The Problem With Second Chances - Piper Rayne - E-Book

The Problem With Second Chances E-Book

Piper Rayne

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Beschreibung

Die Baileys treffen auf die Greenes: Willkommen zurück in Lake Starlight, dem Ort zum Verlieben in Alaska! Calista und Rylan kennen sich, seit sie sechs Jahre alt sind. Und sie waren seitdem all das, was man füreinander sein kann: erst Rivalen und Teamkollegen beim Fußballspielen, dann Freunde, schließlich Geliebte. Nach drei Jahren Funkstille begegnen sie sich auf einmal in Lake Starlight wieder, dem Ort ihrer Kindheit. Und zwar ausgerechnet als Trauzeugen auf der Hochzeit ihrer besten Freunde! Klar, kommen da schnell wieder alte Gefühle auf. Doch zweite Chancen klingen leichter als gesagt und vielleicht ist ein Ende mit Schrecken doch besser als ein Schrecken ohne Ende?    Alle Bände der neuen Small-Town-Romance: 1. The Problem With Second Chances 2. The Issue With Bad Boy Roommates 3. The Trouble With Runaway Brides 4. The Downside of Single Dads

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The Problem With Second Chances

PIPER RAYNE ist das Pseudonym zweier USA Today Bestseller-Autorinnen. Mehr als alles andere lieben sie sexy Helden, unkonventionelle Heldinnen, die sie zum Lachen bringen, und viel heiße Action. Und sie hoffen, du liebst das auch!

Die Baileys treffen auf die Greenes: Willkommen zurück in Lake Starlight, dem Ort zum Verlieben in Alaska!Calista und Rylan kennen sich, seit sie sechs Jahre alt sind. Und sie waren seitdem all das, was man füreinander sein kann: erst Rivalen und Teamkollegen beim Fußballspielen, dann Freunde, schließlich Geliebte. Nach drei Jahren Funkstille begegnen sie sich auf einmal in Lake Starlight wieder, dem Ort ihrer Kindheit. Und zwar ausgerechnet als Trauzeugen auf der Hochzeit ihrer besten Freunde! Klar, kommen da schnell wieder alte Gefühle auf. Doch zweite Chancen klingen leichter als gesagt und vielleicht ist ein Ende mit Schrecken doch besser als ein Schrecken ohne Ende?   

Alle Bände der neuen Small-Town-Romance:1. The Problem With Second Chances2. The Issue With Bad Boy Roommates3. The Trouble With Runaway Brides4. The Downside of Single Dads

Piper Rayne

The Problem With Second Chances

Roman

Aus dem Englischen von Maya Lloyd

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei Forever

Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH,Berlin November 2024© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Die amerikanische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel: The Problem With Second Chances© 2023 by Piper RayneUmschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®E-Book powered by pepyrus

ISBN 978-3-95818-827-3

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

Einunddreißig

Epilog

Verrücktes Einhorn-Geschwafel

Leseprobe: You Can’t Break the Rules

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Eins

Eins

Calista

Frühling

Ein Klopfen gegen die Scheibe des Cafés lässt mich zusammenzucken, gerade, als ich an meinem Kaffee nippen will, und ein paar Tropfen landen auf meiner Hose. Ich schaue aus dem Fenster und erblicke Aubrey, die mir mit einem breiten Lächeln im Gesicht zuwinkt.

Am frühen Morgen hat meine beste Freundin mich angerufen und mich regelrecht dazu genötigt, mich hier mit ihr zu treffen, weil sie mir unbedingt etwas erzählen muss. Und da die meisten meiner Klienten hier in unserem kleinen Städtchen in Alaska Verwandte von mir sind, konnte ich meine Termine ohne Weiteres verschieben.

Sie kommt durch die Eingangstür gestürmt, winkt und begrüßt alle anderen Gäste, die sich heute Morgen ebenfalls für das Brewed Awakenings entschieden haben. Man könnte meinen, sie kandidiere als Bürgermeisterin.

Aber das tut sie nicht. Ich weiß genau, warum ich hier sitze, und seit fast zehn Jahren nun graut es mir schon vor diesem Tag, obwohl es mit jedem weiteren Jahr, das verstrich, nur noch unausweichlicher wurde, dass er kommen würde.

Sie schlüpft aus ihrem Mantel, setzt sich mir gegenüber und schnappt sich mit ihrer rechten Hand den Latte, den ich bereits für sie bestellt habe. Aubrey ist Linkshänderin. »Danke dir. Den habe ich dringend nötig.«

»Also … was gibt’s?« Ich spiele die Dumme, um ihr die Überraschung nicht zu verderben.

Aubrey strahlt und beißt sich auf die Unterlippe, ihre blauen Augen leuchten auf vor unterdrückter Freude. Sie stellt ihren Kaffee ab, legt eine dramaturgische Pause ein und hebt dann die linke Hand, an der nun ein Verlobungsring funkelt. »Ich werde heiraten!«, kreischt sie.

Und ich tue es ihr gleich, denn das ist es doch, was eine beste Freundin tut, wenn ihre BFF ihre Verlobung verkündet.

Ich springe von meinem Platz auf, und sie erhebt sich von ihrem. Wir schlingen die Arme umeinander, ohne auf die anderen Leute im Café zu achten.

»Lass mich mal sehen.« Ich halte ihre Hand fest, um mir den Ring genauer anzusehen. Ihr Verlobter ist geschäftlich ziemlich erfolgreich, und so hat die Glückliche einen Drei-Karat-Diamanten ergattert. »Der ist ja wunderschön.«

Sie ist ganz aus dem Häuschen, sodass ihre Hand nur für einen kurzen Augenblick in meiner liegen bleibt, bevor Aubrey sie auch schon wieder hebt, um den Ring im schummrigen Licht des Cafés selbst noch einmal zu bewundern. Wir fallen uns erneut in die Arme. Ich freue mich für meine beste Freundin, das tue ich wirklich. Ich mache mir nur Sorgen darüber, was das alles wohl für mich bedeutet.

Wir setzen uns zurück auf die Holzstühle, und sie nippt an ihrem Latte. »OMG, Calista, kannst du glauben, dass er mir endlich einen Antrag gemacht hat?«

Declan hat sich bloß fünf Jahre zu viel Zeit gelassen, aber er musste sich zunächst durch sein Jurastudium kämpfen, um anschließend die Kanzlei seines Dads in der nahe gelegenen Nachbarstadt Anchorage übernehmen zu können. Erst wollte er seine eigenen Ziele erreichen, um dann Aubrey all ihre Wünsche erfüllen zu können.

»Und du wolltest ihm schon ein Ultimatum stellen.« Das war vor zwei Jahren. Viele unserer gemeinsamen Freundinnen haben damals geheiratet, und Aubrey hatte immer weniger Verständnis dafür, dass er ihr noch keinen Antrag gemacht hatte.

»Ich weiß. Ich musste ihm einfach nur vertrauen.«

Sicher, jetzt ist alles vergeben und vergessen. Wo war diese Lässigkeit nach all den Ausflügen, von denen sie immer ganz niedergeschlagen nach Hause kam, weil sie sich so sicher gewesen war, dass er sie diesmal fragen würde, oder nach den unzähligen Jahrestagen, an denen sie sich abends dann Unmengen von Eiscreme reingestopft und ein Glas Champagner nach dem anderen gekippt hat?

»Also, ich will alle Details«, sage ich grinsend.

Sie plappert los und erzählt mir, wie sie übers Wochenende in das Ferienhaus seiner Eltern gefahren sind und erst spät am Freitagabend dort ankamen. Mit der Ausrede, dass er drinnen noch irgendetwas überprüfen müsse, hat er sie dann einfach auf der Veranda stehen lassen. Bis jetzt bin ich nicht gerade begeistert, sondern würde Declan am liebsten den Hals umdrehen, weil sie seinetwegen fast als Bärenfutter geendet wäre.

