Vergessen konnte ich dich nie - Patricia Vandenberg - E-Book

Vergessen konnte ich dich nie E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Markus Wartenberg betrachtete seinen Sohn Benni mit blankem Entsetzen. »Mein Gott, wie siehst du wieder aus«, stöhnte er. »Wo treibst du dich bloß immer herum?« Benni war noch nicht ganz sechs Jahre alt und sehr beleidigt, wenn man ihn so schalt, denn er trieb sich nicht herum. »Ich war mit Wuschel im Wald und am Bach«, erklärte er trotzig. »Da ist es eben schmutzig bei dem Sauwetter.« »Und warum kannst du dich nicht mal im Haus beschäftigen?«, fragte Markus gereizt. »Weil es langweilig ist, und weil man Natur noch genießen muss, solange sie nicht ganz kaputt ist; sagt auch Pfarrer Reibel. Er läuft auch bei Wind und Wetter herum.« Manchmal kam Markus gegen seinen Sohn tatsächlich nicht an, weil er dessen Argumente billigen musste und auch teilte. »Wasch dich jetzt und zieh dich um«, sagte er dennoch energisch. »Iris kommt. Und sei bitte diesmal netter.« »Kann ich nicht. Ich kann sie nicht leiden«, erklärte Benni aggressiv. »Aber warum denn nicht? Sie bringt dir doch immer etwas Hübsches mit«, meinte Markus ein bisschen unsicher. »Sie kann sonst was mitbringen, ich mag sie trotzdem nicht, und sie braucht auch gar nichts mitzubringen, weil ich es doch nicht angucke«, erwiderte Benni. »Du gehst jetzt ins Bad und ziehst dich um«, sagte Markus. »Und Wuschel bleibt draußen, so dreckig wie er ist!« »Ich putze ihn ab, und dann kommt er rein, oder willst du, dass er wegen deiner Tussi verhungert?« »Oh, mein Gott, was hast du für Manieren?«, ächzte Markus. »Von wem hast du dieses Wort?« »Du meinst Tussi? So sagen doch alle Buben zu solchen Weibern, die

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Dr. Norden Bestseller – 245 –

Vergessen konnte ich dich nie

Ricky findet doch noch Liebe und Glück

Patricia Vandenberg

Markus Wartenberg betrachtete seinen Sohn Benni mit blankem Entsetzen.

»Mein Gott, wie siehst du wieder aus«, stöhnte er. »Wo treibst du dich bloß immer herum?«

Benni war noch nicht ganz sechs Jahre alt und sehr beleidigt, wenn man ihn so schalt, denn er trieb sich nicht herum.

»Ich war mit Wuschel im Wald und am Bach«, erklärte er trotzig. »Da ist es eben schmutzig bei dem Sauwetter.«

»Und warum kannst du dich nicht mal im Haus beschäftigen?«, fragte Markus gereizt.

»Weil es langweilig ist, und weil man Natur noch genießen muss, solange sie nicht ganz kaputt ist; sagt auch Pfarrer Reibel. Er läuft auch bei Wind und Wetter herum.«

Manchmal kam Markus gegen seinen Sohn tatsächlich nicht an, weil er dessen Argumente billigen musste und auch teilte.

»Wasch dich jetzt und zieh dich um«, sagte er dennoch energisch. »Iris kommt. Und sei bitte diesmal netter.«

»Kann ich nicht. Ich kann sie nicht leiden«, erklärte Benni aggressiv.

»Aber warum denn nicht? Sie bringt dir doch immer etwas Hübsches mit«, meinte Markus ein bisschen unsicher.

»Sie kann sonst was mitbringen, ich mag sie trotzdem nicht, und sie braucht auch gar nichts mitzubringen, weil ich es doch nicht angucke«, erwiderte Benni.

»Du gehst jetzt ins Bad und ziehst dich um«, sagte Markus. »Und Wuschel bleibt draußen, so dreckig wie er ist!«

»Ich putze ihn ab, und dann kommt er rein, oder willst du, dass er wegen deiner Tussi verhungert?«

»Oh, mein Gott, was hast du für Manieren?«, ächzte Markus. »Von wem hast du dieses Wort?«

»Du meinst Tussi? So sagen doch alle Buben zu solchen Weibern, die so aufgetakelt sind«, erklärte Benni wegwerfend. »Ich würde dir mehr zutrauen, Papi«, sagte er und verschwand.

