Top Secret 10 - Das Manöver - Robert Muchamore - E-Book

Top Secret 10 - Das Manöver E-Book

Robert Muchamore

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Beschreibung

Actionreich – aufregend – brillant: fesselnder Einblick in die Geheimdienstarbeit

Für die erfolgreichsten CHERUB-Agenten geht’s zur Belohnung nach Fort Reagan in Las Vegas – dem größten militärischen Übungsgelände der Welt. Einziger Haken: Der knallharte Trainer Kazakov ist mit von der Partie. Unter seiner Leitung sollen die Cherubs eine Handvoll britische »Rebellen« gegen 1.000 amerikanische Soldaten unterstützen. Ein schier aussichtsloses Manöver! Aber Kazakov wäre nicht Kazakov ohne ein Ass im Ärmel, das er mithilfe von James ausspielt. Doch das bleibt nicht ohne Folgen ...

Überzeugende, sympathische Charaktere und temporeiche Action: "Top Secret" ist brillante Action mit Tiefgang und aktuellen Themen.

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Seitenzahl: 396

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cbt ist der Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe
Deutsche Erstausgabe Juli 2012 Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform © 2008 der Originalausgabe by Robert Muchamore Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »CHERUB: The General« bei Hodder Children′s Books, London. © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe bei cbt/cbj, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbHNeumarkter Str. 28, 81673 München Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Übersetzung: Tanja Ohlsen Lektorat: Kerstin Weber Umschlagkonzeption: init.büro für gestaltung, Bielefeld KK · Herstellung: AnG Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-12003-0V002
www.cbt-jugendbuch.dewww.penguinrandomhouse.de

DER AUTOR

Robert Muchamore, Jahrgang 1972, lebt in London und arbeitet dort als Privatdetektiv. Er hasst das Landleben, bärtige Frauen, Ketchup und Mayonnaise, Schnulzfilme und Leute, die zehn Minuten lang an der Bushaltestelle warten und erst dann anfangen, nach Kleingeld zu kramen, wenn sie vor dem Busfahrer stehen. Er hat einen sehr schwarzen Humor und seine Lieblingsfernsehserie ist Jackass.

Inhaltsverzeichnis

DER AUTOR
Was ist CHERUB?Warum Kinder?Wer sind die Kinder?Das CHERUB-PersonalDie CHERUB-T-Shirts
Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40EpilogCopyright

Was ist CHERUB?

CHERUB ist Teil des britischen Geheimdienstes. Die Agenten sind zwischen zehn und siebzehn Jahre alt. Meist handelt es sich bei den CHERUB-Agenten um Waisen aus Kinderheimen, die für die Undercover-Arbeit ausgebildet wurden. Sie leben auf dem Campus von CHERUB, einer geheimen Einrichtung irgendwo auf dem Land in England.

Warum Kinder?

Kinder können sehr hilfreich sein. Niemand rechnet damit, dass Kinder Undercover-Einsätze durchführen, daher kommen sie mit vielem durch, was Erwachsenen nicht gelingt.

Wer sind die Kinder?

Auf dem CHERUB-Campus leben etwa dreihundert Kinder. Unser 16-jähriger Held heißt James Adams. Er ist ein angesehenes Mitglied von CHERUB, der bereits mehrere Missionen erfolgreich abgeschlossen hat. Die gebürtige Australierin Dana Smith ist James′ aktuelle Freundin. Zu seinen engsten Freunden auf dem Campus gehören Bruce Norris, Kerry Chang und Shakeel Dajani.

James′ Schwester Lauren ist dreizehn und gilt bereits als eine der besten Agentinnen von CHERUB. Ihre besten Freunde sind Bethany Parker und Greg »Rat« Rathbone.

Das CHERUB-Personal

Die Größe des Geländes, die speziellen Trainingseinrichtungen und die Kombination aus Internat und Geheimdienststelle bringen es mit sich, dass CHERUB mehr Personal als Schüler hat. Dazu gehören Köche und Gärtner ebenso wie Lehrer, Ausbilder, Krankenschwestern, Psychiater und Einsatzspezialisten. CHERUB wird von der Vorsitzenden Zara Asker geleitet.

Die CHERUB-T-Shirts

Den Rang eines CHERUB-Agenten erkennt man an der Farbe des T-Shirts, das er oder sie auf dem Campus trägt. Orange tragen Besucher. Rot tragen Kinder, die auf dem Campus leben, aber zu jung sind, um schon als Agenten zu arbeiten. (Das Mindestalter ist zehn Jahre.) Blau ist die Farbe während ihrer hunderttägigen Grundausbildung. Ein graues T-Shirt heißt, dass man auf Missionen geschickt werden darf. Dunkelblau tragen diejenigen, die sich bei einem Einsatz besonders hervorgetan haben. Lauren und James haben ein schwarzes T-Shirt, die höchste Anerkennung für hervorragende Leistungen bei mehreren Einsätzen. Wenn man CHERUB verlässt, bekommt man ein weißes T-Shirt, wie es auch das Personal trägt.

1

Die als SAG bekannte Anarchistenorganisation Street Action Group wurde 2003 gegründet. Damals stürmte ihr Anführer Chris Bradford bei einer Anti-Irakkrieg-Demonstration im Londoner Hyde Park die Rednertribüne. Er stachelte die friedliche Menge dazu an, Polizeibeamte anzugreifen und anschließend Strohpuppen von Premierminister Tony Blair und US-Präsident George Bush in Brand zu stecken.

2006 verfügte die SAG bereits über eine große Anhängerschaft und war stark genug, ihre eigenen regierungsfeindlichen Proteste zu organisieren. Diese erreichten im Juli mit dem Chaos-Marsch im Zentrum von Birmingham ihren Höhepunkt: Dutzende von Autos wurden zerstört und Fensterscheiben eingeschlagen. Man verhaftete über dreißig Demonstranten, wobei eine Polizeibeamtin mit dem Messer niedergestochen wurde.

In den darauffolgenden Monaten wurden mehrere höhere Mitglieder der SAG, die an den Unruhen beteiligt waren, zu Haftstrafen verurteilt. Überall dort, wo sich die SAG versammeln wollte, erschwerte ein hohes Polizeiaufgebot die Organisation gewalttätiger Proteste.

Chris Bradford sah diese Maßnahmen als »staatliche Unterdrückung« an und versuchte  – wie ein MI5-Agent undercover entdeckt hatte  –, Waffen und Bombenmaterial zu erwerben, um die SAG zu einer Terrororganisation umzustrukturieren.

(Auszug aus den Einsatzunterlagenfür James Adams, Oktober 2007)

Es war der 21. Dezember, der letzte Freitag vor Weihnachten. In den Fußgängerzonen von London baumelten Lichterketten zwischen den viktorianischen Laternenpfählen, und der Himmel leuchtete tiefrot. Die Pubs um die U-Bahnstation Covent Garden waren gerammelt voll, Büroangestellte standen rauchend in den Türen und im Body Shop besorgten gequält wirkende Männer Last-Minute-Geschenke.

Die rechteckige, aus Metallgittern errichtete Absperrung wurde sowohl von den Passanten als auch den Pub-Besuchern ignoriert  – wenngleich ein paar von ihnen amüsiert bemerkten, dass die dreizehn darin eingepferchten Demonstranten von zwei Dutzend Polizeibeamten in Neonwesten bewacht wurden.

James Adams war einer der Demonstranten: in voluminöser Bomberjacke und hohen Doc Martens, mit an den Seiten kurz geschorenen Haaren und einem grün gefärbten Irokesen, der sich von seiner Stirn bis zum Jackenkragen erstreckte. Um die Kälte zu vertreiben, schlug er die behandschuhten Hände aneinander. Die Cops sahen ihn streng an.

