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Liebst du große Gefühle? Entspannst du gerne bei romantischen Geschichten mit Happy End? Faszinieren dich bewegende, dramatische Lebensgeschichten? Dann ist diese Leseproben-Sammlung genau das Richtige für dich! Träum dich weg in »Die kleine Werkstatt der geretteten Dinge« von Lorenza Gentile. Als der kleine Antiquitätenladen Neue Welt versteigert werden soll, erwacht der Kampfgeist der 27-jährigen Italienerin Gea: Sie verbindet liebevolle Erinnerungen mit dem Laden, an dessen Waren keine Preisschilder, sondern Geschichten hängen. Um den Laden zu retten, schließt Gea sich mit all den Menschen zusammen, denen sie als Handwerkerin und Nachbarin geholfen hat. Denn die Vergangenheit können sie nicht reparieren – aber sie können die Zukunft gestalten. Svea Nussbaum ist 31 Jahre alt, unglücklich verliebt … und nicht immer ganz ehrlich. Doch nach einem mehr als peinlichen Silvesterabend hat sie genug. Sie schreibt eine lange Liste an Vorsätzen, die sie dummerweise versehentlich an den CEO der Firma schickt, die sie eigentlich als Kunden gewinnen soll. Doch dann betraut sie der charmante William Grant nicht nur mit der Leitung des Projekts, sondern schickt ihr auch eine eigene Liste an Vorsätzen. Und plötzlich findet sich Svea in der merkwürdigsten Abmachung ihres Lebens wieder – als Protagonistin in Saskia Louis' humorvollem Liebesroman »Ich will dies, das und dich«. In Anna Husens »My Dearest Lovers - The Heygate Girls, Band 1« trifft Historical Romance auf New Adult. Für die unkonventionelle Lucie Farber aus Lübeck bricht 1860 eine Welt zusammen: Ihre Eltern schicken sie nach England auf das renommierte Heygate-Internat für Mädchen, wo sie sich nicht nur auf ihre Aufgaben als Lady vorbereiten. Schnell gerät Lucie mit ihrer Mitbewohnerin Amabel aneinander, doch dann merkt Lucie, dass sie sich zu ihr hingezogen fühlt, was sie verwirrt. Vor allem, als der attraktive Arthur um sie zu werben beginnt … Diese und weitere gefühlvolle Geschichten von Autor*innen wie Basma Hallak, Gabriella Engelmann und Laura Jane Williams finden sich in Vorab-Leseproben zu den Sehnsuchts-Titeln von Droemer Knaur, die dir 2024 den Herbst und Winter versüßen werden. Das kostenlose eBook enthält Leseproben zu: - Basma Hallak, »Between My Worlds« - Gabriella Engelmann, »Der Winter zaubert Träume am Meer« - Lorenza Gentile, »Die kleine Werkstatt der geretteten Dinge« - Saskia Louis, »Ich will dies, das und dich« - Nora Lynn, »Rebellin der Hohen Schule« - Melissa Wiesner, »It all comes back to you – Kann die wahre Liebe jede Lüge verzeihen?« - Laura Jane Williams, »Vier Wochen im Dezember« - Anna Husen, »My Dearest Lovers - The Heygate Girls, Band 1« - Alicia Zett, »Wer, wenn nicht wir« - Regina Meissner, »Die Duellantin«
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Seitenzahl: 386
Basma Hallak / Gabriella Engelmann / Lorenza Gentile / Saskia Louis / Nora Lynn / Melissa Wiesner / Laura Jane Williams / Anna Husen / Alicia Zett / Regina Meissner
Sehnsucht bei Knaur #08
Ausgewählte Leseproben von Gabriella Engelmann, Basma Hallak, Anna Husen u.v.m.
Knaur eBooks
Liebst du große Gefühle? Entspannst du gerne bei romantischen Geschichten mit Happy End? Faszinieren dich bewegende, dramatische Lebensgeschichten? Dann ist diese Leseproben-Sammlung genau das Richtige für dich!
Träum dich weg in Die kleine Werkstatt der geretteten Dinge von Lorenza Gentile. Als der kleine Antiquitätenladen Neue Welt versteigert werden soll, erwacht der Kampfgeist der 27-jährigen Italienerin Gea: Sie verbindet liebevolle Erinnerungen mit dem Laden, an dessen Waren keine Preisschilder, sondern Geschichten hängen. Um den Laden zu retten, schließt Gea sich mit all den Menschen zusammen, denen sie als Handwerkerin und Nachbarin geholfen hat. Denn die Vergangenheit können sie nicht reparieren – aber sie können die Zukunft gestalten.
Svea Nussbaum ist 31 Jahre alt, unglücklich verliebt … und nicht immer ganz ehrlich. Doch nach einem mehr als peinlichen Silvesterabend hat sie genug. Sie schreibt eine lange Liste an Vorsätzen, die sie dummerweise versehentlich an den CEO der Firma schickt, die sie eigentlich als Kunden gewinnen soll. Doch dann betraut sie der charmante William Grant nicht nur mit der Leitung des Projekts, sondern schickt ihr auch eine eigene Liste an Vorsätzen. Und plötzlich findet sich Svea in der merkwürdigsten Abmachung ihres Lebens wieder – als Protagonistin in Saskia Louis’ humorvollem Liebesroman Ich will dies, das und dich.
In Anna Husens My Dearest Lovers trifft Historical Romance auf New Adult. Für die unkonventionelle Lucie Farber aus Lübeck bricht 1860 eine Welt zusammen: Ihre Eltern schicken sie nach England auf das renommierte Heygate-Internat für Mädchen, wo sie sich nicht nur auf ihre Aufgaben als Lady vorbereiten. Schnell gerät Lucie mit ihrer Mitbewohnerin Amabel aneinander, doch dann merkt Lucie, dass sie sich zu ihr hingezogen fühlt, was sie verwirrt. Vor allem, als der attraktive Arthur um sie zu werben beginnt …
Diese und weitere gefühlvolle Geschichten von Autor*innen wie Basma Hallak, Gabriella Engelmann und Laura Jane Williams finden sich in Vorab-Leseproben zu den Sehnsuchts-Titeln von Droemer Knaur, die dir 2024 den Herbst und Winter versüßen werden.
Das kostenlose E-Book enthält Leseproben zu:
~ Basma Hallak, Between My Worlds
~ Gabriella Engelmann, Der Winter zaubert Träume am Meer
~ Lorenza Gentile, Die kleine Werkstatt der geretteten Dinge
~ Saskia Louis, Ich will dies, das und dich
~ Nora Lynn, Rebellin der Hohen Schule
~ Melissa Wiesner, It all comes back to you – Kann die wahre Liebe jede Lüge verzeihen?
~ Laura Jane Williams, Vier Wochen im Dezember
~ Anna Husen, My Dearest Lovers
~ Alicia Zett, Wer, wenn nicht wir
~ Regina Meissner, Die Duellantin
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Vorwort des Lektorats
Basma Hallak | Between My Worlds
Kapitel 3
Kalima
Kapitel 4
Kalima
Gabriella Engelmann | Der Winter zaubert Träume am Meer
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
Lorenza Gentile | Die kleine Werkstatt der geretteten Dinge
Motti
1. Kapitel
2. Kapitel
Saskia Louis | Ich will dies, das und dich
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Nora Lynn | Rebellin der Hohen Schule
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Melissa Wiesner | It all comes back to you – Kann die wahre Liebe jede Lüge verzeihen?
