Überlandleitung - Katharina Hacker - E-Book

Überlandleitung E-Book

Katharina Hacker

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Beschreibung

Kurz nachdem Katharina Hacker für ihren Roman ›Die Habenichtse‹ im Jahr 2006 den Deutschen Buchpreis erhielt, legte sie einen Band mit Gedichten vor, aus denen intensivste Wahrnehmung spricht: ›Überlandleitung‹ enthält Prosagedichte, mit denen wir wie auf Zehenspitzen die Räume zwischen Imagination und Realität betreten, die Zeiten zwischen Gegenwart und Vergangenheit – auch sprachliches Neuland.

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Seitenzahl: 60

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Katharina Hacker

Überlandleitung

Prosagedichte

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Inhalt

WidmungIim Septemberim Oktoberim Novemberim Dezemberim Januarim Februarim Märzim Aprilim Maiim Juniim JuliIIEin Tag, 1Ein Tag, 2Ein Tag, 3Ein Tag, 4Ein Tag, 5Ein Tag, 6Ein Tag, 7Ein Tag, 8Ein Tag, 9Ein Tag, 10Ein Tag, 11Ein Tag, 12Ein Tag, 13Ein Tag, 14Ein Tag, 15Ein Tag, 16Ein Tag, 17Ein Tag, 18Ein Tag, 19IIILeichthinSchattenbilderNicht großzügigMahnungWendeNachtUmrißlinienAmpelnUnter den Linden, 9. Dezember 2005SchlachtenseeKazanSchuheNamen 1Mantel GottesAlternKopfNamen 2TrostgedichtGeburtZoogedichtePapierKörperteilIVKrügers WohnungDrucknachweis

Für Gisela und Hermann Freudenberg

I

im September

über die Mauer hängen die Zweige der Weide

schnurgerade wächst im Hof der Stamm des Ginkgos

vom Fest blieben zwischen den Pflastersteinen

weiße Salzkörner von den Brezeln gerieben

während die Krümel längst Vögel aufgepickt haben

das ist der Anfang denke ich mir

wobei ich Tage schon zähle in den Herbst

in den Winter den Frühling hinein bis in den Sommer

den nächsten wenn zwischen den Steinen

wieder Salzkörner liegen

zwei Hände bilden den Flugkörper nach der

in der Luft steht sich aufschwingt

von oben aus der Perspektive des stillstehenden Vogels

fotografierte ich diesen Weg die scharfkantigen

schwarzen Steine der alten Messestraße nach Leipzig

ein gedrungener Vogel ist es der in seinem Flug

keinem Raubvogel ähnelt eher dem Wort

Wachtel ja er ähnelt einem Wort dem Namen

eines Zugvogels der fast ausgerottet ist

im Oktober

die Farbe platzt ab von den Augen

während der Tag überm Dach den Wind

antreibt und Geruch nach Weihrauch

aus einem Gebüsch steigt Bussardrufe

unablässig tönen und Flugzeuge aller Arten

Passanten sind hier überall promenieren

wie in der Stadt Hunde voran und

leichtes Schuhwerk an den Füßen

während die Landschaft sich vernutzt

unter den täglichen Blicken

werden die Farben von Tag zu Tag

kühner platzen ab von den Augen

unter den Nußbäumen entlang bis zum Haus das Gras

grell ausgeleuchtet von den Scheinwerfern

spätsommermatt kein Laut zu hören von den Nüssen

wie sie fallen unter den Bäumen zum Haus hin

bräunlich die Halme und das Laub auch –

im Traum nur durchs taunasse Gras spätsommermatt

und lautlos fallen die Nüsse lautlos

tragen die Eichhörnchen sie davon

für Adrienne Schneider

im November

Schneetreiben über den flachen Hängen

hauchdünn zwischen den Gräsern den kahlgefrorenen

flach den Boden entlang

die eisigen Kristalle suchen Deckung

und Schutz in den Ausbuchtungen der Feldwege

in denen knöcheltief der Schnee

in Verwehungen zur Ruhe kommt

im Dezember

im Winterwind

(der Brief schon im Briefkasten in der Kälte)

sind die Sterne so deutlich lesbar als stünden sie

mit dem Rücken zur Vergangenheit

über dem Schneefeld im letzten Licht

flattert ein weißer Vogel auf der Stelle

stürzt schließlich herab.

