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Udo Rauchfleisch plädiert seit vielen Jahren für eine Entpathologisierung von Transsexualität beziehungsweise Transidentität, die für ihn keine psychische Krankheit ist. Er diskutiert die Fragen der Begutachtung und der therapeutischen Begleitung vor, während und nach der hormonellen und operativen Angleichung an das andere Geschlecht. Zwei Beiträge tranisdenter Menschen geben Einblicke aus der Betroffenenperspektive. Das Buch richtet sich an Fachleute wie Psychologen, Psychotherapeuten, Ärzte und Psychiater, aber auch an Transidente selbst und ihre Angehörigen.
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Seitenzahl: 303
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Udo Rauchfleisch
Transsexualität – Transidentität
Begutachtung, Begleitung, Therapie
5., unveränderte Auflage
Vandenhoeck & Ruprecht
Für Bruno Schmucki
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-647-99623-3
Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de
Umschlagabbildung: Otto Freundlich, Composition (ca. 1930) / Private Collection / Photo © Christie’s Images / Bridgeman Images /
© 2016, 2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Umschlag: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Vorworte
Von der Krankheit Transsexualität zur nichtpathologischen Transidentität
Der Ablauf der Diagnostik und Behandlung
Diagnostik
Der »Alltagstest«
Die Hormonbehandlung
Die chirurgischen Maßnahmen zur Angleichung an das andere Geschlecht
Personenstandsänderung
Nachbetreuung
Die Begutachtung von Trans*menschen
Eigene Erfahrungen aus Begutachtungen und Behandlungen
Meine ersten Begegnungen mit Trans*menschen
Diagnostische Überlegungen
Die den Transitionsprozess begleitende Psychotherapie
Zur speziellen Situation von Trans*kindern
Mit welchen Fragen und Problemen sind Trans*menschen konfrontiert?
Welche Hilfe können die Professionellen Trans*menschen bieten?
Angebote der Psychiatrie und der Klinischen Psychologie
Angebote der somatischen Fächer
Juristische Beratung
Weitere Beratungs- und Behandlungsangebote
Was können Trans*menschen selbst tun?
Eine andere Sicht über Trans* von Annette Güldenring
Säuglingisch – Über die Dominanz der Genitalien bei der Vornamensbildung
Trans* im Wandel der Zeit
Trans* im Verhandlungsraum zwischen Recht und Medizin
Ungezügelte Gedanken
Danke
Free Gender. Ein autobiographisch gefärbter Essay von Jacqueline Born
Gendertheoretische Aspekte der Transidentität
Auf den Punkt gebracht
Literatur
Vorworte
Vorwort zur 1. Auflage
Das Thema Transsexualität beschäftigt mich seit 35 Jahren. 1971 haben wir in der Psychiatrischen Universitätspoliklinik Basel, damals unter der Leitung von Prof. Dr. Raymond Battegay, zunächst zögernd begonnen, transsexuelle Frauen und Männer psychiatrisch-psychologisch zu begutachten zwecks Abklärung der Indikation zu hormonellen und chirurgischen Maßnahmen auf dem von diesen Menschen angestrebten Weg einer Angleichung an das Gegengeschlecht. Seither habe ich etwa hundert Transsexuelle anlässlich solcher Begutachtungen, später dann auch in der therapeutischen Vorbereitung auf die Operation sowie bei Kriseninterventionen, Abklärungen und nachfolgenden Psychotherapien gesehen. Dabei habe ich festgestellt, dass es »die transsexuelle Persönlichkeit« nicht gibt. Mehr und mehr habe ich gerade in den letzten zehn Jahren die Erfahrung gemacht, dass sich hinter dem Etikett »Transsexualität« eine große Zahl völlig unterschiedlicher Persönlichkeiten mit weitgehend voneinander abweichenden Entwicklungen verbirgt. Die Gemeinsamkeit stellt lediglich die durch nichts zu verändernde Überzeugung dar, dem Gegengeschlecht anzugehören und eine hormonelle und operative Angleichung an das Gegengeschlecht anzustreben.
