Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Neid und Eifersucht sind verpönte Gefühle. Wir verdrängen sie daher gern oder projizieren sie auf andere. Doch dadurch bleiben sie eine Gefahr für unseren Selbstwert und unsere Beziehungen. Die renommierte Jung'sche Analytikerin Verena Kast legt überzeugend dar, dass wir eine große Chance für unsere Persönlichkeitsentwicklung ungenutzt lassen, wenn wir diese unangenehmen Gefühle leugnen. Sie ermutigt uns, den eigenen Neid, die eigene Eifersucht bewusst wahrzunehmen und sich mit diesen unangenehmen Gefühlen auseinanderzusetzen. Wenn wir diese Herausforderung annehmen, werden wir versöhnlicher und beziehungsfähiger. Wir lernen unsere Grenzen besser kennen und können eigene, vernachlässigte Potenziale entdecken.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 282
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Buch lesen
Cover
Haupttitel
Inhalt
Über die Autorin
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
Verena Kast
Über sich hinauswachsen
Neid und Eifersucht als Chancen für die persönliche Entwicklung
Patmos Verlag
Dank
Teil 1 Neid
Einleitung
Das Gefühl des Neides
Auf der Suche nach dem eigenen Neid
Ein ganz alltägliches Beispiel vom Umgang mit Neid
Was ist Neid?
Neidauslöser
Der körperliche Ausdruck von Neid
Die Interaktion zwischen Neiderregenden und Neidenden
Die bewundernden Neiderinnen und Neider
Die ambivalenten Neiderinnen und Neider
Aggressive Neiderinnen und Neider
Aggressionsgehemmte destruktive Neiderinnen und Neider
Die Reaktion auf den aggressiven und den aggressionsgehemmten destruktiven Ausdruck von Neid
Das Entwerten
Der Neid und das Selbstkonzept
Womit hängen diese verschiedenen Formen des Neidens zusammen?
Das unbewusste Schuldgefühl der Neiderreger und Neiderregerinnen
Identifikation mit dem Angreifer: Der Umgang mit den importierten Schuldgefühlen
Das Vermeiden von Neid
Wie also mit den Neidern und Neiderinnen umgehen?
Der böse Blick
Spezielle Neiderreger
Ansätze zur Neidbewältigung
Beschwichtigungsmodelle
Modelle, die eher die Selbstverwirklichung stimulieren
Modelle, die die Gesellschaft verändern wollen
Neidbiografien
Der verdeckte Neider
Die offene Neiderin
Ein Vergleich
Theorien zur Entstehung des Neides
Melanie Kleins Theorie der Neidentstehung
Die gute Mutterbrust und die Aggression
Die gute Brust wird böse
Die Entwicklung einer Beziehung zum ganzen Objekt
Der »normale« frühkindliche Abwehrmechanismus der Spaltung
Durch Neid gestörter Prozess der »normalen« Spaltung
Neid und Gier
Neid und Kreativität
Kritiken an Melanie Kleins Theorien
Die paranoid-schizoide Position und die depressive Position
Die projektive Identifizierung
Die drei Phasen der projektiven Identifizierung nach Ogden
Neid und Ganzheit
Heilung von Neid
Melanie Kleins Theorie in einem größeren Zusammenhang gesehen
Der Neid auf sich selbst
Das neidische Traum-Ich
Ein maskierter Neidkonflikt
Offen neidisch
Der zu erschließende Neid
Der Neid in der Therapie
Gibt es Wege aus der Sackgasse?
Geschwisterrivalität und Neid
Die loyale Akzeptanz
Die konstruktive Dialektik
Die destruktive Dialektik
Die polarisierte Ablehnung
De-Identifizierung oder die verleugnete Beziehung
Die Neidgeschichte der Eltern
Das auserwählte Kind, der Neid und die Eifersucht
Teil 2 Eifersucht
Einleitung
Was ist Eifersucht?
Der Umgang mit diesem Gefühl
Von der Schwierigkeit, sich zu Eifersucht zu bekennen
Die ganz normale Eifersucht
Themen im Rahmen der Eifersucht
Die Angst, verlassen zu werden
Die narzisstische Kränkung
Trennungswünsche
Der Rivale, die Rivalin
Beispiel für eine aufstörende Funktion der konkurrierenden Eifersucht
Sein statt Haben
Schuldgefühle
Schlussgedanken
Anhang
Anmerkungen
Teil 1: Neid
Teil 2: Eifersucht
Literatur
Ich freue mich sehr, dass dieses Buch, das erstmals 1998 herausgekommen ist, mit einigen Ergänzungen versehen neu aufgelegt wird. Sein Thema hat ja in der Zwischenzeit nichts an Aktualität verloren. Noch immer geht es dabei um Emotionen und Gefühle, die uns als schwierig erscheinen und die uns deshalb ganz besonders in unserem Verhalten und unserer Entwicklung herausfordern.
Ich möchte an dieser Stelle allen Menschen danken, die es mir ermöglicht haben, Einblick in die Dynamik des Neides zu gewinnen, insbesondere den Menschen, die mir erlaubt haben, Teile ihrer Geschichte darzustellen, aber auch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an meinem Seminar über Neid, die viele mir auch entferntere Gesichtspunkte eingebracht haben.
Ich bedanke mich bei Marianne Schiess für ihre sorgfältige Lektorierung. Ich danke auch Christiane Neuen, die sich um die Neuauflage gekümmert hat, für ihr Mitgehen und Mitdenken.
Viele meiner Einsichten verdanke ich dem Standardwerk zum Thema Neid von Helmut Schoeck Der Neid und die Gesellschaft.
