TRACHT MACHT POLITIK - Elsbeth Wallnöfer - E-Book

TRACHT MACHT POLITIK E-Book

Elsbeth Wallnöfer

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Beschreibung

TRÄGST DU TRACHT? ODER REGT SIE DICH AUF? – OB GELIEBT ODER VERDAMMT: TRACHT UND DIRNDL SIND HEISSER DISKUSSIONSSTOFF! KITSCH, KOMMERZ, KULTURPOLITISCHE WAFFE: WEM GEHÖRT DIE TRACHT? Man schmückt sich mit ihr auf Volksfesten, Hochzeiten und Empfängen. Patriotische Modelabels haben sie für sich entdeckt. Trachtenvereine pflegen sie in ihren regionalen Ausformungen, die Designer der Haute Couture bringen sie neu interpretiert auf die Laufstege der Welt. PolitikerInnen verschiedenster Lager tragen sie, andere verweigern sich ihr. Die einen hassen, die anderen lieben sie: die Tracht. Egal, in welchen Farben und in welchem Kontext sie getragen wird – eines ist sie immer: ein Statement. Aber wofür? Ist sie ein farbenfrohes Zeichen regionaler Tradition und Zugehörigkeit? Nationalistische Gesinnungskleidung? Symbol einer "Leitkultur"? Oder doch einfach nur ein schönes Stück Stoff? ÜBER KLEIDERORDNUNGEN, TRADITION UND LÄNDLICHEN SCHICK Um die Tracht tobt ein Kampf. Aber wo liegen eigentlich die Wurzeln dieser Polarisierung? Von der einfachen Alltagsbekleidung über das Sehnsuchtsobjekt reicher Sommerfrischler und die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten bis zum Dirndl aus dem Discounter folgt Elsbeth Wallnöfer in ihrem Buch dem Weg eines Kleidungsstücks, der verwobener und verstrickter nicht sein könnte. Die Ethnologin und Philosophin fragt nach Demokratisierung und technischem Fortschritt, erzählt von Patriotismus, der Vision einer alldeutschen Kultur und vom nationalsozialistischen Verbot für Juden, Tracht zu tragen. Sie spürt den ursprünglichen Schnitten und Farben der Tracht nach und stellt Billigdirndln von der Stange den Haute Couture-Dirndln auf dem Catwalk gegenüber. MODE VOR DEM HINTERGRUND ERSTARKENDER NATIONALISTISCHER TENDENZEN Elsbeth Wallnöfer erzählt von Menschen, Moden und Mythen und legt frei, was vom Dirndl übrigbleibt, wenn Landromantik, politisches Korsett und die hartnäckigsten Irrtümer abgetragen sind. Ein hervorragend recherchiertes, ebenso pointiertes wie leidenschaftliches Buch – und ein beherzter Aufruf, sich das Dirndl zurückzuerobern! Mit zahlreichen Illustrationen.

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ELSBETH WALLNÖFER

TRACHTMACHTPOLITIK

Mit Illustrationen

von Marie Vermont

INHALT

Werkzeug, Sinnbild, Ikone

Zum Auftakt

Loden, Leinen, Seiden, Spitzen

Überlieferungen: Völker, Kleider, arme Leute

Sonntagsstaat, Repräsentation, Mode

Tracht als »Verkörperung der Resignation« und Selbstverklärung

Idealisierte Idylle, perfekte Identität?

Der Salontiroler

Tableaus, Spiegelungen, Trachtenmärchen

Freiheit zur Mode!

Volkstum zwischen Chic & Spiel

Grobheit im Stil, Opulenz im Geschmack undnationale Legenden

Die Geburt des Baumwolldruckes und des Dirndls

Vom Vorteil der Nähmaschine

Ein wertkonservativer Jude alserster seriöser Trachtenforscher?

Bayerns Schützenliesel und Bayerns Juden

Intermezzo I: Trennung von Tracht & Dirndl

Politik & internationaler Chic

Intermezzo II

Männerhose, Lederhose, Pantalon

Dirndldiktat(ur)

Mit alten Mitteln, ewige Wiederkehr oder: Wie bannt man Geister?

Clusterfuck

Sexy Dirndl

Wem gehört die Tracht nochmal?

Zum Abschied

Anmerkungen

Zeitspur

Verwendete Literatur, Quellen, weiterführende Literatur

WERKZEUG, SINNBILD, IKONE

Eine Handhabe

Mit TRACHT MACHT POLITIK wird einem ikonischen Kleidungsstück Aufmerksamkeit geschenkt, das gerade auch auf dem Politparkett fröhliche Urständ feiert. Von der Modetheorie kaum behandelt, von Österreich, Bayern und Südtirol als tribalistisches Zeugnis gefeiert, von Patrioten in den Kanon deutscher Leitkultur aufgenommen, sind Tracht und Dirndl ein Werkzeug. Als Teil einer politisch motivierten Identitätsdebatte sind sie ein Sinnbild. Daher ist es bei der Betrachtung notwendig, die Demokratiegeschichte mit zu berücksichtigen. Mode historisch gilt generell: Sich zu behübschen ist ein anthropologisches Grundbedürfnis, das menschlichen Affekten wie Eitelkeit, Schönheitsempfinden, Neid und Mimesis unterliegt.