Etwa dreißig Meter entfernt stand Chris Bradford, gut gebaut, mit kräftigem rotem Haar und einem ausgeleierten Kapuzensweatshirt, das er mit der Innenseite nach außen trug. Zwei Kameras waren auf ihn gerichtet. Bei der einen handelte es sich um einen mickrigen Camcorder in der Hand eines Cops, der um die Absperrung herumlief. Die andere war wesentlich beeindruckender und saß auf der Schulter eines BBC-Kameramannes. Ein darauf montierter Scheinwerfer leuchtete Bradford ins Gesicht.

»Nun, Mr Bradford«, sagte der BBC-Korrespondent Simon Jett und streckte Bradford ein Mikrofon entgegen. In seinem Mantel steckte ein seidener Schal. »Das heutige Ergebnis ist doch bestimmt eine herbe Enttäuschung für Sie. Viele Leute sagen, dass die Street Action Group schon auf dem letzten Loch pfeift.«

Bradford fielen fast die grünen Augen aus dem Kopf, als er mit seinen riesigen Händen nach den Mantelaufschlägen des Korrespondenten griff.

»Wer sagt das?«, knurrte er. »Geben Sie mir Namen und Adressen! Klar, es sind immer irgendwelche sicheren Quellen, aber wer genau soll das denn sein? Ich sag′s Ihnen: Leute, die Angst vor uns haben.«

Jett war hocherfreut. Diese Mischung aus Cockney-Akzent und angedeuteter Drohung machte sich im Fernsehen immer gut.

»Wie viele Demonstranten haben Sie denn heute hier erwartet?«

Bradford warf einen Blick auf die Uhr und fletschte die Zähne.

»Die meisten von uns liegen um drei Uhr nachmittags noch im Bett, das ist das Problem. Wahrscheinlich hab ich den Zeitpunkt ein bisschen zu früh angesetzt.«

Jett nickte mit falscher Ernsthaftigkeit.

»Hört sich ganz danach an, als würden Sie das alles auf die leichte Schulter nehmen. Aber Sie müssen doch selbst merken, dass man der SAG den Wind aus den Segeln genommen hat. Besonders, wenn man das Ergebnis hier mit den Tausenden von Menschen vergleicht, die letztes Jahr im Sommer auf die Straße gegangen sind.«

Bradford tätschelte das Kunststoffgehäuse der Kamera.

»Warten Sie′s ab, Mr BBC«, knurrte er und hielt sein Gesicht direkt vor die Kamera. »Ungerechtigkeit provoziert Hass. Heutzutage herrscht in Großbritannien mehr Ungleichheit und Armut als je zuvor. Wenn Sie zu Hause in Ihrem hübschen Häuschen sitzen und sich Leute wie mich auf ihrem 32-Zoll-Bildschirm ansehen, merken Sie wahrscheinlich gar nicht, wie sich auf den Straßen die Revolution zusammenbraut. Aber denken Sie an meine Worte: Wir kriegen Sie noch!«

Jett konnte sich das Grinsen kaum verkneifen.

»Haben Sie dafür einen Zeitplan? Wann können wir mit dieser Revolution rechnen?«

»Vielleicht nächsten Monat, vielleicht nächstes Jahr, wer weiß?«, erwiderte Bradford achselzuckend. »Eines ist sicher: Noch bevor dieses Jahrzehnt rum ist, wird sich hier jede Menge radikal verändert haben. Aber bei dem bigotten Mist, den BBC sendet, werden Sie das erst bemerken, wenn Ihnen meine Jungs die Tür eintreten.«

Der Korrespondent nickte. »Chris Bradford, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.«

»Verpiss dich«, knurrte Bradford, während der Kameramann das Licht ausknipste und sich die große Kamera von der Schulter lud.

Bradford ignorierte Jetts ausgestreckte Hand demonstrativ und stapfte schmollend zu einer einzelnen Frau auf der anderen Seite der Absperrung hinüber.

James hörte, wie Jett dem Kameramann befahl, vor ihrem Aufbruch noch ein paar Aufnahmen außerhalb der Absperrung zu drehen. Die Polizisten rückten die Metallbarrieren ein Stück zur Seite, damit die BBC-Crew hinaus konnte, und erkundigten sich eifrig, wann die Story gesendet werden würde.

»Machen Sie sich keine Hoffnungen«, winkte Jett ab. »Ich bin nur für den Fall hier, dass irgendetwas passiert. Aber ich habe es meinem Chef schon gesagt, als ich losgegangen bin: Die SAG ist Schnee von gestern.«

»Na hoffentlich«, erwiderte einer der Cops. »Die Polizistin in Birmingham hatte enorm viel Blut verloren. Sie hatte jede Menge Glück, dass sie überlebt hat.«

Jett nickte mitleidig. »Passen Sie auf sich auf, Officer, und frohe Weihnachten!«

»Ebenfalls«, lächelte der Beamte.

Als der Kameramann die Absperrung und die Polizeibeamten filmte, zog sich James die Kapuze seiner Bomberjacke tief ins Gesicht. CHERUB-Agenten wurden darauf gedrillt, sich von den Medien fernzuhalten. Um noch unauffälliger zu erscheinen, zog er sein Handy hervor und starrte nach unten auf das Display, um Dana eine SMS zu schicken.

HOFFE, ES GEHT DIR BESSER! SCHREIB MIR, ICH FÜHL MICH EINSAM!

Doch kaum hatte er die Nachricht abgeschickt, bereute er es auch schon. Auf seine letzte SMS hatte Dana nicht geantwortet, und ich fühl mich einsam ließ ihn wie einen Schwächling klingen. Er hatte keine Ahnung, was seine Freundin verärgert haben könnte, aber sie verhielt sich schon seit Tagen irgendwie seltsam.

An einem Ende der Absperrung wurden jetzt zwei Barrieren weggenommen. »Es ist halb vier, Leute! Zeit, zur Downing Street zu marschieren!«, rief die zierliche Polizistin, die für die Überwachung zuständig war.

Sie wusste, dass die Demonstranten sie gehört hatten, auch wenn sie sie ignorierten. Einer ihrer Kollegen reichte ihr ein Megafon und sie wiederholte: »Diese Kundgebung war bis fünfzehn Uhr fünfzehn angesetzt! Sie haben also bereits eine Viertelstunde mehr bekommen. Jeder, der den Versammlungsort jetzt nicht umgehend verlässt, wird wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung verhaftet. Also LOS JETZT!«

Bradford trat auf die Beamtin zu und sah auf seine Uhr. Ein Pressefotograf schoss ein Bild von dem großen Mann und der kleinen Frau mit dem Megafon und der Neonweste.

»Kommen Sie, Süße.« Bradford versuchte es auf die charmante Tour und tippte sich auf die Uhr. »Wir warten nur noch auf ein paar Leute. Ich hab ′nen Mann zur U-Bahn geschickt. Die Bahnen müssen Verspätung haben oder so was.«

»Sie hatten genug Zeit«, erklärte die Polizistin bestimmt und schüttelte den Kopf. »Meine Jungs wollen nach Hause. Also haben Sie jetzt die Wahl: Entweder Sie marschieren los und lösen die Versammlung friedlich auf, oder Sie fahren im Polizeiwagen mit. Aber Sie können nicht länger unsere Zeit verschwenden.«

Bradford spuckte auf den Asphalt, dann wandte er sich an das jämmerliche Häufchen hinter sich: »Ihr habt gehört, was die nette Dame gesagt hat. Also los, Leute.«

Erneut zuckte der Blitz des Pressefotografen auf, als die dreizehn SAG-Demonstranten sich in Bewegung setzten, eskortiert von den Neonwesten der Polizei, denen die kümmerliche Anzahl der Protestler ein amüsiertes Lächeln entlockte.

