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Verbirgt sich unter der harten Schale ein weicher Kern? Die Regency-Romanze »Verliebt in einen Viscount« von Mary Spencer als eBook bei dotbooks. England 1816. Die junge Lady Clara kann sich vor Bewunderern kaum retten. Obwohl sie die Aufmerksamkeit genießt, gehört ihr Herz trotzdem nur einem: dem stattlichen Viscount Lucien Bryland, dem sie schon lange zur Frau versprochen ist. Doch nach Jahren im Ausland scheint Lucien nicht mehr der Mann zu sein, in den sie sich als junges Mädchen verliebt hat: Er ist kalt und abweisend und will nur noch heiraten, um sein Versprechen einzulösen. Mit schwerem Herzen weigert sich Clara, einen Mann zu ehelichen, der ihre Gefühle nicht erwidert … Oder ist es möglich, dass irgendwo tief in ihm doch noch der alte Lucien steckt, der ihr damals süße Worte zuflüsterte und sie sicher in seinen starken Armen hielt? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »Verliebt in einen Viscount« von Mary Spencer. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 451
Über dieses Buch:
England 1816. Die junge Lady Clara kann sich vor Bewunderern kaum retten. Obwohl sie die Aufmerksamkeit genießt, gehört ihr Herz trotzdem nur einem: dem stattlichen Viscount Lucien Bryland, dem sie schon lange zur Frau versprochen ist. Doch nach Jahren im Ausland scheint Lucien nicht mehr der Mann zu sein, in den sie sich als junges Mädchen verliebt hat: Er ist kalt und abweisend und will nur noch heiraten, um sein Versprechen einzulösen. Mit schwerem Herzen weigert sich Clara, einen Mann zu ehelichen, der ihre Gefühle nicht erwidert … Oder ist es möglich, dass irgendwo tief in ihm doch noch der alte Lucien steckt, der ihr damals süße Worte zuflüsterte und sie sicher in seinen starken Armen hielt?
Über die Autorin:
Mary Spencer, auch bekannt unter dem Namen Susan Spencer Paul, wollte seit ihrer Schulzeit Schriftstellerin werden. Zehn Jahre später gelang ihr der Durchbruch mit ihrem ersten historischen Liebesroman. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Töchtern in Los Angeles.
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eBook-Neuausgabe Mai 2021
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1997 unter dem Originaltitel »Dark Wager« bei Dell Publishing, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Sinnliche Begegnung« bei Bastei Lübbe.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1997 by Mary Spencer
Published by Arrangement with Mary Susan Liming
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach
Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Mariabo2015; AdobeStock/jamesdavidphoto, Period Images/Dunraven
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-96655-620-0
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Mary Spencer
Verliebt in einen Viscount
Regency-Roman
Aus dem Amerikanischen von Bettina Albrod
dotbooks.
Für meine Freundin Vickie Denney, die nicht zuließ, daß ich dieses Buch vernachlässigte, bis es fertig war.
Und für meine Agentin Nancy Yost, deren Vertrauen in mich mir die Kraft gab, diesen besonderen Traum zu verwirklichen.
Und für meine Lektorin Laura Cifelli, die den Traum Wirklichkeit werden ließ.
Herzlichen Dank, meine Damen.
England, März 1816
»Es ist doch bloß eine Hochzeit, Lucky, nicht lebenslängliche Haft in Newgate. Mit Sicherheit nichts, das es wert wäre, daß du so ein Gesicht ziehst. Vor dir haben schon viele Männer die Sache durchgestanden, und einige sind sogar recht glücklich. Sieh dir doch nur St. Genevieve an.« Jack Sommerton, der fünfte Earl of Rexley, nahm einen Schluck aus seinem Weinglas. »Tatsächlich ist er ein Paradebeispiel. Mach nur alles so wie St. Genevieve, und du wirst mit seiner Tochter zufrieden sein.«
Lucien Bryland, Viscount Callan, hob den Blick. »Und das sagt der Mann, der geschworen hat, niemals zu heiraten? Du überraschst mich, Jack.«
Der Earl schenkte ihm ein wohlwollendes Lächeln. »Ich habe nichts gegen die Ehe.« Er schnaubte verächtlich. »Es wäre schließlich kein Gewinn, wenn die Welt nur von Bastarden bevölkert wäre. Dann wüßte man nie, mit welcher Klasse man sich vermischt, nicht wahr? Allein der Gedanke daran ist gräßlich ...«
»Snob«, murmelte Lucien.
»Stimmt«, pflichtete Jack ihm bereitwillig bei und trank seinen Wein aus. »Und«, setzte er hinzu und stellte sein Glas auf dem kleinen Tisch ab, »wenn ich jemals an eine Frau gekettet würde, was Gott verhüten möge, würde ich sicherstellen, daß es eine aus guter Familie wäre. Zumindest in dieser Hinsicht ist deine Pfauenhenne unvergleichlich.«
»Ja, das ist sie wirklich«, stimmte Lucien zu und drehte sein Weinglas langsam zwischen den Fingern. Claras Bild, klar und vollkommen, erschien vor seinen Augen. Sie war immer am Rande seines Bewußtseins, auch wenn er in den letzten Jahren verzweifelt versucht hatte, die Erinnerungen an sie zu verdrängen. »Clara Harkhams stammt unzweifelhaft aus einer vornehmen Familie. Ich würde in ganz England keine passendere Partie finden.« Er hob den Kopf, und seine schwarzen Augen glitzerten. »Zumindest in dieser Hinsicht.«
Jack schnalzte mit der Zunge. »Seit ich dich kenne, sprichst du von Lady Clara wie von einer pferdegesichtigen Harpyie, aber mich führst du damit nicht mehr an der Nase herum. Robby hat mir erst gestern versichert, daß sie eine entzückende junge Dame ist. Nicht wahr, Wulf?«
Er wandte sich an den dritten Mann, der mit ihnen am Tisch saß. »Du warst doch dabei.«
»Was?« Als er seinen Namen hörte, hob Viscount Severn seinen dunklen, recht ungepflegten Kopf. »Tschuldigung, hast du etwas gesagt?«
»Der Himmel bewahre uns.« Jack beugte sich über den Tisch und nahm Lord Severn den Stift aus der Hand. »Mußt du jetzt kritzeln, wo Jack uns von der Tiefe seines Kummers überzeugen will? Hab doch Mitleid, Mann.«
Wulf sah Lucien an und sagte: »Lamentierst du immer noch über deine Eheschließung mit der Pfauenhenne, Lucky? Damit gibst du dem Rest von uns aber kein gutes Beispiel. Kopf hoch, Mann, reiß dich zusammen, würde ich sagen.«
»Tatsächlich? So wie du deine bevorstehende Hochzeit mit Bella siehst?« erwiderte Lucien trocken.