Markus fühlte sich tatsächlich nicht wohl in seiner Haut. Er liebte seinen Sohn, aber leider konnte er sich nicht allzu viel um ihn kümmern, da er Personalchef einer großen Firma war. Tagsüber wurde Benni von der guten Frau Moosgruber betreut, die auch den Haushalt in Ordnung hielt, aber spätestens um fünf Uhr musste sie gehen, weil ihr Mann dann von der Arbeit kam, der auch versorgt sein wollte. Frau Moosgruber war ein Glücksfall in ihrer Gewissenhaftigkeit, und sie konnte kochen, was Benni sehr wichtig war. Sie war ehrlich, und alles war pieksauber, wie Markus es mochte. Frau Moosgruber dagegen war auch sehr zufrieden, dass ihr niemand hineinredete und sie sich alles einteilen konnte. Und sie wurde überaus großzügig bezahlt. Für Benni hatte sie ein Herz, und so manches, was er gegen Iris Wendel einzuwenden hatte, kam auch aus dem Mund von Frau Moosgruber, aber das hätte Benni seinem Vater nie und nimmer gesagt. Wenn er mal eine Weisheit von sich gab, nach deren Ursprung sein Vater fragte, schob er immer Pfarrer Reibel vor, denn er wusste genau, dass sein Vater mit dem nicht sprechen würde.

Pfarrer Reibel hatte Markus Wartenberg nämlich mit Martina Rechlin getraut, und er hatte auch Benni getauft. Wenn es im Leben von Markus eine andere Frau gab, nachdem Martina so früh gestorben war, hatte Markus nicht nur Gewissensbisse, sondern er trug es dem Pfarrer Reibel auch nach, dass er an Martinas Grab gesagt hatte, man möge jeden verzeihen, die einen Fehler begangen hätten, der wohl auch ihre Seelen belasten würde.

Es war nämlich so gewesen, dass Martina zum zweiten Mal schwanger war. Benni war drei Jahre alt gewesen und hatte sich schon auf ein Geschwisterchen gefreut, aber Martinas zweite Schwangerschaft war von Anfang an kompliziert verlaufen. Immer wieder hatte sie Zwischenblutungen gehabt, doch der Frauenarzt, bei dem sie ständig unter Kontrolle gewesen war, hatte keine Befürchtungen gehegt. Im fünften Monat war es zu der Katas­trophe gekommen. Immer wieder hatte Markus nachgebohrt, ob eine Geburtenunterbrechung nicht doch besser wäre, aber der Arzt hatte sich an seinen konfessionellen Glauben zu stark gebunden gefühlt, und er hatte auch keine Gefahr für Martina gesehen. Aber sie hatte im fünften Monat eine Fehlgeburt gehabt und war daran verblutet, obgleich Markus sie in eine andere Klinik gebracht hatte.

Seit dieser Zeit wollte Markus nichts mehr mit Ärzten zu tun haben, und auch mit Pfarrer Reibel wollte er nicht mehr sprechen.

Er hatte später ein paar Freundinnen gehabt. Schließlich war er noch jung, und er meinte auch, dass es für Benni besser wäre, eine ständige Bezugsperson zu haben. Liebe war für ihn nicht im Spiel gewesen. Martinas Schwester Ricarda hatte sich viel um Benni gekümmert, aber dann hatte es auch zwischen ihr und Markus einen Knacks gegeben, dessen Grund Benni verschwiegen worden war.

Aber nun, vor ein paar Wochen, war Iris Wendel in Markus’ Leben getreten, clever und zielstrebig, attraktiv und erfolgreich als Designerin, ganz anders als Martina gewesen war. Liebe wurde gewiss nicht groß geschrieben. Jedenfalls war es Markus recht so, weil Iris auch nichts gegen ein Kind hatte, wenn sie es nicht selber zur Welt bringen sollte. Irgendwie hatte Markus das auch gefallen, denn er wollte keinesfalls, dass Benni an die zweite Stelle gedrückt wurde.

Das Problem war Wuschel, der Neufundländer, den Markus seinem Sohn geschenkt hatte, damit er leichter über den Tod seiner Mami hinwegkam, denn anfangs hatte Benni überhaupt nicht begreifen können, dass er nun kein Geschwisterchen bekommen sollte und dass seine Mami nicht wieder heimkam.

Wuschel fauchte Iris jedes Mal an. So kannte man diesen gutmütigen, kinderlieben Hund überhaupt nicht, und auch Frau Moosgruber hatte daraus gewisse Schlüsse gezogen, obgleich sie arglosen Gemütes war.

