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Zwei historische Kriminalromane in einem E-Book!
Tod im Skriptorium.
Irland Mitte des 7. Jahrhunderts. Im Skriptorium einer berühmten keltischen Abtei wird ein altehrwürdiger Gelehrter ermordet. Der König des Nachbarreichs, in dessen Auftrag er in der Abtei forschte, verlangt als Wiedergutmachung ein umstrittenes Grenzgebiet und droht mit Krieg, falls man seine Forderung nicht erfüllt. Schwester Fidelma, eine Nonne königlichen Geblüts, stößt bei ihren Bemühungen, den Mord aufzuklären, auf ein verschlungenes Netz unterschiedlicher politischer und privater Interessen.
Die Tote im Klosterbrunnen.
Anno Domini 666. In einer irischen Schwesternabtei findet man im Klosterbrunnen eine junge Frau, nackt und enthauptet. Man ruft Schwester Fidelma, eine Nonne königlichen Geblüts, um das Verbrechen aufzuklären. Fidelma, die unabhängige und selbstbewusste Heldin dieser Krimiserie, agiert in einer Welt des frühen Christentums, in der keltische Mythen und Bräuche noch starken Einfluss haben. Toleranz und Aufgeklärtheit der gebildeten Frau sichern ihr Macht und Einfluss.
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Seitenzahl: 944
Zwei historische Kriminalromane in einem E-Book!
Tod im Skriptorium.
Irland Mitte des 7. Jahrhunderts: Im Skriptorium einer berühmten keltischen Abtei wird ein altehrwürdiger Gelehrter ermordet. Der König des Nachbarreichs, in dessen Auftrag er in der Abtei forschte, verlangt als Wiedergutmachung ein umstrittenes Grenzgebiet und droht mit Krieg, falls man seine Forderung nicht erfüllt. Schwester Fidelma, eine Nonne königlichen Geblüts, stößt bei ihren Bemühungen, den Mord aufzuklären, auf ein verschlungenes Netz unterschiedlicher politischer und privater Interessen.
Die Tote im Klosterbrunnen.
Anno Domini 666. In einer irischen Schwesternabtei findet man im Klosterbrunnen eine junge Frau, nackt und enthauptet. Man ruft Schwester Fidelma, eine Nonne königlichen Geblüts, um das Verbrechen aufzuklären. Fidelma, die unabhängige und selbstbewusste Heldin dieser Krimiserie, agiert in einer Welt des frühen Christentums, in der keltische Mythen und Bräuche noch starken Einfluss haben. Toleranz und Aufgeklärtheit der gebildeten Frau sichern ihr Macht und Einfluss.
Peter Tremayne ist das Pseudonym eines anerkannten Historikers, der sich auf die versunkene Kultur der Kelten spezialisiert hat. Seine im 7. Jahrhundert spielenden Romane mit Schwester Fidelma sind zurzeit die älteste und erfolgreichste historische Krimiserie auf dem deutschen Markt. Fidelma, eine mutige Frau von königlichem Geblüt und Anwältin bei Gericht, löst darin auf kluge und selbstbewusste Art die schwierigsten Fälle. Wegen des großen internationalen Erfolgs der Serie wurde Peter Tremayne 2002 zum Ehrenmitglied der Irish Literary Society auf Lebenszeit ernannt.
Bisher bei Aufbau erschienen: Die Tote im Klosterbrunnen (2000), Tod im Skriptorium (2001), Der Tote am Steinkreuz (2001), Tod in der Königsburg (2002) und Tod auf dem Pilgerschiff (2002), Nur der Tod bringt Vergebung (2002), Ein Totenhemd für Den Erzbischof (2003), Vor dem Tod sind alle gleich ( 2003), Das Kloster der toten Seelen( 2004) ,Verneig dich vor dem Tod (2005) ,Tod bei Vollmond (2005), Tod im Tal der Heiden (2006), Der Tod soll auf euch kommen (2006) und Ein Gebet für die Verdammten (2007), Das Flüstern der verlorenen Seelen (2007), Tod den alten Göttern (2008), Das Konzil der Verdammten (2008), Der falsche Apostel (2009) , Eine Taube bringt den Tod (2010), Der Blutkelch (2010), Die Todesfee (2011), Und die Hölle folgte ihm nach (2012), Die Pforten des Todes (2012), Das Sühneopfer (2013), Sendboten des Teufels (2014), Der Lohn der Sünde (2015); Der Tod wird euch verschlingen (2016) Tod in der Königsburg - Illustrierte Ausgabe (2016), Die Wahrheit ist der Lüge Tod (2018), Ihr Los ist Finsternis (2018), Wer Lügen sät (2019). Die Sünden der Gerechten (2020) Tod den finsteren Mächten (2021).
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Peter Tremayne
Tod im Skriptorium & Die Tote im Klosterbrunnen
Zwei historische Kriminalromane in einem E-Book!
Inhaltsübersicht
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Tod im Skriptorium
Historische Anmerkung
Hauptpersonen
In Rae Na Scríne
In der Abtei Ros Ailithir
Männer der Corco Loígde
Männer aus dem Königreich Laigin
In Sceilig Mhichil
In Moluas Haus
In der großen Ratsversammlung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Epilog
Die Tote im Klosterbrunnen
Historische Anmerkung
Hauptpersonen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Epilog
Impressum
Peter Tremayne
Tod im Skriptorium
Historischer Kriminalroman
Aus dem Englischen von Friedrich Baadke
Meinem alten und sehr lieben Freund Christopher Lowder
Dank Arnold Bennett
und dem »The Six Towns Magazine«
Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht …
Markus 10, 14
So fürchtet euch denn nicht vor ihnen. Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werde, und ist nichts heimlich, das man nicht wissen werde.
Matthäus 10, 26
Zu seiner Unterstützung habe ich eine Kartenskizze und eine Liste der Hauptpersonen beigefügt.
Im allgemeinen habe ich es aus naheliegenden Gründen abgelehnt, anachronistische Namen zu verwenden, habe allerdings einige wenige moderne Ausdrücke übernommen wie Tara statt Teamhair, Cashel an Stelle von Caiseal Muman und Armagh für Ard Macha. Hingegen bin ich bei dem Namen Muman geblieben und habe nicht die Form »Munster« vorweggenommen, bei der im neunten Jahrhundert das nordische »stadr« (Ort) an den irischen Namen Muman angehängt und die dann anglisiert wurde. Ähnlich habe ich das ursprüngliche Laigin beibehalten statt der anglisierten und prochronistischen Form Laigin-stadr, aus der Leinster wurde.
In früheren Geschichten ist schon auf einige Unterschiede zwischen der irischen Kirche, die jetzt allgemein die keltische Kirche genannt wird, und der römischen Kirche hingewiesen worden. Es wurde klargestellt, daß zu jener Zeit die Forderung des Zölibats bei den Mönchen und Nonnen nicht populär war. Man muß bedenken, daß in Fidelmas Tagen die Klöster oft beide Geschlechter beherbergten und daß Mönche und Nonnen heirateten. Selbst Äbte und Bischöfe durften das und taten es. Die Kenntnis dieser Tatsache ist wesentlich für das Verständnis der Welt Fidelmas.
Die Geschichte spielt im Jahre 665 u.Z.
Schwester Fidelma von Kildare, eine dálaigh oder Anwältin an den Gerichten Irlands im siebenten Jahrhundert
Cass, ein Mitglied der Leibwache des Königs von Cashel Cathal, der sterbende König von Cashel
Colgú, der tánaiste oder Thronfolger von Cashel und Fidelmas Bruder
Intat, ein bó-aire oder örtlicher Machthaber der Corco Loígde
Schwester Eisten, die Waisenkinder versorgt
Cétach und Cosrach, junge Brüder
Cera und Ciar, junge Schwestern
Tressach, ein Waisenknabe
Abt Brocc, ein Vetter Fidelmas
Bruder Conghus, der aistreóir oder Pförtner
Bruder Rumann, der fer-tighis oder Verwalter der Abtei
Bruder Midach, der leitende Arzt
Bruder Tóla, der Unterarzt
Bruder Martan, der Apotheker
Schwester Grella, die Bibliothekarin
Bruder Ségán, der fer-leginn oder Rektor
Schwester Necht, eine Novizin und Gehilfin im Gästehaus
Salbach, der Stammesfürst der Corco Loígde
Scandlán, sein Vetter und Kleinkönig von Osraige
Ross, Kapitän einer barc, eines Küstenseglers
Der Ehrwürdige Dacán, der Tote
Fianamail, der König von Laigin
Forbassach, sein Brehon oder Richter
Abt Noé, der Bruder des Ehrwürdigen Dacán, Abt von Fearna und Berater Fianamails
Mugrón, Kapitän eines Kriegsschiffes von Laigin
Midnat, ein Matrose aus Laigin
Assíd von den Uí Dego, ein Kaufmann und Schiffskapitän aus Laigin
Pater Mel, Vorsteher des Klosters von Sceilig Mhichil
Bruder Febal, ein Mönch
Bruder Molua, der ein Waisenhaus leitet
Schwester Aíbnat, seine Frau
Sechnassach, der Großkönig von Irland
Barrán, der Oberrichter von Irland
Ultan, der Erzbischof von Armagh und das religiöse Oberhaupt von Irland
Das Gewitter brach mit plötzlicher Heftigkeit los. Auf das helle Aufblitzen folgte ein wütender Donnerschlag. Im nächsten Moment setzte der Regen mit schweren, eisigen Tropfen ein.