Wulf seufzte und nahm sich den Stift zurück. »Was hat Bella damit zu tun? Wir sind verlobt, oder? Ich beklage mich nicht darüber. Habe es nie getan und werde es auch nie tun.«
»Verlobt, ja«, sagte Lucien mit einem Auflachen. »Mittlerweile seit drei Jahren. Oder sind es vier? Wenn hier einer ein schlechtes Beispiel für uns abgibt, dann du. Bella wird nicht für immer warten, weißt du?«
»Vier Jahre Verlobung sind nichts verglichen damit, daß du und die Pfauenhenne einander seit der Wiege versprochen seid«, informierte ihn Wulf und beugte sich erneut über seine Papiere. »Du hattest siebenundzwanzig Jahre Zeit, um dich an den Gedanken zu gewöhnen, was mehr als fair ist. Ich kenne keinen anderen Mann, der so früh im voraus gewarnt wurde.« Ein vertrauter Ausdruck der Konzentration lag auf seinem Gesicht, als er eine Gleichung niederschrieb. »Und Bella macht es nichts aus zu warten. Sie ist ein gutes Mädchen. Macht mir nie Kummer. Sonst hätte ich sie auch nicht gebeten, mich zu heiraten.«
Lucien betrachtete den gesenkten Kopf seines Freundes. »Du nimmst sie viel zu sehr als selbstverständlich, Wulf, und Bella ist eine hübsche, nette Person. Vielleicht sollten wir tauschen.«
Wulf schrieb weiter und sah nicht einmal auf. »Tauschen? Was?«
Jack beugte sich vor und sagte Wulf direkt ins Ohr: »Bella gegen die Pfauenhenne tauschen, alter Junge. Lucky will deine Verlobte haben.«
»Bella?« Wulf strich heftig alles durch, was er gerade geschrieben hatte. »Nicht sechseinhalb zu zwölf«, murmelte er. »Gütiger Himmel, ich würde das Labor in die Luft jagen.« Er schrieb erneut. »Wozu will er sie haben?«
Lucien nickte einem Kellner zu, der stehenblieb, um ihre Gläser aufzufüllen, und erwiderte: »Nun, um mir das Bett zu wärmen, Wulf. Bella hat die richtige Figur dafür. Sie ist nicht so dünn und hager wie die Pfauenhenne, und auch nicht so klein. Ich müßte mir keine Sorgen machen, daß ich sie zerdrücken könnte oder –«
Wulf sprang plötzlich auf und warf dabei fast den Tisch um. Darm beugte er sich aus seiner enormen Höhe herab und brüllte Lucien ins Gesicht: »Was sagst du da über Bella? Sie ist nicht so eine Frau!«
Lachend schob Lucien ihn weg. »Setz dich hin, du riesiger Kerl. Ich wollte nur, daß du mir endlich zuhörst. Ich wollte nicht respektlos über deine Bella reden, und das weißt du. Sie ist wie eine Schwester für mich.«
Viscount Severn stieß ein Schnauben hervor, das an einen wütenden Bullen erinnerte, und ließ seinen muskulösen Körper wieder in den Sessel sinken. »Verdammt, Lucien, neck mich nicht mit Bella. Ich habe für einen Moment rot gesehen und würde dich nur ungern umbringen.«
»Und wir würden nicht wollen, daß das ausgerechnet bei White’s passierte.« Jack erwiderte ungerührt das Starren einiger Zuschauer, bis sie den Blick abwandten. »Das letztemal, als du hier die Beherrschung verloren hast, sind wir fast rausgeworfen worden.«
»Das war die Schuld des Amerikaners«, stellte Wulf fest und sah immer noch Lucien an. »Auch er hat über Bella gesprochen, aber ich habe es nicht zugelassen.«
»Stimmt«, bestätigte Lucien, »Bella ist in Ordnung. Sie hat es sogar geschafft, daß du deine geliebte Chemie vergessen hast, was schon einem Wunder gleich kommt.«
Wulf lachte auf und umklammerte die Aufschläge seiner engen Jacke. »Wenn du schon über Frauen reden mußt, dann sprich über deine eigene. Es hat dir noch nie Mühe gemacht, etwas über die Pfauenhenne zu sagen.«
»Gott, Wulf, laß ihn nicht wieder davon anfangen«, warnte ihn Jack. »Das arme Kind weiß nicht, worauf sie sich mit einer Ehe mit Lucky einläßt. Er hat nicht mehr so viel über sie geredet, seit wir zusammen in Oxford waren. Langsam fange ich an zu glauben, daß der Kerl doch einen Narren an ihr gefressen hat.«
»Tatsächlich«, stimmte Wulf ernst zu, und beide Männer sahen Lucien an, der unbehaglich in seinem Stuhl hin und her rutschte. »Du mußt sie nicht heiraten, weißt du. Robby würde schon etwas einfallen, um die Verlobung zu lösen. Es wäre gar nicht so schwer, und Lady Clara würde unter keinerlei Klatsch zu leiden haben. Die Verlobung ist doch nie öffentlich gemacht worden, oder?«
»Nein, es ist nur eine Übereinkunft zwischen unser beider Familien, mehr nicht.«
»Na siehst du«, erklärte Jack. »Nichts einfacher als das. Löse die Verlobung, und schon bist du frei zu heiraten, wen immer du willst. Selbst Pamela, wenn sie dir als Frau lieber ist denn als Geliebte, was ich bezweifele.«
Lucien sah ihn scharf an. »Laß Pamela aus dem Spiel. Sie hat mir schon genug die Hölle heiß gemacht wegen meiner bevorstehenden Hochzeit.«
»Nicht genug, um dich abzuweisen, wette ich«, warf Jack ein. »Sie wäre eine Närrin, wenn sie es täte. Die Frau hat dich gut abgerichtet, und sie ist zu faul, um die Zeit und die Mühe auf einen anderen Mann zu verschwenden.«
Luciens Hände lagen still, und er sagte ruhig: »Reize mich nicht, Jack, ich werde es nicht dulden, daß meine Freunde Pamela verhöhnen, und ich werde es auch von dir nicht dulden.«
Unbeeindruckt trank Jack seinen Wein. »Ich sage nur die Wahrheit, Lucky, und will dir nicht weh tun. Sie ist deine Geliebte, und du kennst diese Sorte Frau besser als jedermann sonst, wette ich.«