Sind Sie auch von so vielen offen und verborgen neidischen Menschen umgeben? Finden Sie das auch so lästig und ungerecht? Denn, nicht wahr – neidisch sind nicht wir, neidisch sind die anderen! Und es ist sehr unangenehm, dass Menschen neidisch sind. Warum können die einem nie gönnen, was man erworben, glücklich erhalten oder sich ergattert, vielleicht auch hart erarbeitet hat? Wenn es schon einmal Anlass zur Freude gibt, warum müssen so viele einem stattdessen immer die Freude verderben? Und das nicht offen und ehrlich, sondern so verquer, hinten herum?
Spricht man mit Menschen über Neid, dann sieht es fast so aus, als wären wir mehrheitlich Neiderregerinnen und Neiderreger – und selten Neiderinnen und Neider. Ist das wirklich so?
Das Gefühl des Neides ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Wenn wir den Stich des Neides in uns spüren oder wenn wir ganz und gar von Gefühlen des Neides überschwemmt werden, dann fühlen wir uns nicht gut, wir fühlen uns dann auf jeden Fall in der »schlechteren Position«, haben die Überzeugung, im Vergleich zu anderen ganz ungerechtfertigter Weise schlechter wegzukommen, ohne eine Möglichkeit zu haben, dies in irgendeiner Weise zu ändern. Wir fühlen uns verletzt in unserem Selbstwertgefühl. Zugegeben oder nicht, wir geraten aus unserer Selbstwertbalance, wir müssen unseren Selbstwert neu regulieren. In der Folge der Kränkung werden wir ärgerlich, wütend, destruktiv, aber nicht etwa offen, sondern heimlich. Ist es da ein Wunder, dass wir uns dazu entschließen, unseren Neid zu verleugnen, die anderen Menschen für neidisch zu halten, den Neid also auf die anderen zu projizieren?
Neidisch zu sein ist überdies verpönt, neidisch hat man nicht zu sein. Neid ist eines der abgelehnten, der verachteten Gefühle. Es gibt viel Angst vor Neid. Von Kant stammt der Satz: »Der Neid gehört zur abscheulichen Familie der Undankbarkeit und der Schadenfreude.«1 Kant benennt hier das emotionale Umfeld, in dem er den Neid ansiedelt: bei der Undankbarkeit und der Schadenfreude. Wer möchte schon ein so »abscheuliches« Gefühl haben, geschweige denn vor anderen Menschen auch noch dazu stehen? Damit müsste man ja zu einer doppelten Hässlichkeit stehen: als Habenichts – man müsste ja nicht neiden, wenn man selbst in der Position des besitzenden Menschen wäre – und als Mensch, der ein derart hässliches Gefühl hat.
Und dennoch ist es außerordentlich wichtig, dass wir dem Neid auf die Spur kommen. Denn Neidgefühle sind – zwar meistens maskiert – ungeheuer aggressive Gefühle; sie sind Angriffe auf unser eigenes Selbstwertgefühl und auf das Selbstwertgefühl anderer Menschen. Wird unser Selbstwertgefühl aber ständig angegriffen, dann sind wir viel weniger kreativ, als wir es sein könnten, sind viel weniger kompetent im Umgang mit dem alltäglichen Leben; wir sind viel weniger zufrieden, als wir es sein könnten, und wir reagieren leichter mit Feindseligkeit, möglicherweise mit Gewalt. Nehmen wir unsere Gefühle des Neides wahr, dann müssen wir nicht notwendigerweise neidisch reagieren; vielleicht sind wir traurig, dass uns Neid erfüllt, vielleicht können wir uns selber in dieser Situation verstehen, ohne dass wir in irgendeiner Weise zerstörerisch sein müssen.
Jedes Gefühl hat aber auch eine Funktion in unserem psychischen Haushalt, hat einen Sinn. Welchen Sinn also hat der lästige, verpönte Neid? Wenn wir neidisch sind, dann begehren wir etwas, das der andere oder die andere vermeintlich oder wirklich hat, kann, ist, bekommt; und wir sind sicher, dass wir das selbst nicht haben, nicht sind, nicht bekommen können – und dass das letztlich ungerecht ist. Im Gefühl des Neides drücken sich gleichzeitig ein Begehren und ein Wunsch aus, verbunden mit der Überzeugung, dass wir nicht bekommen können, was wir begehren. Das Gefühl des Neides signalisiert uns, anders ausgedrückt, dass wir nicht mehr einverstanden sind mit uns selbst. Entweder müssen wir nun mehr aus unserem Leben machen, oder wir müssen die Vorstellung von uns selbst verändern, diese der Realität besser anpassen oder aber die Realität verändern.
Das Gefühl des Neides ist nicht nur ein Angriff auf unseren Selbstwert, es hat auch für die längerfristige Regulierung unseres Selbstkonzepts eine außerordentlich wichtige Funktion. Es zwingt uns immer wieder, uns mit der Frage auseinanderzusetzen, was wir aus unserem Leben machen, was von unseren Talenten wir realisieren, aber auch, ob wir uns noch selber richtig wahrnehmen. Wir können es uns also nicht leisten, den Neid weiter auf »die anderen« zu projizieren. Wir berauben uns eines Regulativs im Selbstwertsystem und werden dadurch weniger kompetent im Umgang mit dem Leben, dafür aber umso bereiter zu Hass, Rache und verstecktem destruktivem Verhalten. Wir müssen lernen, produktiver mit dem Gefühl Neid umzugehen. Um das zu können, müssen wir die Äußerungen des Neides bei uns selbst erkennen.
