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Wie bedeutend sind Träume für den Menschen? Liefern sie Informationen aus dem Unbewussten, dienen sie der Verarbeitung des emotional belastenden Tagesgeschehens? Neurowissenschaftliche Untersuchungen zum Verständnis der Träume, wie etwa der Nachweis, dass Träume als intensivierte Tagträume verstanden werden können, regen an, sich schon mit ähnlichen Ideen in älteren Traumtheorien neu auseinanderzusetzen, so zum Beispiel mit denen von C. G. Jung. Dabei gilt es, Verbindungen herzustellen und herauszuarbeiten, wie dieser imaginative Blickwinkel den Umgang mit Träumen beeinflusst und umgekehrt. Verschiedene Aspekte des Träumens, auch die, die geheimnisvoll bleiben, werden an Beispielen aus der Psychotherapie veranschaulicht.
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Seitenzahl: 101
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Herausgegeben vonFranz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Verena Kast
Träumend imaginieren
Einblicke in die Traumwerkstatt
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über https://dnb.de abrufbar.
© 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 GöttingenAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Umschlagabbildung: Paul Klee, Kleine rhythmische Landschaft, 1920/akg-images
Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
ISSN 2566-6401ISBN 978-3-647-99916-6
Vorwort zur Reihe
Vorwort zum Band
1Imaginieren und Träumen
1.1Kontinuum zwischen Wachen und Träumen
1.2Wozu sind Träume gut?
2Der Tagtraum: Selbst generiertes Denken
2.1Fantasie als Selbsttätigkeit der Seele
2.2Spezifisches zum Tagtraum: Aspekte der affektiven Neurowissenschaft
2.2.1Der Affekt
2.2.2Absichtliches und unabsichtliches Gedankenwandern
2.2.3Soziale Situationen
2.2.4Kreativität
2.3Die Vorfreude
3Der Traum
3.1Nachttraum und Tagtraum: Ähnlichkeiten und Unterschiede
3.2Die Bedeutung dieser Ergebnisse für die therapeutische Praxis
3.3Imagination und Traum bei C. G. Jung
3.3.1Emotionen in Bilder übersetzen
3.3.2Komplexe: Architekten der Träume
3.3.3Kompensation
3.3.4Genese der Komplexepisoden
3.3.5Komplexe und Träume in der therapeutischen Arbeit
4Albträume
4.1Am Albtraum mit Imaginationen arbeiten
4.2Emotionsansteckung
5Das Zusammenspiel von Imagination und Traum
5.1Initialträume
5.2Die Bedeutung von Beziehungen in Tagträumen und Träumen
5.2.1Ein Schattentraum: Loslassen oder integrieren?
5.2.2Eine imaginierte Beziehung hinterfragen
6Der Verlust von Beziehungen
7Träume im Trauerprozess
7.1Träume als Ausgangspunkt für Erinnerungsarbeit: Ein Beispiel
7.2Verstorbene im Traum: Im besten Alter
7.3Die Trauernde – wieder gesund
7.4Der Tod des Anderen
8Der Traum – ein Spiel der Imaginationen
Literatur
Vorwort zur Reihe
Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.
Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich die Leserin, der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.
Themenschwerpunkte sind unter anderem:
–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.
–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.
–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.
–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.
–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.
–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.
Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Ist das Träumen eine intensivierte Form des wachen, spontanen Gedankenwanderns? Verena Kast, die Spezialistin dieses Genres, setzt diese These an den Beginn ihres Buches über das Träumen: »Ein Traum ist erst ein Traum, wenn wir erwachen.« Denn im Traum sind wir vollkommen als Subjekt anwesend. Auch aus Tagträumen müssen wir erst erwachen, um ihrer bewusst zu werden. Die Frage, wozu Träume gut sind, beschäftigt die Menschheit seit den Anfängen. Seit der Entwicklung der Psychoanalyse hat besonders C. G. Jung den Träumen eine zentrale Bedeutung für die psychotherapeutische Arbeit zuerkannt. Die Funktion der Träume sei es, »dem Leben wieder Strömung zu verleihen, aus dem Steckenbleiben […] wieder ins Fließen zu kommen« (S. 14). Träume können das Interesse für das Leben wieder aufkommen lassen und damit neuen Sinnerfahrungen Raum geben. Der Tagtraum wiederum hat eine besondere Verbindung zur Kreativität. Die Autorin entwickelt ihre Überlegungen aus tiefenpsychologischer Perspektive und spannt den Bogen von selbst generierten Gedanken hin zu den eigentlichen Träumen des Schlafes. Wir können heute davon ausgehen, dass das meiste Tagträumen unter der Schwelle des wachen Bewusstseins abläuft. Fantasie ist eine Selbsttätigkeit der Seele.