Prolog
Teil I
1. Kapitel
2. Kapitel
Laura Jane Williams | Vier Wochen im Dezember
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
Anna Husen | My Dearest Lovers
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Alicia Zett | Wer, wenn nicht wir
Lena
Leo
Kate
Lena
Leo
Lena
Kate
Regina Meissner | Die Duellantin
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Liebe Leser*innen,
kaum hat der Frühling begonnen, freuen wir uns bereits auf den Herbst! Denn für die goldene Jahreszeit haben wir wieder jede Menge tolle Bücher im Programm, die wir Euch in dieser Leseprobensammlung vorstellen dürfen.
Allen, die auf der Suche nach Inspiration sind, empfehlen wir nicht nur eine Reise nach Island mit Between My Worlds, sondern auch einen Blick auf die versehentlich versendeten Neujahrsvorsätze unserer Protagonistin aus Ich will dies, das und dich zu werfen und einen Besuch in Die kleine Werkstatt der geretteten Dinge zu unternehmen.
Die Hoffnung auf einen Neuanfang und das Wiedersehen mit einer alten Schulfreundin erwartet Euch mit unserer Protagonistin aus Wer, wenn nicht wir, während sich in It all comes back to you zwei Liebende nach fünfzehn Jahren Funkstille gegenüberstehen und sich der Frage stellen, ob die Liebe ihre inneren Dämonen besiegen kann.
Ihr könntet schon wieder Weihnachten feiern und fiebert schon jetzt wieder auf die Adventszeit hin? Dann ist Der Winter zaubert Träume am Meer oder Vier Wochen im Dezember genau das Richtige für Euch!
Und für wen das noch immer noch nicht genug ist, auf den warten My Dearest Lovers, Die Duellantin und Rebellin der Hohen Schule als New-Adult-Highlights mit historischem Setting.
Wir versprechen: In dieser Leseprobensammlung ist für jeden Geschmack etwas dabei!
Wir wünschen Euch ein tolles Leseerlebnis!
Euer Droemer-Knaur-Team
PS: Wir sind gespannt auf Eure Meinung. Besucht uns auf Instagram und erzählt uns, auf welchen Roman ihr euch am meisten freut: Auf @droemerknaur teilen wir alle Neuigkeiten rund um unsere Bücher mit unserer Community.
Basma Hallak
Roman
Die erste eigene Ausstellung in Berlin endet für die junge Fotografin Kalima in einem Shitstorm. Um Abstand zu gewinnen, reist sie nach Island, das sie schon immer sehen wollte. Als sie Nói kennenlernt, der im Lokal seiner Eltern arbeitet und eine Aushilfe sucht, springt Kalima spontan ein – obwohl sie keinerlei Vorkenntnisse hat. Nói ist trotzdem dankbar für ihre Hilfe und zeigt ihr Islands Naturwunder. Doch gerade, als die beiden sich langsam näherkommen, passiert etwas, das Kalima Hals über Kopf zurück nach Berlin flüchten lässt …
Von Menschen, Mäusen und Verzweiflungstaten
Der milde Nachmittag, an dem Island mich hätte empfangen sollen, hat sich in eine eisige Nacht verwandelt. Aus der vorerst kleinen Verzögerung im Betriebsablauf wurden vierzig, siebzig, neunzig und schließlich zweihundert Minuten Verspätung, die den letzten Nagel in den Sarg meiner ohnehin lausigen Organisation gehämmert haben. Deshalb war es wenig überraschend, dass ich keinen meiner zahlreichen Anschlussflüge erreichte und nun fast fünfzehn Stunden später auf den kalten Stufen eines verwaisten Provinzflughafens hocke.
Und das seit einer geschlagenen Stunde.
Aber immer noch besser als im Inneren des Flughafens …
Ich starte das dritte Bibi-Blocksberg-Hörspiel – die einzig annehmbare Unterhaltung in der gruseligen Umgebung –, ziehe die Knie enger an meine Brust und presse die Lippen fest zusammen. Ganz davon abgesehen, dass der Flughafen anscheinend kein Interesse daran hat, seinen Gästen ein komfortables Ankommen zu ermöglichen – es gibt nicht mal einen lieblos aufgefüllten Snackautomaten –, wurde der Ort hier mit Sicherheit nicht wegen seiner zentralen Lage ausgewählt. Ich sitze buchstäblich mitten im Wald und stecke damit bis zu den Knien in der Scheiße.
Kein Handyempfang, ein ausgestorbener, WLAN-freier Flughafen im Rücken und eine einsetzende Panik in der Brust. Zusätzlich bin ich am Erfrieren, und langsam bekomme ich es wirklich mit der Angst zu tun. Zu Hause in Kreuzberg fühle ich mich nie so, weil dauerbelebte Straßen selten Anlass dazu geben. Egal ob Nachmittag oder Morgengrauen, immer sind ein paar Hundert Menschen im Umkreis, die einem in stiller Übereinkunft Gesellschaft leisten. Ganz davon abgesehen, dass ich zu jeder Zeit einen Döner mit extra viel Kräutersoße bekomme, wenn ich nur traurig genug aussehe.
Mein grummelnder Magen erinnert mich daran, wie sehr mir das jetzt schon fehlt. Meine letzte Mahlzeit war ein reduzierter Proteinriegel aus dem Duty-Free, der die Konsistenz eines Backsteins hatte. Seitdem sind Stunden vergangen, aber der Brocken dümpelt wahrscheinlich immer noch unzersetzt in meiner Magensäure.
Auf dem beleuchteten Fahrplan, der einzigen Lichtquelle in dieser Dunkelheit, steht in greller roter Schrift, dass die nächsten acht Stunden kein Bus in die Nähe dieses Flughafens kommen wird. Sollte mich theoretisch auch nicht interessieren, schließlich warte ich auf den Mann der Inhaberin des B&B, der mich, wie sie mir versichert hat, »mit Freuden abholen kommen« würde.
Eine Schneeflocke schmilzt auf meiner Stirn und läuft mir als dünner Tropfen über die gerötete Nase. Es sollte mir Sorgen machen, dass sich mein Gesicht abgestorben anfühlt, aber gerade muss ich mich primär dafür hassen, auf eine Betrugsmasche reingefallen zu sein. Bestimmt existiert Helgis B&B nicht einmal. Dabei habe ich alle nötigen Informationen überprüft, die mich Catfish gelehrt hat. Impressum, authentische Kundenbewertungen … Ich habe sogar die Facebookseite gestalkt und ein Familienbild von der vermeintlichen Helgi mit ihrem – ich vermute – Ehemann Aron gesehen. Beide mit dampfenden Tassen in den Händen, in kitschigen Weihnachtspullovern und mit einem dreckig gelben Häuschen im Rücken. Das Motiv hatte was aus einer anderen Zeit – so ein Foto, das man in einer tausendfach geknickten Version aus nostalgischen Gründen in seinem Geldbeutel aufbewahrt. Wie konnte ich darauf nur reinfallen? Wahrscheinlich ist das die Kunst der Betrüger, alles harmonisch und sympathisch wirken zu lassen, dabei hätte doch gerade ich misstrauisch werden müssen. Ganz ehrlich, wer bitte hat denn noch Facebook? Gott, jetzt darf ich mich in Zukunft nicht mal erhaben oder zu schlau fühlen, wenn ich mir diese Heiratsschwindler-Dokus auf YouTube ansehe, in denen Frauen ihrem supermuskulösen Freund im Ausland Geld schicken, weil seine American Express gesperrt ist.
Ich ziehe den Reißverschluss meiner viel zu dünnen Jacke höher und schrumpfe noch mehr in mich zusammen. Ich werde auf diesen Stufen erfrieren, weil es mir wichtiger war, wie ein Teddybär auszusehen, statt diese Jacke auf ihre Funktionalität zu testen.