Unter den neugierigen Blicken der Passanten und Kinder, die das Grüppchen jetzt anstarrten, als würde ihnen irgendeine Showeinlage geboten, wurden die SAG-Leute von den Cops in raschem Tempo durch die Straßen um den Markt von Covent Garden geführt. Dabei fiel James eine Gruppe von Leuten in Rebellenuniform auf: einer Mischung aus Punk, Gothic-Style und Armeeausschussware, ähnlich seinem eigenen Aufzug. Manche schlossen sich dem Marsch an, andere liefen ein wenig entfernt mit.

Als sie den Marktplatz verließen und Richtung Strand marschierten, einer breiten Straße mit Läden, Theatern und Hotels keine fünfzig Meter vom Nordufer der Themse entfernt, holte Bradford die Polizistin ein. James befand sich jetzt ziemlich weit vorne, und Bradford zwinkerte ihm zu, als aus einer Nebenstraße plötzlich ein Haufen Jugendliche in Sportkleidung auftauchten.

»Scheint, als sei doch noch jemand gekommen«, bemerkte er. »Irgendjemand muss wohl die falsche Adresse auf unsere Einladungskarten geschrieben haben.«

Die Polizistin gönnte Bradford keine Antwort, aber James sah, dass sie nervös war. Sie griff nach dem Funkgerät und forderte Verstärkung an, da sich die Demonstranten offensichtlich über den polizeilichen Befehl, sich an einer Stelle zu versammeln, hinweggesetzt hatten.

»SAG!«, schrie Bradford plötzlich und stieß seine Faust in die Luft, als sich die Trainingsanzüge und Turnschuhe unter die Dreadlocks und Parkas der SAG-Aktivisten mischten.

»SAG!«, antwortete ein jetzt ungefähr hundertstimmiger Chor.

James erschrak, als ihm ein Demonstrant in die Hacken trat.

»Sorry, Mann.«

Die Menge wurde immer dichter, und die Cops waren hoffnungslos in der Unterzahl. Jetzt marschierte hier dieselbe explosive Mischung aus hartgesottenen SAG-Anarchisten und aggressiven Jugendlichen, die auch die Unruhen in Birmingham vor siebzehn Monaten ausgelöst hatten.

»Oggy, oggy, oggy!«, schrie Bradford.

»SAG, SAG, SAG!«, rief die Menge zurück.

Als James am Strand rechts abbog, waren noch weitere fünfzig Leute zu ihnen gestoßen. Von der anderen Straßenseite erklang ein dumpfes Trommeln. Der kahl rasierte Trommler führte eine Gruppe von Demonstranten aus einer Seitenstraße vom Themseufer her zu ihnen.

Dem Cop neben James lief Spucke über den Rücken. Er hatte den Schlagstock gezogen, doch die Polizisten wagten es nicht, einzugreifen und zuzuschlagen. Sie waren definitiv unterlegen.

»Wir haben euer Megafon!«, ertönte es plötzlich laut. »Wir haben euer Megafon! Lah la la lah la!«

Alle lachten, als sich der Trommler mit seinen Leuten quer durch den Verkehr schlängelte und sich an die Spitze des Zuges setzte. Doch schon der nächste Schlachtruf klang bösartiger.

»Wir stechen alle Cops ab! Wir stechen alle Cops ab! Lah la la lah la!«

Ein Aufbrüllen war zu hören und James bemerkte, dass die Polizisten ihre Taktik änderten und sich hinter die Protestgruppe fallen ließen. Aus den umliegenden Straßen erschallten Sirenen, während sich der Marsch mit einer Vielzahl weiterer SAG-Sympathisanten vereinigte, die mit einem Mal aus einem Gelenkbus auftauchten.

Die Menge schwoll immer mehr an, breitete sich auf der Straße aus und mischte sich in den nur noch dahin kriechenden Verkehr. Hupen wurden laut. Einem ungeduldigen Autofahrer wurde der Außenspiegel abgerissen und das Seitenfenster eingetreten.

James beobachtete durch eine Lücke zwischen den Bussen, wie sich von der Themse her weitere Demonstranten näherten, während sich die Spitze des Zuges in Richtung Trafalgar Square bewegte.

Mittlerweile hatte er Chris Bradford und alle anderen SAG-Mitglieder, die er nach sechs Wochen Undercover-Einsatz kannte, aus den Augen verloren. Orientierungslos blickte er um sich; er war von einem Haufen aggressiver Jungen umringt, die nicht viel älter sein konnten als er selbst. Sie brüllten, grölten und stießen sich gegenseitig an. Der BBC-Kameramann balancierte gefährlich wackelnd auf einem Betonpoller und versuchte, die grölende Menge von oben zu filmen.

»Ich hab dir doch gesagt, es lohnt sich«, grinste der Typ neben James und nahm einen Schluck aus seiner Bierdose. Etwas weiter weg zersplitterte Glas.

»Verdammt!«, lachte sein Kumpel. »Das war was Großes! Da hat sich wohl jemand einen Laden vorgenommen!«

Sein Freund nickte.

»Es geht los!«, rief es von irgendwo her, bevor ein weiterer »SAG! SAG! SAG!«-Chor durch die Menge gellte.

Keine fünf Meter von James entfernt schleuderten zwei Gothic-Girls  – die eigentlich so aussahen, als hätten sie mit Gewalt nichts am Hut  – den Metalleinsatz eines Mülleimers durch die Fensterscheibe einer Sandwichbar. Die Menge klatschte und johlte. »Nieder mit den Sandwiches!«, tönte es durch das gestohlene Megafon.

Die Aktion der beiden Mädchen stachelte wiederum ein paar Jungen an, selbst aktiv zu werden. Innerhalb weniger Sekunden gingen vier weitere Schaufenster zu Bruch und ein Mann in teurem Anzug wurde aus einem Taxi gezerrt, geohrfeigt und um seine Brieftasche und seine Rolex erleichtert.

Durch die Menschenmassen konnte James nicht viel erkennen, aber er hörte Hunderte von triumphierenden Stimmen und das Knirschen von Glas unter seinen Stiefeln.

Es ging los, und zwar gewaltig.

2

»Hört verdammt noch mal auf zu labern und haltet die Klappe!«, schrie die dreizehnjährige Lauren Adams und hielt sich die Ohren zu.

Das Bett in ihrem Zimmer auf dem CHERUB-Campus war auf die Seite gekippt, um auf dem Teppich mehr Platz für die Karten und Tabellen zu haben, um die Lauren mit sechs anderen Agenten herum saß: ihrem Freund Rat, ihrer besten Freundin Bethany, deren elfjährigem Bruder Jake, Rats bestem Freund Andy Lagan und zwei anderen Elfjährigen, die sie nur als Ronan Walsh und Kevin Sumner kannte.

»Wenn wir ausgewählt werden wollen, um nächsten Monat nach Las Vegas zu fahren, müssen wir jetzt unseren Plan fertig kriegen und diesen Sicherheitstest durchziehen«, fuhr Lauren bestimmt fort. »Das ATCC ist eine neue Einrichtung mit modernsten Sicherheitsstandards. Wir müssen ins Herz des Gebäudes vordringen und im Kontrollraum so viel Schaden wie möglich anrichten.«

Kevin war der Kleinste im Raum und sah nervös auf die Karten. »Und was davon ist das ATCC?«

»Der ganze Bau, du Blödmann«, seufzte Jake Parker laut. »ATCC: Air Traffic Control Centre. Flugüberwachungszentrum.«

»Oh«, sagte Kevin, »und ich dachte, es sei eines von diesen Alarmdingern.«

Bethany verpasste ihrem Bruder eine Kopfnuss. »Hör auf, ihn anzumeckern! Kevin ist noch klein.«

Jake zeigte seiner Schwester den Mittelfinger. »Er ist nicht mal ein Jahr jünger als ich, du Superhirn.«

Rat seufzte. »Fangt bloß nicht schon wieder an zu streiten, ihr zwei. Mann, was stinkt denn hier so?«

Alle drehten sich zu Ronan um. Der kräftig gebaute Junge war verrückt nach Rugby und Combattraining, hielt jedoch weniger davon, danach zu duschen. Gerade hatte er einen dreckigen Stiefel ausgezogen.

