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Die neueste prickelnde Serie der Bestsellerautorin geht weiter
Nachdem sie sich jahrelang nacheinander verzehrt haben, ist das heiße Powercouple Kane und Lily Black wieder vereint. Lily hat mit ihrer traumatischen Vergangenheit aufgeräumt und dabei eine mysteriöse Schneise der Verwüstung hinterlassen. Können sich die beiden eine gemeinsame Zukunft auf diesem tragischen Fundament aufbauen? Und was wird aus dem Familienunternehmen Baharan?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 516
Jahrelang wurde Lily Black für tot gehalten. Nun ist sie wieder zurück in den Armen ihres Ehemanns Kane, der sie vergöttert. Wo sie all die Zeit über gewesen ist, gibt sie nach wie vor nicht preis. Doch das bewahrt Lily nicht davor, von ihrer Vergangenheit heimgesucht zu werden. Ihre Taten von damals holen sie ein – sie und ihre Familie. Und in dieser geht es bereits alles andere als harmonisch zu.
Kanes Mutter Aaliyah glaubt immer noch nicht, dass Lily die ist, die sie zu sein vorgibt. Aaliyah hat viel geopfert, um das Familienunternehmen Baharan – ein milliardenschweres Kosmetikimperium – so erfolgreich zu machen, wie es heute ist. Sie ist nicht bereit, ihre Macht zu teilen. Und sie wird alles tun, um Lily als die Hochstaplerin zu entlarven, die sie in ihr sieht.
Auch Amy, Kanes und Lilys Schwägerin, ist zu allem bereit. Jahrelang war sie der Spielball der glamourösen Familie, hat für Baharan ihre Unabhängigkeit eingebüßt. Nun hat sie genug. Und sie wird alles tun, um zu bekommen, was sie ihrer Meinung nach verdient.
Die Nummer-1-Bestsellerautorin Sylvia Day stand mit ihrem Werk bereits an der Spitze der New-York-Times-Bestsellerliste sowie 29 internationaler Listen. Sie hat über 20 preisgekrönte Romane geschrieben, die in 41 Sprachen übersetzt wurden und sich weltweit über 20 Millionen Mal verkauft haben.
SYLVIADAY
EIN BLACKLIST-ROMAN
AUSDEMENGLISCHENVONJENSPLASSMANN
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Die Originalausgabe TOOFAR erschien erstmals 2023 bei Penguin Michael Joseph, London.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Deutsche Erstausgabe 06/2024
Copyright © 2024 by Sylvia Day
Published by arrangement with Kimberly Whalen
Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Anita Hirtreiter
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design GmbH nach einer Vorlage von Lee Motley/MJ unter Verwendung von Bildmaterial von istockphoto (4x6, SeanPavoePhoto) und Trevillion Images/Polina Korzun
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-18763-7V001
www.heyne.de
LILY
•
Ich habe jeden aus dem Weg geräumt, der mir je etwas bedeutet hat, um mir meine Obsession für dich bewahren zu können, Kane. Dennoch fällt es mir weiter schwerer als alles andere, dich gehen zu sehen, selbst wenn du nur – wie heute – ganz normal zur Arbeit aufbrichst.
Du zögerst. Als würdest du meine Gedanken lesen, würdest empfinden, was ich fühle.
»Ich lasse dich bloß ungern allein«, sagst du zu mir an der Wohnungstür.
Deine Umhängetasche liegt auf dem glänzenden Dielentischchen aus afrikanischem Schwarzholz. Jenseits der zweiflügligen Tür sind zwei Wachleute am Fahrstuhl postiert. Angesichts der umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen ist es nahezu ausgeschlossen, dass Unbefugte überhaupt bis zum Penthouse hinaufgelangen.
Ich kenne den wahren Grund – du willst nicht andere draußen halten, sondern mich drinnen.
»Durch Abwesenheit wächst Zuneigung nur noch mehr, heißt es nicht so?«, erwidere ich lächelnd, obwohl mir etwas, das nach dir giert, die Kehle zerreißt.
»Abwesenheit hatte ich genug«, sagst du mit angespanntem Unterkiefer. Deine dunklen Augen blitzen zornig, deine Verärgerung ist als Hitzewelle körperlich spürbar. Die meiste Zeit verschließt du sie tief in dir, doch ich weiß, dass sie da ist.
Allerdings weiß ich nicht, ob dich unsere Trennung so aufbringt – oder meine Rückkehr.
Wir waren mehrere Jahre getrennt und damit länger, als wir je zusammen gewesen sind. Womöglich wirst du mir das nie verzeihen. Hassen solltest du mich aber eher dafür, dass ich dir überhaupt begegnet bin.
Mein Verlangen nach dir war übermächtig, und ich denke nun mal zuerst an meine Bedürfnisse.
»Wenn meine Zuneigung für dich noch weiter wachsen würde, Setareh«, hauchst du, und ich spüre deinen heißen Atem auf meinen Wangen, »würdest du ersticken.«
Ich glaube nicht, dass dir klar ist, wie wahr diese Bemerkung tatsächlich ist. Deine Energie und Intelligenz, dein Ehrgeiz und Charisma … Du brennst lichterloh. Dein inneres Feuer hat meine Seele erfasst, und gemeinsam haben die Flammen alle in unserer Nähe verschlungen.
Ich trete näher, schmiege mich an dich und schlinge die Arme um deine schmale Taille. Dein Oberkörper ist hart und warm. Du bist immer schon das Feuer zu meinem Eis gewesen. Ich verschmelze mit dir, meine sanften Kurven passen sich perfekt deinen festen Flächen an. Mit einem tiefen Seufzer nimmst du mich in die Arme und beugst deine große Gestalt schützend über mich. In deinen Armen bin ich sicher. Doch umgekehrt ist das nie der Fall gewesen.
»Ich werde hier auf dich warten«, verspreche ich, weil du diese Worte hören musst. Du bist zwar viel zu clever, um alles zu glauben, was ich sage – sofern du überhaupt irgendwas davon glaubst –, aber du weißt genau, dass ich dich über alle Maßen liebe. Das ist das Einzige, was uns verbindet, und das Einzige, was wir wirklich brauchen.
In einem fernen Winkel meines Hirns male ich mir eine andere Variante dieses Moments aus. Wir beide an der Wohnungstür und im Begriff, unseren Arbeitstag in Angriff zu nehmen und in verschiedene Richtungen davonzustürzen. Unsere Lippen berühren sich eilig, und wir lachen unbekümmert, da uns die Welt gehört und wir nichts zu fürchten haben. Wir sind wahnsinnig verliebt, ganz ohne diese beklemmende Angst. Keinen belastet der Gedanke, diese Trennung könnte unsere letzte sein.
Du küsst mich auf den Scheitel. »Ich hoffe, du planst schon eifrig unsere Flitterwochen. Sobald die Markteinführung von ECRA+ abgeschlossen ist, sind wir weg.«
»Wie wäre es mit einem Urlaub im Schnee?«, schlage ich vor. »Die Landschaft ist ganz weiß. Ein abgelegenes Chalet, kilometerweit entfernt von allem. Ein riesiger Kamin, vor dem haufenweise Felle liegen. Dazu ein dampfender Whirlpool auf der Terrasse.«
»Hervorragend«, sagst du und löst dich, um mich auf die Nasenspitze zu küssen. »Und ich halte dich warm.«
Daran besteht kein Zweifel. Dein Verlangen nach mir ist beinahe so groß wie meines nach dir.
Ich lege den Kopf in den Nacken und betrachte dein Gesicht. Unfassbar, wie traumhaft schön es ist. Der markante Unterkiefer, die scharf geschnittene Nase, die Wangenknochen so ausgeprägt, dass Mulden sich darunter abzeichnen. Ein Gesicht, das Engel zum Frohlocken bringen würde, mit so vollen und sinnlichen Lippen, die eine Frau zur Sünde verführen. Und diese Augen, samtig braun, mit extrem dichten Wimpern, die dich hübsch erscheinen lassen würden, wärst du nicht zugleich so ungeheuer maskulin.
Ich wünschte, nur dein gutes Aussehen und deine potente Männlichkeit hätten mich zu dir hingezogen. Lust lodert heiß auf und brennt irgendwann aus. Zu Anfang redete ich mir ein, dass es genauso zwischen uns sein würde, aber tatsächlich geglaubt habe ich das nie. Dein scharfer, leidenschaftlicher Blick durchbohrte die vielen Lagen von Identitäten und sah mir in die Seele. Und wo andere Angst entdeckten, fandst du Liebe.
Du senkst den Kopf, entführst meinen Mund zu einem tiefen, innigen Kuss. Hingabe und Wildheit liegen darin, Begehren und Sehnsucht. Im Morgengrauen haben wir uns bereits geliebt, auf meiner Haut spüre ich noch immer deine Hände und deinen Mund, und dennoch macht dein Kuss unmissverständlich klar, dass dein Hunger nicht gestillt ist.
Wird es jemals verschwinden, dieses Gefühl, von geborgter Zeit zu leben?
»Das ist Folter«, sagst du atemlos und drückst deine Stirn gegen meine.
Unvermittelt stößt du mich von dir, packst deine Umhängetasche und reißt die Eingangstür auf, so als müsstest du jetzt sofort los, weil du sonst gar nicht gehen würdest. Die Tür ist schon fast ins Schloss gefallen, da reißt du sie noch einmal auf und sagst: »Ich liebe dich.«
Ich habe mich noch keinen Zentimeter von der Stelle gerührt. Meine Mundwinkel heben sich, meine Hand bedeckt mein schmerzendes Herz. »Ich weiß«, antworte ich.
