Top Secret 4 - Der Auftrag - Robert Muchamore - E-Book

Top Secret 4 - Der Auftrag E-Book

Robert Muchamore

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Beschreibung

Band 4 der erfolgreichen Krimiserie um Undercoveragent James

Eigentlich ein Routinejob: Um eine Reihe von Autodiebstählen aufzudecken, ermittelt James undercover in einer Londoner Familie. Der Fall scheint schnell aufgeklärt, Schmalspurganove Leon überführt. Da entdeckt James auf dem Computer des kürzlich verstorbenen Will, dass Leon einen spektakulären Casinoraub vertuscht hat – mit Hilfe des örtlichen Polizeichefs! Schnell kapiert er, dass der Selbstmord von Will keiner war. Und ebenso schnell geraten seine Ermittlungen zu einem tödlichen Auftrag …

Überzeugende, sympathische Charaktere und temporeiche Action: "Top Secret" ist brillante Action mit Tiefgang und aktuellen Themen.

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Seitenzahl: 385

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Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform © 2005 der Originalausgabe by Robert Muchamore Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »CHERUB: The Killing« bei Hodder Children’s Books, London. © 2008 der deutschsprachigen Ausgabe bei cbt/cbj, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Übersetzung: Tanja Ohlsen Lektorat: Birgit Gehring Umschlagkonzeption: init.büro für gestaltung, Bielefeld SE ∙ Herstellung: ReD ISBN : 978-3-641-03133-6V007
www.cbj-verlag.de
Inhaltsverzeichnis
 
DER AUTOR
Was ist CHERUB?
Warum Kinder?
Wer sind die Kinder?
 
Kapitel 1
Juni 2005
 
Kapitel 2
 
Kapitel 3
 
Kapitel 4
 
Kapitel 5
 
Kapitel 6
 
Kapitel 7
 
Kapitel 8
 
Kapitel 9
 
Kapitel 10
 
Kapitel 11
 
Kapitel 12
 
Kapitel 13 – Geheimsache
 
Kapitel 14
 
Kapitel 15
 
Kapitel 16
 
Kapitel 17
 
Kapitel 18
 
Kapitel 19
 
Kapitel 20
 
Kapitel 21
 
Kapitel 23
 
Kapitel 24
 
Kapitel 25
 
Kapitel 26
 
Kapitel 27
 
Kapitel 28
 
Kapitel 29
 
Kapitel 30
 
Kapitel 31
 
Kapitel 32
 
Kapitel 33
 
Kapitel 34
 
Kapitel 35
 
Kapitel 36
 
Epilog
Copyright
DER AUTOR
Robert Muchamore, Jahrgang 1972, lebt in London und arbeitet dort als Privatdetektiv. Er hasst es, von Kühen gejagt zu werden, das Landleben überhaupt, bärtige Frauen, Ketchup und Mayonnaise, Schnulzenfilme und Leute, die zehn Minuten lang an der Bushaltestelle stehen und erst dann anfangen, nach Kleingeld zu kramen, wenn sie vor dem Busfahrer stehen. Er hat einen sehr schwarzen Humor und seine Lieblingsfernsehserie ist »Jackass«.
 
Von Robert Muchamore ist bei cbt bereits erschienen:
Top Secret – Der Agent (30184)
Top Secret – Heiße Ware (30185)
Top Secret – Der Ausbruch (30392)
 
Weitere Titel sind in Vorbereitung.
cbt – C. Bertelsmann Taschenbuch Der Taschenbuchverlag für Jugendliche Verlagsgruppe Random House
Was ist CHERUB?
CHERUB ist Teil des britischen Geheimdienstes. Die Agenten sind zwischen zehn und siebzehn Jahre alt. Meist handelt es sich bei den CHERUB-Agenten um Waisen aus Kinderheimen, die für die Undercover-Arbeit ausgebildet wurden. Sie leben auf dem Campus von CHERUB, einer geheimen Einrichtung irgendwo auf dem Land in England.
Warum Kinder?
Kinder können sehr hilfreich sein. Niemand rechnet damit, dass Kinder Undercover-Einsätze durchführen, daher kommen sie mit vielem durch, was Erwachsenen nicht gelingt.
Wer sind die Kinder?
Auf dem CHERUB-Campus leben etwa dreihundert Kinder. Unser dreizehnjähriger Held heißt James Adams. Er ist ein angesehenes Mitglied von CHERUB und hat bereits drei Missionen erfolgreich abgeschlossen. James’ zehnjährige Schwester Lauren Adams hat noch nicht so viel Erfahrung als CHERUB-Agentin. Kerry Chang ist eine Karatemeisterin aus Hongkong und James’ Freundin.
Zu James’ besten Freunden auf dem Campus gehören Bruce Norris, Gabrielle O’Brien, Shakeel Dajani und die Zwillinge Callum und Connor Reilly. Sein bester Kumpel ist der fünfzehnjährige Kyle Blueman.

Und die T-Shirts?

Den Rang eines CHERUB-Agenten erkennt man an der Farbe des T-Shirts, das er oder sie auf dem Campus trägt. Orange tragen Besucher. Rot tragen Kinder, die auf dem Campus leben, aber zu jung sind, um schon als Agenten zu arbeiten. Blau ist die Farbe während ihrer hunderttägigen Grundausbildung. Ein graues T-Shirt heißt, dass man auf Missionen geschickt werden darf. Dunkelblau tragen wie James diejenigen, die sich bei einem Einsatz besonders hervorgetan haben. Wenn man gut ist, kann man am Ende seiner Laufbahn ein schwarzes T-Shirt tragen, die höchste Anerkennung für hervorragende Leistungen bei vielen Einsätzen. Wenn man CHERUB verlässt, bekommt man ein weißes T-Shirt, das auch vom Personal getragen wird.
August 2004
Die beiden Dreizehnjährigen trugen Nylonshorts, ärmellose Tops und Flip-Flops. Jane lehnte an der Betonwand ihres Wohnblocks und strich sich die Haarsträhnen aus dem verschwitzten Gesicht. Hannah räkelte sich ein paar Meter vor ihr auf den gepflasterten Treppenstufen.
 