Wenn im Buch von Tracht und Dirndl die Rede ist, dann meint dies meist die Frauentracht, da Männer bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts kaum mehr Tracht trugen. Eine Ausnahme ist die Lederhose, die hier bedauerlicherweise nur in der gebotenen Kürze verhandelt werden konnte.

Das Buch kreist rund ums alpine Stereotyp von Tracht und Dirndl, berührt Österreich, Deutschland, Norditalien/Südtirol und aus Platzgründen nur am Rande die Schweiz. Leider war es nicht möglich, auf die Trachten der Schützen und die Trachten der Kärntner Slowenen, die einer gesonderten Betrachtung bedürften, einzugehen. Ebenso musste auf den (lohnenden) Vergleich mit Frankreichs Künstlern wie William-Adolphe Bouguereau, Jean-Léon Gérôme, Gustave Courbet sowie Vertretern des Realismus anderer Länder verzichtet werden.

Die Kapitel sind so angelegt, dass sie auch unabhängig voneinander gelesen werden können.

Der historische Rückblick endet mit dem Kapitel Mit alten Mitteln, ewige Wiederkehr oder: Wie bannt man Geister? Ab dann befinden wir uns in der Gegenwart, erschauen wir Parallelen zur Vergangenheit und enden wir im Clusterfuck, einem Durcheinander, in dem sich der spielerische Lebensstil des 21. Jahrhunderts widerspiegelt.

Am Ende bestätigte sich, was am Anfang vermutet wurde, nämlich, dass das Thema hochemotional, ja, beinahe religiös besetzt ist, Zustimmung und Ablehnung eng beisammen liegen. Umso hilfreicher ist es, edle, kluge Freunde und Förderer um sich zu haben. Daher gilt mein Dank nicht nur dem Team des Verlages, sondern auch Susanne Schedtler und Herbert Zotti, Christine Brugger, der Künstlerin Sachbearbeiterin Babie K. alias Barbara Ungepflegt, besonders Susanne Winkler für ihre unermüdliche Geduld beim Lesen und nicht zuletzt dem Piet Meyer Verlag, mit dessen Unterstützung das Plakat gedruckt werden konnte. Lob und Freude gelten »meiner« Illustratorin Marie Vermont.

ZUM AUFTAKT

Menschen, Moden, Maskeraden

Wenn es gilt, ein Buch über Tracht zu schreiben, hat man sich folgende Fragen zu stellen: Wo sollte man den Beginn der Trachtenforschung ansetzen, wie ist das Thema zeitlich einzugrenzen, innerhalb welcher epochalen Zeitfenster ist es zu verorten? Beginnt man bei den Griechen, den Römern, den Persern, den Kelten, den Tirolern, Schweizern, Deutschen, oder doch lieber bei den Skythen? Was bedeutet es, ein Buch über Tracht zu machen, wenn die Erfahrung einen lehrt, dass bei Begriffen wie Tracht und Dirndl stets an das eine, scheinbar nationaltypische Kleidungsstück gedacht wird? Nun, spätestens an diesem Punkt angekommen, drängt sich die Pflicht auf, gewohnte Grenzen, die das eigene Denken bisher gefangen nahmen, zu überwinden.

Sich zu kleiden ist etwas zutiefst Menschliches. Nicht von ungefähr ist die erste Strafe, die gegenüber den Menschen ausgesprochen wurde, der Fluch, fortan zu wissen, man sei mit Nacktheit geschlagen. Angesichts dieser kulturhistorischen wie moralischen Bedeutung ist es angebracht, das gute Kleidungsstück in eine Reihe allgemein menschlicher Ausdrucksweisen zu stellen und es sowohl als notwendiges, nützliches Mittel zum Zweck als auch als Übung des Individuums zu begreifen, modisch in Erscheinung zu treten, sich seiner eigenen Behübschung, seiner Selbstliebe, seiner Individualität bewusst zu werden.

So erzählt uns das gute Stück vom Stolz und dem Begehren der Individuen, schön zu sein, aber auch vom politischen Bestreben, einem Kollektiv zur Gestalt zu verhelfen, und damit auch andere auszugrenzen. Die Faszination, die von Tracht und Dirndl ausgeht, ist nicht nur auf die vermeintliche Einzigartigkeit und Schönheit des Kleidungsstückes zurückzuführen. Sie hat auch mit der Erzählung einer großdeutschen Identitätspolitik zu tun. Tracht und Dirndl sind ebenso Teil der Modegeschichte, sie klappern in der Werkzeugkiste alter wie neuer Kulturkämpfer. Im Widerschein aktueller Nutzung sind sie Ausdruck eines Verlangens, das einem historisch-nationalistischen Gründungsmythos geschuldet ist. Ein geringer Anteil ist einem freisinnigen Spiel mit seinem Hang zur binnenexotischen Kuriosität zuzurechnen. Grundsätzlich gilt jedoch auch für dieses scheinbar »uralte« Stück, was man in der Antike bereits wusste: Was soll ich von der Kleidung reden? Ich verlange jetzt nicht teure Besätze und auch nicht Wolle, die mit der tyrischen Purpur schnecke rot gefärbt ist. Da so viele preisgünstige Farben aufgekommen sind – was ist es für ein Wahnsinn, sein Vermögen am Körper zu tragen?1

Ja, wahrlich, was gibt es von der Kleidung zu sagen und was vermag man dem noch hinzuzufügen, wenn das, was der römische Dichter und Ratgeber in Sachen Liebeskunst, Ovid, vor über zweitausend Jahren über Chic und Schönheitspflege antiker Frauen schrieb, derart aktuell in unseren Ohren klingt, als passierte es im Hier und Jetzt. Ovids ars amatoria/Liebeskunst ist uns eines der frühesten schriftlichen Zeugnisse, die das Bedürfnis der Menschen, sich hübsch zu kleiden, zu putzen, zu schmücken, überliefern.

