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Gefangen im eiskalten Netz der politischen Intrigen: Der packende Kriminalroman »Tod in München – Rufmord« von Harry Luck jetzt als eBook bei dotbooks. Wenn die Wahrheit keinen Wert mehr hat und Lügen die einzige Währung sind … Der Büroleiter des bayerischen Finanzministers stirbt auf mysteriöse Weise – schon lange wurde gemunkelt, dass er belastbares Material über viele seiner Kollegen gesammelt hat. Gehört zu ihnen auch die Landrätin der Oppositionspartei? Die aktuellen Schlagzeilen gelten nicht ihrer Politik, sondern äußerst pikanten Fotos … Sensationsreporter Frank Litzka und Kommissar Jürgen Sonne folgen der Spur, die bis ins Rotlichtmilieu führt. Schon bald ahnen sie, dass nichts ist, wie es scheint: In München ist die Korruption König – und der Tod lauert da, wo die Wahrheit zu finden ist … »Harry Luck verknüpft Politik, Erotik, Macht und Eitelkeit zu einem hyperbayerischen Thriller.« Die Welt Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Tod in München – Rufmord« von Harry Luck – das furiose Finale der großen München-Krimireihe. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 281
Über dieses Buch:
Wenn die Wahrheit keinen Wert mehr hat und Lügen die einzige Währung sind … Der Büroleiter des bayerischen Finanzministers stirbt auf mysteriöse Weise – schon lange wurde gemunkelt, dass er belastbares Material über viele seiner Kollegen gesammelt hat. Gehört zu ihnen auch die Landrätin der Oppositionspartei? Die aktuellen Schlagzeilen gelten nicht ihrer Politik, sondern äußerst pikanten Fotos … Sensationsreporter Frank Litzka und Kommissar Jürgen Sonne folgen der Spur, die bis ins Rotlichtmilieu führt. Schon bald ahnen sie, dass nichts ist, wie es scheint: In München ist die Korruption König – und der Tod lauert da, wo die Wahrheit zu finden ist …
»Harry Luck verknüpft Politik, Erotik, Macht und Eitelkeit zu einem hyperbayerischen Thriller.« Die Welt
Über den Autor:
Harry Luck wurde 1972 in Remscheid geboren, ist ausgebildeter Redakteur und studierte in München Politikwissenschaften. Er berichtete viele Jahre für verschiedene Medien über Politik, Kultur und Wirtschaft in München und Bayern. Heute lebt er mit seiner Familie in Bamberg, wo er an weiteren Kriminalromanen arbeitet und als Pressesprecher für das Erzbistum tätig ist.
Die Website des Autors: www.harryluck.de/
Der Autor im Internet: www.facebook.com/luck.harry und www.instagram.com/luck_harry/
Harry Luck veröffentlichte bei dotbooks seine Kriminalromane:
»Kaltes Lachen – Ein Fall für Schmidtbauer und van Royen«
»Kaltes Spiel – Ein Fall für Schmidtbauer und van Royen«
»Tod in München – Rachelust. Sonne und Litzka ermitteln«
»Tod in München – Schwarzgeld. Sonne und Litzka ermitteln«
»Tod in München – Angstspiel. Sonne und Litzka ermitteln«
»Tod in München – Machtbeben. Sonne und Litzka ermitteln«
»Tod in München – Rufmord. Sonne und Litzka ermitteln«
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Überarbeitete eBook-Neuausgabe Dezember 2020
Dieses Buch erschien bereits 2008 unter dem Titel »Das Lächeln der Landrätin« im KBV-Verlag.
Copyright © der Originalausgabe 2008 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Kai Gathemann GbR
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / ansharphoto / Andrey tiyk / S.N.Ph / Groundback Atelier
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96148-961-9
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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Rufmord« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)
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Harry Luck
Tod in München – Rufmord
Sonne und Litzka ermitteln
dotbooks.
Dieses Buch greift die Handlung aus »Rachelust« auf, dem ersten Band der »Tod in München«-Reihe. Dabei kommt die Auflösung des Krimis zur Sprache. Wenn Sie auch »Rachelust« noch lesen möchten, empfehlen wir, dieses Buch vorzuziehen!
Hauptkommissar Jürgen Sonne blickte in den Lauf der Heckler & Koch, die vor wenigen Augenblicken noch im Halfter unter seiner Schulter gesteckt hatte. »Ulrike! Spinnst du? Was soll das?«, rief er der blonden Schauspielerin zu, die ihm gerade noch auf der Parkbank im Englischen Garten einen Mord gestanden hatte.
»Verzeih mir, Jürgen. Ich hab dich gerne. Du bist mir so nah. Du weißt jetzt so viel von mir.«
»Ulrike, gib mir die Pistole!«, rief er. »Du machst dich unglücklich, denk an deine Zukunft!«
»Wenn ich jetzt abdrücke, werden sie mich dann erschießen?« Sie sprach wie in Trance.
Im selben Moment peitschte ein Schuss durch das Morgengrauen. Die Enten auf dem Kleinhesseloher See schraken auf und flogen davon.
Jürgen Sonne wachte auf, schweißgebadet. Lange war er von diesem Albtraum verschont geblieben, doch jetzt waren die Bilder wieder da. Als wäre alles erst gestern geschehen und nicht schon vor Jahren. Der Traum, der ihn damals fast jede Nacht gequält hatte, hatte verschiedene Varianten. Manchmal wurde er selbst von dem Schuss niedergestreckt. Manchmal war es ein Schuss eines SEK-Scharfschützen, der mit einem Präzisionsgewehr die kleine Stelle auf der Stirn von Ulrike Gellner traf, wo das Geschoss in einer Tausendstelsekunde das Gehirn zertrümmerte. Wirkungstreffer im Vitalbereich, so lautete der Fachausdruck.