Der Lachanfall, der sich schon seit Stunden in meinem Bauch sammelt, bahnt sich einen Weg durch meine Luftröhre. Dann entschlüpft er meinen Lippen, steigert sich, bis mein Bauch schmerzt und mir heiße Verzweiflungstränen über die Wangen laufen.
Ich bin so am Arsch. Trotz meiner anhaltenden Lethargie habe ich es geschafft, den virtuellen Shitstorm auf mein gesamtes Leben zu erweitern. Würde mich nicht wundern, wenn statt Schneeflocken plötzlich Fäkalien vom Himmel rieselten. Ich lache lauter, und für ein kurzen Moment sind meine abgehackten Laute das Einzige, was die betäube Stille durchbricht, als ein dunkelgraues Auto auf den ausgestorbenen Parkplatz fährt. Die Reifen mit dicken Ketten eingewickelt, wie ich es sonst nur aus Filmen kenne. Zehn Meter von mir entfernt bleibt es stehen. Meine deprimierenden Gedanken verpuffen und machen meiner grenzenlosen Erleichterung Platz. Innerhalb eines Wimpernschlags werden die Verzweiflungs- zu Freudentränen.
Es ist ein winziges Trostpflaster auf einer viel zu großen Wunde, dass ich doch zu schlau für einen Betrug bin. Jetzt bin ich nur noch halb so doll am Arsch.
Der Fahrer stellt den Motor ab, die Lichter des Autos erlöschen, und ich greife nach dem Geländer, um meinen vereisten Körper hochzuziehen, als meine Hoffnung in derselben Sekunde zerschlagen wird. Obwohl ich nur ein einziges Bild von Vermutlich-Aron gesehen habe, weiß ich mit Sicherheit, dass es sich bei dem Kerl, der gerade aus dem Auto steigt, nicht um meinen Abholservice handeln kann. Lange Beine, die in einer dunklen Jeans stecken, ein blauer Wintermantel, den er sich bis zum Kinn hochzieht, bevor er sich die Kapuze über die blonden Locken stülpt. Ich sinke zurück. Entäuschung legt sich wie ein pelziger Mantel auf meine angeschlagene Lunge.
Jetzt ist es endgültig, amtlich und nachweislich. Ich. Bin. Am. Arsch.
Der Fremde hält auf den Eingang – und damit auf mich – zu, und ich unterdrücke einen frustrierten Aufschrei. Als ich an den Rand des Treppengeländers rücke, um dem Typen den Eingang zum menschenleeren Flughafen zu erleichtern, manövriere ich meinen Hintern in eine riesige Pfütze. Sofort spüre ich, wie meine Leggings bis auf die Baumwollunterwäsche durchweicht wird.
Großartig. Ich kann die kommende Blasenentzündung kaum erwarten. Wäre lautes Wimmern die angemessene Reaktion einer erwachsenen Person in dieser Situation? Und wenn nein, macht es überhaupt einen Unterschied?
Die Schritte werden lauter, und ich ziehe mir die Kapuze tiefer ins Gesicht. Dann unterbreche ich das Hörspiel, weil ich Bibis weinerlichen Monolog zur Rettung des Pferdehofs nicht mehr ertrage. Sie sollte lieber Geld für mich sammeln. Die Pferde haben doch bereits einen Pferdestall. Ich hingegen habe kein Geld, um nach Hause zu kommen, ich habe kein Geld für eine andere Unterkunft. Zudem will ich auf keinen Fall zurück in das Gebäude hinter mir, dafür nehme ich sogar eine Vereisung auf mich, aber irgendwo hinlaufen kann ich auch nicht. Wieso haben mich weder Schule noch Uni auf eine solche Situation vorbereitet? Wäre ein Survival Training in der wilden Natur nicht sinnvoller gewesen als die fünfzigste durchgekaute Staatstheorie irgendeines weißen Mannes? Ich starre auf den matschigen Asphalt, lasse der Verzweiflung und dem Schluchzen, das mir wie ein übergroßer Tennisball im Hals hängt, freien Lauf.
Plötzlich schieben sich Timberlands in mein verschwommenes Sichtfeld. Ich halte die Luft an und begreife überfordert, dass der Mann nicht an mir vorbeigelaufen ist. Er … steht vor mir. Langsam, als könne ihn eine zu schnelle Reaktion verschrecken, hebe ich den Kopf und sehe in das Gesicht eines Fremden. Eines … wirklich schönen Fremden. Jung, vielleicht ein paar Jahre älter als ich, aber bestimmt nicht mehr als zwei oder drei. Dunkler Dreitagebart, hohe Wangenknochen, volle Brauen und Lippen, und helle Augen, die sich keine Sekunde lang abwenden und jede Regung in meinem Gesicht aufzufangen versuchen. Eine gefühlte Ewigkeit steht er bloß einige Schritte vor den Treppenstufen und mustert überrascht meine verheulte Gestalt. Vor Verlegenheit wische ich mir grob über die nassen Wangen.
Alles cool, Bro, lauf einfach weiter, ich fühle mich gerade wohl in meinem Selbstmitleid, kein Grund zur Sorge, will ich sagen, als er sich räuspert.
»Ich glaube, ich bin hier, um dich zu retten«, sagt er in perfektem Englisch. Seine Stimme ist warm und tief, und mein Hirn assoziiert diese Eigenschaften direkt mit einem Gefühl von Vertrautheit, weil mein Selbsterhaltungstrieb offensichtlich nicht länger Teil von mir ist.
»Von all den Dingen, die du hättest sagen können, ist deine Wahl ausgerechnet auf diese Phrase gefallen?« Die Worte entweichen mir schneller, als ich hätte Luft holen können. Ich presse beide Handflächen auf meinen Mund und starre ihn mit aufgerissenen Augen an – und er sieht ähnlich perplex und mit geröteten Wangen zurück. Ich weiß auch so, dass ich nicht die besten Entscheidungen treffe, aber einen Fremden bei der Begrüßung zu beleidigen, das erstaunt sogar mich. Dabei sollte ich mir lieber Gedanken darum machen, dass dieser Mann definitiv nicht Aron ist. Dafür ist er Jahrzehnte zu jung. Es sei denn, er hat die Benjamin-Button-Krankheit und hat nicht nur ein paar Jahre verloren, sondern direkt mehrere Zentimeter gewonnen. Beruht der Film nicht sowieso auf einer wahren Begebenheit? Ich lasse die Hände sinken und betrachte ihn mit zur Seite geneigtem Kopf, bis ich mich dabei erwische, eine Ähnlichkeit zwischen ihm und Foto-Aron zu suchen. Dann wird mir bewusst, dass ich gerade dabei bin, mein Leben mit einem Brad-Pitt-Film zu vergleichen.
Oh, wow. Mir geht es wirklich nicht gut.
»Ich meinte eigentlich, dass ich nicht glaube, dass du mein Held bist«, antworte ich selbstsicherer, als ich mich tatsächlich fühle. »Denn du bist definitiv nicht Aron.«
Meine Stimmbänder schmerzen vom Heulen und der Kälte, und seine Lippen verziehen sich bei meinem Krächzen zu einem geraden Strich, als hätte ihn der Klang meiner angeschlagenen Stimme verärgert. Ich schlucke, obwohl er trotz seiner Größe nicht bedrohlich wirkt, aber sein strenger Gesichtsausdruck ist einschüchternd.
»Das hast du … gut beobachtet«, entgegnet er ruhig, doch so samten, dass der Teil von mir, der allgemein für meine schlechten Investitionen verantwortlich ist, locker tausend Euro bezahlen würde, um mir eine Gutenachtgeschichte von ihm vorlesen zu lassen. Dann breitet sich ein scheues Lächeln auf seinem Gesicht aus, das meine Knie in Wackelpudding verwandeln würde, wären sie nicht schon längst tiefgefroren. Dabei fällt mir auf, dass sein linker Vorderzahn ein kleines bisschen länger als der rechte ist, was ihn bloß noch attraktiver macht.