»Irgendwann schrieb er mir, dass ich reinkommen soll. Ich bin also durch die Haustür, und da war eine Spur aus Kerzen und Rosenblättern, die mich zu ihm hinaus auf die Terrasse geführt hat. Ich öffnete die Tür, und überall hingen weiße Lichterketten. Er hat ›Adore You‹ von Harry Styles laufen lassen und stand inmitten eines riesigen Herzens aus Blütenblättern und Kerzen. Dann hat er sich hingekniet und auf einmal den Ring in der Hand gehalten. Oh, Calista, ich dachte, ich würde in Ohnmacht fallen. Nach all den Jahren …«

Ich lächle, weil ich weiß, wie glücklich sie ist.

So wie du, ermahne ich mich selbst. Sei nicht so eine selbstsüchtige Bitch.

»Ich bin auf ihn zugegangen.«

»Ich bin überrascht, dass du ihn nicht zu Boden getackelt, ihm den Ring aus den Fingern gerissen und immer wieder Ja gebrüllt hast.«

Aubrey kichert. »Das hätte ich auch fast getan, aber …« Sie rutscht auf ihrem Stuhl umher und setzt sich ein wenig aufrechter hin. »Ich hatte jahrelang Zeit, mir zu überlegen, was ich sagen und wie ich mich verhalten würde.«

Als wir mit dem Lachen wieder aufgehört haben, sage ich: »Erzähl weiter.«

»Declan hatte eine ganze Rede vorbereitet, die …« Sie verzieht das Gesicht. »Ich weiß nicht mehr ganz genau, was er alles gesagt hat, aber es ging darum, wie sehr er mich liebt und dass er mit mir zusammen alt werden will.« Sie winkt ab. »Du weißt schon, der übliche Kram, von wegen für immer an meiner Seite sein. Und dann hat er gefragt: ›Willst du mich heiraten?‹ Und ich hab Ja gesagt. Er hat mir den Ring angesteckt, ich habe mich auf ihn gestürzt, und wir sind zusammen hingefallen.«

Ich muss lachen – genau so ist Aubrey und genau deshalb liebe ich sie auch so sehr. Sie hält sich kein bisschen zurück, wenn sie sich über etwas freut.

Sie fährt fort und verrät mir, dass sie so viel Sex hatten, bis sie ganz wund war. Und dass sie nicht lange warten wollen, sondern die Hochzeit schon im Oktober stattfinden wird.

Oktober … mir wird ganz anders zumute.

»Das ist aber schon ziemlich bald. Wie wär’s mit nächstem Frühjahr? Der Frühling ist so schön. Und dann hast du ein ganzes Jahr Zeit, deine Traumhochzeit zu planen.«

Sie sieht mich über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg an.

Wie ich diesen Blick hasse.

Diesen mitleidigen Blick.

Den »Es ist in Ordnung, sauer zu sein, aber du wirst es überleben«-Blick.

Sie setzt die Tasse ab und drückt meine Hand. »Du bist doch meine Trauzeugin, oder?« Ich nicke und versuche, die Tränen wegzublinzeln, ehe ich hier mitten im Café zu weinen anfange.

»Auch wenn …«

Ich nicke erneut.

»Ich wusste, dass du Ja sagen würdest, und deshalb habe ich dich auch so lieb. Das wird schon nicht allzu schlimm. Na ja … ganz schmerzlos wird es nicht sein, aber ich habe Declan bereits klargemacht, dass es keinen Trauzeugen-Tanz geben wird. Und du wirst allein zum Altar gehen – er wird schon neben Declan am Ende des Ganges stehen.«

»Na prima, da komme ich mir ja glatt vor, als würde ich auf unserer eigenen Hochzeit zu ihm zum Altar schreiten.«

Sie legt den Kopf schief und runzelt die Stirn.

»Vergiss, dass ich das gesagt habe. Sorry.« Mit einem Wedeln der Hand wische ich meine kleinlichen Worte weg.

»Das Einzige, was ihr zusammen tun müsst, ist, nach der Zeremonie Arm in Arm den Gang zurückzugehen. Und während des Empfangs neben ihm zu stehen. Aber das war’s.«

Ich drücke Aubreys Hand. »Mach dir keine Sorgen um mich. Ich bin ein großes Mädchen. Er ist ein großer Junge. Das wird schon alles gut gehen. Als deine Treuzeugin werde ich dafür sorgen.«

Sie lächelt, sieht aber noch nicht ganz überzeugt aus. »Danke.«

»Hat Declan ihn schon gefragt?«

Wenn ich ganz viel Glück habe, hat er vielleicht gar keine Zeit. Vielleicht gibt es irgendeine große und wichtige Profifußballersache, zu der er unbedingt hinmuss. Aber im Grunde meines Herzens weiß ich ganz genau, dass ihn nichts von der Hochzeit seines besten Freundes wird fernhalten können, genauso, wie mich nichts davon abhalten könnte, an Aubreys Seite zu stehen.

Verdammt seien wir und unsere Treuherzigkeit.

»Er hat ihn heute Morgen angerufen, noch bevor ich hierhergefahren bin.«

»Und?«

»Er wird Declans Trauzeuge sein.«

Ich seufze.

Rylan Greene.

Allein schon, wenn ich seinen Namen denke, fühlt es sich an wie ein Messer, das mir in den Bauch gerammt wird, und in sechs Monaten soll ich meinen Arm auf seinen legen.

Gott, seit ich sechs Jahre alt war, hat sich mein ganzes Leben um diesen Mann gedreht. Für einen kurzen Augenblick hatte ich gedacht, das zwischen uns würde so enden wie bei Aubrey und Declan, aber ich hätte nicht blauäugiger sein können. Bei Rylan und mir hat Liebe allein nicht ausgereicht. Ganz schlicht und einfach. Wir haben es uns gewünscht, wir haben wirklich gehofft, dass es mit uns klappt, aber Liebe allein bringt dich nur bis zu einem gewissen Punkt. Und dann kommt einem manchmal das Leben in die Quere.

»Calista?« Aubrey fuchtelt mit der Hand vor meinem Gesicht herum. »Weißt du, ich habe Declan vorgeschlagen, einfach durchzubrennen.«

Ich drücke ihre Hände. »Nein, Aubrey. Das wird dein großer Tag, und den müssen wir gebührend feiern. Das hast du dir verdient. Wir haben so lange darauf gewartet, da will ich, dass es genauso wird, wie du es dir immer erträumt hast.«

»Bist du dir ganz sicher?«

Ich nicke. »Lass uns über die Farben reden. An was hast du gedacht? Und wo soll das Event steigen?«

Ich bombardiere sie geradezu mit Fragen, nur um die Tatsache zu verdrängen, wie sehr sich ein kleiner Teil von mir darüber freut, dass er nach Hause kommt.

Sobald es um ihn geht, freue ich mich regelrecht auf den Herzschmerz, den er mir – denn so viel weiß ich jetzt schon – auf jeden Fall bereiten wird.

Zwei

Calista

Oktober

Mein Herz rast und trotz des kühlen Wetters, das heute Morgen in unserem kleinen Städtchen in Alaska herrscht, rinnt mir der Schweiß die Schläfe hinunter. Auf dem Pfad um den See ist weniger los als gewöhnlich, was mir nur recht ist, da ich keine Lust habe, neugierigen Dorfbewohnern ihre Fragen über die Hochzeit des Jahrzehnts zu beantworten, die in nur drei Wochen stattfinden soll. Die Vermählung meiner besten Freundin Aubrey mit dem heißen jungen Anwalt, der in der Nachbarstadt Sunrise Bay aufgewachsen ist, ist in aller Munde.