Lucien nickte leicht, und sein schwarzes Haar schimmerte im Licht der eleganten Clublampe. »In der Tat, und ich weiß auch, daß sie mir gefällt. Außerdem geht dich das nichts an. Es war im übrigen der größte Wunsch meines Vaters, daß Clara und ich heiraten. Die Vereinbarung, die er mit dem Marquis of St. Genevieve getroffen hat, kann nicht so einfach gebrochen werden, selbst wenn ich es wollte, was nicht der Fall ist. Ich gebe zu, daß ich es nicht eilig habe, meinen ledigen Stand aufzugeben, aber ich habe immer gewußt, daß ich, wenn ich heirate, Clara Harkhams zur Frau nehme. Wirklich, sie wird die perfekte Ehefrau sein. Sie ist gut erzogen, höflich und kennt ihren Platz. Wahrscheinlich würde sie sich eher einen Arm brechen, als etwas zu tun, was ihren Mann öffentlich bloßstellen könnte. Natürlich werde ich sie nicht in London lassen.«
Wulf hob die Brauen. »Nein? Wo dann?«
»Ich werde sie nach Pearwood schicken. Dort wird sie sich schon wohlfühlen, vor allem, wenn ich sie erst einmal geschwängert habe. Clara ist ein Mädchen vom Lande, genau wie der Rest der St. Genevieves. Eine Schar Kinder, ein Garten und ein paar Landjunker, die sie bewundern, werden sie zufriedenstellen, so daß es ihr nichts ausmachen wird, von London fernzubleiben. Nach sechs Monaten hier dürfte sie froh sein, sich aufs Land zurückziehen zu können.«
»Du klingst dir sehr sicher«, sagte Jack. »Aber was, wenn die Pfauenhenne Geschmack am modischen Stadtleben findet? Dann wird sie nicht so leicht gehen wollen.«
»Sie wird gehen«, erwiderte Lucien. »Es wäre eine Katastrophe, wenn wir versuchen würden, länger zusammenzuleben als unbedingt nötig. Ich bin mir ziemlich sicher, daß Clara nicht einmal den Versuch machen würde. Wir würden einander nur unglücklich machen. Ich mache sie schwanger und bringe sie weg, und das war’s. Ein, zwei Monate im Jahr vielleicht noch, um ein weiteres Kind zu zeugen, öfter werden wir uns kaum sehen.«
»Du bist herzlos«, sagte Wulf kopfschüttelnd. »Mir tut die Pfauenhenne leid, armes Mädchen. Warum haßt du sie so?«
Lucien lächelte grimmig. »Habe ich den Eindruck erweckt, daß ich sie hasse?«
Jack richtete sich auf und sah ihn scharf an. »Nun, ganz bestimmt liebst du das Mädchen nicht. Nach all den Jahren, die wir deinen Beschwerden über Lady Clara gelauscht haben, wäre das unmöglich.«
»Wäre es das?« Lucien schloß die Augen und ließ seinen Kopf erschöpft gegen die Rücklehne seines Stuhles sinken. »So unmöglich es sein mag, ich habe sie einmal geliebt. Und ihr vertraut.«
»Lucky!« rief Wulf ungläubig auf. »All diese Jahre ... du hast nicht einmal eine Andeutung gemacht. Ich dachte, du hättest das Mädchen auf den ersten Blick abgelehnt.«
Lucien öffnete die Augen und starrte an die Decke. »Das ist nicht gerade das, was man seinen Kumpanen erzählt, nicht? Hingerissen zu sein von der Braut, die die Eltern einem ausgesucht haben, nur um dann von ihr zurückgewiesen zu werden. Nein« – seine Lippen verzogen sich sarkastisch – »das ist wahrlich nichts, was man gerne zugibt. Weißt du, ich habe immer geschworen, niemals so ein Narr wie mein Vater zu werden und wie ein Hund um die Krumen der Zuneigung einer Frau zu betteln. Aber bei Clara hätte ich es fast so weit kommen lassen. Ich war so nahe daran. Es war kurz, ehe ich zur Universität gegangen bin. Wir hatten uns einige Zeit nicht gesehen, und ich wollte sichergehen, daß meine geliebte Verlobte von meinen Gefühlen erfuhr, ehe wir wieder einige Zeit getrennt sein würden. Also ging ich zu ihr und warf mich ihr zu Füßen, mit Herz, Körper und Seele. Ich glaube, es war eine recht bewegende Szene, auch wenn die Wirkung durch die Ankunft ihres Galans getrübt wurde, der den Umstand, daß die Zuneigung zwischen ihnen gegenseitig war, recht klarmachte.«
»Gott, Lucky«, murmelte Wulf.
»Meine eigene Mutter hätte es nicht besser machen können«, fuhr Lucky leise fort. »Es erinnerte mich an das letzte Mal, als ich meine Eltern lebend sah, an ihrem Hochzeitstag, als einer von Mutters Bewunderern nach Barrington kam, um sie zu einer Ausfahrt einzuladen. Vater verbrachte den Rest des Tages alleine in seinem Arbeitszimmer und wartete auf sie, damit sie zusammen feiern konnten, wie er es geplant hatte. Er wartete und wartete, lief auf und ab und sah immer wieder auf die Uhr. Krank vor Sorge, wie immer. Und genauso liebeskrank.« Lucien schüttelte ernst den Kopf. »Sie kehrte erst am nächsten Morgen zurück. Mein Vater tat mir natürlich leid, aber wirklich verstanden habe ich seine Gefühle erst, als ich vor Clara und ihrem glühenden Liebhaber stand und wußte, daß sie nichts für mich empfand.«
»Kein Wunder, daß du mit so einem Frauenhaß nach Oxford gekommen bist«, erklärte Jack mit offenem Mitgefühl. »Besonders auf die Pfauenhenne. Ich habe mich oft darüber gewundert.«
»Es war bei weitem die größte Torheit, die ich je begangen habe«, gab Lucien zu. »Ich hätte es eigentlich besser wissen müssen. Ein liebender Mann ist nichts für ein hübsches junges Mädchen, schon gar nicht, wenn jeder Mann im Dorf ihretwegen verrückt spielt.«
Seine Freunde sahen ihn überrascht an.
