe, und daran, wie sehr ich mich nach dem Meer sehne.
»Weißt du, was Oma an ihrem Sterbebett zu mir gesagt hat?«
Em schüttelt leicht den Kopf.
»Ich hätte viel mehr Tage meines Lebens einfach am Meer sitzen und auf die Wellen starren sollen. Deswegen sorge ich jetzt dafür, dass dieser Satz nicht zu meinen letzten gehören wird. Ich kann nicht mehr warten, ich möchte so schnell es geht ans Meer.«
Em zuckt resigniert die Achseln. »Frei nach Hemingway: Das Meer ist der letzte freie Ort der Welt.« Sie zieht kurz die Nase kraus. »Schade, aber ist okay. Es ist einer von diesen teureren Clubs, mit Gästeliste. Wäre wahrscheinlich eh schwierig geworden.«
Em klingt nicht gerade überzeugend, aber ich bin ihr trotzdem dankbar dafür, dass sie mir diesen Ausweg bietet.
Meine große Schwester greift noch einmal nach meiner Hand. »Mach keinen Unsinn, okay. Und wenn du einen schlimmen Adrenalinschub bekommst, dann ruf mich an, ja? Pass auf dich auf, Kleine!«
»Mach ich!«
Em brauche ich das nicht zu sagen. Em kann verdammt gut auf sich aufpassen.
Als wir uns zum Abschied vor meinem Van umarmen, fühlt es sich an, als müsste sie sich an mir festhalten. Oder ich mich an ihr? Da bin ich mir nicht sicher. Meine Arme um Ems schlanke Hüfte geschlungen, presse ich mich an meine Schwester und empfinde eine seltsame Leere bei dem Gedanken, das erste Mal ohne sie zu verreisen. Ich will Fahrtwind und Freiheit. Aber am liebsten mit Em. Ich will panierte Sandfüße und Dosenthunfisch mit Rotwein aus dem Tetrapak. Aber all das macht mir ein wenig Angst ohne Em. Nicht, weil ich glaube, nicht allein zurechtzukommen. Sondern weil ich weiß, wie ich sein kann, wenn sie mich nicht bremst. Ich lege alles in diese Abschiedsumarmung. Die langen Nachmittage, in denen wir als Kinder Legohäuser gebaut haben und es darin immer ein Zimmer für Em und mich gemeinsam gegeben hat. Die Nächte, die wir auf Festivals durchgetanzt haben, und unseren ersten gemeinsamen Urlaub in Paris, in dem ich meine Jungfräulichkeit an einen gewissen Bastién verloren habe und Em dachte, an einer Lebensmittelvergiftung zu sterben. Ich lege all die Umarmungen hinein, die wir als kleine Mädchen geteilt haben und die dann später seltener wurden. All die Nächte, in denen wir aneinandergeklammert eingeschlafen sind und Em ihre Hand über meine Ohren gelegt hat, damit ich unsere Eltern nicht streiten höre. Sie gerät sehr lang, diese letzte Umarmung, und Em ist diejenige, die sie löst.
»Alle guten Dinge beginnen damit, etwas anderes zu beenden«, sagt sie liebevoll und drückt mir einen Kuss auf die Stirn.
»Versprich mir, dass wir uns bald wiedersehen«, schniefe ich.
»Ich verspreche es.«
Drei Monate vor dem Fall
Schwarze Absperrbänder werden aus- und wieder eingehakt, Türen geöffnet, eine Frau in einem Minikleid befestigt VIP-Bändchen an unseren Armen. Ich strecke ihr das linke Handgelenk hin, obwohl sie rechts von mir steht. Warum, weiß ich selbst nicht. Wir passieren die Türsteher, die ihre dicken Bizepse unter weißen Hemden verstecken.
Magnus klopft mir auf die Schulter. »Hofer, ich hoffe, die Kreditkarte sitzt locker heute.«
»Du lässt keine Gelegenheit aus, mir klarzumachen, wie wenig ich dich vermissen werde«, kontere ich und lache.
Das stimmt natürlich nicht ganz. Magnus ist einer meiner ältesten Kumpels. Wir sind wie Brüder aufgewachsen. Wie charakterlich sehr unterschiedliche Brüder. Und manchmal bin ich mir nicht sicher, ob Magnus und ich auch Freunde geblieben wären, wenn die Vergangenheit nicht ein Band zwischen uns geknüpft hätte, das man nicht so einfach durchschneiden kann wie das bunte Plastikteil an meinem Arm.
»Die gehört zu uns«, ruft Magnus dem Türsteher zu, der die zierliche Blonde namens Hannah, die seit ein paar Wochen wie ein angelutschtes Eisbonbon an Magnus klebt, zurückhalten will.
Ich scanne die Menge im Eingangsbereich des Clubs. Stroboskopische Lichteffekte in Neonfarben zucken über die Köpfe der Besucher und verwandeln auch das erdbeerblonde Haar meiner Zwillingsschwester vor mir in ein tanzendes Farbenmeer. Nena muss nicht auf einer Gästeliste stehen, um eingelassen zu werden. Anders der Vollidiot an ihrer Seite. Leo, der seinen und Verenas Beziehungsstatus als Situationship definiert und damit lediglich seine Fremdgeherei legitimiert, schiebt meine Schwester mit der Hand am Hintern in Richtung Bar.
»Relax«, sagt Magnus in mein Ohr. »Das ist dein Abend, Alter. Lass dich nicht ärgern. Hab ein bisschen Spaß! Was macht die Gletscherfrau?«
»Schmelzen und schmollen. Annamaria und ich haben uns getrennt, Mann.«
Kurz denke ich an den Zusammenstoß mit der Frau mit den wirren Haaren heute Mittag. Denke an die zerbrochene Tasse, die mir Annamaria geschenkt hat. Die Tasse ist mir scheißegal, aber ich krieg einfach das Gefühl nicht aus dem Kopf, dass es ein verdammt schlechtes Omen ist. Gleichzeitig ist es blöd, deswegen schlechte Laune zu haben.
»Umso besser.« Tristan, mit dem ich gemeinsam in Meran Matura gemacht und zum Studieren nach Wien gekommen bin, grinst mich breit an.
»Ich leihe dir Hannah gern aus, wenn du uns mit den Almwiesen entgegenkommst«, ruft Magnus und lacht übertrieben laut. »Nicht dein Typ? Zu klein? Winzige Titten? Zu viel Arsch?«
Ich brauche Magnus nicht zu erklären, dass mein Typ Frau sich nicht an Körbchengrößen oder dem Volumen bestimmter Körperteile festmacht. Wenn ich Magnus damit komme, dass ich auf Frauen stehe, die mich zum Lachen bringen oder mich auf irgendeine Art und Weise herausfordern, dann kann ich mich auf einen Abend voller schlechter Witze auf meine Kosten einstellen. Also halte ich den Mund und wünsche mich jetzt schon weg.
Reiß dich zusammen, das sind deine Freunde, deine Party.