In der Stille nach deinem Weggang atme ich langsam aus. Meine Schultern sacken herab. Ans Alleinsein sind wir gewöhnt, aber heute … erfüllt mich Trauer.
Das Penthouse erstarrt für einen Moment, verstummt. Als würde es in einen Schlummermodus treten, wenn du fort bist, und sich ausruhen, bis du mit deiner überbordenden Energie und Intensität wieder zurückkehrst. Die Fliesen unter meinen nackten Füßen sind warm, infrarotbeheizt, doch ich stelle mir lieber vor, dass sie deine Hitze speichern wie ein sonnenbeschienener Fels.
Ich habe Blut an den Händen, bin isoliert in meinem Leid.
Der Tower, in dem wir wohnen, beginnt sich mit einem wehmütigen Stöhnen im Wind zu wiegen. Das Geräusch ist ein vertrautes und seltsam besänftigendes Klagelied.
Nun, da ich Valon Laska umgebracht und dir die furchtbarsten meiner Geheimnisse offenbart habe, würde ich am liebsten die falsche Identität ablegen, die ich angenommen hatte, um Eingang in dein Leben zu finden. Lily Rebecca Yates könnte endlich ihre letzte Ruhestätte am Boden des Atlantiks finden. Du weißt, dass ich nicht sie bin, nicht diese perfekte Frau, die freundlich und selbstlos war und keine Leichen im Keller hatte.
Aber du willst mich trotzdem.
Allerdings glauben alle um uns herum, dass du mit Lily verheiratet bist. Sie dürfen niemals erfahren, dass Lily eine Lüge war.
Daher bin ich wohl doch nicht richtig isoliert. Die Frau, der ich Leben und Ehemann genommen habe, folgt mir wie ein Schatten, geistert unablässig um ihre Doppelgängerin herum, Tag für Tag, Stunde um Stunde, jede einzelne Minute.
LILY1. MAI 1999
•
Die meisten Menschen bilden sich ein, den Tod, diesen allgegenwärtigen Schnitter mit Kapuzenmantel und Sense, im Fall der Fälle sofort erkennen zu können. Doch sie verbarg ihre weiblichen Reize nie auf irgendeine Weise. Tief fallende Kaskaden aus schwarzem Haar, glänzend wie Obsidian, bildeten ihr Leichentuch. Ihren Körper stellte sie verführerisch zur Schau, und ihr blutrotes Lächeln diente ihr als messerscharfe Klinge. Ich wusste das alles, denn sie war meine Mutter.
In Vorbereitung auf ihren Besuch kümmerte ich mich mit akribischer Sorgfalt um mein Aussehen, genau wie sie es mir eingeschärft hatte. Meine Hand zog mit einem raschen wohlgeübten Schwung über die oberen Wimpern einen Lidstrich, der am Ende zu Katzenaugen hochschnellte. Die gleiche Handbewegung hatte ich zwar schon am Morgen ausgeführt, bevor ich in die Schule gegangen war, doch nun hatte ich mich abgeschminkt und begann von vorn. Mein Make-up – das Schutzschild, wie meine Mutter es immer nannte – musste stets frisch aufgelegt und makellos sein.
Sobald ich fertig war, machte ich mich daran, die Wohnung zu richten. Ich öffnete die Schiebefenster, da sie es gut durchlüftet mochte. Wenn ich allein war, ließ ich die Fenster eigentlich lieber geschlossen. Ohne Brooklyns hektischen Straßenlärm von unten fühlte ich mich einfach sicherer. Bei geschlossenen Fenstern waren die Geräusche der Großstadt nur ein dumpfes Rauschen – wie Blut, das den wohlbehüteten Ort im Mutterleib sanft umströmt. Meine Mutter lebte nicht mehr mit mir zusammen, aber sie versorgte und beschützte mich, und das Studio-Apartment, das ich bewohnte, kam mir wie der sicherste Platz auf der ganzen Welt vor. Oft stand sie mir in diesen vier Wänden so lebendig vor Augen, dass sie nie wirklich fort zu sein schien.
Auf dem Plattenspieler neben dem Fernseher drehten sich Creedence Clearwater Revival und sangen von looking out my back door. Meine Mutter bevorzugte die Musik einer anderen Ära. Was heute so angeboten wurde, war ihrer Meinung nach deutlich schwächer. Mit Ausnahme von Prince, den sie für einen außergewöhnlich talentierten Musiker hielt, konnte sie aktuellen Künstlern nichts abgewinnen. Die Kerze, die auf dem mit einem Tischläufer dekorierten Couchtisch brannte, verströmte einen Duft von Vanille und Kirschblüten. Meine Mutter hatte es gern, wenn Räume gut und vor allem feminin dufteten. Moschus und Sandelholz waren ihr viel zu maskulin.
Sie hasste Männer. Keine Ahnung warum. Ich habe sie nie danach gefragt, da unsere gemeinsame Zeit rar und immer kurz bemessen war und ich sie nicht mit Unangenehmem trüben wollte. Gewundert hat es mich allerdings schon, insbesondere da die Männer sie liebten und alles für sie zu tun bereit waren. Ihretwegen stürzten sie sich in den finanziellen Ruin, verließen ihre Familie, zerstörten ihr gesamtes Leben. Sie sind von Natur aus schwach, sagte sie häufig zu mir. Brauchen kann man sie bloß, um sein Ego aufzupolieren und um schwanger zu werden.
Sie selbst war jedoch nie ohne einen, auch wenn sich ihre Begleiter nie lange hielten. Jedes Mal wenn ich sie traf, hatte sie einen Neuen. Derek. Reynaldo. Pierre. Jeremy. Tomas. Han. Und viele andere Namen, die ich längst vergessen habe. Die Männer selbst interessierten mich nie, wenn sie von ihnen erzählte. Ich achtete vorwiegend darauf, welches Maß an Begeisterung in ihrer Beschreibung von ihnen mitschwang.
Ein letztes Mal betrachtete ich mich mit kritischem Blick im Spiegel. Fiel mein Haar ohne jede Welle oder Unebenheit perfekt auf die Schultern? Waren die Lippen präzise nachgezogen, und bildete der Lippenstift eher einen glänzenden Schimmer als einen Belag?
Du bist so ein hübsches Mädchen, hatte die Physiklehrerin auf meiner High School vor einem Jahr gemeint. Du brauchst doch gar kein Make-up.
Als sich meine Mutter etwas später nach der Schule erkundigte, hatte ich auch diesen Spruch erwähnt. Prompt war das Lächeln auf ihren Lippen erstorben. Ich denke, da werde ich mit Miss Bustamente mal ein Wörtchen reden müssen, hatte sie gesagt.
Ich bemerkte auch sofort, wann dieses Gespräch stattgefunden hatte, obwohl keiner der beiden je einen Ton darüber sagte. Ich erkannte es daran, dass Miss Bustamente mich plötzlich mit ängstlichem Ausdruck ansah und mich nicht länger einlud, nach dem Unterricht mit ihr den Stoff noch zu vertiefen, worauf ich mich eigentlich immer gefreut hatte, da ich so ein, zwei Stunden weniger ganz allein zu Hause verbringen musste.
Du bist verärgert, hatte meine Mutter bei ihrem nächsten Besuch gesagt. Du vermisst die Beachtung, die sie dir geschenkt hat. Allerdings hätte dich diese Beachtung schwach werden lassen und dich dazu verleitet, der Wunschvorstellung zu entsprechen, die sie sich von dir macht. Diese Schwäche passt aber nicht zu uns, Araceli. Wir wissen selbst, wer wir sind, und niemand vermag uns zu ändern. Schaff dir jeden vom Hals, der es auch nur versuchen sollte.
Keiner außer ihr hat mich je Araceli genannt. Es war der Name, den sie ursprünglich für mich ausgesucht hatte. Sie hatte ihn nie einem anderen verraten und mir eingeschärft, es ebenfalls nie zu tun. Ich sah darin ein lustiges Spiel. Wenn mir ein Name gefiel, konnte ich ihn annehmen, bis ich erneut die Schule wechselte und ich mir einen anderen aussuchte, den ich noch toller fand.
Wir lassen uns von niemandem in eine Schublade stecken, erklärte sie mir. Wir sind nicht darauf beschränkt, unser ganzes Leben nur eine bestimmte Sache zu sein. Wir beide sind frei. Wir können tun und lassen, was immer wir möchten.
Ich liebte sie so sehr. Und ich vergaß nie, wie glücklich ich mich schätzen durfte, ihre Tochter zu sein.
Ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt, und als ich daraufhin herumfuhr, gerieten meine langen Haare in Unordnung. Voller Entsetzen, dass sie etwas an mir bemängeln könnte, strich ich die verwuschelten Strähnen hastig mit den Fingern wieder glatt. Ich war nicht nervös, eher in gespannter Erwartung. Während meine Mitschülerinnen mit ihrem Selbstbewusstsein und mit Unsicherheiten über den eigenen Körper haderten, war mir klar, dass ich zwar nicht ganz an meine Mutter heranreichte, aber immerhin weit genug, um schön zu sein. Etwas anderes hätte sie auch nie auf die Welt bringen können.
»Hallo, mein Liebling«, flötete sie mit einer Stimme, die bezauberte wie Sirenengesang.