Das Verlangen der Menschen, ihrer Eitelkeit Genüge zu tun, sich selbst und den anderen zu gefallen, sich dadurch vom anderen abzuheben, sich seiner bewusst zu werden, ist älter, als uns diese Quellen überliefern.

Auf der Suche nach Hinweisen zu Kleidungs- und Behübschungsgewohnheiten der Menschen sind neben Schriftzeugnissen auch Abbildungen aller Art (Bilder, Mosaike, Zeichnungen, Fotografien) hilfreich. So nützen uns Bibel, Handschriften, kolorierte Drucke, Sittenbücher, Tagebücher, Reiseliteraturen, die Kunst geschichte und kirchliche Erlässe, um voranzukommen. Diese zu betrachten ist so bequem wie erquicklich.

Vorzugsweise bei Tracht und Dirndl suchte die wissenschaftlich-volkskundliche Forschung, die sich ja erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausbildete, auf bildliche Quellen zurückzugreifen, um einen Blick in die Welt von gestern und vorgestern zu erlangen. Diese »Überlieferung« will jedoch vornehmlich bei Bildzeugnissen kritisch beäugt werden, spiegeln sie nämlich jeweils nur die vorherrschenden Moden zur jeweiligen Entstehungszeit der Bilder wider und/oder sie entspringen gar nur den Phantasien und Geschmäckern der Maler. Maria Magdalena, sämtliche heiligen Frauen, die heiligen drei Könige, Maria und Josef sowie andere biblische Figuren wurden jeweils in den vorherrschenden Moden jener Zeiten, in denen die Künstler lebten, »gekleidet«. Stoffe, in welche Bischöfe und Päpste, Könige und Kaiser gehüllt waren, resultierten aus den höfischen Kleider vorschriften, die für die fürnehmen Herrschaften gedacht waren. Daher rührt ihr repräsentativer, ikonografischer Charakter. Farben wie Blau waren der heiligen Maria vorbehalten, das Purpurrot Königen und Kardinälen usw. Auf diese Weise wurden sie Vorbilder und Zeugen einer Mode, auf diese Art überlieferten sie hierarchische Ordnungen und wurden zu Bürgen einer gängigen Kulturpolitik.

Die Geschichte der Mode ist also auch eine Geschichte der Märkte und Geschmäcker, der sozialen Ordnungen und moralischen Gesetze. Kurzum, Modegeschichte ist nichts anderes als eine Geschichte der Menschheit. Diese anthropologische Bedingung zeigt, dass sie Echo ökonomischer, moralischer und politisch herrschaftlicher Gegebenheiten ist, die der Distinktion, der Unterscheidung und Abgrenzung dienlich ist. Anhand der Kostümhistorie vermögen wir Handelsbeziehungen genauso wie moralischen Konventionen zum Zwecke der Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Ordnungen auf die Spur zu kommen. Zum Verständnis, wie eng Kleidung, Mode, Märkte, gesellschaftliche Gefüge und Rituale verwoben sind, dienen uns beispielsweise der allgegenwärtige Dirndlboom genauso wie die baggy pants (saggy style), bei welchen die Hosen tief in den Schritt hineinhängen, und deren Ursprung in der US-amerikanischen Gefängniskultur liegt.

Tracht und das aus ihr hervorgegangene Dirndl nützen uns nun seit bald 100 Jahren nicht so sehr als Kronzeugen einer bestimmten Mode, denn bevorzugt als Zeugnis einer Erzählung kollektiver Selbstfindung zum Zwecke nationaler Integrität sowie als Lob der »Liebe zur Heimat« und ihrer deutsch-ethnischen Einzigartigkeit. Diese Besonderheit, kulturpolitischer Träger von etwas zu sein, schließt ihre modische Seite nicht aus. Wenngleich ganz gern dagegen in Stellung gebracht, wurde und ist sie dennoch nichts weniger als Mode, eben weil sie Ausdruck und Träger von zeitlichen Trends ist, sie gar nicht anders kann, als aus der Zeit zu kommen. Auch wenn es Zeiten gab, wo bockig, ja, geradezu aufsässig, versucht wurde, Tracht und Dirndl gegen die Mode zu positionieren, obsiegte am Ende die Mode. Die Erzählung, Tracht trotze jedweder Modernisierung, machte sie zum Symbol einer politischen Mode, die ihre Aufgabe in der Bewahrung (ethno-)kultureller Beständigkeit sah und Mode generell als Teufelswerk deutete. Von modischer Perspektive aus betrachtet, galten Tracht und Dirndl als provinziell, der Trachtenträger zivilisatorisch als zurückgeblieben. Nur zu gern trachtete so mancher danach, diesen Kleiderstil gegen Neueres einzutauschen.