Ich setze ein Lächeln auf und schaue mich um. An der Bar umarmt Hannah überschwänglich eine Brünette in einem gelben Kleid und Cowboystiefeln. Ich hab sie an der Uni ein-, zweimal gesehen, sie scheint eine neue Freundin von Hannah zu sein. Mila oder Emma oder so. Und dann donnern die Beats wieder los. Hier, nur wenige Meter von dem Podest mit dem DJ-Pult entfernt, schlucken sie fast jeden Laut. Ich mag das, auch wenn ich mit Elektro nichts anfangen kann. Es gibt mir Zeit, meine Gedanken zu sortieren. Das hier ist mein Abschiedsabend. Ich will ihn genießen, will mit meinen Leuten feiern, dass ein neuer Abschnitt beginnt. Dass ich so nah dran bin, mir meinen Traum zu greifen, wie nie zuvor. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der Gedanke ans Klettern, an meine Finger an einer Steilwand, an das unbeschreibliche Gefühl, wenn das Adrenalin mich packt, sendet für gewöhnlich freudiges Kribbeln durch meinen ganzen Körper. Heute ist es irgendwie anders. Das liegt nicht so sehr an der Tatsache, dass Magnus’ Sprüche mir auf die Eier gehen. Oder daran, dass Leo meiner Meinung nach eine Fehlbesetzung in Verenas Leben ist. Vielleicht ist es die Angst. Die Angst vor dem Versagen.
Wenn ich die Qualis versaue, dann zitiert meine Mutter mich zurück in ihre Chalets. Dann habe ich nicht nur meinen Traum verloren, dann … Der Gedanke ist so beinhart und schwer und unerträglich, dass ich mich innerlich in völlig überzogene Schreckensszenarien flüchte. Denn wenn ich mir vorstelle, mit Mika in der Küche Zwiebeln zu schnippeln, beim morgendlichen Run mit den Gästen den Drill-Instructor zu spielen oder, schlimmer noch, mit Handtuch um die Lenden zu Elton-John-Songs Eventaufgüsse in der Waldsauna zu machen, dann könnte ich jetzt schon ausflippen. Gedanklich halte ich mich von den viel schlimmeren Folgen meines möglichen Versagens fern: der Tatsache, dass ich keine Ahnung habe, was ich sonst mit meinem Leben machen soll. Ein Anstellungsverhältnis am Felsenhimmel kommt meiner Vorstellung von Hölle schon ziemlich nah. Also belasse ich es dabei.
Ich setze mich auf den Barhocker und versuche, nicht an die Konsequenzen meines möglichen Scheiterns zu denken, die erst heute so richtig hochgekocht sind.
Magnus lässt sich neben mich fallen, streicht sich die blonden Haare aus der Stirn. »Was willst du trinken, Hofer?«
»Coke Zero«, schreie ich über die Musik hinweg.
»Alter! Das geht auf keinen Fall! Das mit der Kreditkarte war nicht ernst gemeint. Ich zahle, Daddy zahlt.« Er verzieht das Gesicht, und ich bekomme ein wenig Mitleid. Magnus’ Vater ist so etwas wie der Pate Norditaliens. Er zahlt, aber das hat auch immer seinen Preis. Eine Tatsache, unter der Magnus seit frühester Kindheit leidet.
»Paris!«, erinnere ich ihn. Paris zieht besser, als ihm zum dreihundertsten Mal zu erklären, dass ich keinen Alkohol brauche, um einen geilen Abend zu haben.
Magnus verdreht die Augen. »Warum tätowierst du es dir nicht auf die Stirn. O-L-Y-M-P-I-A? Ein Drink geht ja wohl. Hast du doch sonst auch, mal einen mitgetrunken.«
Das stimmt, denke ich, während ich die lange Reihe verschiedener Gin-Flaschen mustere, ohne das geringste Verlangen zu verspüren, eine davon zu probieren. Ich habe es seit geraumer Zeit so satt, mich den Gewohnheiten anderer anzupassen, nur weil es von mir erwartet wird. Da Magnus das aber nicht versteht, spare ich mir dieses Mal die Luft.
Die Brünette und Hannah stellen sich zu uns. Emma/Mila oder wie auch immer lächelt nett und sagt etwas, ich nicke, habe aber kein Wort verstanden. Aus dem Augenwinkel beobachte ich Leo, der meiner Schwester über den Sensor am Oberarm streicht. Ich möchte ihn würgen.
Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass es kurz nach elf ist. Mit dem Taxi wäre ich in zwanzig Minuten in der Hannovergasse. Ich könnte gut noch ein, zwei Stunden trainieren. Wenn ich an einem Felsen hänge, mich an einen Vorsprung oder einen Griff klammere, ist es, als würde ich nicht nur die Schwerkraft bezwingen, sondern gleichzeitig auch jede innere Schwere von mir schütteln. Ich sehne mich nach diesem Gefühl, nach dem Schreien meiner Muskeln und dem Rausch einer schwierigen Wand.
Das kann ich nicht bringen, oder?
Doch ehe ich mich entscheiden kann, hat Magnus seine Pranken schon auf den Tresen geknallt. »Eine Runde Shots auf unseren Goldjungen hier.«
»Noch bin ich nicht mal qualifiziert«, sage ich. Zu leise, als dass es jemand hören könnte.
Ich schaue zu Verena, und sie nickt mir kaum merklich zu. Als Magnus die kleinen Schnapsgläser auf dem Tresen verteilt, hat meine Schwester sich schnell unbemerkt eines geschnappt, es in das Waschbecken hinter dem Tresen geleert und mir wieder zugeschoben. Schon ein bisschen shitty, mit solchen Tricks arbeiten zu müssen. Immerhin grinst Magnus so, als wäre er sehr glücklich darüber, mich von einem Kurzen überzeugt zu haben. Tristan neben ihm macht alberne Posen, klammert sich am Tresen fest und tut so, als würde er abstürzen. Hannah lacht, ihre Freundin bewegt sich zum Takt der Musik, sodass das gelbe Kleid schwingt.
Verena beugt sich zu mir und formt ihre Hände zu einem Trichter an meinem Ohr. »Emilia steht auf dich«, flüstert sie und deutet auf die Brünette.
Emilia also. Ich winke ab. Verena behauptet ständig, alle möglichen Frauen würden auf mich stehen. »Nur weil sich alles nach dir umdreht, gilt das nicht zwangsläufig auch für mich. Wir sind zweieiige Zwillinge, schon vergessen?«, raune ich zurück.
Verena zieht eine Grimasse und schreit mir dann ins Ohr: »Ist das eigentlich eine komische Art von Understatement, oder checkst du wirklich nicht, dass sie alle auf dich fliegen, Mr Ninja Warrior? Vielleicht solltest du nicht absichtlich so enge Sachen tragen, in denen jede verdammte Muskelpartie betont wird.«
»Das ist mein Lieblingsshirt, und es ist mir in der Wäsche eingegangen«, sage ich wahrheitsgemäß.
Verena zwinkert ihr »Ja klar«-Zwinkern und ich bedeute ihr mit einem flüchtigen Blick, dass ich hier rausmuss.
