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Beschreibung

“Ein garstig Lied, ein politisch Lied”? Von wegen: Arbeiterlieder waren die Protestsongs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sie wurden von Millionen Menschen intoniert. Doch wer weiß heute schon noch, dass ein populärer Slogan wie “Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will” aus Georg Herweghs “Bundeslied” stammt, und zur Melodie “Schleswig Holstein meerumschlungen” gesungen wurde? Oder dass Udo Jürgens Schlager “Lieb Vaterland, wofür soll ich dir danken?” eine Kontrafaktur der “Wacht am Rhein” ist, und in einer Traditionslinie der sozialistischen “alternative culture” steht? Gerade nach 1945 gerieten viele Lieder und Melodien in Vergessenheit. Dafür kamen neue dazu, die Hymne der Ostermarschierer ebenso wie die Hits von Ton, Steine, Scherben. “Trotz alledem” macht sich auf die Spuren des politischen Lieds in Deutschland - vom Klassiker “Die Gedanken sind frei” bis zum Rap “Wir sind nicht die Roboter der Deutschland-AG”.

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Trotz alledem

Kleine Geschichte 

des politischen Liedes 

in Deutschland

(1789 - 2000)

von

Ansgar Warner

editionscience & culture

Impressum

 Copyright © 2024

krautpublishing

Dr. Ansgar Warner

Rungestr. 20 (V)

10179 Berlin

Veröffentlicht überTolino Media

Songs von den brennenden Zeitfragen

Deutschland an einem Samstag, irgendwann in den Nuller Jahren des 21. Jahrhunderts. Der DGB hat unter dem Motto "Das geht auch besser" zu bundesweiten Demonstrationen aufgerufen. In Frankfurt am Main sind zehntausende Menschen mit roten Buttons und roten Fahnen auf der Straße. Der Block der DGB-Jugend wird von einem großen LKW angeführt. Direkt von der Laderampe herab improvisiert ein deutsch-türkischer Rapper der Gruppe Microphone Mafia über ein schnurloses Mikro Polit-Sprechgesänge: "Wir sind nicht die Roboter der Deutschland-AG!" Die Menge antwortet mit rhythmischem Klatschen. Zwischen den Rap-Pausen wird Musik vom Band gespielt. Das Partisanenlied "Bella Ciao" ist zu hören, Brechts "Solidaritätslied" und schließlich: "Dem Morgenrot entgegen". Wenn man sich umblickt, stellt man fest: gerade die jungen Kolleginnen und Kollegen rechts und links singen mit, zumindest den Refrain. Verstärkt durch das Playback aus den Boxen schallen zahllose Stimmen durch die Straßenschluchten des Frankfurter Bankenviertels: "Vorwärts, du junge Garde, des Proletariats!" Man hat den Eindruck: Das Lied vom Beginn des 20. Jahrhunderts ist in diesem Moment ihr Lied, genauso wie die Straße an diesem Tag ihnen gehört. An manchem Lächeln in den Gesichtern der Marschierenden meint man aber auch erkennen zu können: im Vergleich zum Live-Rap sind Text und Melodie doch ganz schön weit weg...

Nähe und Ferne zugleich - das ist wohl typisch für das heutige Verhältnis zu einer Tradition, die nicht nur mit "Lyrics" und "Liner-Notes" zu tun hat, sondern auch mit Gesang, und zwar Gesang ohne Karaoke-Maschine. Lieder beherrschen zwar immer noch den Alltag der Massen, doch vermittelt über die Massenmedien. Lieder hört man sich an, man singt sie nicht mehr selbst, man singt sie höchsten noch mit, zum Beispiel auf Live-Konzerten. Doch sind das überhaupt noch Lieder, oder sind es Songs?