 
»Ist das öde«, schnaufte Jane.
Hannah nickte. Die Sommerferien waren zur Hälfte vorbei und heute war der bislang heißeste Tag des Jahres. Die beiden besten Freundinnen waren pleite, gereizt von der Hitze und langweilten sich gegenseitig zu Tode.
»Ich schwitze schon, wenn ich denen nur zusehe«, meinte Hannah mit einem Blick auf die kleinen Jungen, die zwanzig Meter weiter einen Fußball über den Asphalt kickten.
»Wir sind auch mal so herumgewuselt«, bemerkte Jane. »Wir haben nicht Fußball gespielt, klar. Wir sind Fahrradrennen gefahren und so.«
Hannah erlaubte sich ein Lächeln bei dem Gedanken an die Vergangenheit.
»Oh ja, der Barbie-Fahrrad-Grand-Prix.« Sie nickte und erinnerte sich an das kleine rosa Fahrrad mit den wirbelnden weißen Speichen, mit dem sie über das Pflaster geholpert war. Janes Großmutter hatte immer im Liegestuhl gesessen und auf die beiden kleinen Mädchen aufgepasst.
»Damals mussten wir immer genau das Gleiche haben«, sagte Jane, rollte die Zehen ein und ließ die Sandale gegen ihren Fuß schnappen.
Ihre Reise in die Vergangenheit wurde jäh von einem Fußball unterbrochen. Er pfiff über Hannahs Kopf hinweg, haarscharf an Jane vorbei, und prallte an die Wand hinter ihr.
»Himmel!«, stieß Hannah hervor.
Sie warf sich über den Ball, der neben ihr die Stufen herunterhüpfte.
Ein Junge kam zum Fuß der Treppe gelaufen. Er mochte etwa neun Jahre alt sein, trug ein Chelsea-Shirt um die Taille geknotet, und bei jedem Atemzug stachen seine mageren Rippen hervor.
»Gib her!«, verlangte er und streckte die Hände aus, um den Ball zu fangen.
»Ihr habt mir das Ding beinahe ins Gesicht geschossen«, rief Jane aufgebracht. »Du könntest dich wenigstens entschuldigen.«
»War keine Absicht.«
Die anderen Fußballknirpse kamen näher, sauer, dass ihr Spiel unterbrochen wurde. Hannah akzeptierte, dass es ein zufälliger Schuss gewesen war, und sie war bereit, den Ball zurückzugeben, als ein Junge mit kurzen roten Haaren eine dicke Lippe riskierte. Er war mit etwa zehn Jahren der Älteste.
»Komm schon, du fette Kuh, gib uns unseren Ball. Aber sofort.«
Hannah sprang zwischen die verschwitzten Körper und baute sich vor dem Rothaarigen auf. »Sag das noch mal, du Rotschopf«, forderte sie ihn auf und presste den Ball zwischen den Handflächen.
Hannah war drei Jahre älter als die Kinder vor ihr und ihnen an Größe und Gewicht überlegen. Der Rothaarige konnte nur peinlich berührt auf seine Nikes starren, während seine Kumpel darauf warteten, dass er etwas Kluges von sich gab.
»Hast du deine Zunge verschluckt?«, fragte Hannah, nicht ohne Schadenfreude über seine Verlegenheit.
»Ich will nur unseren Ball«, meinte er lahm.
»Dann hol ihn dir.«
Hannah ließ den Ball fallen und schoss ihn weg, bevor er auf dem Boden aufkam. In Turnschuhen hätte das prima geklappt, aber während der Ball auf die beiden Torpfosten am anderen Ende der Asphaltfläche zusauste, flog ihre Sandale hinterher.
Der Rothaarige pflückte den Schuh sauber aus der Luft. Erfreut über seine plötzliche Macht hielt er sich die Sandale breit grinsend unter die Nase und roch daran.
»Mann, hast du Schweißfüße! Wäscht du dich nie?«, rief er mit angeekelter Miene.
Unter dem johlenden Gelächter der kleinen Fußballer griff Hannah nach ihrer Sandale. Der Junge duckte sich weg und warf den Schuh unter dem Arm hindurch einem seiner Kumpel zu. Der Schotter grub sich schmerzhaft in Hannahs bloße Fußsohle, als sie sich dem neuen Gegner zuwandte. Sie fühlte sich wie eine Totalversagerin, dass sie sich von einer Bande von Kümmerlingen hereinlegen ließ.
»Gib mir den Schuh auf der Stelle wieder, du kleiner Wicht oder ich verprügle dich!«, drohte sie.
Wieder wechselte die Sandale die Hände, als Jane ihrer Freundin zu Hilfe kam.
»Gib ihr den Schuh auf der Stelle wieder, du kleiner Wicht!«, schrie sie.
Je wütender die Mädchen wurden, desto mehr lachten die Jungen. Sie verteilten sich und bereiteten sich auf ein längeres »Schweinchen in der Mitte«-Spiel vor, als Jane auffiel, dass der Ausdruck auf den Gesichtern der Knirpse sich plötzlich veränderte.
Auch Hannah merkte, dass etwas nicht in Ordnung war. Schnell wandte sie sich um und sah aus den Augenwinkeln gerade noch einen verwischten Schatten, bevor etwas auf den Boden schlug. Es traf genau dort auf der Treppe auf, wo sie vor wenigen Minuten noch gesessen hatte.
Hannah erstarrte, als sich das Metallgeländer verbog. Bis ihr Gehirn wieder zu arbeiten begann, hatten die erschrockenen kleinen Fußballer ihre Sandale fallen gelassen und rannten davon. Hannah starrte auf die abgetragene Sohle eines Jungen-Turnschuhs. Ein Hintern in einer Jeans sah aus dem Haufen von verbogenem Metall und Schutt hervor. Adrenalin schoss durch Hannahs Adern, als sie den zerschmetterten Körper erkannte und aufschrie.
»Will! Nein …! Um Himmels willen!«
Er sah tot aus, aber das konnte doch nicht wahr sein! Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und schrie so laut, dass ihr die Kehle schmerzte. Sie versuchte sich einzureden, dass es nur ein Traum war. So etwas geschah nicht im wahren Leben. Sie würde aufwachen und alles wäre wieder normal …
1
Seit drei Jahren unterrichtet George Stein als Wirtschaftslehrer an der exklusiven Trinity-Ganztagesschule bei Cambridge. Kürzlich tauchten Informationen auf, die vermuten lassen, dass Stein Kontakte zur Umwelt-Terrororganisation »Help Earth« unterhält.
(Auszug aus den CHERUB-Einsatzunterlagen für Callum Reilly und Shakeel ›Shak‹ Dajani.)