Als ich mich in Richtung WC an der Bar vorbeikämpfe, remple ich Emilia aus Versehen an. »Sorry!«
»Alles gut. Ich dachte, das ist deine Party, aber du schaust aus, als hätte dir heute Morgen jemand in den Kaffee gespuckt.«
»Nur die Glückstasse zerbrochen«, sage ich.
Sie lacht warmherzig und schiebt das VIP-Bändchen an ihrem Arm weiter nach hinten, sodass eine kleine Tätowierung sichtbar wird. »Das ist ja fast noch schlimmer.«
Ich grinse. Geht doch. Schon ein bisschen besser.
Im winzigen Vorraum der vollständig in Schwarz gehaltenen Männertoilette spritze ich mir Wasser ins Gesicht und versuche, diesen einen Wirbel auf meinem Kopf in Form zu legen. Im Moment sieht mein Lächeln selbst in dem milchigen Spiegel vor mir aus wie eine Grimasse. Seufzend schlage ich mit der Handfläche kurz auf das Waschbecken und zwinge mich, nach draußen zu gehen.
Ein paar Leute, die das Rauchverbot auf dem Gelände nicht allzu ernst nehmen, sitzen auf dem Bordstein und qualmen. Die Abendluft ist kalt, aber nie so frisch wie zu Hause. In Wien habe ich immer das Gefühl, meine Lunge nicht vollständig mit Sauerstoff füllen zu können.
»Hey, du Grübler«, sagt Verena, die mir natürlich unter das Vordach gefolgt ist und mir jetzt eine Coke Zero in die Hand drückt.
Verena verschränkt die Arme vor der Brust und mustert mich prüfend. »Was ist das Problem? Du hast es geschafft! Nie mehr Sportbiomechanik bei Professor Krotz.«
Ich ziehe einen Mundwinkel nach oben. Den Krotz los zu sein hat immerhin ein halbes Lächeln verdient. »Vielleicht habe ich einfach nur Angst vor meiner eigenen Courage«, sage ich, was ich vor niemand anderem als Verena zugeben würde.
»Was kann schlimmstenfalls passieren?« Sie mustert mich aus ihren großen blauen Augen.
Ich kenne diesen Blick.
»Dass der Fallschirm nicht aufgeht und ich abstürze«, brumme ich.
»Du meinst, dass du mitten auf dem Rezeptionsdesk des Felsenhimmels aufschlägst?«
»Auf dem Schoß unserer Mutter«, sage ich und muss dann doch ein bisschen lachen.
»Du schaffst das«, erwidert sie. »Mach dir nicht so einen Druck. Du brauchst mal eine Auszeit. Die Tour in ein paar Wochen wird dir guttun.«
Die Tour, scheiße, die habe ich völlig verdrängt. Jedes Jahr machen wir gemeinsam eine Höhenwanderung. Wie früher, als wir noch Kinder waren und zusammen die Berge unserer norditalienischen Heimat erkundet haben. Ich liebe diese Trips. Jetzt aber rattert der Rechner in meinem Kopf und spuckt mir die Stunden aus, die zum Trainieren fehlen, wenn ich tagelang unterwegs bin.
»Du hast es vergessen«, stellt Verena fest.
»Verdrängt«, gebe ich zu.
»Du drillst dich, und dein Kopf dreht den ganzen Tag über Spiralen. Du hast alles geopfert, dein Studium, Annamaria, und jetzt willst du auf Biegen und Brechen nach Paris.«
In Momenten wie diesem hasse ich es, dass wir diese Verbindung haben, wie eine Schnur, die direkt von ihrem Hirn zu meinem führt. Manchmal wünschte ich, es gäbe einen Knopf, mit dem ich unsere synchronen Gedankengänge ausschalten könnte.
»Wir alle zusammen am Berg, den Kopf durchlüften, das ist genau das, was du brauchst.«
»Ich kann nicht.« Obwohl ich zugeben muss, dass mich die Vorstellung sehr reizt. Meinen Kopf mit frischer Luft zu füllen, aus Brunnen Quellwasser zu trinken und abends todmüde, aber zufrieden in ein Bettenlager zu fallen, ist pure Freiheit. Eine Freiheit, die ich mir derzeit einfach nicht erlauben kann.
»Du willst nur nicht«, kontert Verena ungerührt.
»Stimmt.«
»Drei Tage Auszeit, Jakob, und dann bleibe ich noch zwei Wochen und trainiere mit dir. Wenn du willst, mixe ich dir jeden Tag gesunde Smoothies, halte dir unsere Mutter vom Leib, stoppe, ohne zu murren, tagelang deine Zeiten und stecke dir unbezwingbare Routen.«
»Muss das sein?« Es gelingt mir nicht, das so schlecht gelaunt rüberzubringen, wie ich gern möchte.
»Du bist nicht mehr fokussiert, du bist fanatisch.«
»Vielleicht. Aber ich bin ja jetzt eh erst mal im Trainingslager.«
»Das passt doch perfekt, dann starten wir die Tour direkt danach.«
»Das wird zu viel …«, widerspreche ich schon weniger überzeugend.
»Quatsch, es wird ja ohnehin alles lockerer dieses Jahr, jetzt, da Leo mitkommt …«
»Was?«, blaffe ich und lasse die Flasche sinken.
Verena hält meinem Blick stand. »Ich weiß, dass du ihn nicht magst …«
»Er ist ein Arschloch, er ist nicht gut für dich.«
»Das kann ich selbst entscheiden.«
»Wen willst du noch alles mitnehmen? Deinen Hairstylisten, den Barkeeper?« Sofort verliert die Vorstellung dieser Tour ihren Reiz. Wenn ich meine frische Bergluft mit Leo teilen muss, dann …
»Jakob …«
»Ist doch wahr. Ich dachte, das wird wie … früher. Nur Magnus, Tristan, Kit, du und ich.«
»Und ich dachte, du hättest die Tour verdrängt?« Verena kann das gut, einen mit den eigenen Waffen schlagen. »Unsere Schwester fährt neuerdings nur noch Moped, seit HaWe ihr die KTM fit gemacht hat. Mit Kit brauchst du nicht rechnen.«
»Mit dem Anfänger können wir nicht an den Felsenhimmel«, starte ich einen letzten Versuch.
Als ob der Felsenhimmel überhaupt eine Option wäre. Auch wenn Magnus uns mit der Tour seit Jahren in den Ohren liegt.
Sie zuckt mit den Achseln. »Dann nehmen wir eben eine andere Route.«
»Wie wäre es denn, wenn wir noch ein paar Mädels dazu einladen? Für die Ausgeglichenheit zwischen den Geschlechtern. Wenn du schon deinen Stecher mitschleppen musst!«
»Von mir aus, wen willst du dabeihaben? Annamaria?«
Warum nicht? Annamaria liebt die Berge, und wir haben uns im Guten getrennt. Dann aber denke ich an die zerbrochene Tasse. Das schlechte Omen, das ich ja auch einfach auf unsere gescheiterte Beziehung projizieren könnte. Womit Annamaria raus ist. Ich gehe gedanklich alle Frauen durch, die mir auf die Schnelle einfallen. Jemand, mit dem man sich gut unterhalten kann, eine, die Witz hat und genug Energie für so eine Tour. Und dann habe ich als Erstes Emilias nettes Lächeln vor Augen.