Weil wir – begreiflicherweise – den eigenen Neid verdrängen, ist es gar nicht so einfach, ihm auf die Spur zu kommen. Wir werden also herausfinden müssen, hinter welchen psychischen Phänomenen sich Neid verbergen kann.
Bei plötzlichen, nicht erklärbaren Stimmungsumschwüngen können verdrängte Neidgefühle eine Rolle spielen. Auch in Situationen, in denen Menschen von sich sagen, sie fühlten sich plötzlich so »leer«, lohnt es sich, nach Neidgefühlen zu fragen. Gewiss, auch das Verdrängen von anderen Gefühlen, zum Beispiel von Feindseligkeit, kann das Erleben von »Leere« bewirken, dennoch, es lohnt sich, die Frage nach dem Neid zu stellen. Auch bei »verschobenen« aggressiven Ausbrüchen – Ausbrüchen, bei denen man das Gefühl hat, dass sie eigentlich nicht zu der Situation passen, die sie ausgelöst hat –, ist nach einer auf diese Weise »bewältigten« Neidattacke zu fragen, ebenso wenn ein Mensch oder eine Sache global und gründlich entwertet wird.
Auf einem Fest spielen zwei Männer Klavier. Beide sind um die 35, kennen sich, haben teilweise miteinander die gleichen Schulen besucht. Es herrscht eine gute Stimmung, besonders gefällt, dass die beiden abwechselnd Klavier spielen. Der eine hört dann plötzlich abrupt auf, sagt, das sei doch Quatsch, und stellt sich ans Fenster, schaut hinaus. Er zieht sich ganz betont aus der gemeinsamen Unternehmung heraus, wirkt verstimmt. Die Anwesenden reagieren etwas irritiert, der andere spielt aber ruhig weiter – und der Zwischenfall wird kaum wirklich zur Kenntnis genommen.
Was ist in diesem Mann vorgegangen? Er selber sagte von sich, er habe sich plötzlich entleert gefühlt, habe ein Gefühl der großen Langeweile gehabt, es sei ihm einfach plötzlich »zum Kotzen« gewesen. Auf die Frage, was denn dieses Gefühl ausgelöst haben könnte, sagte er, er habe gemerkt, dass das Spiel des anderen besser aufgenommen worden sei als seines, sein Kollege habe besser die Bedürfnisse der Anwesenden getroffen, habe mehr Beifall bekommen.
Und dann brach es aus ihm heraus: »Immer bin ich bloß der Zweite. Ich hatte eine solche Wut auf F. [den Kollegen], eine richtige Welle von Wut kam hoch, und ich war beherrscht von dem Gefühl, dass das Leben einfach ungerecht ist. Es gab mir einen Wahnsinnsstich, ich wäre fast ohnmächtig geworden. Da hatte ich – natürlich nur ganz kurzfristig – Fantasien, ihm sein Getränk zu vergiften oder den Klavierdeckel auf seine schönen Hände zu hauen. Das fand ich natürlich unannehmbar, sehr primitiv, da stellte ich diese Gefühle ab. Sagte mir, Schluss mit dieser blöden Leiderei. Und dann war ich eben verstimmt, dann wurde mir übel – ich hatte nichts getrunken – und dann: der Gipfel! Da kam doch dieser Kerl zu mir, sagte mir, wie toll wir einander durch unser Spiel stimulieren würden und ob wir jetzt nicht noch zu zweit improvisieren wollten, jetzt seien wir doch eingespielt! Er schien traurig, dass ich nicht mehr spielen wollte, aber das geschah ihm ganz recht!« Und dann fügte er hinzu: »Wahrscheinlich war er gar nicht traurig, innerlich hat er bestimmt triumphiert.«
Diese Episode kann als alltägliches Beispiel einer Neiddynamik gesehen werden: Das Gefühl des Neides wird als Stich erlebt, es wird verdrängt, und das hat dann eine spezielle, feindselige Wirkung auf einen selbst und auf die Beziehung zu anderen Menschen. Nicht ganz alltäglich an diesem Beispiel ist, dass der Mann so deutlich imstande ist zu schildern, was in ihm vorgegangen ist, und dass er freimütig zu seinen Rachefantasien steht. Neid verlangt nach Rache – hier sogar nach recht destruktiver Rache. Dadurch wäre man dann wieder der Stärkere, hätte den letzten Triumph. Denn immerhin: Das Gift könnte den Kollegen umbringen, der Klavierdeckel auf den Händen würde zumindest empfindlich schmerzen. Sehr deutlich ist bei dieser Schilderung zu sehen, dass im Moment, als der Mann sich den Neid versagt, der ja auch selbstquälerische Aspekte hat, dieser unangenehme Stimmungsumschwung erfolgt. Es kann also nicht einfach die Lösung sein, den Neid zu unterdrücken.
Der Kollege bietet, möglicherweise unbewusst, einen Ausweg aus der Neidsituation an. Er schlägt eine gemeinsame Unternehmung vor, eine Unternehmung, bei der das Wir-Erleben im Vordergrund steht und weniger die Konkurrenz, bei der aber doch auch ein spielerisches, konstruktives Rivalisieren möglich wäre. Dieser Ausweg kann in unserem Beispiel vom Neidischen nicht angenommen werden, zu intensiv ist in dieser Situation das Gefühl des Neides und die damit verbundene Gewissheit der Unterlegenheit, zu schlecht ist das Selbstwertgefühl. Der Vorschlag, der unter Umständen durchaus hätte dazu führen können, dass der Neid in ein konstruktives Rivalisieren überführt worden wäre, wird im Gegenteil im Sinne des Neides gedeutet: »Der leidet so wenig an Neid, dass er einen Vorschlag zur Güte machen kann, der ist so selbstsicher, dass er diesen verrückten Vorschlag machen kann. Letztlich wird er triumphieren.« Der Neidische unterschiebt dem Neiderreger den Triumph, den er doch eigentlich für sich haben möchte.