Einen Wimpernschlag lang verlor ich mich in ihrem Anblick. Atemberaubend hohe Heels mit dünnen Riemchen, ein glattes schwarzes One-Shoulder-Kleid, das ihre schlanke Figur betonte, tiefschwarze Haare mit seidenem Glanz … Und dann ihr Gesicht. Engelsgleich. So perfekt. Symmetrisch in jeglicher Hinsicht. Ein Teint, so hell wie feinstes Porzellan, bildete die Leinwand für dunkle Brauen, in schwarzen Eyeliner gefasste smaragdgrüne Augen und karminroten Lippen.
Ich rannte zu ihr und stürzte mich auf sie wie Brandungswellen, die sich auf die Küste warfen. Sie drückte mich an sich, und ihr melodiöses Lachen klang in meinen Ohren, während dieser Rosenduft mit Zitrusnote meine Sinne durchdrang.
Ihren Herzschlag unter meinem Ohr zu hören war das schönste Geräusch überhaupt. Da ich inzwischen so groß geworden war, musste ich mich etwas bücken, um mich an meine Lieblingsstelle zu schmiegen. Meine Mutter fühlte sich warm an, ihre Arme umschlangen mich fest. Ein Teil von mir sehnte sich ständig nach ihr, und um diese Leere zu füllen, presste ich mich mit aller Kraft an sie.
»So lange her ist es ja nun auch wieder nicht«, sagte sie in mein Haar. Ich widersprach ihr nicht, obwohl wir uns seit Wochen nicht gesehen hatten. Je älter ich wurde, desto länger wurden die Abstände zwischen ihren Besuchen.
In der Middle School hatten sie bis zu einer Woche gedauert. Mit dem Wechsel in die High School waren sie auf fast einen Monat angewachsen. Alle paar Tage rief sie an und besänftigte mein Bedürfnis nach ihr mit dem Klang ihrer Stimme. Sie achtete stets darauf, dass ich genug Geld für Lebensmittel hatte, und alle paar Monate gingen wir gemeinsam shoppen – immer nur hochwertige, klassische Ware –, aus reinem Vergnügen und weil der Wechsel der Jahreszeiten und meine weiter wachsenden Beine es nötig machten.
Folge keinesfalls irgendwelchen Trends, sondern kleide dich zeitlos. Darauf kommt es an, ermahnte sie mich. Und lieber Designersachen als Secondhandklamotten aus Massenproduktionen.
»Comment vas-tu, chérie?«, fragte sie, um mich zu testen. In der Schule hatte ich Spanisch gewählt, weil es zweckmäßiger war, aber zu Hause lernte ich noch Französisch und auch Italienisch. Denn mitzubekommen, was andere über einen sagen, ist von größtem Nutzen, vor allem wenn sie glauben, man würde sie nicht verstehen.
»Merveilleux, maintenant que tu es à la maison!«, gab ich zurück und drückte sie noch fester. Es war wirklich wunderbar, sie wieder zu Hause zu haben. Doch sie löste ihre Hände, packte meine Unterarme und befreite sich aus meinem Griff.
»Lass dich mal anschauen.«
Es fiel mir nicht leicht, da man sich von dem, was man sich am meisten wünscht, nie trennen will, aber ich überwand mich und beugte den Kopf so weit zurück, dass sie mich betrachten konnte.
Ihre Finger strichen eine Haarsträhne von meiner Wange und zeichneten dann meine Brauen nach. Ich zupfte sie mit größter Sorgfalt, achtete darauf, dass sie dicht blieben, nachdem ich sie nach ihrem Vorbild geformt hatte.
»Einfach perfekt«, murmelte sie mit stolzem Lächeln. »Und heute ist dein 16. Geburtstag … Wie schnell doch die Jahre vergangen sind! Wenn du demnächst dem kleinen Nest hier entfliehst, wird allen da draußen Hören und Sehen vergehen.«
Vor lauter Panik hatte ich ein Kribbeln im Bauch. Inzwischen sprach sie immer häufiger davon, dass ich in die Welt hinausziehen würde. Wann würde ich sie dann noch treffen?
»Kann ich zu dir kommen?«, fragte ich, obwohl mir klar war, dass ihre Pläne das nicht vorsahen.
Wir sind doch immer zusammen, sagte sie dazu für gewöhnlich. Ich habe dich in meinem Innern geschaffen und genährt, dich direkt unter meinem Herz getragen.
Ihre grünen Augen blitzten amüsiert auf. »Vielleicht wenn du älter bist«, antwortete sie. »Noch bist du zu jung, um in meiner Welt zu leben.«
Dass wir verschiedenen Welten angehörten, versetzte mir einen Stich ins Herz.
Dann erinnerte ich mich daran, wie glücklich ich mich schätzen durfte. In meinem Freundeskreis hatten alle ganz normale Mütter; meine war außergewöhnlich. Ich liebte sie dafür, anders zu sein. Sie tanzte, wenn ihr der Sinn danach stand, redete, wie sie wollte, und zwang ihre Umgebung, sich ihr anzupassen. Meine Mitschülerinnen und Mitschüler schmissen Partys, sobald ihre Eltern mal einen Abend weg waren, aber ich behielt mein Zuhause lieber für mich allein. Jeder andere in der Wohnung hätte mir das Gefühl gegeben, sie irgendwie teilen zu müssen, und ich hatte doch selbst schon so wenig von ihr.
»Ich dachte, ich mache uns schnell eine Gemüsepfanne!«, rief ich aufgeregt. »Oder Hähnchensalat mit Erdbeeren, ginge auch. Wenn wir die Erdbeeren für den Salat verwenden, könnten wir zum Nachtisch für die Shortcakes Pfirsich nehmen.«
»Kommt gar nicht infrage. Du kochst doch nicht selbst dein Geburtstagsessen. Wir gehen aus.«
»Oh … aber das ist doch nicht nötig«, wandte ich ein. Außerdem wollte ich nicht. Ich verbrachte die wenigen Stunden, die sie da sein würde, am liebsten allein mit ihr. Womöglich würde sie mir erzählen, was sie seit unserer letzten Begegnung so getrieben hat.
»Ich habe Nein gesagt, Araceli«, sagte sie ruhig und schenkte mir dabei einen Blick, der jeden weiteren Widerspruch unterband. Prompt ließen die aufgestauten Emotionen mich unwillig herumzappeln. »Für sich selbst zu kochen dient dem Selbsterhalt«, fuhr sie fort. »Für jemand anders zu kochen ist selbstlos, und Selbstlosigkeit ist Dummheit.«
Ich atmete schnaufend aus, ernüchtert. All meine Träume von einem gemeinsamen Abendessen auf Sitzkissen um den Couchtisch herum zerfielen zu Staub. In jeder Wohnung, die wir in sämtlichen fünf Stadtbezirken New Yorks bislang bewohnt hatten, haben wir so zu Abend gegessen.
»Mach doch nicht so ein enttäuschtes Gesicht, mein Schatz«, sagte sie, beugte sich vor und stupste ihre Nase gegen meine. »Es ist dein Geburtstag! Heute vor sechzehn Jahren hättest du mich beinahe umgebracht, was nur sehr wenige Menschen von sich behaupten könnten – wenn sie denn noch am Leben wären. Da musst du doch bedient, gefeiert und bewundert werden, meine Augenweide! Du musst dich daran gewöhnen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, und lernen, wie du das zu deinem Vorteil nutzen kannst, denn du bist dazu bestimmt, es bis ganz nach oben zu schaffen. Alles zu haben.«
Sie zog mich noch einmal in ihre Arme und drückte mich an sich, wenn auch viel zu kurz. Dann ließ sie mich los und legte die Hand auf meine Wange. »Und nun zieh rasch das hübsche Dior-Kleid an, das wir beim letzten Mal gefunden haben.«
Da ich nicht lange von ihr getrennt sein wollte, beeilte ich mich, ihrem Wunsch zu entsprechen. Ich fürchtete stets, sie würde im nächsten Moment einen Anruf bekommen und sofort aufbrechen müssen.
Als ich mit den High Heels in der Hand aus meinem begehbaren Kleiderschrank stürzte, sah ich noch, wie sie an dem Beistelltisch, den wir vor Jahren bei einer Wohnungsauflösung erstanden hatten, die Schublade abschloss. Was sie darin aufbewahrte, wusste ich nicht, weil sie den Schlüssel stets einsteckte und ich ihr nie hinterherschnüffelte. Außerdem kam es mir so vor, als hätte sie mich sowieso ständig im Auge. Keine Ahnung, ob sie mich tatsächlich überwachte, aber da es sich so anfühlte, verhielt ich mich dementsprechend.
Wir zogen gemeinsam durch die Stadt und waren die ganze Nacht unterwegs. Bei Peter Luger aßen wir viel zu viel Filet Mignon, und ich fragte mich nur kurz – und im Stillen –, ob wir uns das überhaupt leisten konnten. Meine Mutter lachte, als ich die Kerze auf meinem Nachtisch ausblies. Jetzt wo du älter bist, macht das viel mehr Spaß, sagte sie. Ihr Geschenk war eine Kette mit einem herzförmigen diamantbesetzten Anhänger, in dem sich eine Lilie aus Emaille verbarg. Genauso erblühst du auch gerade, Araceli!, rief sie. Wir tanzten in einer Jazzbar, in der es nach Whisky und Zigarren roch. Wir spielten Billard, und meine Mutter zockte eine Gruppe betrunkener Männer ab. Am Horizont schimmerte schon die Sonne, als wir nach Hause kamen. Meine Mutter sagte, ich solle ausschlafen und mir keine Gedanken wegen der Schule machen, sie würde anrufen und mich entschuldigen. Strikte Verhaltensnormen gelten für dich heute mal nicht!
