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Zwei Hippies trampen durch Frankreich. Ziel ist am Ende der Reise die Schweiz, aber das Ziel scheint nicht unbedingt der Sinn der Reise zu sein. Beide sind angehende Schriftsteller und die unterwegs entworfenen Geschichten lesen sie sich abwechselnd vor. Der Verlauf ihrer Freundschaft, die Ereignisse der Reise, die Orte und Menschen vermischen sich mit den hochfliegenden Gedanken ihrer sprießenden Literatur. Nährboden für ihre naiv-philosophischen Bestrebungen ist der Zeitgeist der Hippie-Aera und dessen glückliche Fügung. Trotz ihres tiefen Verständnisses füreinander wartet im Verlauf ihrer Fahrt die eine oder andere Kreuzung auf sie.
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Veröffentlichungsjahr: 2014
I M P R E S S U M
Monte Nudo
von Walter Gerten
© 2001 Walter Gerten.
Alle Rechte vorbehalten.
Autor: Walter Gerten
Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne
Zustimmung des Autors nicht vervielfältigt, wieder verkauft oder weitergegeben werden
Text, Zeichnungen, Bilder und Fotos von Walter Gerten. © 2001 Walter Gerten
Der Autor:
Walter Gerten lebt seit vielen Jahren in der Südeifel und hat sich bei seinen Romanen von dieser Landschaft beeinflussen lassen. Ausnahmen sind „Monte Nudo“ und „Unterwegs mit Tom Kerouac“, welche in Norditalien bzw. Frankreich spielen.
Menschen abseits der üblichen Handlungsmuster, getrieben von tiefgreifenden emotionalen und rationalen Strömungen verlieren sich in existentiellen Verstrickungen, zumeist auf einer psychologisch-kriminalistischen Bühne, auf der sich die Beteiligten an ihren Grenzen bewegen und den Leser einbeziehen.
Weitere Romane:
Manfred Wilt und der Tote am Fluß
Manfred Wilt und die Rocker
Der Bote des Zarathustra
Monte Nudo
Das Buch:
Zwei Hippies trampen durch Frankreich. Ziel ist am Ende der Reise die Schweiz, aber das Ziel scheint nicht unbedingt der Sinn der Reise zu sein.
Beide sind angehende Schriftsteller und die unterwegs entworfenen Geschichten lesen sie sich abwechselnd vor.
Der Verlauf ihrer Freundschaft, die Ereignisse der Reise, die Orte und Menschen vermischen sich mit den hochfliegenden Gedanken ihrer sprießenden Literatur. Nährboden für ihre naiv-philosophischen Bestrebungen ist der Zeitgeist der Hippie-Aera und dessen glückliche Fügung.
Trotz ihres tiefen Verständnisses füreinander wartet im Verlauf ihrer Fahrt die eine oder andere Kreuzung auf sie.
Die Namen der Personen sind frei erfunden.
1. Kapitel Ich und ich
2. Kapitel Das Feuer
3. Kapitel Mimizan
4. Kapitel Campingplatz
5. Kapitel Gewitterstimmung
6. Kapitel Der Feuerkelch
7. Kapitel Rainer
8. Kapitel Der fliegende Teppich
9. Kapitel Der Geist des Ortes
10. Kapitel Caddy
11. Kapitel Libido
12. Kapitel Absturz
13. Kapitel Der Kranich
14. Kapitel Beginn der Paranoia
15. Kapitel Paradiesstern
16. Kapitel Paranoia 1 - Der Pilot
17. Kapitel Michelle, ma Belle
18. Kapitel Paranoia 2 Vexierbild
19. Kapitel Allein
20. Kapitel Der Eremit
21. Kapitel Tom
22. Kapitel Timmy
23. Kapitel Die Schauspielerin
24. Kapitel Fahrt
25. Kapitel Gezeiten
26. Kapitel Saanen
27. Kapitel Die Reden
Thomas stand am Straßenrand und streckte den Daumen in die Luft, wenn Autos kamen. Dazwischen ließ er den Arm langsam sinken und begann dann auf der Stelle zu tänzeln. Pirouetten, Tanzschritte, pantomimische Bewegungen; er konnte keinen Augenblick still halten. Im nächsten Moment pfiff er ein Lied, aber nur teilweise, dann fiel ihm wieder was Neues ein. Er drehte sich zwischendurch zu mir um und erklärte mir irgendwas über den französischen Ort hinter uns, der uns nicht weglassen wollte.