Als ich vom Joggen in ein gemächliches Gehen wechsle und mich gerade auf den Weg zurück in die Stadt machen will, entdecke ich meinen alten Fußballtrainer, Onkel Jamie. Schnell drehe ich mich um und will noch eine Runde drehen, um mich aus dem Staub zu machen. Und außerdem werden mir die Extra-Meter dabei helfen, meine Beklemmung wegen der bevorstehenden Heimkehr von Rylan zu vertreiben.

Meine Familie ist ziemlich groß. Und jetzt, wo alle neun Bailey-Kinder verheiratet sind und selbst Kinder haben, kann ich kaum mehr über den Marktplatz gehen, ohne zumindest einem Familienangehörigen über den Weg zu laufen.

»Calista!«, ruft Onkel Jamie mit seinem breiten schottischen Akzent und winkt mir zu, ehe ich mich davonstehlen kann.

Ich nehme die Kopfhörer aus dem Ohr. »Hey, Onkel Jamie.«

Er will mich umarmen, aber ich weiche zurück, verschwitzt, wie ich bin. »Wie geht’s dem Knie?«, fragt er.

Ich zucke mit den Schultern.

»Willst du, dass ich dich anflehe?« Er hält sich nicht lange mit Small Talk auf, und wenn er es täte, wäre ich nur noch misstrauischer.

Onkel Jamies neuste Mission ist es, mich dazu zu überreden, in dem Sportzentrum, das er betreibt, als Fußballtrainerin anzufangen. Er will, dass die Mädchen eine Trainerin haben, und glaubt, dass ich ihnen nicht nur helfen kann, ihre Fähigkeiten bestmöglich zu entwickeln, sondern ihnen auch einen Einblick in das Leben einer weiblichen Profisportlerin geben kann. Welches eigentlich nicht grundlegend anders sein sollte als das eines männlichen Sportlers, aber wer ist schon so naiv zu glauben, dass dies der Realität entspricht. Da gibt es zum Beispiel Rylan und mich. Seit wir sechs Jahre alt waren, haben wir zusammen trainiert, aber wir haben zwei sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen, mit ganz unterschiedlichen Karrierechancen.

»Ich habe dir doch gesagt, dafür habe ich einfach keine Zeit.«

Onkel Jamie hält mir eine Schachtel von Sweet Suga Things Donuts hin. »Hier. Die letzte Schachtel.«

»Tante Sedona bringt dich um, wenn du sie mir gibst.«

Er gluckst. »Vermutlich. Aber das ist es wert. Hier in der Gegend gibt es niemanden, der auch nur annähernd so qualifiziert wäre wie du.«

Ich atme einmal tief durch. »Ich sag dir was. Lass mich erstmal diese Hochzeit überstehen, dann können wir darüber reden. Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen.«

»Mensch, nach allem, was ich für dich getan habe.« Er zwinkert mir zu und klappt die Schachtel auf.

Verdammt, sehen die lecker aus. Ich schüttle den Kopf. »Nope. Ich muss in mein Brautjungfernkleid passen.«

»Um einen bestimmten Jemand zu zeigen, was ihm durch die Lappen gegangen ist?« Er zieht eine seiner dunklen Augenbraue hoch.

Ich schätze, Onkel Jamie fühlt sich irgendwie dazu berechtigt, mit mir über die Sache zwischen Rylan und mir zu sprechen, weil er von Anfang an in unsere Geschichte verwickelt war.

»Diese Zeiten sind vorbei.«

Er sieht mich mit einem mitfühlenden Ausdruck an, den ich ihm am liebsten aus dem Gesicht kratzen würde wie eine wild gewordene Katze. »Wir wissen beide, dass das zwischen euch nie vorbei sein wird. Selbst wenn …« Er schüttelt den Kopf. »Ich würde mich freuen, wenn du mir nach der Hochzeit Bescheid sagst.« Noch einmal hält er mir die Donut-Schachtel hin. »Nimm dir einen.«

»Nö. Ich muss an meiner Selbstbeherrschung arbeiten. Ich gehe noch eine Runde joggen.«

»Du wirst dir noch einen Ermüdungsbruch zuziehen.«

»Geht schon. Versprochen. Wir sehen uns später, Onkel Jamie.«

Ich jogge los und weiß, dass mein Onkel es nur gut meint, aber inzwischen habe ich seit fast drei Jahren nicht mehr gegen einen Fußball getreten und bin trotzdem ganz zufrieden mit meinem Leben.

Sicher, als mir das Spiel, das ich mein ganzes Leben lang geliebt habe, einfach den Mittelfinger gezeigt hat, hat es höllisch wehgetan, aber es war schwer genug, mir eine zweite Karriere aufzubauen. Ich habe zwar Betriebswirtschaft studiert, aber dass ich das jemals würde gebrauchen können, hätte ich nicht gedacht. Ich wollte bis zur Rente Fußball spielen. Aber das Leben hat anders entschieden.

Ich drossle mein Tempo und überlege nebenbei, ob ich mir für die Zukunft nicht doch lieber eine Laufroute im nahe gelegenen Winterberry Falls suchen sollte, wo mich kaum jemand kennt. Es ist eine noch junge Gemeinde, die gerade dabei ist, sich von einer bloßen Ansammlung von Jäger- und Fischerhütten zu einer richtigen, modernen Stadt zu mausern und so auch jüngere Leute anlocken will. Zumindest steht das so auf Buzz Wheel.

Ich schließe mein Runde ab und zerbreche mir nach wie vor den Kopf über die Aussicht, in nur zwei Tagen Rylan gegenübertreten zu müssen, als mir aus der Ferne zwei Frauen zuwinken. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich sie als die Grandma-Gang – Jean und Alice vom Northern Lights Seniorenheim.

Gerade habe ich so gar keine Lust auf sie. Nichts gegen die beiden, sie sind wirklich reizend. Alice ist Aubreys Großmutter und färbt sich noch immer die Haare rot, um jünger auszusehen, während Jean mittlerweile vollständig ergraut ist, allerdings in einem eher dunkleren Grau. Und obwohl ich nicht in der Stimmung bin, mich mit ihnen zu unterhalten, so habe ich doch meiner Uroma Dori versprochen, sie hin und wieder zu besuchen, wenn sie »im Himmel mit meinem Uropa tanzt«.

Jeden in der Familie hat es hart getroffen, als sie verstarb. Selbstverständlich wurde sie hundert Jahre und einen Tag alt – sie war stets der festen Überzeugung, dass sie nicht sterben würde, ehe sie hundert Jahre alt war.

Alle waren sehr traurig, aber es war Onkel Kingston, der uns an ein Gespräch erinnerte, das er mit ihr auf der Party zu ihrem neunzigsten Geburtstag geführt hatte. Sie sagte, wann immer ihre Zeit gekommen sei, um zu gehen, es sei schon in Ordnung, denn sie habe ein gutes, langes Leben voller Liebe gehabt und sei bereit, die Ewigkeit mit meinem Urgroßvater zu verbringen.

Meine Familie, die Baileys, veranstaltete zu ihren Ehren eine große Feier, und es wirkte fast so, als ob eine Königin gestorben wäre. Und in gewisser Weise war das wohl auch so, denn Grandma Dori war so etwas wie die Königin von Lake Starlight. In ihrem Namen hat meine Familie die Stadt mit Spenden geradezu überschwemmt, und egal, wo man hinkommt, überall findet man ein Schild, auf dem steht, dass dieser oder jener Gegenstand von ihr und meinem Urgroßvater gestiftet wurde.

