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Verena alias Venus beugt sich über die sehr blutige Leiche eines Mannes. Wie unter Schock läuft sie barfuß in ihrem roten Kleid durch New York, bis sie in God's Motel, einer skurrilen Mischung aus Touristenlager und Tempelkirche, Zuflucht findet. Hier beginnt die ungewöhnlichste Liebesgeschichte, die man sich denken kann: zwischen einer mutmaßlichen Mörderin ohne Gedächtnis und einem Mönch ohne Vergangenheit ...
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Seitenzahl: 377
ELSE BUSCHHEUER
VENUS
Roman
ISBN 978-3-8412-0639-8
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Juni 2013
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Copyright © 2005 by Diana Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Inhaltsübersicht
Cover
Impressum
Prolog
1 Verliebung
Toga
Toga (Fortsetzung)
2 Beichtgeheimnis
Mau
Sun Baba
Kuki
3 Hindupampe
Benito
Winter/Alien
4 Feenkuss
Maria Magdalena
Bringfriede
5 Spülhände
Scheich Ramzi
Baula
Arjuna
6 Manieren
7 Seniorentarif
8 Donnerhall
9 Tigerfüttern
Bliss Swami
10 Kriegsbemalung
11 Polterabend
12 Eisbären
Venus
Epilog
Informationen zum Buch
Informationen zur Autorin
Es ist ein dampfend heißer Frühsommertag, als wir durch Manhattan fliegen, auf der Suche nach unserer Sommergeschichte. An der Upper East Side werden wir fündig. Durch ein riesiges blitzblank geputztes Fenster sehen wir eine nackte Frau stehen, reglos neben einem nackten Mann, dieser auch reglos, aber liegend, blutend, aus vielen Wunden, zwischen ihnen ein Messer.
Wir nähern uns der Wohnung, dem Zimmer, betrachten die beiden. Es ist nicht viel Ausdruck im Gesicht des Mannes, denn er ist ja tot. Das ist offenkundig, dass er tot ist, und jeder, der schon mal einen Toten gesehen hat, wird bestätigen, dass der Unterschied zwischen einem lebenden nackten Mann und einem toten nackten Mann derselbe ist wie zwischen einem Fisch im Wasser und einem Fisch in der Dose. Erloschen, entseelt, nichts als der Verwesung ausgesetztes Fleisch.
Auch im Gesicht der Frau ist nichts zu lesen, und das, obgleich sie lebt. Sie ist schön gewachsen, zweifelsohne, ausgestattet mit einem milchweißen Körper, an dessen Hals hektische Flecken wie Klatschmohn wachsen. Breitbeinig steht sie da, Füße nach außen, vor sich hin starrend, nicht direkt zum Toten am Boden, eher hindurch, vorbei, woanders hin, dorthin, wo keiner ihrem Blick folgen kann, wir jedenfalls nicht. Die Geburt der Venus fällt uns ein, und wir spüren brennenden Hunger auf die ganz große Tragödie.
Erst nach Minuten öffnet sich Venus’ Hand, spreizen sich spillerige Klavierfinger, als würden sie das Messer fallen lassen wollen, wenn es nicht schon am Boden läge. Sie läuft einige Schritte zum nächsten Zimmer, Staubflocken tanzen zwischen ihren nackten Füßen, als sie ihren etwas zu dünnen Körper über den Marmorfußboden balanciert, sie reckt ihren ohnehin etwas zu langen Hals, greift nach einem roten Büstenhalter, einer roten Unterhose, einem roten Sommerkleid, rot wie das Blut am Körper des Mannes, am Messer, auf dem Boden, das frische Blut, dessen metallener Geruch in der Luft hängt. Sie zieht sich an, mit den eckigen Bewegungen einer Gliederpuppe, und verlässt die Wohnung.
Wir gehen ihr natürlich nach, denn an diesem Eckpfeiler der Geschichte ist unser Interesse erwacht, wir heben an ihm das Bein wie ein Hündchen; was passiert ist, wollen wir wissen, und natürlich auch, warum, warum eher als wann, und ob die beiden einander geliebt haben oder nur Liebe gemacht oder nicht einmal das. Wir wollen wissen, was nun wird aus der Frau, denn was aus dem Mann wird, ist ja klar. Der Mann wird in eine Tüte gepackt, in eine Kühltruhe geschoben, er wird aufgeschnitten, ausgenommen, wieder gestopft und später vergraben. Wir gehen also ihr nach, weil uns das interessanter erscheint, als neben ihm hocken zu bleiben und auf die Herren von der Spurensicherung zu warten, wir sind von Neugier gepeinigt, von Schadenfreude, Mitleid, Sensationslust, wir wollen alles, alles über die schöne bleiche Venus wissen.