Juni 2005

Es war ein schöner Tag und in diesem Teil von Cambridge roch es förmlich nach Geld. Gärtner hatten die Rasenflächen perfekt frisiert, und beim Anblick all des deutschen Metalls, das am Straßenrand parkte, kribbelte es James in den Fingern. Er lief neben Shakeel her und beiden Jungen war die Uniform der Trinity-Schule peinlich. Sie bestand aus einem weißen Hemd, einer Krawatte, grauen Hosen mit orangem Streifen, einem orangegrauen Blazer und einer dazu passenden Filzkappe.
»Also wirklich«, stöhnte James, »selbst wenn man richtig fies darüber nachgrübelt, fällt einem nichts mehr ein, was diese Uniform noch dämlicher aussehen lässt.«
»Na, ich weiß nicht, James. Sie hätten uns auch noch Fasanenfedern an die Filzkappe stecken können oder so.«
»Und diese Hosen sind für Callums kleinen Hintern gemacht. Sie drücken mir die Eier ab.«
Shak musste über James’ Unannehmlichkeiten grinsen. »Du kannst es Callum nicht übel nehmen, dass er die Mission in letzter Minute hingeworfen hat. Das ist dieser Magen-Darm-Virus, der zurzeit auf dem Campus umgeht.«
»Schon klar.« James nickte. »Ich hatte ihn letzte Woche. Bin erst seit zwei Tagen wieder raus aus dem Bett.«
Zum tausendsten Mal sah Shak auf die Uhr. »Wir müssen uns etwas beeilen.«
»Wozu?«, erkundigte sich James.
»Das ist keine Londoner Schule voller schäbiger kleiner Arsenal-Fans wie du«, erklärte Shak. »Trinity ist eine der Top-Privatschulen des Landes. Hier schlenzen die Schüler nicht auf den Gängen herum, wie es ihnen passt. Wir sollten während des Wechsels von der dritten zur vierten Stunde ankommen, wenn Hunderte anderer Kinder unterwegs sind.«
James nickte. »Kapiere.«
Shak sah zum hunderttausendsten Mal auf die Uhr, während sie in eine Straße mit Kopfsteinpflaster einbogen, die kaum breit genug für ein Auto war.
»Jetzt komm schon, James.«
»Versuch ich ja«, gab James zurück. »Aber die Hose wird am Arsch platzen, wenn ich nicht aufpasse.«
Nachdem sie zwei große Häuser hinter sich gelassen hatten, öffnete sich die Straße zu einem heruntergekommenen Park mit verknoteten Schaukeln und kniehohem Gras. Zu ihrer Linken erhob sich ein Maschendrahtzaun. Er war mit Stacheldraht gesäumt und umgab das Gelände der Trinity-Schule. Während der Schulstunden wurden die Haupttore sorgfältig mit Monitoren überwacht, daher war der Zaun für sie die einzige Möglichkeit, auf das Gelände zu gelangen.
Auf der Suche nach der Öffnung, die ein MI5-Mitarbeiter vergangene Nacht für sie in den Zaun geschnitten hatte, schritt Shak durch das lange Gras und achtete darauf, nicht in Hundehaufen und Müll zu stapfen. Hinter dem dicken Stamm eines Baumes fand er das Loch, hob den Maschendraht an, tippte sich an die Mütze und näselte arrogant: »Bitte nach Ihnen, James, mein Bester.«
James warf Rucksack und Mütze durch die Öffnung, bevor er selbst hindurchschlüpfte. Er lehnte sich an den Baum und klopfte sich den Schmutz von der Uniform, während Shak ihm folgte.
»Bist du startklar?«, fragte James und schulterte den Rucksack. Er wog etwa eine Tonne und die Ausrüstung darin schepperte leise.
»Mütze«, erinnerte ihn Shak.
James stieß einen kleinen Seufzer aus, als er sich bückte, um die Mütze aus dem Gras aufzuklauben. Ein paar hundert Meter weiter im Schulgebäude ertönte ein Gong, der das Ende der Schulstunde verkündete.
»Okay, dann mal los«, meinte Shak.
Die Jungen verließen die Deckung des Baumes und liefen über ein Rugbyfeld Richtung Schulgebäude, als sie einen Platzwart bemerkten, der vom anderen Ende des Spielfeldes direkt auf sie zukam.
»He, ihr zwei!«, rief er.
Da James bei dieser Mission in letzter Minute für Callum eingesprungen war, hatte er nur noch Zeit gehabt, die Instruktionen kurz zu überfliegen. Unsicher, was nun zu tun war, sah er Shak an.
»Keine Sorge«, flüsterte Shak. »Ich hab eine Story parat.«
Der Platzwart fing die Jungen nahe den Rugby-Pfosten ab. Der Kerl mit dem schütteren grauen Haar, den Arbeiterstiefeln und dem schmierigen Overall sah ziemlich fit aus.
»Was macht ihr beide bitte schön hier draußen?«, plusterte er sich auf.
»Ich habe in der Mittagspause unter dem Baum da gelesen«, erklärte Shak und wies mit dem Daumen nach hinten. »Da habe ich meine Mütze liegen gelassen.«
»Ihr kennt doch die Schulregeln, oder?«
Shak und James sahen verwirrt drein.
»Versucht nicht, mich für dumm zu verkaufen, ihr kennt die Regeln genauso gut wie ich. Wenn ihr keinen Rugby-Unterricht habt, kein Spiel oder eine offizielle Übung, dann setzt ihr keinen Fuß auf das Spielfeld, damit es nicht unnötig zertreten wird.«
»Ja«, sagte Shak zerknirscht. »Tut mir leid, Sir. Ich hatte es nur eilig, zum Unterricht zu kommen, das ist alles.«
»Tut mir leid«, fügte auch James hinzu. »Aber schließlich ist der Platz nirgendwo schlammig oder so. Wir konnten also gar nichts kaputt machen.«
Der Platzwart schien James’ Kommentar als Bedrohung seiner Autorität aufzufassen, denn er beugte sich vor und fauchte James an: »Ich stelle hier die Regeln auf, junger Mann! Nicht du entscheidest, wann du mein Spielfeld betrittst und wann nicht, kapiert?«
»Jawohl, Sir«, antwortete James.
»Wie heißt du und in welchem Haus bist du?«
»Joseph Mail, King Henry House«, log James, der sich an eines der wenigen Elemente aus der Hintergrundstory erinnerte, die er gelesen hatte.
»Faisal Asmal, gleiches Haus«, sagte Shak.
»Gut«, meinte der Platzwart und wippte auf den Fußballen. »Ich werde euch beide eurem Hauslehrer melden, und ich schätze, dass ihr für eure Frechheit eine Woche nachsitzen dürft. Und jetzt verschwindet lieber zum Unterricht!«
»Warum hast du ihm widersprochen?«, fragte Shak verärgert, als sie zum Hintereingang der Schule liefen.
»Ich weiß, ich hätte es nicht tun sollen«, erwiderte James und hob abwehrend die Hände. »Aber der Kerl war so schrecklich aufgeblasen.«
Durch eine Doppeltür betraten sie das Hauptgebäude, nahmen ein paar Stufen und standen in dem belebten Hauptgang, der sich durch das ganze Erdgeschoss zog. Es war zwar ziemlich laut, aber die Trinity-Schüler liefen zielstrebig durch die Gegend und nickten höflich den Lehrern an den Türen zu, wenn sie in ihre Klassenräume gingen.
»Was für ein Haufen Schleimer«, flüsterte James. »Bestimmt furzen diese Langweiler nicht mal.«
Auf der Treppe zum zweiten Stock erklärte ihm Shak: »Um in Trinity aufgenommen zu werden, muss jeder Anwärter eine besondere Prüfung bestehen und ein Bewerbungsgespräch führen. Die Warteliste ist gigantisch, daher können sie es sich leisten, jeden rauszuschmeißen, der ihnen nicht ins Konzept passt.«
»Ich wette, hier würde ich es nicht lange machen«, stellte James fest.