Und ich sollte ernsthaft meine Prioritäten überdenken.
»Aron ist vom Dach gefallen.«
Mein bestürzter Gesichtsausdruck ist offenbar nicht zu ignorieren, denn er schüttelt schnell den Kopf und hebt deeskalierend die Hände. »Keine Sorge, es geht ihm gut. Er und Helgi sind bloß zur Sicherheit ins Krankenhaus gefahren.« Er macht einen Schritt auf mich zu, was mich dazu zwingt, den Kopf in den Nacken zu legen und zu überlegen, wie viel Abstand ich halten sollte, falls ich aufspringen und mich in Sicherheit bringen muss. Nur sind seine Beine doppelt so lang wie meine, und ich habe sowieso bloß den Selbsterhaltungstrieb eines sehr trägen Steines.
»Helgi hat gesagt, sie hätte dir einige Nachrichten geschrieben und dass du eigentlich heute Nachmittag hättest landen sollen.«
Da ich keinen Handyempfang oder Internetzugang habe, sage ich nichts. Er könnte lügen. Dafür spricht, dass ich ein erschreckend leichtes Opfer abgebe. Dagegen spricht, dass er Helgis Namen und das B&B ins Spiel gebracht hat. Er zieht ein Handy aus der Tasche, ein altes Samsung-Modell mit schwarzem zerkratztem Gehäuse, das er mit einer fahrlässig unkreativen PIN entsperrt. Ich meine … vier Mal die Eins? Echt jetzt?
»Sie hat mir deine Mail weitergeleitet.«
Er macht einen weiteren vorsichtigen Schritt auf mich zu und hält mir das Handy vor die Nase. Schneeflocken fallen darauf, schmelzen und laufen quer über den Bildschirm. Und tatsächlich. Trotz der schlechten Bildauflösung ist klar meine Mailadresse im Senderfeld vermerkt. Ich bin schon dabei, zustimmend zu nicken, als mein Blick an seine rauen und zerstochenen Fingerkuppen hängen bleibt. Dann zieht er das Handy zurück und lässt es in seiner Tasche verschwinden.
»Zufrieden?«, fragt er nicht unfreundlich.
Ich presse die Lippen aufeinander, ohne zu antworten, weil ich wirklich keine Ahnung habe. Ich habe mit einer derartigen Konfrontation nicht gerechnet, sonst hätte ich einige Fangfragen oder so was vorbereitet. Alles, was mich nicht wie ein naives Dummchen dastehen lässt. Nur ist meine Stirn ein Eisklumpen, meine Zehen haben sich vor einer Stunde verabschiedet, und das Einzige, woran ich denken kann, ist Wärme, weil ich vollkommen davon überzeugt bin, dass mir niemals kälter war. Doch bevor ich irgendwo einsteige, muss ich … Ich ziehe mir mit angehaltenem Atem langsam die Kapuze vom Kopf. Sein ungerührter Blick wandert über mein Gesicht, streift meine Augen, meine Nase und verharrt kurz am Muttermal rechts von meinen Lippen, bevor er den Chiffonstoff auf meinem Kopf wahrnimmt. Dann schleicht sich ein langsames, aufrichtiges Lächeln auf seine Lippen, und meine verkrampften Lider schaffen es etwas, sich zu entspannen.
»Möchtest du vielleicht noch eine Kopie meines Personalausweises sehen oder so?«, fragt er, und seine Augen bekommen einen herausfordernden Glanz.
»Wieso, würdest du gern Alkohol bei mir kaufen?«, entgegne ich und nehme mit Freuden wahr, dass seine Augenbrauen vor Überraschung hochzucken.
»Ich, also …«, unterbricht er sich verwirrt, und ich muss mich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen.
Obwohl ich nichts lieber möchte, als aus dieser Kälte rauszukommen, sollte ich mir eine letzte Bestätigung einholen, um nicht in meinen sicheren Tod zu laufen. Statt also das auszusprechen, was ich wirklich denke – und zwar: Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du aussiehst wie eine Kombination aus Wikinger und Shampoo-Model –, verhalte ich mich lieber verantwortungsbewusst und frage misstrauisch: »Und wer bist du? Ein Mitarbeiter? Der Sohn?«
Seine Gesichtszüge verändern sich merklich, als ihm bewusst wird, dass er sich anscheinend nicht vorgestellt hat. »Ich bin ein Freund der Familie.«
»Hat der Freund der Familie auch einen Namen?«, frage ich weiter.
Er schmunzelt leicht. »Den hat er. Er lautet Nói.«
Nói. No-i. Ich lasse den Namen mehrmals über die Lippen wandern. »Hat dein Name eine Bedeutung?«, frage ich, weil ich trotz meiner jämmerlichen Verfassung anscheinend das Bedürfnis nach einer Unterhaltung verspüre. Wenn das so weitergeht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich ihn auch noch frage, welchen Conditioner er benutzt. Und weil der Peinlichkeit und Traurigkeit heute bekanntlich keine Grenzen gesetzt sind – und ich nach den letzten Tagen nach jeder Art von Zuspruch lechzte –, vielleicht sogar, ob er mich hübsch findet.
Aus seinem Schmunzeln wird ein Lächeln, das nur ein winziges kleines bisschen hinreißend ist. »Er bedeutet Ruhe oder kleines Boot.«
Ohne mein Zutun verziehen sich meine Lippen zu einem Lächeln. Ruhe. Kleines Boot. Weniger bedrohlich könnte ein Mann wohl nicht heißen.
»Und du bist …« Er sieht zurück auf sein Handydisplay.
Doch ich hebe die Hand, um ihn zu unterbrechen. Erstens kann ich in meiner derzeitigen Verfassung auf eine abenteuerliche Aussprache meines Namens verzichten. Ich kenne alle Varianten, dabei ist mein Name nicht einmal kompliziert. Höchstens unkonventionell, wenn man meinen Grundschullehrern und Uniprofessoren glaubt, die aufgrund des Namens Schwierigkeiten hatten, mein Geschlecht zu ermitteln. Unter den arabischen Namen gibt es weitaus größere Herausforderungen, was die Aussprache angeht – wie der Name meiner Mutter, Aaliyah, oder der meines Bruders Jalal. Mein Name ist im Gegensatz dazu lächerlich einfach auszusprechen und zu schreiben, auch wenn ich ihn nie auf Tassen oder Schlüsselanhängern im Schreibwarenladen gefunden habe.
Zweitens – und der Punkt ist möglicherweise ein bisschen weniger nachvollziehbar – fühlt sich der Name Kalima Aziz nach letzter Woche verbrannt an. Würde man an ihm riechen, wäre es der Geruch von verkohltem Fleisch vom Grillplatz, der einem die Nasenwände verätzt. Also sage ich: »Lima. Einfach nur Lima.«
»Okay, Einfach-nur-Lima.« Nói lächelt und schiebt sich die Hände in die Jackentaschen. »Wie sehr schmälert es dein Vertrauen in mich, wenn ich lieber im Auto weiterreden würde?«
Die beißende Windböe, die über den Parkplatz bläst, beantwortet die Frage von selbst. Ich richte mich aufs Geländer gestützt auf, weil meine Beine eingeschlafen oder vereist sind, und strecke die Extremitäten probeweise von mir, als wäre ich eine Ballerina, die sich gerade aufwärmt.
»Ich … kann ich was tun?«, fragt er betont ausdruckslos, als er merkt, dass meine Gelenke nicht mitspielen.