Das Pferd und die Reiterin hatten gerade den Schutz des Waldes verlassen und hielten auf einer Anhöhe. Vor ihnen erstreckte sich eine weite Ebene. Die Frau war in einen langen braunen Wollmantel mit Kapuze gekleidet, der dick und warm war und sie vor der Kälte des Spätherbstes schützte. Ohne Furcht vor dem Wüten des Sturms sah sie zum Himmel auf. Die dunkelgrauen Wolken jagten niedrig dahin und verhüllten die entfernten Bergspitzen wie ein Nebel. Stellenweise hoben sich von diesem Hintergrund dunklere Wolken ab, deren drohende Schwärze den rollenden Donner barg.
Die Frau kniff die Augen zusammen, als ihr der kalte Regen eisig schmerzend ins Gesicht schlug. Sie war jung und anziehend, ohne hübsch zu sein, und widerspenstige rötliche Haarsträhnen ringelten sich unter der Kapuze über ihre breite Stirn. Auf ihrer hellen Haut zeigten sich ganz leichte Sommersprossen. Die Augen sahen augenblicklich so grau aus wie der düstere Himmel, doch im Licht der Blitze leuchtete ein grünes Feuer in ihnen auf. Sie saß mit jugendlicher Gewandtheit im Sattel, und ihre hohe Gestalt beherrschte das unruhige Pferd sicher. Bei näherer Betrachtung hätte man das silberne Kruzifix entdeckt, das sie am Halse trug, und die Nonnentracht, die der schwere Reitmantel und die Kapuze verbargen.
Schwester Fidelma von der Gemeinschaft der heiligen Brigid von Kildare hatte das Gewitter seit einiger Zeit erwartet und wurde von seinem plötzlichen Ausbruch nicht überrascht. Die Anzeichen waren schon lange zu erkennen. Auf ihrem Ritt hatte sie gesehen, wie sich die Kiefernzapfen schlossen, die Gänseblümchen und der Löwenzahn ihre Blumenblätter einrollten und die Stengel des Wiesenklees anschwollen. Das alles verriet ihrem scharf beobachtenden Blick das Nahen des Regens. Selbst die letzten Schwalben, die sich zum Abflug aus Éirann für die Wintermonate rüsteten, flogen dicht über dem Boden, ein sicheres Anzeichen für ein bevorstehendes Gewitter. Schließlich hatte sie, als sie an einer Holzfällerhütte vorbeiritt, gesehen, wie sich der Rauch des Herdfeuers niederschlug, statt sich aufwärts zu ringeln. Er wurde nach unten gedrückt und zog in kleinen Schwaden um das Gebäude, ehe er sich in der kalten Luft auflöste. Sie wußte aus Erfahrung, daß ein solcher Rauch unweigerlich nahen Regen ankündigte.
Auf das Gewitter war sie also vorbereitet, nur nicht auf seine Heftigkeit. Sie hielt einen Moment an und überlegte, ob sie in den Schutz des Waldes zurückkehren und das Nachlassen des Regengusses abwarten solle. Aber sie war nur wenige Meilen von ihrem Ziel entfernt, und wegen der Dringlichkeit der Botschaft, die sie zum sofortigen Kommen aufgefordert hatte, stieß sie dem Pferd die Hacken in die Seiten und ritt den Pfad hinunter, der über die weite Ebene zu dem fernen Berg führte, der trotz des peitschenden Regens und des dunklen Himmels gerade noch zu erkennen war.
Dieser auffallende Hügel war ihr Ziel, ein großer Kalksteinblock, der sich mehr als sechzig Meter über die umliegende Ebene erhob. Seine steilen Flanken zeichneten sich manchmal im Licht der Blitze ab. Fidelma spürte, wie sich ihr die Kehle zusammenschnürte, als sie die vertrauten Konturen betrachtete. Sie kannte die befestigten Gebäude, die diese natürliche Festung krönten. Es war Cashel, der Königssitz von Muman, des größten der fünf Königreiche von Éirann. Dort war sie geboren und aufgewachsen.
Während sie weiterritt, den Kopf gegen den scharfen, böigen Wind gesenkt, der ihr den prasselnden Regen entgegentrieb, durchzogen sie widerstreitende Gefühle. Sie war freudig erregt beim Gedanken, ihren Bruder Colgú nach mehreren Jahren wiederzusehen, doch zugleich überlegte sie besorgt, warum er ihr ausrichten ließ, sie solle ihre Gemeinschaft in Kildare verlassen und so schnell wie möglich nach Cashel kommen.
Während des ganzen Ritts hatte diese Frage sie bedrängt. Mehrfach hatte sie sich selbst dafür getadelt, daß sie Zeit und Energie darauf verschwendete. Fidelma war in einer traditionellen Disziplin erzogen worden. Sie erinnerte sich an den Rat ihres alten Lehrers, des Brehon Morann von Tara: »Mach dir keine Gedanken über ungelegte Eier.« Es hatte keinen Zweck, sich mit der Lösung eines Problems abzuplagen, ehe sie nicht die Fragen kannte, die sie stellen mußte.
Also hatte sie versucht, sich solche Sorgen aus dem Kopf zu schlagen, und die Kunst der dercad, der Meditation, zu Hilfe genommen, durch die zahllose Generationen irischer Mystiker den Zustand des sitcháin, des Friedens, erlangt hatten. In Zeiten der Belastung übte sie sich regelmäßig in dieser uralten Kunst, obgleich einige Glaubensgenossen, wie auch Ultan, der Erzbischof von Armagh, sie als heidnisch verurteilten, weil sie noch von den Druiden stammte. Sogar der heilige Patrick selbst, ein Brite, der vor zweihundert Jahren eine hervorragende Rolle bei der Einführung des Glaubens in den fünf Königreichen gespielt hatte, verbot einige der meditativen Künste ausdrücklich. Die dercad jedoch wurde zwar mit Mißtrauen betrachtet, war aber noch nicht verboten. Sie war ein Mittel, den Wirbel der Gedanken in einem verstörten Gemüt zu beruhigen.
Beinahe ohne es wahrzunehmen, erreichte Fidelma die Burg der Könige von Muman.
Am Fuße des Kalksteinblocks war im Schatten der Burg im Laufe der Jahrhunderte ein großer Marktflecken entstanden. Es war erheblich dunkler geworden, denn das Gewitter hielt unvermindert an. Fidelma erreichte den Eingang zur Stadt und ritt durch die engen Straßen weiter. Der durchdringende Geruch von Torffeuern drang ihr in die Nase, und sie sah viele flackernde Laternen. Plötzlich trat ein hochgewachsener Krieger aus dem dunklen Schatten; einen Speer locker, doch kampfbereit in der Schildhand, hob er mit der anderen eine Laterne hoch und rief sie an.
»Wer bist du und was hast du hier in Cashel zu tun?«
Schwester Fidelma zügelte ihr Pferd.
»Ich bin Fidelma von Kildare«, antwortete sie laut, um im Brausen des Sturms gehört zu werden. Dann berichtigte sie sich: »Ich bin Fidelma, die Schwester Colgús.«
Der Krieger stieß einen leisen Pfiff aus und nahm Haltung an.
»Reite in Sicherheit weiter, Lady. Wir haben Auftrag, dich zu erwarten.«
Er zog sich in den Schatten zurück und nahm seinen unbequemen Dienst als Wächter vor den Gefahren der Nacht wieder auf.
Fidelma lenkte ihr Pferd durch die dunklen, engen Straßen der Stadt. Gelegentlich hörte sie Gelächter und lebhafte Musik aus den Häusern, an denen sie vorbeiritt. Sie überquerte den Marktplatz und schlug den Pfad ein, der sich zum Gipfel des Felsens emporwand. Er war seit unvordenklichen Zeiten bewohnt. Fidelmas Vorfahren, die Eóganachta, die Söhne Eoghans, hatten sich vor mehr als dreihundert Jahren dort niedergelassen, als sie die Königswürde von Muman für sich beanspruchten, und den Felsen zu ihrem politischen und später auch kirchlichen Zentrum gemacht.
Fidelma kannte hier jeden Schritt, denn ihr Vater, Failbe Fland, war einst König von Cashel gewesen.
»Nicht weiter!« kreischte eine dünne, schrille Stimme und riß Fidelma aus ihren Gedanken.
Sie parierte ihr Pferd scharf und starrte überrascht auf die formlose Gestalt hinab, die vor den Hufen aufgesprungen war. Nur die Stimme verriet Fidelma, daß dieses Bündel von Fellen und Lumpen eine Frau war. Sie stand gebeugt und vom Regen durchnäßt da und lehnte sich schwer auf einen Stock. Fidelma musterte sie durchdringend, konnte aber ihre Gesichtszüge nicht erkennen. Alt war sie offensichtlich, alles andere aber war schwer zu ausmachen, nur im Licht der Blitze war weißes Haar zu sehen, das der Regen ihr ins Gesicht klebte.
»Wer bist du?« fragte Fidelma.
»Das tut nichts zur Sache. Reite nicht weiter, wenn dir dein Leben lieb ist!«
Fidelma hob eine Augenbraue vor Verblüffung über diese Antwort.
»Womit drohst du mir, Alte?« sagte sie schroff.
»Ich drohe dir nicht, Lady«, kicherte das alte Weib. »Ich warne dich bloß. In dem düsteren Palast da oben hat sich der Tod eingenistet. Der Tod ereilt alle, die da reingehen. Verlaß diesen elenden Ort, wenn dir dein Leben lieb ist!«
Ein plötzlicher Blitz und rollender Donner lenkten Fidelma für einen Moment ab, denn sie mußte ihr unruhiges Pferd zügeln. Als sie sich wieder umwandte, war die Alte verschwunden. Fidelma preßte die Lippen zusammen und zuckte die Achseln. Dann lenkte sie ihr Pferd den Pfad entlang zum Tor des Palasts der Könige von Muman. Noch zweimal wurde sie von Wachen angerufen, und auf ihre Antwort hin gaben die Krieger respektvoll den Weg frei.