Bis sie im zweiten Stockwerk angekommen waren, hatten die meisten Schüler ihre Unterrichtsräume erreicht und die Zimmertüren waren geschlossen worden. Shak zog einen Dietrich aus seinem Blazer, als sie an ein paar Klassenzimmern vorbei waren. Vor einer Bürotür mit dem Namensschild Dr. George Stein, BSc, PhD, Leiter Wirtschaft und Politik blieb er stehen.
Shak steckte die Spitze des Dietrichs ins Schlüsselloch. James blieb dicht neben ihm stehen und verstellte ein paar Schülern, die fünfzehn Meter weiter vor einem Klassenzimmer warteten, die Sicht.
Das Schloss hatte einen einfachen Mechanismus, daher musste Shak nur einmal kurz am Dietrich ruckeln und am Türgriff ziehen, und die Türe sprang auf. Schnell traten die beiden in das Büro und schoben den Riegel vor, damit sie niemand überraschen konnte.
»Stein sollte jetzt zwei Stockwerke weiter oben unterrichten«, meinte Shak. »Wir haben also Zeit bis zum Ende der nächsten Schulstunde in sechsunddreißig Minuten. Lass uns anfangen.«
2
Während Shak hinter Steins Schreibtisch trat und die Jalousie schloss, ließ James den Blick durch das Büro schweifen. Es enthielt nichts Aufregendes: Standardschreibtisch und Stühle, zwei Aktenschränke und einen Kleiderständer. Shak öffnete mit dem Dietrich die Metallschränke und begann, die Akten durchzusehen. Er suchte nach Papieren, die sich auf George Steins Privatleben bezogen, besonders nach solchen, die etwas mit seinem Engagement für Umweltschutzgruppen zu tun hatten.
James setzte sich währenddessen an den Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Während der Rechner hochfuhr, zog er aus seinem Rucksack ein Mini-JVC-Notebook und stellte eine Netzwerkverbindung zwischen den beiden Computern her. Steins Rechner verlangte ein Passwort, aber das konnte James nicht aus der Ruhe bringen. Auf seinem PC startete er ein paar Hacker-Tools und ließ sie Steins System prüfen.
Nachdem die Software sich die Basisinformationen über Steins Festplatte und das Betriebssystem verschafft hatte, öffnete James ein weiteres Modul, mit dem er sich alle Dateien von Stein ansehen konnte.
»Gutes Baby«, meinte James zufrieden.
Er wählte die Kopier-Funktion und lud den gesamten Inhalt von Steins PC auf seine Festplatte.
»Wie viele Daten hat er?«, fragte Shak, als er die zweite Schublade des Aktenschrankes öffnete.
»Acht Komma zwei Gigabyte. Laut Ladebalken dauert es etwa sechs Minuten, alles zu kopieren.«
Während die Computer arbeiteten, schob James einen Stapel Papier zur Seite, stieg auf den Schreibtisch und zog die Metallabdeckung von dem Beleuchtungssystem in der Decke. Der Staub, der auf ihn herabrieselte, kitzelte ihn in der Nase.
»Schalt die Funzel aus, Shak.«
Shak legte den Lichtschalter um. James griff in die Fassung, löste die Steckverbindung von einer der Neonröhren und sprang vom Schreibtisch. Kurz kramte er in seinem Rucksack und holte eine scheinbar identische Plastikfassung heraus. Doch während die, die er abmontiert hatte, weniger als ein Pfund gekostet hatte, war der Ersatz über dreitausend wert. Es war ein Abhörgerät, das aus einem stecknadelkopfgroßen Mikrofon, einem Sender und einem Chip bestand, der fünf Stunden Geräusche aufnehmen konnte.
Lampenfassungen eignen sich hervorragend für Abhörgeräte. Erstens weil sie normalerweise frei über einem Raum hängen, wo man Geräusche gut einfangen kann. Und zweitens kann man sie dort bequem an die Stromversorgung anschließen.
Als sich James reckte, um die Metallabdeckung wieder zu befestigen, vernahm er das reißende Geräusch, vor dem er sich schon den ganzen Morgen gefürchtet hatte. Die Naht seiner Hose war aufgerissen und gab den Blick auf bunte Boxershorts frei.
Shak musste lachen, als er das Licht wieder einschaltete. »Nettes Höschen, J.«
»Mann, tut das gut!«, stöhnte James. »Vielleicht kann ich ja doch noch Kinder haben. Was steht als Nächstes auf dem Programm?«
»Schlüssel«, erinnerte ihn Shak. »Nehmen wir mal an, er hat sie hiergelassen«, überlegte James laut und ging zu dem Jackett, das an der Tür hing. Aus Steins Tasche zog er einen Schlüsselbund und aus seinem eigenen Rucksack ein Paket Wachstafeln. Inzwischen war Shak in einem Aktenschrank auf interessante Dokumente gestoßen und kopierte die Seiten mit einem Handscanner.
Die Wachstafeln ließen sich wie zwei Plätzchenhälften auseinandernehmen. Zwischen sie presste James je einen von Steins Schlüsseln und erhielt so Abdrücke, mit denen sich Duplikate anfertigen ließen. Als er damit fertig war, piepte das Notebook, um anzuzeigen, dass der Kopiervorgang beendet war.
James setzte sich hinter sein Notebook und installierte über die Hacker-Software Spionageprogramme auf Steins Computer. Sie würden jeden Tastenbefehl von Stein aufzeichnen und über das Internet verdeckt an die MI5-Überwachungszentrale in Caversham weiterleiten.
Shak war mit den Aktenschränken fertig. Er nahm eine kleine Metallbox aus seinem Rucksack, die mit Isolierband umwickelt war und wie die Erfindung eines verrückten Professors aussah. Tatsächlich war es ein Gerät, mit dem das Funksignal, das Steins Alarmanlage an der Fernbedienung seines Autoschlüssels steuerte, aufgefangen und wiedergegeben werden konnte.
Shak schaltete das Gerät ein, indem er einen Draht an eine AA-Batterie anschloss. Dann stellte er einen Schalter auf Empfang um und bat James, den Knopf an Steins Autoschlüssel zu drücken. Nach ein paar Versuchen blinkte eine grüne Leuchtdiode an der Box auf, um anzuzeigen, dass das Signal erfolgreich aufgezeichnet worden war.
»War es das?«, erkundigte sich James.
Shak nickte und sah auf die Uhr.
»Alles im Sack und wir haben noch sechs Minuten Zeit.«
Sie machten einen letzten Check und vergewisserten sich, dass ihre Ausrüstung komplett verstaut war und der Raum wieder exakt so aussah, wie sie ihn vorgefunden hatten. Als der Gong zum Ende der Schulstunde ertönte, schlüpften sie hinaus und gingen ins Erdgeschoss hinunter. James dachte peinlich berührt an den Riss in seiner Hose, der immer breiter wurde. Aber von den Trinity-Schülern schien keiner das Malheur zu bemerken.
Sie verließen das Gebäude durch den Haupteingang und wandten sich nach links, eine Rampe hinunter, die zu einem neu gebauten Sportkomplex führte, hinter dem sich der Lehrerparkplatz befand.
Der Geruch von Schweiß schlug ihnen am Eingang zu den Umkleidekabinen entgegen, wo sich ein paar Zehntklässler für den Sportunterricht fertig machten. Sie gingen einen Gang hinunter, der mit historischen Fotos des Schul-Rugby-Teams gesäumt war. Als sie die Tür zum Lehrerparkplatz erreichten, prüfte James sorgfältig, ob die Luft rein war. Dann liefen sie unter dem Schild »Nur für Personal« hindurch und eine Betontreppe hinunter. Alles sah nagelneu aus. Auf den gelben Begrenzungslinien der Parkplätze waren kaum Reifenspuren.