»Nein, Moment.« Ich stütze mich auf meinen Koffer, bevor er danach greifen kann, und taumle neben ihm her. Tausend kleine Nadelstiche bohren sich in meine Haut, was ich bemüht weglächle.
»Also … ich kann den Koffer nehmen … du müsstest keine Angst haben, dass ich dir was klaue. Deine Klamotten würden mir vermutlich nicht stehen«, sagt er plötzlich und übertönt dabei meinen lauten angestrengten Atem.
»Ach was, lass dir bloß nichts von der Gesellschaft einreden. Mit deinen Beinen kannst du alles tragen«, kontere ich gelassen, und er quittiert meine Antwort erneut mit einem verwunderten Blick, bevor er ein weiteres schiefes Lächeln formt.
Gewöhn dich dran, ich bin lustig, will ich sagen. Verzichte aber darauf, weil der Satz wirklich superjämmerlich klingt und ich oft die Einzige bin, die dieser Meinung ist.
Angeblich ist der einzig richtige Weg mein eigener, aber dann dürfte ich doch nicht so lost sein, oder?
Die Sitzheizung ist ein Geschenk des Himmels. Ich setze mich auf meine eingefrorenen Hände und unterdrücke ein wohliges Aufstöhnen, als das Blut wieder zurück in meine Finger zirkuliert.
»Besser?«, fragt Nói leise. Er sitzt auf dem Fahrersitz neben mir und hat mich die letzten Minuten auf eine Art und Weise intensiv gemustert, die mich schmerzlich hat bereuen lassen, meine Hautpflege-Routine in letzter Zeit vernachlässigt zu haben. Einige Haarsträhnen kleben ihm noch nass auf der Stirn, während der Rest seines Kopfes unter dunkelblonden Locken vergraben ist. Er trägt fast das gleiche langärmlige Jerseyshirt wie ich, nur ist seins beige, sauber und steht ihm mit den breiten Schultern und den sehnigen Armen sehr viel besser als mir.
»Ja.« Ich schenke ihm das dankbarste Lächeln, zu dem ich fähig bin, als von hinten ein protestierendes Grunzen ertönt.
»Jetzt stell dich nicht so an«, quittiert Nói die Reaktion des Typen auf dem Rücksitz, der sich mir als Magnús vorgestellt hat. Nun, nicht direkt vorgestellt. Im Grunde hat er lediglich von seiner Fruit Ninja-Partie auf dem iPad hochgesehen, mich mit glasigen Augen gemustert, bevor er widerwillig nach hinten verschwunden ist. Ich hätte auch mit dem Rücksitz vorliebgenommen, aber ich werde nichts abschlagen, was mich dieser Heizung näher bringt.
»Das ist übrigens Magnús«, hat Nói mir anschließend zugeraunt. Und obwohl Magnús mit den dunklen Knopfaugen und den kurz geschorenen Haaren erschreckende Ähnlichkeit mit Dylan O’Brien hat, kann ich ihm bis jetzt nicht so wirklich das gleiche Sympathielevel einräumen. Vielleicht, weil er den Angriff auf den Beifahrersitz persönlich zu nehmen scheint.
Nói wendet die Augen kurz von der Fahrbahn ab, um sich mir zuzuwenden. »Er ist angetrunken und sauer auf mich.«
»Okay«, antworte ich, als würde das irgendwas an der schrägen Dynamik hier erklären.
»Und wenn er angetrunken und sauer ist, ist er sauer auf die Welt und will mir beweisen, wie sehr er niemanden braucht.«
»Ich brauche auch niemanden. Ich bin ein einsamer Wolf, wie Vinur«, kommt es theatralisch vom Rücksitz.
Obwohl ich keinen Plan habe, wer Vinur ist, kann ich das aufkommende Lachen nicht unterdrücken. Und mich nennt Sanju Dralima … Vielleicht braucht Magnús’ dramatisches Alter Ego auch einen Namen. Falls er sich jemals die Mühe macht, mit mir zu sprechen, schlage ich ihm Dragnús vor.
»Ja, und wenn er angetrunken ist, ist er wieder vier Jahre alt«, stellt Nói schmunzelnd klar.
Ah, das erklärt einiges.
»Ja, und weißt du, was noch war, als ich vier war?«, mault Magnús. Sein Arm erscheint auf einmal zwischen den Sitzen, den weinroten Pulli bis zum Ellbogen hochgekrempelt, ein dünnes schwarzes Band um den Arm. »Da hast du mir das hier als Freundschaftsbeweis geschenkt. Aber jetzt scheißt du einfach drauf. Wahrscheinlich hat sich Cäsar auch so gefühlt, als er von Brutus verraten wurde.«
Magnús’ Arm verschwindet wieder, und ich kann die Worte nicht verstehen, die er vor sich hin murmelt … vermutlich ist es Isländisch, aber um das sicher sagen zu können, müsste ich die Sprache verstehen. Stattdessen konzentriere ich mich auf das, was er zuvor gesagt hat, und mustere Nói mit hochgezogenen Augenbrauen. Doch der zuckt bloß die Schultern und wechselt die Spur, als wäre es ihm gleichgültig, dass Magnús seinen Verrat mit einem Mordkomplott gleichsetzt.
Der Schnee hat sich mittlerweile in eisigen Schneeregen verwandelt, der nicht länger sanft gegen die Scheibe klopft, sondern regelrecht auf sie einschlägt. Ich vermeide einen Blick in den Spiegel, weil mir mein Anblick mit Sicherheit Gänsehaut bescheren würde. Ich habe die starke Vermutung, dass ich große Ähnlichkeit mit diesen armen Seelen habe, die nach einem Schiffswrack auf einer einsamen Insel überleben mussten. Magnús startet eine neue Runde Fruit Ninja, die er erst auf stumm stellt, als Nói ihn mit einem Todesblick dazu auffordert. Dann ist es still auf dem Rücksitz. Wir passieren beleuchtete Ortsschilder der verödeten Autobahn. Ich atme tief aus, und die Anspannung, die meinen Körper die letzten Stunden wach gehalten hat, perlt von meiner Haut. Das sanfte Schaukeln des Wagens lässt meine Augen schwer werden, bis ich es gar nicht mehr schaffe, sie offen zu halten.
»Frage!«, ruft Magnús von hinten.
Ich schrecke wieder hoch, die Hand auf die Brust gepresst. Schätze, das habe ich verdient. Schließlich befinde ich mich immer noch in einem fremden Auto und habe noch nicht zu hundert Prozent sichergestellt, dass ich den heutigen Tag überlebe. Vielleicht sollte Schlaf gerade nicht meine höhste Priorität sein.
Nói wirft ihm einen bösen Blick zu. »Sie war dabei, einzuschlafen.« Dann schiebt er noch was Isländisches nach, was ich nicht verstehe, Magnús aber nicht im Mindesten zu interessieren scheint.
»Also.« Sein Kopf erscheint zwischen den Sitzen. »Geht’s um das Schaf oder um die Terrasse?« Die Frage geht eindeutig an Nói, der nicht halb so interessiert ist, wie Magnús es anscheinend erwartet.
»Ich habe was gegen den Teil, bei dem du meine Zeit verschwendest«, antwortet Nói genervt. Er setzt den Blinker, drosselt die Geschwindigkeit und fährt auf den Parkplatz eines hell erleuchteten Minimarkts, der in der dunklen Umgebung wie die Kulisse eines Raubüberfalldramas wirkt.
»Hättest du gerne was?«, fragt er eine Spur sanfter an mich gewandt, während er die Handbremse zieht.