»Zieh den sofort wieder an!«, stieß Bethany hervor und wedelte mit der Hand. »Wie lange, bitte schön, trägst du denn diese Socken schon?«

»Mir tränen die Augen!«, beschwerte sich Andy.

»Höchstens eine Woche«, antwortete Ronan und vergrub die Nase zwischen den Zehen, um einen tiefen Atemzug zu nehmen.

»Lass das, du dreckiges Stinktier!«, kreischte Bethany.

»Ist doch völlig harmlos«, grinste Ronan und ließ seinen Stiefel vor ihrer Nase baumeln. »Alles nur natürliche Körpersäfte.«

Ein paar der Jungen lachten, aber Lauren trat entschlossen über die Karten hinweg und baute sich vor Ronan auf. »Wenn du nicht auf der Stelle diesen Stiefel wieder anziehst, werden Bethany und ich dich ins Bad schleifen, splitternackt ausziehen und dich mit der Klobürste abschrubben!«

»Krass!«, lachte Andy, »von zwei heißen Bräuten ausgezogen und geschrubbt zu werden!«

»Du meinst wohl, von zwei ekligen Walrössern«, widersprach Jake.

Doch Laurens finsterer Blick genügte, um die Jungen umgehend zum Schweigen zu bringen. Widerstrebend zog Ronan den Stiefel an. Obwohl es draußen bitterkalt war, riss Bethany die Balkontür auf, um frische Luft hereinzulassen.

Lauren hockte sich wieder vor die Karten und fuhr fort:

»Ich habe bereits ein schwarzes T-Shirt und einen guten Ruf.« Wie um ihre Worte zu unterstreichen, zog sie sich das T-Shirt glatt. »Mir macht es also nicht viel aus, wenn wir die Sache vermasseln. Aber wenn ihr drei Jüngeren irgendwann mal die Chance auf einen vernünftigen Einsatz bekommen wollt, dann müssen wir das hier durchziehen. Ihr habt die Wahl: Entweder ihr macht Blödsinn oder ihr beruhigt euch und fangt an, mal ernsthaft über diesen Plan nachzudenken!«

Kevin, Ronan und Jake gaben nicht gerne zu, dass Lauren recht hatte, aber es dauerte nicht lange, bis sie unter ihrem eindringlichen Blick schließlich zustimmend nickten.

»Okay«, sagte Lauren zufrieden. »Da ich hier die Einzige mit einem schwarzen T-Shirt bin, mache ich mich mal selbst zur Vorsitzenden. Hat jemand was dagegen?«

Eigentlich rechnete sie mit einem Aufstand. Doch der blieb aus. Es war allen klar, dass jemand die Sache in die Hand nehmen musste, wenn sie Erfolg haben wollten.

Rat meldete sich brav und wartete darauf, dass Lauren nickte, bevor er sagte: »Ich sehe da ein Problem bei unserem jetzigen Plan. Bethany und Lauren arbeiten vor dem Flugüberwachungszentrum, aber ich, Andy und die drei Kleinen stehen hinten ohne Waffen sechs erwachsenen Sicherheitsleuten gegenüber.«

»Wir brauchen Gewehre«, stieß Jake hervor. »Zumindest Betäubungspfeile oder Betäubungspistolen.«

»Warum lest ihr nicht erst mal die Einsatzunterlagen?« , seufzte Lauren. »Unsere Aufgabe ist es, die Sicherheitsvorkehrungen zu überprüfen, die eine private Firma beim ATCC eingerichtet hat. Wenn die Regierung Leute mit Skimasken und Maschinengewehren haben wollte, hätte sie die Armee beauftragt. Wir müssen uns so anziehen und so tun, als seien wir normale Kids auf einem vorweihnachtlichen Ausflug. Wir dürfen Handys benutzen, aber keine Funkgeräte. Und wir können auch keine Abhörgeräte, Sprengstoffe, Schlossknackerinstrumente oder sonst was in der Art mitnehmen, sondern nur relativ normale und unauffällige Sachen. Also auf gar keinen Fall Waffen!«

Bethany hob die Hand und wedelte mit ihren Einsatzunterlagen. »Aber hier steht auch, dass die Security-Leute von einem Team der Militärpolizei unterstützt werden.«

»Mit Waffen«, fügte Jake hinzu.

»Lest doch mal genau«, erklärte Lauren. »Das ist ein Einsatzteam, das auf einer acht Kilometer entfernten Royal-Air-Force-Basis stationiert ist. Wenn wir also der normalen Security keine Zeit lassen, Alarm zu schlagen, müssen wir uns nur um die privaten Wachleute und ihre Schlagstöcke und Pfeffersprays kümmern.«

»Wenn wir nur wüssten, was das für Leute sind«, überlegte Bethany. »Ich meine, es könnten sowohl klapprige alte Typen sein als auch Ex-Elitesoldaten.«

Lauren zuckte mit den Achseln. »Wenn dieses Kontrollzentrum nächstes Jahr eröffnet wird, wird es für jeden zivilen und militärischen Flug von den Midlands bis nach Schottland verantwortlich sein. Und wenn es in die Luft fliegt, könnten die Flugzeuge abstürzen.«

Ronan nickte ernst. »Also, wenn die Sicherheitsvorkehrungen nicht von völligen Idioten ausgearbeitet wurden, werden wir es nicht unbedingt mit Pfadfindern zu tun haben.«

»Vielleicht sollten wir zu Dennis King in der Einsatzvorbereitung gehen und sagen, dass wir mehr Informationen über das Security-Team brauchen?«, schlug Andy vor.

Lauren schüttelte den Kopf. »Diese Sicherheitsüberprüfungen sind zum Teil ein Einsatz, zum Teil aber auch eine Übung. Vielleicht gibt uns King tatsächlich mehr Informationen, aber eigentlich sollten wir unseren Plan anhand der Unterlagen ausarbeiten, die uns ausgehändigt wurden. Alles andere würde sich bestimmt nachteilig auf unsere Beurteilung auswirken.«

»Ich hab′s!«, schrie Rat triumphierend und schlug sich mit der Faust in die Hand. »Steinschleudern!«

»Was ist damit?«, fragte Lauren.

»Kinder haben Steinschleudern«, erklärte Rat. »Als ich noch in Australien in der Arche gewohnt habe, war mir immer langweilig. Ich hatte nicht viel Spielzeug, aber eines davon war eine Steinschleuder. Ich hab einen Stein reingelegt und bin aus einem Tunnel oder Graben aufgetaucht, hab auf irgendwen gezielt und bin wieder verschwunden, bevor derjenige wusste, was ihn getroffen hatte. Ich hab mindestens ein Dutzend Gehirnerschütterungen verursacht, bevor ich erwischt und mir der Hintern versohlt wurde.«

»Klingt gut«, begann Lauren lächelnd, wurde jedoch von Jake unterbrochen: »Ich bin ganz gut mit der Steinschleuder  – damit haben wir hinten auf dem Campus Eichhörnchen massakriert.«

Lauren mochte Jake nicht. Und mit dieser Aussage konnte er bei ihr als Tierfreundin und Vegetarierin erst recht nicht punkten.