Es war bereits ein Uhr mittags, als ich auf dem Sofa erwachte. Sobald meine Wahrnehmung zurückkehrte, spürte ich die Einsamkeit zentnerschwer auf mir lasten. Sie war weg. Ich wusste es, bevor ich zum Bett sah, das sie für sich beansprucht hatte, da es früher einmal ihres gewesen war. Heiß und schwer liefen mir Tränen über die Wangen und durchtränkten das Haar an meinen Schläfen.
Erst um drei bemerkte ich den behelfsmäßigen Universalschlüssel, der aus der Schublade des Beistelltischs ragte. Nachdem ich ihn eine ganze Weile angestarrt hatte, beschloss ich, die Sache zu ignorieren. Doch während ich duschte und danach das Essen zubereitete, das ich eigentlich am Vorabend für sie hatte machen wollen, ließ es mir keine Ruhe. Ich hockte im Schneidersitz auf dem Boden, und mein Blick kehrte andauernd dahin zurück. Meine Mutter war keine Frau, der so etwas versehentlich passierte. Niemals irgendwo Spuren hinterlassen, sagte sie immer.
Hatte sie ihn also absichtlich stecken lassen? Warum?
Es war neun Uhr, als ich mich nicht länger zurückhalten konnte. Langsam beugte ich mich vor und glaubte dabei, einen scharfen Blick auf mir zu spüren, der mich durchbohrte wie ein Dolch. »Wenn ich nicht reinschauen soll, ruf an«, sagte ich laut, da ich das Gefühl nicht loswurde, hier auf die Probe gestellt zu werden. Doch das Telefon – dessen Nummer sie alle paar Monate änderte –, klingelte nicht.
Der kleine Notschlüssel ließ sich nur mit Mühe drehen, als müsste das Schloss geschmiert werden. Alle Flächen des Möbelstücks hatten wir damals mit Tiefenreiniger und Holzöl aufgearbeitet. Ich holte tief Luft und riss die Schublade auf.
Eine alte Keksdose kam zum Vorschein, angefüllt mit Krawattennadeln, nicht zusammengehörenden Manschettenknöpfen, Uhren und Ringen – große Ringe, die auf unsere schlanken Finger gar nicht passen würden. Irritiert kramte ich in der Dose herum, und die Metallteile klimperten wie ein disharmonisches Glockenspiel. Mir war bislang nie aufgefallen, dass sie solche Dinge sammelte. Bei all unseren Besuchen in Trödelläden hatte ich sie nie an Vitrinen mit Schmuck gesehen, und da ich sie unablässig beobachtete, schien es ausgeschlossen, dass mir dieses Hobby von ihr entgangen sein könnte.
Das anfänglich kühle Gold und Silber erwärmte sich langsam durch meine Berührung. Dann begannen meine Hände zu schwitzen, und Feuchtigkeit beschlug die glänzenden Oberflächen. Mit dem Saum meines T-Shirts polierte ich die Spuren meiner Neugier fort und überlegte sogar kurz, mir Handschuhe anzuziehen und alles noch einmal abzuwischen, um keine verräterischen Fingerabdrücke zu hinterlassen.
Ensemble pour toujours, Pierre – Sophia
Ich starrte die Gravur in dem Ring an, bis meine Hand so stark zitterte, dass ich die Schrift nicht länger entziffern konnte. Auf ewig vereint. Ein Trauring. Der einem Mann gehörte, der genauso hieß wie ein früherer Partner meiner Mutter. Ein Zufall. Eigenartig, aber denkbar.
Der Knoten in meinem Magen zog sich enger, wie eine Würgeschlange.
Trophäen.
Die Erkenntnis kam schon zu prompt, als hätte ich einen Haufen loser Puzzleteile durch ein kurzes Schütteln sofort zu einem fertigen Bild zusammengefügt. Waren meine Sinne mit sechzehn plötzlich irgendwie geschärft?
Sie hatte doch gewollt, dass ich begreife, oder etwa nicht? Hatte sie nicht seit Jahren Hinweise für mich gestreut? Wie stark sehnte ich mich bis heute danach, von ihr gesehen zu werden. Hatte sie sich das vielleicht umgekehrt ebenso sehr gewünscht?
Gallensaft stieg mir in die Kehle, und ich schluckte ihn rasch herunter, aber der Brechreiz war plötzlich so übermächtig, dass ich es nur mit Mühe rechtzeitig zur Toilette schaffte. Heftiges Würgen schüttelte mich, überzog meine Haut mit einem eisigen Schweißfilm. Es nahm kein Ende, eine Entschlackung bis in die tiefsten Winkel der Seele.
Endlich sank ich auf die kühlen Mosaikfliesen und lehnte mich gegen die Badezimmerwand zurück. Meine Gedanken stürzten wirr durcheinander und wirkten zugleich wie schockgefrostet. Ich konnte es einfach nicht begreifen und hatte im selben Moment das Gefühl, auf die Antwort zu einer lange offen gewesenen Frage gestoßen zu sein.
Ich muss eine ganze Weile dort gesessen haben, denn es war schon dunkel draußen, als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, wo ich alles wieder sorgsam in die Dose räumte und diese dann in der Schublade einschloss. Den Schlüssel ließ ich jedoch da, wo ich ihn gefunden hatte. Ich zündete die Duftkerze an und schob die Fenster auf, um mir einbilden zu können, meine Mutter wäre wieder hier bei mir.
Aber es machte mir zu viel Angst.
Also schloss ich die Fenster, blies die Kerze aus und saß im Dunkeln, die Knie fest an die Brust gepresst.
»Es ist der verzweifelte Versuch gewesen, quälenden Erinnerungen, einem Gefühl unerträglicher Einsamkeit und der beängstigenden Vorahnung irgendeines sonderbaren Verhängnisses zu entfliehen.«
EDGARALLANPOE
WITTEJETZT
•
Während ich in der Master Suite die heutige Ausgabe der Zeitung in die vergoldete Schale auf dem Polsterhocker lege, glitzern Regentropfen an den gläsernen Fassaden von Manhattans Wolkenkratzern. Die Spiegelfliesen im fleckigen Vintagestil, die alle Wandflächen bedecken, geben unausweichlich all meine Bewegungen wie in einem körnig verschwommenen Stummfilm aus längst vergangenen Tagen wieder. Meinen Beruf als Majordomus halten manche Leute sicher für ebenso aus der Zeit gefallen, doch sie wissen nicht, dass meine aktuelle Tätigkeit mindestens so gefährlich ist wie die verdeckten Operationen, mit denen ich früher meinen Lebensunterhalt verdiente. Schließlich hat der Mann, in dessen Diensten ich jetzt stehe, eine Familie, die tödlicher ist als eine Grube voller Giftschlangen, die unterschiedslos alles beißen, was ihnen in die Quere kommt.
Nach Erledigung meiner Aufgabe würde ich mich nun normalerweise auf demselben Weg, den ich gekommen war, wieder zurückziehen. Heute jedoch durchquere ich den Raum, bis ich vor einem klaren Spiegel stehe, der über einem ebenfalls verspiegelten Konsolentisch an der schimmernden Wand hängt. Wie alles in meinem Leben so ist auch dieser Spiegel nicht, was er scheint. Die saphirblauen Samtbänder, an denen er vermeintlich hängt, sind reine Illusion. Sobald ich meinen Daumen auf einen versteckten Fingerabdruckscanner lege, gleitet der Spiegel geräuschlos nach oben, und ein Safe wird sichtbar.
Verschlossen darin ist eine eindrucksvolle Sammlung an Schmuckstücken – Halsketten, Ringe, Armreifen und so weiter –, die Mr. Black für seine Frau erworben hat. Ich spreche von ihr stets als Mrs. Black. Andere nennen sie Lily, doch das ist bloß einer ihrer vielen Decknamen.
Ihren wahren Namen kennen wir genauso wenig wie ihr Alter oder ihre Vorgeschichte. Durch aufwendige Nachforschungen haben wir bereits von Dutzenden falscher Identitäten erfahren, die sie in den Jahren, in denen sie für tot galt, benutzte. Eine echte Beziehung hat sie tatsächlich nur zu zwei Personen eingeräumt: ihrer verstorbenen Mutter und deren Liebhaber – Stephanie und Valon Laska.
Lily gibt vor, die wahre Identität ihrer Mutter nicht zu kennen. Stephanie Laska war jedenfalls lediglich einer von vielen Decknamen. Außerdem hat sie gestanden, ihre Mutter getötet zu haben, da diese mit ihren erdrückenden Einmischungen alles bedrohte, was der Tochter wirklich wichtig war. Ihr Liebhaber, Valon Laska, war ein Berufsverbrecher, der auf den Fahndungslisten von Bundes- und Landesbehörden stand. Gestern war er einem Mordanschlag zum Opfer gefallen, verübt von einer Täterin, die verblüffend starke Ähnlichkeiten mit der Ehefrau meines Arbeitgebers aufwies.
Kein Zweifel, die Frau, die es in dieses Penthouse – und ins Bett meines Arbeitgebers – geschafft hat, ist gefährlich.