Bis zur Entdeckung von Tracht und Dirndl als politisch programmatische wie rassistische Waffe durch die Nationalsozialisten dienten Tracht und Dirndl unter künstlerisch affinen Menschen als Spiel mit einem binnen exotischen Chic. Es war weder verwerflich, sich in »bäuerlicher Tracht« – oder was man dafür hielt – im Fotostudio oder auf städtischen Bällen zu präsentieren, noch diente es der Ausgrenzung. Kulturkritische Menschen sahen in ihr immer schon eine gewisse Bräsigkeit, einen altmodischen Chic, der im Sinne gesellschaftlichen Fortschritts überwunden, dessen Träger und Trägerinnen von den schweren Stoffen und umständlichen Gebinden erlöst gehörten. Und wäre es nicht anders gekommen, wären Tracht und Dirndl heute kein Thema mehr.

Wie wurden Tracht und Dirndl also zu diesem einen Stück, zu diesem »Garanten« kultureller Identität, zu einem Dogma, gar zum Streitfall gegenwärtiger gesellschaftspolitischer Debatten? Dieser und einer grundsätzlichen Betrachtung im Sinne der Modehistorie will hier, auch unter Einbeziehung der Kunst, nachgegangen werden.

LODEN, LEINEN, SEIDEN, SPITZEN

Des Kaisers Lodenjanker

Als im Jahr 1995/96 in Paris, im Palais Galliera, eine Ausstellung zur Mode des Wiener Hofes gezeigt wurde, fand inmitten von edlen Uniformen, Hofstaatkleidung und kaiserlichen Roben ein gar so viel anders aussehendes Stück Platz. Es war ein grauer Lodenfrack mit fünf grün paspelierten Pattentaschen, er war doppelreihig mit Hirschhornknöpfen versehen, den Kragen umfasste eine gedrehte, angenähte Kordel mit Quasten, die zur Veredelung diente. Dieses, auf den ersten Blick gemeine, Trachtenstück gehörte keinem Geringeren als Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916). Im Katalog wurde sein Ursprung mit Ausserfragant-Tyrol angegeben, datiert war er auf die Jahre 1880–1890. Die dazu passende warme Hose ist aus Kamelhaar. Der Kaiser trägt einen solchen oder einen ähnlich aussehenden Frack auf allen Jagdbildern, die wir von ihm kennen. Er muss einige davon gehabt haben, denn der in Paris gezeigte wirkt, als wäre er nie getragen. Heute befinden sich Janker und Hose wohl verwahrt im Depot des Kunsthistorischen Museums in Wien, mitsamt einer rotgelben Krawatte und einem braunen Filzhut. Dort ist angegeben, was die Expertin vermutete, der Loden ist nicht aus Tirol, sondern aus der steierischen Ramsau.

Der Bazaar. Erste Damen- und Modenzeitung brachte am 21. Juli 1913 in der Nr. 28 auf ihrem Cover ein Foto des Kaisers in genau so einem edlen Janker-Frack samt Krawatte, Hut mit Gamsbart und Spielhahnfeder. Angezogen hat der Kaiser derlei Frack selbstredend bei Besuchen in Bad Ischl. Einen strapazierfähigeren Janker trug er auf der Jagd, dabei aber in Kombination mit einer knielangen Lederhose aus Gämsenleder und grobem Schuhwerk. Das Ensemble mit der Kamelhaarhose trug er vermutlich ausschließlich im Winter und zu repräsentativen Anlässen in Ischl und Umgebung. Die rot-gelb bedruckte Krawatte aus Baumwolle lugte kaum hervor, die am Kragen umlaufende Kordel, an deren Enden sich Quasten befanden, verfeinerte das Ensemble und machte es hoffähig. Diese Jagdtracht des Kaisers war kein gewöhnliches Gewand. Der kaiserliche Schneider, Franz Bubaček (1871–1929), war für das formvollendete Jagdensemble verantwortlich. So fand es also Eingang in die Sammlung eines fürnehmen Kleiderbestandes, in dem es vor güldenen Knöpfen, roten, blauen, schwarzen und weißen Seiden, Brokaten und Wollstoffen mit allerlei Tressen, Epauletten, Kordeln, Quasten, Pommeln, Litzen und Fransen, also allerlei Posamenten, nur so wimmelte. Dieses edelschlichte Stück, das aus nichts bestand als aus einfachem Loden, ist seiner Ausführung wegen dennoch ein Zeugnis allerhöchster Web- und Schneiderkunst. Nun war Loden das einfachste Material, das den Menschen zur Verfügung stand; im Rohzustand spaziert er vor der Haustür auf den Wiesen und Äckern herum, er kann und konnte selbst erzeugt werden, was Einfluss auf den Preis einer Ware hat. Loden gehört zu den ältesten, ersten, archaisch verarbeiteten Materialien, besteht er doch aus der Wolle von Schafen, die sich der Mensch zum eigenen Nutzen – als Fleisch-, Milch- und Wollversorger – hielt. Zu Zeiten des Absolutismus, als der von Gottes Gnaden erkorene König oder Kaiser sich zur Herstellung gesellschaftlichen Reglements Kleiderordnungen einfallen ließ, gestand man daher der untersten Klasse stets zu, Loden oder, wie man auch sagte, inländisches Tuch zu verwenden. Dazu zählte selbstredend auch Leinen. Als Kaiser Leopold I. mit Jänner 1687 eine Polizeiordnung ausgab, tat er dies ausdrücklich, um dem vor Augen zaigenden Luxus entgegenzutreten, die Gesellschaft ein wenig in seinem Sinne zurechtzurücken. So wurde festgehalten, wer welche Materialen zu verwenden hatte:

[…] daß die in der ersten Class alleinig der Flügl=Erml/der reichen Zeug/der silber und guldenen/wie auch seidenen und wessen Spitz und Porten/in dem höhern Werth/auch der mit Sameth gefütterten Wägen/und Niederländische Samethen/Damascenen Spallier, Sessel und Teppich/und in denen Carozen der guldenen Nägl/inn: und außwendig sich zu gebrauchen befugt seyn sollen; Die können auch ihre Libereyen/doch nur von Tuch/so in unsern Ländern gemacht wird/höchst mit zwey seidenen zweyen Finger braiten Porten/doch ohne Silber und Gold verbrämen/oder darfür samete Auffschläg/doch nit beedes zusammen/die Campagn: oder andere Klaider aber nur einmahl/und die Mäntle (mit denen man sonderlich bey Hoff/und in denen RathsSessionen zu erscheinen hat) höchstens mit zweyen Spitzen/doch ohne alle zu überflüssiger übereinander Legung/verbrämbt werden.

Die in der anderen Classe sollen sich nur der Zeuge/Spitz und Porten deß mindisten Werths/wie auch der schlechtern Tücher/Teppich/Sesseln/lederen Spalier/und dann nur der Wägen inwendig von Leder/oder Inländischen Tuch gebrauchen/denen auch der kostbare Geschmuck von Steinen/und dergleichen/verbotten ist.

Die in der dritten Classe aber haben sich der seidenen Zeuget/Spitzen/Porten/und anderer Mobilien von Seiden/auch der Libereyen zu enthalten/und nur der Wägen von Leder zu bedienen.1

Leopold stand mit dieser Verordnung in einer Tradition königlicher und kaiserlicher Kleiderordnungen, die in nahezu allen Ländern in unregelmäßigen Abständen vor und nach ihm erlassen wurden, sei dies in Konstantinopel des Jahres 1768, in Deutschlands Fürstentümern oder in Österreich unter Maria Theresia 1760. Derartige Regelungen von höchstamtlichem Erlass wurden gerne auch mit der Begründung, die Menschen würde ihre eigene Putzsucht zunehmend in den Ruin treiben, argumentiert, und ergingen hauptsächlich an die Schneider im Land. Bei Verstößen drohte ein Bußgeld, im nächsten Schritt der Verlust des Handwerksbriefs und als letzte Möglichkeit behielt die Herrschaft sich vor, dem Schneider das Bürgerrecht zu entziehen. Solche Beschränkungen leuchten in Ermangelung einer bürgerlichen Gesetzgebung und im Sinne merkantiler Möglichkeiten und Interessen natürlich ein. Nicht nur, weil die Wege lang und bisweilen mehrere Zollgrenzen zu passieren waren, auch weil das, was selten zu bekommen und darüber hinaus noch von handwerklicher Akkuratesse war, Begehren im Menschen weckte. Alles zusammengenommen trieb den Preis der Stoffe in die Höhe. Daher erlaubte sich jener, der es sich von Amts wegen leisten konnte, zu bestimmen, auf wen die Verteilung der Waren Anwendung fand, dies auch zu tun. Kleiderordnungen zementierten auf diese Weise die angestrebte gesellschaftliche Ordnung. Ökonomisch steuerten und kontrollierten sie den Handel, gestalterisch beeinflussten sie auch den Geschmack.

So schritt in der höfischen Kleidung die Mode unaufhaltsam voran, während sie bei den unteren Ständen schaumgebremst, häufig in Anlehnung höfischer Stile, eigene Wege zu gehen versuchte. Allerdings ließen bestehende Restriktionen bei den untersten Klassen kaum kreativen Spielraum aufkommen. Bestenfalls ermöglichte die besondere Verarbeitung und Draperie des Materials, ein wenig Individualität auszuleben.

