Verliebe dich nie in einen Rockstar (Die Rockstars-Serie 1) - Teresa Sporrer - E-Book
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Verliebe dich nie in einen Rockstar (Die Rockstars-Serie 1) E-Book

Teresa Sporrer

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Beschreibung

Ein Rockstar in ihrer Klasse! Zoey kann es noch gar nicht richtig glauben. Der angeblich coolste Junge aller Zeiten sitzt in Mathe plötzlich neben ihr. Acid. Ja, genau – DER Acid. Ungekämmtes Haar, verschlungene Tattoos auf den Armen, auffällige Sonnenbrille und natürlich tiefschwarze Klamotten. Vollkommen übertrieben, findet Zoey, und versteht nicht, warum ihre Freundinnen bei jeder seiner Bewegungen loskreischen müssen. Aber es kommt noch viel schlimmer. Acid braucht Nachhilfe in Mathe – und die will er ausgerechnet und ausschließlich von Zoey. //Alle Bände der romantischen Bestseller-Reihe:  -- Verliebe dich nie als Rockstar (Die Rockstar-Reihe 0)  -- Verliebe dich nie in einen Rockstar (Die Rockstar-Reihe 1)  -- Blind Date mit einem Rockstar (Die Rockstar-Reihe 2)  -- Ein Rockstar kommt selten allein (Die Rockstar-Reihe 3)  -- Rockstar weiblich sucht (Die Rockstar-Reihe 4)  -- Der Rockstar in meinem Bett (Die Rockstar-Reihe 5)  -- Rockstars bleiben nicht zum Frühstück (Die Rockstar-Reihe 6)  -- Rockstars küssen besser (Die Rockstar-Reihe 7)  -- Rockstars kennen kein Ende (Die Rockstar-Reihe 8)  -- Rock'n'Love (Ein Rockstar-Roman)  -- Liebe ist wie ein Rocksong (Die Rockstar-Reihe Spin-off) -- Alles begann mit einem Rocksong (Die Rockstar-Reihe Spin-off) -- Die MEGA Rockstars-E-Box: Band 1–8 der Bestseller-Reihe -- ROCKSTARS. Band 1–3 in einer E-Box -- Berührende Rocksong-Romantik im Sammelband (Die Rockstar-Reihe)//   Die Rockstar-Reihe ist abgeschlossen. Alle Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden und haben ein abgeschlossenes Ende.

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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2013 Text © Teresa Sporrer, 2013 Redaktion: Katharina Kohlhaas Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur SCRIPTZZ, Waldesruher Str. 37, 12623 Berlin. Umschlagbild: shutterstock.com / © Elena Efimova Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral

Für Babsi, Chris, Martina und Rexi,

weil jedes Mädchen ihre Horde Verrückter braucht.

PROLOG ODER ROCKSTARS SIND SCHWEINE

Ich erinnere mich noch ganz genau an den verfluchten Tag, an dem ich Alex zum ersten Mal traf. Denn obwohl wir beide seit zwei Jahren die gleiche Schule besuchten, war ich ihm noch nie wirklich begegnet. Ich hatte lediglich Gerüchte über ihn aufgeschnappt und Berichte von meinen Freundinnen gehört, die alle Fans seiner Musik waren.

Er glich einem Phantom, das nur dann zur Schule ging, wenn es wirklich sein musste. Alex Seidl, der Rockstar, der eine Schulausbildung nicht nötig hatte und nur zum Unterricht erschien, um angehimmelt zu werden.

Und nein, ich würde ihn auf keinen Fall mit seinem dummen Künstlernamen Acid ansprechen!

An dem schicksalhaften Tag war ich sechzehn geworden – ein heiliges Alter laut meiner drei besten Freundinnen Nell, Violet und Serena. Ich durfte nun endlich legal Bier und Wein trinken und die ganze Nacht in Clubs mit Alkoholleichen rumhängen.

Leider interessierten mich all diese neu gewonnen Rechte kein bisschen. Ich trank fast nie und machte auch keine Nächte in solchen Clubs durch. Im krassen Gegenteil zu beinah achtzig Prozent meiner Altersgenossen, die ich nur mit abfälligen Blicken bedachte.

Nein, ich war auch keines dieser zugeknöpften und spießigen Mädchen, die lieber Mathe büffelten, als ihre freie Zeit in Clubs zu verbringen ... Na gut, vielleicht hatte ich schon die ein oder andere Party mit einer ähnlichen Ausrede abgesagt, aber bei meinen Eltern konnte man nichts anderes erwarten: Mein Vater arbeitete als Anwalt und achtete darauf, dass keines seiner drei Kinder auch nur mit der Haarspitze auf die falsche Bahn geriet. Schon ein auffälliger Kleidungsstil oder ein Besuch in einem zwielichtigen Club bedeuteten bei ihm, auf die Falsche Bahn abzurutschen . Bei meiner großen Schwester Ellen wurde dieses Programm hart durchgezogen, aber bereits bei meinem Bruder Ian verlief nicht mehr alles so glatt.

An meinem sechzehnten Geburtstag ging ich ausnahmsweise aus. Meine Eltern dachten, dass ich bei Violet zu Hause feierte, und da sie weder Violets Mutter noch ihren Stiefvater ausstehen konnten, würden sie auch nicht bei ihr anrufen. Eigentlich wollte ich an diesem Tag nichts machen, außer meine wohlverdiente Ruhe nach einer harten Prüfungswoche zu genießen. Meine Freundinnen aber hatten mich mit vereinten Kräften auf ein Konzert von einer Band aus der Gegend geschleppt, weil der Sänger – Alex -angeblich der pure Sex auf zwei Beinen war. Konzert konnte man den Auftritt in dem heruntergekommen Club am Rande von Salzburg wohl kaum bezeichnen, ebenso wie man einen Typ wie Alex auch nicht als der pure Sex auf zwei Beinen bezeichnen konnte.

Natürlich wollte ich überhaupt nicht dorthin.