"Wenn man gut singen kann, singt man ein Lied. Wenn man nicht so gut singen kann, singt man einen Chanson. Wenn man aber gar nicht singen kann, singt man einen Song". So kündigt 1932 die Berliner Kabarett-Truppe Die Nachrichter dem Publikum ihren "Song von den brennenden Zeitfragen" an (die dann, denn es geht ja um Kabarett, im Song gerade nicht vorkommen...). Die Zuhörer der Dreissiger Jahre wußten offenbar ganz genau, was mit der Unterscheidung zwischen Liedern, Chansons und Songs gemeint war. Denn neben der Unterhaltungsmusik, die auch damals schon als Aufzeichnung von der Schallplatte bzw. im Radio hören konnte, erlebten sie in ihrem Alltag die Ausläufer einer heutzutage ausgestorbenen Tradition: die des mündlich überlieferten Arbeiter- und Volksliedes. Man sang die Lieder in der Familie oder bei der Arbeit, alleine oder gemeinsam, man sang sie aber auch auf öffentlichen Versammlungen oder beim Demonstrieren. Und viele Menschen sangen in ihrer begrenzten Freizeit semiprofessionell. Die sogenannte "Arbeitersängerbewegung" war - neben Abendschulen und Sportvereinen - eines der wichtigsten Elemente der Arbeiterkultur; in der Weimarer Republik zählte diese Bewegung ca. 280.000 Mitglieder.

Auch der erste "Kontakt" von Kindern und Jugendlichen mit Liedern fand aktiv statt, denn im Handwerker- und Arbeitermilieu sangen Alt und Jung - wie wir heute sagen würden - "generationenübergreifend" zusammen. Ein pensionierter Berliner Arbeiter erinnerte sich in den 1950er Jahren in einem Gespräch mit der Arbeiterlied-Forscherin Ingrid Lammel an diese Zeit:

"So war z.B. mein Vater, wenn er auf seinem Schusterschemel saß, ohne Singen gar nicht denkbar. Er sang alles mögliche und dazwischen natürlich Arbeiterlieder. Und sein Hammer klopfte den Takt dazu. Wir Kinder haben hierbei alle Lieder kennengelernt und feste mitgesungen."

"Alles mögliche und dazwischen Arbeiterlieder" - das weist darauf hin, dass die Trennung zwischen Arbeiter- und Volksliedern gar nicht so einfach ist. Oft hatten sie dieselben Melodien: So steht etwa über dem Text des vor rund 150 Jahren von Ludwig Würker geschriebenen Liedes "Arbeitertreue" die Bemerkung: nach der Melodie von "Es zogen drei Burschen wohl über den Rhein" zu singen. Und so erklärt sich auch der heutzutage skuril klingende Hinweis über dem "Bundeslied" des von Ferdinand Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (1869 in der SPD aufgegangen): zu singen nach der Melodie von "Schleswig Holstein meerumschlungen". Auch wenn uns die Melodie heute nicht mehr geläufig ist - der Text des "Bundesliedes" zeigt, wie tief die Inhalte von Arbeiterliedern auch in die "bürgerliche" Kultur eingedrungen sind. Die zehnte Strophe des vom Dichter Georg Herwegh geschriebenen "Bundesliedes" lautet nämlich:

 

Mann der Arbeit, aufgewacht,

und erkenne deine Macht:

alle Räder stehen still,

wenn dein starker Arm es will.

 

Als Slogan oder als Presse-Zitat begegnen uns diese Zeilen auch heutzutage noch auf Schritt und Tritt - Herweghs Formulierungen sind zu einem geflügelten Wort geworden.

"Ein politisch Lied, ein garstig Lied!" (1789 - 1848)

 

Bei aller Nähe zwischen Arbeiterlied und Volkslied bleibt es natürlich ein Unterschied, ob vom romantischen "Brunnen vor dem Tore" die Rede ist oder von der "Roten Fahne der Revolution". Tatsächlich war die französische Revolution von 1789 der Zeitpunkt, an dem das moderne politische Lied auf der Bildfläche erscheint. Das bekannteste Beispiel aus dieser Zeit ist die Marseillaise, die im Refrain mit den Worten "Aux armes Citoyens" die Bürger der Republik zu den Waffen ruft. Das war zugleich der Moment, in dem das politische Lied seine ersten Gegner fand. Johann Wolfgang von Goethe, der zeit seines Lebens eine ausgesprochene Abneigung gegen die Marseillaise hatte, lernte das Lied der republikanischen Massen schon im Jahr seiner Entstehung kennen, als er 1792 einen erfolglosen Feldzug deutscher Fürsten gegen das revolutionäre Frankreich begleitete. Ähnlich allergisch reagieren auch die Studenten, die Goethe im "Faust" auftreten läßt: Der seit dem sprichwörtliche Ruf "Ein politisch Lied, ein garstig Lied!" schallt durch Auerbachs Keller, als es jemand wagt, statt burlesken Trinkliedern ein zeitkritisches Lied anzustimmen.