Emilia steht auf dich.
»Emilia«, sage ich spontan.
»Okay, dann müssen wir aber auch Hannah fragen.«
»Klar, gut.«
Hannah ist mir egal. Emilia interessiert mich auch nicht wirklich. Dafür liegt die Trennung von Annamaria noch nicht lange genug zurück. Aber je mehr Leute dabei sind, desto weniger fällt hoffentlich Leo ins Gewicht.
Verena zieht ihr Handy aus der Hosentasche. Eine Benachrichtigung blinkt auf: Hoher Glukosewert 236. Dahinter ein Pfeil, der nach oben zeigt.
»Ich geh mal wieder rein«, sagt sie. »Soll ich die beiden einladen?«
Ich nicke langsam. Eigentlich will ich noch immer, dass sie Leo »Arschloch« Weidl auslädt. Aber bitte, dann eben so.
»Und, Jakob?« Sie dreht sich im Gehen noch einmal um.
»Ja?«
»Wenn du Angst hast, dass der Fallschirm nicht aufgehen könnte, dann darfst du nie springen.«
Ich stoße mich von der Wand ab und folge ihr nach drinnen. Verena hat recht. Es ist Zeit zu springen. Und vorher, verdammt noch mal, sollte ich mich endlich ein bisschen amüsieren.
Eine Woche vor dem Fall
37 037 5 298, -8 893 4 408
Vor mir liegt der Ozean. In meinen Ohren rauscht die starke Brandung, die der Atlantik in brausenden Wellen an den Strand schiebt. Der kräftige Wind von gestern ist etwas abgeflaut. Die portugiesische Flagge am Mast eines in der Bucht liegenden Seglers hängt in Fetzen. Glücklicherweise sind der Campingplatz und mein Van durch die großen Felsblöcke recht gut geschützt.
»Bleib«, sage ich zu Alabaster, der Mischlingshündin, die mir in Mandelieu-la-Napoule zugelaufen ist, und halte die Handfläche ausgestreckt vor ihr über den Boden. Dann springe ich aus dem Bus und ziehe das Fliegengitter hinter mir zu. Ich muss daran denken, wie seltsam Em reagiert hat, als ich ihr begeistert von Alabaster erzählt habe. Aber ich bin mir sicher, wenn sie sie erst einmal gesehen hat, wird sie genauso ihr Herz an diese krude Mischung aus Husky, Border Collie und Setter verlieren. Wir wollten doch beide immer einen Hund, als wir Kinder waren.
Ich ziehe eines meiner Armbänder vom Handgelenk und nutze es, um meine wirren, im Wind flatternden, dunklen Haare zu einem Bun zu binden. Der Strand versteckt sich ein wenig hinter Wäscheleinen mit Strandkleidern und ausgeblichenen Handtüchern. Ich zücke mein Handy und mache ein Foto für Em, das auch einen Fetzen Strand einfängt.
Praia do Baranco Suchbild, wo ist das Meer?
Ich warte darauf, dass meine Schwester zurückschreibt und ein Bild mit Hasenohren verlangt. Mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger über dem Kopf, eine Angewohnheit, mit der wir unsere Eltern als Kinder in den Wahnsinn getrieben haben.
Aber Em reagiert nur mit einem Daumen nach oben, der in Sachen Enthusiasmus nicht wirklich mit Hasenohren mithalten kann.
Der Boden unter meinen Füßen brennt, aber davon lasse ich mich nicht abhalten und laufe runter ans Meer. Der Anblick ist wirklich instagrammable, das muss man ihm lassen. Ich mache einen glücklichen Luftsprung und würde gerne laut schreien vor Freude, will aber den Rest des schlafenden Campingplatzes nicht aufwecken. Also knipse ich einfach noch ein Foto. Und wünschte, ich könnte es meiner Oma schicken.
Auf dem Weg zurück zum Van schiele ich immer wieder auf mein Handy. Aber Em schickt keine weitere Nachricht, auch nicht, als ich schon mit meiner geliebten Blechtasse neben Alabaster auf dem Boden sitze und starken schwarzen Kaffee trinke. Es bleibt bei dem Daumen-Emoji, das an meiner Nachricht hängt, als könnte es jederzeit abstürzen und wieder verschwinden.
Em? Alles gut?
Ich scrolle in unserem Verlauf zurück, um zu überprüfen, wann Em mir das letzte Mal eine Nachricht oder ein Foto geschickt hat. Kann es sein, dass das schon fast zwei Wochen her ist? Sonst schickt sie mir doch alle zwei, drei Tage eine besorgte »Alles gut, Ducky?«-Nachricht. Ich wechsle in die Anruferliste. Wann haben wir das letzte Mal telefoniert? Em und ich hatten über eine Party gesprochen, auf die sie gehen wollte oder auf der sie war? Ich erinnere mich nicht richtig, und das dämpft mein frühmorgendliches Glücksgefühl ein wenig. Unschlüssig schwebt mein Daumen über dem Handy. Soll ich Em anrufen?
Ist heute Mittwoch oder schon Donnerstag? Hat sie heute spät Vorlesungen oder gleich morgens um acht? Ich beschließe, noch ein wenig mit dem Anruf zu warten. Mein Magen krampft, vielleicht sollte ich weniger Kaffee trinken. Oder ab und an ein bisschen Milch reingeben. Ich könnte endlich den Krimi von Ben Behrens fertig lesen, den ich in einem Supermarkt an der Costa Brava gekauft habe, aber selbst als ich das Buch dann in den Händen halte, verschwimmen die Buchstaben vor meinen Augen immer wieder.
Und dann habe ich auch noch die Stimme meiner Mutter im Ohr: Was hast du vor? Den Rest deines Lebens auf der faulen Haut zu liegen? Als ob man mit einundzwanzig Jahren schon an den Rest des Lebens denken müsste. Die anerzogenen Muster der westlichen Leistungsgesellschaft ploppen selbst nach einigen Wochen Vanlife noch hin und wieder unkontrolliert auf, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen.
Mit dem Vorsatz, aktiv dagegen vorzugehen, schicke ich meiner Mutter das Bild vom Strand. Wenn sie jetzt auch einen Daumen schickt, kriege ich einen Schreikrampf.
Ich bin in Portugal angekommen.
Ich würde so gern noch viel mehr erzählen. Dass es Momente gab, in denen die neu gewonnene Freiheit ziemlich anstrengend war, aber dass ich so unglaublich viel gelernt habe. Ich will meiner Mutter erzählen, dass ich jetzt ohne Hilfe einen Reifen wechseln kann, mir einen Einbruchschutz und einen Gasmelder nach stundenlangem Studium eines YouTube-Videos eingebaut habe. Dass ich an der Costa del Sol den Van festgefahren habe, mich aber mithilfe der Fußmatte selbst befreien konnte. Dass ich es hinbekomme, mit der solarbetriebenen Camper-Batterie den Starter des Motors zu überbrücken. Doch ich belasse es bei dieser einen kurzen Nachricht. Stattdessen scrolle ich weiter auf meinem Handy herum und betrachte die Fotos der letzten Wochen.