Schnell fanden die Jungen Steins silbernen Kombi. Shak zog die Metallbox aus der Blazertasche und schaltete auf Senden. James steckte einen Händlerschlüssel in das Türschloss auf der Fahrerseite. Mit dem Schlüssel konnte man alle Fahrzeuge dieses Modells öffnen, aber einen Mikrochip, mit dem man die Alarmanlage zum Schweigen brachte, enthielt er leider nicht.
»Fertig?«, fragte James und wartete auf Shaks Okay. »Drei, zwei, eins – los!«
Die Alarmanlage wimmerte kurz auf, nachdem James den Schlüssel herumgedreht hatte, und verstummte augenblicklich, als Shak sie mit der Metallbox deaktivierte. James ließ sich auf den Fahrersitz fallen und entriegelte die Beifahrertür. Bis Shak eingestiegen war, hatte James schon seinen Sitz zurückgestellt. Er zog die Abdeckung von der Innenraumbeleuchtung und schraubte die kleine Glühbirne heraus und die silberne Plastikfassung, in der sie saß. Shak ersetzte die Fassung durch eine Spezialkonstruktion, in die ein Abhörgerät integriert war. Sobald sie angebracht war, setzte James die Birne und die Abdeckung wieder ein.
Kurz durchsuchte Shak das Handschuhfach. Er überprüfte Quittungen und Zettel, ob sie etwas Interessantes enthielten. Ein paar legte er flach auf das Handschuhfach und kopierte sie mit dem Handscanner. James suchte derweil auf der Rückbank und im Fach der Fahrertür, doch er fand nur einen Straßenatlas und zerknüllte Pappbecher.
»War’s das jetzt?«, fragte er, als er auf den Hebel drückte, der den Fahrersitz wieder vorschnappen ließ.
Shak nickte. »Jetzt müssen wir nur noch hier rauskommen, ohne aufzufliegen.«
James öffnete die Autotür, doch als er ausstieg, sah er die schlanke Gestalt einer Frau aus der Tür an der Treppe kommen.
»Verdammt«, flüsterte er und zog die Wagentür leise wieder zu.
Shak warf einen verstohlenen Blick auf die spindeldürre Frau, die sich eine Zigarette anzündete und daran zog, als ob ihr Leben davon abhinge. Den Jungs blieb nichts anderes übrig, als sich auf den Sitzen kleinzumachen, bis die Frau wieder nach oben ging.
Erst nach ein paar Minuten folgten sie ihr. Der Einsatzplan sah vor, dass sie sich die restliche halbe Stunde, bis der Schultag zu Ende war und sie mit den Schülern zusammen aus dem Haupttor spazieren konnten, an einem verlassenen Platz hinter der Sporthalle verbergen sollten.
Als sie wieder an den Umkleideräumen vorbeikamen, bemerkte James, dass der Sportlehrer die Tür nicht abgeschlossen hatte. Über ein Dutzend Trinity-Hosen mit orangem Streifen lagen verlockend im Raum verteilt.
»Steh mal Schmiere!«, verlangte James. »Ich greif mir ein paar Hosen.«
Shak war nicht erfreut darüber, dass James so ein Risiko einging, doch auch er wäre nicht gerne mit einem riesigen Riss am Hintern über den Campus gelaufen.
An den ersten paar Hosen ging James vorbei. Für seine dreizehn Jahre war er ziemlich groß, aber diese Zehntklässler waren noch größer. Schließlich fand er eine Hose, die ihm passend erschien. Schnell zog er die Schuhe aus und schlüpfte hinein. Es blieb ihm keine Zeit, alles aus seinen eigenen Hosentaschen in die anderen zu stecken, also knüllte er das zerrissene Paar zusammen und stopfte es oben in seinen Rucksack.
Dann verließ er den Umkleideraum und wollte den Weg einschlagen, den sie gekommen waren.
»Warte mal«, verlangte Shak.
James wandte sich um. »Was ist los?«
»Nichts. Ich hab nur mal durch das Fenster in dieser Tür gesehen und festgestellt, was auf der anderen Seite liegt. Wir müssen gar nicht vorne hinausgehen und um das ganze Gebäude herum. Wir können einfach durch diese Tür marschieren.«
James blickte durch die Milchglasscheibe in der Tür. Der Gang führte ganz offensichtlich zur Rückseite des Gebäudes.
Er zuckte die Achseln. »Warum nicht?«
Er drückte die Klinke nach unten und schob die Tür mit der Schulter auf. Plötzlich ertönte ein lautes Summen aus einer Plastikbox über ihren Köpfen. Erschrocken sahen sich die Jungen an, als ein stämmiger Sportlehrer aus der Turnhalle auf sie zukam.
»Was zum Teufel macht ihr da?«
»Rennen?«, fragte James.
Shak antwortete nicht. James hörte lediglich das Leder der Schuhsohlen quietschen, als sein Freund wie der Blitz zum Ausgang spurtete.
3
Seit ihrem sechsten Lebensjahr hatte James’ Schwester Lauren sich die Haare schwarz färben wollen, aber ihre Mutter hatte es nicht erlaubt, egal, wie sehr Lauren auch bettelte. Nun war die Mutter schon zwei Jahre tot, und das Einzige, was Lauren bislang vom Färben abgehalten hatte, war der Gedanke, dass es respektlos gegenüber ihrer Mom gewesen wäre.
Letztendlich brauchte es handfeste Überzeugungsarbeit von Laurens bester Freundin Bethany Parker, die behauptete, aus Versehen schwarze Haarfarbe gekauft zu haben. Lauren war es zwar schleierhaft, wie man aus Versehen Haarfarbe kaufen konnte, und sie glaubte Bethany nicht den Bruchteil einer Sekunde, aber da die Farbe nun schon herumstand, direkt vor ihr auf dem Badezimmerregal, konnte sie nicht widerstehen.
Mit dem Ergebnis war Lauren ziemlich zufrieden, vor allem, als sie in ihr schwarzes Linkin-Park-T-Shirt und die zerrissenen Jeans geschlüpft war und sich die Haare verwuschelt hatte, um punkiger auszusehen. Restlos überzeugt aber war Lauren nicht, und wann immer sie an einer reflektierenden Oberfläche vorbeikam, betrachtete sie sich, so als würde der tausendste Blick eine wundersame Wahrheit enthüllen, die vorangegangene neunhundertneunundneunzig Blicke vor ihr verborgen hatten.
Als sie auf das Klassenzimmer für die Trainingsvorbereitung zusteuerte, war sie übelster Laune. In der letzten Schulstunde an diesem Nachmittag hatten sich vier Jungs zusammengetan, um sich die ganze Zeit über ihre Haare lustig zu machen. Es verletzte Lauren nicht sonderlich, da die vier zu der Sorte Idioten gehörten, die sich über alles lustig machten, was sie tat. Aber die Blödmänner hatten ihr fast eine Stunde vor der Nase gesessen und waren ihr schließlich echt auf die Nerven gegangen. Das Nervendste war, still zu sitzen und zu grinsen, egal was sie ihr an den Kopf warfen. Denn Lauren war klar, hätte sie sich nur ein klein wenig aufgeregt, wäre das die pure Ermunterung für die Jungs gewesen, es noch schlimmer zu treiben.
Sie trat durch die offene Tür in den Vorbereitungsraum und ging zu einem langen Tisch mit einem Plastikschild, auf dem »Team D« stand. Die Teams A bis C, jedes mit fünf Schülern, standen schwatzend um die anderen Tische. Team C wurde von James’ Freundin Kerry und deren bester Freundin Gabrielle gemeinsam angeführt, während Team A von James’ bestem Freund Kyle geleitet wurde.