»Wegen der häßlichen Pfauenhenne?« fragte Jack.
Luciens Augen wurden schmal, als er die Tischplatte betrachtete. »Clara ist recht unauffällig, aber nicht häßlich. Trotz ihres Mangels an Schönheit schafft sie es, sehr anziehend zu sein. Jeder liebt sie.« Er seufzte. »Sie bricht fortwährend Herzen, aber ich nehme an, sie kann nichts dafür. Das gehört zum Wesen der Frau.«
Seine Stimme klang kühl, und seine Freunde wechselten einen Blick.
»Lucky«, begann Jack vorsichtig, »nicht alle Frauen sind wie deine Mutter. Du kannst nicht heiraten, wenn du so denkst, egal, was mit Lady Clara passiert ist.«
»Kann ich nicht?« Lucien blickte ihn fragend an. »Ich gebe zu, daß nicht alle Frauen so sind, wie sie es war. Pamela unterscheidet sich beispielsweise so sehr von meiner Mutter wie die Sahara vom Nordpol. Aber andere Frauen, sogar die meisten, sind so, wie sie war. Eitle, klammernde, nachgiebige Geschöpfe, die sich in dein Herz einschleichen, bis sie dort verwurzelt sind, und dann« – er versuchte sichtlich, seinen Ärger zu zügeln – »kann nur der stärkste Mann der Zerstörung widerstehen.«
»Du solltest dem Mädchen zumindest eine Chance geben«, meinte Wulf.
»Das würde sie gar nicht wollen. Nicht von mir. Aber ich werde ihr etwas Besseres für ihr Ehegelübde geben. Freiheit. Clara wird so viel davon bekommen, wie sie will, so viele Kinder, wie sie mag, und mehr Geld, als sie in fünf Leben ausgeben könnte.«
»Ich verstehe noch immer nicht, warum du das Mädchen überhaupt heiraten willst«, wandte Jack ein. »Ich glaube nicht, daß dein Vater der Verbindung zugestimmt hätte, wenn er gewußt hätte, was du und die Pfauenhenne füreinander empfindet.«
Lucien sah ihn mit einem rätselhaften Lächeln an. »Du verstehst nicht, Jack, Clara gehört mir. Sie wurde mir als Kind in der Wiege versprochen. Ich habe mir selber tausendmal und mehr gesagt, die Verlobung zu lösen, aber es ist unmöglich. Sie gehört mir und wird für den Rest meines Lebens mein sein. Ich werde mich ihr nicht aufdrängen, aber ich werde da sein. Immer in ihrem Hinterkopf, egal, wie oft sie mich sieht. Sie wird immer wissen, wem sie gehört.«
»Das ist Rache«, stellte Wulf abgestoßen fest. »Das ist ganz klar. Sie wollte dich nicht haben, und nun läßt du sie dafür bezahlen.« Er warf Lucien den verächtlichen Blick zu, mit dem er sonst die bedachte, die den Satz des Pythagoras nicht verstanden. »Ich hätte nie gedacht, daß du so etwas tun würdest, Lucky. Ich kann kaum glauben, daß Robby da mitmacht.«
»Oh, er ist ganz und gar dafür«, versicherte ihm Lucien. »Er glaubt, daß die Ehe mich ändern wird und einen neuen Mann aus mir macht.«
Er legte die Hand flach auf den Tisch. »Sechs Monate, und ich habe sie schwanger und auf dem Weg nach Pearwood. Dort wird sie leben, wie sie es sich wünscht, und ich auch. Das ist alles.«
»Würden Sie eine Wette darüber abschließen, Callan?«
Die drei Männer wandten sich um und betrachteten den Neuankömmling, der mit einem lässigen Lächeln auf ihren Tisch zukam.
Der Earl of Rexley fluchte leise, als er den großen, blonden Mann sah, Viscount Callan stöhnte laut auf, und Viscount Severn grollte.
»Gehen Sie weg, Kerlain«, bat Lucien, »diesmal halte ich Wulf nicht davon ab, Sie zu töten, wenn er das wünscht.«
P. Lad Walker, Earl of Kerlain, wandte sich Wulf zu. »Heute wird er kein Bedürfnis danach verspüren, das schwöre ich. Ich mag zwar Amerikaner sein, aber ich bin nicht so dumm, ein erfolgloses Experiment zweimal durchzuführen. Meine Zähne klappern noch von unserem letzten Zusammenstoß, und die Wunden sind gerade erst vernarbt. Wer immer gesagt hat, daß Muskeln und Hirn nicht zusammengehen, hat ihn nicht kennengelernt.« Er deutete steif auf Wulf, der ihn finster ansah. »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Miß Howells Namen heute nicht erwähnen werde.« Er hob die Hand hoch, als leistete er einen Schwur. »Ich schwöre es beim Grab meiner Großmutter.«
Wulfs Miene verfinsterte sich, aber er sagte nichts. Statt dessen ignorierte er den Neuankömmling und wandte sich wieder seinen Papieren zu.
»Amerikaner«, bemerkte Jack mit freundlicher Verachtung, »keine Manieren.«
»Gehen Sie weg, Kerlain«, wiederholte Lucien. »Ich will, daß Sie noch so lange leben, daß ich das Geld zurückgewinne, daß ich letzte Nacht an Sie verloren habe.«
»Das mag nicht der beste Grund sein«, bemerkte Kerlain, »aber es ist gut zu wissen, daß ich jemandem wenigstens etwas bedeute.« Er lächelte strahlend und zog sich einen Stuhl heran.
Lucien stöhnte wieder. »Sind Sie verrückt?«
»Ganz und gar nicht«, antwortete Kerlain leichthin.
»Ich suche nur nach einem Spiel, wie üblich.«
Jack kniff die Augen zusammen. »Ich vermeide es möglichst, mit Amerikanern zu sprechen, und schon gar nicht teile ich einen Tisch mit ihnen. Gehen Sie, ehe ich Sie rauswerfen lasse.«
Kerlain lächelte noch breiter. »In den Staaten haben wir einen Namen für Männer wie Sie, Rexley, aber ich bin zu höflich, um Ihnen den zu verraten. Es freut Sie vielleicht zu hören, daß ich es höllisch schwer hatte, bei White’s wieder zugelassen zu werden, dank dieses Berserkers hier.« Er warf Wulf einen Blick zu, aber der ignorierte ihn weiterhin. »Nach unserer kleinen Meinungsverschiedenheit half nicht einmal Bitten.«
»Kein Wunder, der Club mußte die Hälfte der Gläser erneuern«, wandte Jack kalt ein. »Wie haben Sie es dann geschafft?«
»So wie ich alles schaffe«, antwortete Kerlain gelassen und lächelte.