Es war das bislang schlimmste Erlebnis in seiner Polizeilaufbahn gewesen. Nie wieder, so hatte er sich damals geschworen, würde er im Dienst die Kontrolle über seine Gefühle verlieren und sich von einer Zeugin den Kopf verdrehen lassen.
Er schaltete seine Nachttischlampe ein und griff zu einem beliebigen Buch, in dem er ein paar Seiten lesen wollte, um die traumatischen Bilder zu vertreiben. Harry Potter. Eigentlich interessierte er sich nicht für Kinderbücher über pubertierende Zauberer, aber man musste ja mitreden können. In zwei Wochen war er allerdings nicht über die ersten vierzig Seiten hinausgekommen.
Die roten Ziffern des Radioweckers zeigten vier Uhr zweiundzwanzig. Jürgen Sonne hatte Angst, wieder einzuschlafen.
***
»Glauben Sie, diese Frau könnte uns gefährlich werden, Herr Ministerialdirigent?«
Es war eine Angewohnheit von Franz Däxl, seine Mitarbeiter mit ihrem Beamtentitel anzusprechen anstatt mit dem Namen. Die meisten waren für ihn Funktionsträger, die eine klar definierte Aufgabe hatten. Und nur von deren ordnungsgemäßer Erfüllung machte er die Wertschätzung abhängig, die er seinen Mitarbeitern zukommen ließ. Was manche ihm als Unmenschlichkeit vorhielten, war für Däxl eine Form der Effektivität. Er wollte und konnte sich nicht mit den privaten Problemchen von Leuten beschäftigen, mit denen er nicht mehr zu tun hatte, als dass er ihr oberster Dienstherr war.
Auch Ministerialdirigent Robert Kirchgessner war eines dieser zahllosen Rädchen im Staatsapparat des bayerischen Finanzministeriums: unauffällig, solange alles reibungslos und zuverlässig funktionierte. Kirchgessner war seit zwölf Jahren im Finanzministerium am Odeonsplatz beschäftigt. Er hatte sich allmählich hochgedient bis zum Büroleiter des Hausherrn, dessen engster Berater er in den vergangenen Jahren geworden war.
»Sie könnte«, antwortete Kirchgessner und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Aber sie wird uns nicht gefährlich werden. Darauf können Sie sich verlassen.« Kirchgessner legte seine Handflächen auf die Aktenmappe, die vor ihm auf dem Besprechungstisch im Ministerbüro lag, als wollte er die Papiere darin schützen.
»Bis zur Wahl sind es noch vier Monate«, sagte Däxl. Dafür musste er nicht in den Kalender schauen, denn die bevorstehende Landtagswahl sollte für ihn eine besondere Bedeutung haben. Wenn alles nach Plan lief, und davon konnte man im Freistaat im Normalfall ausgehen, dann würde er als Staatsminister der Finanzen in den Wahlkampf ziehen und als Ministerpräsident wieder herauskommen. Lange genug war er der ewige Kronprinz im Schatten des Landesvaters Peter Kaserer gewesen. Dessen Berufung in das Bundeskabinett bedeutete die letzte Chance des inzwischen zweiundsechzigjährigen Däxl, sich seinen Lebenstraum noch zu erfüllen und nicht als Prinz Charles von Bayern in die Geschichte einzugehen.
Wenn es da nur nicht diese Landrätin gäbe!
»Es ist ja auch noch gar nicht sicher, dass Pia Blum überhaupt als Spitzenkandidatin antritt«, sagte Kirchgessner und schaute durch das große Fenster des riesigen Raums, in dem der massive Holzschreibtisch des Ministers fast verloren wirkte.
»Aber die Umfragen«, wandte Däxl ein, »sprechen dafür. Das Bündnis Rot-Grün-Blum würde im Moment ein Ergebnis einfahren, das uns die absolute Mehrheit kosten und von einem Regierungspartner abhängig machen würde.«
»Das ist eine Umfrage, die erstens von der uns nicht gerade wohlgesonnenen Süddeutschen in Auftrag gegeben wurde. Und zweitens gibt sie nur ein Stimmungsbild wieder, das auch mit der Unzufriedenheit mit der Berliner Politik zusammenhängt. In vier Monaten werden die Zweifler dann gewiss wieder ihr Kreuzchen an der gewohnten ...«
»Was haben Sie da in Ihrer Mappe vor sich, Herr Ministerialdirigent? Und warum glauben Sie, dass die Blum uns nicht gefährlich werden kann?«
Kirchgessner kniff die Augen etwas zusammen und schaute seinen Chef mit einem diabolischen Grinsen an. »Gegen jeden gibt es irgendetwas.« Und nach zwei Sekunden Stille ergänzte er: »Und es geht nichts über ein sorgfältig gepflegtes Archiv, Herr Staatsminister. Darf ich Ihnen zeigen ...«
Kirchgessner öffnete den Aktendeckel, doch Däxl fuhr dazwischen: »Ich will das gar nicht sehen, was Sie da gesammelt haben.«
»Vielleicht ist das auch besser so«, murmelte Kirchgessner und schloss die Mappe wieder. »Herr Staatsminister, Sie können sich auf mich verlassen und vollkommen beruhigt sein. Überlassen Sie alles Notwendige einfach mir.« Kirchgessner stand auf und verließ grußlos das Arbeitszimmer.