Am Abend haben sich dieselben Leute vor meinem Camper eingefunden, die auch gestern schon hier waren.
Meine Nachricht an Em wurde wie durch ein Wunder zugestellt – vermutlich auf den letzten verfügbaren Resten mobiler Daten, die es hier draußen gibt. Jetzt halte ich das Handy vergeblich in die Luft und wackle.
»Vergiss es, das Netz ist tot«, erklärt mir Philipp. Er greift nach einer der Dosen auf dem Tisch, schüttelt sie und stellt sie gleichgültig wieder weg, als er bemerkt, dass sie leer ist.
Alabaster liegt satt, müde und mit sandpaniertem Fell im Schatten des Vans neben mir. Alles wie gestern. Und vorgestern. Wie hat Magali gesagt: Freizeit ist in ihrer Wiederholung vielleicht auch nur Alltag, aber wenigstens am Meer und schön. Sehr schön sogar.
Ich lehne mich zurück, kann mich aber nicht wie sonst entspannen. Ich bin offline, und für gewöhnlich stört mich das nicht. Seit ich Wien hinter mir gelassen habe, ist es mir eigentlich ziemlich egal, was in der Welt so los ist. Vielleicht ist auch das wahre Freiheit. Vielleicht, wispert mir eine Stimme zu, ist es auch nur ein weiteres Gefängnis. Ich schüttle den Gedanken ab, der viel zu sehr nach meiner Mutter und meinem Vater klingt. Ich sollte eigentlich froh sein, nicht ständig irgendwelche Mahnungen meiner Mutter lesen zu müssen.
Jemand hat Chili con Carne gekocht und bietet mir einen Teller an. Doch ich lehne ab. Mir ist schlecht, und mein Kopf dröhnt unangenehm. Noch immer fisseln sich meine Gedanken an dem letzten Telefonat mit Em ab. War sie gereizt? Hat sie mit etwas hinterm Berg gehalten? Wollte sie meinen Rat und … viel wichtiger: Hab ich ihr zugehört? Ich schlucke und fasse mir an den Hals, an das Semikolon, das ich mir zu meinem achtzehnten Geburtstag habe tätowieren lassen.
»What’s wrong?«, will Philipps Freundin wissen.
»Ich mache mir Sorgen um meine Schwester«, antworte ich.
»Wenn du den Hügel raufgehst«, sie deutet vage hinter sich, »und dich oben auf den Felsen stellst, dann sollte es für eine Nachricht ausreichen.«
Oben auf dem Felsen, der das Gelände überblickt, erscheint tatsächlich ein wacklig wirkender Balken und ein E für die mobilen Daten. Eine Weile stehe ich wie erstarrt breitbeinig in meinem Strandkleid da und fröstele etwas im Wind, darauf wartend, dass eine Nachricht aufploppt. Außer einer Benachrichtigung meiner E-Mail-Adresse, dass in 30 Tagen die ESTA für die USA abläuft, passiert nichts. Ich seufze und tippe eine weitere Nachricht.
What the duck, Em?
Sie wird es verstehen, und sie wird antworten. So schnell es geht.
Um zu testen, ob das mit dem Internet auch wirklich funktioniert und der fehlende zweite Haken nicht an mir, sondern an Em liegt, rufe ich Instagram auf. Tippe ein wenig, bis ich Sinas Seite finde. Ich hinterlasse ein Herz unter ihrem letzten Beitrag, wechsele zu WhatsApp und tippe eine Nachricht für Chris.
Stehen deine Pläne?
Sofort erscheinen die tanzenden Punkte, und Sekunden später taucht seine Antwort auf.
Noch nichts sicher, aber ich freue mich, dich wiederzusehen.
Ich lächle, schließe das Chatfenster und öffne Ems Profilbild. Kein aktueller Status. Keine Haken an meiner Nachricht. Ich tippe auf den Kontakt und starte einen Anruf, aber sofort schaltet sich die Mailbox ein. Mein Kopf dröhnt. Irgendeine Sache nagt an meinen Gedanken, etwas, das ich nicht richtig zuordnen kann. Etwas, das mir ganz und gar nicht gefällt. Aber ich finde keinen Zugang, also muss es reine Paranoia sein.
Em ist erwachsen, sage ich mir. Immer wieder. Viel erwachsener als ich. Es geht ihr gut.
Immerhin hat sie einen Daumen geschickt, wenn ihr derzeit nichts an unserer Kommunikation liegt, bitte, dann kann ich es auch gleich lassen. Meiner Mutter geschieht es nur recht, wenn sie so wenig Vertrauen in mich hat. Und meinem Vater … ich will nicht über ihn nachdenken. Ich lade ein kurzes Bin dann mal offline in meinem Status hoch, schalte das Handy ab und laufe den Hang hinunter.
Morgen bin ich weg. Die Welt ist so groß. Ich will am Ende meines Lebens nicht bereuen, zu lange an einem Ort gewesen zu sein. Ich bin eine Nomadin, in der Welt zu Hause. Ich bin einundzwanzig Jahre alt und so frei wie ein Vogel. Adeus, Praia do Barranco!
Achtzehn Stunden vor dem Fall
»Und habe ich dir zu viel versprochen?«, will Verena wissen und legt ihren Arm um mich. Da wir fast gleich groß sind, muss sie sich nicht einmal besonders strecken.
»Nein, stimmt schon. Es tut gut, dich zu sehen.«
»Es ist, als würde die Welt hier aufhören und dort unten ganz neu beginnen«, sagt sie und breitet die Arme in ihrem blauen Funktionsshirt aus.
Wir haben den ersten größeren Anstieg unserer Tour bewältigt. Von unserem Rastplatz, einer kleinen Kapelle, windet sich die Straße vom Tal schwindelerregend schmal um den Berg herauf. Von der nördlichsten Grenze des Grundstücks unserer Eltern aus habe ich einen guten Blick auf die frisch sanierten Chalets, die wie in den Berg gehauen wirken. Umgeben von Bäumen, schier endlosem Grün und terrassenförmigen Wegen voll scharfkantigem Schotter.
Hier ist meine Heimat, aber dieses Wort und dieses Gefühl schmecken nach süßer Vergangenheit. Ich will es loslassen, nicht daran festhalten. So schön es auch anzusehen ist, ich will mehr als das. Mehr als Grün und Zirbenholz und den vertrauten Geruch von Moos, der hier so allgegenwärtig ist. Ich blinzle und gönne mir noch einen Moment, um die Veränderungen der Chalets auf mich wirken zu lassen.