Als ich schließlich bei Alice und Jean ankomme, könnte man meinen, sie wären es gewesen, die eben ein paar Meilen gerannt wären, so außer Atem sind sie.

»Oh, Gott sei Dank haben wir dich gefunden«, schnauft Alice und hält mir mit ihrer altersfleckigen Hand einen Umschlag hin. »Wir haben vor deiner Wohnung gewartet, wollten uns dann nur kurz einen Donut bei Greta holen, aber sie war nicht da. Und dann –«

»Um Himmels willen, jetzt gib es ihr doch einfach.« Jean schnappt sich den Umschlag von Alice und drückt ihn mir in die Hand.

Er ist ziemlich schwer, also ist es nicht nur ein Brief. Ich schaue ihn an. »Ist der für Aubrey? Wegen der Hochzeit?«

Sie tauschen einen Blick aus.

»Lies ihn einfach und befolge die Anweisungen. Morgen erfährst du mehr«, sagt Alice.

Dann machen sie auf dem Absatz kehrt und laufen rasch zurück in Richtung Lake Starlight – oder so rasch, wie es Frauen in ihrem Alter eben noch möglich ist.

Ich starre wieder auf den Umschlag. Auf der Vorderseite steht mein Name geschrieben. Ich gehe hinüber zu einer Bank, auf der eine Widmung für meine Großeltern eingraviert ist, setze mich hin und schiebe einen Finger unter die Lasche, um den Umschlag zu öffnen. Das Gewicht, das ich gespürt habe, entpuppt sich als ein Schlüssel. Eine kleine Karte liegt bei. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Worte darauf mit Schreibmaschine getippt wurden, die Schriftart, in der die Wörter geschrieben sind, lässt dies jedenfalls vermuten.

Ich halte die Karte hoch, um sie genauer zu betrachten. Ich würde Geld darauf wetten, dass die Nachricht darauf tatsächlich mit einer echten Schreibmaschine getippt worden ist.

Morgen, neun Uhr27 Cottagewood DriveLake Starlight, Alaska

Sehr ominös. Wenn ich nicht wüsste, dass die Grandma-Gang von Rylans Oma Ethel und meiner Urgroßmutter Dori ausgebildet wurde, ehe die beiden starben, hätte ich Angst, jemand wollte mir ans Leder.

Ich stecke den Schlüssel und die Notiz in die Seitentasche meiner Workout-Leggings und laufe durch die Stadt. Statt zu meiner Wohnung gehe ich zum Restaurant meines Dads, da ich weiß, dass er mittags geöffnet hat und da sein wird.

Ich nehme die Hintertür und lächle, als ich Dad am Schneidebrett stehen sehe, während im Fernseher über mir Fußball läuft. Er war und ist leidenschaftlicher Baseballfan, aber weil ich Fußball gespielt habe, ist er jetzt auch Fußballfan, und das heißt, dass er sich im Oktober immer entscheiden muss, was er sich nun ansieht: Baseball oder Fußball.

»Hey, Dad.«

Er legt das Messer beiseite und sucht nach der Fernbedienung. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und gebe ihm ein Kuss auf die Wange. Als ich mich wieder zurückziehe, bemerke ich, dass das Haar an seinen Schläfen in letzter Zeit noch etwas grauer geworden ist.

Er schnappt sich die Fernbedienung, aber ich lege meine Hand auf seine. »Lass laufen. Ist schon okay.«

Rylan spielt für Chicago, aber sie sind schon in der ersten Woche der Play-offs rausgeflogen, deshalb kommt er jetzt auch schon drei Wochen vor der Hochzeit hierher, und nicht erst zwei Tage vor dem Fest. Dabei hatte ich gehofft, er würde nur kurz in der Stadt sein, so wie letztes Jahr zur Beerdigung seiner Großmutter Ethel, als er nicht einmal hier übernachtet hat.

»Bist du sicher?«, fragt mein Vater und sieht besorgt aus.

»Ist doch spannend, oder? Der Außenseiter Charlotte ist noch dabei, aber Chicago ist in der ersten Runde rausgeflogen.« Ich schüttle den Kopf und setze mich auf den Tresen.

Er macht sich wieder ans Zwiebelschneiden, und keine einzige Träne rinnt über sein Gesicht. Muss an der jahrelangen Gewöhnung liegen. »Ich konnte es nicht glauben. Ich dachte, Chicago wäre ein sicherer Titelkandidat, aber sie waren nicht gut. Da war keiner auf dem Feld, der die Mannschaft hätte anführen können.«

Was er damit sagen will, ist, dass Rylan sie nicht angeführt hat. Er ist der zentrale Mittelfeldspieler und war an diesem Abend wirklich nicht in Topform.

»Ja. Ich frage mich, was ihn so aus der Bahn geworfen haben könnte. Ich meine, der Kerl hat am Tag nach dem Tod seiner Oma auf dem Platz gestanden und den Vereinsrekord für die meisten Tore und Vorlagen in einem Spiel aufgestellt.«

Mein Dad zuckt mit den Schultern. Er will mir weismachen, dass er sich nicht für Rylans Spiele interessiert, dass Rylans Name nach unserer Trennung sofort auf seiner schwarzen Liste gelandet ist, aber wir wissen beide, dass das nicht stimmt.

Er gibt die Zwiebeln in eine Schüssel und nimmt sich die Paprika vor. Ich rutsche vom Tresen und gehe rüber zur Spüle, um mir die Hände zu waschen. Nachdem ich mir eine Schürze umgebunden habe, nehme ich mir ebenfalls eine Paprikaschote und schnappe mir ein Schneidebrett und Messer. Ich kann zwar nicht so schnell schneiden wie mein Dad, aber ihm ist jede Hilfe recht.

Einige Minuten lang schnippeln wir schweigend vor uns hin, dann frage ich: »Wie hat Uroma Dori es damals arrangiert, dass du und Mom zusammengekommen seid?«

Er hält kurz mit dem Schneiden inne, und ich bereue meine Frage sofort, denn jedes Mal, wenn meine Urgroßmutter erwähnt wird, legt sich ein Hauch von Traurigkeit über den Raum. Ich will ihm gerade sagen, dass er es vergessen soll, als er wieder zu schneiden anfängt.

»Glaub ja nicht, dass ich mich nicht sofort in deine Mutter verliebt hätte, als sie mit dir auf dem Arm hier auftauchte.« Er zwinkert mir zu, und ich verdrehe die Augen.

Ich bin das Ergebnis eines One-Night-Stands der beiden. Als ich achtzehn Monate alt war, hat meine Mom meinen Vater erst ausfindig machen und ihm von mir erzählen müssen. Sie waren Fremde füreinander, aber dann haben sie sich ineinander verliebt. Eine unglaubliche Geschichte, wenn man bedenkt, wie glücklich sie miteinander sind.

»Ich weiß. Als sie das erste Mal den Fuß ins Restaurant gesetzt hat, da wusstest du es.«

Er zeigt mit dem Messer auf mich. »Ganz genau. Aber Grandma D … sie hatte einfach diese schlaue Art, dafür zu sorgen, dass man nie über seine eigenen Füße stolpert.« Er legt das Messer weg und lehnt sich gegen den Tresen. »Ich kann nicht für meine Geschwister sprechen, aber dass wir so jung unsere Eltern verloren haben … wir befanden uns alle in ganz unterschiedlichen Lebensabschnitten, als der Unfall passierte, und ich glaube, jeden von uns hat das auf ganz unterschiedliche Weise geprägt. Bei mir war es so, dass ich nie etwas Ernstes mit einer Frau anfangen wollte, bevor ich nicht voll im Leben stand. Ich glaubte, ich hätte noch so viel Zeit und meine Karriere wäre das Wichtigste für mich. Es war ja nicht so, dass Grandma D uns in ein Zimmer gesperrt hat, bis wir uns ineinander verliebt hatten. Sie hat uns nur einen sanften Schubs in die richtige Richtung gegeben, und dann …«

Ein Lächeln umspielt seine Lippen. Auch ich muss lächeln, als ich an sie denke.