Gestoßen sind wir auf sie in Midtown, als sie die Straße überquerte. Eine Frau mit Lilys unvergleichlichen Gesichtszügen, die inzwischen als die einzige wahre Mrs. Black anerkannt ist. Wie und warum sie damals für tot erklärt wurde, gehört zu dem Puzzle, das wir bislang noch nicht zusammenfügen konnten. Doch Mr. Black betrachtet sie vorbehaltlos als seine Frau, von der wir alle glaubten, sie wäre vor all den Jahren auf See geblieben. Aus seiner Sicht ist er mit seiner großen Liebe wiedervereint, und er ist finster entschlossen, alles zu bekämpfen, was sie ihm nehmen könnte.
Links von mir ist die bloß angelehnte Tür zu ihrem Ankleideraum, der zugleich den Durchgang zu ihrem Schlafzimmer bildet. Die Doppeltüren hinter mir führen entsprechend zu Mr. Blacks Ankleideraum und Schlafzimmer, aber im Moment ist er bei ihr, in ihrem Schlafzimmer, und das schon die ganze Nacht. Nur weil sie derzeit zusammen sind, riskiere ich es auch, den Safe zu inspizieren. Eine bessere Ablenkung als meinen Arbeitgeber könnte es nicht geben, und ich muss die Chance nutzen, bevor er ins Büro aufbricht und ihr damit den Freiraum gibt, mein Tun stärker im Auge zu behalten.
Gestern Abend habe ich noch stundenlang die polizeilichen Überwachungsaufnahmen der Frau studiert, die für den Mord an Laska verantwortlich gemacht wird. Die Ähnlichkeit der Täterin mit Mrs. Black ist frappierend, was die feinen Unterschiede umso auffälliger macht. Lily ist groß gewachsen, gertenschlank und verfügt über die Art von Figur, nach der Modedesigner sich sehnen, da solch graziöse Formen einfach jedes Kleidungsstück vorteilhaft zur Geltung bringen. Mit ihrem mondlichtblassen Teint und dem schulterlangen Haar, das in einem natürlichen Tiefschwarz schimmert, verkörpert Lily eine aufsehenerregende und einzigartige Schönheit.
Die Frau auf den Fotos hat etwa dieselbe Körpergröße, doch die langen Haare reichen ihr bis zur Taille. Das Kleid ist mir unbekannt. Würde es aus der Garderobe der Dame des Hauses stammen, wüsste ich das. Ein paar Details in der Gesichtsstruktur mögen nicht ganz stimmen, aber Ausnahmeschönheiten wie Lily sind eben auch extrem rar. Da ist es nahezu ausgeschlossen, dass es irgendwo einen nicht verwandten Menschen gibt, der ihr tatsächlich so sehr ähnelt.
Mein Blick wandert prüfend über die vielen Reihen an glitzernden Juwelen. Als ich nicht entdecke, wonach ich suche, spüre ich, wie mir das Adrenalin in die Adern schießt. Seit der Rückkehr von Mrs. Black haben mich schon eine Menge Fragen beschäftigt. Gerade sind noch einige dazugekommen.
Lilys tiefes, kehliges Lachen, das in starkem Kontrast zu ihrer erstaunlich mädchenhaften Stimme steht, dringt aus dem Nachbarraum herüber. Ich gehe in die Hocke, halte Ausschau nach einem verräterischen Funkeln, das auf eine Kette oder einen Ohrring in dem dichten Teppichflor deuten könnte. Es ist unwahrscheinlich, zugegeben, aber ich darf nichts unversucht lassen. Da ich allerdings nichts finde, klappe ich die etagenförmigen Einschübe wieder zu und schließe den Safe.
Die Schmuckstücke fehlen, keine Frage.
Ich verschwinde rasch durch den Ankleideraum des Hausherrn, bleibe aber wie angewurzelt stehen, als ich höre, wie hinter mir ihre Stimmen lauter werden und sie offenbar unmittelbar nach meinem Abgang das Zimmer betreten haben. Ich riskiere es, noch ein wenig zu bleiben, um zu lauschen, und tue so, als müsste ich Mr. Blacks Anzüge glatt streichen. Die elektrisierende Energie, die von seiner Frau ausgeht, erfüllt sofort die kurze Distanz zwischen uns und verursacht mir eine Gänsehaut. Sie strahlt eine Tatkraft aus, die alles durchdringt. Die Erinnerung an sie war im Penthouse bereits omnipräsent, bevor sie jemals den Fuß über die Schwelle gesetzt hatte. Sobald sie dann hier wohnte, begannen diese Räume zum Leben zu erwachen. Genauso wie Mr. Black.
»Hast du irgendwelche Termine in den nächsten Wochen, die dagegensprechen, dass wir deine Familie zum Abendessen einladen?«, fragt Lily mit ihrer markanten Stimme, die ungewöhnlich hoch mit einer gehauchten Wärme ist. Bei ihrem Anblick würde man nie erwarten, dass sie so spricht, aber schon nach wenigen Worten kann man sich gar nicht mehr vorstellen, sie könnte anders klingen. Einen Akzent kann ich aus ihrer Stimme nicht heraushören. Sie bietet einfach keinerlei Hinweise darauf, wer sich hinter dieser bezaubernden Erscheinung, die sie so mühelos verkörpert, in Wahrheit verbirgt.
Jede Gelegenheit, die ich ihr eröffnete, etwas – irgendetwas – von sich preiszugeben, verstrich ungenutzt. Sie spricht nie, nicht einmal beiläufig, über ihre Vergangenheit. Während der Jahre, in denen sie vermeintlich tot war, schilderten einstige Bekannte sie stets als eine Frau, die großen Anteil an ihren Mitmenschen nahm. Jetzt, da ich sie kennengelernt habe, weiß ich, dass sie andere gern ermuntert, von sich zu erzählen, damit wenig Raum bleibt, es umgekehrt auch von sich zu tun.
»Ich stehe ganz zu deiner Verfügung, Setareh«, antwortet mein Arbeitgeber, der seine Frau stets mit diesem Kosenamen anredet. Er bedeutet so viel wie Bestimmung, Verhängnis. Sehr romantisch natürlich, und bezeichnend. Da er ihren eigentlichen Namen nicht kennt, verbindet sie so etwas Wahres statt einer Lüge. »Jederzeit.«
An die Wärme in Mr. Blacks Stimme muss ich mich noch immer gewöhnen. Auch wenn Lily erst einige Monate zurück ist, war sie auf prägende Weise stets präsent. Fremd wirkt eher mein Arbeitgeber, den ihre Rückkehr völlig verändert hat.
Jahrelang musste ich beobachten, wie er um seine geliebte Frau qualvoll trauerte, und so freut es mich natürlich, ihn endlich glücklich zu sehen. Nur zu gern würde ich glauben, dass Lilys Gefühle für Mr. Black aufrichtig sind, aber sie kann problemlos mehrere verschiedene Persönlichkeiten annehmen und Eigenschaften demonstrieren, die komplett gefälscht sind.
Abrupt fällt eine dritte Stimme ein, was bedeutet, dass sie den Fernseher im Zimmer angeschaltet haben. Auf dem ersten Senderplatz hat der örtliche Kabelanbieter seinen Nachrichtenkanal vorprogrammiert, der rund um die Uhr aktuelle Meldungen bringt. Dann wird der Ton auf stumm geschaltet, und das Rascheln von Zeitungspapier ist zu hören.
Ich wage es, kurz um den Türpfosten zu schielen, und erblicke Familienleben in prachtvollster Form. Lily sitzt in einem atemberaubenden roten Seidenkimono auf dem dunkelblauen Sofa, während mein Arbeitgeber es sich neben ihr in einer schwarzen Seidenhose und einem dazu passenden Morgenmantel gemütlich gemacht hat. Sie hält Notizbuch und Stift in Händen, hat die Beine angewinkelt aufs Polster gezogen und schreibt, wobei die glänzenden Haare ihr Gesicht verdecken. Er sitzt dicht neben ihr und liest Zeitung. Der Bildschirm über dem Kamin zeigt Valon Laska, der die Zuschauer aus einem seiner vielen Polizeifotos anstarrt.
Ich kann mich nicht bewegen. Alle drei hier auf diese Weise vereint zu sehen, hält mich wie gefesselt. Vergeblich warte ich darauf, dass Lily aufblickt und den Mann entdeckt, von dem sie behauptet, er sei keine Vaterfigur gewesen, der sich aber dennoch um sie kümmerte. Ein Mann, von dem sie behauptet, dass er ihren Liebsten umbringen wollte, weil ihre Mutter genau das von ihm erwartet hätte.
»Setareh …«, sagt Mr. Black, dem es offensichtlich schwerfällt, den Blick von der Zeitung abzuwenden. Ein erstes Anzeichen für bloße Vortäuschung, da er in Wahrheit nichts lieber ansieht als seine Frau.
Mit einem tiefen Seufzer streckt er ihr die Zeitung entgegen. Sein Gesichtsausdruck bleibt mir verborgen, aber ihre besorgte Miene spricht Bände. »Was ist los?«, fragt sie und nimmt die Zeitung, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.