Ein Stallbursche lief herbei und nahm ihr das Pferd ab, nachdem sie schließlich in dem steingepflasterten Hof abgestiegen war. Ihn erleuchteten schimmernde Laternen, deren Licht im Winde geheimnisvoll tanzte. Fidelma strich noch rasch dem Pferd über die Nüstern und ergriff ihre Satteltasche, dann eilte sie der Haupttür des Gebäudes zu. Sie öffnete sich vor ihr, noch bevor sie anklopfen konnte.
Sie betrat eine weite Halle, die von einem lodernden Feuer im Mittelkamin erwärmt wurde, der fast so groß war wie ein kleines Zimmer. In der Halle befanden sich mehrere Leute, die sich nach ihr umwandten und untereinander flüsterten. Ein Diener kam herbei, nahm ihr die Tasche ab und half ihr aus dem Reisemantel. Sie warf das regendurchweichte Kleidungsstück von den Schultern und ging eilig zum Feuer, um sich zu erwärmen. Der Diener erklärte ihr, ein anderer bringe Colgú die Nachricht, daß sie eingetroffen sei.
Unter den Leuten, die in der großen Halle des Palastes herumstanden und ihre durchnäßte Gestalt neugierig musterten, fand Fidelma nicht ein freundliches, vertrautes Gesicht. Es herrschte eine Atmosphäre gezwungener Feierlichkeit. Ja, sie meinte eine gewisse Melancholie, sogar Feindseligkeit zu spüren. Ein düster dreinblickender Mönch stand mit wie zum Gebet gefalteten Händen neben dem Feuer.
»Gott schenke dir einen guten Tag, Bruder«, grüßte Fidelma ihn lächelnd in dem Versuch, ein Gespräch anzuknüpfen. »Warum sieht man hier so viele lange Gesichter?«
Der Mönch wandte sich um und starrte sie an, wobei seine Miene noch kummervoller wurde.
»Du erwartest doch wohl keine Lustbarkeiten in einer Zeit wie dieser, Schwester?« erwiderte er tadelnd und wandte sich ab, ehe sie eine Erklärung verlangen konnte.
Fidelma war einen Moment verblüfft, dann sah sie sich nach einer gesprächigeren Person um.
Sie bemerkte, daß ein Mann mit einem spitzen Gesicht sie arrogant anstarrte. Als sie seinem hochmütig prüfenden Blick begegnete, kam ihr eine Erinnerung. Bevor sie sie aussprechen konnte, kam der Mann auf sie zu.
»Aha, Fidelma von Kildare«, sagte er mit spröder Stimme und ohne Wärme, »also hat wohl dein Bruder Colgú dich kommen lassen?«
Fidelma war überrascht von seinem unfreundlichen Ton, doch antwortete sie mit einem Lächeln, als sie den Mann erkannte.
»Ich begrüße dich als Forbassach, Brehon des Königs von Laigin. Was machst du so weit von Fearna entfernt?«
Der Mann erwiderte ihr Lächeln nicht.
»Du hast ein gutes Gedächtnis, Schwester Fidelma. Ich habe von deinen Taten am Hofe des Königs Oswy von Northumbrien gehört und von dem Dienst, den du in Rom geleistet hast. Aber in diesem Königreich wird dir dein Talent nichts nützen. An dem Urteil wird deine berühmte Schlauheit nichts ändern können.«
Fidelma merkte, wie ihr Lächeln einfror. Es war ihr, als sei sie in einer fremden Sprache angeredet worden. Brehon Morann von Tara hatte sie ermahnt, daß ein guter Anwalt niemals seinen Gegner erraten lasse, was er denke, und Forbassach gab ihr deutlich zu verstehen, daß er ihr Gegner sei, doch in welcher Hinsicht, das war ihr nicht klar.
»Ich bin sicher, Forbassach von Fearna, daß deine Worte einen tiefen Sinn haben, nur verstehe ich ihn nicht«, antwortete sie langsam und deutete wieder ein Lächeln an.
Forbassachs Gesicht rötete sich.
»Wirst du unverschämt, Schwester? Du bist Colgús leibliche Schwester, und doch tust du so, als ob …«
»Verzeihung, Forbassach.«
Eine ruhige männliche Stimme unterbrach den aufsteigenden Zorn in der Stimme des Brehons.
Fidelma blickte auf. Neben ihr stand ein junger Mann ungefähr in ihrem Alter. Er war hochgewachsen, fast sechs Fuß groß, und trug Kriegertracht. Er war glattrasiert, hatte welliges dunkles Haar und schien auf den ersten Blick auf eine rauhe Art hübsch zu sein. Seine Züge waren angenehm und anziehend. Sie hatte keine Zeit, ihn genauer zu betrachten. Sie bemerkte, daß er einen Halsreifen von gedrehtem Gold mit reichen Verzierungen trug, der ihn als Mitglied des Ordens vom Goldenen Halsreifen auswies, der ausgewählten Leibgarde der Könige von Muman. Er wandte sich mit einem freundlichen Lächeln an sie.
»Verzeihung, Schwester Fidelma. Ich habe den Auftrag, dich in Cashel willkommen zu heißen und dich sofort zu deinem Bruder zu führen. Wenn du so gut sein würdest, mir zu folgen …?«
Sie zögerte, doch Forbassach hatte sich grollend einer kleinen Gruppe zugewandt, die murmelnd zusammenstand und Blicke in ihre Richtung warf. Fidelma war ratlos. Doch sie ging darüber hinweg, folgte dem jungen Krieger durch die Halle und beeilte sich, um mit seinem ruhigen, aber ausladenden Schritt mitzuhalten.
»Das verstehe ich nicht, Krieger.« Sie keuchte ein wenig im Bestreben, neben ihm zu bleiben. »Was tut Forbassach von Fearna hier? Weshalb ist er so verärgert?«
Der Krieger gab einen Laut von sich, der sehr einem verächtlichen Schnaufen ähnelte.
»Forbassach ist der Gesandte des neuen Königs von Laigin, des jungen Fianamail.«
»Das erklärt weder seine unfreundliche Begrüßung noch die Tatsache, daß alle so trübsinnig sind. Cashel war früher immer ein Palast, den Lachen erfüllte.«
Der Krieger wirkte verlegen.
»Dein Bruder wird dir erklären, wie es steht, Schwester.«
Er erreichte eine Tür, doch bevor er klopfen konnte, wurde sie von innen aufgerissen.
»Fidelma!«
Ein junger Mann kam eilig aus der Tür heraus. Schon ein flüchtiger Blick verriet, daß er und Fidelma verwandt waren. Sie waren von dem gleichen hohen Wuchs, hatten das gleiche rote Haar und die wandelbaren grünen Augen, und sie besaßen die gleiche Gesichtsstruktur und Bewegungshaltung.
Bruder und Schwester umarmten sich herzlich. Atemlos hielten sie sich dann auf Armeslänge und betrachteten einander prüfend.
»Die Jahre sind gut zu dir gewesen, Fidelma«, stellte Colgú mit Befriedigung fest.
»Auch zu dir, Bruder. Ich machte mir Sorgen, als ich deine Botschaft erhielt. Es sind viele Jahre vergangen, seit ich zuletzt in Cashel war. Ich fürchtete, dir könnte ein Unglück zugestoßen sein. Aber du siehst gesund und munter aus. Doch diese Leute in der großen Halle, weshalb sind sie so düster und melancholisch?«
Colgú mac Failbe Fland zog seine Schwester in das Zimmer und wandte sich zu dem hochgewachsenen Krieger um: »Ich lasse dich später holen, Cass«, sagte er, ehe er die Tür schloß. Sie befanden sich in einem Empfangsraum, in einer Ecke glomm ein Feuer. Ein Diener trat mit einem Tablett auf sie zu, auf dem zwei Becher mit Glühwein standen. Leichter Dampf stieg von dem heißen Getränk auf. Der Diener stellte das Tablett auf den Tisch und zog sich unauffällig zurück, während Colgú Fidelma zu einem Stuhl vor dem Feuer führte.
»Wärme dich auf nach dem langen Ritt von Kildare«, meinte er, während draußen nach wie vor der Donner rollte. »Der Tag ist immer noch zornig auf sich selbst«, schloß er, nahm einen Becher mit Glühwein und reichte ihn seiner Schwester.
Fidelma lächelte schelmisch, als sie den Becher hob.
»So ist es. Aber trinken wir auf künftige bessere Tage.« »Dazu sage ich ›amen‹, kleine Schwester«, stimmte Colgú ihr zu.
Fidelma kostete genießerisch den Wein.
»Es gibt viel zu besprechen, Bruder«, sagte sie. »Viel ist geschehen, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Ich bin viel gereist, nach der Insel Colmcille, ins Land der Angelsachsen und sogar nach Rom.« Sie hielt inne, weil sie merkte, daß er sie etwas nachdenklich und besorgt ansah. »Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Warum herrscht eine so melancholische Stimmung im Palast?«
Ihr Bruder runzelte die Stirn.
»Du hast schon immer scharf beobachtet, kleine Schwester«, seufzte er.
»Was ist, Colgú?«
»Ich fürchte, ich habe dich nicht zu einem Familientreffen herkommen lassen«, gestand er leise.