Er hatte die Tür gerade hinter sich geschlossen, als Däxl leise sprach: »Ich hoffe, das geht hier nicht eines Tages nach hinten los.«
Däxl schaute auf die Uhr, die vor ihm auf dem Schreibtisch stand und deren Ziffernblatt von zwei goldenen Löwen getragen wurde. Dann überflog er noch einmal den Sprechzettel, den das Fachreferat ihm in Zusammenarbeit mit der Presseabteilung vorbereitet hatte. Den Zettel brauchte er nur, um sich daran festzuhalten. Wie immer würde er zum Verdruss seiner hochbezahlten Fachleute frei sprechen und sich nicht fremde Worte in den Mund legen lassen. Er hatte noch genau zwölf Minuten Zeit.
***
Frank Litzka schaute auf sein Handy. Es war auf lautlos gestellt und zeigte 10.18 Uhr an. Und keine SMS.
Warum meldet sie sich nicht?, dachte er. Um ihn herum saßen im Großen Konferenzsaal des Finanzministeriums die Kollegen der Landtagspresse, die er schon seit Jahren immer wieder auf denselben Terminen traf. Es waren aber auch einige dabei, die er nicht kannte. Das Interesse der überregionalen Medien an der Landespolitik wuchs ständig, je näher der Wahltermin rückte. Es war das erste Mal seit Jahrzehnten, dass im Freistaat, wo die CSU wie eine Staatspartei die unangefochtene Alleinherrschaft zelebrierte, ein Machtwechsel zwar noch nicht in Reichweite war, sich aber doch immerhin etwas bewegte in der politischen Landschaft. Diese war in der Vergangenheit so einfältig gewesen, wie Litzka sich eine Kraterlandschaft auf der Rückseite des Mondes vorstellte.
»Hey, Flitzer, du hier?«, fragte Raymund Röser vom Merkur. Flitzer wurde Frank Litzka schon so lange genannt, wie er für die ATZ arbeitete. Und das waren immerhin schon siebzehn Jahre, die Hälfte seines bisherigen Lebens. Sein Autorenkürzel war flitz, womit er bereits seine ersten Artikel als Schülerpraktikant in der Lokalredaktion der Münchner Boulevardzeitung gezeichnet hatte. Inzwischen war er einer der etabliertesten Lokalreporter in der Landeshauptstadt. Eigentlich beackerte er weniger das Feld Politik, sondern war vor allem für Polizei, Justiz und Kriminalität zuständig. Doch in Wahlkampfzeiten herrschte Ausnahmezustand.
»Sind Däxl-Auftritte nicht normalerweise Chefsache bei euch?«, wollte Röser wissen.
»Im Prinzip schon«, antwortete Litzka. »Aber Lohmann muss beim Aufsichtsrat antanzen. Die Schulze macht das Blatt. Hilfringhaus ist bei der Blum-PK, sodass der Flitzer an die Front muss. Außerdem finde ich das Thema heute durchaus interessant. Auch wenn ich zugebe, dass der Blum-Termin der spannendere gewesen wäre.«
»Als ob sich hier irgendjemand für die Krippenfinanzierung und die Ganztagsbetreuung interessiert«, schaltete sich von der anderen Seite Seppi Kreuzberg vom Factum-Magazin ein. »Wir warten doch alle nur darauf, dass Däxl sagt, mit wem er die Regierung bilden will, falls die CSU nicht die absolute Mehrheit holt.«
Litzka schaute wieder auf sein Handy. Immer noch keine Nachricht.
Nur knapp zwanzig Journalisten saßen in dem länglichen Raum, der Platz für mindestens doppelt so viele bot und an dessen Ende die Namensschilder aus Pappe bereits den Gesprächspartner Däxl mit seinem Pressereferenten ankündigten. Der Minister kam pünktlich, sein Sprecher sagte ein paar inhaltsleere Einleitungssätze und übergab ihm dann das Wort.
Däxl redete ausführlich über die immense Bedeutung der Kinder für die Gesellschaft. Litzka beschloss, beim nächsten Mal eine Strichliste zu führen, wie oft der Satz »Kinder sind unsere Zukunft« fallen würde. Die meisten Reporter machten sich Notizen in ihre Blöcke, andere ließen kleine Diktiergeräte mitlaufen. Auch zwei Fernsehkameras waren aufgebaut, aufgestellte Lampen warfen ein gleißendes Licht in den Raum.
»... darum werden wir in der nächsten Legislaturperiode die Haushaltsmittel für die unmittelbaren Betreuungskosten mit Hilfe eines Sonderetats sukzessive um ein Drittel ...«
Litzka notierte die Kernpunkte, ohne sich wirklich auf das konzentrieren zu können, was Däxl referierte.
»... siebenhundertneunzigtausend Euro im ersten Jahr, wovon fünfundzwanzig Prozent durch Zuschüsse aus Bundesmitteln ...«
»Siebenhundert wie viel?«, fragte er Kreuzberg und strich die Zahl auf seinem Block wieder durch.
»Pssst«, zischte der Magazinreporter, der schon den übernächsten Satz des Ministers mitschrieb.
Ist ja auch egal, dachte Litzka. Er würde die Zahlen später vom Waschzettel abschreiben, der gerade verteilt wurde.
Bis auf die Uhrzeit zeigte sein Handy nichts an. Um halb zehn hatte Tanja ihren Termin gehabt. Sofort danach wollte sie sich melden. Sicherlich gab es eine schlüssige Erklärung. Vielleicht war sie nicht sofort an die Reihe gekommen. Trotzdem wurde er zunehmend unruhig.
Eine halbe Stunde später war die Pressekonferenz längst in die Frage- und Antwort-Runde übergegangen, als Litzka sich dabei ertappte, dass er die letzten Minuten mit seinen Gedanken ganz woanders gewesen war.