»Laska«, knurrt er mürrisch. »Gestern hat man ihn umgebracht.«
Lily erstarrt sichtlich. Rasch beginnt sie zu lesen, ihr Blick huscht über die Worte, und ihre perfekt geschwungenen Augenbrauen wandern in die Höhe. Er legt ihr den Arm um die Schultern und drückt sie an sich. Die tröstende Geste gilt dem Tod eines Mannes, der ihn ohne Zögern ermordet hätte, wie er bereits Unzählige vor ihm umgebracht hatte.
»Ich würde sagen, da hat jemand der Welt einen Gefallen getan«, erklärt sie schließlich mit leicht wackliger Stimme.
Ihre Worte sind frei von jeder Emotion, doch die Zeitung raschelt in ihren zitternden Fingern.
Mr. Black legt den Kopf gegen ihren und wirft die Zeitung, so wie sie ist, zurück auf den Polsterhocker. »Ich kann nachvollziehen, dass sich das für dich verwirrend anfühlen muss«, sagt er.
»Da gibt’s nichts Verwirrendes«, erwidert sie und schaut zum Fernseher, wo der Moderator sich schon einem anderen Thema zugewandt hat, sodass sie von der Berichterstattung zuvor nichts mehr mitbekommt. »Es ist eine große Erleichterung. Du schwebst nicht mehr in Gefahr.«
»Und du auch nicht. Das allein zählt.«
Ich trete zurück in den Ankleideraum und warte einen Moment, um zu hören, ob er womöglich von dem, was er weiß, noch etwas preisgibt. Als sie wieder die Pläne fürs Abendessen aufgreifen, ziehe ich mich geräuschlos zurück. Das Ganze erschüttert mich doch zutiefst.
Mein Arbeitgeber war seit gestern über die Ereignisse informiert – ich selbst hatte ihm darüber berichtet. Und nun setzte er seine Frau auf diese Weise über den Mord in Kenntnis? Als Zeitungsmeldung aus zweiter Hand und mit gespielter Überraschung …?
Die Presse weiß weit weniger über Laskas Ermordung, als ich das tue. Vor allem nicht, dass die Frau, die Valon Laska erstochen hat, am Tatort von Undercover-Polizisten, die Laska beschatteten, mit eigenen Augen gesehen und fotografiert wurde. Ich habe mir ein Netzwerk von Personen aufgebaut, die an den unterschiedlichsten Stellen beschäftigt sind und die mir aus dem ein oder anderen Grund bei nahezu jedem Problem behilflich sind. Ein Großteil von dem, was ich über den Mord weiß, ist Mr. Black bekannt, doch seiner Frau hat er nichts davon mitgeteilt.
Was verheimlicht er vor ihr? Dass die Frau, die Laska umgebracht hat, ihr exaktes Ebenbild ist? Oder dass er über solch weitreichende Quellen und Informationen verfügt?
Er liebt seine Frau über alle Maßen, aber vertraut er ihr nicht? Oder versucht er nur, sie zu beschützen?
Lilys außerordentliche Schönheit ist von all ihren Waffen die am wenigsten tödliche.
Ich atme langsam und kontrolliert aus. Mr. Blacks Vorstellung hat mich wirklich beeindruckt, das muss ich zugeben. Hätte ich es nicht besser gewusst, ich wäre überzeugt davon gewesen, dass er gerade zum ersten Mal von Laskas Ermordung hört.
Die beiden sitzen da zusammen, Mann und Frau. Sie lieben sich voller Leidenschaft und geben sich als Seelenverwandte, die einander alles zu schenken bereit sind – nur keine Ehrlichkeit.
Schlagartig geht mir ein Licht auf. Ich habe den Mann, dem ich beigebracht habe, wie man richtig sitzt und isst, sich stilvoll kleidet und mit Autorität und Elan auftritt, offenkundig unterschätzt. Seinem Stiefvater hatte es an Reife und Anstand gemangelt, den Sohn eines anderen aufzuziehen. Und seine Mutter hatte ihn deshalb abgeschrieben und sich lieber auf die Förderung seiner Stiefgeschwister konzentriert.
Kane Black wäre auch ohne mich erfolgreich gewesen. Weder an seiner Intelligenz noch an seinem Ehrgeiz noch an seiner natürlichen Ausstrahlung habe ich irgendeinen Anteil. Ihm war bewusst, dass er beratende Förderung brauchte, also suchte er sie sich, weswegen er für den Menschen, den er aus sich gemacht hat, selbst unmittelbar verantwortlich ist.
Allerdings begann die professionelle Distanz zwischen uns während dieser Entwicklung irgendwann zu schwinden und löste sich dann völlig auf. In gewisser Weise ist er für mich wie ein Sohn, und genau das hat mich auf diesem Auge blind gemacht. Doch jetzt begreife ich.
Er ist keinen Deut weniger gefährlich als seine Frau.
AMY
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Wollt ihr mich verarschen?«, schreie ich und starre mit offenem Mund auf den Fernseher im Schlafzimmer, wo Pat Kiernan auf NY1 gerade die wichtigsten Punkte zum Mord an Valon Laska zusammenfasst. »Das gibt’s doch nicht!«
Lastet etwa ein Fluch auf mir? Solche Wendungen widerfahren doch niemandem rein zufällig. Ich wäre nicht überrascht, wenn Aliyah, meine Hexe von Schwiegermutter, irgendwo in ihrem Haus einen Altar hat, auf dem sie eine mich darstellende Voodoo-Puppe mit Nadeln oder irgend so einem Scheiß traktiert.
Es lief aber auch einfach zu gut. Ich hätte darauf gefasst sein sollen, dass alles noch in die Binsen geht. Als ich einen neuen Kunden brauchte, griff prompt ein ehemaliger nach dem Telefon und rief mich an. Inzwischen sitze ich bereits an dem Auftrag für Laska und hauche dem Auftritt eines Restaurants, das zu seinen legalen Geschäften zählt, in den sozialen Medien neues Leben ein. Wusste ich, dass der Kerl ein Ganove war? Natürlich, das war jedem bekannt. Aber er hat mich nie darum gebeten, etwas Illegales zu tun, hat nie den Preis heruntergehandelt, stets umgehend seine Rechnungen beglichen und mich mindestens ein Dutzend Mal erfolgreich weiterempfohlen. Er war der ideale Kunde.
Sein Anruf vor ein paar Wochen hatte mich regelrecht in Euphorie versetzt. Mit ein paar Folgeaufträgen von ihm würde ich meine Firma wieder in Schwung bringen und sie mir von den Armands zurückholen. Und jetzt …?
Irgendwo in meinem Innern gluckst es belustigt, und plötzlich breche ich in schallendes Gelächter aus. Es ist aber auch zu komisch. Ich sinke zu Boden und kann nicht aufhören zu lachen, bis mir Tränen über die Wangen laufen.
Keiner spricht je davon, wie saukomisch es sein kann, an einem absoluten Tiefpunkt anzukommen, aber das hängt wohl auch von der jeweiligen Perspektive ab. Bei mir hat die Erkenntnis, dass ich anscheinend mit meinem Schwager geschlafen haben muss, meine Sichtweise jedenfalls definitiv auf den Kopf gestellt, verdammt!
»Ich habe mich schon einmal bis ganz nach oben gekämpft«, sage ich atemlos und wische mir die Augen trocken. »Das schaffe ich auch noch mal.« Und diesmal wird mich keiner mehr runterschubsen.
Mit den Jahren habe ich völlig vergessen, dass ich gerade dann zu Bestform auflaufe, wenn die Lage am beschissensten ist. Viele Dinge habe ich vergessen, unter anderem wer zum Teufel ich eigentlich bin und was ich überhaupt will. Ich weiß bloß, dass ich mich selbst ankotze und die Schnauze voll davon habe, den ganzen Scheiß nur passiv zu durchleiden.
Und nüchtern zu sein eröffnet ebenfalls ganz neue Perspektiven.
Irgendwas stimmt hier nicht …
Ich stehe auf, wende mich von den Nachrichten ab und kehre ins Badezimmer zurück, um mich für die Arbeit fertig zu machen. Meine Karriere habe ich selbst in der Hand. Ich kann es schaffen. Und wenn man seine Karten geschickt auszuspielen versteht, kann der Erfolg zum Selbstläufer werden. Also fange ich jetzt erst einmal damit an und arbeite mich dann weiter durch zu den restlichen Baustellen meines Lebens.
Im Moment versuche ich, mich immer bloß auf eine Sache zu konzentrieren. Das muss sein, weil ich sonst nicht nur das Gefühl hätte, verrückt zu werden, sondern auch tatsächlich total austicken würde. Es ist einfach ein Albtraum zu viel in den vergangenen Tagen gewesen.
Seit ich nüchtern bin, habe ich die fatale Abfolge von Ereignissen, die mich zu den Armands brachte, bestimmt zigmal in meinem Schädel aufgedröselt. Vor Jahren, bei meinem ersten Geschäftsessen mit Valon Laska, fiel mir Kane das erste Mal auf – und ich ihm. Ein paar Stunden später bereits vögelten wir, als gäbe es kein Morgen. In den Tagen danach musste ich ständig an ihn denken, doch er ghostete mich komplett. Das hätte eigentlich alles sein sollen, aber ich ließ mich dazu hinreißen, ihm vor dem Crossfire-Building, in dem sein Unternehmen Baharan Pharmaceuticals seinen Hauptsitz hat, aufzulauern, um eine zufällige Begegnung zu inszenieren.