Ich schüttle den Kopf, obwohl ich krass hungrig bin. Nur möchte ich weder aufdringlich erscheinen noch aus dem beheizten Paradies steigen. Er verzieht die Lippen, als wäre er unzufrieden mit der Antwort, nickt aber trotzdem.
»Bin gleich wieder da, aber ich lasse den Motor wegen der Heizung an. Leg das auf deine Beine.«
Er wartet meine Antwort erst gar nicht ab, sondern greift nach hinten zu seinem leicht feuchten Mantel und legt ihn mir auf die Oberschenkel, bevor er aussteigt und das Auto umrundet. Magnús schält sich sofort aus seinem Sitz und rennt ihm hinterher.
Ich weiß nicht, ob ich beleidigt oder erleichtert sein soll, schlüpfe aber dennoch aus den durchweichten Sneakern, ziehe die Beine auf den Sitz und befördere den Rucksack in den Fußraum, bevor ich seine Decke auf meinem Körper ausbreite. Meine Socken sind nass, und mit Sicherheit müffeln sie, aber besser das als die Lungenentzündung, die ich mir sonst zuziehen werde. Ich sollte mein Handy auf Empfang überprüfen. Und meiner Mutter anschließend mitteilen, dass ich gut gelandet bin. Sanju schreiben, dass ich für unbestimmte Zeit in Island bleibe, mich informieren, wie teuer das Datenroaming ist … doch ich lasse es. Ich schlinge die Arme um die Knie und drücke mein Gesicht darauf. Ich habe gerade mal die erste Etappe hinter mich gebracht – die Ankunft in Island – und bin absolut ausgelaugt. Fühlt sich an, wie die erste Prüfung der Klausurenphase hinter sich zu bringen und bereits körperlich und mental vollkommen am Ende zu sein, obwohl noch vier weitere Prüfungen auf einen warten.
Es dauert nicht lange, bis sich Nói wieder auf den Fahrersitz schiebt, in seinen Händen zwei Pappbecher mit großen pinken Blasen, die an eine Lavalampe erinnern.
»Tee oder Kakao?«, fragt er.
Was? »Ich wollte doch nichts.«
»Ich weiß, aber deine Lippen sind immer noch blau, und du zitterst«, antwortet er ernst und betont kühl.
Einen Moment ist es vollkommen still, bis ich zögerlich nach einem der Pappbecher greife. »Danke«, flüstere ich leise und nippe an dem Getränk. Kräutertee. Die heiße Flüssigkeit haucht meinen rissigen Lippen Leben ein.
»So, jetzt hat sie ihr warmes Getränk bekommen, können wir endlich weiter?«, fragt Magnús, nachdem er laut röchelnd, als würde er einen Berg besteigen, zurück ins Auto geklettert ist.
»Ja, können wir«, antwortet Nói, und mir wird bewusst, dass wir extra meinetwegen hier angehalten haben. Weil er nicht möchte, dass ich zittere. Ich ignoriere das nervöse Flattern in meiner Brust.
»Also, da du ja jetzt dein Getränk bekommen hast und Nói aus Sorge um dich nicht mehr umkommt, kannst du mir vielleicht eine Frage beantworten … äh …«
»Lima«, stelle ich mich vor.
»Lima. Ich weiß nicht, ob du den großen Flughafen bemerkt hast, der hinter der Treppe steht, auf der du fast erfroren bist, aber wieso hast du nicht einfach drin gewartet?«
Nói hält den Blick konzentriert nach vorne, und mir wird klar, dass sie im Supermarkt vermutlich darüber gesprochen haben. »Ich habe die … Natur genossen?«
Nóis Augenbrauen kriechen seine Stirn empor. Meine Lügen sind sonst wirklich überzeugender, aber um ehrlich zu sein, fehlt mir die Kraft für eine plausible Ausrede.
»Im Flughafengebäude war so ein Mann, der mich komisch angeschaut hat, und …« Ich unterbreche mich, als Nói den Blick von der Straße abwendet und mich absolut geschockt anstarrt.
»Er hat nichts getan, es ist nichts passiert«, antworte ich schnell und bedeute ihm, sich wieder der Straße zuzuwenden. Auf keinen Fall will ich in einem Autowrack auf einer isländischen Landstraße enden. Das wäre selbst für meine Verhältnisse zu melodramatisch.
»Der Flughafen war leer, und ich weiß nicht, ob er da gearbeitet oder auf seinen Flug gewartet hat, aber er hat mich die ganze Zeit angeschaut und hat sich in den zehn Minuten, in denen ich drin gewartet habe, andauernd umgesetzt und saß zuletzt fast neben mir. Da …« Ich atme lauter als beabsichtigt. »Da habe ich Panik bekommen und bin rausgegangen.«
Es ist manchmal irgendwie komisch, ich zu sein. Ich kann nie deuten, was das Starren von Menschen bedeutet. Ich weiß nicht, ob sie finden, dass ich einfach hübsch anzusehen bin, oder … etwas weniger Schmeichelhaftes. Und ich hatte beim besten Willen kein Interesse daran, es herauszufinden.
Keiner von ihnen sagt etwas, doch ich bemerke die wütenden Blicke, die sie sich im Rückspiegel zuwerfen.
Vermutlich war es nicht unbedingt klug, mich anschließend mutterseelenallein auf den Parkplatz zu hocken, aber ich wollte um jeden Preis möglichst weit weg von ihm sein, und eine andere Option hatte ich schließlich nicht.
»Aber dir geht’s gut?« Nóis Stimme klingt dünn und unsicher. Besorgt.
»Ja, ja wirklich, das war nur meine Paranoia. Alles ist gut. Tut mir leid.« Ich nicke bekräftigend und zwinge mich zu einem Lächeln.
Gerade überlege ich, drei, vier Witze über meine allgemeine Unsicherheit zu machen, da dreht er sich zu mir und taxiert mein Gesicht. »Es gibt nichts, was dir leidtun müsste, Lima. Es tut mir leid, dass wir zu spät waren und du der Situation ausgesetzt warst.«
Dann wendet er sich mit versteinerter Miene wieder zur Straße, und eine so vehemente Stille kehrt ein, dass ich mich kaum traue, zu atmen.
Ich habe offiziell die Stimmung gekillt, wie eine Tante, die während eines Familiendinners fragt, wann man die Uni abschließt. Oder noch schlimmer: Wann man endlich heiratet. Ich reibe mir über die Leggings und denke angestrengt nach. Als bekennende Small-Talk-Queen dürfte es doch nicht allzu schwer sein, ein passendes Gesprächsthema zu finden. Das Wetter fällt allerdings erst mal weg. Small-Talk über das Wetter hat mir zu dieser ohrenbetäubenden Stille verholfen.
»Also …«, sage ich lang gezogen und spüre sofort die geballte Aufmerksamkeit des Wagens auf mir. »Worum geht’s bei der Schafsache?«
Einen Moment kehrt wieder Stille ein, bevor Magnús ein »Schön, dass du fragst« von sich gibt, während Nói zeitgleich »Das willst du nicht wissen« grummelt.
»Oh, und ob ich will!« Ich lache erleichtert und schiebe meinen Fuß unter den mittlerweile trockenen Hintern.
Magnús verliert keine Zeit und steckt sein Gesicht wieder zwischen unsere Sitze. »Also, stell dir vor, du willst dich an jemandem rächen …«
Als er mir fünf Minuten später sämtliche Feinheiten seines Plans erläutert hat, nehme ich mir einige Sekunden, um die passende Reaktion für meine Gefühle zu wählen. »Das ist absolut genial.«
»Wirklich?«, fragen beide wie aus einem Mund. Magnús begeistert, Nói absolut entsetzt.