Doch gerade die Marseillaise hatte in Deutschland auch viele Freunde. Vor allem die Arbeiterbewegung griff sie immer wieder auf - am erfolgreichsten war dabei der Text der vom Handwerker Jacob Audorf geschriebenen "Arbeitermarseillaise", die eine zeitlang die Hymne der sozialdemokratisch orientierten Arbeiter wurde. Anlaß ihrer Entstehung war das Begräbnis des Arbeiterführers Ferdinand Lassalle. Angesichts der staatlichen Repression waren Trauermärsche für die Arbeiter eine der wenigen Gelegenheiten, gemeinsam in der Öffentlichkeit aufzutreten. Anders als das französische Original richtet sich die "Arbeitermarseillaise" nicht gegen einen äußeren Feind, sondern ruft die Arbeiter zum Kampf gegen die Unwissenheit auf:

 

Der Feind, den wir am tiefsten hassen,

der uns umlagert schwarz und dicht,

das ist der Unverstand der Massen,

den nur des Geistes Schwert durchbricht.

 

Die politischen Forderungen sind allerdings deutlich an den Standards von 1789 orientiert:

 

Das freie Wahlrecht ist das Zeichen,

in dem wir siegen, nur wohlan',

Nicht predigen wir Haß den Reichen,

nur gleiches Recht für jedermann.

 

Auch Text und Melodie der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschaffenen "Internationale" orientiert sich übrigens an der Marseillaise.

Die Marseillaise war zwar langfristig das erfolgreichste Lied der französischen Revolution, doch es war bei weitem nicht das einzige. Mit dem Aufstieg Napoleons und dessen Feldzügen, die ganz Europa überzogen, ging diese Periode allerdings vorläufig wieder zu Ende. Während der erneuten revolutionären Wellen, die 1830 und vor allem 1848 Europa durchlaufen sollten, gab es neue Konjunkturen des politischen Liedes. Doch in Deutschland entstanden während der sogenannten "Befreiungskriege" gegen die napoleonische Besatzung vorerst ganz andere Lieder: in ihnen spiegelt sich eine Mischung aus Patriotismus und Deutschtümelei. "Was ist des Deutschen Vaterland?" fragt etwa populäres Lied von Ernst Moritz Arndt aus dem Jahr 1813 und steckt als Antwort die nationalen Claims ab:

 

So weit die deutsche Zunge klingt,

und Gott im Himmel Lieder singt:

das soll es sein, das soll es sein!

 

Zum anderen wird die Nation durch die aggressive Abgrenzung von Frankreich beschworen:

 

Das ist des Deutschen Vaterland,

wo Zorn vertilgt den welschen Tand,

wo jeder Franzmann heißet Feind,

wo jeder Deutsche heißet Freund.

 

Im Gegensatz zu solchen nationalistischen Gesängen betonen die Arbeiterlieder des 19. Jahrhunderts nicht nur den Wunsch nach Frieden und Völkerfreundschaft, sie krempeln zum Teil auch ganz bewußt die Texte patriotischer Lieder "internationalistisch" um, besonders gerne das in den 1840er Jahren entstandene Lied "Die Wacht am Rhein". Der im Lied mit "Donnerhall" brausende Ruf der Nation zur Verteidigung der Rheingrenze wurde so umgelenkt in den Kampf für die sozialen Interessen der Arbeiter.

Vorläufig gab es weder einen Nationalstaat noch eine demokratische Verfassung, denn nach dem Ende der Ära Napoleon wurde die alte obrigkeitsstaatliche Ordnung wiederhergestellt. Deutschland blieb ein Flickenteppich aus 39 Ländern, die mehr oder weniger absolut regiert wurden. Die demokratische Opposition, oft von den Studenten der Universitätsstädte getragen, wurde bespitzelt und unterdrückt.

---ENDE DER LESEPROBE---