An diesem Tag hatte Markus jedoch insgeheim seine Entscheidung getroffen, Iris zu fragen, ob sie sein und Bennis Leben teilen wollte. Er hielt es mit der althergebrachten Sitte, diese Bitte in aller Form vorzutragen.

Frau Moosgruber hatte das Haus pünktlich verlassen. Markus wollte mit seinem vorzeigbaren Sohn Iris abholen und dann mit beiden im Jagdschlössl essen. Der Tisch war schon bestellt.

Benni hatte auch geduscht und sich umgekleidet. Er war sehr selbstständig, aber mit der Auswahl seiner Kleidung war er nicht sehr wählerisch.

»Jetzt suchen wir erst einmal aus, was du anziehst«, sagte Markus ganz sanft, denn verärgern wollte er seinen Sohn nicht, nicht heute. »Wir gehen nämlich aus.«

»Ich denke, sie kommt her«, sagte Benni trotzig.

»Wir können doch nichts bieten. Frau Moosgruber hat nichts gekocht«, erwiderte Markus.

»Da siehst du, dass sie die Tussi auch nicht leiden kann«, erklärte Benni.

»Du sollst dieses Wort nicht gebrauchen«, sagte Markus gereizt.

»Den Namen Iris kann ich erst recht nicht leiden«, stieß Benni trot­zig hervor. »Und außerdem will ich nicht weggehen. Ich bleibe bei Wuschel. Ich esse ein Käsebrot.«

Markus stieg das Blut in die Stirn. Immer wollte er auch nicht nachgeben.

»Na gut, dann bleibst du allein und isst ein Käsebrot«, sagte er wütend.

»Ich bin nicht allein. Wuschel ist bei mir, und den dürfte ich eh nicht mitnehmen«, sagte Benni trotzig.

»Ich warne dich, mein Sohn«, sagte Markus, »man soll nichts übertreiben!«

Benni warf ihm einen schrägen Blick zu. »Das kannst du dir auch merken«, sagte er mit flammenden Blicken. »Mit der Tussi wirst du noch dein blaues Wunder erleben, das sagt sogar Frau Moosgruber.« Aber dann schwieg Benni erschrocken, weil er seine liebe Frau Moosgruber da hineingezogen hatte, und ganz leise fügte er hinzu: »Sie hat mich nämlich lieb und meint es auch gut mit mir.«

Markus schnappte nach Luft, aber er überlegte. »Könnte es nicht sein, dass du Iris falsch einschätzt, Benni? Und Frau Moosgruber möchte dir gern recht geben? Wenn wir Wuschel nun heute mitnehmen, und Iris hat nichts dagegen, würdest du es dir noch einmal überlegen, Benni?«

»Ich weiß zwar nicht, was du an ihr findest, aber wir können sie ja auf die Probe stellen«, sagte Benni, aber in seinen Augen blitzte es.

Benni sah manierlich aus und Wuschel ebenso, denn Benni hatte ihn noch gebürstet und ihm dabei zugeredet. Wuschel verstand zwar sehr viel, aber nicht, dass man ihm einreden könnte, er solle Iris nicht anknurren. Das tat er mit fletschenden Zähnen, als sie ins Auto steigen wollte.

»Das kannst du mir nicht zumuten, Markus«, sagte sie erregt. »Was soll das überhaupt bedeuten? Will man mich abschrecken?«

»Will niemand. Und ich will Wuschel nicht hergeben«, sagte Benni. »Bring uns heim, Papi. Geh mit deiner Iris allein aus. Ich esse mein Käsebrot.«

»Dann bring ihn doch heim, Markus«, sagte Iris. »Einmal musst du mit der Erziehung beginnen. Glaubst du, ich will mich mit Kind und Köter herumärgern, wenn wir mal beisammen sind?«

»Da hast du es, Papi«, sagte Benni. »Die sagt, was ich denke.«

»Ein fünfjähriger Junge redet doch so was nicht von sich aus«, empörte sich Iris. »Das wird ihm eingeredet!«

Markus wusste überhaupt nicht mehr, was er sagen sollte, aber Benni erwies sich auch weiterhin als schlagfertig.

»Ich bin fast sechs, und mir braucht keiner mehr was einzureden. Ich rede, was ich denke. Ich darf nämlich schon zur Schule gehen, wenn ich noch nicht sechs bin, weil ich den Test bestanden habe.«

»Dann wäre es doch eigentlich am besten, ihn gleich in ein Internat zu geben«, sagte Iris unbedacht, und damit machte sie wohl den größten Fehler. Aber Markus, immer tolerant, wollte keinen Streit.