»Gespielt, was?« fragte Lucien und bedeutete einem Kellner, ein weiteres Glas zu bringen. »Wen haben Sie überredet, für Sie zu bürgen? Wieder Seasley? Er wäre dumm genug, mit Ihnen zu wetten, und einflußreich genug, die Regeln hier aufzuheben. Ruhig Blut, Jack«, wandte er sich an seinen Freund, »Kerlain beißt wenigstens nicht.«
»Ein Jammer, daß du dir deine Freunde nicht mit mehr Verstand aussuchst, Lucky«, bemängelte Jack.
»Ja, das habe ich auch schon oft gedacht«, neckte ihn Lucien und lachte leise. »Besonders, seit ich dich und Wulf kenne. Und jetzt setz dich hin und sei still. Ich will nicht wieder eine Szene. Schon jetzt schaut jeder zu uns rüber.«
»Sehr gut«, sagte Jack, setzte sich hin und stieß den Atem aus.
Lucien wandte sich an Kerlain. »Ich hoffe, Sie haben sich nicht die ganze Mühe gemacht, um mit mir zu sprechen. Ich gehe gleich.«
»Ja, um Ihre künftige Frau abzuholen«, sagte Kerlain. »Sie haben gestern viel von Lady Clara gesprochen, weswegen ich heute hier bin.«
»Und?« wollte Lucien geduldig wissen.
Kerlain setzte sein Glas ab. »Ich werde offen sein, wie wir Amerikaner nun einmal sind.« Er achtete nicht darauf, daß Jack die Augen verdrehte. »Ich habe im Moment keine Wette laufen, möchte aber gerne ein paar Dollar verdienen.«
»Oder verlieren«, bemerkte Jack trocken.
»Ich verliere nie«, erwiderte Kerlain und bemerkte mit Genugtuung, daß diese Bemerkung den Viscount Severn dazu veranlaßte, den Kopf zu heben und die Unterhaltung zu verfolgen.
Jack beugte sich vor und sah ihn mit einem Haifischblick an. »Wo bleibt dann der Sport?«
Kerlain grinste. »Nun, es ist spannend, den anderen zu beobachten, wie er glaubt, er würde der Erste, der mich besiegt. Ich nehme nicht an, daß Sie die Herausforderung annehmen möchten, Rexley? Doch nein, dazu sind Sie viel zu vorsichtig. Callan dagegen hat eine gute Chance zu gewinnen.« Er sah Lucien arglos an. »Sie haben gestern offen über Ihre baldige Ehe gesprochen, und eben habe ich noch einiges mitgehört. Sie heiraten Lady Clara Harkhams, die Älteste des Marquis of Genevieve, nicht wahr?«
Lucien nickte schweigend.
»Und Sie wollen sie schwängern und dann fortschicken – innerhalb von sechs Monaten nach der Eheschließung? Haben Sie das nicht gerade gesagt?«
»Sie haben scharfe Ohren, Kerlain«, erwiderte Lucien. »Ich werde künftig besser aufpassen müssen, was ich wo sage. Aber es stimmt, das ist meine Absicht.«
Kerlain stützte sich auf den Tisch und entspannte sich. »Sie klingen zuversichtlich, Callan, aber ich wette um zehntausend Pfund, daß Ihre Frau nach sechs Monaten immer noch an Ihrer Seite sein wird. Sie werden sich nicht von ihr trennen wollen.«
Lucien betrachtete ihn einigermaßen überrascht. »Bezweifeln Sie, daß ich ihr in der Zeit ein Kind machen kann?«
»Ich bezweifele nicht, daß Sie das wollen«, erwiderte Kerlain, »aber darum geht es nicht. Egal, in welchem Zustand Lady Clara ist, Sie werden sich nicht von ihr trennen wollen. Sie werden sie nur dann nach Pearwood schicken, wenn Sie auch dort bleiben wollen.«
»Das ist noch geschmackloser, als ich selbst von Ihnen erwartet hätte«, bemerkte Jack mit unverhülltem Abscheu. »Eine Wette um eine gut erzogene Dame zu machen ist unter allem Niveau. Schick ihn zum Teufel, Lucien.«
Lucien musterte Kerlain unter halbgeschlossenen Lidern. »Wollen sie etwa andeuten, Kerlain, daß ich mich in meine Frau verliebt hätte? Sie würden doch nicht zehntausend Pfund auf so eine Torheit verwetten. Das wäre viel zu einfach.«
»Wenn das so ist, Callan, werden Sie gewinnen.«
»Lucky, du kannst doch nicht ernsthaft daran denken, Lady Claras Namen in die Wettbücher zu bringen«, protestierte Wulf. »Hier? Bei White’s? Wo jedermann, der durch die Tür kommt, es sehen kann? Das wäre ...«
»Höchst unehrenhaft«, ergänzte Jack. »Tu es nicht, Lucien, es ist unter deiner Würde, und Robby würde dafür deinen Kopf auf einem Silbertablett fordern.«
Der Earl of Kerlain lächelte und zuckte die Achseln. »Wenn Sie dagegen gewinnen, wird er mehr als bereit sein, Ihnen den kleinen Ausrutscher zu verzeihen. Wenn Sie natürlich in Wirklichkeit nicht daran denken, Lady Clara wegzuschicken, dann vergessen wir meinen Vorschlag am besten ganz schnell wieder.«
Luciens Augen wurden dunkel. »Ich werde gewinnen. Daran gibt es gar keinen Zweifel.«
»Und ich behaupte, daß Sie verlieren werden. Halten Sie sich wirklich für fähig, Ihre eigene Frau wegzuschicken?«
»Das ist beinahe schon Tatsache«, erwiderte Lucien, »Clara wird mit Sicherheit auf den Tag genau sechs Monate nach unserer Hochzeit nach Pearwood umziehen.«
»Wo immer Ihre künftige Frau am Ende der sechs Monate sein wird, Callan, sie wird nicht alleine dort sein. Sie werden bei ihr sein, und zwar aus eigenem Willen.«
»Ich hätte nie gedacht, daß Sie ein Narr sind, Kerlain.« Lucien hob die Hand, um einen Kellner herbeizuwinken. »Sagen Sie Ihrem Verwalter schon mal, daß er die Gelder beiseite legt, denn ich erwarte volle Bezahlung an dem Tag, an dem Clara London verläßt.« Er sah den Kellner an, der schweigend auf seine Bestellung wartete, und sagte: »Bringen Sie uns das Wettbuch.«
»Liebe leidet lange und ist freundlich, sie neidet nicht, noch stellt sie sich zur Schau oder bläht sich auf.«
Der Tag war für Mitte März sonnig und schön und ungewöhnlich warm. Clara Harkhams, die in der großen Steinkirche in St. Genevieve saß, wußte, daß sie wie die anderen Kirchenbesucher keinerlei Grund hatte zu frieren. Natürlich saßen die anderen Kirchgänger nicht neben Lucien Bryland, mit Armen, Schultern und Hüften eng an ihn gepreßt.