Die auslösende Erfahrung für diese Neiddynamik war folgende: Der Neider hatte wahrgenommen, dass das Spiel seines Kollegen besser aufgenommen wurde. Das mag so sein, ist möglicherweise aber eben seine subjektive Wahrnehmung. In Situationen, die unseren Neid ansprechen, sind wir nicht objektiv: Wir neigen dann dazu, die Leistungen, das Wesen, die Besitztümer der anderen mit einem Vergrößerungsglas zu sehen, unsere eigenen mit einem Verkleinerungsglas. Möglicherweise haben wir hier eine Situation, die sich im Leben des Neiders komplexhaft2 wiederholt. Sein Ausbruch, er sei immer der Zweite, scheint darauf hinzudeuten. Er hat offenbar in seiner Lebensgeschichte schon öfter erlebt, dass er nicht die Position eingenommen hat, die er – er war Einzelkind – für sich als angemessen betrachtet.
Er kann mit diesem Neid nicht umgehen. Damit umgehen hieße, dass er seinen Neid spürt, dass er spürt, dass er auch haben möchte, was der andere hat, dass er sich aber damit abfindet – es ist, wie es ist –, er darüber traurig wird und sich fragt, wo er denn mit sich einverstanden sein kann, wo er seine eigenen Werte hat. Das gelang ihm aber nicht. Er entwickelte destruktive Fantasien, verdrängte diese dann sofort, da er sie nicht mit seinem Bild von sich selbst, mit seinem Selbstkonzept, vereinen konnte und fühlte sich dabei sehr schlecht. Die Aggression wandte sich also auch gegen ihn selbst, er zog sich zurück, wirkte verstimmt und erreichte mit seinem Verhalten, dass später dieses Fest als das Fest, an dem F. (der Kollege) »unsere ganze Jugendzeit am Klavier hat auferstehen lassen«, in Erinnerung blieb. Vom Neider sprach niemand mehr.
In der Emotion, die wir Neid nennen, sind verschiedene andere Emotionen wirksam, zum Beispiel Trauer, Wut und Hass. Neid ist also ein zusammengesetztes Gefühl; das heißt, dass einzelne der beteiligten emotionellen Komponenten mehr im Vordergrund stehen können. Ich gebrauche das Wort Emotion als einen Sammelbegriff für Stimmungen, für benennbare Gefühle und für aufwallende Gefühle im Sinne von Affekten.3 Wir können neidisch gestimmt sein, bereit, alles unter dem Aspekt des Neidens zu sehen. Das sind wir zum Beispiel dann, wenn wir das Gefühl haben, grundsätzlich vom Leben schlecht behandelt zu werden, im Unterschied zu allen anderen, denen es ungerechterweise sowieso so viel besser geht als uns. Diese Stimmungen überfallen uns, wenn wir selbstunsicher sind, unzufrieden mit uns und der Welt.
Wir können aber auch Menschengruppen angehören, die wirklich ausgesprochen schlecht behandelt werden. Sind wir dann neidisch, hat der Neid eine Berechtigung, die Berechtigung, mehr Gerechtigkeit herzustellen.4
Das Gefühl des Neides ist dieser benennbare Stich, der uns angesichts einer Leistung, des Aussehens, des Eigentums eines anderen oder einer anderen durchfährt und uns mit Gefühlen der Ungerechtigkeit, der Trauer, des Ärgers, der Unzufriedenheit trifft. Man erlebt einen »Stich von Missvergnügen« – da, wo man Vergnügen empfinden möchte, man sich also freuen möchte. Mit Neid als einem benennbaren Gefühl können wir in der Regel noch umgehen. Neid kann uns aber auch als ein sehr heftiges, aufwallendes Gefühl, als Affekt, überfallen, so dass nichts mehr in unserem Leben zählt – zumindest für eine gewisse Zeit –, außer dem Beneideten, dem Neid und den Überlegungen, wie man sich von diesem schrecklichen Affekt befreien könnte, was sich dann meistens in Rachefantasien niederschlägt.
Für das Wort »Neid« verwenden wir gelegentlich auch das Wort »Missgunst«. Wenn wir neidisch sind, dann gönnen wir einem Menschen etwas nicht, sind missgünstig, statt dass wir ihm das vermeintliche oder das wirkliche Glück gönnen. Das heißt, wir könnten also auch in der Position eines Menschen sein, der eine Gunst vergeben kann, die Gunst, das, was der andere oder die andere hat, zeigt, gestaltet, wohlwollend anzusehen und positiv zu bewerten. Da wird nun der eine oder die andere sagen: »Aber da stimmt etwas nicht. Ich bin nicht grundsätzlich missgünstig, ich gönne den Menschen durchaus etwas – doch da, wo ich neidisch bin, da geht eben etwas nicht mit rechten Dingen zu, da will ein Mensch bewundert werden für etwas, das ihm gar nicht zusteht. Ich möchte auch so unverfroren sein, meine Sachen so schamlos zu präsentieren.« Wo wir in dieser Art zu argumentieren beginnen und wir so sicher sind, dass unsere Empörung berechtigt ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass auf unserer Seite Neid im Spiel ist.