Bozner, Schnalser oder Ramsauer Loden waren bekannt und beliebt unter den Schneidern, auch den Hofschneidern. Farblich war er meistens grau oder graubraun changierend. Selten und erst mit der Abnahme von Kleiderordnungen, oder der zunehmenden Entfernung vom höfischen Zentrum, zog eine gewisse Buntheit in das Erscheinungsbild ländlicher oder armer Bevölkerung ein. Erst ein politischer Befreiungsschlag vermochte da Abhilfe zu schaffen. Kleider, Völker, rechtlose Arme verdanken republikanischen Ideen und en suite der Industrialisierung auch die Freiheit in der Mode, die Möglichkeit, sich in bunt zu behübschen. Bestehende Regularien, wer sich denn nun schön machen durfte und wer nicht, sind also Teil der Menschheits- wie der Modegeschichte. Mit den ersten antiken schriftlichen Quellen beginnend dokumentiert, dauerten sie annähernd zweitausend Jahre, bis sie sich erstens im Zuge der Demokratisierung der Gesellschaft und zweitens mit der Trennung von Staat und Kirche auflösten. Verbote hin oder her, es gab nahezu alles schon zu allen Zeiten. Der Menschen Verlangen nach Schönheit ist Teil seiner Triebhaftigkeit und verläuft parallel zur Entwicklung derselben. Daher nimmt es nicht wunder, wenn selbst die Antike bereits das Färben von Kleidern und Haaren kannte. Nicht erst römische Frauen zierten sich mit gekauftem Haar, wie Ovid schrieb. Die Haushalte und Handwerker vorher und nachher (bis ins 20. Jahrhundert) verstanden sich aufs Spinnen, Weben, Färben sowie auf die Herstellung von Duftstoffen. Gesellschaftspolitische Regularien und die Verfügbarkeit von Ressourcen bestimmten also immer schon, wer sich wie behübschen durfte. Wirkliche Veränderung brachte erst das 18. Jahrhundert. Im Jahrhundert der Aufklärung kam es für unsereinen in kleinen Schritten zur Erlösung von Regularien und der Möglichkeit zur Freiheit im Geschmack. Im Habsburgischen Reich verhalf Joseph II. (1741–1790) mit dem Untertanen patent von November 1781 jener unteren Klasse, der Leopold I. und Maria Theresia (1717–1780) noch auftrugen, nur inländisches Zeug, also grauen Loden und grobes Leinen zu tragen, mit der Aufhebung der Leibeigenschaft zur Freiheit generell und auch in der Mode.

Erste Bildzeugnisse mit Trachtendarstellungen verdanken wir dieser Zeit. Von da an rückte zunehmend der einfache – nicht-adelige, nicht-bürgerliche, nicht-klerikale – Mensch und das Kollektiv, in dem er lebte, das Volk, in den Fokus gesellschaftlicher Betrachtung.

Diese neue Freiheit zum Denken beinhaltete auch die Freiheit zum Reisen und zum Entdecken. Sie ermöglichte es, die Vielheit der weit verstreuten Individuen in den Ländern des herrschaftlichen Einzugsgebietes weitum zu erschauen. Binnenexotische, archaisch anmutende Phänomene wie Tracht und Brauch, Tanz und Volkslied entflammten das Interesse der urbanen Beamten und Reisenden und führten auf diesem Wege erstmals zu ihrer Benennung. Die aufgeklärten und etatistisch interessierten Monarchen suchten »ihr Volk« in »ihrem Lande« kennenzulernen und baten ihre Staatsdiener, dazu bis an die Grenzen der Reiche zu fahren, um nach deren Lebensstilen Ausschau zu halten. Die Neugier dieser Eliten wuchs sich mit der Zeit zu einer allgemeinen Neugier bei den reisenden Gebildeten wie den Bereisten selbst aus. Trachten- und Typenbilder entstanden nach Eindrücken und Projektionen der »Entdecker« und fanden so nachhaltig Eingang in die Literatur.

Für die Trachtenforschung ist diese Zeit deshalb aufschlussreich, weil sie die Porträtmalerei demokratisierte, sich diese nicht mehr bloß auf die Beschreibung der adeligen Gesellschaft beschränkte. Die neue Porträtmalerei half, die bisher unsichtbaren Individuen im »Volk« sichtbar werden zu lassen. Dieser neuen Porträtmalerei verdanken wir erstmals die Überlieferung von Menschen in Tracht.

Das »Volk«, das bis dahin je nach Region ein mehr oder weniger verlotterter, armer Haufen von Kleinbauern, unfreien Knechten, Mägden und Huren war, geriet mit den Ideen der Aufklärung in den Vordergrund und rückte als anthropologisches Faktum, als Menschen, die sie auch waren, als Summe von Individuen, als Volk, zumindest in den Ländern des aufgeklärten Absolutismus (Österreich, Preußen, Russisches Reich) etwas näher zu Adel, Klerus und Bürgertum hin.

So kam es, dass nicht mehr nur der Kaiser im Trachtenjanker abbildungswürdig wurde.

Des Kaisers Lodenjanker

ÜBERLIEFERUNGEN: VÖLKER, KLEIDER, ARME LEUTE

Schöne Frauen, interessante Diebinnen

Eines der berühmtesten aller frühen Porträts, auf dem eine nichtadelige Frau in Tracht abgebildet ist, ist ein Selbstbildnis der großartigen, zu ihren Lebzeiten bereits hochgeschätzten Schweiz-Österreicherin Angelika Kauffmann (1741–1807).

Die wundersame Weltbürgerin und reichlich beschäftigte Künstlerin schuf Selbstporträts von sich in Bregenzer Tracht. Eines dieser Porträts, es ist im Besitz des Innsbrucker Ferdinandeums, zeigt sie in einer Pelzverbrämten Juppe, das Mieder bunt und quer genäht, drunter trägt sie ein leichtes Blüschen, der Hut liegt fein-frech wie leicht schief auf dem Haupt. Es ist nicht das einzige Selbstporträt in Tracht. Kauffmann war weit davon entfernt, sich mit diesem Konterfei zur Trachtenzeugin werden zu lassen. Für die Kostümgeschichte ist es insofern hilfreich, als es eine vielgereiste, moderne Frau und Malerin in einer kaum urban-modischen Kleidung abbildet.