Musik interessierte mich nicht. Okay, ich wusste vorher zwar nicht genau, was für Musik gespielt würde, aber bei meinen verrückten Freundinnen war einfache Popmusik sicherlich nicht drin.

Jungs interessierten mich ebenfalls nicht die Spur. Manchmal fragte ich mich, warum Gott diese dauernotgeilen Wesen erschaffen hatte. Da ich keinerlei Antworten bekam, ging ich davon aus, dass es Gott nicht gab und Jungs im Grunde nur ein Fehler der Evolution waren.

Doch wieder zurück zu meinem ersten Treffen mit Alex.

Meine Freundinnen hatten es natürlich mit ihrer hypnoseähnlichen Überredungskunst geschafft, mich in diesen Club zu schleifen, obwohl ich ihnen versichert hatte, dass ich dort keinen Spaß haben würde. Den hatte ich dann auch wirklich nicht. Halb angetrunken und auf der Suche nach Frischfleisch, also heißen Jungs, wankten meine Freundinnen durch den dunklen Raum, der nur unzureichend von ein paar blauen und violetten Scheinwerfen beleuchtet wurde. Ich nippte währenddessen tröpfchenweise an meiner Cola und wartete darauf, dass der Abend endlich sein Ende fand. Mit einer halben Stunde Verspätung trottete Alex‘ Band YourDarkestDesire – offensichtlich ein richtig harter Name für eine Rockband – auf die Bühne. Schon als die selbstgetaufte Säure den ersten Schritt auf die Bühne machte, fasste ich den Entschluss, ihn nicht zu mögen. Schnell schnipste er seine Kippe in die Menge. Wirklich charmant war der Herr Möchtegern-Rockstar auch! Er wurde übrigens seinem Spitznamen sehr gerecht: dunkles, zotteliges Haar fiel ihm ungekämmt ins Gesicht. Auf seinen blassen Armen erkannte ich verschlungene Tattoos, die wie Armbänder aussahen. Außerdem hatte er sich ganz in Schwarz gehüllt: schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans und tiefschwarze Schuhe.

Unbewusst schlängelte ich mich durch die umstehende Menge näher an die Bühne. Unter Alex‘ dunklen Haaren lagen blaue Augen, aber sie sahen wässrig und irgendwie krank aus. Wahrscheinlich schmiss er vor dem Konzert einen Haufen Drogen um seine Nerven zu beruhigen. Vielleicht hätte durch seinen schlanken, großen Körper richtig attraktiv – sogar sexy, wie ich ungern zugab – ausgesehen, aber ich stand nun mal nicht auf Typen, deren Jeans sich ungewöhnlich eng an den Körper schmiegen.

Als er den Kopf zu seinem zweiten Gitarristen drehte, erkannte ich auf seinem Hals einen fetten Knutschfleck, der sich schon dunkelviolett verfärbt hatte.

Eklig!, dachte ich und schwor dem nicht existierenden Gott, niemals in meinem Leben so etwas zu bekommen.

Alex raunte zwei Worte ins Mikrofon und die Menge flippte aus. Sie erwiderte seine Begrüßung mit einer Mischung aus Kreischen und Brüllen. Manche reckten sogar ihre Hände in die Luft.

Ohne ein weiteres Wort nickte Alex einem Jungen mit weißem Haar zu, der seine Finger flink über die Saiten einer schwarzen E-Gitarre gleiten ließ und so den ersten Song anstimmte.

Ich stand damals in der ersten Reihe, direkt neben den Boxen, deshalb brannten sich die Songs geradezu in mein Trommelfell. Ich wäre, nachdem meine Neugier auf das Phantom gestillt worden war, sofort wieder gegangen – hätte er nicht zu singen angefangen. Eines musste man Alex lassen: singen konnte er, auch wenn es für meine zarten Ohren viel zu laut war. Nur einen Augenblick lang faszinierte mich seine überraschend sanfte, aber auch starke Stimme und ließ meinen Körper ein wenig erzittern.

Diese kurze Faszination wurde zu meinem Verhängnis. Als ich vom Konzert heimkam, konnte ich wegen eines vorübergehenden Tinnitus nicht schlafen. Außerdem hörte ich immer wieder seine starke Stimme in meinen Kopf hallen. Die Folge davon war nicht einfach ein verschlafener Sonntag wie bei meinen Freundinnen. Bei der Hochzeit meiner großen Schwester Ellen am Tag nach dem Konzert fiel ich dem Pfarrer vor lauter Müdigkeit direkt in die Arme. Ich schlief komisch verrenkt auf einem unbequemen Teppich in der Kirche ein, bis mich mein großer Bruder Ian fassungslos fluchend aus dem Gotteshaus zerrte.

Das war es, was ich alles mit Alex verband: stickige Clubs mit Besoffenen, ohrenzerfetzend laute Musik und unglaubliche Demütigung. Und, das musste ich beschämt zugeben, eine äußerst wohlklingende Stimme, die sich in meinen Kopf gebrannt hatte.

01. KAPITEL

MEIN LEBEN, DIE FREAKSHOW

Fast zwei Jahre später

Während sich den meisten Schülern beim Anblick des Schulgebäudes der Magen augenblicklich umdrehte, zauberte er mir ein kleines Lächeln auf die Lippen. Völlig ausgeschlafen stand ich vor dem dunkelgrauen, dreistöckigen Gebäude, flankiert von zwei meiner besten Freundinnen. Links und rechts von mir trudelten Schüler mit hängenden Schultern und lustlosem Gemurmel ein. Nur hin und wieder strahlten ein paar ihrer Gesichter, als sie aufgeregt über ihre Ferienerlebnisse berichteten.

Heute begann ein neues Schuljahr.

»So eine Scheiße«, fluchte Violet neben mir. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie die Hände vor dem violetten Trägertop verschränkte und die Mundwinkel nach unten verzog.