»Gut, wir bringen dich heim, Benni, und du überdenkst noch einmal, was du eben gesagt hast, und morgen reden wir darüber. Ich gehe mit Iris essen, und ich rede mit ihr über einiges.«

Benni war ganz still geworden und sehr blass, und Wuschel rieb seinen Kopf an Bennis Knie. Das war dem Jungen ein Trost. Er wollte jetzt nichts mehr sagen. Er kämpfte mit den aufsteigenden Tränen, weil sein Papi die Partei von Iris ergriff. Er war ein gescheiter Junge, aber eben doch ein Kind, das seinem Gefühl folgte, und seinen Papi liebte er so sehr, dass er ihn nicht verlieren wollte.

Und nun war er mit Wuschel allein. Nur kurz hatte sich sein Papi verabschiedet und nochmals gesagt, dass er sich künftig überlegen möge, wie er sich zu benehmen hätte.

»Das lassen wir uns nicht gefallen, Wuschel. Von der Tussi erst recht nicht«, sagte Benni grimmig. »Friss dich satt, dann hauen wir ab. Ich packe ein paar Sachen ein und meine Sparbüchse. Und ich weiß auch schon, wohin wir gehen. Die Tussi will uns doch gar nicht. Mich nicht und dich auch nicht. Mich steckt sie in ein Internat, und dich in ein Tierheim. Ich kenne dieses Biest. Sie ist ein Biest. Sie hat ganz grüne Augen, hat Frau Moosgruber auch gesagt.«

Benni packte in seinen Rucksack vor allem Futter für Wuschel. Sonst nur Sachen, von denen er sich nicht trennen wollte. Und dann marschierten sie los. Das Licht im Haus ließ er brennen. Das Geld aus seinem Sparschwein klimperte in seiner Tasche. Als sie an einem Taxistand vorbeikamen, überlegte Benni kurz. Aber dann nahm er Wuschel kürzer an die Leine. »Wir laufen, das kostet nichts, Wuschel«, sagte er. »Den Weg kenne ich, und Ricky soll nicht denken, dass sie für uns zahlen soll.«

Und so marschierten sie los.

*

Dr. Daniel Norden kam zu dieser Zeit nach Hause. Fee und die Kinder erwarteten ihn bereits seit einer halben Stunde.

»Entschuldigt, aber ich musste Frau Rechlin noch eine Spritze geben«, sagte er. »Sie wollte heute Abend unbedingt spielen.«

»Was fehlt ihr denn?«, fragte Fee Norden.

»Schultergelenkentzündung. Sie hatte sich doch im Sommer beim Segeln den Arm ausgekugelt.

»Nicht gut für eine Geigerin«, stellte Fee fest. »Da sollte sie lieber eine Ruhepause einlegen.«

»Aber Erlacher dirigiert, und man sagt ihnen doch eine Romanze nach.«

»Ach Gott, mir wäre meine Gesundheit lieber als dieser arrogante Erlacher«, sagte Fee.

»Du bist ja auch nicht Geigerin und nicht in ihn verliebt.«

»Das würde mir noch fehlen. Du weißt doch, was David über ihn denkt. Talentiert, aber unzuverlässig. Es fällt zwar kein Meister vom Himmel, aber der Ruhm auch nicht, wenn man nicht fleißig ist.«

»Ricarda Rechlin hat einen Knacks bekommen, als ihre Schwester starb«, sagte Daniel nachdenklich.

»Und nun hängt sie ihr Herz an einen Frauenliebling, wobei ich einräumen möchte, dass er ohne Bedeutung wäre, würde man ihn nicht emporjubeln, wie so manche Eintagsfliegen.«

»Er hat den großen Vorteil, dass er eben ein Frauentyp ist«, sagte Daniel.

»Komm mir nicht damit«, widersprach Fee. »Da wird doch viel manipuliert, und der Bursche hat Geld. Bei David war es anders.«

»Wollen wir doch mal ehrlich sein, auch wenn es jetzt eine etwas bittere Pille ist, Fee. David wurde auch von einer reichen Frau gemanagt, und sie hatte viel in ihn investiert. Gut, er hat das alles als Idealist gesehen und ja auch zurückgezahlt, womit sie ihn kaufen wollte. Aber manches Talent braucht eben einen Sponsor. Erlacher braucht den nicht. Hinter ihm stehen Millionen.«

»Die er verjubeln wird, und die Frauen, die er vernascht, werden ihn auch einiges kosten.«

»Dazu gehört aber Ricarda Rechlin nicht«, sagte Daniel Norden.