Lauren setzte sich neben Bethany Parker. Ihnen gegenüber saß Jake, Bethanys kleiner Bruder, und Dana »Cheesy« Smith saß am Ende des Tisches, so weit wie möglich von allen anderen entfernt.
Jake war neun Jahre alt. Erst mit zehn würde er die Grundausbildung machen, aber bereits jetzt war alles, was er lernte, auf eine Karriere als CHERUB-Agent ausgerichtet. Zusätzlich zu den normalen Schulstunden hatte Jake täglich Unterricht in Karate und Judo und sprach fast fließend Spanisch und Französisch. Jetzt sollte er als jüngstes Mitglied von Team D einen Vorgeschmack auf das Outdoor-Training bei CHERUB bekommen.
Dana war vierzehn, eine richtige Kratzbürste und von CHERUB in einem australischen Kinderheim rekrutiert worden. Sie hatte die Beine weit von sich gestreckt und die Arme über einer speckigen Bomberjacke gekreuzt. Dana war bereits seit vier Jahren ein CHERUB-Agent, aber obwohl ihre beeindruckende Kraft ihr zu zahlreichen Karate-Trophäen und dem dreimaligen Gewinn des jährlichen CHERUB-Triathlon verholfen hatte, waren ihre Leistungen bei Einsätzen unspektakulär, und sie trug immer noch ein graues T-Shirt.
Lauren lächelte sie kurz an. »Hallo Dana.«
»Hallo Boss«, gab Dana in ihrem australischen Akzent zurück, ohne ihren trotzigen Mir-doch-egal-wenn-mich-keiner-mag- Ausdruck zu ändern.
Lauren hatte festgestellt, dass es ein zweifelhaftes Vergnügen war, eine der Jüngsten auf dem Campus mit einem dunkelblauen T-Shirt zu sein. Einerseits war es cool, aber älteren Kindern gegenüber, die einen niedrigeren Rang hatten als sie, war es irgendwie unangenehm.
»Wo ist dein großer Bruder?«, erkundigte sich Dana.
»James wird es zur Besprechung nicht schaffen«, erklärte Lauren. »Ich muss Notizen für ihn machen. Er wird wohl gegen acht Uhr heute Abend zurück sein.«
»Deine Haare sehen lächerlich aus«, warf Jake ein.
»Nicht so lächerlich wie dein Gesicht in ein paar Minuten«, drohte ihm Lauren mit der Faust.
Jake schnalzte verächtlich mit der Zunge. »Jetzt habe ich aber Angst!«
Lauren sah Bethany an und schüttelte den Kopf. »Jungs sind ja so dämlich.«
»Das musst du mir nicht sagen«, meinte Bethany und bedachte ihren Bruder mit einem vernichtenden Blick.
Im Klassenzimmer wurde es still, als der unbarmherzigste Trainer von CHERUB eintrat. Mr Large wurde von zwei Assistenten begleitet, Mr Pike und Mr Greaves. Die beiden jüngeren Männer passten genau in das Schema der CHERUB-Trainer: groß, fit, Ende zwanzig und mit der Statur von Schwergewichtsboxern. Greaves und Pike waren beide Ex-CHERUB-Agenten, die nach ihrer CHERUB-Zeit Karriere in militärischen Elite-Einheiten gemacht hatten.
Vor Mr Large hatten alle Angst, aber Lauren hatte am meisten Grund dazu. Mr Large war immer noch stinksauer auf sie, weil sie ihn einmal mit einem Spatenschlag in ein Schlammloch befördert hatte.
»Ruhe, ihr Flaschen!«, brüllte Mr Large, als er die Klassenzimmertür zuschlug.
Bethany neigte sich zu Lauren und flüsterte ihr ins Ohr: »Sein Schnurrbart ist gewachsen. Sieht aus, als hätte er sich eine Maus auf die Lippe geklebt.«
Die Vorstellung, dass sich Mr Large ein Nagetier ins Gesicht klebte, reizte Lauren zum Lachen. Sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen und prompt brüllte Large sie an.
»Was ist so lustig, junge Dame?«
»Nichts, Sir«, entgegnete Lauren und knirschte mit den Zähnen. Larges Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, war so ziemlich das Blödeste, was sie hatte tun können.
»Dann lachst du also über nichts? Was ist los? Bist du verrückt geworden? Steh auf, Mädchen! Jeder steht gerade, wenn er mit mir spricht.«
Lauren sprang auf.
»Wie ich sehe, trägst du bereits ein dunkelblaues T-Shirt«, zischte Mr Large, »und schwarze Haare, passend zu deiner kleinen schwarzen Seele. Ich denke immer noch an dich, Lauren Adams, jeden Morgen, wenn ich mit Schmerzen im Rücken aufstehe, da, wo du mich getroffen hast. Eigentlich sollte ich jetzt mit Mr Speaks und Miss Smoke in Norwegen sein und die Grundausbildung leiten. Aber mein Rücken hält mich hier fest und ich muss mir dein widerliches, pummeliges Gesicht ansehen. Du bist Abschaum, Adams. Was bist du?«
»Abschaum, Sir«, antwortete Lauren innerlich rasend und erinnerte sich an die qualvollen Stunden, die ihr Mr Large während der Grundausbildung bereitet hatte. Bei jedem anderen hätte es ihr leidgetan, ihn verletzt zu haben.
»Komm vor zur Tafel! Du kannst mir bei einer kleinen Demonstration helfen.«
Lauren stampfte missmutig zur Tafel, während sich Mr Large umsah. »Sind alle da?«
Nach einer kleinen Pause beantwortete er sich die Frage selbst. »Wo ist Abschaums großer Bruder?«
»Er ist heute früh zu einer Mission gerufen worden«, erklärte Bethany. »Aber er wird gegen acht zurück sein.«
»Na, das ist ja mal wieder perfekt«, tobte Mr Large und grollte Lauren an, als ob das ihre Schuld sei.
Lauren lehnte sich gegen die Tafel. Gabrielle und Kerry sahen sie mitleidig an und zuckten mit den Achseln, als wollten sie sagen: Da ist nichts zu machen.
»So, meine kleinen Sahneschnittchen«, begann Large. »Diese Übung soll euch die Erfahrung vermitteln, unter extrem hohem Druck als Team zu arbeiten. Für einige von euch ist es die erste Erfahrung mit einem Einsatztraining, die Älteren können hier ihre Fähigkeiten als Anführer und Teamleiter unter Beweis stellen.
Die Regeln sind folgende: Es gibt vier Teams zu je fünf Leuten. Jedes Team wird von einem erfahrenen Agenten mit mindestens einem dunkelblauen T-Shirt angeführt. Außerdem gehört zu jedem Team ein neunjähriges Kind mit einem roten T-Shirt, das einen Vorgeschmack auf das fortgeschrittene CHERUB-Training erhält. Jedes Teammitglied bekommt sechs Eier mit seinem Namen, das sind dreißig Eier pro Team. Diese Eier müsst ihr die ganze Zeit bei euch tragen.
Nach einer kurzen Fahrt zum SAS-Trainingscenter an der Straße werden die vier Teams um Punkt zwanzig Uhr heute Abend im Trainingsgebiet für den Straßenkampf abgesetzt. Gewonnen hat, wer zwölf Stunden später die größte Anzahl unbeschädigter Eier besitzt. Das ist exakt acht Uhr morgen früh. Um eurer Konzentration auf die Sprünge zu helfen, wird das Team mit den wenigsten Eiern sich einer extralangen kalten Dusche erfreuen dürfen, bevor es mich direkt im Anschluss auf einen Geländelauf mit schwerem Gepäck begleiten darf.
Die Teamleiter entscheiden über die Strategie. Ihr könnt defensiv sein und euch verstecken oder aggressiv und die Mitglieder anderer Teams jagen, um ihre Eier zu zerschlagen. Auf dem Trainingsgelände verstreut werdet ihr nützliches Equipment finden. Die einzige Regel ist, dass ihr Gefangene freilasst, wenn sie euch ihre Eier übergeben haben. Außerdem dürft ihr niemandem die Schutzkleidung ausziehen, eure Waffen nicht auf Ziele richten, die näher als drei Meter sind – oh ja, und ihr dürft die Jungen nicht in die Nüsse treten.«