Er hatte seinen schwarzen Notizblock aus der Jacke gezogen und blätterte darin herum. Die Seiten waren vollgekritzelt mit den Geschichten, die wir uns unterwegs ausdachten. Tom hielt inne beim hastigen Umschlagen der Seiten und hockte sich neben mich, strich das Papier mit der flachen Hand glatt, legte wie in Zeitlupe den Zeigefinger auf den Anfang der kurzen Zeilen.
"Hier, hör zu, Manfred. Das hab' ich mir irgendwann mal aufgeschrieben. Ist nicht von Kerouac.
Ich bin nicht ich, heißt das; ein Gedicht von Jiménez. Also, hörst du zu?
Ich bin nicht ich
Ich bin jener,
der an meiner Seite geht,
ohne dass ich ihn erblicke,
den ich oft besuche,
und den ich oft vergesse.
Jener, der ruhig schweigt,
wenn ich spreche,
der sanftmütig verzeiht,
wenn ich hasse,
der umherschweift,
wo ich nicht bin,
der aufrecht bleiben wird,
wenn ich sterbe.
Tom war ganz ruhig geworden, blickte immer noch schweigend in sein Notizbuch, dann sagte er langsam:
"Ist das nicht toll? So einfach und wahr, so traurig und friedlich, ich glaube, ich habe nie was Schöneres gelesen."
Er räusperte sich verlegen, als ob ihm seine eigene Ruhe unheimlich sei, sprang wieder auf die Füße und winkte mit seinem Daumen. Alles müde Feierabend-Heimkehrer, die schnell nach Hause wollten.
Ich machte es mir im Gras gemütlich und lehnte mich gegen die Rucksäcke. Neben der Böschung in der schier unendlichen Pfirsichplantage packten die Pflücker ein und tuckerten mit dem kleinen Traktor nach Hause. Sie hatten uns ein paar von den großen samtigen Früchten herauf geworfen.
Die niedrig stehende Sonne im Westen wärmte immer noch mein entspanntes Gesicht. Ich nahm einen der duftenden Pfirsiche und schnitt ihn mit dem Taschenmesser in zwei Hälften. Wenn wir heute Mittag hier weggekommen wären, könnten wir schon in Bezier sein, oder Narbonne, Carcassonne, Toulouse.
Thomas behauptete, der Sohn von Jack Kerouac zu sein, dem Hobo-Schriftsteller. Ich hatte Kerouac gelesen, er war der große Tramp, Vater der Gammler und Hippies, man erwartete, ihn irgendwo auf der Straße zu treffen, obwohl er lange nicht mehr lebte.
Soviel ich wußte, war Thomas deutscher Abstammung, aber er nannte sich Tom, wohl um die Glaubwürdigkeit zu verbessern. Ganz ausschließen wollte ich es tatsächlich nicht, Jack Kerouac war auch in Europa gelandet, aber Thomas...?
Ich beobachtete ihn, wie er die Luft schnuppernd prüfte, mit leicht schielendem Blick herüberspähte, die Haare zerzaust, tänzelnde Füße, die unruhigen Finger spielten in der Luft Klavier.
Irgendwie hatte er 'ne echte Macke; aber nicht immer.
Er hatte mir einmal von seiner Narbe erzählt. Eine von den unzähligen Erzählungen auf dieser Tour. Keine wirkliche Narbe, man konnte sie nirgendwo sehen.
"Weißt du, Man," so nannte er mich manchmal, "diese Narbe in meinem Gehirn, hei, hörst du auch zu, ich hab' dir doch schon davon erzählt, oder? Also diese Narbe, normalerweise merke ich gar nichts davon, aber wirklich überhaupt nichts. Nur ab und zu, wenn das Wetter umschlägt, wie die alten Eifelbauern sagen, meine Narbe kündigt den Regen an. Andererseits hab' ich auch manchmal das Gefühl, es kommt von Verspannungen, im Nacken oder so. Das ist meistens nur so'n leichtes Ziehen, gar kein richtiger Schmerz.
Kennst du diese Wasserläufer, kannst du sie dir vorstellen, die hast du sicher schon gesehen, so spinnenartige Tiere, die über die Wasseroberfläche laufen können."
Er zeigte mit Daumen und Zeigefinger die Größe der Tiere; ich nickte.