»Ich glaub, ich hab die Ferien echt versoffen!« Violet hieß eigentlich Samantha, aber aufgrund ihrer gefärbten violetten Haarpracht und ihrer Liebe zu Kleidung in derselben Farbe nannte sie seit der zehnten Klasse niemand mehr bei ihrem eigentlichen Namen.

»Serena will sterben«, stöhnte Serena. Es war ganz normal, dass sie in der dritten Person von sich sprach. Ich wusste nicht, ob sie sich es absichtlich angewöhnt hatte oder ob sie vielleicht unter einem kleinen psychischen Schaden litt. Als sie sich vor drei Jahren mit Violet, Nell und mir anfreundete, hatte sie diese Macke schon.

»Zum Glück ist es das vorletzte Jahr. Sonst würde Serena echt in Erwägung ziehen, von der Schulterrasse zu springen.«

Ich sah zu ihr auf. Sie maß mit ihren eins fünfundsiebzig beinahe einen halben Kopf mehr als ich.

»Also, ich freue mich«, sagte ich und fiel damit wie so oft aus dem Rahmen.

Violet schüttelte den Kopf. »Du bist krank, psychisch krank. Irgendwann benennen sie mal eine Art von Schizophrenie nach dir.«

»Serena stimmt dir zu.« Sie nickte. »Keiner freut sich darauf, bis zu neun Stunden in der Schule zu sitzen und zu lernen, bis auf dich natürlich, Zoey.«

»Aber ganz vernünftig sind wir alle nicht mehr hier oben, oder?« Lächelnd tippte sich Violet an die Stirn. Damit spielte sie wohl auf ihren ausgeprägten empathischen Sinn oder auf ihre Obsessionen zu schräger Musik und nicht minder schrägen Filmen an. Ich zuckte nur mit den Schultern und folgte ihnen in den Strom von unmotivierten Schülern in das Gebäude.

»Dein Lächeln ist wirklich, wirklich unheimlich.« Serena griff in ihre schwarze Umhängetasche, auf der irgendwelche skelettierten Tierchen abgebildet waren, und zog eine zusammenklappbare Bürste mit Handspiegel heraus, um sich ihre blonden Haare zu kämmen. Ein paar dunkelbraune Strähnen lugten unter den hellen Haaren hervor. Immer, wenn Serena nervös wurde, pflegte sie ihre Mähne. Vor einer Mathematikschularbeit konnte man einen Pullover aus den ganzen herausgekämmten Haaren basteln. »Serena könnte gerade kotzen.«

Als ich den vertrauten Geruch der Schule erschnupperte, wurde mir um einiges leichter ums Herz. Die Ferien waren wie immer langweilig gewesen und ich hatte mich richtig danach gesehnt, wieder in dem alten Gebäude zu sitzen und meine Zeit mit etwas Sinnvollem zu verbringen. Außerdem erfreute es meine Eltern nicht gerade, dass ich meine Freizeit mit solch speziellen Freundinnen verbrachte, obwohl alle drei wirklich in Ordnung waren!

Violet und Nell kannte ich schon seit der Volkschule, also schon unglaubliche zehn Jahre lang. Wären die beiden nicht mit einer Kiste Lego zu mir gekommen und hätten mich eine Viertelstunde angebettelt, mit ihnen zu spielen, ich hätte wahrscheinlich heute immer noch keine Freunde. Ich war keine einfache Person, wie meine Freundinnen immer betonten, wenn ich mich wieder über etwas aufregte.

Die Eingangshalle unserer Schule hatte sich nicht verändert: Die gelben Wände waren mit diversen Sprüchen beschmiert oder mit Stickern von Bands beklebt, wobei die meisten natürlich von YourDarkestDesire stammten. Den weißen Boden verunzierten Hunderte Schuhabdrücke und die Kletterpflanze an der Mauer neben dem schwarzen Brett vertrocknete in bedenklichem Braun vor sich hin.

Violet sah sich suchend in der hellen Halle um. »Wo ist eigentlich Ne-«

»Leute!« Nell stürmte so schnell auf uns zu, dass ihre bunten Strähnen nur so in alle Richtungen herumwirbelten. Die meisten Schüler drehten sich mit hochgezogenen Augenbrauen um und musterten sie teils besorgt, teils kopfschüttelnd. Gut, dass Nell solche Aufmerksamkeit und wir ihre Auftritte gewöhnt waren. »Ihr ...«, als sie bei uns ankam, war sie völlig außer Atem, »... glaubt nie ... wer ... neu ...«

»Atme einmal tief ein, Nell«, wies ich meine Freundin an, die sofort die Luft einsog, »und aus.« Wie bei einem abgestochenen Luftballon stieß sie die Luft schlagartig wieder aus. »Was ist denn passiert?«

»Also, ich habe gerade ein interessantes Gespräch zwischen ein paar Lehrern belauscht und dabei die Neuigkeit des Jahres herausgefunden«, strahlte sie mit den von Lipgloss glänzenden Lippen.

»Es wurde ein Heilmittel gegen Krebs gefunden?«, riet ich.

»Die Schule ist abgebrannt?«, fragte Serena, obwohl wir mitten im Schulgebäude standen.

»Hast du endlich bemerkt, dass du verrückt bist?«, meinte Violet sarkastisch. »Das ist nämlich nichts Neues.«

»Acid kommt in unsere Klasse!«

Während ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn schlug, quiekten Violet und Serena mit Nell um die Wette.

»Acid! Ich habe schon gehört, dass er wieder einmal die Zwölfte nicht geschafft hat, aber dass er ausgerechnet in unsere Klasse kommt! Das ist ja der Wahnsinn! Ich glaube, ich werde dieses Jahr keine einzige Minute dem Unterricht folgen können, außer, er wäre der Lehrer.« Violet fuchtelte mit den Händen herum. »Meine Gebete wurden endlich erhört. Es gibt doch ein fliegendes Spaghetti-Monster, ich wusste es!«

»Serena will ihn knuddeln und nie wieder loslassen«, fügte Alex‘ Fan Nummer Zwei hinzu. »Ich will ihn einfach als meinen Sexsklaven haben.« Nell strich sich ihr zwei Nummern zu großes Bandshirt zurecht. Ihre Liebe zu Musik ging so weit, dass sie ihren beneidenswerten kurvenreichen Körper unter Zelten versteckte. »Beim letzten Konzert habe ich sein Shirt gefangen. Glaubt ihr, er würde mich bemerken, wenn ich es morgen anziehe?«

Ich schnaubte.