Sie aber läuft nur, und wenn wir nicht von dem Toten wüssten, würden wir vielleicht das Interesse verlieren, eine Frau, die die First Avenue hinunterläuft, barfuß, Block für Block, im flammend roten Kleid, auch wenn sie dabei fabelhaft aussieht, auch wenn ihr Spaghettihaar wie eine weiße Flagge im Sommerwind flattert, auch wenn dieser Langlauf vor der atemberaubenden Kulisse von Manhattan geschieht, so erschöpft sich doch der Anblick nach und nach, nur unser Herrschaftswissen hält uns bei der Stange. Niemand, der die milchweiße hellblonde Frau sieht, weiß, was wir wissen. Niemand kann in ihrem blassen Gesicht lesen, dass es gerade den Tod geschaut hat.
Eine halbe Stunde später ist die Protagonistin unserer Sommergeschichte schon fünfundzwanzig Blocks downtown gelaufen, und uns beruhigt die Vorstellung, dass kein Mensch New York zu Fuß verlassen kann, weil das Wasser ihn früher oder später aufhalten wird, in welche Himmelsrichtung er auch immer zu fliehen versucht.
Die Venus wird über kurz oder lang den Südzipfel der Insel erreichen, und dann ist nämlich Sense.
Aber das scheint sie nicht zu stören. Sie läuft. Sie läuft. Sie läuft wie jemand, dessen Ziel es ist, zu laufen, den steinharten Boden Manhattans mit sorgsam manikürten Zehen abzumessen, wie jemand, der kapriziös ist oder wütend oder ganz und gar gedankenversunken. Wir sind fest davon überzeugt, dass es nicht zum Tagesgeschäft dieser Frau gehört, mit nackten Füßen über New Yorks heißen Asphalt zu laufen, dazu sieht sie zu elegant aus und die Füße zu verhätschelt, aber wir begegnen ihr ja im Moment ihrer Lebenswende, das allein macht sie für uns interessant, also folgen wir ihr weiter.
Doch weil dieser New Yorker Sommer sich besonders schwül anfühlt, so wie jedes Jahr, weil sie erschöpft ist, weil sie keinen Hitzschlag erleiden soll, schicken wir ihr Angebote entgegen. Wir schicken einen Polizisten, einen Feuerwehrmann, einen Soldaten, einen Bodybuilder, einen Skilehrer, starke, potente Männer. Sie kommen in kurzen Abständen auf sie zugelaufen, lächeln, sagen hi, suchen ihren Blick, aber sie sieht sie nicht, sie sieht sie nicht, sie läuft weiter. Also schicken wir ihr einen Akademiker, einen Dichter, einen Studenten, aber auch diese Männer sind offenbar unsichtbar für sie.
Etwa zehn Blocks vor der Houston Street biegt sie urplötzlich nach links ab, läuft ostwärts, zwei Blocks weiter, dann wieder downtown, vorbei an Paolo’s Deli, Laptop Repair, Dolphin Gym, Ugly Coyote Thrift Shop, King’s Pharmacy, Theodoro Grocery, Dry Cleaner and Landromat, Hairdresser unisex. Vor Paolo’s Car Repair jedoch strauchelt sie und fällt. Wir sehen, dass ihre Fußsohlen bluten. Wir sehen, wie ein kahl rasierter Riese in einer orangen Kutte sie aufhebt, auf sie einredet. Wir sehen, wie sie kurz Gegenwehr leistet, wie ihr Gesicht sich höhnisch verzieht, wie sie aber dann aufgibt und nachgibt und sich auf seine starken Arme heben und wegtragen lässt. Wir frohlocken. Eine gefallene Prinzessin und ein Bettelmönch. Eine Mörderin und ein Heiliger. Ihr Anblick und wie sie gemeinsam in einer kleinen Barockkirche auf der Avenue B verschwinden, hat unsere Phantasie angeregt, so sehr angeregt, dass wir alle Termine absagen, dass wir es als unumstößlich betrachten, diesem Paar weiter zu folgen, in ein Treppenhaus, in einen Fahrstuhl, in ein mit Goldbrokat und rotem Samt ausgeschlagenes Zimmer mit niedriger Decke, voll gestopft mit Buddhastatuen, Kruzifixen und kitschigen indischen Göttergemälden.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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