»... darum wenden wir uns entschieden dagegen, unsere Fördermittel für junge Mütter als Herdprämie zu diffamieren. Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ...«
Wie ein aufleuchtender Blitz erstrahlte das gelbe Display seines Handys, das vor ihm auf dem Tisch lag und plötzlich 1 Kurzmitteilung erhalten anzeigte. Litzkas Herz raste. Und für zwei Sekunden, die sich wie Ewigkeiten anfühlten, erstarrte er und wagte nicht, das Telefon anzufassen. Seine Hand zitterte, und noch nie waren ihm die Taste unter den Worten Mitteilung anzeigen so winzig und sein Zeigefinger so groß vorgekommen. Dann drückte er und las die Botschaft, die sein Leben von einer Sekunde auf die andere verändern sollte.
***
Die Uhr über dem Fahrstuhl zeigte 12.27 Uhr. Das bedeutete, dass die Konferenz vor drei Minuten hätte beginnen sollen. Im Lauf der Zeit hatte er sich eingeprägt, welche der Uhren im Pressehaus um wie viele Minuten vor- oder nachgingen. Er hoffte inständig, dass nicht eines Tages jemand auf die innovative Idee kommen würde, die Uhren im gesamten Gebäude zu synchronisieren. Maßgeblich für den Beginn der Konferenzen war die Uhr im Vorzimmer von Wolfgang Lohmann, dem Chefredakteur, der seit Jahren wegen seines antikollegialen Führungsstils intern nur Stalin genannt wurde. Lohmann war der Grund dafür, dass Uhrzeitangaben in »stalinistischer Zeitrechnung« angegeben wurden. Dies war deshalb von Bedeutung, weil die Stalin-Uhr eine Minute nachging.
Litzka wunderte sich, dass die Tür zum Konferenzsaal offen stand.
»Setz dich, Flitzer«, sagte Stella Schulze-Wagenknecht, die Kulturchefin. »Wir wollten gerade anfangen.«
Litzkas fragenden Blick in Richtung des leeren Chefredakteurssessels beantwortete die Jungredakteurin Stefanie Schappert, die das Lokale in der Konferenz vertrat, kurz und knapp: »Stalin ist nicht da.«
Litzka hängte seine Jeansjacke über den Stuhl und murmelte: »Hoffentlich ist es was Ernstes«, während er sich hinsetzte. Dass einige der Kollegen schmunzelten, ließ ihn ahnen, dass seine Bemerkung lauter ausgefallen war, als er es beabsichtigt hatte.
Die Stimmung in dem von Neonröhren erhellten Konferenzsaal war locker und gelöst, wie sie es nur dann war, wenn Lohmann nicht auf seinem Thron saß. Tatsächlich hatte er für seinen Ledersessel am Kopfende des Konferenztisches ein dreißig Zentimeter hohes Podest errichten lassen, von dem aus er während der Sitzungen auf seine Untergebenen herabschauen konnte. Manchmal führte er in diesem Stuhl auch Vorstellungsgespräche, was den Bewerbern gleich deutlich machte, welche Art von Führungsstil sie im Falle einer Anstellung erwartete.
»Ich denke, wir fangen einfach mal an. Die Zeit drängt«, sagte Schulze-Wagenknecht in ihrer Funktion als stellvertretende Chefredakteurin. Die Siebenundvierzigjährige gehörte schon lange zum Inventar des Hauses. Vor mehr als zwanzig Jahren war sie als Redakteurin namens Stella Schulze zur ATZ gekommen. Den Doppelnamen führte sie, seitdem der damalige Verleger Doktor Lorenz Wagenknecht sie geehelicht und ihr zur Hochzeit die Leitung des Kulturressorts geschenkt hatte. Das jedenfalls behaupteten jene, die sich damals übergangen und selbst für diesen Posten berufen gefühlt hatten.
Der Ablauf der Mittagskonferenz war ein Ritual. Reihum, beginnend beim Politikchef rechts neben dem Thron, stellte jedes Ressort sein bislang geplantes Aufmacherthema vor und machte gegebenenfalls Vorschläge für Anreißer auf der Titelseite oder Themen, die sich für einen Kommentar eigneten. Anders als bei Anwesenheit Lohmanns musste man heute aber nicht damit rechnen, dass jedes zweite Thema mit einer abfälligen Handbewegung des Chefredakteurs verworfen wurde. Gewiefte Taktiker pflegten daher, wenn sie ein Thema unbedingt im Blatt unterbringen wollten, erst einen völlig absurden Vorschlag vorzutragen, um dann nach der erwarteten Ablehnung ein vermeintliches Alternativthema aus dem Hut zu zaubern. Nur selten schlug diese Strategie fehl und brachte die abenteuerlichsten Geschichten ins Blatt.
Peter Hilfringhaus, der Politikchef, trug zuerst die großen Themen der Welt- und Bundespolitik vor, wissend, dass alle auf seinen Bericht von der Blum-Pressekonferenz warteten.
»Wie ihr sicher schon gehört habt«, kam er dann endlich zur Sache, »hat Pia Blum heute ihre Spitzenkandidatur für das Oppositionsbündnis angekündigt. Grüne und SPD wollen sie in den nächsten Wochen auf Sonderparteitagen als ihre unabhängige Kandidatin nominieren. Ich sag mal, das wird der Aufmacher morgen, oder hat jemand was Besseres?«
»Das Thema haben natürlich alle morgen auf der Eins«, brachte Wirtschaftsredakteur Altmeier seinen Lieblingseinwand vor.
»Wir brauchen den eigenen Dreh«, lautete die Standardreplik von Schulze-Wagenknecht.