Und dann schrien alle drei auf einmal: »Er ist so süß!«

»Ich hasse Alex«, sagte ich mit monotoner Stimme und erntete sofort die wütenden und empörten Blicke meiner Freundinnen.

»Acid kann doch nichts dafür, dass du vor zwei Jahren die Hochzeit deiner Schwester fast ruiniert hast«, sagte Serena. »Du blamierst dich generell oft.«

»Mache ich nicht«, murmelte ich beleidigt und funkelte meine Freundinnen böse an. »Wann habe ich mich denn bitteschön blamiert?«

»Zum Beispiel, als du im Religionsunterricht Breaking Dawn gelesen und dich dann aufgeregt hast, wie Vampire ohne fließendes Blut den Geschlechtsakt vollziehen können.« Violet klopfte mir auf die Schulter. »Ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich so in Rage geredet hat.«

»Aber es stimmt doch«, knurrte ich. »Das ist biologisch gesehen völlig unmöglich. Vampire sind tot! Wie soll bitte dahin Blut fließen, wenn das Herz nicht mehr schlägt? Ich lese Twilight eh nur, weil mir die ganze Fehlersuche in den Büchern unglaublich viel Spaß macht.«

Ich hatte alle vier Bücher zu Hause und jede Seite sah so aus, als hätte ich einen roten Stift ermordet und seine Tinte wie Blut über den Text vergossen.

»Oh, wisst ihr noch, wie Zoey das erste Mal in Berührung mit Alk gekommen ist?«, fragte Nell in die Runde.

Ich grummelte. Noch immer kamen Leute auf mich zu und fragten mich, ob ich ihren Fußboden auch abschlecken würde.

»Na gut, ich blamiere mich recht oft«, gab ich zu. »Aber, und das will ich betonen, ich suche immer nach einem Schuldigen, da kam mir Alex eben recht. Außerdem ist er ein Arsch, das wisst ihr.«

Ich schaute in die Runde und sah, dass alle zaghaft nickten. Jeder kannte Alex‘ Frauengeschichten, wusste, dass es ihm eigentlich nur darum ging, eine aufzureißen, mit ihr zu schlafen, sie danach fallen zu lassen und sein dummes Spiel von vorn zu beginnen.

Doch die meisten Mädchen interessierte die Tatsache, dass es ihm nur um Sex ging, überhaupt nicht. Für sie wäre es sogar eine Ehre, eine seiner Gespielinnen zu werden.

»Aber er ist auch unglaublich heiß«, sagte Nell und erntete damit ein einstimmiges Nicken meiner Freundinnen.

Warum redete ich eigentlich noch mit ihnen darüber, dass Alex ein Arsch war? Sie würden niemals ihre Meinung über den

geliebten Rocker ändern, dem es nicht nur an so etwas wie Anstand mangelte, sondern in Anbetracht der Tatsache, dass er schon zum zweiten Mal die Zwölfte wiederholte, auch an Intelligenz.

Ich wollte noch etwas gegen Alex sagen, wurde aber von der tiefen Stimme des Direktors hinter mir unterbrochen. Im Gegensatz zu den restlichen Schülern, die sofort zu Steinstatuen erstarren würden, aus Angst, etwas verbrochen zu haben, drehte ich mich um und nickte ihm höflich zu.

»Zoey!« Ein Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. In seinem wettergegerbten Gesicht bildeten sich noch ein paar Falten mehr. »Wie geht es meiner Lieblingsenkelin?«

Mein Großvater, der Direktor der Schule, war ein weiterer Grund dafür, mich stets zusammenzureißen, was mir glücklicherweise nie schwer fiel. Ich war eine gute Schülerin und würde es auch bleiben, da ich keinen Bock darauf hatte, mein zukünftiges Leben mit einem miesen, unterbezahlten Job zu verbringen.

»Gut«, sagte ich knapp. »Ich habe die Schule vermisst.«

Meine Freundinnen begrüßten meinen Großvater höflich und sagten dann, dass sie schleunigst in die Klasse mussten, obwohl es erst in fünf Minuten läuten würde.

Als sie weg waren, verzog er ein wenig das Gesicht. »Bist du immer noch mit ihnen befreundet?«

Mein Großvater kannte die drei gut. Sie waren eher durchschnittliche Schülerinnen und besonders Nell und Violet fielen ihm wegen ihres Aussehens auf. Serena wurde einmal von unserem Schultherapeuten untersucht, der sie aber wieder gehen ließ, weil sie nur von ihren neuen Pumps mit schwarzen Schleifchen geschwärmt hatte. Zwei Stunden lang.

»Sie sind meine besten« – und einzigen, dachte ich – »Freundinnen, Opa!«

»Ja, aber ich will nicht, dass sie einen schlechten Einfluss auf dich haben, Zoey.« Er fuhr sich durch das schüttere graue Haar.

»Das haben sie nicht«, beruhigte ich ihn. »Ich habe mich äußerlich nicht verändert. Meine Noten sind seit Jahren auf der gleichen Ebene und ich engagiere mich immer noch regelmäßig für die Schule«, rechtfertigte ich mich. Auf keinen Fall würde ich zulassen, dass mir jemand den Umgang mit meinen Freundinnen verbot. »Und jetzt muss ich auch los ...«

Großvater nickte mir lächelnd zu. »Enttäusche mich nicht.«

Ich schüttelte den Kopf und stürmte schnell die Treppen zu meiner Klasse hinauf. Wie kam Großvater nur auf die Idee, dass ich ihn enttäuschen würde?