Fidelma sah ihren Bruder an und wartete auf weitere Erklärungen. Als sie nicht kamen, sagte sie ruhig: »Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Was ist los?«
Colgú blickte sich beinahe ängstlich um, als wolle er sichergehen, daß ihn niemand hören könne.
»Der König …«, begann er. »König Cathal ist von der Gelben Pest befallen worden. Er liegt in seinem Zimmer im Sterben. Die Ärzte geben ihm nicht mehr viel Zeit.«
Fidelma schloß die Augen, doch im Innersten war sie von der Neuigkeit nicht überrascht. Seit zwei Jahren verbreitete sich die Gelbe Pest nun schon durch Europa und dezimierte die Bevölkerung. Zehntausende waren ihr zum Opfer gefallen. Sie verschonte weder den niederen Bauern noch den selbstbewußten Bischof, noch die erhabenen Könige. Erst vor achtzehn Monaten, als die Pest Éirann erreichte, waren die gemeinsam regierenden Großkönige von Irland, Blathmac und Diarmuid, beide innerhalb weniger Tage in Tara daran gestorben. Vor wenigen Monaten war Fáelán, der König von Laigin, ihr erlegen. Und die Pest wütete unvermindert weiter. Im ganzen Land gab es zahllose Waisenkinder, deren Eltern die Pest hinweggerafft hatte und die nun hilflos verhungerten. Einige Glaubensmänner, wie der Abt Ultan von Ardbraccan, hatten Waisenhäuser eingerichtet und die Pest bekämpft, während andere sich verhielten wie Colmán, der Rektor der Hochschule des heiligen Finnbarr in Cork, der einfach seine fünfzig Schüler genommen hatte und mit ihnen auf eine einsame Insel geflohen war, um der Pest zu entgehen. Fidelma wußte sehr gut, was für eine Geißel die Gelbe Pest war.
»Hast du mich deshalb kommen lassen?« fragte sie. »Weil unser Vetter stirbt?«
Colgú schüttelte rasch den Kopf.
»König Cathal hat mir befohlen, dich holen zu lassen, noch bevor ihn das Fieber der Pest ergriff. Jetzt kann er dir keine Anweisungen mehr geben, das fällt nun mir zu.«
Er berührte ihren Ellbogen. »Aber erst mußt du dich von der Reise ausruhen. Danach ist immer noch Zeit dafür. Komm, ich habe dir dein altes Zimmer herrichten lassen.«
Fidelma versuchte einen Seufzer der Ungeduld zu unterdrücken.
»Du kennst mich gut genug, Bruder. Du weißt, daß ich nicht ruhen kann, solange es ein Geheimnis zu enträtseln gibt. Du stachelst meine Phantasie nur noch an. Komm, erklär mir, worum es sich handelt, dann kann ich mich ausruhen.«
Colgú setzte zum Sprechen an, als man zornig erhobene Stimmen vernahm. Man hörte ein Handgemenge, und Colgú war aufgesprungen, um zu sehen, was da vor sich ging, als die Tür aufflog und Forbassach von Fearna ihm entgegentrat. Er war rot im Gesicht und atmete schwer vor Anstrengung.
Hinter ihm stand der junge Krieger Cass und hatte sein hübsches Gesicht ärgerlich verzogen.
»Verzeihung, Mylord. Ich konnte ihn nicht aufhalten.«
Colgú betrachtete den Gesandten des Königs von Laigin mit Mißfallen.
»Was hat dieses unhöfliche Benehmen zu bedeuten, Forbassach? Hast du dich vergessen?«
Forbassach reckte arrogant und verachtungsvoll das Kinn vor.
»Ich brauche eine Antwort, die ich Fianamail, dem König von Laigin, überbringen kann. Dein König liegt im Sterben, Colgú. Deshalb ist es an dir, auf die Vorwürfe von Laigin zu antworten.«
Fidelma machte eine undurchdringliche Miene, um ihren Ärger darüber zu verbergen, daß sie den Sinn dieser Konfrontation nicht verstand.
Colgú errötete vor Zorn.
»Noch lebt Cathal von Muman, Forbassach. Solange er lebt, ist er es, der auf deine Vorwürfe antwortet. Du hast soeben die Gastfreundschaft dieses Hofes verletzt. Als Thronfolger verlange ich, daß du diesen Ort verläßt. Wenn der Hof von Cashel dir etwas mitzuteilen hat, wird er dich rufen lassen.«
Forbassachs schmale Lippen verzogen sich zu einem herablassenden Lächeln.
»Ich weiß, daß du die Antwort nur hinauszögern willst, Colgú. Sobald ich sah, daß deine Schwester Fidelma von Kildare angekommen ist, war mir klar, daß du versuchen wirst, uns hinzuhalten und Ausflüchte zu machen. Das wird dir nichts nützen. Laigin verlangt immer noch eine Antwort. Laigin verlangt Gerechtigkeit!«
Colgú konnte sichtlich nur mühsam seinen Zorn beherrschen.
»Fidelma, erkläre mir das Gesetz.« Er sprach seine Schwester an, ohne den Blick von Forbassach abzuwenden. »Dieser Abgesandte von Laigin hat, meine ich, die Grenzen des geheiligten Gastrechts überschritten. Er ist eingedrungen, wo er es nicht durfte, und er hat uns beleidigt. Darf ich befehlen, daß er mit Gewalt von diesem Hof entfernt wird?«
Fidelma sah den hochmütigen Brehon von Fearna an.
»Entschuldigst du dich für dein unberechtigtes Eindringen in ein privates Gemach, Forbassach?« fragte sie. »Und tust du Abbitte für dein beleidigendes Verhalten gegenüber dem Thronfolger von Cashel?«
Forbassach reckte das Kinn noch höher, und seine Miene verdüsterte sich noch mehr.
»Ich doch nicht.«
»Dann müßtest du als Brehon das Gesetz kennen. Du mußt diesen Hof sofort verlassen.«
Colgú sah den Krieger namens Cass an und nickte ihm kaum merklich zu.
Der hochgewachsene Mann legte Forbassach die Hand auf die Schulter.
Der Abgesandte von Laigin wand sich unter seinem Griff, und sein Gesicht rötete sich.
»Fianamail von Laigin wird von dieser Beleidigung erfahren, Colgú. Sie wird deine Schuld noch vergrößern, wenn du von der Ratsversammlung des Großkönigs in Tara gerichtet wirst!«
Der Krieger hatte den Abgesandten von Laigin ohne sichtbare Gewaltanwendung herumgedreht und ihn zur Tür hinausgeschoben. Dann schloß er sie hinter ihm mit einer entschuldigenden Geste zu Colgú.
Fidelma wandte sich an ihren Bruder, der nun seine steife Haltung lockerte.
»Ich glaube, es wird Zeit, daß du mir erklärst, was sich hier wirklich abspielt«, sagte sie mit ruhiger Bestimmtheit.
Colgú schien die Antwort erneut aufschieben zu wollen, doch als er das Funkeln in den Augen seiner jüngeren Schwester sah, überlegte er es sich anders.
»Na schön«, antwortete er. »Aber gehen wir lieber da hin, wo wir offener sprechen können und nicht noch mal unterbrochen werden. Es gibt viele Lauscher, die den Königen von Muman übel gesonnen sind.«
Fidelma hob überrascht die Augenbrauen, sagte aber nichts dazu. Sie wußte, daß ihr Bruder nicht zu Übertreibungen neigte.
Sie folgte ihm wortlos aus dem Zimmer und durch die Korridore des Palastes, deren Steinwände mit reichen Teppichen verkleidet und mit Kunstgegenständen geschmückt waren, die die Eóganacht-Könige im Laufe der Jahrhunderte gesammelt hatten. Colgú führte sie durch einen großen Raum, den sie als die Tech Screptra, das scriptorium oder die Bibliothek des Palastes, kannte, wo sie als kleines Mädchen lesen und schreiben gelernt hatte. Neben eindrucksvollen illustrierten Pergamenttexten enthielt die Tech Screptra einige der alten Bücher von Muman. Darunter befanden sich die »Stäbe der Dichter«, Stöcke aus Espen- oder Haselholz, in die die Schreiber der Vorzeit ihre Sagas, Gedichte und Geschichten in Ogham eingeritzt hatten, der alten Schrift, die noch in Teilen von Muman in Gebrauch war. In dieser Tech Screptra waren die Phantasie und der Wissensdurst des kleinen Mädchens wachgerufen worden.
Fidelma blieb kurz stehen, beinahe überwältigt von Nostalgie, und hing lächelnd ihren Erinnerungen nach. Mehrere Glaubensbrüder saßen dort und brüteten im Licht der blakenden Talgkerzen über den Büchern.
Sie merkte, daß Colgú ungeduldig auf sie wartete.
»Wie ich sehe, öffnet ihr auch weiterhin die Bibliothek den Gelehrten der Kirche«, meinte sie beifällig, als sie zusammen weitergingen. Die große Bibliothek von Cashel war das persönliche Eigentum der Könige von Muman.
»Das wird nie anders sein, solange wir im Glauben bleiben«, antwortete Colgú fest.
»Ich habe aber gehört, daß gewisse engstirnige Glaubensmänner die alten Texte, die ›Stäbe der Dichter‹, mit der Begründung verbrennen, daß sie von götzenanbetenden Heiden geschrieben wurden. In Cashel gibt es viele solcher Bücher. Schützt ihr sie vor solcher Intoleranz?«
»Solche Intoleranz ist doch bestimmt nicht mit unserem Glauben vereinbar, kleine Schwester?« bemerkte Colgú trocken.