"Mit den spitzen Beinen drücken sie die Haut auf der Wasseroberfläche so'n bisschen ein, hast du das schon mal beobachtet? Die Wasserhaut, ein glänzender Spiegel für die ganze Umgebung, die geht bei dem Bein von dem Vieh so'n bisschen nach unten, wie ein Trichter so etwa. Und diese ganze gespiegelte Welt wird dadurch gebogen, verzerrt, gedehnt und unkenntlich. Siehst du das? So is' das auch mit meiner Narbe, wenn ich die spüre. Meine Wahrnehmung ist an dem Punkt nicht so, wie sonst.
Wenn jemand zu mir spricht, oder ich muß auf irgendwas achten, dann geht das an dem Punkt nicht so recht. Aber beim Klavierspielen, da stört's komischer Weise überhaupt nicht."
So redete er weiter und weiter, sprang zwischendurch auf, um den Autos seinen Daumen entgegenzustrecken, und kam wieder zurück getanzt, um weiter zu reden.
Schließlich, als es dämmerte, hielt endlich der einarmige Mann und ließ uns einsteigen. Er hatte einen Knauf am Lenkrad, wie die Traktoren, damit er mit seinem einen Arm nicht umgreifen mußte beim Lenken. Er fuhr uns durch die ganze Nacht bis zum Sonnenaufgang. Tom saß vorne und bemühte sich mit seinem stolpernden Französisch, den Fahrer wachzuhalten; was ihm auch wunderbar gelang, obwohl der Einarmige recht schweigsam war. Ich dämmerte hinten auf dem Rücksitz zwischen dem Gepäck vor mich hin. Mir steckte immer noch der Schreck vom Vortag in den Knochen.
Das Sirren der Reifen, der immer auf gleichen Touren laufende Motor, mein Magen knurrte, mein Kopf sank auf die Brust. Ich bekam die Augen nicht mehr auf, ich sah es wieder vor mir wie gestern, das Feuer.
Thomas hatte sich nach vorne gebeugt und rührte mit einem langen Ast in der Glut. Die Funken stoben empor und taumelten in einer Spirale den Sternen entgegen, Er schob die angekohlten Holzscheite in die Mitte und warf etwas von dem trockenen Laub darauf, das überall unter den Bäumen am Waldrand lag. Er hockte sich wieder neben mich und starrte in die gewaltige Rauchwolke, die sich noch verdichtete und weißer wurde, bis sie plötzlich mit den aufzüngelnden Flammen verschwand.
Mit einem Blick, der in andere Gegenwarten schaute, murmelte er, und ich war mir zunächst gar nicht sicher, ob er mich damit ansprechen wollte:
"Das Feuer ist schuld." Er drehte sein Gesicht in meine Richtung, seine wirren Augen unter den Zottellocken klärten sich und fokussierten schließlich meinen stummen Mund.
"Der Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht nicht darin, dass der Mensch lachen kann, vielleicht ist das Lachen sogar nur ein Zeichen seiner Entfremdung. Auch das Argument, nur der Mensch könne denken, ist ja mittlerweile widerlegt. Nein, das Einzige, was den Menschen wirklich und einzig vom Tier unterscheidet, ist, dass er das Feuer benutzt!"
Mag sein, dachte ich, aber was war daran so bedeutsam? Ich hatte mich mittlerweile an die ungewöhnlichen Gedankengänge gewöhnt, die Thomas und sein Weltbild charakterisierten. Über das Feuer hatten wir bislang noch nicht philosophiert.
"Warum stellt der Mensch sich in solch einer blasierten Art über die Natur?", fragte er. "Die Biologie lehrt uns drei Kategorien von Lebewesen: Mensch, Tier und Pflanze; wobei sie natürlich den Menschen als die höchste Form definiert. Wieso sondert der Mensch sich ab? Weil er sich mit dem Feind der Natur, dem Feuer verbrüdert hat! Das Feuer gibt ihm Wärme und Macht, es kaut ihm sogar das Essen vor, damit es leichter verdaulich wird. Nur hat es ihn im Laufe der letzten 600.000 Jahre komplett abhängig gemacht. Das ist ja wohl offensichtlich, oder?"
Wieder mußte ich zustimmen, das Feuer spielte in der Kultur der Neuzeit die tragende Rolle; undenkbar, darauf zu verzichten.
Thomas schob ein weiteres Holzscheit in die Glut.