Anders als viele der wuchtigen Resorts hier oben, trotzen die Chalets des Felsenhimmels der Natur nichts ab, sondern vereinen sich mit ihr. Wie gut das mit den neuen Fassaden aus Holzvertäfelung funktioniert, ist wirklich erstaunlich. Modern und dennoch traditionell, rein aus lokalen Rohstoffen gefertigt, lassen sie die Chalets auf elegante Weise unauffällig wirken. Nur der Kran an Chalet Nummer 8 … und ich stören das Bild. Wir passen nicht in diese Symbiose. Doch der Gedanke, dass wir beide hier nicht von Dauer sein werden, tröstet mich und hilft mir, mich wieder auf die Schönheit des Ausblicks zu konzentrieren. Jedes der Häuser ist wie auch das Hauptgebäude mit breiten Panoramafenstern ausgestattet und bietet eine unglaubliche Aussicht ins Tal. Unter uns liegt Meran wie eine einsame Insel inmitten eines Massivs.
Nach dem Abend im Club habe ich Wien verlassen, und seither halte ich mich vorwiegend in hängender Position an Felsen und in der Meraner Kletterhalle auf. Passenderweise hat mir ein Kumpel, der für ein halbes Jahr in Australien ist, seine Bude zur Verfügung gestellt, sodass ich nicht gezwungen bin, jetzt nach dem Trainingslager bis zu den Qualis am Felsenhimmel zu wohnen. Wien, die Uni, Clubs und Bars, meine Freunde – all das ist mir inzwischen fast fremd geworden.
Ich sauge die Luft ein, dieses unbeschreibliche Aroma der Berge, und zum ersten Mal in den letzten, trainingsintensiven Wochen kann ich die Natur genießen, ohne meine nächsten Schritte zu bedenken. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, nach so langer Zeit in der Großstadt, aber die Stille der Berge, die es einem möglich macht, nicht nur in die Natur, sondern auch in sich selbst hineinzuhören, packt mich jetzt so richtig.
Verena hatte recht, der Trip tut mir gut. Und ich will ihn mir auch wirklich nicht von dem Teilnehmer verderben lassen, den es meiner Meinung nach nicht gebraucht hätte.
»Du hättest den da in Wien lassen können«, rutscht es mir trotzdem raus, und ich deute auf Leo, der hinter uns einen Stiefel auf die Bank gestellt hat, um ihn fester zu schnüren. Stramme Waden, markantes Gesicht, dunkles Haar. Äußerlich von mir aus ein Gewinn, von innen ein absoluter Fail.
»Fängst du schon wieder an?«, zischt Verena.
»Ich kapier’s einfach nicht. Er sieht ja halbwegs passabel aus, aber ansonsten hat der nichts. Er ist ein Fuckboy, Nena.«
Sie holt Luft und schaut zu Boden.
Verdammt. Sofort bereue ich meine Worte. Als wüsste ich nicht ganz genau, warum Verena ist, wie sie ist.
»Du kannst jederzeit mit mir reden, okay«, sage ich sehr viel sanfter.
»Ich weiß.«
»Wirklich, Nena.«
»Meistens weißt du dann ja doch alles besser als ich.«
»Ich versuche, objektiv zu sein.«
»Jakob, wir wissen beide, dass du das nicht kannst.«
»Was kann unser künftiger Olympiaheld nicht?«, fragt Magnus, der sich zusammen mit Tristan zu uns gesellt. »Banner schon gedruckt?« Er breitet die Arme aus, als spannte er ein Plakat, und ruft: »Jakob Hofer, Italiens Goldjunge 2024.«
»Alter«, stöhne ich. Aber geil klingt es, das stimmt schon.
Und das Training ist bisher so gut gelaufen, dass ich meine Ticklist, auf der ich die Boulder, die ich schaffen wollte, markiert habe, früher erfüllt habe als gedacht. Ich habe mich am Minibarren abgerackert, um meine Stützkraft zu steigern, und mich jeden Tag mit ABC-Training verausgabt, sodass ich noch im Schlaf Klimmzüge geübt habe. Und das Wichtigste: Ich habe wieder Freude am Klettern. Der Druck, den ich mit der Doppelbelastung durch das Studium so enorm verspürt habe, hat sich gelöst. Es hat gutgetan, sich nur auf eine einzige Sache zu konzentrieren. Ich fühle mich mental fit und habe das Gefühl, bestens für die ersten Quali-Läufe in Shanghai gerüstet zu sein.
»Wann fliegst du?«, will Magnus wissen.
»In sechs Wochen.«
»Nervös?«
»Bullshit, natürlich nicht.«
Ich muss Verena nicht ansehen, um zu wissen, was sie denkt. Besser, ich schaue noch einmal hinunter ins Tal. Verena hat recht. Hier kann sich der Blick noch immer in alle Richtungen verirren, nur unterbrochen von Zypressen und Zirben, Palmen und Nordwänden. Ich sehe Pässe, die sich durch saftige Hänge schlängeln, Lärchen im Fels und Luxusresorts, die ihre Infinitypools strecken wie die wenigen verbliebenen Weidewiesen ihre Kämme. Und bekomme unbändige Lust, mal wieder im Freien zu klettern. Nur ich und der Berg und das demütige Gefühl, unbedeutend zu sein gegen die Kraft der Natur.
»Sieh dir das an, das braucht ihr alles nicht«, sagt Magnus, der meinem Blick gefolgt ist. »Du könntest mir die Wiesen verkaufen. Kleine Finanzspritze, bis du die fetten Olympiaboni einstreichst.«
Ich verschwende keine Energie darauf, Magnus zum wiederholten Male zu erklären, dass es keine fetten Olympiaboni gibt. Seit Monaten will Magnus mir die Wiesen abschwatzen. Es nervt gewaltig. Auch wenn ich mich an seine ständig neuen Geschäftsideen gewöhnt habe.
»Zum Mitschreiben: Die Wiesen gehören mir nicht, Magnus.«
»Hab gehört, dass deine Mutter sich mit den Renovierungen am Felsenhimmel ein wenig übernommen hat«, sagt er in einem Ton, der nichts Böses vermuten lässt. Aber sein Blick wandert gleichzeitig zum Kran und dem Schutthaufen, der sich daneben erahnen lässt.
Ohne eine Antwort drehe ich mich um und suche nach dem Rest der Truppe. Emilia steht ein wenig abseits und schultert gerade ihren Rucksack. Hannah hat sich ein paar Meter weiter auf den Boden gesetzt und tupft sich den Schweiß mit einem Mini-Handtuch von der Stirn. Das kann ja heiter werden.
»Sieht schwer aus«, kommentiere ich Emilias Gepäck, als ich auf sie zusteuere. »Denk dran, dass du den die ganze Zeit tragen musst.«
Sie richtet die Augen zu Boden und räuspert sich kaum hörbar. »Ich bin nicht die erfahrenste Bergsteigerin, ich konnte mich nicht entscheiden.«
»Zwischen Outfit A und Outfit B?«, necke ich sie und mache eine Handbewegung, die sowohl ihr sehr kurz geschnittenes, dunkles Haar unter der grünen Baseballcap mit dem Logo von Rapid Wien als auch das eng anliegende Top mit dem Sport-BH und die Zipphose einschließt. Alles, bis auf die leicht verblichene Cap, sieht aus, als hätte sie es eben erst bei Sportler Alpin gekauft.