Kaum hatte ich meine Klasse erreicht, läutete es auch schon zur ersten Stunde. Ich sah mich suchend im Raum um, entdeckte Alex jedoch nirgendwo.

Vielleicht hat sich Nell getäuscht, dachte ich. Hoffentlich hat sie sich getäuscht! Ich ließ mich seufzend neben ihr auf den unbequemen Stuhl fallen, der sofort ein beunruhigendes Knarzen von sich gab.

Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Mit einer Verspätung von nur fünfzehn Minuten trottete der schwarzhaarige Rocker in die Klasse, gefolgt von einer sehr böse dreinblickenden Mathelehrerin, die bedrohlich mit dem Zeigefinger wackelte.

»Und dass ich Sie nie wieder beim Rauchen im Flur erwische!«, keifte sie. »Wir können von Glück reden, dass Sie nicht den Feueralarm ausgelöst haben.«

Alex murrte eine leise Entschuldigung und verzog sich auf einen freien Platz – den rechten Tisch neben mir.

Nell bekam fast einen Herzinfarkt, sie atmete schwer. »Sieh ihn dir an! Sieh in dir an!«, flüsterte sie in mein linkes Ohr. »Ist er nicht noch heißer geworden?«, schwärmte sie mit rauer Stimme. »Diese Augen!«

Tatsächlich hatte sich Alex irgendwie verändert: Seine Haare fielen ihm zwar noch immer strähnig in die Stirn, teilweise sogar vor die Augen, aber sie waren nicht mehr schulterlang und sahen auch frisch gewaschen aus.

»Hmpf!«

Ich wandte den Blick wieder ab und achtete auf Frau Rainer, die ohne weitere Umschweife mit dem Stoff fortfuhr, mit dem sie letztes Jahr aufgehört hatte: Differenzialgleichungen.

Während die anderen Schüler nur das Gesicht verzogen, meldete ich mich und beantwortet fast alle Fragen, die sie uns stellte, rechnete zwei kurze Beispiele an der Tafel vor und schrieb als Einzige den Stoff ab. Entweder waren die anderen damit beschäftigt, mühsam die Augen offen zu halten, oder sie starrten lüstern den Rockstar an, der die meiste Zeit gelangweilt SMS tippte.

»Zoey!«, quiekte Nell. »Acid schaut zu uns rüber!«

Aus dem Augenwinkel erkannte ich, wie Alex’ blaue Augen auf uns gerichtet waren – nein, sie waren nur auf mich gerichtet.

Wenigstens hat er nicht wieder einen Knutschfleck!, dachte ich, als mein Blick auf seinen fleckenfreien Hals fiel.

Nach fünfunddreißig Minuten verließ die Lehrerin kopfschüttelnd den Raum, weil einige eine Runde Schlaf ihrem Unterricht vorgezogen hatten.

»Hi!«

Ich war gerade dabei, mich auf eine Stunde Englisch vorzubereiten, als mich eine tiefe Stimme von der Seite anquatschte. Seit dem Konzert hatte ich diese Stimme nie vergessen können. Er hatte damals zwar nur ein paar Worte gesagt bevor er zu singen angefangen hatte, aber das war genug, um den Klang wiederzuerkennen.

»Was willst du?«, knurrte ich.

Nell stieß mir in die Rippen. Im Gegensatz zu mir hätte sie ihn wohl vor allen Schülern angesprungen und ihm die Klamotten vom Leib gerissen, und jetzt war sie sauer, da ich ihrem Alex-Fanclub nicht beitreten wollte.

»Ich frage mich, ob du mir vielleicht Mathenachhilfe geben könntest.«

02. KAPITEL

HALLO, ICH BIN KALI UND SCHLAGE GERN JUNGS

Er blickte mich mit diesem dummen Gesichtsausdruck an – beinah konnte man ihn schon als Dackelblick bezeichnen, wären seine Augen nicht strahlend blau gewesen –, der wahrscheinlich Mitleid erregen oder mich zur Sklavin seiner Lust machen sollte. Da mir beide Optionen nicht besonders zusagten, wählte ich die dritte Möglichkeit.

»Nein«, sagte ich mit fester Stimme und blickte desinteressiert auf meine Nägel. Ich musste unbedingt mal wieder eine Schicht durchsichtigen Nagellack auftragen. »Und hör auf, mich anzuglotzen, als wär ich dein Frauchen! Ich streichele dir nicht über den Kopf und sage dir, dass du«, mit meinem Zeigefinger und meinem Mittelfinger formte ich Krähenfüßchen, »ja sooo ein braver Junge bist. Dieser dämliche Dackelblick zieht nicht bei mir.«

»Zoey!«, quiekte Nell atemlos. Ob es ihr wegen meiner schlagfertigen Antwort an Sauerstoff mangelte, oder ob es an Alex‘ angeblicher Sex auf zwei Beinen-Ausstrahlung lag, wusste ich nicht. Wahrscheinlich trugen beide Faktoren dazu bei, dass Nell keine Luft mehr bekam.

Alex starrte mich bestimmt seit zehn Sekunden an. Er musste sicherlich verdauen, dass ich ihm nicht gleich Gratisnachhilfe im Austausch gegen Sex angeboten hatte. Ach, Jungs waren so einfach gestrickte Wesen und so leicht zu durchschauen! Es glich einem Wunder, dass sie es überhaupt durch die Evolution bis in die heutige Zeit geschafft hatten, zu überleben. Männer – ganz besonders solche wie Alex – waren wie Wurmfortsätze. Niemand wusste, wozu es sie eigentlich gab. Die Sache mit der Fortpflanzung mal außer Acht gelassen.

Plötzlich fing Alex laut an zu lachen und zog zu meinem Missfallen damit die Blicke der ganzen Klasse auf uns.