»Wie bitte?«, fragte sie wütend. »Was haben dir die Eichhörnchen auf dem Campus denn getan?«

»Das war doch nicht jetzt«, wand sich Jake, »sondern damals, als ich als kleines Rothemd im Sommer da draußen zum Zelten war.«

»Jungs«, seufzte Bethany kopfschüttelnd. »Die scheinen alle so eine Phase durchzumachen, in der sie immer nur irgendetwas abmurksen oder in Brand stecken können.«

»Das ist aber ziemlich sexistisch, Bethany«, widersprach Rat energisch. »Wenn ich solche Vorurteile in Bezug auf Mädchen aussprechen würde …«

Doch gleichzeitig rief Ronan: »Ich liebe es, Sachen in Brand zu stecken!«

»Okay, okay!«, rief Lauren und klatschte in die Hände. »Konzentrieren wir uns lieber wieder auf den Sicherheitstest, ja? Im Waffenlager sind bestimmt Steinschleudern und wenn ihr glaubt, dass sie uns helfen können, dann holt euch eben welche, in Gottes Namen!«

»Ist schon eine Weile her, dass ich mit der Steinschleuder geschossen habe«, meinte Rat und sah auf die Uhr. »Wir haben noch ein paar Stunden, bevor wir los müssen, deshalb würde ich ganz gern noch ein bisschen üben.«

Jake grinste. »Wir könnten uns die Enten auf dem Teich vornehmen.«

»Das ist nicht witzig, Jake«, grollte Lauren. »Wenn ich dich oder jemand anderen dabei erwische, wie er die Tiere auf dem Campus quält  – dann schnapp ich mir denjenigen und schlage ihn so zusammen, dass er einen Monat lang Blut pinkelt.«

»Leere Coladosen wären doch auch ein gutes Ziel«, wagte Kevin einen konstruktiven Vorschlag.

»Besonders, wenn man Eichhörnchen drauf malt«, nickte Jake grinsend.

»Schon gut!« Lauren biss die Zähne zusammen und unterdrückte den Wunsch, sich auf Jake zu stürzen und ihn windelweich zu schlagen. »Ihr Jungs könnt von mir aus mit euren Steinschleudern spielen. Aber vorher sollten wir den ganzen Plan noch einmal von vorne bis hinten durchgehen. Ich will, dass ihr alle euren Part auswendig kennt. Bethany, fang du doch an, ja?«

3

Nach der gewalttätigen Demonstration in Birmingham im vergangenen Jahr hatte es die Polizei Chris Bradford fast unmöglich gemacht, mit seiner SAG erneut in Aktion zu treten: Hundert Demonstranten sahen sich zweihundert Polizisten gegenüber; größere SAG-Veranstaltungen wurden von den lokalen Behörden verboten; alle, die sich nicht an das Verbot hielten, fanden sich vor verschlossenen Bahnhöfen, abgesperrten Straßen und Polizisten wieder, die sofort jeden verhafteten, der aus der Reihe tanzte.

Schon seit Mitte der 80er-Jahre und ihrem ersten Einsatz gegen die Grubenarbeiterstreiks war es der Polizei mithilfe dieser rigorosen Taktik gelungen, Dutzende von regierungsfeindlichen Aufständen zu zerschlagen. Um dieser »staatlichen Unterdrückung« zu entgehen, hatte Chris Bradford im Laufe der Zeit den Eindruck erweckt, die SAG würde in sich zusammenfallen: Er veranstaltete immer kleinere Aktionen, zu denen immer weniger Menschen und noch weniger Polizisten kamen  – und erreichte damit schließlich sein Ziel.

Denn sobald die Polizei nicht mehr so wachsam war, machte sich Bradford an die Planung seiner größten SAG-Aktion. Und dafür war Weihnachten der ideale Zeitpunkt: Die Schul- und Universitätsferien lieferten ihm genau die richtige Menge an gelangweilten jungen Menschen, um auf den Straßen Chaos anzuzetteln; die Cops waren vollauf mit Betrunkenen in Feierlaune beschäftigt und viele Beamte nahmen in dieser Zeit sowieso Urlaub. Doch das Wichtigste war ein medialer Spitzenplatz für seine Aktion, der ihm in der Vorweihnachtszeit  – in der ansonsten aus Sicht der Zeitungs- und Fernsehjournalisten ziemlich wenig Spektakuläres passierte  – garantiert war.

James Adams hatte die SAG erfolgreich unterwandert und kannte Bradfords Plan. Er hatte seinem Einsatzleiter John Jones darüber berichtet, ohne dass dieser die Information an die Polizei weitergegeben hätte. Denn James untersuchte die wesentlich größere Gefahr, dass die SAG sich in eine Terrororganisation verwandelte. Wäre Bradford also aus der U-Bahn in Covent Garden gestiegen und hätte sich Hunderten von Polizisten gegenüber gesehen, hätte er gleich einen Maulwurf in seiner Organisation vermutet.

Ein Problem, das jegliche Art von Geheimdienstarbeit mit sich brachte: Die undercover ermittelten Informationen konnten oft nicht eingesetzt werden, ohne die Sicherheit der Agenten zu gefährden. Doch als James nun sah, wie Hunderte von Demonstranten Richtung Trafalgar Square strömten, fragte er sich, ob sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatten.

Es herrschte ohrenbetäubender Lärm. James war ein wenig nervös und zugleich elektrisiert von dem Gefühl, Teil einer so mächtigen Gruppe zu sein. Geschosse flogen über ihn hinweg, und auf beiden Seiten der Straße hörte man Glas splittern. In einem japanischen Restaurant kreischten die feiernden Gäste entsetzt auf, als ein Pflasterstein durch die Fensterscheibe krachte. Gleich darauf wurden das Bleiglasfenster eines georgianischen Theaters eingetreten, der Kartenschalter demoliert und die Plakate aus den Halterungen gerissen und in die Luft geworfen.

Passanten drückten sich in die Hauseingänge, während das Ladenpersonal schnell die Türen vor dem pulsierenden »SAG! SAG! SAG!«-Schlachtruf verschloss.

Die SAG-Sympathisanten stammten größtenteils aus den schlimmsten Stadtvierteln Londons und James staunte, wie Chris Bradford es geschafft hatte, eine so riesige Menge von Aktivisten und Unruhestiftern zusammenzutrommeln, ohne dass die Polizei davon Wind bekommen hatte. Bradford hatte behauptet, dass er sich über hundertfünfzig Demonstranten freuen würde. Doch jetzt waren es dreimal so viele. Sie verteilten sich über beide Straßenseiten und mischten sich in den zähen Verkehr auf den verstopften Fahrbahnen.

Zwei Minuten, nachdem sie den Strand erreicht hatten, war der Gehweg vor ihnen wie leer gefegt. Die Fußgänger hatten sich entweder in die Läden oder in eine der vielen Nebenstraßen geflüchtet.

Die Wenigen, die nicht rechtzeitig davongekommen waren, wurden zumeist einfach ignoriert, mit Ausnahme von ein paar Obdachlosen, die in der Gegend campierten und von den Aktivisten mit Münzen und Segenswünschen überschüttet wurden. Eine weitere Ausnahme bildeten Büroangestellte in Nadelstreifenanzügen und Kostümen und mit teuer wirkenden Uhren. Der Großteil der Menge begnügte sich zwar mit Grölen und Sachbeschädigung, aber eine besonders bösartige Gruppe schnappte sich alle, die auch nur entfernt nach Geld aussahen, und befahl ihnen, es herauszurücken.

»SAG! SAG! SAG!«, schrie James und schwang seine Faust in die Luft, während er mit der Masse weitergeschoben wurde.

Mit einem schnellen Tritt riss er den Außenspiegel einer Chauffeurlimousine ab, die zwischen zwei Bussen im Verkehr feststeckte  – schließlich musste er seinem grünen Irokesen und seiner Rolle als Anarchist gerecht werden. Er hob den Außenspiegel auf und sah sich um, fand aber nichts, auf das er hätte werfen können.

Gleich darauf prallte er gegen seinen Vordermann. Auch hinter ihm staute sich die Menge auf und blieb stehen. Alle schienen überrascht und das Grölen erstarb. James beugte sich vor, um zu sehen, was geschehen war.