»Wir sollten das Thema personalisieren«, regte Litzka an. »Den Zweikampf Däxl gegen Blum in den Mittelpunkt stellen. Zwei große Fotos links und rechts, in die Mitte nur ganz groß in Rot zwei Worte: DAS DUELL.« Er sah die Schlagzeile schon vor sich und blickte Zustimmung heischend in die Runde.
»Klingt gut«, meinte Hilfringhaus, den Litzka als seinen journalistischen Mentor betrachtete. Es gab noch ein paar zustimmende Wortmeldungen. Anders als in Anwesenheit von Lohmann blickten nun nicht die meisten schweigend auf die Tischplatte, um möglichst nicht aufzufallen und keine Angriffsfläche für jederzeit mögliche cholerische Ausbrüche des Chefs zu bieten.
»Die Grafik kann ja mal zwei oder drei Layoutvorschläge zu dieser Idee erarbeiten«, sagte Schulze-Wagenknecht und verursachte ein zustimmendes Nicken der Chef-Grafikerin. »Und das Interview ...«
»... findet statt.« Hilfringhaus blickte in seine Notizen. »Blums Pressesprecher hat noch mal bestätigt, dass Lohmann heute um sechzehn Uhr das Interview bekommt. Wenn jemand zum Schreiben mitgeht und sich mit der Autorisierung beeilt«, er schaute Litzka erwartungsvoll an, »dann kriegen wir das Interview morgen noch auf die Drei.«
Lohmann selbst hatte schon seit Jahren bis auf den wöchentlichen Leitartikel in der Samstagausgabe keine Zeile mehr selbst geschrieben. Aber bei den großen Interviews war es ihm sehr wichtig, immer dabei zu sein, auf dem Foto mit dem Gesprächspartner abgebildet und in der Autorenzeile genannt zu werden.
»Überbewerten wir diese Frau Blum nicht etwas?«, meinte Altmeier. »Diese Lady hat doch kein politisches Programm, außer dass sie gegen Däxl ist. Wofür steht sie denn?«
»Stimmt, sie hat kein Programm«, gab ihm Hilfringhaus Recht. »Aber sie ist in den Umfragen die beliebteste Politikerin im Land, obwohl sie nur Landrätin in Starnberg ist. Und erstmals bekommt es die CSU bei einer Wahl mit einem ernstzunehmenden Gegner zu tun, der ihre absolute Mehrheit bedroht. Das ist schon ein Phänomen, das man gar nicht überschätzen kann.«
»Nach ihren politischen Positionen werden wir sie im Interview fragen.« Schulze-Wagenknecht blickte zu Litzka. »Gibt es schon eine erste Reaktion von Däxl? Flitzer, du warst doch auf der PK im Finanzministerium.«
»Äh, ja.« Jetzt hatte sie ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Nach der SMS von Tanja hatte er anderes im Kopf gehabt, als Däxl nach einem Statement zur Blum-Kandidatur zu fragen. »Es ging nur um die Kinderbetreuung. Aber ich hole noch eine Reaktion ein.«
Schulze-Wagenknecht tadelte Litzka mit einem missbilligenden Blick und murmelte etwas Unverständliches. Dann erteilte sie Stefanie Schappert das Wort: »Lokales?«
»Wir sind an einer ziemlich heißen Sache dran. Ein Informant hat uns gesteckt, dass in den nächsten Tagen in Aichach eine Haftentlassung bevorsteht, die uns interessieren dürfte.«
»Aichach? Das ist ein Frauengefängnis, oder?«, erkundigte sich Litzka.
»Es gibt auch Männer dort. Aber mehr als doppelt so viele weibliche Häftlinge. Und wir gehen gerade im Archiv alle Fälle der vergangenen Jahre mit verurteilten Frauen durch, bei denen jetzt eine Entlassung fällig sein könnte. Wir bleiben dran an der Sache.«
Der Sportredakteur Arno Nowak demonstrierte mit einem beherzten Gähnen seine Einschätzung dieses Themas.
Die junge Kollegin, die noch nicht oft an der Konferenz teilgenommen hatte, blickte auf ihre Notizen. »Ansonsten haben wir die neue Kolumne mit OB Körber, ein Porträt über eine Hundertjährige aus Oberföhring und das gestern geschobene Interview mit Wiesn-Chefin Schwarzkopf zum diesjährigen Bierpreis.
»Okay. Die Wirtschaft?«
In diesem Moment läutete das Telefon vor Lohmanns Stuhl. Die Durchwahl dieses Apparats war niemandem bekannt außer Lohmanns Sekretärin, die nur in ganz dringenden Fällen – dabei handelte es sich in neun von zehn Fällen um einen Anruf des Verlegers, der eine wichtige Anregung für die nächste Ausgabe oder eine Bemerkung zum aktuellen Blatt hatte – die Konferenz unterbrechen durfte.
Schulze-Wagenknecht stand von ihrem Platz auf und griff zum Hörer. Noch bevor sie sich meldete, erfuhr sie offenbar eine Nachricht, die ihr die Sprache verschlug.
»Sagen Sie das bitte noch einmal«, sprach sie mit stockender Stimme.
»Jetzt haben sie den Laden verkauft oder machen ihn gleich ganz dicht«, flüsterte Litzka zu Stefanie Schappert, halb im Scherz, halb ernst.
»Oder jemand hat Däxl erschossen«, erwiderte sie, was Litzka gar nicht so witzig fand. Schließlich hatte er vor einigen Jahren auf einer Wahlkundgebung auf dem Marienplatz einen Mordanschlag auf den damaligen Ministerpräsidenten hautnah miterlebt.