»Dann bleibt sie eben arm und verschaukelt auf der Strecke, und mit ihrem Arm wird sie es auch nicht zu großem Ruhm bringen.«

»Ich mag nicht, wenn du so sprichst, Fee«, sagte Daniel ernst.

»Ich denke so was auch nicht gern, mein Schatz, aber zu gegebener Zeit muss man den Tatsachen ins Auge schauen. Es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Ich habe neulich einen sehr interessanten Artikel von einem Psychotherapeuten gelesen. Manche Nerven- und Gelenkleiden sind ja auch psychisch bedingt.«

»Das wissen wir ja, mein Liebes«, erklärte Daniel.

»Dieser gescheite Mann teilte die Menschen in zwei Gruppen ein, Lagemenschen und Handelsmenschen.«

»Und die Lagemenschen sind diejenigen, die immer zögern, bevor sie sich zu etwas entschließen, wobei es dann meist zu spät ist, die immer erst in der Vergangenheit nachgrasen und die Zukunft wie eine Mauer vor sich sehen. Und die anderen sind eben entschlussfreudig, handeln spontan und energisch, machen auch mal Fehler, aber grübeln darüber nicht lange nach, sondern suchen dann ein anderes Erfolgserlebnis. So ist es doch allgemein verständlich, oder?«

»Du weißt immer Bescheid«, sagte Fee, »dabei liest du keine Zeitungen, ich muss dir doch alle Neuigkeiten berichten.«

»Das sind keine neuen Erkenntnisse, Feelein. Das meint nur so ein Zeitungsschreiber, und da hat der großartige Psychologe eben ein paar Worte neu geformt, für die man auch Negativ- oder Positivtypen setzen kann. Aber ich gebe gern zu, dass Lage und Handel ein bisschen wohlwollender klingen. Nun, ich meine, eine gute Mischung zwischen Überlegung und Handeln ist bekömmlicher. Aber wir wollten über Ricarda Rechlin sprechen.«

»Ich mag sie, und es würde mir leidtun, wenn sie wegen Erlacher unglücklich würde.«

»Immerhin ist sie eine intelligente, sehr aparte Frau, die sicher nicht wegen eines Mannes ganz den Verstand verlieren würde. Ich weiß ein bisschen über ihr Seelenleben Bescheid, wenn dich das beruhigt, Schätzchen. Sie hat eine panische Angst vor dem Kinderkriegen, weil sie ständig das Schicksal ihrer Schwester vor Augen hat. Also hat sie auch eine Aversion gegen intime Beziehungen zu einem Mann. Bei einer anderen würde ich sagen, dass sie verklemmt ist, aber bei Ricarda ist es tatsächlich ein Komplex, der nur auf den tragischen Tod ihrer Schwester zurückzuführen ist. Sie liebt Benni abgöttisch, aber sie hält sich von ihm fern, um auch einen engeren Kontakt zu ihrem Schwager zu vermeiden.«

»Das gefällt mir aber gar nicht«, sagte Fee.

»Mir auch nicht.«

»Könnte es nicht sein, dass sie Wartenberg vielleicht heimlich liebt?«, fragte Fee.

»Darüber habe ich allerdings noch nicht nachgedacht, aber warum meidet sie ihn dann?«

»Da gäbe es verschiedene Erklärungen. Mit ihrer moralischen Einstellung könnte sie es verwerflich finden, anstelle ihrer toten Schwester deren Platz einzunehmen. Ansonsten könnte es aber auch der Fall sein, dass Wartenberg eine andere Freundin hat. Ein Mann Anfang dreißig wird doch nicht wie ein Mönch leben, wenn er normal veranlagt ist …«

»Jedenfalls gibt es eine dritte Erklärung, und die heißt nun mal Armin Erlacher.«

Fee seufzte tief auf. »Und die mag ich erst recht nicht«, sagte sie.

*

Ricarda hatte das Konzert dank Dr. Nordens Hilfe gut überstanden. Kein falscher Ton, keine Angst war in ihr gewesen. Dagegen hatte Erlacher wohl einen ganz schlechten Tag erwischt, und der Applaus für ihn fiel kärglich aus. Ricarda war innerlich schon darauf eingestellt, ihn zu trösten, aber sie hörte, was ihre Kollegen über ihn sagten, und das war nicht schmeichelhaft.