»Das würde ich auch sagen. Andere vielleicht nicht. Man berichtete mir, Colmán von Cork habe vorgeschlagen, alle heidnischen Bücher zu vernichten. Doch ich finde, es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Schätze unseres Volkes nicht verbrannt werden und verlorengehen, nur weil die Intoleranz in Mode kommt.«
Colgú lachte belustigt.
»Die Frage ist überhaupt akademisch. Colmán von Cork ist aus Furcht vor der Pest aus dem Lande geflohen. Seine Stimme zählt nicht mehr.«
Sie durchquerten die winzige Familienkapelle. In Fidelmas Familie wurden viele Geschichten überliefert, wie der heilige Patrick selbst nach Cashel gekommen war, um ihren Ahnherrn, König Conall Corc, zum neuen Glauben zu bekehren. Eine besagte, er habe das Kleeblatt, das seamróg, dazu benutzt, Conall die heilige Dreieinigkeit zu erklären. Dabei war das nicht schwer zu verstehen, denn alle heidnischen Götter des alten Irland waren dreieinige Götter, vereinigten drei Personen in einem Gott.
Sie gelangten in die Privaträume der Familie und ihrer engsten Gefolgsleute, die hinter den allgemein zugänglichen Empfangsräumen lagen.
Ihr Zimmer war für sie hergerichtet worden, in dessen Kamin ein frisch entfachtes Feuer loderte. Es war das Zimmer, in dem sie geboren worden war und ihre ersten Lebensjahre verbracht hatte. Es war kaum verändert worden.
Vor dem Feuer stand ein Tisch mit Speisen und Wein.
Colgú bedeutete seiner Schwester, sich auf einem Stuhl niederzulassen.
»Essen wir erst, und dabei werde ich versuchen, dir zu erklären, warum König Cathal dich herrufen ließ.«
Fidelma gehorchte. Sie hatte eine lange und anstrengende Reise hinter sich und war heißhungrig.
»Bist du sicher, daß unser Vetter zu krank ist, um mich zu sehen?« erkundigte sie sich, bevor sie die Mahlzeit begann. »Ich habe keine Angst vor der Gelben Pest. Seit zwei Jahren bin ich ihr oftmals begegnet und gesund geblieben. Und wenn ich ihr zum Opfer fallen sollte, nun, dann war es Gottes Wille.«
Colgú schüttelte traurig den Kopf.
»Cathal ist nicht einmal mehr in der Lage, mich zu erkennen. Sein Arzt meint, er werde diese Nacht nicht überleben. Forbassach von Laigin hatte tatsächlich recht. Es ist jetzt meine Pflicht, auf seine Forderungen zu antworten.«
Fidelma preßte die Lippen zusammen, als sie begriff, was das bedeutete.
»Wenn Cathal heute nacht stirbt, dann wirst du …?«
Sie hielt inne im Bewußtsein, daß es ungehörig war, diesen Gedanken auszusprechen, solange ihr älterer Vetter noch am Leben war.
Doch Colgú beendete ihren Satz mit einem bitteren Lachen.
»Dann werde ich König von Muman? Ja, genau das bedeutet es.«
Wie alle irischen Könige und Fürsten, waren die Eóganacht-Könige von den derbfhine ihrer Familien, das heißt von allen lebenden Nachkommen von einem gemeinsamen Urgroßvater, in dieses Amt gewählt worden. Beim Tode eines Königs kamen sie zusammen und wählten denjenigen von ihnen, der als nächster den Thron besteigen sollte. Es traten also nicht notwendigerweise die Söhne das Erbe des Vaters an. Failbe Fland, der Vater Colgús und Fidelmas, war König in Cashel gewesen. Er war vor sechsundzwanzig Jahren gestorben, als Fidelma und Colgú noch Kinder waren.
Um für irgendein Amt im Lande in Frage zu kommen, mußte der Kandidat jedoch mindestens das »Alter der Wahl« erreicht haben, das vierzehn Jahre für ein Mädchen und siebzehn Jahre für einen Jungen betrug. Failbe Flands Vettern waren ihm in seinem Amt gefolgt, bis man drei Jahre zuvor Cathal mac Cathail zum König von Muman gewählt hatte.
Es war Brauch und Gesetz, auch den Thronfolger, den tánaiste, schon zu Lebzeiten eines Königs zu bestimmen. Als Cathal König von Cashel wurde, hatte man Fidelmas Bruder Colgú zu seinem tánaiste gewählt.
Wenn also Cathal starb, würde er König von Muman werden, dem größten der fünf Königreiche von Éirann.
»Du übernimmst eine schwere Verantwortung, Bruder«, sagte sie und legte ihm die Hand auf den Arm.
Er seufzte und nickte langsam.
»Ja. Selbst in guten Zeiten sind mit dem Amt viele schwere Bürden verbunden. Aber jetzt sind die Zeiten schlecht, Fidelma. Das Königreich steht vor vielen Problemen. Das größte Problem ist erst vor wenigen Tagen aufgetaucht, und deshalb hatte Cathal nach dir geschickt, als er noch nicht so krank war. Seit du von hier fort bist, kleine Schwester, hat sich dein Ruf als Brehon, als Anwältin am Gericht und als Aufdeckerin von Geheimnissen weit verbreitet. Wir haben davon gehört, welche Dienste du dem Großkönig geleistet hast, dem König von Northumbrien und selbst dem Heiligen Vater in Rom.«
Fidelma machte eine abwehrende Geste.
»Ich befand mich zufällig an den Orten, wo mein Talent gebraucht wurde«, antwortete sie. »Jeder, der einen logischen Verstand besitzt, hätte die Probleme ebenso lösen können.«
Colgú lächelte sie an.
»Du warst noch nie eingebildet, Schwester.«
»Zeig mir eine eingebildete Person, und ich weise dir ihre Mittelmäßigkeit nach. Aber was hat das alles mit Forbassach von Fearna zu tun?«
»Das erfährst du gleich. König Cathal glaubte, du könntest ein Rätsel lösen, das die Sicherheit des Königreichs bedroht. Eigentlich bedroht es sogar den Frieden der fünf Königreiche von Éirann.«
»Welches Rätsel?« fragte Fidelma und machte sich an die Mahlzeit, die man für sie vorbereitet hatte.
»Hast du von dem Ehrwürdigen Dacán gehört?«
Fidelma hob leicht eine Augenbraue bei Nennung dieses Namens.
»Wer hätte das nicht?« erwiderte sie rasch. »In einigen Kreisen wird er schon als Heiliger betrachtet. Er ist ein Lehrer und Theologe von nicht geringen Fähigkeiten. Sein Bruder, der Abt Noé von Fearna, ist der persönliche Berater des Königs von Laigin und gilt als ebenso fromm wie sein Bruder. Beide genießen hohe Achtung und großes Ansehen. In vielen Gegenden der fünf Königreiche hört man von ihrer Weisheit und Mildtätigkeit.«
Colgú nickte langsam zu Fidelmas begeisterter Schilderung. Ein müder Ausdruck trat in sein Gesicht, als gefalle ihm nicht, was er da vernahm, er habe aber nichts anderes erwartet.
»Du weißt, daß es in letzter Zeit Feindseligkeiten zwischen den Königreichen Muman und Laigin gegeben hat?«
»Ich habe gehört, daß, seit vor ein paar Monaten der alte König Fáelán an der Pest gestorben ist, der neue König Fianamail Mittel und Wege sucht, sein Ansehen zu erhöhen, indem er Streit mit Muman anfängt«, stimmte sie zu.
»Und wie könnte er sein Ansehen besser erhöhen, als dadurch, daß er einen Anlaß findet, um von Muman die Rückgabe des Kleinkönigtums Osraige zu fordern«, stellte Colgú bitter fest.
Fidelma spitzte die Lippen zu einem lautlosen Pfiff der Überraschung.
Osraige war ein Kleinkönigreich, das seit langem die Ursache schlechter Beziehungen zwischen den beiden größeren Königreichen Muman und Laigin bildete. Es erstreckte sich in nordsüdlicher Richtung entlang dem Fluß Feoir. Vor Jahrhunderten, als die Könige von Muman als Großkönige über alle fünf Königreiche von Éirann herrschten, unterstand Osraige der Schutzherrschaft der Könige von Laigin. Als Edirsceál von Muman Großkönig wurde, beschlossen die Männer von Laigin, ihn umzubringen, damit Nuada Necht von Laigin seinen Platz einnehme. Der König wurde ermordet, doch die Täter wurden entdeckt. Der Sohn von Edirsceál, Conaire Mór, wurde später Großkönig, und er und seine Brehons berieten, welchen Sühnepreis das Königreich Laigin als Entschädigung für diese Schandtat an Muman zahlen sollte. Es wurde beschlossen, daß Laigin das Königreich Osraige abzutreten habe. Von da an gehörte Osraige zum Königreich Muman, und seine Kleinkönige entrichteten ihren Tribut in Cashel und nicht mehr in Fearna, der Hauptstadt von Laigin.
Immer mal wieder protestierten die Könige von Laigin beim Großkönig und forderten die Rückgabe von Osraige. Doch sechs Jahrhunderte waren vergangen seit den Tagen von Conaire Mór, als Osraige an Muman fiel. Jeder Protest war von der Großen Ratsversammlung der Brehons von Éirann abgelehnt worden, die alle drei Jahre im Königspalast in Tara zusammentrat. Strafe und Entschädigung waren als gerecht bestätigt worden.
Fidelma richtete den Blick wieder auf das besorgte Gesicht ihres Bruders.