Die Mädchen stöhnten auf.
»Ihr bekommt Ortungsgeräte mit einem Alarmknopf. Das heißt: Ich weiß jederzeit, wo ihr euch aufhaltet, und ich kann euch vom Gelände holen, wenn ihr die Regeln brecht oder ein Unfall passiert. Außerdem gibt es auf dem ganzen Gelände Überwachungskameras. Am Ende der Übung wird eine Sirene losgehen, oder wenn wir wegen eines Unfalls die Übung unterbrechen müssen.
Ihr werdet mit der neuesten Kampftechnologie ausgerüstet. Dieses System synthetischer Munition wurde für das Training der US-Marines entwickelt. Um euch den Unterschied zu konventionellen Farbkugeln zu demonstrieren, brauche ich die Hilfe meiner unschönen Assistentin, Miss Abschaum.«
Mr Large reichte Lauren ein Holzbrett von dreißig Zentimetern Kantenlänge und zwei Zentimetern Dicke.
»Halt das vor deine Brust und stell dich auf die andere Seite des Zimmers.«
Als Lauren stand, nahm Mr Large ein Farbkugelgewehr vom Schreibtisch und feuerte einen Schuss ab. Mit einem lauten Knall traf das Geschoss das Holz, und Lauren spürte, wie ihre bloßen Arme mit lila Farbe bespritzt wurden.
»Wenig Kraft, kurze Distanz und begrenzte Genauigkeit«, erklärte Large und warf die Waffe verächtlich weg. »Jetzt versuchen wir es mal mit einer von diesen hier.«
Er nahm ein kleines Sturmgewehr vom Tisch.
»Das hier ist eine richtige Waffe, ein ungarisches AK-M-Sturmgewehr. In den letzten fünfzig Jahren ist kein Krieg geführt worden, in dem nicht Soldaten der einen oder anderen Seite – oder sogar beide – irgendeine Art von Kalaschnikow benutzt haben. Das liegt daran, dass diese Waffe kompakt, leicht und außerordentlich robust ist.«
Mr Large nahm ein bananenförmiges Magazin vom Tisch, schob es in die Unterseite der Waffe und stellte sie auf Einzelfeuer.
»So gerne ich bei Abschaum normale Munition verwenden würde, ist dieses AK mit synthetischer Munition, also einem Simulationsgeschoss geladen. Sie wurde entwickelt, um ein nahezu realistisches Kampftraining zu ermöglichen, fast so, als ob ihr mit richtigen Kugeln aufeinander feuert.«
Mr Large zielte auf das Holzbrett. Der Knall war etwa so laut wie der von dem Farbkugelgewehr, doch als das Geschoss auftraf und die Farbpatrone explodierte, stolperte Lauren zurück und das Brett splitterte. Als Lauren sich wieder gefangen hatte, stellte sie fest, dass die Kugel ein großes Stück Holz aus der Mitte des farbbeklecksten Brettes gerissen hatte.
»Wegen der großen Durchschlagkraft dieser Simulationsgeschosse müsst ihr alle Helme und volle Schutzkleidung tragen«, erklärte Mr Large. »Legt sie nicht ab, wenn es nicht unbedingt sein muss. Ihr bekommt besondere Wasserkanister mit Strohhalmen, die durch das Visier passen. Wenn ihr aufs Klo müsst, dann vergewissert euch, dass ihr einen sicheren Platz wählt, und lasst euch von einem eurer Teammitglieder Rückendeckung geben. Es besteht die ernsthafte Gefahr, zu erblinden, also haltet eure Visiere am Helm jederzeit geschlossen.«
Kerry hob die Hand.
»Ja, Kerryleinchen?«
»Sir, wie lauten die Regeln, wenn wir getroffen werden? Müssen wir uns zehn Minuten lang tot stellen oder so etwas?«
Die Maus auf Larges Lippen plusterte sich auf, als der Trainer ein boshaftes Grinsen aufsetzte. »Dieser Generation von Simulationsmunition liegt ein einfaches Prinzip zugrunde: Wenn die Auszubildenden Angst haben, von etwas getroffen zu werden, das wehtut, dann werden sie sich in einer Übung ähnlich verhalten, wie sie es auch in einer richtigen Kampfzone tun würden. Es gibt keine schicken elektronischen Geräte, die euch sagen, ob ihr getroffen seid, oder Vorschriften, die euch sagen, wie lange ihr am Boden liegen bleiben müsst. Die Regeln sind sehr einfach: Wenn ihr getroffen werdet, tut es höllisch weh.«
4
James und Shak rannten zur Betonrampe, der Sportlehrer jagte ihnen nach. Das vordere Tor der Schule war nur fünfzig Meter entfernt, aber es wurde von innen über eine Sprechanlage geöffnet, und sie hatten keine Zeit hinüberzuklettern, bevor der Lehrer sie erwischte. Ihre einzige Chance war die Öffnung im Zaun, durch die sie eingedrungen waren, aber die befand sich am anderen Ende des Schulgeländes.
James warf einen Blick über die Schulter, als sie ins Hauptgebäude zurückrannten. Der Sportlehrer war zwei Meter groß und hatte die Figur eines Rugbyspielers. Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich schnell. Was die Sache für James und Shak noch schlimmer machte, war, dass ihre glatten Schuhsohlen sie auf dem gebohnerten Boden ins Schlittern brachten.
Als sie die Treppe erreichten, die hinaus zu den Spielfeldern führte, saß der Sportlehrer ihnen dicht im Nacken. Die Jungs holten einen Vorsprung heraus, indem sie das Treppengeländer hinunterrutschten, aber das wäre beinahe schiefgegangen. James wurde so schnell, dass er nicht mehr anhalten konnte, als er das Ende des Geländers erreichte, und schmerzhaft krachte er durch die Tür.
James’ Augen brauchten ein paar Sekunden, um sich an das Licht der Nachmittagssonne zu gewöhnen. Als er auf den beiden Rugbyfeldern eine Gruppe Elftklässler beim Spiel sah, rutschte ihm das Herz in die Hose. Er hatte das ungute Gefühl, dass sie versuchen würden, ihn aufzuhalten, wenn er mitten auf ihr Spielfeld rannte, verfolgt von einem wütenden Lehrer.
Während James noch zögerte, sprintete Shak los, wobei er eine beachtliche Geschwindigkeit an den Tag legte. James zuckte heftig zusammen und stolperte, als ihm der Sportlehrer in den Rücken stieß und ihm einen behaarten Arm um die Brust schlang.
»He, ihr da! Schnappt euch den anderen!«, schrie der Lehrer dicht an James’ Ohr und wies auf Shak.
Der Mann war der Ansicht, er hätte James unter Kontrolle, sobald er den Arm um ihn gelegt hatte. Doch war er davon ausgegangen, hinter einem Schüler der Trinity-Schule her zu sein, nicht hinter einem CHERUB-Agenten, der eine exzellente Selbstverteidigungsausbildung hinter sich hatte. James duckte sich und wandte einen einfachen Judowurf an: Er nutzte die Vorwärtsbewegung aus, um den wesentlich schwereren Gegner über seinen Rücken zu rollen und auf das sonnenverbrannte Gras zu werfen.
Möglicherweise hatte sich der Lehrer dabei wehgetan, aber James’ Meinung nach sah er aus, als könnte er mehr als das einstecken. Wahrscheinlich hatte ihn der Judowurf nur extrem wütend gemacht, und James hatte keine Lust, dass der Lehrer wieder auf die Beine kam und ihm nachjagte. Also versetzte er ihm einen gezielten Kinnhaken. Der Mann hielt sich das schmerzende Gesicht. James sah auf und checkte rasch seine Fluchtchancen.