Während in den 1970er und 1980er Jahren die Diagnose »Transsexualität« fast immer eine andere Diagnose – vor allem die der Borderline-Persönlichkeitsstörung – nach sich gezogen hat, ist mir dieses Vorgehen im Verlauf der Jahre zunehmend fragwürdiger geworden. Immer wieder bin ich nämlich mit transsexuellen Frauen und Männern zusammengetroffen, die außer der Überzeugung, dem Gegengeschlecht anzugehören (dies allein bedeutete früher schon, ihnen eine klinische Krankheitsdiagnose zu geben), keinerlei psychopathologische Zeichen erkennen ließen und – im Gegenteil – eine große psychische Stabilität aufwiesen. Allfällig auftretende Depressionen, Angstentwicklungen und andere Störungen erwiesen sich häufig als Folgen der schwierigen Lebensumstände, in denen sich transsexuelle Menschen auch heute noch oft befinden. Etliche von ihnen verfügten aber über eine große Belastungsfähigkeit, die es ihnen ermöglichte, ihre zum Teil schwierigen Lebensumstände (z. B. Verheiratete mit Kindern oder schwierige Verhältnisse im beruflichen Bereich) »mit Bravour« zu meistern, eine Leistung, der ich meine ungeteilte Hochachtung zolle.
Selbstverständlich traf ich daneben auch mit transsexuellen Menschen zusammen, die – mitunter sogar schwere – psychische Störungen aufwiesen, die sich nicht als unmittelbare Folge ihrer Transsexualität, etwa als Folge von sozialen Belastungen, interpretieren ließen. Gerade diese Frauen und Männer bestärkten mich aber in der Auffassung, dass der Transsexualismus das ganze Spektrum von psychischer Gesundheit bis zur (schweren) Krankheit umfasst, ohne dass eine kausale Beziehung zwischen der Transsexualität und der psychischen Gesundheit respektive Krankheit besteht.
Ich werde in diesem Buch den Weg meiner eigenen Entwicklung nachzeichnen, weil ich denke, dass viele Leserinnen und Leser, aber auch transsexuelle Menschen selbst, sich irgendwo auf diesem Weg befinden. Dabei erscheint es mir wichtig, dass wir uns vom Pathologiekonzept des Transsexualismus distanzieren und ihn als Normvariante ansehen. Nur so kann es gelingen, echten Zugang zu transsexuellen Frauen und Männern zu finden. Auch sie selbst müssen zur Stärkung ihres Selbstverständnisses und ihres Selbstwertgefühls diesen Schritt tun, wobei ihnen die Änderung der »Experten«-Ansicht eine große Hilfe sein könnte, indem sie von den Fachleuten nicht mehr als »selbstverständlich krank«, sondern als Menschen wie alle anderen auch betrachtet würden, deren psychische Gesundheit oder Krankheit in keinen ursächlichen Zusammenhang mit ihrer Transsexualität gebracht wird. Schließlich eröffnen sich durch das Abrücken vom Pathologiekonzept des Transsexualismus interessante Perspektiven für den Genderdiskurs in der Gesamtgesellschaft.
Dies sind die Gründe, die mich bewogen haben, dieses Buch zu schreiben. Es ist meine Hoffnung, dass meine Ausführungen Fachleute und an dieser Thematik Interessierte und Angehörige ebenso wie Transsexuelle selbst dazu anregen, sich kritisch und unvoreingenommen mit dem Phänomen »Transsexualität« auseinanderzusetzen und die Herausforderung anzunehmen, die für unsere Gesellschaft darin liegt.
Bei einem solchen Projekt hätte ich ein ungutes Gefühl gehabt, wenn nicht auch transsexuelle Menschen selbst zu Wort gekommen wären. Ein Problem dabei ist allerdings, dass die Leserinnen und Leser bei autobiographischen Berichten leicht den Eindruck bekommen könnten, diese seien »typisch« für transsexuelle Menschen. Aufgrund meiner Erfahrung bin ich hingegen der Ansicht, dass es den typischen transsexuellen Menschen nicht gibt. Abgesehen von der Tatsache, dass sich Transsexuelle durch das Gefühl auszeichnen, dem Gegengeschlecht anzugehören, weisen sie ein unendlich breites Spektrum an Persönlichkeitsformen und Lebensschicksalen auf. Obschon biographische Berichte das, was ich in diesem Buch schildere, vielleicht veranschaulichen würden, könnten sie ungewollt dazu führen, dass sie fälschlicherweise als charakteristisch für transsexuelle Frauen und Männer schlechthin betrachtet würden. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, zwar nicht ganz auf einen autobiographischen Beitrag zu verzichten, habe dazu aber bewusst kein »typisches« Beispiel gewählt, sondern eine eher ungewöhnliche Form, mit dem Phänomen Transsexualismus umzugehen, wie Jacqueline Born sie im Beitrag »Free Gender« schildern wird.