»Zoey?« Er sprach meinen Namen langsam aus und schloss dabei kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, grinste er mich an. »Zoey, also ... Wenn du mir hilfst, kann ich dir geben, was du willst.«

Ich war einen Augenblick lang sprachlos. Mir fehlten wegen seiner Unverschämtheit einfach die Worte. In jedem anderen Fall hätte ich ihn ignoriert, aber Alex Seidl hatte gerade den Bogen überspannt. »Ich. Bin. Nicht. Deine. Hure!«, stellte ich klar. »Such dir jemand anderen! Ach, verpiss dich einfach.«

»Beruhige dich«, bat mich Nell, doch ich hörte nicht auf meine beste Freundin.

Meinte dieser Typ, er könne jede haben? Wir lebten nicht mehr wie vor einigen hundert Jahren, als man eine Frau gegen eine Kuh eintauschen und Männer unzählige Mätressen haben konnte, als eine Frau im Gegensatz zu einem Mann nichts wert war, und immer den Mund halten musste. Hatte Alex in Geschichte auch nicht aufgepasst?

»Weißt du überhaupt, wer ich bin?«, fragte Alex. Sein Grinsen war verschwunden, nun bildeten seine Lippen einen geraden Strich.

»Du bist der Typ, der schon zum dritten Mal die zwölfte Klasse besucht. Meinen herzlichsten Glückwunsch übrigens«, erwiderte ich unbeeindruckt. »Ich dachte, dass dreimaliges Klassenwiederholen bei uns eigentlich gar nicht möglich ist.«

Jetzt hatte ich es geschafft, Alex ein sehr zu reizen. Seine Hand donnerte auf meinen Tisch. Dadurch gewann er wieder meine Aufmerksamkeit. »Ich bin Acid!«

»Kann ich mal deinen Ausweis sehen?«, fragte ich, unbeeindruckt von seinem kleinen Wutausbruch. Ihn wütend zu machen, war keine gute Idee gewesen, aber jetzt schon klein beizugeben, lag unter meiner Würde.

»Okay, lass das!« Auch Violet und Serena hatten sich in der umstehenden Menge eingefunden. »Sie ist so wahnsinnig!« Beide schüttelten den Kopf.

Obwohl Alex meine Bitte nicht verstand, zog er seine Brieftasche aus seiner Jeans und reichte mir seinen Schülerausweis. Ich nahm ihn entgegen und warf einen kurzen Blick darauf, ehe ich ihn ihm zurückgab.

»Hier steht eindeutig, dass du Alexander heißt. Nicht Acid. Ich weiß schon, dass du dir wie ein ganz großer Rockstar vorkommst, wenn du dich so nennst.«

»Sie meint das nicht so!« Nell hatte es endlich geschafft, ihren Mund aufzumachen.

Um zu verhindern, dass ich Alex noch mehr auf die Palme bringen konnte, versuchte sie, mir den Mund zuzuhalten. Ich schleckte über ihre Handfläche. Mit einem angewiderten Aufschrei zog sie ihre Hand zurück.

»Natürlich meine ich das so!«, sagte ich. »Ich nenn mich auch nicht Kaliumperoxodisulfat, nur um cool zu erscheinen.« Als ich in die Runde schaute, um von meinen Klassenkameraden Zustimmung zu ernten, starrten mich alle mit bleichen Gesichtern an. War hier jeder ein verdammter Fan von Alex? Serena und Violet klappten sogar die Kinnladen herunter. Stephanie und zwei Mädchen aus ihrer Clique blickten mich finster an. Sicherlich wollte die blonde Schönheit dieses Jahr nutzen, um Alex‘ Groupie zu werden. Selbst der männliche Teil meiner Klasse stand anscheinend hinter dem schwarzhaarigen Rockstar.

Vor meinem inneren Auge sah ich mich in einem Kleid aus dem achtzehnten Jahrhundert, umringt von meinen Klassenkameraden in ebenfalls passender Kleidung. Ich ging ganz langsam zur Guillotine, legte meinen Kopf nieder und sah, wie ein als Scharfrichter verkleideter Alex die Klinge herunterschnellen ließ. Er lachte.

Auch der Alex von heute, aus meiner Klasse, mit schwarzer Jeans und Vans T-Shirt, lachte. Völlig perplex starrte ich ihn an. Er schien sich nicht mehr einkriegen zu können, schlang seine Arme um den Bauch und warf den Kopf in den Nacken.

»Dann nenne ich dich ab heute Kali.« Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, drehte er sich um und wandte sich den Schaulustigen zu. »Ist was?«, fuhr er sie unfreundlich an.

»Alex hat einen Spitznamen für dich!« Nell sah so aus, als wäre sie einem Ohnmachtsanfall wirklich sehr nah. »Kali. Ist doch süß.«

»Kali ist im Hinduismus die Göttin des Todes und der Zerstörung«, klärte ich meine Freundin auf. »Sie wird oft mit herausgestreckter Zunge, einem dritten Auge auf der Stirn, mehreren Armen und einem Rock aus abgeschlagenen Händen abgebildet. Und du findest das süß?«

Nell konnte nichts darauf erwidern, denn plötzlich stieß etwas mit einem lauten Knall gegen unseren Tisch und verschob ihn um mehrere Zentimeter nach links.

»Sorry, Mädels«, meinte Alex gelassen und setzte sich neben mich.

Kurz fragte ich mich, ob nicht jemand eine Eins vor die zwölfte Klasse gemalt hatte und ich noch in der zweiten Klasse saß. Alex hatte seinen Tisch an unseren geschoben, um neben mir sitzen zu können.

»Was soll das?«, fuhr ich ihn an. »Schieb deinen Tisch zurück!«

Ich versuchte, Alex‘ Tisch wieder an seinen Platz zu versetzen, doch der vermeintliche Rockstar lehnte sich mit seinem vollen Gewicht darauf, so dass ich ihn kaum verrücken konnte.