»Nein, hauptsächlich sind da Energyriegel drin.« Emilia schenkt mir ein schiefes Grinsen. »Werden wir in den Felsenhimmel steigen, auf einer der Touren?«
»Nope, in den Felsenhimmel kann man nicht steigen. Man schaut ehrfürchtig hinab.«
»Hinab? Obwohl es Himmel heißt?«
»Ja«, erwidere ich lächelnd. »Man schaut nach unten und hat dabei das Gefühl, einen Neuanfang zu starten. Es endet nicht im Abgrund.«
»Das klingt schön.«
»Es ist vor allem ein wenig angsteinflößend. Aber die Schlucht steht nicht zur Debatte, schon gar nicht zu dieser Zeit. Da oben liegt jetzt noch Schnee.«
Emilia nickt langsam. Dann schaut sie mir in die Augen. »Kann ich mich dir anschließen, auf dem Weg hoch zur Almhütte? Hannah ist mir zu langsam, deine Schwester und Leo …« Sie winkt energisch ab.
»Hast du von den anderen schon genug?«
Sie zuckt mit den Achseln. »Ach, die Storys von Magnus, Tristan und Leo sind ja doch immer dasselbe toxisch männliche Gelaber und Geprahle.« Sie verzieht derart angewidert das Gesicht, dass ich lachen muss.
Wir laufen los, und die anderen folgen uns in einigem Abstand.
Immer wieder werfe ich einen Blick über die Schulter und beobachte Verena dabei, wie sie sich so auffällig fröhlich und aufgekratzt gibt, dass ich ein wenig misstrauisch werde. Ich kenne das an ihr. Verena neigt dazu, sich für die Stimmung einer Gruppe verantwortlich zu fühlen. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich so voller Enthusiasmus ist oder es ein wenig übertreibt, um die anderen anzustecken.
Eine Weile geht Emilia still neben mir her, bis sie schließlich erneut das Wort ergreift. »Erzähl mir noch ein bisschen was über den Felsenhimmel.«
»Die Chalets oder die Schlucht?«
Sie überlegt und sagt dann: »Die Schlucht.«
Ich denke an meinen letzten Aufstieg zum Felsenhimmel, der Jahre zurückliegt. Es war, kurz nachdem das gesamte Gebiet abgesperrt worden war, und HaWe, unzurechnungsfähigster Vater aller Zeiten, mit Verena, der damals erst achtjährigen Kit und mir hochgeklettert ist und uns sogar ein Stück weit nach unten abgeseilt hat.
»Der Blick in den puren Felsen hinein ist gigantisch. Ich habe nie etwas Erhabeneres gesehen. Unmöglich, da hochzugehen und als derselbe Mensch wieder herunterzukommen«, erkläre ich.
Vor meinem inneren Auge sehe ich wieder Kit, HaWe, Nena und mich, wie wir auf einem zerklüfteten Felsen vor dem eisernen Gipfelkreuz stehen. Nenas Haare im Wind, HaWes alte Trainingsjacke, die sich bauscht, und Kit, die sich halsbrecherisch nach vorn über den zerklüfteten Abhang beugt. Ich reiße mich von dem Bild los, bevor es automatisch eine Kiste in meinem Kopf öffnet, die ich lieber verschlossen halte, und konzentriere mich auf Emilia. »Es ist keine typische Klamm oder Schlucht. Eigentlich ist der Felsenhimmel eine Felsspalte, die sich über die Jahre aufgrund des Klimawandels so weit ins Innere des Massivs vertieft hat, dass sie schätzungsweise den gesamten Berg durchschneidet.«
Emilia sieht erwartungsvoll zu mir hoch, während wir über einen umgestürzten Baum steigen und ich die Äste halte, damit sie ihr nicht übers Gesicht streifen.
»Die untersten Gesteinsschichten sind vermutlich Vulkanite und wegen des Anstiegs der Permafrostgrenze …« Ich halte inne, als ich mich daran erinnere, dass ich nicht mit der Gletscherexpertin Annamaria spreche. »Der Weg ist seit Jahren für Bergsteiger gesperrt, weil es selbst für geübte Kletterer viel zu gefährlich ist, da hochzusteigen. Das Gelände ist unwegsam, und keiner weiß, wann sich der nächste Felsbrocken lösen wird. Vor einigen Jahren gab es vermehrt tödliche Unfälle. Die Fallwinde da oben sind so krass, dass man sich das Gebiet nicht mal mit Drohnen ansehen kann. Eine Firma in Meran hat letztes Jahr versucht, 3-D-Aufnahmen vom Felsenhimmel zu machen, aber es ist ihnen nicht gelungen.«
Emilias grüne Augen leuchten auf. »Das ist so spannend.«
»Lass dich von Hofer, der Spaßbremse, nicht verunsichern«, sagt Magnus, der zu uns aufschließt.
»Würdest du mit mir hochsteigen? Oder traust du dich auch nicht?«, fragt Emilia ihn.
O Gott, das nimmt alles keine gute Richtung.
»Kurzer Stopp und eine Runde für alle?«, fragt Tristan, der uns nun ebenfalls erreicht hat und einen Flachmann aus der Tasche holt.
»Jetzt doch noch nicht«, widerspreche ich.
»Sind wir zum Partymachen hier, oder ist das ein Rentnertrupp auf Kaffeefahrt?«
»Kaffee wäre mir jetzt lieber als Schnaps«, meint Emilia. »Kaffee und ein paar beeindruckende Felsformationen.«
Ich kann nicht glauben, was ich da höre. »Das ist kein gesicherter Bungeesprung, der Felsenhimmel ist für Laien lebensgefährlich.«
»Bla, bla, bla …«, macht Magnus. »Hofer, du Dramaqueen.«
Emilia kichert. Eben noch beschwert sie sich über Magnus’ red flags, und jetzt fällt sie doch auf sein Machogehabe rein.
»Wenn du eine Pussy sein willst, bleibst du eben da«, setzt Magnus noch einen drauf.
»Wer ist eine Pussy?«, fragt Verena, die uns in genau dem Augenblick einholt.
»Dein Bruder spielt die Spaßbremse. Kein Felsenhimmel für die Anfänger.« Das letzte Wort rahmt Magnus in Anführungszeichen. »Nur die Goldhoffnung von Vieran darf die Schlucht besteigen. Wir sind das Fußvolk und sollen auf dem Forstweg bleiben.«
»Hab ich so nicht gesagt. Aber der Anstieg bis zur kritischsten Stelle allein dauert vier Stunden. Danach geht es über ausgesetzte Stellen, es ist rutschig da oben, und man muss immer mit breiten Schneefeldern rechnen. Und selbst wenn man die überquert hat, wartet da ja noch der Steig, der …«
»Ach, geht das wieder los«, unterbricht mich Verena, und Leo neben ihr setzt ein ekelhaft triumphierendes Gesicht auf. Das scheint Verena noch anzustacheln.