»Das ist es, was das Wort Gottes über die Liebe sagt«, verkündete Mr. Webster laut und sah, so kam es Clara vor, direkt in sie hinein, »und so soll die perfekte Liebe, die Gott geschaffen hat, auch sein.«
Clara bewegte sich verstohlen, um ihr Unbehagen zu verbergen, wobei sie versuchte, nicht die Aufmerksamkeit des Viscounts zu erregen. Aber sie wußte, daß ihr das mißlungen war, als sich die Hand, die auf seinem Knie lag, zu einer Faust ballte. Clara fragte sich, ob es vielleicht als Zeichen drohenden Unheils zu werten war, daß der Mann, den sie bald heiraten sollte, steif und kalt wie ein Eisberg neben ihr saß.
Aber das war unfair. Sie wußte besser als jeder andere, wie lebendig Lucien immer schon gewesen war, seit der Earl of Manning seinen verwaisten Neffen das erstemal nach St. Genevieve gebracht hatte. Als sie einander vorgestellt wurden, hatte sie, obwohl schon dreizehn, nichts weiter erwartet. Aber nach der ersten Woche seines Besuchs hatte er sie fortwährend angestarrt und war ihr mehr als einmal heimlich gefolgt. Bei den Mahlzeiten betrachtete er sie unter gesenkten Wimpern hervor, bis sich Clara seiner Bewunderung schmerzlich bewußt wurde. Dunkel, stark und schweigsam wie er war, hatte er sie ein bißchen eingeschüchtert. Ihre Eltern hatten sie und ihre Geschwister und den ganzen Haushalt gewarnt, daß der junge Viscount betrübt sei, seit seine Eltern vor drei Jahren ums Leben gekommen waren. Er war sicher kein gefährlicher Junge, aber sie sollten ihn in Ruhe lassen, wenn er das wünschte, und ihn nicht ärgern. Damals hatte Clara noch nicht gewußt, daß sie den Viscount einmal heiraten sollte, sonst hätte sie sich erst recht geängstigt. Zumindest in dieser ersten Woche, in der der Earl of Manning Tante Anna den Hof machte und Lucien, sich selbst überlassen, wie ein halbwildes Tier schweigend durch das Haus strich.
»Es ist ein Greuel, den Namen der Liebe unnütz zu führen!« Mr. Webster klopfte mit der Hand auf die Kanzel und brachte Clara und die meisten Zuhörer damit zum Zusammenzucken. »Ein Greuel gegen Gott und den Himmel!«
Clara sah, wie sich die Hand des Viscounts ballte und wieder öffnete und erneut ballte, und ihr Herz sank. Es war unerträglich, daß er dem ausgesetzt wurde. Sie würde nach dem Gottesdienst mit Mr. Webster sprechen und ihm klarmachen, daß das, was geschehen würde, nicht aufzuhalten war. Sie wollte es auch gar nicht anders. Ihr Herz war schon seit langem unwiderruflich vergeben, und nichts, was er oder ein anderer sagte, konnte daran noch etwas ändern.
Sie hätte an dem Montag der zweiten Woche des Besuchs von Lucien und seinem Onkel niemals angeln gehen sollen. Mit dreizehn noch so kindisch, wie es von der verwöhnten, auf dem Land aufgewachsenen Kinderschar von St. Genevieve zu erwarten war, hatte sie gerade nur eine Ahnung davon gehabt, was es bedeutete, eine Frau zu sein. Doch an diesem Tag hatte Lucien die Weichen für ihr Leben gestellt, sie so endgültig an sich gefesselt, daß wahrscheinlich nicht einmal er ahnen konnte, wie stark sie gefangen war.
Clara war es gewöhnt, frei die Gegend zu durchstreifen; ihre Eltern hatten nichts davon gehalten, die Kinder ins Haus und in elegante Kleider zu zwingen. Sie war früh aufgestanden, hatte ihr ältestes Kleid und ein Paar Jungenschuhe angezogen, nicht auf das Mädchen gewartet, das ihr die Haare bürsten sollte, und war in die Küche gegangen, um von der Köchin etwas zu essen zu erbetteln. Eine halbe Stunde später war sie mit der Angelrute und einem Picknickkorb auf dem Weg zu ihrem Lieblingssee, wo sie ihre Tage am liebsten verbrachte.
Zwei höchst angenehme Stunden vergingen, bis Clara, die sich das Kleid über die Schenkel hochgezogen hatte und die Füße ins Wasser hängen ließ, merkte, daß sie nicht mehr alleine war. Sie richtete sich so schnell auf, daß ihr dabei die Angelrute versehentlich ins Wasser fiel. Bis sie sie wieder herausgeholt und sich dabei gründlich durchnäßt hatte, war Lucien aus dem Wald hervorgetreten, wo er sich versteckt hielt.
Wortlos streckte er die Hand aus und zog sie aus dem Wasser. Dann legte er die Angelrute beiseite und begann, ihr die nassen Röcke auszuwringen.