Ein eigenes, spannendes Kapitel wird den Aspekten der affektiven Neurowissenschaft gewidmet. Es scheint so, dass eine Aktivierung des visuellen Kortex eher mit positiven Gefühlen verbunden ist. Könnte die Anleitung zum bildhaften Narrativ damit eher positive Gefühle induzieren? Das Wandern der Gedanken kann absichtlich oder unabsichtlich erfolgen. Auch das »Konzept der Vorfreude« ist in diesem Zusammenhang neu interpretierbar.
Der Traum stellt schließlich – auch dies eine innovative Perspektive – eine Form von »verkörperter Simulation« dar. Als eine Inszenierung schließt der Traum den Träumer als Akteur oder Beobachter ein. Man kann den Traum auch als unfreiwilligen, aber organisierten mentalen Akt begreifen. Der Traum beschäftigt sich »meistens mit dem, was uns auch im Alltag beschäftigt«, stellt aber unsere Konflikte, Sorgen, Erwartungen in einen neuen Zusammenhang. Die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Träumen und Tagträumen sind faszinierend und werden in einer Gegenüberstellung herausgearbeitet.
Das Buch zeigt auf eindrucksvolle Weise auf, das Wissen um die Träume auch für die therapeutische Praxis nutzbar gemacht werden kann. Imagination und Traum bei C. G. Jung stellen den Ausgangspunkt dar. Wie kann es gelingen, Emotionen in Bilder umzusetzen? Es eröffnen sich dadurch Möglichkeiten, vieles Fixierte zu »verflüssigen« und damit neue Perspektiven im bewussten Denken zuzulassen. Jungs Theorie der »Komplexe« als verdrängte unbewusste konflikthafte Beziehungserfahrungen wird ausführlich dargestellt. Aus heutiger Sicht kann festgestellt werden, dass stereotype negative Gedanken mit solchen Komplexen verbunden sind und maladaptive Tagträume triggern können, die Zufriedenheit gar nicht mehr aufkommen lassen. Die zweite Traumtheorie von Jung behandelt die »Kompensation«: Träume kompensieren Auslassungen oder Aussparungen der bewussten Einstellungen und übertragen damit dem Unbewussten eine leitende Funktion auf das Bewusstsein. Damit könnten Träume das Zu-kurz-Gekommene des Tages vervollständigen, was für die Entwicklung der Identität des Träumenden wesentlich wäre.
Komplexe und Träume in der therapeutischen Arbeit werden ausführlich vorgestellt und durch anschauliche Beispiele angereichert. Die Arbeit am Albtraum leitet über zum Phänomen der Emotionsansteckung. Welche therapeutischen Möglichkeiten sich eröffnen, zeigen Initialträume, Beziehungsträume, Verlustträume, Träume als Trauerprozess und Träume als Ausgangspunkt für Erinnerungsarbeit und bieten damit faszinierende und vielfältige praxisorientierte Einblicke in die »Traumwerkstatt«. Der Traum als Spiel der Imagination beschließt dieses äußerst spannende und lesenswerte Buch, das Träume für Therapeutinnen und Therapeuten jeder Schule fruchtbar machen kann.
Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch
1Imaginieren und Träumen
1.1Kontinuum zwischen Wachen und Träumen
Traumforscher und Neurowissenschafter stellen in den letzten Jahren die Hypothese auf, dass zwischen dem Tagträumen und dem Träumen in der Nacht ein wichtiger Zusammenhang besteht, dass es eigentlich nur ein Kontinuum des Träumens gibt. So postulieren Fox, Nijeboer, Solomonova, Domhoff und Christoff (2013), dass das Träumen eine intensivierte Version der wachen, spontanen Gedanken sei – das Gedankenwandern während des Wachzustands eine abgeschwächte Form des Träumens. Wie argumentieren sie? Sie betrachten, wie heute üblich, das Default Mode Network – das Ruhezustandsnetzwerk – als spontan aktiv, wann immer Menschen nicht gerichtet aufmerksam sind, wenn äußere sensorische Inputs fehlen, also in ruhigen Situationen. Dieses Ruhenetzwerk unterstützt das reizunabhängige Denken. Wenn wir während des Schlafens träumen, dann sind die äußeren sensorischen Reize weitgehend blockiert: Das Träumen kann also als eine intensivierte Form des Tagträumens gesehen werden.
Die Idee von einem Kontinuum zwischen Wachen und Träumen ist nicht neu, es wird aber in diesen neueren Studien belegt und gerät dadurch wieder neu in den Fokus des Interesses. So schreibt etwa Hartmann (2011, S. 31): »The continuum I propose, which we have studied in detail, runs roughly from focus-waking thought at one end through looser thought or reverie to fantasy, daydreaming, and eventually to dreaming.«
Und natürlich stellt sich die Frage: Welche neuen Ideen bringen uns diese Forschungen für das Verständnis und das Arbeiten mit Tagträumen und Träumen? Aber auch: Welche vertrauten Ideen werden wieder aktuell und wissenschaftlich untermauert?