»Sie hat mir irgendeine Geschichte über sie und Granddad erzählt, oder vielleicht über meine Mutter und meinen Vater, irgendetwas, das die Glühbirne in meinen Kopf zum Leuchten gebracht und mich dazu bewegt hat, den Kopf aus dem Arsch zu ziehen.« Einen Moment lang starrt er auf seine Füße, dann dreht er sich um und fängt wieder an, Paprika zu schnippeln. »Warum fragst du?«

Der Brief und der Schlüssel brennen mir praktisch ein Loch in die Tasche. Am liebsten würde ich mit meinem Dad darüber reden. Er ist mein größter Fan, aber zuerst brauche ich mehr Informationen.

Ich zucke mit den Schultern. »Hab mich nur so gefragt.«

Er schaltet den Fernseher aus, als wüsste er ganz genau, dass Fußball mich an Rylan erinnert. Wahrscheinlich denkt er, ich wolle wieder mit ihm zusammenkommen, dass diese Hochzeit eine weitere Chance für mich ist, nach den vielen vorherigen. Noch ein Tastendruck, und schon dröhnt seine Hardrock-Musik aus den Boxen. Damit ist unser Gespräch wohl beendet.

Drei

Rylan

Auf der Rolltreppe hinunter zur Gepäckausgabe erlebe ich ein Déjà-vu. Erst vor etwa acht Monaten bin ich zuletzt hier gewesen, als meine Grandma Ethel verstorben ist. Aber damals konnte ich wenigstens hin- und gleich wieder zurückfliegen, ohne die Nacht hier verbringen zu müssen. Auf dieselbe Art von Kurztrip hatte ich gehofft, als Declan mich vor sechs Monaten angerufen und mir eröffnet hat, dass er Aubrey einen Heiratsantrag machen würde, aber ich musste ihm versprechen, nach Hause zu kommen, sobald die Saison zu Ende ist, und das war sie für mich leider früher als erhofft. Declan sollte sich glücklich schätzen, dass Aubrey all die Jahre bei ihm geblieben ist. Jeder, der sie kennt, weiß, dass Geduld nicht zu ihren Stärken gehört.

Mein Koffer ist der letzte auf dem Fließband, weil ich nach der Landung noch eine Pause eingelegt und etwas gegessen habe, bevor ich mich zur Gepäckabfertigung aufgemacht habe. Ursprünglich wollte mich die gesamte Familie einschließlich meiner Eltern vom Flughafen abholen, aber ich habe ihnen verklickert, dass ich ohnehin ein Auto mieten und daher selbst nach Sunrise Bay fahren würde.

Drei Wochen.

Obwohl ich wusste, dass dieser Tag kommen würde, merke ich jetzt erst, dass ich für ein Wiedersehen mit Calista nicht wirklich bereit bin.

Dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann, seit wir in der ersten Runde der Play-offs ausgeschieden sind, und meine miserable Leistung Dauerthema in jeder Sportsendung ist, hilft da auch nicht sonderlich. Der Trainer meinte, ich solle das Jahr abhaken, das Spiel vergessen, aber ich kann immer noch nicht fassen, wie mühelos die gegnerischen Spieler an mir vorbeigekommen sind.

Ich schnappe mir meinen Koffer, der deutlich größer ist als sonst, weil ich seit Jahren nicht mehr länger als eine Woche zu Hause gewesen bin. Einen Grund dafür kenne ich selbst nicht. Zumindest keinen, den ich mir eingestehen will.

Nachdem ich mir einen Mietwagen organisiert habe, bin ich heilfroh, allein und ganz in Ruhe nach Sunrise Bay fahren zu können. Anstatt den Highway zu nehmen, entscheide ich mich für einen Umweg von etwa einer halben Stunde, denn ich brauche die Zeit, um mich innerlich auf meine Rückkehr vorzubereiten.

Was letztes Jahr zwischen Calista und mir abgelaufen ist, darf sich nicht wiederholen. Im Nachhinein hat es sich angefühlt, wie wenn man ein Pflaster von einer eitrigen Wunde abzieht. Wenn ich diesmal wieder abreise, müssen die Dinge zwischen uns ein für alle Mal geklärt sein. Und dafür muss ich noch einmal tief in mich gehen.

Eine Welle von Emotionen überrollt mich, als ich am Sportzentrum vorbeifahre, das Jamison Ferguson und Kingston Bailey gehört. Meine ganze Jugend habe ich dort verbracht, genauso wie Calista. Seit wir sechs Jahre alt waren, wurden wir zusammen von Jamison trainiert, der in den USA und Europa als Profi gespielt hat. Seinetwegen bin ich da, wo ich jetzt bin.

Aber meine erste richtige Erinnerung an diesen Ort – mal abgesehen von meinem Groll auf Calista, jedes Mal, wenn es ihr gelang, vor mir ein Tor zu schießen – ereignete sich, als wir vierzehn waren. Es war bei einem großen Turnier und Calista spielte bei uns Jungs mit, weil Ian Porter sich in der Woche zuvor das Bein gebrochen hatte. Das Problem war jedoch, dass Calista zu diesem Zeitpunkt bereits in der Mädchenmannschaft spielte, und da wir beide im zentralen Mittelfeld aufliefen, entschied Jamison, dass wir uns im Zentrum abwechseln sollten. Bei dem Gedanken, was für ein Sturkopf sie damals schon war und heute noch ist, muss ich schmunzeln.

»Onkel Jamie, du weißt, dass ich die bessere Spielerin bin.« Sie stemmte die Hände in die Hüften. Mittlerweile war sie dazu übergegangen, im Training nur noch kurze Shorts und Sport-BHs zu tragen, wenn es ihr zu heiß geworden war. Mein pubertierendes Ich hatte Mühe, meinen Ständer zu verbergen.

»Du machst Witze. O Gott«, seufzte ich und schüttelte den Kopf.

Jamison war ihr Onkel, und manchmal hatte ich das Gefühl, dass seine Loyalität ganz klar ihr galt, aber vielleicht war er bei ihr auch nur ein wenig nachsichtiger, weil sie ein Mädchen war.

Sie kickte mir den Ball unter dem Fuß weg und fing an zu dribbeln. »Siehst du?«

Calista lupfte den Ball in die Luft und jonglierte ihn auf den Knien, dann hoch auf den Kopf und wieder runter zu den Füßen. Ich wollte mich nicht vorführen lassen und kickte ihn quer über das Feld davon.

»Ihr beiden«, stöhnte Jamie.

Aber ich war schon dabei, dem Ball auf dem Spielfeld hinterherzujagen, und Calista nahm die Verfolgung auf. Ich erreichte den Ball, und sie holte mich ein, ihre Augen waren aufmerksam auf meine Beine gerichtet. Wir zwei waren die Besten im Verein, aber das genügte Calista nicht. Sie musste unbedingt auch noch besser sein als ich.

Sie machte einen Ausfallschritt, um mir den Ball abzunehmen, aber ich lachte nur und schob ihn schnell zur Seite.

Sie stöhnte auf, setzte nach und hätte mir fast den Ball abgeluchst, aber ich machte auf dem Absatz kehrt und drosch ihn in die andere Richtung. Zuweilen wollte ich sie einfach nur in ihre Schranken weisen, ihr zeigen, dass ich der bessere Fußballer von uns beiden war. Andere Male hingegen hätte ich sie am liebsten geküsst. Mein Körper führte Krieg mit meinem Verstand und spielte damals total verrückt.