Im Allgemeinen sind Menschen eher neidisch auf Privilegien als auf Fähigkeiten. Sind wir aber im Gefühl des Neides, dann bereitet es uns verhältnismäßig wenig Mühe, Fähigkeiten als Privilegien darzustellen, womit dann unser Neiden wieder verständlicher wäre. Immerhin, es könnte auch berechtigter Neid sein.
Berechtigter Neid wäre ein Neid, der daraus resultiert, dass die sozialen Unterschiede zu groß sind; der Neid sollte dann dazu führen, dass diese zu großen Unterschiede aufgehoben werden. So sagt etwa Krüger, der Neid der Frauen auf die Vorteile der Männer sei immer noch zu gering, sonst würden sie etwas verändern.5 Es gibt also auch berechtigten Neid – wir sind hier allerdings auf der Suche nach dem so gerne verdrängten Neid, nach unserer Missgunst.
Wie schon gesagt, drückt der Ausdruck »Missgunst« auch aus, dass wir eine Gunst zu vergeben hätten, die Gunst, Wesen oder Leistung eines anderen Menschen zu akzeptieren. Wer eine Gunst zu vergeben hat, ist ein Gönner, eine Gönnerin, reagiert aus einer Position des Reichtums heraus. Sind wir missgünstig, dann offenbar aus einer Position der Armut, aus der Position der Zukurzgekommenen. Die Frage nach dem Umgang mit Neid ist also auch die Frage danach, wie wir gönnende Menschen werden.
Ein anderer alter Ausdruck für Neid ist »Abgunst«. Drückt sich in der Missgunst das Missbehagen aus, dann in der Abgunst der Akt, dass wir einem anderen Menschen unsere Gunst absprechen.
Im leider antiquierten Wort »Scheelsucht« für Neid wird deutlich, dass es eine Voraussetzung für die Entwicklung von Neid ist, dass man auf die anderen Menschen »schielt«, sich heimlich und süchtig mit den anderen Menschen vergleichen muss. Aus diesem süchtigen Sich-Vergleichen – wobei oft Nichtvergleichbares miteinander verglichen wird – entsteht der Neid. Nun müssen Menschen sich in einem gewissen Rahmen vergleichen, daraus beziehen wir unser Gefühl der Differenz zum anderen und zur anderen. Das wiederum hilft uns, in unserer Identität sicherer zu werden: Indem wir herausfinden, wo wir gleich sind wie andere, wo wir aber auch verschieden sind, finden wir heraus, was unser ureigenes Wesen ausmacht. Das ist nicht möglich ohne den Vergleich. Nun gibt es aber ein ständiges quälendes Vergleichen, das gerade der Versicherung unserer Identität entgegensteht, sie im Gegenteil durch die Entwicklung von heftigem Neid verunsichert.
Diese alten Ausdrücke für Neid tragen schon recht viel zum psychologischen Verständnis bei. Zusammenfassend können wir sagen: Neid ist ein Gefühl, das uns – gelinde gesagt – mit Missvergnügen erfüllt, das uns aus der Position eines wohlwollenden, dem anderen Menschen auch etwas gönnenden Menschen, aus einer liebevollen Haltung also, herauskatapultiert und uns konfrontiert mit dem Selbstbild eines oder einer Zukurzgekommenen, der oder die in dieser Mangelsituation »sitzen« bleibt. Diese Selbstwahrnehmung wehren wir indessen ab, sie ist zu kränkend, sie würde uns zu sehr entwerten, und das halten wir nicht aus. Stattdessen entziehen wir den anderen Menschen unsere Wertschätzung. Am Grunde des Neides steht aber ein verstohlenes Schielen und damit auch ein geheimes, aber deshalb nicht weniger süchtiges Vergleichen mit den anderen Menschen – und die verzweifelte Hoffnung, ein anderer oder eine andere werden zu können.
Die »Missgunst«, wie der Neid auch genannt wird, ist eine Mischung aus Angst, Gefühlen von Hilflosigkeit und Ohnmacht, von Ärger, Feindseligkeit und Gefühlen der Minderwertigkeit, verbunden mit Gefühlen von – meist unterdrückter – Trauer. Das Gefühl des Selbstwerts verändert sich dahingehend, dass wir uns zurückgesetzt vorkommen, auch wenn wir es gar nicht sind. Es ist die Kränkung, dass ein anderer Mensch uns überlegen oder zumindest vermeintlich überlegen ist. Es ist die Reaktion darauf, dass wir nicht jederzeit das liebste Kind der besten Mutter sind.
Aus diesem Gefühl des Gekränktseins heraus und der damit verbundenen Feindseligkeit und weil konstruktives Rivalisieren nicht möglich zu sein scheint, entsteht der Wunsch, zu vernichten, zu zerstören, ohne dass man einen sichtbaren Vorteil hat – außer dass man nicht mehr neiden muss. Die Beunruhigung, die der Neid bewirkt, soll aus der Welt geschaffen werden. Und die Aktionen der Zerstörung sollen unsichtbar sein.