Ohne die intensiven Erfahrungen, die ich im Rahmen von Abklärungen, Begutachtungen und insbesondere in zum Teil etliche Jahre dauernden Psychotherapien sammeln konnte, hätte dieses Buch nicht entstehen können. Deshalb gilt mein ganz besonderer Dank meinen Gesprächspartnerinnen und -partnern (bewusst vermeide ich den in diesem Zusammenhang sonst gebräuchlichen »Patienten«-Begriff, um von vornherein die Verbindung Transsexualität – psychische Krankheit zu vermeiden). Sie haben mich durch ihre Schilderungen an ihrem Leben teilnehmen lassen, haben mir Einblicke in ihre Hoffnungen, Ängste und Phantasien gegeben und haben mich – zumindest aus »zweiter Hand« – ihre oft schwierige soziale Situation erspüren lassen. Sie haben mir über meine anfängliche Irritation hinweggeholfen. Denn wen irritierte es nicht, erstmals mit einem Menschen konfrontiert zu sein, der sich nicht nur wie das Gegengeschlecht kleidet, sondern sich auch so empfindet? Sie waren und sind es schließlich auch, die mich zum Nachdenken gezwungen haben und mich zu einer gegenüber den 1970er Jahren weitgehend veränderten Einstellung geführt haben. Dafür bin ich ihnen dankbar.
Udo Rauchfleisch
Vorwort zur 2. Auflage
Dank der großen Nachfrage war die 1. Auflage dieses Buches recht bald vergriffen. Mich hat dabei besonders gefreut, dass ich positive Rückmeldungen nicht nur von Fachleuten erhalten habe, sondern dass das Buch auch vielen transidenten Menschen und ihren Angehörigen und Freunden hilfreiche Informationen und Anregungen zu vermitteln vermochte.
Die 2. Auflage habe ich aktualisiert und um einige mir wichtig erscheinende Aspekte ergänzt. Besonders freue ich mich, dass nun neben dem Beitrag von Jacqueline Born noch ein zweiter autobiographischer Bericht aufgenommen werden konnte. Annette Güldenring, transidente Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, hat ihn verfasst und verbindet darin in eindrücklicher Weise ihren persönlichen Weg mit grundsätzlichen Reflexionen über die Transidentität und wichtige Schritte auf dem Weg der zunehmenden Gewissheit und Akzeptanz der eigenen Identität.
Möge nun auch die 2. Auflage transidenten Menschen selbst und allen, die beruflich oder privat mit ihnen zu tun haben, eine Hilfe dabei sein, das komplexe Phänomen »Transidentität« besser zu verstehen und Transidenten vorurteilsfrei zu begegnen.
Udo Rauchfleisch
Vorwort zur 4. Auflage
»[…] und eines Tages werden nicht mehr Expert(inn)en ÜBER uns reden, sondern wir uns selbst erklären – und eines noch ferneren Tages werden wir nicht mehr erklärungsbedürftig sein, sondern genau so selbstverständlich wie cis und hetis […]« (Dr. Myshelle Baeriswyl)
Ich habe diese persönliche Mitteilung von Myshelle Baeriswyl dem Vorwort zur 4. Auflage vorangestellt, da die Kollegin damit genau den Weg beschreibt, der meine Auseinandersetzung mit dem Thema Transidentität kennzeichnet und der eine Neuauflage notwendig machte. Die 4. Auflage bedurfte einer umfassenden Überarbeitung. Die wesentlichen Teile meiner früheren Darstellung sind bestehen geblieben. Es gab jedoch vor allem zwei Gründe für eine weitgehend überarbeitete Neuauflage.
Der erste ist ein sachlicher Grund: In den vergangenen Jahren hat sich in Bezug auf Transidentität in rechtlicher Hinsicht und bezüglich des Vorgehens beim Transitionsprozess sehr viel geändert. Es war deshalb notwendig, diese Änderungen in den Text einzuarbeiten.