Ich presse die Lippen zu einem entschuldigenden Lächeln zusammen. »Nein, der Plan ist leider wirklich furchtbar«, antworte ich wahrheitsgemäß, und Magnús fällt vollkommen in sich zusammen. Definitiv Dragnús.
Ich drehe mich so gut es auf dem Vordersitz geht zu ihm um und schenke ihm ein aufmunterndes Lächeln. »Vielleicht solltest du eher dein Leben leben, so großartig wie nur irgendwie möglich, und ihr zeigen, was sie verloren hat.« Ein bisschen ironisch, dass dieser Tipp ausgerechnet von mir kommt.
Neben mir beißt sich Nói auf die Lippen, sicherlich, um nicht laut loszulachen, während Magnús »Das ist absolut genial!« ruft.
Oh wow. Derartig starke Euphorie für einen Spruch aus einem Poesiealbum habe ich beim besten Willen nicht erwartet. Ich nehme einen Schluck aus dem Pappbecher und genieße die Wärme, die sich in meinem Bauch ausbreitet. Befriedigt denke ich darüber nach, dass ich gerade jemandes Leben verändert habe. Ich schätze, das war meine gute Tat des Tages. Noch zwei, drei Millionen Karmapunkte mehr, und ich stecke vielleicht nicht mehr in der Scheiße.
»Moment mal«, schaltet Nói sich nun ein. »Seit sieben Jahren nervst du mich schon damit, und dann kommt sie mit einem Spruch um die Ecke und du bist über deine Rachsucht hinweg?«
Magnús setzt zu einer Antwort an, doch ich komme ihm zuvor. »Moment mal, nur weil der Spruch absolut unoriginell ist, ändert es nichts an seiner Qualität«, verteidige ich meine Weisheit.
»Ich habe aber noch einen anderen Plan«, sagt Magnús, als hätte es den winzigen Schlagabtausch zwischen mir und Nói nie gegeben.
»Wir könnten auch zu ihr fahren und sie eifersüchtig machen.«
»Was?« Nóis Lächeln ist vollkommen aus seinem Gesicht verschwunden. »Statt dem Schaf willst du ihr jetzt ein Mädchen auf die Terrasse setzen?«
»Na ja … sie hat das doch im Prinzip vorgeschlagen«, brummt Magnús unschuldig.
Ich runzle die Stirn. Ist er etwa einer dieser Typen, die jede harmlose Geste einer Frau als Flirtbeweis interpretieren? Ich drehe mich zu Nói, der mir einen Ich habe dich gewarnt-Blick schenkt.
»Deine Warnung war nicht eindeutig genug«, antworte ich und beobachte, wie sein Blick immer wieder zu dem Kakaobecher fliegt.
Seine Hände liegen vorbildlich auf dem Lenkrad, und die Geschwindigkeit, in der wir uns bewegen, ist definitiv zu hoch, um damit aufzuhören. Kurzerhand greife ich danach, beuge mich zu ihm und halte ihm den Becher an die Lippen. Einen Moment verharrt er in der Bewegung – offensichtlich überrascht, dass ich die Initiative ergriffen habe –, ehe er den Mund öffnet.
»Danke«, sagt er leise, und meine Mundwinkel heben sich leicht, als ich den Becher zurück in die Halterung stelle und wieder in die Dunkelheit außerhalb des Autos starre.
»Also fahren wir jetzt zu ihrem Haus oder was?«, unterbricht Magnús die angenehme Stille.
Verwirrt drehe ich mich zu Nói. »Ich habe nicht das Gefühl, als würde er den Kern meiner Aussage verstehen«, murmle ich. »Sind wir überhaupt sicher, dass die beiden jemals zusammen waren? Nicht, dass sie ihn bloß aus Höflichkeit angelächelt hat, oder einfach bloß nach der Uhrzeit gefragt oder so.«
Aus Nói bricht ein tiefes Lachen, was mich unweigerlich mitlachen lässt. »Ich muss dich enttäuschen. Die beiden waren wirklich zusammen. Sie haben sich sogar einen Instagram-Account geteilt«, flüstert er verschwörerisch.
Ich verschlucke mich an meinem letzten Schluck Tee und wische mir hustend über den Mund. »Das ist der höchste Grad an Intimität, den zwei Menschen erreichen können«, sage ich mit sarkasmustriefender Stimme.
Nói nickt bekräftigend. Dann verziehen sich seine Mundwinkel zu einem Schmunzeln. »Und dabei waren sie nur zwei Wochen zusammen.«
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Between My Worlds erscheint am 02.09.2024.
Gabriella Engelmann
Roman
Wenn Schnee die Dächer von Lüttebys Giebelhäuschen ziert, ähnelt der Küstenort an der Nordsee einem nostalgischen Adventskalender. Doch hinter den heimelig leuchtenden Fenstern wartet so manches Geheimnis darauf, gelüftet zu werden: Lina und Jonas sind frischverheiratet, doch Lina sorgt sich um die Verwirklichung ihres Kinderwunsches. Wird der Fluch, der auf allen Frauen der Familie Hansen lastet, auch sie ereilen? Wie soll Pastorin Sinje damit umgehen, dass die Tochter von Sven ihrem Glück im Weg steht? Und warum taucht die verloren geglaubte Liebe von Amelie plötzlich in ihrem französischen Café auf? Zu allem Übel zieht an Weihnachten ein gefährlicher Sturm auf und bedroht das zauberhafte Lütteby, so wie es die Sage einst prophezeit hat …
Der Ausblick vom Kirchturm auf einen malerischen Ort irgendwo in der Nähe der Nordsee war der schönste, den Lina Hansen kannte.
Als sie von der umlaufenden Galerie auf den Platz inmitten des Städtchens Lütteby hinabschaute, den alle den Marktplatz am Meer nannten, wurde ihr Herz für gewöhnlich warm vor Freude und Glück. Diesen Platz umsäumten hübsche, teils windschiefe Giebelhäuschen, einige von ihnen hellgelb getüncht, andere blassrosa, weiß oder hellblau. Im Winter, wenn der Schnee auf den Dächern lag wie Schlagsahne auf der Friesentorte, ähnelte die Szenerie einem Adventskalender.
Doch der Schnee war nicht immer willkommen und – wie zur Weihnachtszeit – herbeigesehnt.
Nordfriesland kannte Zeiten, in denen die weiße Pracht sich meterhoch türmte, Zufahrtstraßen unpassierbar machte, Autos und Häuser unter sich begrub, Menschenleben forderte und Dörfer von der Außenwelt abschnitt.
Und es kannte Zeiten, in denen heftige Orkane wüteten und schwere Sturmfluten das Land verwüsteten.
Eine ebenso große Katastrophe, so munkelten die Altvorderen, stand erneut bevor und würde den Ort Lütteby besonders hart treffen.
Wann dies genau geschehen würde, wusste keiner.
Doch wenn die Nymphen, Kobolde, die Unterirdischen und Pucks sich in langen Winternächten auf dem spiegelblanken Eis des Sees auf der Waldanhöhe gemeinsam vergnügten … Wenn das fahle Mondlicht auf sie schien und der raue Wind ihr Kichern weit hinaus über die Nordsee trug und die Kirchenglocken nicht mehr läuteten, dann gab es kein Entrinnen …
Lina
Ein wenig müde blinzelte Lina Hansen an einem Morgen Anfang November in Richtung des Schlafzimmerfensters, durch dessen naturfarbene Leinengardinen Licht schimmerte. Laut Vorhersage würde es heute windig, aber sonnig werden. Dieses schöne Wetter wollte sie für einen ausgiebigen Spaziergang mit ihrem Ehemann Jonas nutzen, denn sie liebte es, Hand in Hand mit ihm umherzuflanieren, in Ruhe zu reden oder die Schönheit der Natur zu bestaunen.