Wenn wir neiden, dann fühlen wir uns als Habenichtse, haben ein schlechtes Selbstwertgefühl, fühlen uns schlecht, zu kurz gekommen, obwohl wir uns so sehr bemühen. Der andere Mensch hat unverdientermaßen und ungerechterweise mehr, wir müssten das auch haben, hätten es auch verdient, und wir erleben dann das Leben im hohen Maße als ungerecht. Was wir haben, das sehen wir nicht – wir sehen nur den anderen, über den das reiche Füllhorn des Schicksals ausgeschüttet worden ist. Bei vielen Neiderfahrungen handelt es sich aber weitgehend um Projektionen der Bevorzugung oder dessen, was der Neiderreger / die Neiderregerin vom »Schicksal« (dem Füllhorn) ungerechterweise bekommen habe. Diese Projektionen gelingen umso leichter, als Ungerechtigkeit eben eine anthropologische Konstante ist und deshalb Ungleichheit immer wieder entsteht, eine Ungleichheit, auf der wir andererseits auch bestehen: Wir alle wollen einmalig sein, also nicht gleich – und natürlich doch auch gleich. Diese erfahrene Ungerechtigkeit wirkt direkt auf unser Selbstwertgefühl zurück.
Grundsätzlich geht es darum, die Destruktivität des Neidens, sich selber gegenüber, aber auch anderen gegenüber wahrzunehmen, darüber zu erschrecken, zu trauern, dass es ist, wie es ist, empathisch zu sein mit sich und der jeweiligen Überforderung, und das kann zur Besinnung auf eigene Kompetenzen, auf die eigene Kreativität führen. Vielleicht wird man etwas bescheidener in den Ansprüchen und dankbarer dafür, was man selber hat, aber auch für das, was die von uns Beneideten in die Welt hineintragen, an dem wir doch auch Anteil haben können. Wichtig dabei ist, dass wir auch differenzieren: Wir sind nicht durch und durch neidisch, es gibt immer wieder Lebensbereiche, in denen wir uns mitfreuen können mit anderen, in denen wir gönnend sind.
Neidisch zu sein heißt nicht einfach, dass man das, worum man neidet, auch haben möchte – das kann so sein, muss aber nicht. Entweder begehrt man, was Neid erregt hat, oder man möchte, dass es aus der Welt verschwindet, damit es dieses unsinnige Begehren, das nie eine Erfüllung finden wird, gar nicht mehr geben kann. Was Neid erregt, soll nicht mehr vorkommen in meiner Welt, denn was Neid auslöst, beunruhigt, stellt immer auch die Frage an uns, ob wir nicht auch eine andere Frau, ein anderer Mann, ein anderer Mensch sein könnten? Das ist eine beunruhigende Frage, eine Frage, die alle unsere Arrangements, die wir mit uns selbst treffen, um es einigermaßen bequem zu haben, infrage stellt. Und das will der Neid ja auch. Deshalb beneiden wir vorwiegend Menschen, mit denen wir uns in unserer Lebenssituation in etwa vergleichen können. Menschen, die sehr herausragen, werden weniger beneidet, sie werden eher bewundert.
Die Emotion Neid ist eine Emotion, die unsere Entwicklung stimulieren will. Entwicklung ist aber immer mit Veränderung, mit Komplikation, mit Arbeit verbunden. Deshalb ist Entwicklung nicht besonders beliebt, auch wenn wir sie durchaus als attraktives Programm im Munde führen. Unser Umgang mit dem Neid zeigt es deutlich: Statt uns herausfordern zu lassen, entwerten wir das Neiderregende, versuchen wir, es zu zerstören, es in seiner Bedeutsamkeit zu beeinträchtigen. Wenn wir mit dieser Abwehr des Neides Erfolg hätten, gäbe es letztlich nichts Außergewöhnliches mehr auf dieser Welt, es wäre alles nivelliert. Nichts und niemand würde auffallen, niemand würde aus dem Durchschnitt heraustreten, es gäbe keine Größe, weder im Erreichen von Zielen noch im Scheitern.
Nun soll der Neid ja unter anderem letztlich auch dafür sorgen, dass kein Mensch sich über den anderen Menschen erhebt, dass niemand sich herausstellt – das ist sein etwas verborgener gesellschaftlicher Wert. Deshalb werden viele Menschen dahingehend erzogen, ihre Talente nicht zu zeigen, die Freude über ihre Kompetenz nicht oder nur sehr leise auszudrücken, ihr Unglück, aber nie ihr Glück zu formulieren, um keinen Neid zu erregen. Es heißt dann, man müsse vermeiden, den Neid der Götter zu erregen. Gemeint ist wohl, dass der Mensch seine Stellung im ganzen Lebensgefüge als Mensch finden soll, sich nicht auf eine Stufe mit den Göttern stellen soll, sich nicht mit den eigenen Größenideen identifizieren soll. Das ist natürlich etwas dran – die Größenideen werden uns noch zu beschäftigen haben –, dennoch: Ich finde den Neid der Mitmenschen gefährlicher als den Neid der Götter, er wirkt wie verborgene Tretminen. Allerdings – wenn man vom Neid der Götter spricht, dann ist damit auch gemeint, dass neidische Menschen so gefährlich sein können wie Götter. Und früher nahm man ja an, dass Götter auch gefährlich sind.
Um die gefürchtete Neidentwicklung bei den Mitmenschen zu vermeiden, schlägt Nietzsche vor, mit jeder Erfolgsmeldung auch eine Misserfolgsmeldung zu verknüpfen. Dies soll den Neid der Mitmenschen in Grenzen halten. Es gibt in der Neidliteratur noch mehr solcher Ratschläge, wie man sein Licht unter den Scheffel stellen soll, damit weniger Neid ausgelöst wird. Diese Ratschläge sind alle problematisch, denn sie laufen darauf hinaus, eine Neidentwicklung zu vermeiden. Und: Die Vorschläge gehen alle auf Kosten des Neiderregers und der Neiderregerin. Es ist aber für unser Selbstwertgefühl und ein belastbares Identitätsgefühl wichtig, dass wir die Freude über Gelungenes ausdrücken können, ebenso, dass andere Menschen wahrnehmen, was wir schaffen, was wir tun. Das ist besonders für Kinder sehr wichtig. Erlauben wir uns diese Freude nicht, schmälern wir unser Selbstwertgefühl, damit aber auch unsere Kompetenz, Leben zu gestalten.