»Aber wenn Fianamail auch ein junger und unerfahrener König ist, wird er doch wohl nicht daran denken, Osraige mit Gewalt zurückzuholen?«
Ihr Bruder machte eine bejahende Geste.
»Nicht mit Gewalt allein, Fidelma«, sagte er. »Kennst du die innenpolitische Lage in Osraige?«
Fidelma wußte wenig von diesem Königreich und gab es auch zu.
»Aus Gründen, die jetzt zu umständlich zu erklären wären, wurden vor fast zweihundert Jahren die angestammten Könige von Osraige durch eine Familie aus dem Clan der Corco Loígde im Südwesten des Königreichs abgelöst. Seitdem hat es in Osraige ständig Unruhen gegeben. Die Corco Loígde sind nicht populär. Ab und zu gab es Aufstände in Osraige, um sie zu stürzen. Vor weniger als einem Jahr wurde Illan, der letzte Nachkomme der angestammten Könige von Osraige mit Anspruch auf den Königstitel, von dem gegenwärtigen König Scandlán umgebracht. Natürlich gehört Scandlán der herrschenden Familie der Corco Loígde an.«
Colgú hielt einen Moment inne und ordnete seine Gedanken, ehe er fortfuhr.
»Es heißt, Illan habe einen Erben. Gerüchte besagen, dieser Erbe, wenn es ihn denn gibt, würde sich gern mit Laigin einigen, wenn Laigin verspricht, ihm bei der Absetzung der Corco Loígde als Könige zu helfen.«
»Das würde Krieg zwischen Laigin und Muman bedeuten; Laigin müßte Osraige mit Gewalt zurückholen«, erklärte Fidelma.
Ihr Bruder beugte sich mit unglücklicher Miene vor.
»Doch wenn nun eine Tat geschehen wäre, die genau der ähnelt, für die Laigin seinerzeit Osraige abtreten mußte?«
Fidelma richtete sich auf, und ihre Muskeln spannten sich. Colgú blickte düster drein.
»Du hast bestätigt, daß du weißt, welches Ansehen der Ehrwürdige Dacán von Laigin bei vielen Menschen genießt. Er war ein frommer und verehrter Mann. Und du hast bestätigt, daß du weißt, daß sein Bruder, Noé von Fearna, sowohl von seinem König Fianamail als auch vom Volk der fünf Königreiche ähnlich hoch geschätzt wird.«
Fidelma bemerkte, daß Colgú die Vergangenheitsform benutzte, schwieg aber.
»Vor zwei Monaten«, fuhr Colgú mit Besorgnis in der Stimme fort, »kam der Ehrwürdige Dacán nach Cashel und bat den König, hier arbeiten zu dürfen. Dacán hatte von der Arbeit gehört, die in der Abtei des heiligen Fachtna in Ros Ailithir geleistet wird, und wollte sich der Gemeinschaft dort anschließen. Natürlich hieß König Cathal einen so gelehrten und geachteten Wissenschaftler wie Dacán in seinem Reich willkommen.«
»Also begab sich Dacán nach Ros Ailithir?« fragte Fidelma, als Colgú verstummte.
»Vor acht Tagen erhielten wir die Nachricht, daß der Ehrwürdige Dacán in seiner Zelle in der Abtei ermordet wurde.«
Fidelma war es sofort klar, daß der Tod des Ehrwürdigen Dacán, auch wenn das Sterben durch das Wüten der Pest alltäglich geworden war, nachhaltiges Aufsehen in allen fünf Königreichen erregen würde, noch dazu, wenn er durch Gewaltanwendung eingetreten war.
»Willst du damit sagen, daß du meinst, der neue König von Laigin, Fianamail, werde Dacáns Tod dazu benutzen, als Entschädigung die Rückkehr des Gebiets von Osraige in seinen Herrschaftsbereich zu fordern?«
Colgú duckte sich unwillkürlich.
»Ich meine es nicht nur, ich weiß es. Bereits gestern ist Forbassach von Fearna als Gesandter des Königs Fianamail von Laigin hier angekommen.«
In Fearna befand sich sowohl der Sitz der Könige von Laigin als auch Noés Abtei.
»Wie kann die Nachricht sie so schnell erreicht haben?« fragte Fidelma.
Colgú hob die Hände.
»Ich vermute, es ist sofort jemand von Ros Ailithir losgeritten, um Dacáns Bruder Noé in Fearna zu verständigen.«
»Logisch«, stimmte Fidelma zu. »Aber was hat dieser arrogante Forbassach in der Angelegenheit zu sagen?«
»Der Gesandte von Fianamail hat seine Forderungen genau formuliert. Es müsse nicht nur das éric-Bußgeld bezahlt werden, die festgelegte Geldstrafe, sondern auch als Sühnepreis die Rückgabe aller Herrschaftsrechte über Osraige an Laigin erfolgen. Lehnen wir das ab, will Fianamail es auf blutigem Wege durchsetzen. Du kennst die Gesetze besser als ich, Fidelma. Haben sie das Recht, solche Ansprüche zu stellen? Ich fürchte, ja, denn Forbassach ist nicht dumm.«
Fidelma preßte nachdenklich die Lippen zusammen.
»Unser Rechtssystem gestattet es, einen Mord durch die Zahlung einer Entschädigung zu sühnen, durch das éric-Bußgeld, wie du richtig sagst. Es beträgt sieben cumals, den Gegenwert von einundzwanzig Milchkühen. Doch wenn das Opfer ein Mann oder eine Frau von Rang und Bedeutung ist, dann haben die Verwandten des Opfers das Recht, einen Sühnepreis, den lóg n-enech, zu fordern. Das war auch das Gesetz, nach dem Conaire Mór seinerzeit Osraige für Muman forderte. Wenn der Täter diesen Sühnepreis nicht entrichten kann, wird erwartet, daß seine Verwandten dafür aufkommen. Wird er nicht gezahlt, dürfen die Verwandten des Opfers eine Blutfehde, dígal genannt, beginnen, um den Sühnepreis zu erlangen. Doch das bedeutet nicht, daß dem König von Laigin dieses Recht zusteht. Es sind noch mehrere Fragen zu klären.«
»Gib mir einen Rat, Fidelma«, bat Colgú und beugte sich vor.
»Welches Anrecht hat Fianamail in dieser Angelegenheit? Nur Verwandtschaft berechtigt dazu, einen Sühnepreis zu benennen und zu fordern.«
»Fianamail ist ein Vetter von Dacán und spricht für seine Sippe. Darin wird er auch von Noé, dem Bruder Dacáns, unterstützt.«
Fidelma erlaubte sich einen tiefen Seufzer.
»Das gestattet Fianamail allerdings, seinen Anspruch zu erheben. Aber unterstützt ihn Abt Noé tatsächlich in seinen Forderungen? Sie führen doch mit Sicherheit zu Blutvergießen. Noé ist ein herausragender Vertreter des Glaubens und wird geliebt und geachtet wegen seiner versöhnenden Lehren und seiner Handlungen der Vergebung. Wie kann er dann zu einer solchen Rache aufrufen?«
»Dacán war schließlich Noés Bruder«, erklärte Colgú.
»Trotzdem kann ich mir schwer vorstellen, daß Noé sich so verhält.«
»Nun, er tut es jedenfalls. Aber du hast angedeutet, daß es noch andere Gründe gibt, weshalb Laigin keinen Sühnepreis von Muman verlangen könne. Welche?«
»Die Strafen können nur über die Familie der Person verhängt werden, die für Dacáns Tod verantwortlich ist. Wer hat Dacán getötet? Nur wenn ein Mitglied unserer Familie, der Eóganachta als Königsfamilie von Muman, dafür haftbar ist, kann Laigin einen Sühnepreis von Muman fordern.«
Colgú machte eine hilflose Geste.
»Wir wissen nicht, wer Dacán getötet hat, doch die Abtei Ros Ailithir wird von unserem Vetter Brocc geleitet. Ihm als Abt wird die Schuld am Tode Dacáns angelastet.«
Fidelma kniff die Augen zusammen, um ihre Überraschung zu verbergen. Sie hatte eine vage Erinnerung an ihren älteren Vetter, für ihren Bruder und sie stellte er eine ferne und unfreundliche Gestalt dar.
»Was veranlaßt den König von Laigin, unserem Vetter die Schuld am Tode Dacáns zu geben? Tut er es einfach nur, weil Brocc für die Sicherheit aller verantwortlich ist, die sich in seiner Abtei aufhalten, oder hat er ihm etwas vorzuwerfen?«
»Das weiß ich nicht«, gestand ihr Bruder. »Aber ich glaube nicht, daß Fianamail von Laigin leichtfertig eine Anschuldigung erheben würde.«
»Hat man schon Schritte unternommen, um das festzustellen?«
»Fianamails Gesandter hat lediglich erklärt, daß alle Beweismittel und Aussagen dem Großkönig und seinem Oberrichter bei der großen Ratsversammlung in Tara vorgelegt werden. Man wird die Versammlung ersuchen, Laigin zu unterstützen und Osraige Fianamail zu übertragen.«
Fidelma dachte nach.