Schulze-Wagenknecht legte langsam den Hörer wieder auf und starrte einige Augenblicke ins Leere. »Wir unterbrechen die Konferenz«, sagte sie dann. »Es ist etwas Schreckliches passiert.«
Es war halb zehn, und Jürgen Sonne schnitt seinen grünen Apfel in vier Teile. Es musste schon ein Mord geschehen, dass der Hauptkommissar von diesem täglichen Ritual abwich. Das sollte auch nach seinem vierzigsten Geburtstag, den er am vergangenen Wochenende gefeiert hatte, nicht anders sein.
Vierzig. Das war eine magische Zahl, vor der er sich lange gefürchtet hatte. Er hatte nie besonders darunter gelitten, Single zu sein. Frauen lernte er immer wieder mal kennen, vorübergehende Abenteuer gaben ihm das Gefühl, begehrt zu sein und noch nicht zum alten Eisen zu gehören. Neununddreißig war okay gewesen, aber vierzig ... Er dachte oft daran, was für ein Leben er heute führen würde, wenn er damals mit Tina zusammengeblieben wäre. Dann würde er vielleicht mit ihr in einem Reihenhaus mit Kindern, Hund, Kombi und Vorgarten zusammen leben. Oder er wäre, wie viele seiner gleichaltrigen Kollegen, inzwischen wieder geschieden. Seine Situation wäre damit eigentlich nicht anders, nur dass sein Einkommen jeden Monat um den Unterhalt für seine Familie geringer ausfiele. Er dachte an Renate. Seine frühere Kollegin, mit der er über zwei Jahre das Büro und die Leitung der ersten Mordkommission geteilt hatte. Mit achtundfünfzig Jahren hatte sie sich von ihrem Ehemann, einem chronischen Fremdgänger, endlich scheiden und anschließend als Referentin ins Innenministerium versetzen lassen. Zwanzig Jahre früher hätte sie noch ein neues Leben anfangen können. Jetzt wartete sie auf die Pensionierung. Ihr Schreibtisch in der Mordkommission war seit einem halben Jahr unbenutzt, ihre Planstelle wurde nicht wieder besetzt. Sonne leitete die MK1 wieder allein.
Manchmal dachte er auch darüber nach, was gewesen wäre, wenn er Ulrike Gellner unter anderen Umständen kennengelernt hätte und sie nicht zur Mörderin geworden wäre. Er steckte ein Apfelstück komplett in den Mund.
»Wie war das eigentlich bei dir, Natascha?«, fragte er seine Kollegin, die mit einem Stapel Zeitungen und der Post in sein Büro trat.
»Äh, was?«, fragte sie verständnislos, legte die Post vor Sonne auf seinen Schreibtisch und blies sich eine blonde Strähne aus den Augen.
»Ich meine, als du dreißig wurdest?« Er erinnerte sich, dass sie vor knapp einem Jahr zusammen mit ihrer Lebensgefährtin zum dreißigsten Geburtstag eine symbolische Ü-30-Party gefeiert hatte.
»Ich dachte mir: Immerhin noch zehn Jahre Zeit bis zum Beginn der Vergreisung.« Natascha lachte und setzte sich auf die Ecke von Sonnes Schreibtisch. »Post aus Aichach ist dabei. Wieder eine Entlassung?«
»Gut möglich«, murmelte er und legte den Brief der Justizvollzugsanstalt zur Seite. »Angenommen, du würdest auf Männer stehen ...«
»Vergiss es.« Sie lachte.
Erst seit einiger Zeit konnten sie unbefangen über ihre Homosexualität reden. Natascha hatte ihre Neigung jahrelang verborgen, und nur die wenigsten wussten, dass ihr Lebenspartner Chris eine Frau war. »Du machst dir nicht echt Gedanken, weil jetzt eine Vier vorne steht, oder? Und wenn ich auf Männer stünde, dann könnten sie meinetwegen auch fünfzig sein. Oder noch älter, wenn sie sich gut gehalten haben. Weißt du eigentlich, dass du in zwei Monaten der Älteste in der MK sein wirst?«
Sonne überlegte. Jahrelang war er in der Kommission immer einer der Jüngsten gewesen. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich das ins Gegenteil gewandelt. Und tatsächlich. Nach der Pensionierung von Alfred Winter in acht Wochen würde es keinen älteren Kollegen mehr geben.
»Aber wenn du jeden Tag immer schön brav deinen Apfel isst, mache ich mir um dich keine Sorgen. Außerdem kommt es ja auch auf dein geistiges Alter an. Frag Doktor Kawashima. Gehirnjogging!« Natascha grinste ihren Chef frech an.
»Wie bitte? Gehirnjogging? Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Keineswegs.« Sie holte aus der Innentasche ihres Blazers ein kleines weißes Gerät heraus, das sich aufklappen ließ und wie ein Telespiel mit zwei Bildschirmen aussah. »Nimm das! Und teste dein geistiges Alter. Du musst nur hier einschalten und mit dem Plastikstift den Touchscreen betätigen. Probier's mal aus!« Sie drückte ihm das elektronische Spielzeug in die Hand und sagte dann: »Ich fahre mit Sherlock raus nach Feldmoching. Der KDD hat uns angefordert. Ein Fenstersturz. Unfall oder Suizid. Wird schnell geklärt sein.«
»Wie alt?«
»Neunundvierzig.« Sie hatte das Zimmer schon verlassen, als sie ihm noch zurief: »War also eh langsam Zeit für die Kiste.«
»Hau ab!«, erwiderte er. »Vielleicht war sein geistiges Alter schon achtzig.«
Sonne legte das Gerät erst mal beiseite und blätterte lächelnd die Post durch. Die Aktenvermerke der anderen MKs sortierte er in die Später lesen-Ablage. Den roten Umschlag mit der Gehaltsabrechnung versenkte er ungeöffnet in der obersten Schublade seines Rollcontainers. Die interne Stellenausschreibung für die Leitung der KPI Fürstenfeldbruck verschwand direkt im Altpapier. Dann öffnete er den Umschlag aus Aichach.