"Ohne Feuer kein warmes Haus, kein Auto, keine Kraftwerke, keine Fabriken, die uns Kleider weben. Stell dir das 'mal vor, keine Klamotten. Keine warme Mahlzeit, keine gemütliche Badewanne, kein Garnichts. Noch nicht einmal Metall, um irgendwas herzustellen. Das Feuer erlaubt uns, über die Natur zu lachen."
Seine Augen wurden immer größer, er hob den Stock drohend in den Himmel.
"Das Feuer bringt uns den Untergang, am Ende wird die Natur wieder triumphieren!"
Er ließ den Stock in die Glut sausen, ein Funkenregen prasselte auf uns hernieder. Ich klopfte mir eilig auf die Haare und den Nacken, ein brennender Stich zuckte unter der Jacke. Thomas fuhr unbeirrt fort, der nächste Hieb traf einen brennenden Ast, der kreiselnd in die Höhe flog und eine leuchtende Spur vor dem dunklen Himmel zog, bis er hinter uns verschwand.
"Die Abhängigkeit ist doch in den letzten Jahrhunderten immer stärker geworden. Stell dir eine Industrialisierung ohne Feuer vor; unmöglich. Der Luxus, den wir uns aufgrund des Feuers leisten können, wer will den aufgeben oder zurückschrauben? Aber müssen wir das nicht, um unsere nackte Haut zu retten? Man sieht ja jetzt schon, wie es enden wird. Die Wissenschaftler sagen die Erwärmung der Atmosphäre voraus, Klimakatastrophen, Stürme, Überschwemmungen, Not und Elend, Seuchen und Verzweiflung. Seit wie vielen Generationen schleppen wir diese Erbsünde jetzt mit uns herum? Verdammt nochmal, jetzt weiß ich, was Eva dem Adam im Paradies reichte: Ein frisch gegrilltes Steak."
Traurig und stumm legte er sich zurück ins Gras, verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte die Sterne an.
"Der Weltraum ist eisig kalt", flüsterte er. Mich schauderte.
"Klar, wir haben keine Behaarung mehr, leider. Wir sind auf Kleidung angewiesen. Die könnte man aber sicherlich auch ohne Fabriken hinkriegen. Früher haben die Leute ja auch gewebt und genäht. Das kann man alles wieder lernen. Mit etwas gutem Willen würden wir die Kurve noch kriegen, da bin ich sicher. Das Problem ist das Feuer in den Köpfen. Diese seelische Abhängigkeit."
Er stützte sich auf den Ellbogen und blickte mich wieder mit klaren Augen an.
"Der Wohlstand hat uns faul und unbeweglich gemacht, weich vom Luxus, bequem und träge. Ich kenne Leute unten in Südfrankreich, die sammeln alte Ackergeräte, Pflüge und Eggen und das ganze Zeug, das man noch mit Pferden betreiben konnte. Katastrophenplaner.
Ich glaube, der Mensch ist zu krank dafür, ich bin Pessimist. Es ist ja nicht nur diese körperliche Abhängigkeit vom Feuer. Die Entfremdung ist das Schlimme; von der Natur, vom Wissen, wie man sein Leben im Einklang mit der Natur regeln kann. Aber auch von der Natur des Menschen selbst. Was ist denn aus uns geworden? Verstörte, ängstliche kleine Würmer; aber mit dem allergrößten Selbstbewußtsein."
Er machte eine lässige Wegwerfbewegung mit der Hand.
"Da scheiss ich drauf. Das täuscht uns nur über die kranke Seele hinweg, die verwirrt und von Selbstzweifeln zerfressen dahinsiecht. Guck dir doch die Städte an, was da ab geht. Gewalt und Streit und Rücksichtslosigkeit. Im Angesicht der Katastrophe sollte man doch Zusammenhalt und Vernunft erwarten. Und die Regierungen? Die machen doch genau das, was die Mächtigen von ihnen verlangen. Und die wollen bestimmt nix am Konsumverhalten der Menschen ändern."
Er rappelte sich hoch; ich fühlte, wie stinksauer er war. Er zog den Reißverschluß am Hosenschlitz herunter und pinkelte auf das Feuer.