Neid hat die Funktion, Herausragendes sichtbar zu machen und infrage zu stellen, Neid hat aber auch die Funktion, sich selber – im Angesicht von Herausragendem – infrage zu stellen. Haben wir wirklich eine besondere Leistung gebracht, oder blasen wir uns bloß auf? Wenn wir die Herausforderung annehmen, unsere Objekte des Neides und uns selbst infrage zu stellen, dann beginnen wir vielleicht, mit einem Menschen zu rivalisieren.
Rivalität wird auch bezeichnet als aktiver Neid, als tätiger Neid. Das Wort Rivalität kommt vom lateinischen »rivalis« und meint die, die am selben Fluss wohnen, die sich daher abgrenzen, sich aber auch miteinander arrangieren müssen. Wenn wir rivalisieren, dann ziehen wir uns nicht aus Neidgründen zurück, sondern wir kämpfen und entwickeln dabei Seiten von uns selbst. Rivalisieren können wir aber nur, wenn wir in unserem Selbstwert nicht gar so sehr verunsichert oder nicht so sehr verunsicherbar sind. Allerdings ist auch die Rivalität oft noch ganz dem Neidsystem verpflichtet – und da gibt es immer Sieger und Verlierer –, und es gibt ein Rivalisieren, das diesen Namen schon fast nicht mehr verdient. Das Rivalisieren im besten Sinne kann man zum Beispiel bei hervorragend begabten Menschen mit einem guten Selbstwertgefühl sehen, die einander immer wieder Ideen zuspielen, sie weiterentwickeln, durchaus in einem sportlichen Wettstreit, bei dem es aber vor allem darum geht, sich gegenseitig zu stimulieren. Wo es allein um Macht geht, um Größe, um Gewinnen, da ist ein spielerisches Rivalisieren erschwert.
In unserer Gesellschaft hat das Konkurrenzdenken einen festen Platz, die Idee, dass man durch Kooperation mehr erreichen könnte, setzt sich kaum durch. Vielleicht wird sich das in Zukunft ändern, denn immerhin betonen Wissenschaftlerinnen wie Lynn Margulis, dass die heutigen Zellen unseres Körpers ein Ergebnis von Kooperation, nicht von Konkurrenz seien.6 Unser verbreitetes Konkurrenzdenken könnte auch auf einem falsch verstandenen Darwin beruhen: Zwar stimmt es wohl, dass die Stärksten einer Gattung überleben, es ist aber sehr wahrscheinlich, dass die Stärksten die Kooperativsten und damit auch die Anpassungsfähigsten sind.
In unserem Alltagsdenken spielt die Frage, wer der Beste oder die Beste ist, immer noch eine sehr große Rolle, auch wenn sie – außer jeweils in sportlichen Wettkämpfen – nicht abschließend zu beantworten ist. Die Sehnsucht des Menschen, definitiv als auserwählt anerkannt zu sein, scheint doch sehr groß zu sein. Diese ständige, wenn auch verschobene – denn eigentlich ginge es dabei um die Frage nach dem geglückten Leben – Frage nach dem Größten, der Besten ist natürlich geradezu angetan, den Neid anzustacheln. Der Neid, würde man ihn ernst nehmen und nicht aus ihm heraus zerstörerisch werden, würde aber gerade darauf hinzielen, dass jeder Mensch aus sich das Beste macht, aus seinem Leben in etwa das macht, was möglich ist. Menschen, die genügend selbstsicher sind, können kooperativer sein, können besser aus einem Wir-Erleben heraus und aus dem Geist der Teilhabe etwas gestalten.
Was uns wertvoll erscheint, was unser Begehren weckt und was wir zunächst faktisch oder vermeintlich nicht haben können, kann Neid auslösen. Hier wird deutlich, wie nahe Neid eigentlich bei der Trauer ist! Wenn wir etwas verlieren, das in unserem Leben einen Wert dargestellt hat, dann trauern wir. Und im Trauerprozess lösen wir uns ab von dem, was wir verloren haben, willigen wiederum ins Leben ein ohne das Wertvolle, das wir verloren haben.7 Der neidische Mensch versteht es nicht, darüber zu trauern, dass ihm etwas fehlt, und weil diese Trauerarbeit nicht geleistet wird, kann auch nicht eine neue Zielrichtung im Sinne eines aktiven Begehrens von etwas, das uns auch erfreuen könnte, sich zeigen und eingeschlagen werden. Man kann Neid als Abwehr von Trauer ansehen. Die Fähigkeit zu trauern wäre gefragt, trauern können wir aber nur, wenn wir uns immer wieder auf unser originäres Selbst zurückorganisieren können;8 sind wir dazu nicht in der Lage, dann werden wir bei Verlusten depressiv – oder auch neidisch.
Es ist wenig sinnvoll, sich zu fragen, ob man ein großer Neider oder eine große Neiderin ist, es ist sinnvoller, sich zu fragen, in welchen Situationen man neidisch wird und wie sich dieser Neid dann jeweils anfühlt und was er von uns will.