Wenn wir siebzig Jahre alt sind, so haben wir etwa sieben Jahre davon im Schlaf geträumt – wobei wir uns nur an einen kleinen Bruchteil dieser Träume erinnern. Rechnen wir auch noch das Tagträumen zum Träumen, die selbst generierten Gedanken, das Gedankenwandern, das etwa 30 Prozent unseres wachen Lebens ausmacht, dann sind wir oft im Traummodus, und das Träumen muss eine große Bedeutung für das menschliche Leben haben.
Ein Traum ist erst ein Traum, wenn wir erwachen. Solange wir träumen, ist die Welt, in der wir uns bewegen, einfach die normale Welt. Unsere Traumwelt ist vergleichbar der wachen Welt. Da sind Menschen, Probleme, die wir kennen, gute Zufälle, Verhinderungen, wir probieren etwas aus – wie im Alltag auch, und dennoch ist die Traumwelt auch ein wenig anders. Im Traum sind wir mit allen Sinnen anwesend, wir erleben uns ganzkörperlich und sind ganz gegenwärtig. Wir haben Emotionen im Traum, können Gefühle wahrnehmen und beschreiben, sind oft in einer Welt der Bilder, können auch etwas, das wir im Wachen nicht können, wie etwa fliegen.
Erwachen wir, dann wundern wir uns über einige Vorkommnisse, etwa darüber, dass wir mit einem längst verstorbenen Großvater eine Bergtour machen. Eigentümlich, aber auch eigentümlich beeindruckend. Auch von einem Tagtraum sprechen wir erst, wenn wir hochschrecken, uns plötzlich dessen bewusst werden, wo wir in Gedanken gerade waren, womit sich unsere Gedanken gerade beschäftigt haben, oder auch, wenn wir wahrnehmen, dass wir weg waren. Auch von einem Tagtraum sprechen wir erst, wenn wir ihn wahrnehmen – und viele Tagträume nehmen wir gar nicht wahr. Es ist ein psychisches Geschehen, das eigentümlich in der Schwebe bleibt: Wird es bewusst, wird es nicht bewusst? Woher kommen die Gedanken und die Bilder? Und viele sind so vage, dass wir sie kaum wahrnehmen: Psychisches Geschehen in der Schwebe und deshalb auch geheimnisvoll.
1.2Wozu sind Träume gut?
Für C. G. Jung standen die Träume und die Imaginationen wie auch die Beschäftigung damit im Zentrum der Psychotherapie und seiner Auseinandersetzung mit dem Unbewussten. Das gilt auch für diejenigen unter den Therapeutinnen und Therapeuten der Jung’schen Schule, die den kreativen Ansatz von C. G. Jung in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen.
Warum war die Arbeit mit Träumen für Jung so wichtig? C. G. Jung: »Fast alle Probleme, die mich menschlich oder wissenschaftlich beschäftigten [, wurden] von Träumen begleitet oder vorweggenommen« (Jung, 1961/2005, S. 116). Das ist an sich noch nicht so besonders: Träume und Tagträume handeln im Wesentlichen von dem, was uns im Alltag beschäftigt. In vielen Untersuchungen wird nachgewiesen, dass Träume von zentralen Konflikten im Alltag, von wichtigen Anliegen, Wünschen, emotionalen Erfahrungen handeln. Diese Forschungen unterstützen die sogenannte Kontinuitätshypothese (Fox et al., 2013; Hartmann, 2011). Das hat offenbar auch C. G. Jung so erfahren. Darüber hinaus aber gab er den Träumen eine große Bedeutung für die Lebenspraxis. Er stellte fest, dass dann, wenn der Mensch in einer existenziellen Situation ratlos ist, die Träume Anregungen zu geben vermögen. Diese, so Jung, ergäben Imaginationen, und er stellt fest, dass »fast in der Regel etwas herauskommt, wenn man lange und gründlich genug einen Traum recht eigentlich meditiert, das heißt, mit sich herumträgt. Dieses Etwas […] ist ein praktisch wichtiger Wink, welcher dem Patienten zeigt, wohin der unbewusste Weg zielt […]. Ich muss mich ganz damit begnügen, dass es dem Patienten etwas sagt und seinem Leben Strömung verleiht. Das einzige Kriterium, das ich anerkennen darf, ist also die Tatsache, dass das Resultat meiner Bemühung wirkt« (Jung, 1929/1971a, S. 44 f.).