lange behalte ich den hellsten Stern

im Auge ob er sich nicht doch

beweglich in ein Flugzeug verwandeln will

in der Nacht tauen die Ränder der Fußspuren

gefrieren morgens aufs neue

im Januar

mit jedem Tag wird die Einsamkeit größer

unter den Menschen deren Fußtritte nichts

abbilden als ihre eigene Größe und die

Nachricht bleibt aus die an der Erde haftet

nicht für und nicht gegen uns zeugt

unserer nicht bedarf und nicht unserer Angst

die Überlandleitung quert Äcker und Wege

aufgesprungen hegt das Land

– Eisreste und Pfützen und faulendes Holz –

und spärlich nur Stimmen miteinander

wie Hand in Hand über die Höhe nur zwei

ein Stück weit und wieder zurück

weil’s weiter nicht geht weil’s weiter nicht trägt

unter den Überlandleitungen

fußgroß und nicht größer

aufgehellt wie ein retuschiertes foto

ein re-touchiertes in seiner verlorenen einfalt

eine gruppe menschen in sonntagskleidern

ohne hut aber in feinen schuhen

auf einem feldweg pfützen rechts und links

im winter der nachläßt vereinzelt

schneeplacken auf dem acker während

der hügel sich wölbt wie gewohnt seltsam

altmodisch dies bild einer Sonntagsgesellschaft

digital und in farbe erinnert an august sanders gesellschaft

die strommasten mit großen schritten

treten leise auf

im Februar

als habe die große Reise begonnen

und zeigten die Füße himmelwärts als fliege

wie aus dem Gebüsch ein Bussard

die Zeit auf und vom Wind abgetrieben

den Hang hinauf dicht über den Sträuchern

und dann doch weiter doch leichter und höher

hinaus ins Freie

auf einem ast singend sitzt das leben

schüttelt die kälte aus dem gefieder

hält sich mit den krallen an

der losen rinde die unbeschriftet ist

abfällt nach dem winter vergeht ohne zeichen

geraten die buchstaben im frühling aufs neue

und die alten weichen die zeilen wachsen

wie die halme sich durch die erdkruste

bohren durch die verhärtung des winters

singend sitzt das leben auf einem ast

schüttelt in der letzten kälte

die flügel während unter den krallen

die neuen buchstaben nachwachsen

zeile um zeile bis das gefieder leicht

in der sonne und gewärmt im hellen licht

für christian strub

im März

aufgegangen sind Unkraut und Saat

nahe der Mauer zwischen Vulkansteinen

wie sie auch den Weg nach Leipzig pflastern

auf den Feldern unterm weggeschmolzenen

Schnee die Mausgänge weitverzweigt

und im Gebüsch ein schwarzer Handschuh

aufgesteckt auf einem Zweig

die Strommasten zeichnen sich

triumphal in den Himmel hinauf

mit Linien weithin und

weiter die Vogelflüge im Frühling

im April

die früchte die blüte die blütenblätter

schlehen- und apfelblüten

das behutsame des todes

und wie einem windhauch

die blüten gehorchen

im Mai

der kurze Ausschnitt aus dem Zugfenster gesehen

wer da spazierenginge am Bahndamm

mit zwei Hunden

und sogleich empfunden wie dieser Spaziergang

am Bahndamm mit zwei Hunden die Zeit darstellt

Hecken gleiten davon die Landschaft läuft

wie ein Schiff in die Städte ein

die sich an Schornsteine schmiegen

die Schornsteine piksen in die Wolken

der Fluß schaut gleichmütig den Schiffen nach

am Bahnsteig bleiben Passagiere stehen

steigen nicht ein noch aus

der Sommer bricht an und die Zeit ist

ein Spaziergang zwei Hunde rennen

vorneweg und bellen am Bahndamm

aus dem Zugfenster gesehen

mit einem Mal trat über die Ufer der Windstaub

verdeckte den Himmel die Häuser und den Kanal

auch die aufgewühlten Wellen gegen die Schwäne

trieben und Bäume rissen sich von den Blättern

von den Ästen los die ein Stück über

die Wege schlitterten liegenblieben

wie nach Unfällen Autos am Straßenrand

die Böen vergällten das Licht es verblaßte

wendete sich zu Boden verlor

so sehr wir uns duckten gegen den Staub

und ausatmeten es half doch nicht

da über die Ufer der Wind trat

gegen die Augen und ins Gesicht

daß wir uns abwandten davon

im Juni

die Wiesen dicht an dicht die Schafe kaum zu sehen

und Sommertag wie Sommertage früher

wie Klee Klatschmohn und Schmetterlinge

landen auf dem Weg und ducken sich und täuschen

bevor sie taumelnd weiterfliegen

für ein paar Stunden mißt sich die Zeit an der Erinnerung

und in der Leere bleibt sie stehen