»Wie kann Fianamail so sicher sein, daß er die Verantwortung von Muman für Dacáns Tod beweisen kann? Sein Gesandter Forbassach ist eitel und arrogant, aber er ist ein ollamh bei Gericht. Selbst seine Freundschaft mit dem König von Laigin und sein Stolz als Mann von Laigin würden ihn nicht blind gegenüber dem Gesetz machen. Er muß wissen, daß die Beweise ausreichen, einen solchen Anspruch vor dem Gericht des Großkönigs zu erheben. Worin besteht dieses Beweismaterial?«
Colgú wußte darauf keine Antwort. Er entgegnete: »Fidelma, die Ratsversammlung in Tara tritt in drei Wochen zusammen. Wir haben also nicht viel Zeit, das herauszufinden.«
»Das Gesetz schreibt eine Spanne von einem Monat nach der Entscheidung der Ratsversammlung vor, ehe Fianamail mit einem Heer in Osraige einmarschieren und das Gebiet gewaltsam in Besitz nehmen darf, wenn es nicht friedlich übergeben wird«, erklärte Fidelma.
»Dann bleiben uns also sieben Wochen, bevor Blutvergießen und Krieg in diesem Lande ausbrechen?
»Vorausgesetzt, daß die Entscheidung zugunsten von Laigin ausfällt«, erwiderte Fidelma. »Hier liegt vieles im dunkeln, Colgú. Falls Fianamail nicht etwas weiß, was wir nicht wissen, sehe ich nicht, weshalb der Großkönig und seine Ratsversammlung ein Urteil gegen Muman fällen sollten.«
Colgú schenkte noch zwei Gläser Wein ein und reichte eines seiner Schwester mit einem trüben Lächeln.
»Das waren genau die Worte unseres Vetters Cathal, bevor ihn das Fieber niederwarf. Aus diesem Grunde bat er mich, nach dir zu schicken. Am Morgen, nach dem der Bote nach Kildare losgeritten war, ergriff ihn das Fieber. Wenn die Ärzte recht behalten, bin ich König, bevor die Woche vergangen ist. Wenn es Krieg gibt, muß ich damit zurechtkommen.«
»Das wäre kein guter Anfang für deine Herrschaft, Bruder«, stimmte ihm Fidelma zu, nippte an ihrem Wein und überdachte den Fall sorgfältig. Dann hob sie den Blick und betrachtete das sorgenvolle Gesicht ihres Bruders. »Gibst du mir den Auftrag, den Tod Dacáns zu untersuchen und dir die entsprechenden Beweise vorzulegen?«
»Und dem Großkönig«, fügte Colgú rasch hinzu. »Du hast die Vollmacht von Muman, diese Untersuchung durchzuführen. Ich bitte dich auch, uns als Anwältin vor der Ratsversammlung des Großkönigs zu vertreten.«
Fidelma schwieg lange.
»Sag mir eines, Bruder: Angenommen, die Resultate meiner Nachforschungen fallen zugunsten des Königs von Laigin aus? Wenn nun die Eóganachta für den Tod Dacáns verantwortlich sind? Wenn der König von Laigin das Recht hat, Osraige als Sühnepreis von Cashel zu verlangen? Wenn all diese unangenehmen Vermutungen durch meine Feststellungen bestätigt werden? Wirst du dich dann dem Urteil des Gesetzes beugen und Laigins Forderung erfüllen?«
Widerstreitende Empfindungen spiegelten sich im Gesicht ihres Bruders, während er sich zu einem Entschluß durchrang.
»Wenn du mich persönlich fragst, Fidelma, würde ich mit ja antworten. Ein König muß sich nach dem geltenden Gesetz richten. Doch ein König muß auch für das Wohl seines Volkes sorgen. Haben wir nicht den alten Spruch: Was stellt das Volk über den König? Das Volk ernennt den König, nicht der König das Volk. Ein König muß dem Willen seines Volkes gehorchen. Also erwarte nicht von mir, daß ich für alle Fürsten und Stammeshäupter dieses Reiches spreche, schon gar nicht für die von Osraige. Ich fürchte, sie werden nicht bereit sein, einen solchen Sühnepreis zu zahlen.«
Fidelma sah ihn fest an.
»Das bedeutet Krieg«, sagte sie leise.
Colgú versuchte grimmig zu lächeln.
»Wir haben noch drei Wochen bis zur Ratsversammlung, Fidelma. Und wie du sagst, noch sieben Wochen bis zum Vollzug des Urteils, wenn die Entscheidung gegen uns fällt. Gehst du nach Ros Ailithir und findest heraus, wer Dacán getötet hat?«
»Darum brauchst du mich nicht erst zu bitten, Colgú. Ich bin schließlich deine Schwester.«
Colgús Schultern sanken erleichtert herab, und er stieß einen leisen, tiefen Seufzer aus.
Fidelma streichelte ihm den Arm.
»Aber erwarte nicht zu viel von mir, Bruder. Ros Ailithir ist mindestens drei Tagereisen von hier entfernt, und es liegt unwegsames Gelände dazwischen. Ich soll also hinreisen, ein Geheimnis aufdecken und rechtzeitig zurück sein, um ein Plädoyer für die Ratsversammlung in Tara vorzubereiten? Damit verlangst du wirklich ein Wunder von mir.«
Colgú nickte.
»Ja, König Cathal und ich verlangen ein Wunder von dir, Fidelma. Wenn Männer und Frauen all ihren Mut, ihr Wissen und ihre Klugheit einsetzen, dann sind sie dazu fähig, Wunder zu vollbringen.«
»Dennoch bürdet ihr mir große Verantwortung auf«, stellte sie fest. Sie wußte, daß sie sich nicht gegen diesen Auftrag zu entscheiden vermochte. »Ich werde tun, was ich kann. Heute nacht ruhe ich mich in Cashel aus. Ich hoffe, daß morgen der Sturm nachläßt. Sobald es hell wird, breche ich nach Ros Ailithir auf.«
Colgú lächelte erfreut.
»Und du reist nicht allein, kleine Schwester. Wie du sagst, ist der Weg nach Südwesten beschwerlich, und wer weiß, welche Gefahren dich in Ros Ailithir erwarten? Ich gebe dir einen meiner Krieger mit.«
Fidelma zuckte gleichgültig die Achseln.
»Ich kann mich allein verteidigen. Du vergißt, daß ich mich in der Kunst des troid-sciathagid, der Selbstverteidigung, geübt habe.«
»Wie könnte ich das vergessen?« lachte Colgú. »Oft genug hast du mich in unserer Jugend im waffenlosen Kampf besiegt. Aber freundschaftlicher Kampf ist eine Sache, Fidelma, ernsthafter Waffengang eine andere.«
»Das brauchst du mir nicht zu erklären, Bruder. Viele unserer Missionare, die in die Reiche der Sachsen oder der Franken gehen, lernen diese Methode der Selbstverteidigung, um ihr Leben schützen zu können. Sie hat mir schon gute Dienste geleistet.«
»Trotzdem muß ich darauf bestehen, daß dich einer meiner erprobten Krieger begleitet.«
Fidelma nahm es gelassen.
»Ich folge deinem Auftrag, Bruder. Du bist hier der tánaiste, und ich verfahre entsprechend deinen Wünschen.«
»Dann sind wir uns einig.« Colgú klang erleichtert. »Ich habe schon einen Mann dafür abgeordnet.«
»Kenne ich den Krieger, den du ausgewählt hast?«
»Du bist ihm bereits begegnet«, erwiderte ihr Bruder. »Es ist der junge Krieger, der vorhin Forbassach hinausgeworfen hat. Er heißt Cass und gehört zur Leibwache des Königs.«
»Ach, der mit dem Lockenkopf?« fragte Fidelma.
»Ja, der. Er ist mein Freund, und ich würde ihm nicht nur mein Leben anvertrauen, sondern auch deines.«
Fidelma lächelte schalkhaft.
»Genau das tust du, Bruder. Wieviel weiß Cass von meinem Auftrag?«
»So viel, wie ich dir davon sagen konnte.«
»Du vertraust ihm also«, stellte Fidelma fest.
»Willst du mit ihm sprechen?« fragte ihr Bruder.
Sie schüttelte den Kopf und unterdrückte ein plötzliches Gähnen.
»Wir haben Zeit genug zur Unterhaltung an den drei Tagen, die wir bis Ros Ailithir brauchen. Jetzt würde ich ein heißes Bad und Schlaf vorziehen.«
Es war keine angenehme Reise durch die weiten Täler und über die hohen Bergketten von Muman. Wenn auch der Sturm am zweiten Tag nachgelassen hatte, so hatte sich doch der Boden unter dem unaufhörlichen Regen in einen Morast verwandelt, klammerte sich an den Hufen und Fesseln ihrer Pferde wie mit angstvollen Händen fest und hemmte ihren Schritt. Die Talsohlen und Grasebenen waren sumpfig und teilweise überflutet, so daß sie sie kaum durchqueren konnten, jedenfalls nicht zügig. Der Himmel sah grau verhangen und drohend aus und ließ keinen Strahl der hellen Herbstsonne durch, die düsteren Wolken hingen immer noch so niedrig wie Bergnebel. Auch der ab und zu durch die fast blattlosen Baumwipfel heulende Wind vermochte dieses Leichentuch nicht zu zerreißen.
Fidelma fror und fühlte sich elend. Das war kein Reisewetter. Wäre die Angelegenheit nicht so dringend gewesen, hätte sie nie daran gedacht, solch einen Ritt zu unternehmen. Sie saß steif auf ihrem Pferd und spürte die Kälte bis ins Mark trotz des schweren Wollmantels und der Kapuze, die normalerweise den eisigen Griff der unwirtlichen Temperaturen abhielten. Selbst in ihren Lederhandschuhen wurden ihre Hände, die die Zügel führten, gefühllos.