Es gibt Situationen, die neidträchtiger sind als andere. Sichtbare Erfolge können Neid auslösen, das blendende Aussehen eines Menschen, das besondere Wesen eines Menschen – man kann neidisch sein auf das heitere Wesen, man kann aber auch neidisch sein auf das melancholische Wesen eines Menschen. Eine weitere Neidquelle ist das Ansehen, das jemand genießt, oder auch recht oft der Besitz, der materielle – gelegentlich auch der geistige. Die Energie eines Menschen, seine oder ihre Lebenskraft oder Lebenslust kann eine Quelle von Neid sein. Aber auch abstraktere und subjektivere Erfahrungen, wie etwa, dass man einem Menschen zuschreibt, mehr Glück zu haben als man selbst, lösen Neid aus.
Damit diese Unterschiede – die selbstverständlich zwischen den Menschen existieren – Neid auslösen, muss der jeweils so ärgerlich sichtbare, infrage stehende Wert ein für uns wichtiger, erstrebenswerter Wert sein. Wer keinen Erfolg anstrebt, wird kaum neidisch sein, wenn ein anderer Mensch erfolgreich ist. Auch wer auf einem besonderen Gebiet keinen Erfolg anstrebt, wird in diesem Bereich kein Neider, keine Neiderin. Die Frau, die zum Beispiel keine Sängerin sein will, wird nicht neidisch auf den Erfolg von Sängerinnen sein, sie wird im Gegenteil hoffen, dass es viele erfolgreiche Sängerinnen geben wird. Wo ein infrage stehender Wert für unser Leben nicht attraktiv ist, sind wir normalerweise nicht neidisch, es sei denn, unser Selbstwert ist schon so sehr beeinträchtigt, dass wir grundsätzlich auf alles und alle neidisch sind, der Neid sich also bereits generalisiert hat.
Und: Neidisch werden wir dort, wo wir bei einem Vergleich uns und unsere Leistung von vornherein verloren geben. Wir bewerten uns dann zumindest unbewusst dem fraglichen Wert gegenüber als inferior, als unterlegen, unfähig, bei einer gleichzeitigen zwingenden inneren Verpflichtung, auch so oder besser sein zu müssen. Dieser Widerspruch zwischen innerer Forderung und dem Wissen, dass das nicht gelingt, nicht gelingen wird, ist quälend.
Wenn nun das Neidischsein auch noch offensichtlich ist, so wird der Neider oder die Neiderin noch einmal zurechtgewiesen: »Man« ist nicht neidisch in unserer Gesellschaft, zumindest nicht in einer offenen Weise. Wir wissen sehr genau, dass der Neid uns in Gefahr bringt, gegen die Mitmenschlichkeit zu verstoßen, deshalb wird die Haltung des Neides auch bei anderen Menschen, besonders bei Kindern, getadelt, was dann dem schon unter Druck geratenen Selbstwertgefühl erst recht den Rest gibt.
Unsere Identität – und damit unser Selbstsein – ist immer auf Korrigierbarkeit hin angelegt, muss immer wieder neu definiert und akzeptiert werden. Viele Erfahrungen im Alltag labilisieren unser Selbstwertgefühl – einige stärken es aber auch. Wir bleiben zudem oft hinter dem zurück, was wir eigentlich realisieren möchten, ohne uns damit einverstanden zu erklären, ohne unser Selbstkonzept unseren realen Begebenheiten und Möglichkeiten anzupassen.
Der Vergleich mit in unseren Augen Hervorragendem – was ja auch den Reichtum des Lebens ausmachen könnte – stellt unser Gewordensein andauernd infrage. Grund genug also, um immer wieder neidisch zu sein. Neid ist aber ein verpöntes Gefühl, also tun wir so, als hätten wir ihn nicht. Deshalb erfinden wir viele Abwehrstrategien; stattdessen sollten wir Strategien erfinden, die es uns ermöglichen, besser mit dem Neid umzugehen.
Wie sehen Menschen aus, die permanent neidisch sind? Sieht man den Neid überhaupt? So wie man Freude sieht, Wut, Angst?
In den Metamorphosen des Ovid9 wird die Missgunst, die Invidia, ausführlich beschrieben: Das Dach ihres Hauses ist »umdunkelt von schwarzem Gifthauch«, das Haus liegt verborgen in einem Tal, ohne Sonne, ohne Wind, düster, erfüllt von lähmender Kälte,
»entbehrt immer des Feuers und hat des Nebels immer die Fülle […]. Bleiche haust ihr im Antlitz, am ganzen Leibe ihr Dürre, nie ein gerader Blick, es faulen greulich die Zähne, gallengrün die Brust, die Zunge giftunterlaufen. Lachen ist ihr fremd, es sei denn gelockt durch den Anblick von Schmerzen, Schlafes genießt sie nicht, von wachen Sorgen gestachelt; aber zum Ärger sich sieht sie Erfolge den Menschen beschieden, siecht im Sehen dahin, zernagt und zernagend in einem, ist ihre Marter sich selbst.«
Wenn sie sich auf den Weg macht, um jemanden »mit ihrer Sucht zu impfen«, hält sie einen dornigen rankenumwundenen Stab, ist in schwarzes Gewölk verhüllt; wohin sie auch tritt, dörrt sie die Kräuter aus, »versengt die Spitzen des Wachstums […], verseucht Völker, Städte und Häuser«.
Was hier von der Invidia im Extrem geschildert wird, trifft auch, in abgeschwächter Form, auf neidische Menschen zu. Auch sie sind umwölkt von einer giftigen Düsternis, nicht etwa von einer friedlichen Melancholie, auch ihnen haftet etwas »Verhocktes« an, keine Sonne, keine Wärme, kein Wind, keine Bewegung, ihr Lebensraum ist ein Raum der beharrlichen Düsternis.