Clara dachte oft an diesen Moment zurück und überlegte, wie seltsam es gewesen war, daß sie still dagestanden und auf seinen dunklen Kopf hinabgesehen hatte, während er ihr Kleid auswrang. Erst als er fertig war und sie bei der Hand genommen und zu einem grasigen Stück Ufer geführt hatte, hatte sie ihre Stimme wiedergefunden und gefragt: »Warum hast du dich dort versteckt?«
Lucien setzte sich neben sie. »Ich habe mich nicht versteckt.«
»Hast du schon lange da gestanden? Du hättest es mir sagen sollen. Es ist unhöflich, Leute zu beobachten, ohne es ihnen zu sagen.«
Er zuckte die Achseln und stützte sein Kinn auf die hochgezogenen Knie, während er über die funkelnde Oberfläche des Sees blickte.
Lucien war es zufrieden, wenig zu sprechen, wie Clara in den folgenden Tagen noch lernen sollte, aber sie selber stammte aus einer lärmenden, redenden Familie und fühlte sich verpflichtet, Konversation zu machen.
»Ich bin zum Angeln hergekommen«, erklärte sie und dachte gleich darauf, wie dumm es war, etwas so Offensichtliches zu sagen.
Aber er sagte »Ja« und sah sie an. »Aber du hast nichts gefangen.«
»Nein, noch nicht.« Sie war ihm noch nie so nahe gewesen, und jetzt bemerkte sie, was für schöne, dunkle Augen er hatte. »Angelst du auch?«
»Nein.« Sein Kinn lag wieder auf den Knien.
»Es macht viel Spaß«, fuhr Clara fort, die unbedingt höflich sein wollte, auch wenn er sie ignorierte. »Willst du es mal versuchen? Wenn du willst, kannst du meine Angelrute nehmen.«
»Vielleicht später.«
Die Antwort entspannte sie ein wenig. Clara spielte mit einigen Grashalmen neben sich und fragte: »Gefällt es dir auf St. Genevieve? Meine Tante Anna hat sich sehr auf den Besuch von dir und deinem Onkel gefreut. Sie war sehr aufgeregt.«
Er sagte nichts, und erst dachte sie, er würde nicht antworten, aber dann erwiderte er: »Robby war auch aufgeregt.«
»Sie sehen entzückend zusammen aus, nicht wahr? Der Earl sieht so gut aus, und Tante Anna ist so schön. Glaubst du, daß sie glücklich werden, wenn sie verheiratet sind?«
Er hob den Kopf und seufzte. »Ich weiß es nicht. Ich habe noch nie jemanden gekannt, der es war.«
Diese Aussage schockierte Clara zutiefst, denn sie kannte nur glücklich verheiratete Paare.
»Nicht einmal deine Eltern?«
Er lachte bitter auf. »Die am wenigsten.«
»Oh.« Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, ein Zentnergewicht läge auf ihrem Herzen. »Meine sind es. Glücklich, meine ich.«
Er nickte schweigend.
»Und ich werde es auch sein, wenn ich verheiratet bin«, erklärte sie.
»Wirst du das? Woher weißt du das?«
Sie lächelte und erklärte mit der Zuversicht der Jugend: »Ich werde meinen Mann so glücklich machen, daß er nie streitet, und ich werde ihn so lieben, wie Mama Papa liebt.«
»Und was ist, wenn du aufhörst, ihn zu lieben? Wenn du nach der Hochzeit einen anderen Mann kennenlernst, in den du dich verliebst? Würdest du dann nicht mit ihm weggehen?«
Die Frage verstörte Clara. Sie hatte noch nie zuvor über solche Dinge nachgedacht. »Aber das wäre sehr schlecht, nicht wahr?«
»Ja«, erwiderte er ernst. »Sehr schlecht.«
»So etwas würde ich nie tun. Ich werde meinen Mann lieben, und er wird mich lieben. Und wir werden viele Kinder haben, mindestens ein Dutzend. Wir werden es wunderschön zusammen haben und immer glücklich sein.«
Ein kurzes Lächeln, das erste, das sie bei ihm sah, umspielte seinen Mund. »Wirst du das?«
»Oh, ja«, gab sie heiter zurück. »Wir werden auf dem Land leben, aber einmal im Jahr wird er mich nach London bringen, so daß wir ein paar Bälle besuchen können. Mein Vater hat einen schönen Ballsaal in seinem Stadthaus. Wußtest du das?«
»Ja, ich habe dich dort einmal getroffen, aber da warst du noch sehr jung. Erinnerst du dich daran?«
»Mich?« wiederholte sie überrascht.
»Du warst gerade sieben geworden«, erzählte Lucien. »Es war deine Geburtstagsfeier, und meine Eltern und ich waren auch eingeladen.« Wieder lächelte er. »Du warst ganz in Rosa und Weiß und hattest Satinschleifen im Haar.« Er hob die Hand und strich sanft über ihre Locken. »So schimmernde Haare – du hast ausgesehen wie eine Puppe.«
Sie sah ihn an. »Du hast mit mir getanzt«, murmelte sie. »Daran erinnere ich mich. Du wolltest nicht, aber deine Mutter hat dich dazu gebracht.«
Er ließ die Hand sinken. »Es war dumm. Wir müssen lächerlich ausgesehen haben.«
Sie lachte bei der Erinnerung. »Du warst so groß. Ich weiß noch, daß ich gedacht habe, daß du so groß wie Papa bist, aber viel hübscher. Ich habe dich dazu gebracht, mich zu küssen, nicht wahr?«
»Das hast du, mit der Drohung, sonst das ganze Haus zusammenzuschreien. Du warst furchtbar verwöhnt.«
Ihr Lächeln schwand. »War ich das? Wirklich? Hast du es gehaßt, mich küssen zu müssen?«
Er zog unwillig die Brauen zusammen. »Natürlich. Ich war zehn. Das Letzte, was ich tun wollte, war, ein siebenjähriges Mädchen zu küssen. Du warst praktisch noch ein Baby.«
»Oh.« Clara fühlte sich plötzlich niedergeschlagen. »Ich nehme an, du hast recht.«
Er berührte ihre Hand mit den Fingerspitzen. »Mach nicht so ein Gesicht«, bat er leise, »jetzt ist es anders. Du bist kein Baby mehr, und ich würde dich küssen, ohne dazu gezwungen zu sein.«
Clara spürte, wie sie errötete, und bekam plötzlich Angst, als sie in sein hübsches Gesicht schaute.
»Willst du jetzt angeln?« fragte sie, erhob sich rasch und holte die Angelrute, ohne seine Antwort abzuwarten.