Der zweite ist ein persönlicher Grund: Ich hatte zwar schon in den früheren Auflagen dieses Buches die Entpathologisierung der Transidentität in den Mittelpunkt meiner Ausführungen gestellt. Aufgrund meiner nun mehr als 40-jährigen Erfahrung in der Begleitung und Begutachtung von Trans*menschen1 bin ich aber zur Überzeugung gelangt, dass die Entpathologisierung konsequenter verfolgt werden muss. Daraus haben sich sprachliche Konsequenzen ergeben, z. B. nicht mehr von »Frau-zu-Mann-Transsexuellen«, sondern von »Trans*männern« bzw. nicht mehr von »Mann-zu-Frau-Transsexuellen«, sondern von »Trans*frauen« zu sprechen.
Außerdem sind in den letzten Jahren wichtige Änderungen im Umgang mit Trans*menschen diskutiert worden. So halte ich es heute für obsolet, Trans*menschen im traditionellen Sinn zu »begutachten«, sondern betrachte die – leider immer noch für die Operation und die Vornamens- und Personenstandsänderung nötigen – »Gutachten« als fachliche Bestätigung dessen, wozu sich die betreffende Person nach reiflicher Überlegung entschieden hat. Unzumutbar erscheint mir heute auch der vielerorts noch obligatorische »Alltagstest«. Überhaupt soll nach meiner heutigen Auffassung die Gestaltung des Transitionsprozesses allein von der Trans*person entschieden werden. Damit würde die extreme Fremdbestimmung, der Trans*menschen ausgesetzt sind, zumindest ein Stück weit abgebaut. Und dies erscheint mir dringend notwendig.
Im Sinne des diesem Vorwort vorangestellten Zitats von Myshelle Baeriswyl sollen nicht wir »Fachleute« der verschiedenen Disziplinen über Trans*menschen entscheiden, sondern sie selbst sind für sich zuständig. Wir stellen ihnen lediglich unser Fachwissen zur Verfügung, damit sie ihren individuellen Weg der Transition gehen können.
Ich hoffe, durch diese Neuauflage nicht nur zur weiteren Entpathologisierung der Transidentität beizutragen, sondern auch dahingehend Änderungen zu bewirken, dass es Trans*menschen ermöglicht wird, ihren je individuellen Weg zu gehen und dabei selbstverantwortlich entscheiden zu können, ob und zu welcher Zeit sie welchen Schritt machen wollen.
Udo Rauchfleisch
1Annette Güldenring und ich werden in diesem Buch die Schreibweise Trans*menschen, Trans*frauen, Trans*männer usw. verwenden, wobei das Sternchen als Platzhalter fungiert und übergreifend alle Formen von Transvestition/Cross-Dressing, Transsexualität, Transidentität, Transgender usw. bezeichnet.
Von der Krankheit Transsexualität zur nichtpathologischen Transidentität
Da es beim Thema Transsexualität/Transidentität viel begriffliche Verwirrung gibt, möchte ich am Anfang dieses Kapitels zunächst die Begriffe klären, die ich im Folgenden verwenden werde.
Im Allgemeinen wird in öffentlichen Diskussionen, aber auch im wissenschaft lichen Bereich von »Transsexualität« gesprochen. Diese Bezeichnung trifft jedoch nicht das Wesen dieser Menschen, da es bei ihnen nicht um die sexuelle Ausrichtung oder die Art, wie sie ihre Sexualität leben, geht, sondern um ihre Identität. Aus diesem Grund wird in neuerer Zeit, auch unter Fachleuten, eher der Begriff »Transidentität« verwendet. Nichttransidente werden auch als »Cis-Personen« bezeichnet (Sigusch 1995).
Bei der Beschreibung »transidenter« Menschen wird in psychologischen und psychiatrischen Berichten häufig von »Frau-zu-Mann«- bzw. »Mann-zu-Frau«-Transidenten gesprochen. Durch »Mann-zu-Frau« soll ausgedrückt werden, dass ein biologischer Mann sich als Frau wahrnimmt und die Angleichung an den weiblichen Körper wünscht. »Frau-zu-Mann« dient der Beschreibung dessen, dass eine biologische Frau sich als Mann empfindet und die Angleichung an den männlichen Körper sucht. Im Grunde widersprechen diese Bezeichnungen aber dem Erleben transidenter Menschen. Aus ihrer Sicht machen sie nämlich von Mann zu Frau oder von Frau zu Mann durch, sondern sind von jeher im Innern Frau bzw. Mann gewesen und möchten nun »nur noch« den Körper an diese Identität anpassen lassen und in der dieser Identität entsprechenden Rolle leben.
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