Wir gingen die paar Schritte die Wiese hinab zu unseren Schlafsäcken. Die Nacht war mild und klar; ich konnte nicht sofort einschlafen, weil sich so viele Gedanken in meinem Kopf tummelten und noch kein einziger den Weg durch den Mund nach draußen gefunden hatte. Was wollte ich noch dazu sagen? Ich war etwas verwirrt, aber irgendetwas bereitete mir Sorgen, etwas Reales, was war es nur gewesen. Ich gab die Suche auf und betrachtete das feurige System, das Thomas aufgebaut hatte. Eben nur ein Gedankensystem, gefährlich wie alle Systeme, in denen man sich verlor; brandgefährlich.
Ich hörte noch sein Schnarchen und in dem Dorf hinter der Kuppe einen Hund bellen, vielleicht hatte er unser Feuer gerochen.
Dann war ich eingeschlafen.
Ich träumte von großen Flammen. Nackte Trommler bildeten einen Kreis und schlugen einen treibenden, animalischen Rhythmus. Nackte Frauen mit bemalten Gesichtern tanzten in einer zuckenden, ekstatischen Spirale um das prasselnde Feuer. Der Rhythmus steigerte sich langsam und geduldig. Die Tänzerinnen fanden ihre Trance im Takt. Der Schamane rasselte mit seinem Knochenbündel. Seine schaurige Maske beugte sich vor und zurück, nach rechts und nach links. Er bahnte sich einen Weg zum Feuer und warf mit großer Geste ein Pulver in die Flammen. Blitzschnell bildete sich eine rote Rauchkugel, der Rhythmus hielt mit einem synchronen Schlag aller Trommler an, bei dem die Frauen auf Knie fielen. Der Schamane verbeugte sich vor der roten Wolke, die das große Feuer erstickt hatte. Man hörte nur einen leisen, bebenden Trommelwirbel und das tiefe, musikalische Summen der Tänzerinnen.
Ein überaus friedlicher Moment in meinem Traum, der jäh unterbrochen wurde von der schrillen, sich in die Höhe schraubenden Sirene aus dem Dorf. Im gleichen Moment waren wir beide hellwach und sprangen auf. Hinter uns prasselte und knackte es im Wald, die ersten Bäume standen bereits in Flammen. Jetzt hörte man auch das Heulen der Sirene aus dem Nachbarort.
In heller Aufregung packten wir unsere Schlafsäcke und rannten die Wiese hinab in Richtung Straße, auf der gerade das erste Feuerwehrauto vorbeifuhr. Aus der Entfernung glaubte ich die rettenden Schläuche zu sehen und da vorne, unter der Motorhaube, bei jeder Umdrehung des Motors die kleinen Feuer im Brennraum, die das Fahrzeug vorantrieben.
Der Einarmige kurbelte am Lenkrad und parkte sein Auto neben der Imbißbude. Dann stieg er aus und reckte sich, was bei ihm recht seltsam aussah. Ich rieb die Augen und bog den steifen Nacken in seine normale, aufrechte Position zurück.
Thomas war schon draußen und legte einen Sprint zur Toilette ein.
Die frische Luft bracht mich in die Gegenwart zurück.
Direkt hinter den Randsteinen begannen die Dünen; man sah in einiger Entfernung die Schaumkronen auf den Wellen des Atlantiks: Wir waren an einem Stück bis nach Mimizan-Plage gekommen!
Der Einarmige wollte nach Süden; Bayonne, Biarritz, Spanien. Unser Weg sollte später nördlich führen, aber zunächst waren wir hier, wieder am Meer.
Wir trabten mit unserem Gepäck zu dem Campingplatz in den Dünen, den uns der Einarmige gezeigt hatte. Wir genehmigten uns zwei Crèpes mit Honig. Der schwitzende Bäcker hinter seiner fahrbaren Herdplatte bedeutete uns mit allerlei lautmalenden Geräuschen, welche Geschmäcker wir zur Auswahl hätten. Wir ließen ihn gewähren, obwohl wir sein Französisch auch verstanden.
Tom war erstaunlich schweigsam heute Morgen, er weigerte sich, auf dem Campingplatz zu wohnen. Wir suchten uns etwa einen Kilometer nördlich einen Platz zwischen Schilfgras in den Dünen.
Nach dem ersten Sprung in den Atlantik, der mich nach einer halben Stunde völlig entkräftet wie einen Schiffbrüchigen wieder an den Strand spuckte, hockten wir bei einem Kaffe zusammen vor dem Zelt im Sand. Während die Sonne unsere Haut trocknete, kramte Thomas sein Notizbuch hervor.