Keine fünfzig Meter vor ihnen befand sich die Charing-Cross-Station und ein Stück weiter ragte die Admiral-Nelson-Säule hoch in die Luft. Doch der Weg dorthin wurde ihnen von einer Reihe von Polizeiautos mit blitzenden Blaulichtern versperrt.

»Nazis!«, zischte ein Jugendlicher direkt in James Genick. »Wie sind die denn so verdammt schnell hierher gekommen?«

James sagte nichts, doch er kannte den Fehler in Bradfords Plan. Gleich in der Nähe ihrer angepeilten Marschroute lag eine der größten Polizeiwachen von London. Als der Superintendent der Polizeistation am Charing Cross gehört hatte, dass die Demo außer Kontrolle geriet, hatte er natürlich sofort befohlen, mit mehreren Polizeiwagen den gesamten Strand zu blockieren.

Jeder einzelne Polizist dieser Wache  – einschließlich derer, die ihren Schreibtisch seit Jahren nicht mehr verlassen hatten  – war angewiesen worden, volle Schutzkleidung zu tragen. Und so standen jetzt über fünfzig Cops hinter der Barrikade.

»Bitte lösen Sie den Zug augenblicklich auf«, tönte es aus einem Polizeilautsprecher. »In Kürze wird Verstärkung eintreffen. Sie werden verhaftet und könnten verklagt werden.«

Nach dieser Ankündigung versuchten die Polizisten, die Menge einzuschüchtern, indem sie mit den Schlagstöcken auf ihre Plastikschilde schlugen. Und es schien tatsächlich zu wirken.

Der Mob war verstummt und dabei, sich neu zu orientieren. James beobachtete, wie Hunderte von Atemwölkchen in den dunkler werdenden Himmel aufstiegen. Das Blaulicht der Polizei wetteiferte mit der Weihnachtsbeleuchtung. Es war wie in einer Pause zwischen zwei Liedern bei einem weihnachtlichen Open-Air-Konzert. Und doch lag eine gefährliche Stimmung in der Luft. James sah, wie sich ein paar Demonstranten am Rand der Menge in die Seitenstraßen verdrückten.

Immer mehr Leute verschwanden in den Nebenstraßen und die angespannte Atmosphäre lockerte sich etwas; alles sah danach aus, als würde sich der Marsch auflösen. Doch dann war plötzlich alles anders, als aus dem Fenster im dritten Stock eines Hauses eine orangerote Flamme flog und zwischen zwei Polizeiautos in einem grellen Feuerball explodierte.

Ohne dass James es mitbekommen hatte, waren mehrere Aktivisten durch eine Glastür eingebrochen, hatten ein Büro ein paar Stockwerke über den Läden gestürmt, ein Fenster geöffnet und eine Brandbombe hinuntergeworfen.

Die Menschenmasse johlte und pfiff, während weitere Bomben heruntersegelten, Benzin über die Straße spuckten und die Polizeiwagen in Brand setzten. Die Beamten flohen panisch von ihren Barrikaden.

Da begann die große Trommel wieder zu schlagen und die ganze Menge schrie mit neu erwachtem Aktionismus und in voller Lautstärke: »SAG! SAG! SAG!«

James hatte geglaubt, alle Einzelheiten von Bradfords Plan zu kennen, aber von den Molotow-Cocktails hatte er nichts gewusst. Und doch ließ der gezielte Wurf auf die Reihen der Polizei nur einen Schluss zu: dass es sich dabei um keine spontane Aktion handelte, sondern um eine geplante Operation.

»SAG! SAG! SAG!«

Wer nicht mitbrüllte, pfiff so laut, dass James die Ohren wehtaten. Die Polizisten hatten sich zwar zurückgezogen, doch es gab keinen Weg durch die brennenden Wagen hindurch.

Der Mann mit dem gestohlenen Megafon rettete die Situation auf seine Weise, indem er der Menge befahl: »Zerstört das Savoy! Zerstört das Savoy!«

»Super Idee!«, schrie jemand. Der Mob machte auf dem Absatz kehrt und lief in die Richtung zurück, aus der er gekommen war, direkt auf eines der besten und elegantesten Hotels Londons zu. James befand sich jetzt eher am Ende der Meute und es dauerte eine Weile, bis er wieder loslief.

»Wir haben die Bullen verbrannt! Wir haben die Bullen verbrannt! Lah la la lah la!«

Mitten im Chaos und dem Klirren von berstendem Glas spürte James, wie das Handy in seiner Tasche vibrierte. Eine SMS von Dana.

HAST DU MEINE GRÜNE TRAININGSJACKE GESEHEN?

James freute sich, von seiner Freundin zu hören. Aber gleichzeitig war er enttäuscht, dass sie nicht auf sein Geständnis reagiert hatte.

GLAUB, SIE IST UNTER MEINEM BETT, war deshalb das Einzige, was er antwortete.

Als er das Handy wieder einsteckte, prallte er gegen seinen Vordermann und sah auf. Wieder war die Menge leiser geworden und er hörte das charakteristische Hämmern von Schlagstöcken auf Plastikschilden.

Vor ihnen war die Straße erneut verstellt, hinter ihnen eine brennende Barrikade, weshalb sich die Menschenmasse auf der Suche nach einem Ausweg den Nebenstraßen zuwandte. Doch diesmal waren auch alle Nebenstraßen von weißen Wagen mit blitzenden Blaulichtern versperrt.

Rat, Andy, Jake, Kevin und Ronan rannten die Treppe von Laurens Zimmer im achten Stock zum Waffenlager im Erdgeschoss hinunter.

»Für was zum Teufel hält sich Lauren Adams eigentlich?«, giftete Jake, als er sich um das Treppengeländer schwang. »Diese eingebildete kleine Kuh…«

»Du redest von meiner Freundin!«, warnte ihn Rat.

Andy versuchte zu vermitteln, schließlich war ihm klar, dass Teamarbeit der einzige Weg zum Erfolg war. »Lauren ist vielleicht ein bisschen eingebildet, aber sie hat auch echt was drauf, Jake. Sie hat hier einige der besten Einsätze gemacht und dabei ist sie erst dreizehn…«

Ronan kicherte. »Wenn sie so Riesentitten hätte wie Bethany, wär sie perfekt!«

Andy und Rat mussten lachen. »Ich schwör dir, jedes Mal wenn ich sie sehe, sind sie noch größer!«

»He, ihr redet von meiner Schwester«, beschwerte sich Jake.

»Ach komm, Jake, ihr beide hasst euch doch!«, gab Andy zurück.

»Andy ist in Bethany verliebt«, behauptete Rat, während Ronan einen halben Treppenabsatz übersprang und mit lautem Poltern im sechsten Stock landete. »Aber er hat viel zu viel Schiss davor, sie um ein Date zu bitten.«

»Red keinen Schwachsinn, Rat!«, stieß Andy erschrocken hervor. »Ich hab nur ein einziges Mal gesagt, dass ich sie mag, und seitdem gibst du keine Ruhe mehr!«

»Angsthase!«, frotzelte Rat.

Mittlerweile waren sie alle im sechsten Stock angekommen, und Kevin bog in den Gang ein.

»He, wo willst du hin?«, rief Rat ihm nach. »Wir sollen doch nach unten, um mit der Steinschleuder zu üben!«

»Ich will die hier aber nicht dreckig machen!«, erklärte Kevin und deutete auf seine strahlend weißen Turnschuhe. »Ich geh schnell ins Zimmer und zieh mich um!«

Ronan schüttelte den Kopf. »Die Turnschuhe wechseln! Bist du ein Mädchen oder was?«

»Jedenfalls stinke ich nicht nach Pisse!«, gab Kevin zurück.