»Los, Calista!«, kam es von Declan am Spielfeldrand aus. Er hatte mich zum Training begleitet, weil wir uns danach gemeinsam das Footballspiel der Highschool ansehen wollten.

Ich warf ihm einen bösen Blick zu, und Calista legte die Stirn in Falten. »Das ist doch dein Kumpel, oder? Wie heißt er noch mal?«

»Declan.«

»Was ist das denn für ein Name?«

»Was für ein Name ist Calista?« Ich ließ sie immer näher an mich herankommen und somit in dem Glauben, sie hätte eine Chance, den Ball zu erobern.

Declan mochte Calista. Seit Wochen schon ging er mir damit auf die Nerven, ein Doppeldate mit ihr zu arrangieren.

Ihr angestrengter Atem kühlte den Schweiß an meinem Hals. Unsere Hände streiften sich, als sie mich erneut angriff, aber ich legte den Ball rechts an ihr vorbei.

»Kommt schon, ihr zwei«, rief Jamison über das Feld.

»Nicht schnell genug«, stichelte ich.

Sie knurrte und rückte noch näher, sodass ihre Brüste meinen Arm streiften, und es gelang ihr, mit der Schuhspitze den Ball unter meinem Fuß wegzukicken. Sie rannte das Feld hinunter und ich sprintete hinterher, um sie einzuholen, war aber immer noch vollauf damit beschäftigt zu verarbeiten, dass ihre Brüste gerade meinen Arm berührt hatten.

Ich vermutete, dass genau dies der Grund dafür war, warum es für Männer und Frauen getrennte Ligen gab.

Calista trat kräftig gegen den Ball und schoss ein Tor, riss die Arme über den Kopf und wackelte mit den Hüften. Nach Luft schnappend stützte ich mich auf die Knie.

»Sie hat dich erledigt, Greene!«, schrie Declan, der zu mir herüber geeilt kam, aber ich stieß ihn weg.

»Es ist ihre Hartnäckigkeit. Sie gibt einfach nicht auf.« Jamie klopfte mir auf die Schulter. Calista kickte ihm den Ball zu und Jamie nahm ihn ohne Probleme an. »Okay, ihr zwei. Das war’s für heute. Bis morgen zum Spiel, und vergesst nicht, ihr seid im selben Team.«

Calista kicherte und schnappte sich ihre Sporttasche. Sie wollte noch duschen, dann würde Jamie sie nach Hause fahren, während Declan und ich uns zum Footballspiel aufmachen würden.

Unter der Dusche konnte ich an nichts anderes denken als an Calista und daran, wie ihre Nippel sich durch ihren Sport-BH abgezeichnet hatten, als sie sich vorhin vor den Ventilator gestellt hatte, um sich abzukühlen. Mein Schwanz wurde immer steifer, aber da ich nicht vorhatte, mir in einer öffentlichen Einrichtung einen runterzuholen, stellte ich das Wasser auf kalt. Mein älterer Bruder Jed meinte ständig, er bräuchte dringend eine kalte Dusche, daher hoffte ich, dass es bei derlei Problemen helfen würde. Zum Glück stimmte das auch, sodass ich nicht mit einem Ständer in der Hose durch die Gegend laufen musste. Das hätte Declan mich nie vergessen lassen.

Nachdem ich mir eine Jeans und meinen Sunrise-Bay-Highschool-Hoodie angezogen hatte, ging ich hinaus, meine Haare noch feucht von der Dusche. Ich warf mir die Tasche über die Schulter, blieb aber abrupt stehen, als ich Calista kichern hörte und mit einem Mal Hass in mir auflodern spürte, weil jemand anderes sie zum Lachen gebracht hatte. Es war Zeit, dass ich darüber hinwegkam, dass ich in sie verknallt war. Das trieb mich sonst noch in den Wahnsinn.

»Klasse, dann morgen Abend.« Calista nickte und wandte sich von Declan ab, gerade als ich bei den beiden ankam.

»Was ist passiert?«, raunte ich Declan zu, als Calista sich vor die Eingangstür setzte, um auf Jamison zu warten, wie ich annahm.

Sein Gesicht leuchtete auf und er grinste mich mit jenem Blick an, der mich schon so oft in Schwierigkeiten gebracht hatte. »Doppeldate morgen Abend nach dem Spiel.« Er rieb sich die Hände.

»Wer ist das andere Paar?«

Er lachte los, die Auswirkungen seiner Pläne auf andere interessierten Declan in der Regel nicht. »Du und ihre Freundin Aubrey.«

Das Einzige, was ich über Aubrey wusste, war, dass sie hin und wieder zu unseren Fußballspielen kam und sich dafür immer Calistas Rückennummer auf die Wange pinselte. Das und vor allem, dass sie nicht Calista war.

»Ich dachte, wir würden …« Ich sah mich um. »Du weißt schon, die Netflix-Sache.«

Er nickte und schaute ebenfalls noch einmal über die Schulter. »Ganz ruhig, sie kommen einfach mit.«

»Was?«, fuhr ich ihn an.

Calista warf uns einen kurzen Blick zu, mit diesem typischen selbstgefälligen Ausdruck im Gesicht.

»Die werden uns nur in Schwierigkeiten bringen.«

»Nein, werden sie nicht.« Er winkte ab, aber ich ahnte, dass das keine gute Idee war …

Am nächsten Abend wurde ich von meinem Bruder Fisher auf die Polizeistation begleitet, nachdem wir dabei erwischt worden waren, wie wir uns in fremder Leute Häuser geschlichen und uns zum Spaß in ihre Netflix-Accounts eingeloggt hatten, sodass der Algorithmus verrücktspielen würde und ihnen beim nächsten Mal abgedrehte Shows und Serien vorgeschlagen wurden.

Declan lehnte sich auf seinem Stuhl nach vorne, sah zunächst die beiden Mädels und dann mich an. »Entspannt euch, mein Dad ist Anwalt. Die haben keinerlei Beweise.«

»Wie auch immer, ich bin trotzdem am Arsch. Mein Bruder ist der Sheriff, und mein Dad und meine Mom sind wahrscheinlich schon auf dem Weg hierher.« Ich verschränkte die Arme und funkelte Declan finster an, aber hinter ihm stand Calista, und sie warf mir ein mildes Lächeln zu, als ob sie Mitleid mit mir hätte. Ich rollte innerlich mit den Augen.

Den ganzen Abend lang hatte Declan versucht, Calista zu beeindrucken, und das war mir tierisch auf die Nerven gegangen. Wir hätten schon zwei Häuser früher Schluss machen sollen, aber er hatte ja unbedingt darauf bestehen müssen, noch weiterzumachen. Dann wurden wir von Mato, einem anderen Officer, dabei erwischt, als wir gerade wieder aus einem Fenster gestiegen sind.

Nachdem er uns eine Weile hatte schmoren lassen, kam Fisher aus seinem Büro und deutete auf die anderen drei. »Ihr geht mit Mato. Rylan, du kommst mit mir.«

»Hab ich doch gesagt«, murmelte ich und folgte meinem älteren Bruder.

Fisher legte los und sagte so ziemlich genau das, was ich von ihm erwartet hatte. »Wie konntest du das tun? Das ist so respektlos gegenüber unserer Familie.«

»Declan mag Calista«, räumte ich ein, und Fisher verzog das Gesicht. Jeder in meiner Familie zog mich ständig damit auf, dass ich sie mochte, womit sie leider ja auch recht hatten, nur wollte ich das ihnen gegenüber nicht zugeben.