Als er schließlich betont dynamisch durch die Drehtür auf die Straße hinausgestürmt kam, muss ich das womöglich missverstanden und für freudige Erregung gehalten haben. Kane ist so groß und traumhaft muskulös gebaut. Seine Anzüge sitzen, als wären sie ihm direkt auf den Leib geschneidert. An seinen Bewegungen erkennt man sofort den Athleten. Eine Mischung aus Kraft und Eleganz, die Potenz und Kondition signalisiert. Darius bemerkte ich erst an seiner Seite, als wir uns vorgestellt wurden. Und während ich mit seinem Halbbruder ein paar freundliche Worte wechselte, um Eindruck zu schinden, schlüpfte Kane rasch in den am Bordstein wartenden Range Rover, und Witte entführte ihn.
Es versetzte mir einen fürchterlichen Schlag, so an den nächstbesten Typen weitergereicht zu werden. Den Schritt sollte er noch bereuen, dachte ich mir, schleppte Darius ab und vögelte ihn zu Hause kräftig durch. Kane kümmerte das aber nicht die Bohne. Inzwischen bin ich mir allerdings nicht mehr sicher … Habe ich das wirklich wegen Kane gemacht oder sehnte ich mich nach einer solchen Abfuhr einfach danach, begehrt zu werden? Und eine Zeit lang spielte es auch gar keine Rolle, warum ich bei Darius landete, denn wir waren wahnsinnig glücklich. Das änderte sich erst, als ich viel später von Kanes Obsession für seine tote Frau Lily erfuhr.
Er hatte mich lediglich gefickt, weil ich ihr ähnelte, darin bestand sein Fetisch. Wie krank ist das? Das hätte mich endgültig kurieren sollen, was ihn betraf. Und tatsächlich nervte es mich gewaltig. An diesem Punkt setzten bei mir meine Verunsicherung und meine Hyperfokussierung auf Kane ein.
Aber warum? Und warum fiel es mir nie auf, dass ich langsam, aber sicher ein Fall für die Klapse wurde? Ich merkte jedoch, dass etwas nicht stimmte, dass ich mich nicht wie ich selbst fühlte. Meine perfekte Ehe mit meinem Göttergatten schien plötzlich keine sichere Bank mehr. Alles und jedes um mich herum erschien mir … unheimlich.
Meine Therapeutin meinte, ich hätte Probleme damit, von meinem Vater verlassen worden zu sein, was meine Wahrnehmung der Außenwelt beeinflussen würde. Aber habe ich daran gearbeitet? Nein. Ich wollte weiter unbedingt von Kane bestätigt haben, dass ich nicht wertlos war, während ich mich gegenüber Darius immer feindseliger benahm.
Und mich bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen ließ. Diesen Teil sollte man nicht vergessen.
Erklärt wurde mir auch, ich hätte all die Erblasten zu tragen, mit denen sich Kinder von Alkoholikern häufig herumschlagen müssen – impulsives Handeln, Überreaktionen, Hang zur Opferrolle, Verfolgungswahn und Abermillionen anderer schwachsinniger Etikette, die sie den Leuten ankleben, um horrende Gebühren für Therapiesitzungen in Rechnung stellen zu können.
Ich betrachte mich im Badezimmerspiegel. Die Ähnlichkeiten, die Kane zwischen Lily und mir entdeckt hatte, sind mittlerweile systematisch verstärkt worden. So haben meine tief in den Rücken fallenden Haare jetzt exakt ihren dunkleren Farbton. Und das satte Lila des seidenen BHs, der meine kleinen Brüste umfängt, ist eine dramatische Veränderung zu den sanft goldenen Hauttönen, die ich früher trug.
Früher war meine Garderobe völlig nach der meiner Schwiegermutter ausgerichtet – restlos alles in neutralen Farben. Mein Schlafzimmer genauso. Inzwischen hat beides eher etwas von dem edlen Gothic Style, den Lily bevorzugt und der im Penthouse vorherrscht. Andererseits war das Studio-Apartment, das ich vor meiner Heirat mit Darius bewohnte, in einer fröhlichen Mischung aus Pastellnuancen gehalten.
Wann begann ich mich derart zu hassen, dass ich unbedingt jemand anderes sein wollte, egal wer?
Wer bin ich? Ich kenne die Scheißantwort darauf einfach nicht mehr.
»Bist du noch gar nicht angezogen?« Darius betritt in einem anthrazitfarbenen Anzug und einer Krawatte, die das blasse Blau seiner Augen aufnimmt, hinter mir das Badezimmer. Unsere Blicke begegnen sich im Spiegel. Nur Darius, Ramin und deren Schwester Rosana haben diese herrlich blauen Augen. Kanes sind braun. »Aber so gefällst du mir auch am besten«, murmelt er und senkt den Kopf, um mich auf die Schulter zu küssen.
Ich schließe die Augen, atme den Duft seines Rasierwassers ein und fahnde in mir nach der freudigen Erregung, die ich früher immer verspürte, wenn er sich ganz auf mich konzentrierte. Wann haben wir uns auseinandergelebt? Wie konnte ich das zulassen? Weil meine Eltern mir so einprägsam selbstzerstörerisches Verhalten vorgelebt hatten? Oder liegt die Schuld gar nicht bei mir? Für eine stabile Ehe braucht es schließlich zwei.
Darius ist attraktiv und durchtrainiert, ist genau das, was man unter groß, dunkel und gut aussehend versteht, auch wenn er nicht ganz so groß wie Kane ist. Ungeachtet der Schäferstündchen, die seine Sekretärin ihm gewährt, ist er noch immer richtig scharf auf mich. Seinen Anzugstoff auf meiner nackten Haut zu spüren, hätte vor nicht allzu langer Zeit noch automatisch Lust geweckt, aber jetzt, da ich von seiner Untreue weiß, brennt nur der Zorn in mir.
Meine Augen öffnen sich zu schmalen Schlitzen. »Seit wann fickst du deine Sekretärin eigentlich?« Mittlerweile brodelt mein Blut vor Wut.
Er erstarrt und wird totenstill. Seiner Brust an meinem Rücken entfährt langsam die Luft, und sein Blick richtet sich im Spiegel wieder auf meinen. »Sag das noch mal«, knurrt er, und sein Unterkiefer tritt hervor.
»Bist du von Natur aus untreu?«, frage ich in knappem, eisigem Ton. »Oder fehlt dir was bei mir?«
Er richtet sich auf und wirbelt mich an den Schultern herum. »Verstehe ich das richtig? Du denkst, ich würde Alice ficken?«
»Willst du das etwa abstreiten?«
»Hast du sie nicht mehr alle?« Er funkelt mich an. »Nein, ich vögele meine Sekretärin nicht.« Als ich stumm bleibe, verengen sich seine Augen gefährlich. »Ich weiß ja, dass du die halbe Zeit sturzbetrunken bist, aber ich dachte schon, dass dir nicht entgehen würde, wie oft ich dich – meine Frau – ficke. Da bleibt mir weder Zeit noch Kraft, es auch noch anderen zu besorgen.«
Sein Konter ist giftig und klingt eher gekränkt als abwehrend.
»Und wie kommt’s, dass ich dich freitagnachmittags nie erreiche?«, bohre ich nach.
»Da treffe ich mich regelmäßig mit meiner Mutter«, antwortet er mit erstaunter Miene. »Ich arbeite nämlich, Amy. Auf diese Weise finanziere ich deinen Lebensunterhalt und sorge dafür, dass du dir all deine Wünsche erfüllen kannst.«
»Ich bin nicht bedürftig in diese Ehe gekommen, Darius!«, gebe ich scharf zurück. »Wie du vielleicht noch weißt, war ich äußerst erfolgreich.«
»Klar erinnere ich mich! Ich habe mich ja in diese erfolgreiche Geschäftsfrau verliebt und wollte mir mit ihr ein gemeinsames Leben aufbauen.«
Der Atem zischt mir durch die Zähne, und mein Kopf schnellt zurück, als hätte mir jemand einen Faustschlag verpasst. Und im Grunde stimmte das ja auch. »Wie soll ich mich wie diese Frau fühlen, wenn deine Mutter mich ständig drangsaliert und überall meine Autorität untergräbt!«
»Das verstehe ich, und daran arbeite ich auch. Das weißt du doch.«
Ich hasse diesen beschwichtigenden Ton, mit dem er mich immer abspeist, sobald das Gespräch auf seine Mutter kommt. Als würde ich mir bloß einbilden, wie sie mit mir redet und mich behandelt. »Sie war’s, die beiläufig durchblicken ließ, dass du fremdgehst.«
Erneut fährt er zusammen. Einen Moment lang fehlen ihm die Worte. »Was?«, fragt er dann.
»Du hast mich schon verstanden«, entgegne ich und will bereits die Arme vor der Brust verschränken, da ich mir in meiner Unterwäsche so nackt vorkomme, doch eigentlich ist das Schwachsinn. Keiner hat mich im Leben häufiger nackt gesehen als Darius. Ich starre ihn an, weiß nicht, was ich glauben soll. Eigentlich glaube ich diesen Mann zu kennen, den ich einst aus Liebe geheiratet hatte.
Aber inzwischen habe ich den Übernahmevertrag gelesen, mit dem das von mir gegründete Social-Media-Unternehmen Social Creamery eine bloße Tochtergesellschaft des rasant wachsenden Pharmakonzerns Baharan wurde. Darius ist zweifellos viel zu intelligent, als dass ihm die Ausstiegsklausel und andere höchst aufschlussreiche Informationen darin hätten entgehen können. Und selbst bei mangelndem juristischem Sachverstand hätte es lediglich einer kurzen Unterhaltung mit Ramin, der den Vertrag aufgesetzt hatte, bedurft, und unsere Optionen hätten ihm vor Augen gestanden. Darius muss von der Klausel gewusst haben, streitet es aber weiter ab.