Ronan war schon auf halbem Weg zum fünften Stock, doch bei diesen Worten drehte er sich blitzartig um und ging drohend auf Kevin zu. »Sag das noch mal und ich schlag dir den Schädel ein!«

»Lasst den Quatsch«, seufzte Rat. Er war einer der stärksten Dreizehnjährigen auf dem Campus und hatte keine Schwierigkeiten, zwei Elfjährige in Schach zu halten. Er stieß Kevin in Richtung seines Zimmers und packte dann Ronan am Kragen. »Wir werden alle zusammen zwei Stunden lang in einem Mini-Van zum ATCC fahren. Wenn du da noch nach irgendetwas anderem als Seife oder Deo riechst, kannst du deinen Platz auf dem Dachgepäckträger suchen!«

»Eben«, höhnte Kevin, der sich jetzt rückwärts seinem Zimmer näherte. »Nimm endlich mal ein Bad, du Loser!«

»Wir sehen uns im Waffenlager, Kev«, sagte Rat und lief mit Andy und Jake weiter.

Kevins Zimmer sah wie alle anderen im Hauptgebäude aus: ein kleines Sofa an der Tür, ein Doppelbett, ein Schreibtisch mit Laptop am Fenster, an einer Seite ein Wandschrank und nebenan ein Badezimmer. Überrascht registrierte Kevin einen Werkzeugkoffer in der Tür zum Bad.

Karen, die Klempnerin auf dem Campus, streckte den Kopf aus der Tür. Sie trug eine zerschlissene Latzhose über einem weißen CHERUB-T-Shirt und hatte einen Toilettensitz in der behandschuhten Hand.

»Hi«, begrüßte sie ihn. »Ich baue nur das neue Klo ein.«

Auf dem Campus wurden gerade alle Toiletten gegen neue, wassersparende Modelle ausgetauscht. Das war am Montag bei der Morgenversammlung verkündet worden, aber Kevin hatte es völlig vergessen.

»Bin in zehn Minuten fertig, aber wenn du aufs Klo musst, kannst du ja das einweihen, das ich gerade gegenüber eingebaut habe.«

»Null Problemo«, nickte Kevin, setzte sich aufs Bett und fischte ein paar alte Turnschuhe darunter hervor.

Nachdem er sie angezogen hatte, wünschte er der Klempnerin frohe Weihnachten und lief wieder hinaus. Allerdings hielt er es tatsächlich für eine gute Idee, sich noch einmal zu erleichtern, bevor er draußen in der Kälte mit der Steinschleuder übte. Also riss er die Tür gegenüber auf und betrat James Adams′ Zimmer.

4

James duckte sich erschrocken, als ein Reifen an einem der brennenden Wagen mit lautem Knall platzte. Die Hitze war zu groß geworden. In den Straßen rundherum heulten Sirenen. Die Leute in der Menge rempelten und schubsten sich an. James war groß genug, um Luft zu bekommen, aber einige der Kleineren wurden eingeklemmt und verfielen in Panik.

»Bitte bleiben Sie ruhig«, mahnte ein Polizeilautsprecher. »Die Versammlung wird diszipliniert aufgelöst.«

Bevor die Brandbomben die erste Polizeibarrikade getroffen hatten, waren um die achtzig Demonstranten in die Seitenstraßen verschwunden. Somit stand die Polizei nun noch etwa dreihundert Aktivisten gegenüber.

Am östlichen Ende des Strands hatten fünfzig Polizisten die Menschen eingekesselt, ein Dutzend weitere blockierten die Nebenstraßen. Doch obwohl sie den Beamten fünf zu eins überlegen waren, wollte sich keiner der Demonstranten mit Schilden, Helmen und Teleskopschlagstöcken anlegen.

Ein Veteran der Protestbewegung stand in James′ Nähe und erklärte seiner Freundin die Taktik der Polizei.

»Die Mistkerle werden uns hier stundenlang festhalten und nur immer zu zweit oder zu dritt rauslassen. Und bevor sie uns gehen lassen, fotografieren sie uns und schreiben sich unsere Namen auf.«

»SAG! SAG! SAG!«, schrie jemand, doch die Menge antwortete nur halbherzig, nachdem sie jetzt auch noch vom Scheinwerfer eines Polizeihubschraubers geblendet wurde. James vermutete, dass sie nach Bradford und anderen hochrangigen SAG-Mitgliedern suchten. Aber diejenigen, die sich nach Birmingham noch in Freiheit befanden, waren längst verschwunden, bevor der Protestmarsch seinen Höhepunkt erreicht hatte.

Plötzlich donnerte hinter James eine noch größere Explosion als vorhin: Der Benzintank eines Polizeiwagens war in die Luft geflogen. An der dem Feuer gegenüberliegenden Straßenseite hatten die Polizisten ein paar nur leicht beschädigte Wagen aus der Barrikade gerollt und marschierten jetzt durch die Lücke, um die Menge von hinten einzuschließen. Das Trommeln der Schlagstöcke veranlasste die Leute, sich vor Angst noch dichter zusammenzudrängen, und vor James schrie eine Frau, dass sie keine Luft mehr bekäme.

Doch es war nicht der Platzmangel, der das Gedränge verursachte, sondern die Tatsache, dass keiner der Demonstranten am äußeren Rand der Menschenmenge stehen wollte, nachdem die Polizei sie komplett umzingelt hatte. Die Leute versuchten, sich vor den Schlagstöcken zu schützen wie Kaiserpinguine vor der Kälte.

»Ich muss hier raus!«, kreischte die Frau. »Lasst mich hier raus!«

James kam das ganze Gedrängel sinnlos vor. Da er über genügend Muskelkraft verfügte, um sich durchzuboxen, packte er auf seinem Weg durch die Menge die panische Frau und legte ihr den Arm um die Schultern.

»Beruhigen Sie sich«, befahl er energisch, als sie schließlich dreißig Meter weiter einen freien Platz im Niemandsland zwischen den Demonstranten und der Polizei erreicht hatten. Die junge Frau, die Anfang zwanzig sein musste, wühlte in ihrer Tasche nach einem Inhalator. James nahm eine Wasserflasche aus seinem Rucksack und bot ihr etwas zu trinken an.

»Danke«, sagte sie mit starkem französischem Akzent und griff erleichtert nach der Flasche. »Ich hab da drin solche Angst bekommen!«

»Keine Panik«, grinste James.

Auf der anderen Straßenseite wurden die Autos langsam durchgewinkt, die auf dem Weg nach Osten zwischen den beiden Polizeilinien aufgehalten worden waren. Nachdem sich der Verkehrsstau aufgelöst hatte, breitete sich die Masse auf dem zusätzlichen freien Raum aus. Als den Leuten klar wurde, dass die Einsatztruppe der Polizei nicht mit den Schlagstöcken auf sie losgehen würde, lockerte sich die Anspannung ein wenig.

James und seine neue Freundin zogen sich zu einer Säule zwischen den heruntergelassenen Fenstergittern eines Juweliers und eines Elektroladens zurück.

»Rauchst du?«, fragte das Mädchen und bot ihm Zigaretten und ein Feuerzeug an.

James schüttelte lachend den Kopf. »Zigaretten und Asthma. Tolle Kombination!«

Doch bei einem Blick auf die Uhr verging ihm das Lachen. In knapp drei Stunden sollte er Chris Bradford bei einem Treffen am anderen Ende der Stadt den Rücken decken. Es war wichtig für die Mission, aber wenn die Polizei die Demonstranten nur nach und nach im Laufe von mehreren Stunden gehen lassen würde, hatte er keine Chance, rechtzeitig dorthin zu kommen.

»Eigentlich müsste ich ganz woanders sein«, sagte James.

Die Französin lächelte. »Wenn du einen Plan hast, ich bin ganz Ohr.«

Zum ersten Mal sah James sie richtig an. Mit ihren schwarzen Strümpfen und dem offenbar teuren gestreiften Mantel schien sie so gar nicht zu den SAG-Aktivisten oder den Stadtrowdys zu passen.