»Das, meine liebe Kali, nenne ich zu härteren Mitteln greifen.« Sein strahlendweißes Lächeln verriet, dass er ein fleißiger Zähneputzer sein musste, denn bei seiner Raucherei hatte ich eine Armee von gelben und verfaulten Zähnen erwartet. »Du gibst mir keine Nachhilfe? Okay. Glaub mir, ich kann dich so lange nerven, bist du mir das gibst, was ich will.«

»Bist du wirklich zwanzig?«, entgegnete ich. »Du hörst dich an wie vier. Wäääh, die böse Zoey gibt mir keine Nachhilfe, wääh. Ich muss sie nerven. Wääh, Zoey hat mir die Nase gebrochen! Letzteres ist übrigens eine Drohung.«

»Ich hab keine Angst vor einem Mädchen wie dir«, sagte Alex schulterzuckend. »Du kämpfst mit Worten, nicht mit deiner Faust.« Er griff nach meiner Hand, streckte meinen Arm und untersuchte mit Daumen und Zeigefinger meine Armmuskulatur. Seine Finger waren ganz rau und schwielig. »Nein, vor diesem dürren Ärmchen muss ich keine Angst haben.«

»Ach, fick dich!« Ich entriss ihm meinen Arm. Erst später kam ich auf die Idee, dass ich ihm dabei eine hätte reinhauen können. Na ja, nachher ist man immer schlauer, oder?

Nell neben mir zog scharf die Luft ein. »Zoey!«

Schon wieder konnte ich mir keinen Reim darauf machen, was Nell erneut zum Beinah-Hyperventilieren brachte: die Kraftausdrücke, die ich eigentlich nie gebrauchte, oder die Tatsache, dass ich Alex gerade wieder beleidigt hatte?

Ich konnte Nell nicht einmal nach dem Grund fragen, weil bereits unsere Englischlehrerin Frau – irgendein Name mit E – hereinstürmte. Im Gegensatz zur Mathematiklehrerin schien sie um einiges motivierter und lächelte ihre neuen Schüler an. Bis ihr Blick auf Alex fiel. Ihre grellrot geschminkten Lippen verzogen sich für kurze Zeit nach unten. .

»Oh, Alex. Are you here again?«, fragte sie ihn.

»Sorry, Misses Esther. I’m only here, because I wanted to have you as teacher again this year.«

Mir wurde übel. Flirtete Alex gerade mit der Englischlehrerin, die dreimal so alt war wie er?

»Horny pervert«, flüsterte ich leise, aber Alex hörte es.

»Ich bin nur nett zu der Frau, die mich großgezogen hat«, sagte er.

Ich riss schockiert die Augen auf. »Was? Sie ist deine Mutter?«

»Nö.« Er lachte leise. »Ich mag es nur, wenn du so entsetzt schaust. Das betont deine braunen Augen und deine vollen Lippen wunderbar. Ist das auch dein Gesichtsausdruck beim Orgasmus?«

Als ich Alex endlich die Ohrfeige gab, kippte Nell neben mir ohnmächtig um.

03. KAPITEL

DAS PHANTOM DER KANALISATION

Die Schulkrankenschwester musterte Alex und mich, besonders aber die halbbewusstlose Nell, mit argwöhnischem Blick. Wir hatten Nell ganze drei Stockwerke runter geschleppt. Sie murmelte leise: »Nein, nicht er ...«, vor sich hin, aber ihr Geist schien abgedriftet zu sein.

»Was ist mit ihr?«, fragte die Schwester und setzte sich eine Brille mit dicken Gläsern auf. Mit den vergrößerten Augen sah sie aus wie eine dreidimensionale Manga-Figur. »Und was fehlt euch beiden?«

Während auf Alex Wange ein hellrot leuchtender Fleck in Form meiner Hand prangte, war mein Gesicht komplett Rot angelaufen. Frau Esther hatte mich vor der ganzen Klasse sprichwörtlich zur Sau gemacht und das nur, weil ich Alex zeigen wollte, dass ich mir seine dummen Bemerkungen nicht länger anhören würde.

Damit hatte die pazifistische Frau Esther einen schlechten ersten Eindruck von mir erhalten. Ich vermisste meinen sadistischen Sportlehrer, der es liebte, wenn jemand einen Völkerball ins Gesicht bekam.

Geschadet hatte Alex die Ohrfeige nicht: Seit uns die Lehrerin vor fünf Minuten mit Nell zum Schularzt geschickt hatte, war Alex tatsächlich nett gewesen. Er hatte zwar kein einziges Wort zu mir gesagt, aber das fasste ich als Verbesserung auf.

»Meiner Freundin ist ... ähm, schlecht«, erklärte ich. »Sie hat gestern nichts gegessen, und jetzt ist sie einfach im Unterricht umgekippt.«

Die Schulschwester nickte und trat zur Seite, um Nell und mich in das strahlendweiße Zimmer zu lassen. Zum Glück war ich es schon gewöhnt, Nells Fliegengewicht von einer Bar, einem Jungen, der sie eigentlich loswerden wollte, DVDs im Sonderangebot oder Ähnlichem wegzuziehen, wenn sie entweder total betrunken oder im Kaufrausch war. Sorgsam versuchte ich, ihren bewusstlosen Körper auf eine weiche, hellbraune Liege zu hieven. Nach einer Minute lag sie seltsam verrenkt darauf. Ich hörte noch, wie Alex der älteren Dame unverblümt erzählte, dass ich ihm eine kräftige Ohrfeige verpasst hatte.

»Poste doch gleich auf Facebook und Twitter, dass ein Mädchen dich geschlagen hat«, sagte ich, als er auf der gegenüberstehenden Liege Platz nahm. »Oder noch besser, schreib einen beschissenen Song darüber!«

Ich hatte in den beinah achtzehn Jahren meines jungen Lebens stets darauf geachtet, in geringem Ausmaß zu fluchen, doch Alex brachte eine Seite von mir zum Vorschein, die ich so gut wie nie an die Oberfläche ließ. Der Grund, nicht fluchen zu wollen, war, dass ich mir dadurch mein eigentlich tadelloses Verhalten nicht versauen wollte.

»Gute Idee.« Alex schenkte mir ein breites Lächeln. »She's beautiful, but she's cold as ice and I'm still hangin' on. Der Song passt zu dir, Kali. Kennst du die Band?«

Hatte mich Alex gerade schön genannt? Und noch wichtiger, hatte er mich gerade als kalt wie Eis bezeichnet?