Das Aktenzeichen sagte ihm nichts. Wohl aber der Name, der dahinter stand. Er begann zu zittern, die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen.
Wieder sah er die Bilder vor sich. Die schwere Pistole in der zarten Hand. Den Kleinhesseloher See. Die zerbrochene junge Frau im Schwurgericht, wie sie nach der Verurteilung abgeführt wurde. Ein ehemaliges Modell, jetzt mit kurzgeschnittenen Haaren im Trainingsanzug im Besucherraum der Haftanstalt.
Sehr geehrter Herr Hauptkommissar Sonne, hiermit teilen wir Ihnen mit, dass die unter dem oben genannten Aktenzeichen mit rechtskräftigem Beschluss des Landgerichts München I vom 21. März d. J. den gleichlautenden Anträgen der Staatsanwaltschaft am Landgericht München I ... Er überflog die weiteren Zeilen, die in Briefen dieser Art immer dieselben Formulierungen enthielten.
»Kommst du mit zur kleinen Lage?«, fragte Kriminaldirektor Horst Steinmayr, der ohne anzuklopfen in Sonnes Büro eingetreten war. »Alles klar bei dir? Hast du unangenehme Post bekommen? Die Gehaltsabrechnung? Haha.«
Wortlos reichte Sonne dem Dezernatsleiter den Brief. Damals hatte er mit Steinmayr in einer MK zusammengearbeitet. Er war dabei gewesen, als es am See im Englischen Garten um Leben und Tod gegangen war.
»Mein Gott«, sagte Steinmayr leise, als er den Brief überflogen hatte. »Ist das schon wieder so lange her?«
»Gute Führung, zwei Drittel der Haftzeit verbüßt. Reine Routine. Es geht alles seinen ganz normalen Gang.«
Normalerweise wurden bei der Haftentlassung von Straftätern, die wegen Tötungsdelikten verurteilt worden waren, die Sachbearbeiter der einst zuständigen Mordkommission informiert, um sie für mögliche Racheakte zu sensibilisieren. Doch in diesem Fall war er vollkommen sicher, dass ihm von der entlassenen Täterin keine Gefahr drohte.
»Ulrike Gellner«, sagte Steinmayr nachdenklich. »Als wäre es gestern gewesen. Wirst du sie wiedersehen?«
Sein Chef sprach die Frage aus, die sich Jürgen seit dem Moment, als er den Umschlag geöffnet hatte, selbst stellte. »Ich weiß es nicht«, antwortete er.
***
Litzka saß an seinem Schreibtisch im Großraumbüro der Lokalredaktion. Zwar war er seit einiger Zeit über die Ressortgrenzen hinweg im Einsatz, doch sein Arbeitsplatz war immer noch in der Redaktion, wo er als Praktikant angefangen und sich langsam hochgearbeitet hatte. An der Wand hing ein Plakat, das eine grobkörnige Aufnahme eines Ufos abzubilden schien, mit dem Schriftzug I want to believe. Litzka hatte seine kleine, randlose Brille neben das Telefon gelegt, die Augen geschlossen und den Kopf auf seine Hände gestützt. Er wünschte, er hätte seine bissige Bemerkung über Lohmanns Abwesenheit zurücknehmen können. Noch vor einer halben Stunde hätte fast die gesamte Belegschaft dem Chef am liebsten die Pest an den Hals gewünscht. Doch jetzt war er tot.
Die Nachricht war eingeschlagen wie ein Blitz. Verkehrsunfall, Aquaplaning, überhöhte Geschwindigkeit, Brückenpfeiler. Mit zweiundsechzig Jahren. Natürlich wären die meisten Lohmann lieber heute als morgen los geworden. Niemand konnte begreifen, warum die Verlagsleitung so lange an diesem tyrannischen Chefredakteur festgehalten und tatenlos zugesehen hatte, wie das Betriebsklima von Tag zu Tag frostiger wurde. Mindestens ein Dutzend Mitarbeiter hatte im vergangenen Jahr mit der ausdrücklichen Begründung gekündigt, dass sie es mit Lohmann nicht mehr aushielten.
Aber jetzt war er tot. Nach dem ersten Schock würde sich gewiss die Hoffnung breit machen, dass mit einem Nachfolger alles eine Wende zum Guten nehmen würde. Doch auszusprechen wagte dies freilich niemand. Allen war klar, dass die Arbeit weitergehen musste. Auch morgen musste wieder eine Zeitung erscheinen. Und auch das Interview mit Finanzminister Däxl, das Lohmann selbst führen wollte, musste stattfinden.
»Flitzer, wir brauchen einen Nachruf!« Litzka hatte gar nicht bemerkt, wie Hilfringhaus sich ihm genähert hatte. »Für die Eins.«
»Und wer soll den schreiben?«
»Gute Frage. Die Zahl der Freiwilligen, die sich bislang gemeldet haben, ist überschaubar.« Gequältes Lächeln des Politikchefs. »Sie tendiert gegen Null.«
»Warum macht's nicht die Schulze? Die will ihn doch eh beerben.« Gegenüber Hilfringhaus, der zu Litzkas Praktikantenzeit schon Lokalchef gewesen war und sein journalistisches Talent entdeckt und gefördert hatte, konnte er offen sein.