»Wie hast du denn von der Demo erfahren?«

»Ich studiere Journalismus«, erklärte das Mädchen. »Ich bin für drei Monate in der Londoner Redaktion einer Pariser Zeitung. Gestern Abend habe ich auf einer Party ein paar Jungs davon reden gehört, dass es möglicherweise Ärger gibt.«

»Auf der Jagd nach einer echten Sensation, was?«, meinte James und lächelte abwesend.

Normalerweise ließ er sich ein Gespräch mit hübschen Mädchen nicht entgehen, aber jetzt fiel sein Blick auf das Metallgitter vor dem Elektroladen. An seinen Ösen konnte es von außen mit Vorhängeschlössern befestigt werden, aber stattdessen war es jetzt nur hastig und lose heruntergezogen worden. James fragte sich, ob man es wohl auch von innen abschließen konnte.

»Wohin gehst du?«, fragte die Französin, als er zwei Schritte zur Seite machte und durch die Ritzen des Metallgitters spähte.

Im Ladenraum waren alle Lichter an. Zwischen den beiden Schaufenstern lag ein etwas zurückgesetzter Bereich mit sechs verschlossenen Glastüren.

»Da muss es doch einen Hinterausgang geben«, vermutete James.

Während er die Polizisten im Auge behielt, hockte er sich hin, hob schnell das Gitter an und schlüpfte darunter hindurch.

»Wohin gehst du?«, wiederholte das Mädchen.

»Schau jetzt nicht her«, befahl James.

Er stellte sich in den Zwischenraum mit den Türen und bemerkte erleichtert, dass sich im Laden offensichtlich nur noch der Geschäftsführer befand, der in einer hinteren Ecke mit einer X-Box spielte.

James schlich sich leise an den Türen entlang und probierte alle sechs davon aus, doch es überraschte ihn nicht, dass sie verschlossen waren. Auf dem Campus wurde das Knacken von Schlössern mit einem mechanischen Dietrich trainiert, aber da James so etwas normalerweise nicht mit sich herumtrug, musste er sich jetzt mit seinem Leatherman begnügen.

Nach einem raschen Blick auf die Türgriffe atmete er erleichtert auf. An den Türen gab es zwar Riegel, die jedoch  – ebenso wie die Vorhängeschlösser am Gitter  – erst abends, wenn der Laden zumachte, von außen verschlossen wurden. So waren die beiden äußeren Türpaare jetzt nur von innen verriegelt, während die Doppeltür in der Mitte elektronisch gesteuert nach innen aufschwingen sollte. Der Strom war zwar abgeschaltet worden, aber ansonsten sah alles danach aus, dass er nur irgendwie die Finger zwischen die Automatiktüren bekommen musste, um sie zu öffnen. James ging in die Hocke und wollte gerade einen Versuch starten, als die Französin ihren Zigarettenrauch durch das Gitter blies.

»Alles in Ordnung? Kommst du rein?«

»Schau um Himmels willen nicht her!«, verlangte James gereizt.

Um sie herum wimmelte es nur so von Demonstranten und Polizisten, und es war sowieso schon ein Wunder, dass er überhaupt so weit gekommen war.

Mit der Stiefelspitze drückte er nun gegen den unteren Rand der einen Türhälfte und stemmte sie einen Spaltbreit auf  – doch es war zu wenig, um seine Finger hineinzustecken. Also setzte er die gezackte Klinge seines Taschenmessers in die Lücke und nutzte sie als Hebel. Tatsächlich gelang es ihm, einen Spalt zu schaffen, durch den er vier Finger einer Hand schieben konnte.

Die Tür drückte gegen seine Fingerspitzen, und er stöhnte vor Schmerz. Aber er hörte nicht auf, daran zu ziehen, bis sie sich so weit bewegt hatte, dass er auch die Finger der anderen Hand in den Spalt bekam. Doch sie gab erst nach, als er schließlich sein ganzes Körpergewicht dagegen warf.

Die Hydraulikkolben, mit denen die Tür normalerweise betrieben wurden, zischten auf und die Tür öffnete sich  – aber James′ Triumphgefühl währte nur eine halbe Sekunde, bis seine Finger den Halt verloren und er mit einem lauten Scheppern rücklings auf das Bodengitter dahinter fiel.

Als James sich wieder aufrappelte, sah er, wie die Französin sich gerade unter dem Außengitter durchklemmte. Durch den Lärm waren auch andere Demonstranten auf sie aufmerksam geworden.

Der Mann im Elektroladen hatte die X-Box fallen lassen und sprang über die Theke, um den Alarmknopf zu drücken.

»Raus aus meinem Laden!«, rief er aufgebracht.

Dummerweise war gerade das Auslösen des Alarms das Schlimmste, was er tun konnte. Nachdem bereits ein paar Demonstranten der Französin durch das Gitter gefolgt waren, lenkten die Sirenen endgültig die Aufmerksamkeit aller auf das, was vor dem Laden geschah  – und die Demonstranten fühlten sich wieder gestärkt.

»Oggy, oggy, oggy!«, schrie jemand durch ein Megafon.

»SAG! SAG! SAG!«, rief die Menge zurück. Dann gingen plötzlich die anderen Gitter hoch, und um die Automatiktüren entstand ein wildes Gedränge.

James packte die Französin an ihrem dünnen Arm und lief mit ihr in den hinteren Teil des Ladens zur Feuertür.

»Da ist das Lagähr!«, rief sie, und vor Angst verstärkte sich ihr französischer Akzent.

Als James den Notausgang schon fast erreicht hatte, verstellte ihm der Geschäftsführer den Weg  – ein Fehler, angesichts James′ Trainingszustand. Mühelos packte er den untersetzten Mann an der Krawatte und stieß ihn seitlich in ein Regal mit Batterieladegeräten und Adaptern.

»Lass mich in Ruhe, oder du bist krankenhausreif«, warnte James ihn und folgte schnell dem Notausgangsschild über der Feuertür  – gefolgt von über fünfzig Demonstranten, die inzwischen in den Laden eingedrungen waren. Die meisten wollten einfach nur so schnell wie möglich fliehen, aber für ein paar von ihnen war die Versuchung zu groß.

Dutzende von Laptops, DVD-Playern und anderen Geräten wurden aus ihren Halterungen gerissen, was weiteren Alarm auslöste. Doch das schreckte die Randalierer nicht davon ab, so viele Kameras und iPods wie möglich in die Ladeneinkaufstüten zu stopfen.

Draußen waren mittlerweile Polizisten angerannt gekommen, um den Eingang zu versperren. Doch das konnte die Menge nur zum Teil einschüchtern. Ein anderer Teil fühlte sich erst recht bestärkt, denn nachdem die Polizisten ihre zu anfangs beeindruckende Schlagstocktrommelwirbel-Formation aufgegeben hatten, war ihre Unterzahl mit einem Mal offensichtlich.

Bevor es sechs Beamten schließlich gelang, den Laden mit ihren Schilden abzuschirmen, waren schon etwa siebzig Demonstranten eingedrungen  – und keiner der Polizisten legte gesteigerten Wert darauf, dem durchgedrehten Mob zu folgen. Andere Aktivisten durchbrachen jetzt die Polizeireihen in Richtung Savoy-Hotel oder überrannten die Blockaden der Seitenstraßen, die zur Themse führten.

Das Chaos griff erneut um sich und die Polizisten machten die Sache nicht gerade besser, indem sie ihre Schlagstöcke einsetzten und willkürlich jeden verhafteten, den sie erwischen konnten.

Währenddessen hatten es James und die Französin durch die Feuertür und ein paar Stufen hinunter in einen größeren Lagerraum geschafft. Von dort aus führte eine Tür direkt auf eine schmale Gasse hinaus. Doch das Problem waren die Plünderer, durch die James sich mühsam hindurchkämpfen musste.