Als Vergleich zu diesem sehr lieblichen Selbstporträt ziehen wir ein weiteres, ungefähr zeitgleich entstandenes Motiv einer Frauengestalt in Tracht heran. Es befindet sich auf einem Jahreszeitenkasten aus dem Zillertal, der zum Bestand des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien gehört und das nur zu gerne in der Vergangenheit als Zeuge herangezogen wurde. Ein Fenster der Türfüllung greift eine mit Strohhut und Sichel gezierte Trachtenfigur zur allegorischen Darstellung des Sommers auf. Datiert ist das Stück auf das Jahr 1753, gar lieblich unbeschwert wirkt das Motiv auf den Betrachter. Doch genau dies liefert Grund, irritiert zu sein, denn die dargestellte Frau korrespondiert so gar nicht mit den ungeschönten Beschreibungen der Zillertalerinnen von späteren Durchreisenden. Zu adrett, zu sauber, zu aufgeräumt zeigt sich der Sommer in Gestalt der jungen Frau. Nun ist eine Analyse dazu generell schwierig, weil das Zillertal zwischen Salzburg und Tirol bis 1816 aufgeteilt war, erst 1816 kam der salzburgische Teil zu Tirol. Es bedürfte also genauester Abgleichungen von Ort, Zeit, herrschaftlichen Ordnungen, Grund der Anschaffung des Möbels. Naheliegend ist, dass der Kasten als dekoratives Accessoire vor allem für die nötige Idylle in der Stube zu sorgen hatte, denn die Zillertalerinnen realitätsnah abzubilden. Diese waren nämlich gar nicht so sittsam, wie die abgebildete Figur uns glauben machen will. Zu beiden Seiten der Herrschaften, so viel wissen wir, gaben die Zillertaler ihren Bischöfen und Gerichtspflegern Anlass zu Beschwerden. Dies deckt sich mit der archaisch-derben Lebensweise der Beschriebenen in den Reisebeschreibungen. Im Jahr 1768 soll gar eine eigene Kommission dazu eingesetzt worden sein, der Schlampigkeit und Unordentlichkeit auf die Spur zu kommen. Hier bemühte Personifikation des Sommers auf dem Kasten aus dem Zillertal weicht von nahezu allen späteren Abbildungen und schriftlichen Kommentaren derart ab, dass sie Zweifel an der Datierung des Schrankes aufkommen lässt, oder sich die Mode der Zillertalerinnen innerhalb kürzester Zeit von einem adretten Stück in einen miederlosen, wild gebundenen, gegen alle Sitten verstoßenden, groben Teil zurückverwandelt haben müsste. Dieses Beispiel dient der Veranschaulichung der Schwierigkeiten bei der Erörterung des Themas durch Abbildungen trachtiger Figuren. Daher bedarf es eines offenen Zugangs bei der Betrachtung von Tracht, der sich ökonomischer, politischer und modisch-ästhetischer Bezüge bedient und bildkritisch analysiert. Die erste Voraussetzung jedoch ist, sich von Glauben und Lehre eines jahrzehntelang idealisierten romantischen Trachten bildes zu verabschieden, sich frei zu spielen von den Topoi vergangener Erzählungen, selbst einen kritischen Blick auszubilden, mögliche Defizite in der Kontinuität zu entdecken, alte Texte neu zu lesen, Bilder neu zu erschauen.

Einer der frühen Trachtenforscher, Adalbert Sikora (1880–1963), meinte Bezug nehmend auf die Zillertaler Tracht bereits im Jahr 1906, die Leute sahen zum Beispiel wahrscheinlich in ihrer Tracht nicht das, was andere darin sahen.1 Damit ist uns auf den Weg gegeben, was all die vielen Jahre so gut wie nie beherzigt wurde, aber dennoch das Klügste ist, das jemals zum Thema gesagt wurde. Es ist ratsam, diesen Satz von Sikora bei der weiteren Lektüre im Kopf zu behalten.

Maler, Forscher, Reiseschriftsteller, sie alle haben einen Anteil an der epischen Geschichte zu Tracht und Dirndl. Dass auch Kleinkriminelle helfen können, Licht ins Dunkel zu bringen, mag man kaum glauben. Dabei sind Steckzettel oder Steckbriefe ein durchaus nützliches Mittel, um klüger zu werden. Steckzettel, polizeilich amtliche Beschreibungen also, geben nämlich Auskunft darüber, was so in den Kästen oder Truhen der Leute und den Läden der Krämer an Kleidern und Stoffen gelegen hatte, und dann gestohlen wurde.

Dem Fürstlich-Auersbergschen Archiv zu Losensteinleithen im Österreichischen Staatsarchiv, auf das mich dankenswerterweise die Mitarbeiterinnen im Haus- und Hofarchiv hingewiesen haben, entnehmen wir beispielsweise eine Reihe kleinkrimineller Vorkommnisse. Eine Episode daraus vernimmt sich so: Die Verdächtige Maria Franziska Dichtl aus Böhmen sei stets fesch und adrett angezogen gewesen, sie hätte schöne weiß Zähne gehabt, wie im Steckbrief vermerkt ist, aber sie hätte der Frau Elisabeth Kohlbauer nebest einer schwere[n] silberne[n] Halskette, noch ein Lilafarbenes seidenes Halstuch mit geknüpften Fransen, ein schwarz seidenes Gradltuch, ein schwarzseidenes Fürtuch mit einem Muster aus drei Blättern, ein lichtblau gestreiftes kattunenes Fürtuch gestohlen.2 Maria Franziska Dichtl verhilft uns mit ihrer Untat zu einem Blick in den Kleiderschrank der Frau Kohlbauer. Lila Seide mit Fransen für den Hals, eine mit Blüten bestickte schwarze Seidenschürze und eine hellblaue Baumwollschürze zeugen nun nicht von Armut und einer Beschränkung auf Loden und Leinen. Zehn Jahre nach 1848, nach der bürgerlichen Revolution in Europa also, schienen Samt und Seide auch in ländlichen Haushalten getragen, die absolutistischen Kleiderregeln längst überwunden. Bemühen wir daraus noch einen weiteren Fall, so erlangen wir Einblick, was in der Salzburger Gegend in so manchem Schrank lag.