»Nö«, verneinte ich. »Ich höre fast nie Musik. Und erst recht nicht diese dummen Charts.«

Ein schockierter Ausdruck stahl sich in Alex‘ Miene. Jetzt musste ich mich unwillkürlich fragen, ob das sein Orgasmus-Gesicht war.

»Nicht? Mann, muss dein Leben armselig sein. Und –«, sein Blick wurde kurz finster, »– All Time Low ist nicht in den Charts. Sehe ich etwa so aus, als würde ich Charts hören?«

Ich schloss kurz die Augen, um seine Beleidigung zu verdauen. Mein Leben war verdammt noch mal nicht armselig!

»Weißt du, was armselig ist? Es ist armselig, zum dritten Mal in der Zwölften zu sein!« Ich beugte mich ein Stück weiter nach vorn. Alex tat es mir gleich, sodass unsere Gesichter sich beinah berührten. »Es ist armselig, ein ...«

Ich wollte ihn weiter beschimpfen, aber sein warmer Atem strich über meine Wange. Unsere Lippen waren nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt. Waren wir in einem billigen Kitschroman gelandet?

Ich war mir sicher, dass Alex das Gleiche dachte.

»AUS!«, brüllte der aus dem Nichts auftauchende Schularzt. Er zog den grünen Vorhang zwischen mir und Alex.

»Zoey! Ich bin enttäuscht von dir.«

Schuldbewusst blickte ich zu Boden. Doktor Schmitt war ein Freund meines Großvaters. Er wusste also genau, dass ich sonst ein ganz anderes Benehmen an den Tag legte.

»Ich auch von mir«, gab ich zu. Wie immer, wenn ich mich schuldig fühle, spielte ich mit meinen schwarzen Haarsträhnen. »Es ist einfach mit mir durchgegangen.«

Doktor Schmitt nickte und wendete sich dann Nell zu. »Warum ist sie ohnmächtig geworden? Doch nicht nur, weil sie euren ... Streit beobachtet hat?«

Ich konnte nur mit den Schultern zucken.

Doktor Schmitt leuchtete mit einer dieser speziellen Lampen in Nells Augen, die sofort eine nicht gerade nette Beleidigung grummelte. Es hatte etwas mit seiner Mutter zu tun, die angeblich einen unschönen Beruf ausübte.

»Lass sie sich hier noch ein wenig ausruhen, dann geht es ihr bald besser.« Er seufzte. »Und sie sollte sich eine gepflegtere Umgangssprache angewöhnen.«

Tatsächlich flatterten Nells Augen, kaum hatte sich Doktor Schmitt Alex zugewendet. »Zoey?«, fragte sie. Endlich kam sie wieder zu Bewusstsein. »Wo bin ich?«

Sie sah sich hektisch im Raum um, kam aber nicht darauf, dass die medizinischen Polster, die Liegen und die weißen Schränke nur auf eines hindeuten konnten.

»Krankenzimmer«, antwortete ich.

»Warum?«, fragte sie. Sie griff sich an den Kopf. »Bin ich schon wieder über das Reck gestolpert und gegen den Kasten geknallt?«

»Ich hab Alex eine reingehauen«, antwortete ich nüchtern und betrachtete meine Hand. Ich war noch nie handgreiflich geworden, aber bei Alex‘ Verhalten war mir einfach die Sicherung durchgebrannt. »Und du bist einfach umgekippt.«

»Geht es dir gut?«, fragte Nell gleich. Dafür liebte ich sie: Ich hatte Alex zwar geschlagen, aber sie war besorgt um mich. Unsere Freundschaft war eben doch stärker als ihre Besessenheit von Alex. »Und warum eigentlich?«

»Solange Doktor Schmitt die ärztliche Schweigeplicht einhält, geht es mir gut.« Ich hatte absichtlich das mit der Schweigepflicht betont und bekam prompt ein Natürlich als Antwort von unserem Arzt. »Ich habe Alex eine geknallt. «

»Ich kann euch drei hoffentlich allein lassen«, sagte Doktor Schmitt zu mir. Er packte seine Tasche. »Ein paar Lehrer haben sich den Magen mit billigem, sprich abgelaufenem Kuchen verdorben und jammern mich voll. Wird wohl Zeit, ein wenig den Placebo–Effekt auszunutzen.«

»Sie können sich auf mich verlassen«, war meine prompte Antwort. Ein typischer Zoey-Kramer-Satz. Man konnte sich auf mich verlassen, ich würde alles für die anderen tun, blablabla. Zum Glück hatte ich kein besonderes Privatleben, das darunter hätte leiden können.

»Wie geht es Acid?«, fragte Nell.

Ich zog den grünen Vorhang zur Seite. Alex lag auf der anderen Liege, einen dunkelblauen Kühlbeutel auf die schmerzende Wange gedrückt.

»Er wird für immer entstellt sein«, bemerkte ich. »Sieh ihn dir an. Keine Frau wird jemals wieder auf ihn stehen. Er wird in der Kanalisation herumgeistern und auf seiner Orgel herumklimpern, auf der Suche nach einer Frau, die ihn trotz dieses Aussehens liebt.«

»Haha.« Alex verzog die Lippen nach unten. »Ich wende mich gleich an meinen Anwalt.«

»Ruh dich doch noch ein wenig aus«, sagte ich zu Nell.

Meine beste Freundin nickte und schlief prompt wieder ein.

Ich rutschte von Nells Liege hinunter und ging ein paar Schritte auf Alex zu. Da er die Füße angezogen hatte, nahm ich auf seiner Liege Platz und zog den Vorhang wieder vor. Er diente mir in erster Linie dazu, dass niemand sah, dass ich bei Alex saß. Ich hasste Gerede und ich hasste Alex, daraus ergab sich, dass Gerede über mich und Alex einem Hass-Supergau glich.