Schon mindestens eine Stunde hatte sie nicht mehr mit ihrem Begleiter gesprochen, seit sie in dem Gasthaus an der Straße ihr Mittagsmahl eingenommen hatten. Sie hielt den Kopf gegen den kalten Wind gesenkt und konzentrierte sich darauf, ihr Pferd auf dem schmalen Pfad zu lenken, der den steilen Berg vor ihnen hinaufführte.
Vor ihr ritt Cass, der junge Krieger, ebenso in einen schweren Wollmantel mit Pelzkragen gehüllt; er saß mit betont guter Haltung im Sattel. Fidelma lächelte grimmig in sich hinein und fragte sich, wieviel ihm daran lag, vor ihrem kritischen Blick eine gute Figur abzugeben. Es schickte sich nicht für ein Mitglied der Leibgarde der Könige von Muman, vor der Schwester des Thronfolgers irgendeine Schwäche zu zeigen. Als sie ihn ab und zu in einem unbeobachteten Augenblick in der feuchten Kälte erschauern sah, empfand sie Mitleid mit ihm.
Der Pfad führte um die Kante des Berges herum. Ein kalter Windstoß aus dem Südwesten fuhr ihnen ins Gesicht, als sie hinter der schützenden Felswand hervorkamen. Fidelma spürte einen feinen Salzgeruch in der Luft, der unverkennbar die Nähe des Ozeans verriet.
Cass zügelte sein Pferd und ließ Fidelma aufschließen. Dann wies er über die baumbestandenen Hügel und die wellige Ebene, die in Richtung auf den südlichen Horizont zu verschwimmen schienen. Die Wolken hingen so tief darüber, daß man nicht erkennen konnte, wo die Erde aufhörte und der Himmel begann.
»Wir sollten die Abtei Ros Ailithir noch vor Anbruch der Nacht erreichen«, verkündete Cass. »Vor uns liegt das Land der Corco Loígde.«
Fidelma kniff die Augen zusammen gegen den scharfen Wind und spähte hinunter. Es war ihr nicht sofort eingefallen, daß die Abtei Ros Ailithir im Land des Clans der Corco Loígde lag, als ihr Bruder ihr sagte, daß die Könige von Osraige aus diesem Clan stammten. War das nur Zufall? Sie wußte wenig von den Corco Loígde, außer daß sie einer der großen Clans waren, die zum Königreich Muman gehörten, und daß sie ein stolzes Volk waren.
»Wie heißt dieser Berg?« fragte sie und unterdrückte ein Erschauern.
»Sie nennen ihn den ›Langen Felsen‹«, antwortete Cass. »Es ist der höchste Punkt, bevor wir das Meer erreichen. Hast du die Abtei schon einmal besucht?«
Fidelma schüttelte den Kopf.
»Ich war noch nie in diesem Teil des Reiches, aber ich habe gehört, daß die Abtei am Ende eines engen Meeresarms liegt.«
Der Krieger nickte.
»Ros Ailithir liegt von hier genau im Süden.« Er zeigte die Richtung mit der Hand. Dann zuckte er zusammen, als ihn ein plötzlicher kalter Windstoß voll ins Gesicht traf. »Aber reiten wir hinunter und aus dem Wind heraus, Schwester.«
Er gab seinem Pferd die Sporen, und Fidelma ließ ihn eine Länge vor, ehe sie ihm folgte.
Nicht nur das unangenehme Wetter machte diese Reise so strapaziös, Fidelma stellte fest, daß Cass kein unterhaltsamer Gefährte war. Er verfügte nur über einen geringen Vorrat an leichtem Gesprächsstoff, und Fidelma tadelte sich selbst immer wieder dafür, daß sie ihn ständig mit Bruder Eadulf von Seaxmund's Ham verglich, der in Whitby und Rom ihr Begleiter gewesen war. Zu ihrem Ärger fühlte sie sich merkwürdig verlassen; etwas Ähnliches hatte sie gespürt, als sie sich von Eadulf in Rom verabschiedet hatte, um in ihr Heimatland zurückzukehren. Sie wollte nicht zugeben, daß sie die Gesellschaft des sächsischen Mönchs vermißte. Es war unfair, Cass immer wieder mit Eadulf zu vergleichen, und doch …
Sie hatte wenigstens soviel von dem schweigsamen Krieger erfahren, daß er im Dienste Cathals von Cashel gestanden hatte, seit er das »Alter der Wahl« erreicht und sein Vaterhaus verlassen hatte, um den Dienst am Königshof anzutreten. Seine Allgemeinbildung war nur gering. Er hatte an einer der Militärschulen in Muman studiert, bis er Berufskrieger oder tren-fher geworden war. Er hatte sich in zwei Feldzügen ausgezeichnet und war zum Kommandeur eines catha, einer Einheit von dreitausend Mann, in Kriegszeiten ernannt worden. Doch Cass prahlte nicht mit seinen Waffentaten. Das konnte man ihm wenigstens zugute halten. Fidelma hatte Erkundigungen über ihn eingezogen, ehe sie in Cashel aufbrachen. Sie erfuhr, daß er im Dienste von Muman sieben Einzelkämpfe erfolgreich bestanden hatte und so ein Mitglied des Ordens vom Goldenen Halsreifen und Vorkämpfer des Königs geworden war.
Sie lenkte ihr Pferd vorsichtig hinter ihm her den steilen Pfad hinunter, auf seinen vielen Windungen bald dem Wind ausgesetzt und bald im Windschatten. Als sie den Fuß des Berges erreichten, hatte der böige Sturm etwas nachgelassen, und Fidelma erblickte am westlichen Horizont einen hellen Streifen.
Cass lächelte, als er ihrem Blick folgte.
»Morgen werden die Wolken fort sein«, kündigte er zuversichtlich an. »Der Wind trug das Gewitter vom Südwesten heran. Nun wird er uns schönes Wetter bringen.«
Fidelma antwortete nicht. Irgend etwas in den Hügeln im Südosten hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Zuerst glaubte sie, es sei lediglich eine Reflektion des durch die schweren Wolken brechenden Sonnenlichts. Aber worin sollte es sich spiegeln? Einige Augenblicke später begriff sie, was sie da sah.
»Da drüben brennt es, Cass!« rief sie und zeigte in die Richtung. »Es ist ein großes Feuer, glaube ich.«
Cass folgte ihrer ausgestreckten Hand mit scharfen Augen.
»Tatsächlich ein großes Feuer, Schwester. In der Richtung liegt ein Dorf. Ein armer Weiler mit einer Mönchszelle und einem Dutzend Häusern. Ich kam vor sechs Monaten dort durch, als ich in dieser Gegend war. Es heißt Rae na Scríne, das Heiligengrab an der ebenen Stelle. Was kann da brennen? Sollten wir nachsehen?«
Fiedelma zögerte. Ihre Aufgabe war es, so schnell wie möglich nach Ros Ailithir zu gelangen.
Cass runzelte die Stirn bei ihrem Zaudern.
»Es liegt auf unserem Wege nach Ros Ailithir, Schwester, und in der Zelle wohnt eine junge Nonne, Schwester Eisten. Vielleicht ist sie in Not.« Sein Ton klang vorwurfsvoll.
Fidelma errötete, sie kannte ihre Pflicht. Nur ihre größere Verantwortung gegenüber dem Königreich Muman hatte sie unsicher gemacht.
Statt einer Antwort stieß sie ihrem Pferd die Hacken in die Flanken und trieb es an, gekränkt von Cass' leichtem Tadel ob ihrer Unentschlossenheit.
Sie brauchten einige Zeit, bis sie eine Stelle auf einem kleinen, dicht bewaldeten Hügel erreichten, von wo sie das Dörfchen Rae na Scríne überblicken konnten. Alle Gebäude schienen in Flammen zu stehen, eine schwarze Säule aus Rauch und Brandstücken erhob sich über ihnen. Fidelma parierte ihr Pferd, und Cass rammte sie beinahe. Ein Dutzend Männer mit Schwertern und Brandfackeln in den Händen liefen im Dorf umher. Sie waren offensichtlich die Brandstifter. Ehe Fidelma noch reagieren konnte, bewies ihnen ein wilder Ruf, daß man sie erspäht hatte.
Fidelma wollte Cass warnen und zum Rückzug veranlassen, falls die Männer Feinde wären, doch da bemerkte sie eine Bewegung hinter ihnen bei den Bäumen, die den Weg säumten.
Zwei Männer waren mit gespannten Bogen auf den Weg getreten und zielten auf sie. Sie schwiegen. Es gab nichts zu sagen. Cass wechselte einen Blick mit Fidelma und zuckte nur die Achseln. Sie verhielten sich ruhig und warteten ab; zwei oder drei Männer, die offensichtlich mit das Dorf in Brand gesteckt hatten, stürmten nun den Hügel herauf und blieben vor ihnen stehenblieben.
»Wer seid ihr?« fragte ihr Anführer, ein großer, rotgesichtiger Kerl mit schmutz- und rußbedecktem Gesicht. Er hielt ein Schwert in der Hand, aber nun keine Brandfackel mehr in der anderen. Er trug eine stählerne Sturmhaube auf dem Kopf, einen pelzbesetzten Wollmantel und eine goldene Amtskette. Seine hellen Augen glänzten vom Kampffieber.
»Wer seid ihr?« schrie er wieder. »Was habt ihr hier zu suchen?«
Fidelma starrte ungerührt hinab auf die drohende Gestalt. Ihre gespielte Verachtung verbarg ihre Furcht.
»Ich bin Fidelma von Kildare; Fidelma von den Eóganachta von Cashel«, fügte sie hinzu. »Und wer bist du, daß du Reisende auf der Landstraße anhältst?«