Ein schwarzmanchesterner Schalk, voren mit 10 silbernen Batzenknöpfe in zwey Reihen, an jedem Aermel mit I, und an der Rückseite mit 2 solchen, auf jeder Seite mit einer Tasche und inwendig mit weiß barchetenem Futter; ein rothseidenes Leibel mit großen Blumen, schon geflickt, und mit doppeltem Futter, nämlich mit braunem oder schwarzem Kanefaß und mittlerer weißer Bauernleinwand, ein rothseidenes Halstüchel mit gelbgeblümten Dessin gestohlen wurde.3

Zur Erinnerung: Leopold I. hatte ziemlich genau 171 Jahre vorher das Tragen von güldenen, also Messingknöpfen, für niedere Stände verboten. Aber hier wird ein Schalk, eine Weste mit gleich zehn Silberknöpfen, gestohlen. Anhand dieses Diebstahls vermögen wir zu erahnen, wie die Modernisierung und die Demokratisierung sich auch auf dem Lande breit machten. Diese Modernisierung ist es, die nicht ohne Einfluss bleiben wird. Sie ist es, die das Stilempfinden im Menschen, im Individuum weckt und ihm am Ende zum Vorrecht verhilft, ihr verdanken wir die Freiheit zur individuellen Gestaltung. Die Ungleichheit der Gesellschaft ist es, die sich am äußeren Erscheinungsbild der Menschen zeigt – sprich in der Kleidung. Daher leuchtete es ein, dass die Kleiderfrage Teil revolutionärer Debatten war und wir die Französische Revolution als so was wie ein Gründungsdatum der Kleidergeschichte berücksichtigen müssen. Mit ihr rückte die Arme-Leute-Kleidung in den Fokus.

Die gesellschaftspolitische Bedeutung von Kleidung veranlasste den Marquis de Mirabeau (1749–1791), einen der Revolutionäre Frankreichs, dies in der Nationalversammlung zur Sprache zu bringen. So kam es, dass die Französische Revolution 1789 mit großer Signalwirkung den Kleiderordnungen ex cathedra ein Ende setzte. Der Disput um die Mode, der bisher beschränkt auf geschmackliche und hygienische Dispute im adeligen und bürgerlichen Milieu blieb, erweiterte sich um eine politische Dimension, die für niemanden folgenlos blieb, besonders aber für die Kleider- und Modehersteller Veränderungen mit sich brachte. Die symbolische, repräsentative Geltung von Kleidung erlangte über diesen Weg einen neuen Nimbus. Revolutionäre wie Maximilien de Robespierre (1758–1794) trugen Kleidung, die auf ihre Geisteshaltung verweisen sollte, auf einen Sinn, den sie gleichnishaft personifiziert wissen wollten. Sie trugen zum Zeichen der Freiheit Westen in den Farben der Trikolore, die versehen mit revolutionären Symbolen oder gar Sprüchen waren. Die Französische Revolution 1789 – und in ihrer Nachfolge die 1848er-Revolten – läuteten das Zeitalter der Freiheit zur bürgerlichen Mode ein. Diese Revolten schufen erst die Voraussetzung, auch dem vernachlässigten Landvolk in seiner derb-groben Erscheinung Aufmerksamkeit zu schenken, denn wie ein Österreicher namens Adolf Loos (1870–1933) 1898 etwas mehr als ein Jahrhundert später die Habsburgischen Einwohner suggestiv frug: Gut gekleidet sein, wer möchte das nicht?

SONNTAGSSTAAT, REPRÄSENTATION, MODE

Wie kam Sisi ins Dirndl und in ungarische Magnatentracht?

Wenden wir uns erneut Österreich zu. Wir erinnern uns an die letzte Kleiderordnung durch Leopold I. aus dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts. Diese schrieb genau vor, welchem Stand oder welcher Klasse welche Stoffe, Schmuck und Materialien zu tragen erlaubt waren. Die Einhaltung der Ordnung half nach außen hin, ein System von hierarchischen Ritualen und gesellschaftlichen Konventionen am Leben zu erhalten. Bis zur Einsetzung des Reichsrates 1861 und dem Parlament Cisleithaniens (wozu die zu Österreich-Ungarn gehörenden 17 Kronländer zählten) in Österreich 1867 waren allein herrschaftliche Erlässe und die moralischen Ermahnungen der Kirche jene Order, die das Zusammenleben der Gesellschaft regelten. Die Mode unterlag diesem Regelwerk ebenso wie alles und jeder innerhalb dieser Reichsgrenzen. Hierarchien hatten sich an der Façon des Herrschers auszurichten. Individuelle Wünsche, eigene Vorstellungen