»Amy«, sagt er und packt mich an den Armen, »bei einer solch schweren Anschuldigung solltest du dir besser ganz sicher sein.«
»Ich kenne deine Mutter genau, Darius. Du bist derjenige, der keine Ahnung hat.«
Warum hat Ramin mir bei dem Vertrag geholfen? Warum behauptet er steif und fest, er hätte mir schon seit über einem Jahr von dieser Ausstiegsklausel erzählt? Warum erzählt jeder der Armands eine andere Version? Aliyah und Darius sind nicht verlässlich, so viel steht fest. Ramin möglicherweise auch nicht. Er hat die Frau seines Bruders gefickt, also ist er nicht unbedingt vertrauenswürdig.
Ich schlucke den bitteren Geschmack hinunter. An diesen anderen Schwager darf ich einfach nicht denken. Jedes Mal, wenn ich es doch tue, übertönt ein kreischendes Sirenengeheul all meine Gedanken, und mich überfällt ein mächtiger Würgereiz.
»Amy …«
»Wenn du willst, dass ich dir glaube, musst du mir auch glauben«, stelle ich klar.
»Hey«, sagt er und fährt mit den Händen meine Arme hinauf, über meine Schultern und bis in mein Haar. Seine wohlgeformten Züge verlieren rechtzeitig alle Härte, bevor er mich in die Arme schließt. »Natürlich glaube ich dir«, raunt er. »Wir beide gegen den Rest der Welt. Das haben wir einander geschworen.«
Ich schmiege mich an ihn, sein harter Körper wirkt so vertraut. Noch einmal sehne ich die Bilder herbei, wie es früher zwischen uns war, aber die Erinnerungen weichen von dem, was ich empfinde, ab. Wieder so ein Riss, der mir das Gefühl gibt, eine andere Person zu sein.
Irgendwas stimmt hier nicht …
Ich hole tief Luft und sage: »Tut mir leid, ich bin in letzter Zeit nicht … ich selbst. Ich habe mich nie für jemand gehalten, der eine Karriere zur Selbstbestätigung braucht, aber vielleicht tue ich das ja doch.« Ich neige den Kopf in den Nacken und schaue zu ihm hoch. Es fällt mir nicht besonders schwer, einen verängstigten und verletzlichen Eindruck zu machen, denn so fühle ich mich tatsächlich, auch wenn ich entschlossen bin, ein neues Kapitel aufzuschlagen. »Ich kann es einfach nicht glauben, mir keine Art von Ausstiegsklausel überlegt zu haben oder irgendeine Hintertür für den Fall, dass der Zusammenschluss mit Baharan nicht funktioniert. Was für ein dämlicher Fehler! Dafür könnte ich mir echt in den Hintern treten.«
»Nicht doch, Babe«, sagt er und legt seinen Lippen an meine Stirn. »Daran darfst du dir die Schuld nicht geben. Ich habe mich selbst auch darüber geärgert. Schließlich hast du dich auf meinen Rat verlassen, und ich habe ebenfalls nicht daran gedacht, weil wir ja eine Familie sind, und wir hatten uns geschworen, ab jetzt immer zusammenzuarbeiten.«
Hat er wirklich keine Ahnung? Ist das denkbar? »Vielleicht könnte ein Anwalt den Vertrag noch einmal unter die Lupe nehmen und sich einen Ausweg überlegen, der uns bisher entgangen ist.«
»Denkst du etwa, das hätte ich nicht bereits versucht?«, murmelt er an meiner Haut. »Wann hast du dein Vertrauen in mich verloren? Du bedeutest mir mehr als alles andere, das weißt du doch.«
Seine Hände rieben mir über den nackten Rücken und erwärmten meine Haut, aber mein Zorn war so eisig, dass sich dennoch eine Gänsehaut bildete. Ich begann zu zittern und kämpfte gegen den Drang an, mich loszureißen und ihm meine Fingernägel durch das Gesicht zu ziehen, damit jeder sehen würde, wie entschlossen ich war, mich mit Zähnen und Klauen aus dieser heimtückischen Sippe zu befreien.
»Gehen wir heute Abend doch aus«, schlägt er vor. »Das haben wir schon eine Ewigkeit nicht mehr zusammen getan. In letzter Zeit haben wir uns so in die Arbeit vergraben, dass wir völlig aus dem Blick verloren haben, was wirklich zählt.«
Ich atme langsam und kontrolliert aus. Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um für Aufruhr zu sorgen. Mit dem gottverdammten Vertrag haben sie mich in eine Ecke manövriert, genau wie bezweckt. »Gute Idee. Das würde mir gefallen.«
»Ich kümmere mich sofort um die Reservierungen«, sagt er mit einem weiteren Kuss. »Wie lange brauchst du noch?«
»Nicht lange«, erwidere ich in lieblichem Ton und streiche über sein Revers. »Ich bin gleich fertig.«
»Ich warte im Wohnzimmer«, erklärt er lächelnd und entschwindet mit seinen geschmeidigen, langbeinigen Schritten.
Sobald mein Mann außer Sicht ist, wandern meine Mundwinkel nach unten. Bösartige Gedanken durchströmen mich, heiß wie edler Schnaps. Zorn verleiht Kraft, und die kann ich brauchen.
Vermutlich ermunterte Aliyah damals Darius dazu, mich zu heiraten. Ich hatte immer schon den Verdacht, dass sie hinter den Plänen steckte, Social Creamery in Baharan eingliedern zu lassen. Meine Schwiegermutter ist gerissen. Sie erkannte womöglich, dass das aufstrebende Baharan dringend einen direkten Draht zum Endkunden benötigte. Eine Schar von Vertretern zu unterhalten, um die Ärzteschaft zu umgarnen, ist extrem kostspielig. Da kommt es weit billiger, ein Webportal einzurichten, auf dem Mediziner, die an schnell verdientem Geld interessiert sind, online Patienten beraten und verschriebene Medikamente anschließend per Post zugeschickt werden. Dafür muss man die Kunden allerdings zuerst einmal auf das Portal locken, und genau darin bin ich Expertin.
Ich bin den Armands unbekümmert in die Falle gelaufen, weil ich annahm, hier die Familie gefunden zu haben, die ich mir immer gewünscht hatte. Den Kontakt zu meinen alkoholkranken, geistesgestörten Eltern hatte ich da schon lange abgebrochen – zur beiderseitigen Erleichterung. Eigentlich hatten sie nie ein Kind gewollt und mich stets wie eine Art Schmarotzer behandelt.
Durch den Zusammenschluss bekam Aliyah das Sagen in meiner Firma. Prompt fuhr sie den Karren an die Wand, und das mit voller Absicht. Davon bin ich inzwischen fest überzeugt. Denn heute kenne ich sie und weiß, dass sie nie ein Geschäftsmodell unterstützen würde, bei dem man sich für den Erfolg anderer Firmen engagiert. Für sie steht jeder in direktem Wettkampf mit ihr. Was sie haben wollte, war Fachwissen plus absolute Kontrolle, und das hat sie bekommen.
Und Darius? Er stutzte mich so lange zurecht, bis ich bloß noch allein in unserer Wohnung herumhing und die bunten Karaffen auf dem Barwagen zu meinen letzten echten Freunden wurden. Mit der Haushälterin, die für Putzen und Kochen zuständig ist, kann ich nicht reden, da wir verschiedene Sprachen sprechen, sodass ich mittlerweile nur noch dazu diene, als Lustobjekt die Bedürfnisse meines Ehemanns zu befriedigen. Ich bin hier für keinen jemals mehr gewesen als ein hübsches Ding zum Flachlegen, das weder Gefühle noch Verstand hat.
Was werden sie überrascht sein, wenn sie feststellen, dass ich in Wahrheit über einigen Grips verfüge und zudem über das Zeug zu einer netten kleinen Racheaktion. Aliyah beherrscht so etwas natürlich auch hervorragend, aber sie muss derzeit Vorsicht walten lassen, um keinen Ärger mit ihren Kids zu bekommen. Mir dagegen steht nichts im Weg, außer ich selbst.
Ich öffne die unterste Schublade meines Frisiertischs und wickle die Wodkaflasche aus der Duschhaube, in der ich sie versteckt halte. Als ich sie betrachte und meine Finger über das kühle Glas streichen, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Mich drängt danach, die Kappe aufzudrehen und einen tiefen Schluck zu nehmen, da ich genau weiß, wie herrlich sich das Brennen in meinem Magen anfühlen wird.
Doch am Ende ist es gar nicht mal der Gedanke an die Entwöhnung, der mich zurückhält, obwohl ich hier in der Tat löbliche Disziplin beweise. Vielmehr habe ich kein Vertrauen mehr darin, in dieser Wohnung überhaupt noch etwas zu mir zu nehmen, nicht nach diesem Abend bei Ramin. Ich bin zu vielen schlimmen Dingen fähig, aber Fremdgehen zählt nicht dazu. Monogamie und Treue sind für mich zentrale Werte. Von diesen beiden Grundsätzen würde ich nie abweichen, selbst im völlig betrunkenen Zustand nicht.
Irgendwas ist hier oberfaul!