Der Status Ehefrau fühlte sich für sie immer noch so aufregend an wie am Tag der Trauung. Aber waren wirklich schon mehrere Monate seit ihrer Traumhochzeit am Strand von Lütteby vergangen? In Linas Bauch tanzten die Schmetterlinge nach wie vor einen gefühlvollen Pas de deux, wenn sie Jonas anschaute, sein Duft sie wohlig umhüllte, er sie im Arm hielt oder küsste. Er war das Wunder, auf das sie schon immer gewartet hatte, seit sie den Traum von der großen Liebe träumte. Und so zählten die vergangenen Wochen zu den schönsten ihres Lebens. Alles, was noch fehlte, um das Glück zu krönen, waren Kinder, die sie sich beide von Herzen wünschten. Dennoch hatten sie gemeinsam vor der Hochzeit beschlossen, sich damit noch ein wenig Zeit zu lassen. Doch beim Anblick von Jonas wurde Lina von einer Welle der Zärtlichkeit erfasst und hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr eine Sekunde länger warten zu wollen. Das Leben war zu kurz für irgendwann, und sie konnte sich ihn so gut als Vater vorstellen. Wäre da nur nicht das leidige Problem ihrer Fernbeziehung …
»Guten Morgen, meine Liebste«, murmelte Jonas, der in diesem Moment erwachte und mit halb geschlossenen Augenlidern nach ihrer Hand tastete. »Ich bin noch total müde. Wieso schläfst du nicht auch noch ein bisschen weiter? Heute ist Samstag, und wir haben nichts weiter vor, also kuschle dich einfach bei mir an. Wir verbringen ohnehin viel zu wenig Zeit gemeinsam in einem Bett.«
Auch wenn Lina eigentlich geplant hatte, Kaffee und Tee für sie beide zu kochen, ließ sie sich von Jonas’ Worten verlocken und schmiegte sich an seinen bettwarmen Körper. »Wie lange wird das noch so gehen?«, murmelte sie, in Gedanken bei ihrem Kinderwunsch.
»Was genau meinst du?«, fragte Jonas und drehte sich mit dem Gesicht zu ihr. »Das mit uns im Allgemeinen? Keine schöne Frage so kurz nach der Hochzeit.« Sein Tonfall war neckend, umso schwerer fiel es Lina, zu sagen, was sie unbedingt loswerden wollte, seit Jonas in der vergangenen Woche mal wieder länger als geplant auf Geschäftsreise gewesen war.
»Ich meine unsere Fernbeziehung«, erwiderte sie seufzend. »Ich will mich nicht beschweren, aber ich denke schon seit einer Weile darüber nach, wie das alles laufen soll, wenn wir Kinder haben. Ich bin sechsunddreißig, also nicht mehr die Allerjüngste, was die Familienplanung betrifft.«
Jonas seufzte tief, schlug die Bettdecke beiseite und stand unvermittelt auf. »Ich hole uns was zu trinken, dann reden wir weiter«, erklärte er und ließ Lina ein wenig verdutzt zurück. Kurz darauf kam er mit einem Tablett in der Hand wieder. »Wollen wir uns ans Erkerfenster setzen?«
»Können wir gern machen«, erwiderte Lina, zog den flauschigen Bademantel an, der am Fußende des Bettes lag, und nahm Jonas gegenüber am runden Tischchen mit der Marmorplatte Platz. »Danke fürs Teekochen. Sag mal, habe ich dich irgendwie verärgert? Wir waren uns doch einig, dass wir uns eine Familie wünschen und dass diese große Villa förmlich dazu einlädt, mit Kinderlachen gefüllt zu werden, oder hat sich daran etwas geändert?«
Jonas schüttelte den Kopf, das Sonnenlicht tanzte auf seinen dunkelblonden Haaren. »Ich bin so ernst, weil mich dieses Thema genauso sehr beschäftigt wie dich, ich aber leider gerade keine Lösung parat habe. Die Reisebranche stürzt von einer Krise in die nächste, und ich weiß nicht, wie und wo ich so gut verdienen könnte wie in meinem momentanen Job. Wir haben doch schon gemeinsam alle beruflichen Optionen in der Gegend ausgelotet, aber es gibt leider keine adäquaten.«
»Und es gibt vermutlich nach wie vor keine Möglichkeit, nahezu ausschließlich von Lütteby aus für deine Firma zu arbeiten?«
»Das war noch anders, als Glampingreisen heiß begehrt waren«, entgegnete Jonas kopfschüttelnd. »Doch zurzeit sitzt das Geld für Urlaub nicht mehr so locker. Deshalb muss ich leider nach wie vor weiter um die halbe Welt jetten, Werbepartner und Sponsoren finden und Kooperationen vereinbaren, was nun mal am besten funktioniert, wenn man persönlich vor Ort ist.«
»Lütteby könnte auch einen gut geführten Campingplatz gebrauchen«, murmelte Lina, die sich als Leiterin der Touristeninformation beruflich mit solchen Themen beschäftigte.
»Das stimmt«, erwiderte Jonas. »Aber ich wäre nicht der Typ, der einen Campingplatz führt. Nein, nein, ich muss mir etwas anderes ausdenken. Vielleicht fällt uns bei einem Spaziergang am Meer etwas ein. Nordseeluft pustet ja bekanntlich den Kopf frei und vertreibt gelegentlich auch Sorgenwolken.«
»Ist das nicht herrlich?«, sagte Lina, als sie später am Hafen von Lütteby standen, in dem zu dieser Jahreszeit nur wenige Boote festgemacht waren. Das grünliche Wasser kräuselte sich im Hafenbecken, die Stege waren verwaist, über allem lag eine himmlische Ruhe. Nur der Wind verfing sich in den Masten eines Fischkutters und sang seine harfenähnliche Melodie, die sich mit dem Gesang der Austernfischer und der Sandregenpfeifer mischte.
»Die Sonne tut so gut, ich spüre richtig, wie sich jede Zelle meines inneren Akkus auflädt, auch wenn es ganz schön eisig ist«, sagte Lina versonnen und träumte schon von einem sommerlichen Ausflug mit kleinen Kindern an Bord der Florence. Dieses Boot, das auch auf raueren Gewässern und bei Wellengang fahrtauglich war, gehörte ihr, seit ihre Großmutter Henrikje sich zu alt zum Rudern fühlte. Jonas legte den Arm um sie, und so standen beide eine Weile eng umschlungen da und hielten das Gesicht in die wohltuende Mittagssonne. Das sanfte Plätschern der Nordsee im Hafenbecken hatte etwas Beruhigendes, genau wie der Anblick der Seevögel am weiten Himmel. Doch irgendwann wurde es zu kalt, um unbeweglich an einem Fleck zu stehen, außerdem war Lina neugierig. »Lass uns zum Leuchtturm gehen und schauen, wie weit die Bauarbeiten fortgeschritten sind«, schlug sie vor und wackelte mit den Zehen, damit ihre Füße in den gefütterten Stiefeln nicht auskühlten.
»Gute Idee«, stimmte Jonas zu, der seit Beginn der Umbaumaßnahmen ebenso begeistert verfolgte, wie sich das Wahrzeichen Lüttebys – und der Ort, an dem sie sich zum ersten Mal geliebt hatten – nach und nach in ein schnuckeliges Romantikhotel verwandelte. »Wollen wir rein?«, fragte er, als sie vor dem Bau standen, und Lina bekam sofort Gänsehaut. An diesem Ort war ihr im vergangenen Jahr klar geworden, dass sie sich unsterblich in ihn verliebt hatte.