»Die Schulze macht das Däxl-Interview. Damit ist sie für heute mehr als ausgelastet.«
Die Kulturchefin hatte gute Chancen, über kurz oder lang auf Lohmanns Stuhl aufzurücken. Litzka fragte sich, ob sie in diesem Fall das Podest im Konferenzraum verschwinden lassen würde.
»Frag doch den Alten«, schlug Litzka vor. Diese allgemein übliche Bezeichnung für den Verleger war in keiner Weise despektierlich gemeint, eher respektvoll. »Der hat ihn schließlich auch eingestellt.«
»Gute Idee, Flitzer.«
»Was anderes, Peter ...«
»Ja?«
Litzka stellte sein Colaglas zur Seite. Er wusste zwar, dass es jetzt nicht der beste Zeitpunkt war, aber er musste mit jemandem darüber reden.
»Meinst du, ihr kommt demnächst ohne mich aus? Eine Zeitlang?«
»Was hast du vor? Willst du auswandern?«
Litzka lachte. »Nicht ganz. Ich dachte an Elternzeit.«
Hilfringhaus verschlug es kurz die Sprache. Dann schien die bedrückende Stimmung, die seit der Todesnachricht in der Redaktion herrschte, für einen Moment verflogen. »Flitzer, du wirst Papa?«
Litzka nickte fast unmerklich und lächelte.
Hilfringhaus drückte ihn väterlich an seine Brust. »Mensch, das freut mich für dich und Tanja!« Dann wurde er scheinbar wieder ernst: »Aber ich hoffe, du willst nicht drei Jahre Babypause machen. Wir brauchen dich schon.«
»Keine Sorge, Peter. Ich glaube, nach spätestens zwei Monaten stehe ich zu Hause eh nur im Weg herum.«
»Wenn's heute nicht irgendwie unpassend wäre, würde ich sagen, lass uns darauf anstoßen. Aber das verschieben wir besser.«
»Okay. Auch wenn ich nicht daran denke, mich von Stalin auch nach seinem Tod noch tyrannisieren zu lassen.«
Sie lachten beide leise.
»Also dann«, sagte Litzka, als Hilfringhaus sich wieder abwandte. Er bewegte die Maus an seinem Computer, damit der Bildschirmschoner verschwand und das Redaktionssystem wieder angezeigt wurde.
Däxl will junge Familien fördern, tippte Litzka als Überschrift seines Artikels in die Tastatur.
***
Dass die Besucherin pünktlich war, überraschte Franz Däxl positiv. Denn das war für Journalisten nicht unbedingt typisch. Bislang kannte er von Stella Schulze-Wagenknecht nur den Namen. Aus der Zeitung. Und weil er ein Rennpferd kannte, das Stella hieß und das ihn mal einen hohen Wetteinsatz gekostet hatte, waren seine Assoziationen mit ihrem Namen nicht sehr sexy.
Sie legte ihren Mantel ab. Zum Vorschein kam eine sehr ansehnliche Figur, die durch einen engen Blazer und einen knapp über dem Knie endenden Rock betont wurde. Eine attraktive Frau, dachte Franz Däxl und begrüßte die Journalistin mit ausgestreckter Hand.
»Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Frau Schulze-Wagenknecht. Auch wenn die Umstände natürlich sehr traurig sind.« Er brachte noch wortreich sein Bedauern über das Ableben des von ihm sehr geschätzten Chefredakteurs zum Ausdruck, versicherte zugleich aber, dass er die hervorragende Zusammenarbeit mit der Zeitung unter jeder neuen Führungskonstellation fortsetzen würde. Dann bat er Frau Schulze-Wagenknecht, an dem runden Besprechungstisch in seinem Arbeitszimmer Platz zu nehmen.
Auch Robert Kirchgessner, der sich bislang unauffällig an der Tür postiert hatte, setzte sich wie selbstverständlich mit dazu. Zwar hatte das Finanzministerium auch einen offiziellen Pressesprecher. Der war jedoch seit Kirchgessners Amtsantritt zu einem Korrektor für die vom Bürochef formulierten Pressemitteilungen herabgesetzt und beantwortete lediglich die alltäglichen Fachfragen der Landtagsreporter. Bei den wichtigen Interviews, in denen es um mehr ging als Steuersätze und Abschreibungspauschalen, hatte Kirchgessner das Heft in der Hand.
Schulze-Wagenknecht stellte ein kleines Aufnahmegerät auf den Tisch und schaltete es ein. »Nur als elektronisches Notizbuch. Sie bekommen den Wortlaut selbstverständlich zur Autorisierung vorgelegt. Fangen wir also an. Sie haben sicher nicht viel Zeit, Herr Staatsminister.«
Däxl lehnte sich entspannt zurück. »Sie erlauben doch?«, fragte er und zündete sich, ohne ihre Antwort abzuwarten, eine Pfeife an.
»Herr Däxl, der scheidende Ministerpräsident Kaserer hat bei der letzten Wahl ein Ergebnis von sechsundfünfzig Prozent hingelegt. Die Messlatte liegt hoch für Sie.«
»Wir haben in den vergangenen fünf Jahren eine erfolgreiche Politik für Bayern gemacht. Und nicht zuletzt in meinem Bereich ist dafür ein erheblicher Beitrag geleistet worden. Ich erinnere nur an den bundesweit ersten ausgeglichenen Haushalt.« Es folgten die üblichen Floskeln, die er als Textbausteine stets abrufbereit hatte und auch im Halbschlaf hätte herunterbeten können.
»Doch jetzt schickt die Opposition plötzlich eine Frau ins Rennen, die in Umfragen weitaus höhere Popularitätswerte genießt als jedes Ihrer Kabinettsmitglieder. Haben Sie Angst vor Frau Blum?«