Minuten später klopften mein Vater und meine Mutter an die Tür von Fishers Büro, und er machte auf. »Hier ist euer kleiner Verbrecher. Ich sehe mal nach den anderen.«

Er ging, und ich bekam Dads missbilligenden Blick zu spüren, während Mom hinter sich zu Calista sah, die Fisher sich nun vorknöpfte.

Letztendlich mussten auch noch die Eltern der anderen kommen und uns abholen, was für uns alle einfach nur unglaublich peinlich war. Auf dem Weg nach draußen sah Declan mich an und schüttelte den Kopf, während seine Eltern sich mit meinen unterhielten.

»Was?«, fragte ich.

»Ihre Freundin sagt, Calista steht auf dich. Natürlich tut sie das, verfluchte Scheiße.«

»Bye, Declan«, sagte Aubrey, während ihr Dad uns mit einem bösen Blick bedachte, eine Hand auf ihrem Oberarm legte und sie in Richtung Auto schob.

»Wir sehen uns, Aubrey.«

Calista saß bereits auf dem Beifahrersitz im Wagen ihres Dads und starrte stur gerade aus, während ihr Vater aufgebracht auf sie einredete. Ich lächelte sie kurz an, und sie erwiderte mein Lächeln.

»Aubrey ist süß, oder?«, unterbrach mich Declan. »Sie ist heiß. Magst du sie? Denn wenn nicht, dann …«

Mein Blick blieb auf Calista haften, bis ihr Vater an der Ampel abbog. »Mach nur, Declan. Ich mag sie nicht.«

Er klopfte mir auf die Schulter. »Super. Danke, Ry!«

Am Ende der Woche hatte Declan Aubreys Handynummer bekommen und sie um ein weiteres Date gebeten.

Ich schüttle den Kopf und verscheuche die Erinnerung aus meinen Gedanken, als mein Handy klingelt und ich eine Nachricht von Declan erhalte.

Trauzeugenpflicht #1: Beweg deinen Arsch ins Lucky’s in Lake Starlight.

Anstatt ein wenig später die Ausfahrt nach Sunrise Bay zu nehmen, biege ich also ab und fahre in Richtung Lake Starlight.

Dort angekommen, parke ich den Wagen und überquere die schmale Hauptstraße der kleinen Stadt, die so malerisch und von Touristen überlaufen ist wie mein eigenes Heimatkaff. Declan ist noch nicht da, also setze ich mich auf einen Hocker an der Bar und bestelle ein Bier. Jeden Moment könnte einer von Calistas Verwandten hier hereinspazieren. Verdammt, vielleicht sogar sie selbst. Mein Herz macht einen Sprung vor Hoffnung, was mir nur noch einmal vor Augen führt, was für ein Dummkopf ich bin.

»Was geht?«, ruft Declan von der Tür aus. Man könnte meinen, er sei ein waschechter Lake Starlighter, so wohl, wie er sich hier zu fühlen scheint. Er geht auf mich zu, wir schütteln uns die Hände und umarmen uns. »Verdammt, es ist zu lange her. Du hast deine Pflichten als Trauzeuge ziemlich schleifen lassen.«

Ich nicke und fühle mich tatsächlich ein wenig schuldig. »Jetzt gehöre ich ganz dir.«

»Oh, bevor ich’s vergesse, Aubreys Großmutter Alice wollte, dass ich dir das hier gebe.«

Er überreicht mir einen kleinen Umschlag. Er ähnelt jenen, die man hin und wieder in einem Strauß Blumen findet.

Ich fahre mit dem Finger unter die Lasche und öffne den Umschlag. Auf der kleinen Karte, die ich darin finde, steht geschrieben:

Morgen, neun Uhr27 Cottagewood DriveLake Starlight, Alaska

Was zum Teufel hat das denn zu bedeuten?

Vier

Calista

Ich biege in die Einfahrt ein und gelange zu der Adresse, die auf der Karte steht. Dicht umringt von großen Bäumen steht dort ein Haus, das dem ähnelt, was ich mir immer ausgemalt habe, wenn meine Mom mir früher Hänsel und Gretel vorgelesen hat – eine kleine Hütte im Wald, irgendwo im Nirgendwo.

Ich parke auf dem Schotterweg, halte den Autoschlüssel fest in der Hand und gehe den gepflasterten Weg zur Haustür hinauf, die in einem hübschen Himmelblau gestrichen ist. Am oberen Ende ist die Tür abgerundet und ein rundes Fenster wurde eingelassen. Auf der Matte vor meinen Füßen steht: »Hallo. Und jetzt verschwinde.« Ich muss kichern und frage mich gleichzeitig, was zum Teufel hier eigentlich vor sich geht. Wenn ich jetzt da reingehe, nur um Grandma Dori auf der Couch liegend zu finden, weil sie ihren eigenen Tod vorgetäuscht hat, ist es durchaus möglich, dass ich den Verstand verliere.

Ich schließe auf, drücke langsam die Klinke und öffne die Tür. Ich atme erleichtert auf, weil sich nicht sofort ein Axtmörder auf mich stürzt, der nur auf mich gewartet hat.

Der Raum, in dem ich stehe, ist klein, aber gemütlich. Beim Rundgang durch die winzige Hütte stelle ich fest, dass es noch ein Schlafzimmer gibt, das abgeteilt ist vom Rest des offenen Wohnbereichs mit voll ausgestatteter Küche, Sitzecke und einem kleinen Küchentisch samt Stühlen. Am liebsten würde ich mich mit einer Wolldecke und einer Packung Cookies auf die Couch kuscheln, vor mich hin dösen und eine Serie bingewatchen.

Als mein Blick über die Wände schweift, entdecke ich gerahmte Bilder von Urgroßmutter Dori und Urgroßvater Philip. Diese Aufnahmen von ihnen habe ich noch nie gesehen – sie beide hier vor der Hütte, zusammen auf einer Schlittschuhbahn. Bilder von ihnen auf dem Marktplatz, der ganz anders aussieht als jetzt.

Diese Hütte gehörte ihnen.

Das muss ich erstmal kurz sacken lassen, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand sonst aus der Familie von diesem Ort weiß. Zumindest hat ihn in meinem Beisein noch nie jemand erwähnt.

Das hier war wohl ihr kleines Refugium vor dem Rest der Welt.

Ein Klopfen an der Tür lässt mich zusammenzucken, und ich gehe rüber zur Tür, um sie zu öffnen. Vor mir steht ein großer Herr mit grauem, glatt zurückgegeltem Haar und einem dreiteiligen braunen Anzug. Ich kenne ihn vom Lake Starlight Seniorenheim.

»Calista Bailey?«, fragt er.

Ich nicke.

»Mein Name ist Gilbert Berry, und ich war ein Freund Ihrer Urgroßmutter.«

Ich nicke.

»Jedenfalls wollte ich vor den anderen hier sein.« Er wirft einen Blick hinter sich, und ich bemerke ein kleines Auto, in dem er wohl hergefahren sein muss. »Darf ich reinkommen?«

»Okay.« Ich trete zur Seite.

»Ich möchte die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen. Zwei Jahre lang habe ich gewartet und gebetet, dass ich nicht das Zeitliche segnen muss, bevor ich die Gelegenheit hatte, Ihnen das hier zu geben.« Er überreicht mir einen kleinen Briefumschlag. »Von Ihrer Urgroßmutter, wie Sie sich wahrscheinlich denken können. Das war nicht Teil ihres offiziellen Testaments, und niemand sonst in Ihrer Familie weiß von dieser Hütte – Dori wollte sie ganz allein Ihnen vermachen.«

Ich starre auf ihre Handschrift auf dem Papier. »Aber warum hat sie es nicht ins Testament aufgenommen?«

Er lächelt und deutet auf das Kuvert. »Ich bin mir sicher, dass Sie die Antwort darin finden werden.« Noch einmal huscht sein Blick zurück über seine Schulter. »Ich möchte Ihnen etwas Zeit zum Lesen geben, bevor die anderen hier einfallen. Ich finde allein hinaus« Auf dem Absatz seiner eleganten Brogue-Schuhe macht er kehrt und verlässt die Hütte, noch ehe ich fragen kann, wen er mit »die anderen« eigentlich meint.