Shak hatte es fast über das Spielfeld geschafft. Das gesamte Spielerteam war hinter ihm her, aber es sah so aus, als ob er es zur Öffnung im Zaun und vom Schulgelände schaffen würde. Das Dumme war nur, sobald Shak ihnen die Lücke im Zaun gezeigt hatte, würden die Jungs James den Weg dahin abschneiden können. Er erkannte, dass sein einziger Fluchtweg jetzt über den Zaun führte, trotz des Stacheldrahtes.
Das ihm am nächsten liegende Stück Zaun grenzte an die Gärten einiger Häuser. Es waren dorthin nur knapp fünfzig Meter, aber drei Jungen rannten auf ihn zu. James suchte sich den kleinsten davon aus – der immer noch größer war als er selber – und griff ihn frontal an. Der Junge warf sich ihm in den Weg, um ihn zu Fall zu bringen. James ging scheinbar darauf ein und brach dann blitzschnell nach rechts aus. Er stolperte ein paar Schritte vorwärts und krachte in einen anderen Jungen, der ihn flach ins Gras stieß. Mit einer Technik, die er im Karateunterricht gelernt hatte, schlug James einen Purzelbaum und landete mit einem Satz wieder auf den Füßen. Jetzt war der Weg zum Zaun frei.
Unter idealen Umständen hätte James seine Jacke über den Stacheldraht oben am Zaun geworfen, aber der schwere Rucksack auf seinen Schultern machte es unmöglich, die Jacke so schnell auszuziehen. Er warf sich aus vollem Lauf auf den Zaun. Die Lücken im Maschendraht waren zu eng, um mit den Fußspitzen darin Halt zu finden, daher musste er sich allein auf die Kraft in seinen Armen verlassen und sich die vier Meter nach oben hangeln. Als er den Stacheldraht erreicht hatte, schmerzten seine Schultern höllisch, und seine Finger schienen ihm aus den Gelenken springen zu wollen.
James schwang ein Bein auf einen schmalen Betonpfosten und entging nur knapp der Hand eines Jungen, der nach seinem Knöchel zu greifen versuchte. Er suchte auf dem Stacheldraht nach einem Platz für seine Hand, aber er zögerte, den vier Meter tiefen Sprung auf die andere Seite des Zauns zu wagen. Doch die Alternative, aufzugeben und einer Horde aufgebrachter Sechzehnjähriger in die Hände zu fallen, war kaum erfreulicher.
Als er versuchte, sich auf dem Zaun zum Sprung bereit zu machen, gaben die Jungen unter ihm es auf, ihn zu packen, und griffen zu einer anderen Taktik: Sie wollten ihn durch wildes Schütteln vom Zaun werfen.
James schwankte gefährlich vor und zurück. Der Lehrer der Jungen kam wutschäumend angelaufen, fest der Meinung, er hätte einen Trinity-Schüler vor sich. »Komm sofort da runter, Junge. Dafür fliegst du von der Schule!«
James jaulte vor Schmerz, als einer der Stacheln sich in seinen Oberschenkel grub. Schnell holte er Luft, bevor er sich unbeholfen in die Tiefe fallen ließ. Er hatte gehofft, über die Büsche am Gartenzaun hinwegspringen zu können und sich auf dem Rasen dahinter seitlich abzurollen wie ein Fallschirmspringer. Doch das wilde Schaukeln des Zauns machte es ihm unmöglich, den Sprung genau zu kontrollieren. Er landete auf der Seite, mit den Füßen in einer Hortensie. Nur der gut gepolsterte Rucksack bewahrte ihn davor, sich ernsthaft zu verletzen.
Nachdem er sich aufgerappelt hatte, konnte es sich James nicht verkneifen, den Trinity-Jungs die Zunge herauszustrecken.
Gebückt schlich er über den Rasen zum Haus. Der Fernseher lief und kleine Kinder rannten drinnen herum. Glücklicherweise gab es an der Seite des Hauses ein hölzernes Gartentor mit einem einfachen Riegel.
James lief die Kiesauffahrt zwischen zwei Häusern entlang, und der Gestank überlaufender Mülltonnen kroch ihm in die Nase, als er versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Auf der Straße angekommen, lehnte er sich an eine niedrige Mauer und suchte in der Seitentasche seines Rucksacks nach seinem Mobiltelefon. Den ständig größer werdenden Blutfleck auf der Hose ignorierte er.
Er klappte das Telefon auf und rief hektisch seinen Einsatzleiter an.
»Ewart«, keuchte er ins Handy. »Ich stehe hier vor der Pollack Street Nummer vierunddreißig. Es ist was schiefgegangen. Du musst mich schnell hier rausholen.«
»Ich bin auf dem Weg, Shak aufzulesen«, antwortete Ewart. »Wir treffen uns am Briefkasten am Ende der Straße.«
James’ Herz schlug schneller, als in der Ferne eine Polizeisirene aufheulte.
»Beeil dich lieber«, meinte er. Ein brennender Schmerz zuckte durch seine Seite, als er zu laufen begann.
Ewart Asker trat auf das Bremspedal eines schwarzen Mercedes. Shak stieß die hintere Tür auf, noch bevor der Wagen ganz zum Stehen gekommen war, und rutschte fix zur anderen Seite hinüber, um James in das Auto schlüpfen zu lassen.
James sah Shak an, während Ewart vom Bordstein losfuhr. »Wie weit haben die Kerle dich verfolgt?«
»Nur zwei sind mir durch den Zaun gefolgt«, erzählte Shak. »Einem habe ich einen Gartenzwerg über den Kopf gezogen, da ist der andere abgehauen.«
James grinste und rieb sich die Schweißtropfen mit dem Ärmel ab, während er die gekühlte Luft im Auto einsog.
»Und? Was ist schiefgegangen?«, fragte Ewart scharf.
James war besorgt, wie Ewart reagieren würde. Obwohl er mit seinen ausgeleierten Cargohosen, dem Zungenpiercing und den gebleichten Haaren wie ein lockerer Typ aussah, hatte Ewart den Ruf, einer der strengsten Einsatzleiter von CHERUB zu sein.
»Wir haben einen Alarm ausgelöst, als wir durch eine Feuertüre wollten«, erklärte James.
»Du hast ihn ausgelöst«, widersprach Shak, schleuderte die Krawatte weg und begann, sein Hemd aufzuknöpfen.
»Ja«, sagte James gereizt, während er sich aus seinem Blazer schälte. »Aber du hast durch die Scheibe in der Tür gesehen und gesagt, wir sollten da langgehen.«
Die beiden sahen sich zornig an. Da sie mittlerweile ein paar Straßen von der Schule entfernt waren, fuhr Ewart langsamer, um sich dem fließenden Verkehr anzupassen.
»Feuertüren sind häufig alarmgesichert«, sagte er. »Habt ihr das im Fach Unterwanderung und Überwachung nicht gelernt?«
»Jetzt, wo du es erwähnst …«, gab James verlegen zu. »Wahrscheinlich ist es zum größten Teil meine Schuld«, gestand Shak.
»Das Schuldzuweisungsspiel können wir später spielen«, meinte Ewart, als er scharf in eine Hauptstraße abbog. »Jetzt will ich erst einmal wissen, was denn nun genau passiert ist, damit ich abschätzen kann, ob ihr etwas angerichtet habt, was wir aus der Welt schaffen müssen. Habt ihr die Wanzen angebracht?«
James nickte. »Ja, alle beide, dieser Teil des Plans hat bestens geklappt.«
»Niemand hat euch in Steins Büro gesehen?«
»Nein«, meinte Shak, »wir sind erst aufgeflogen, als wir vom Parkplatz nach oben kamen.«
»Habt ihr irgendetwas liegen gelassen?«
Die beiden Jungen schüttelten den Kopf. »Nein.«
»Gut«, meinte Ewart. »Dann sind also die Wanzen an Ort und Stelle und nichts kann euch mit Stein in Verbindung bringen.«
»Aber dennoch hat man uns gesehen«, warf Shak ein.