Klar, Nena, fall du mir auch noch in den Rücken.
»Du weißt schon, wer damals zuerst auf dem Gipfel war, oder?«
Leo lacht. »Das nenn ich Frauenpower.«
Das nenn ich Arschloch, denke ich. »Ihr habt ja keine Ahnung, wie verdammt gefährlich das ist.«
»Also, ich muss das nicht haben«, meint Hannah.
»War ja klar«, kommentiert Magnus.
Ich versuche mich an einem möglichst autoritären Ton. »Es ist zu gefährlich, das machen wir nicht. Schluss damit.«
»Ach wirklich?« Leos nasale, maximal nervige Stimme reizt meine Nervenbahnen aufs Äußerste. »Hofer sagt, es ist Schluss, und ihr kuscht? Bist du hier der Chief of the Mountains oder was?«
Niemand lacht, außer Verena. Ich habe absolut kein Problem damit, dass Magnus mich mit meinem Nachnamen anspricht, aber dieser kleine Pisser sollte sich mal besser zusammenreißen.
Ich balle die Fäuste und lasse mich zu einem Konter hinreißen: »Was weißt du schon von Frauenpower? Verena traue ich das natürlich zu, aber wenn ich mir dich so anschaue, bin ich mir sicher, dass sogar Emilia vor dir am Gipfel ist.«
»Was heißt hier sogar ich?«, hakt Emilia nach, wobei ich ihrem aufgesetzten Ton entnehmen kann, dass sie nicht wirklich beleidigt ist. »Wer sagt denn, dass du außerhalb von einer Kletterhalle überhaupt genug Kondition hast.« Sie blinzelt und lächelt, um ihre Aussage abzuschwächen.
Mein Blut kocht trotzdem.
»Ha!«, brüllt Magnus und lacht. »Da hörst du es, Hofer.«
»Wenn eine von euch wissen will, was Kondition ist, kann ich euch das gerne vorführen.«
»Am Berg, nicht im Bett«, kontert Emilia trocken.
Jetzt bin ich es, der laut lacht.
Magnus hält sich die Hand ans Herz. »Treffer! Eins zu null für dich. Ich werde dir beweisen, dass meine Siegergene für beides reichen.«
»Ach ja?« Emilia hebt die Augenbrauen.
Verena gluckst und verzieht das Gesicht. »Shit, Magnus, du arrogantes Ekel.«
Mist, diese Situation entgleitet völlig meiner Kontrolle. »No offense, aber der Felsenhimmel ist für Anfänger einfach nicht zu machen«, versuche ich es noch einmal. »Hakt das mal ab.«
»Sagst du«, erwidert Leo.
Kann der einfach mal die Fresse halten?
»Wie siehst du das, Schatz?«
Kann er offenbar nicht. Ich möchte würgen, als er Verena einen schleimigen Fake-Schmachtblick zuwirft. Sieht sie das nicht? Was das für ein manipulativer Kotzbrocken ist?
Verena mustert mich, und ich weiß, was jetzt passiert. Oh nein. Ich hätte einfach nichts sagen sollen. Ich kenne diesen Blick. Wenn eines an Verena noch stärker ausgeprägt ist als ihr Hang zum People Pleasing, dann ihr Ehrgeiz.
»Mit der richtigen Einstellung und Ausrüstung ist es gar nicht so schwierig. Und die Schneeschmelze ist fast abgeschlossen, also ich halte es nicht für unmöglich.«
Magnus schlägt mir mit der Hand auf die Schulter. »Hofer schiebt bloß Panik, weil er glaubt, jemand würde ihm den Felsenhimmel entmythisieren.«
Fast muss ich lachen. Wenn mein Leben am Felsenhimmel eines nicht ist, dann ein Mythos.
Und schließlich ist es ausgerechnet Tristan, der mir die zündende Idee liefert. Er füllt den Schnaps in kleine Gläschen und reicht sie herum. Dieses Mal nehme ich eins, ohne zu mosern.
»Aber wir sollten ja alle den Spaß dabei nicht vergessen, oder?«, sage ich. Verena ist die Einzige, die mich skeptisch beäugt. Ich zwinkere, aber sie verdreht nur die Augen. Die anderen greifen zu, und als ich »Einer ist keiner« sage, grölt Magnus begeistert: »Das, Hofer, das ist die richtige Attitude.«
Wenn Tristans Hang zum Alkoholismus dazu führt, dass diese Truppe hier schon bei Ankunft in der Almhütte kräftig einen sitzen hat, dann hängen die morgen früh alle in den Seilen. Und zwar nicht in den Kletterseilen. Denn so gut kenne ich Magnus, Tristan und auch Arschloch-Leo: Mit fettem Kater kommt keiner von denen auch nur in die Nähe des Felsenhimmels.
Drei Wochen nach dem Fall
36 808 88 420 662 236, -5 306 163 016 927 162
Die Straße schlängelt sich in Serpentinen den Berg hoch. Es scheint, als drehten sich diese Kurven immer wieder im Kreis um den Felsen. Wie ein Kirmeskarussell über hitzetrockenem Kies. Ich muss an die Ferien mit unseren Eltern denken und wie Em immer übel wurde, wenn wir länger als eine halbe Stunde Auto gefahren sind. Ob sie diese Anti-Übelkeits-Armbänder noch hat, die ich ihr mal geschenkt habe? Ich gebe Gas, bremse ab, gebe wieder Gas. Immer ein klein wenig mehr.
Ich versuche, mich auf die herrliche Aussicht zu konzentrieren, stelle mir vor, der Van und ich würden uns in den Berg hineinschrauben. Wie gut, dass alles in meinem Van ordentlich festgezurrt ist, in Schubladen oder Plastikkisten verpackt, und nichts, aber auch wirklich nichts wackelt, wenn ich fahre. Ein paar Hundert Meter weiter entdecke ich eine Parkbucht, die dem Felsen abgetrotzt wurde, und halte an.
Mein Handy ist seit drei Wochen ausgeschaltet. Es hat gutgetan, sich völlig abzukapseln. Kein Chris, der ständig seine Reisepläne ändert. Keine Em, die nur Daumen-Emojis für mich übrig hat. Keine Mutter, die mich mit ihren wirren Geschichten bombardiert, und kein Vater, der mir nach dem Mund redet. Es hat gutgetan, bis diese kleine, nagende Stimme in mir angefangen hat, sich zu melden. Paradoxerweise – jetzt, da sich niemand aktiv um mich sorgen kann – fühle ich meine Sorgen um sie umso deutlicher. Was, wenn es Em schlecht geht? Wenn sie Max doch mehr vermisst, als sie zugibt? Wenn sie sich einsam fühlt in Wien? Trotz dieser Hannah und ihren neuen Freunden. Was, wenn ich Papa unrecht getan habe? Wenn es so ist, wie er sagt: nicht einfach?