Versessen darauf, jedes Wort, das meine Uroma für mich verfasst hat, zu lesen, weil ich sie jeden Tag so sehr vermisse, öffne ich den Umschlag, noch bevor die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen ist. Meine Augen füllen sich mit nicht vergossenen Tränen, als ich meinen Namen in ihrer Handschrift geschrieben am Anfang des Briefes entdecke.

Meine liebste Calista,

Wenn du diesen Brief liest, bin ich in den Himmel aufgestiegen, um mit der Liebe meines Lebens wiedervereint zu sein.

Eine Träne kullert über meine Wange und ich wische sie weg.

Bitte sei nicht traurig. Ich hatte ein langes und glückliches Leben. Ich habe die Geburt aller meiner Urenkel miterlebt, es sei denn, dein Dad und deine Mom haben sich nach meinem Tod noch für ein weiteres Kind entschieden. Haha. Mehr als alles andere wünsche ich mir, dass meine Enkelkinder die Liebe ihres Lebens finden, so wie ich mit meinem Philip. Ja, manchmal habe ich mich ein wenig eingemischt, um sicherzustellen, dass sie sich nicht selbst im Wege stehen, und ich hatte das Glück, ihre Liebesgeschichten aus erster Hand miterleben zu dürfen.

Diese Hütte ist der Ort, an dem dein Urgroßvater und ich uns geliebt haben. Oh, die Geschichten, die diese Wände erzählen könnten. Es war unser Rückzugsort, unsere Zuflucht vor der Welt, unser kleines Geheimnis. Und jetzt gehört sie dir und du kannst damit machen, was du willst. Du willst es der ganzen Familie erzählen? Das ist in Ordnung. Du willst die Hütte mit deinen Cousins und Cousinen teilen? Auch das ist in Ordnung. Du musst es nicht für dich behalten. Es gibt keine Vorgaben, wie du mit diesem besonderen Ort umzugehen hast.

Eine Sache muss ich dir allerdings noch verraten – du bekommst diesen Brief und diese Hütte jetzt, weil es an der Zeit ist. Ich habe Gilbert gebeten, dir den Brief erst dann zukommen zu lassen, wenn er der Meinung ist, dass du ihn am dringendsten brauchst. Ich werde dir also einen Rat geben, den du meiner Meinung nach schon vor langer Zeit hättest bekommen müssen, und ich hoffe, dass du endlich bereit bist, ihn zu beherzigen … manchmal tritt der richtige Mensch zur falschen Zeit in dein Leben. Aber irgendwann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, und die Liebe, die er in dein Leben bringt, wird das lange Warten wert gewesen sein. Du musst nur bereits sein, sie einzulassen.

Lebe wohl, meine erste Urenkelin. Genieße das Leben, es geht viel zu schnell vorbei. Aber wenn du so viel Glück hast wie ich, ist es eine großartige Reise.

Immer in Liebe, Deine Urgroßmutter Dori

PS: Ich habe hier irgendwo ein ganz bestimmtes Videoband verloren und kann es nicht wiederfinden. Wenn du es findest, könntest du es freundlicherweise vernichten?

Er war ausschließlich für meine und deines Urgroßvaters Augen bestimmt.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Hoffentlich redet sie nicht von einem Sextape. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass sie genau das meint.

Ich falte gerade den Brief zusammen, als das Geräusch knirschender Reifen meine Aufmerksamkeit erregt. Ich lege den Brief in der Küche in eine Schublade voller Silberbesteck und eile zurück zur Tür.

Ich öffne sie in der Annahme, Alice und ihre Gang zu entdecken, aber ich liege falsch. So was von falsch. Und auf jene Person, die tatsächlich gerade angekommen ist, bin ich nicht im Geringsten vorbereitet.

Ich knalle die Tür zu, ehe er mich bemerkt, und laufe im Zimmer auf und ab.

Was will Rylan denn hier? Ich starre an die Decke, aber eigentlich werfe ich einen finsteren Blick hoch in den Himmel.

»Was hast du nur getan, Uroma?«, flüstere und schreie ich zugleich.

Ich kann sie sehen, wie sie schmunzelt, mit den Schultern zuckt und mich anstupst, die Tür zu öffnen.

Das Klopfen an der Tür ist laut und lässt mich zusammenzucken, obwohl ich wusste, dass es kommen würde. Nach einem letzten tiefen Atemzug mache ich die Tür auf, und Rylans Augen begegnen den meinen.

»Calista«, flüstert er. Er hat eindeutig nicht damit gerechnet, mich hier zu finden.

Sein Blick wandert meinen Körper hinunter. Hätte ich geahnt, dass ich ihm heute gegenüberstehen würde, hätte ich mir etwas anderes angezogen als Yogapants und das schlabberige UCLA-Sweatshirt, das auch schon bessere Tage gesehen hat. Hilflos fasse ich mir mit der Hand an meinen Pferdeschwanz. Na toll. Und wenn ich mich recht erinnere, trage ich kein bisschen Make-up. Was für ein Wiedersehen mit »dem Ex«.

»Rylan?« Ich klinge nicht annähernd so überrascht, wie ich eigentlich sollte.

Er beugt sich vor und späht in die Hütte. »Man hat mir diese Notiz zukommen lassen.« Er zieht ein kleines Stück Papier aus der Hosentasche und reicht es mir. »Was soll das alles?«

Und tatsächlich, er hat dieselbe Karte bekommen. Wie hat Grandma Dori das aus dem Jenseits nur angestellt?

Ich gebe ihm den Zettel zurück und mache die Tür ein kleines Stück weiter auf, um ihn eintreten zu lassen. »Diese Hütte gehörte meiner Uroma Dori.«

Er tritt ein, und ich schließe kurz die Augen, als mich sein Duft umweht. Ein Geruch, der schon immer einzig und allein Rylan gehört hat – eine Mischung aus frischem Eau de Cologne und Weichspüler. Er trägt Jeans, einen blauen Pullover und braune Stiefel. Als er hereinkommt, sauge ich seinen Anblick förmlich in mich auf. Verdammt, jedes Mal sieht er noch besser aus als beim letzten Mal.

»Und du hast es gerade erst herausgefunden.«

Es sollte mich wohl nicht überraschen, dass er sich den Teil der Geschichte selbst hat zusammenreimen können. Er kannte die Mätzchen unserer Grandmas nur allzu gut, und wahrscheinlich hat er seine Karte ebenfalls von der Grandma-Gang 2.0 bekommen.

»Ja.« Ich lehne mich an den Küchentresen und sehe zu, wie er den Raum genauso in Augenschein nimmt wie ich vorhin, ehe ich erfahren habe, dass das nun alles mir gehört, was ich immer noch nicht glauben kann. »Dori hat sie mir vermacht.«

Er dreht sich um, und seine Augenbrauen schießen in die Höhe. »Ist das Testament nicht schon verlesen worden?«

»Vor zwei Jahren, aber ein Herr vom Seniorenheim war gerade hier und hat mir einen Brief überreicht, in dem sie mir alles erklärt hat.«

Ein Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen. »Wie schön! Ich wette, es war toll, noch einmal von ihr zu hören.«