Er folgte ihr ans Ufer und ließ sich zeigen, wie sie Köder und Faden vorbereitete, und den Rest des Nachmittags verbrachten sie in einträglicher Kameradschaft. Zu Claras Erleichterung erwähnte er das Küssen nicht mehr, obwohl er nach ihrer Hand griff, als sie Seite an Seite am Ufer saßen. Doch das machte ihr nicht so viel aus, sie hatte auch schon mit Andrew Blakesley Händchen gehalten, heimlich, unter dem Tisch im Kinderzimmer, als er und seine Brüder auf St. Genevieve zu Besuch gewesen waren.
Als sie Hunger bekamen, teilten sie sich den Inhalt von Claras Picknickkorb, und anschließend ließen sie die Angelrute am Ufer stecken und legten sich auf den Rasen, um die Wolken über sich zu betrachten.
»Warum gehst du nicht zur Schule?« fragte sie, nachdem sie lange genug über das Wetter geredet hatten.
Seine Hand, die ihre locker umfaßt hielt, zuckte kurz, ehe er antwortete. »Vor dem Tod meiner Eltern war ich in Eton.«
Als Clara den Schmerz in seiner Stimme hörte, wandte sie den Kopf und drückte seine Hand. »Das mit deinen Eltern tut mir leid.«
»Danach hat mich Robby aus der Schule genommen«, fuhr er fort, als hätte sie nichts gesagt. »Seitdem unterrichtet er mich, und in drei Jahren gehe ich nach Oxford.«
»Lord Manning unterrichtet dich?« fragte sie überrascht. »Das kann er?«
»Er ist ein wunderbarer Lehrer. Viel besser als alle, die ich in Eton hatte. Wir sind durch ganz Europa gereist, nach Österreich, Spanien und Italien.«
»Wie wundervoll!« rief sie aus, entzückt bei der Vorstellung, so weit entfernt liegende Länder kennenzulernen. »Es muß wundervoll gewesen sein! Ich wünschte, ich könnte auch dorthin reisen.«
»Wirklich?« Er stützte sich auf einen Ellbogen. »Vielleicht bringe ich dich eines Tages dorthin.«
Ihre Augen wurden groß. »Würdest du das tun?«
Er nickte ernst und strich mit den Fingerspitzen über ihre Wange. »Wenn du mich eines Tages heiratest, werde ich es tun.«
»Heiraten?« wiederholte sie und dachte kindisch, daß das das Romantischste war, was jemandem passieren konnte, viel romantischer, als mit Andrew Blakesley Mann und Frau zu spielen.
»Wenn du versprichst, mich zu lieben und bei mir zu bleiben, bringe ich dich überall hin, wo du hinwillst«, fuhr er fort. »Und ich werde dir alles geben, was du haben willst. Aber du darfst nur mich lieben. Für immer.«
Ihre Jugend machte es ihr leicht, ihm zu versprechen, daß sie das tun würde, und sie glaubte, daß sie die Wahrheit sprach, als sie sagte: »Oh, ja, natürlich, das würde ich, wenn du mein Mann wärest.«
Er nickte ernst und zufrieden und sagte: »Dann werde ich dich jetzt küssen. Verlobte dürfen das.«
»Ja«, plapperte sie, als er schon den Kopf senkte. »Ich habe oft gesehen, wie Lord Manning Tante Anna geküßt hat, als sie –«
Es war ein kurzer, leichter Kuß, gerade nur eine kurze Berührung ihrer Lippen mit seinen. Als er den Kopf hob, lächelte er sie an.
»Du redest viel.« Er lächelte. »Aber ich höre dir gerne zu. Ich hoffe, daß du unser Haus mit deiner Stimme füllst, wenn wir verheiratet sind. Dann weiß ich immer, wo du bist, egal, in welchem Zimmer du dich aufhältst.«
Sie kicherte. »Dann mußt du aber gute Ohren haben.«
Er lächelte wieder. »Die habe ich. Oh, ja, die habe ich.«
Die nächste Woche verging wie in einem Nebel, und sie war sich Luciens Gegenwart sehr bewußt, noch mehr aber der seltsamen Gefühle, die seine Nähe in ihr weckte. Weder Lord Manning noch ihre Eltern schienen zu merken, daß sie und Lucien jeden Tag zusammen waren, ohne Anstandsdame, auch wenn Lucien ihre Jugend respektvoll achtete. Er küßte sie gelegentlich, aber immer nur kurz und keusch, außer einmal, als er ihre Lippen mit seiner Zunge berührte, aber da schrie sie auf, und er lachte und umarmte sie, als er sich entschuldigte und versprach, das nie wieder zu tun.
Es war Clara klar, daß Lucien sehr viel mehr vom Leben wußte als sie. Sie saßen am Fluß oder im Wald beieinander, und er erzählte ihr von seiner Kindheit und von den Reisen, die er mit seinem Onkel unternommen hatte. Er beantwortete aufrichtig jede ihrer Fragen, manchmal mit Schmerzen, manchmal beschämt, aber immer ohne zu zögern. Als Clara ihn nach seinen Eltern fragte, erzählte er ihr die Wahrheit. Sie waren nicht bei einem Kutschenunfall ums Leben gekommen, wie es allgemein hieß. Es war ganz und gar kein Unfall gewesen, sondern kaltblütiger Mord und ein Selbstmord. Und nicht nur das Leben von Luciens Eltern war beendet worden, sondern auch das Leben des Liebhabers seiner Mutter, mit dem sie davongelaufen war, ehe Luciens Vater sie eingeholt hatte. Clara war der einzige Mensch außer seinem Onkel, der die Wahrheit kannte, und sie verstand instinktiv, wie sehr er ihr vertraute, daß sie es nicht weitererzählen würde.
»Zwischen uns darf es keine Geheimnisse geben, Clara«, sagte er eines Tages, als sie um den See spazierten. »Verheiratete Leute sollten keine Geheimnisse voreinander haben. Ich werde dir immer die Wahrheit sagen, wenn du es bei mir auch so machst.«
Und so hatte er ihr auf ihre Frage hin erzählt, daß er schon fünfmal mit einer Frau geschlafen hatte – sein Onkel hatte die Rendezvous kurz nach seinem fünfzehnten Geburtstag für ihn arrangiert. Das erste Mal in Italien mit einer viel älteren Frau, die fast nichts gesagt hatte, deren Können und Geduld in ihm aber größte Dankbarkeit und Bewunderung geweckt hatten, und später noch einige Male in anderen Ländern, in denen sie gewesen waren. Er wußte genau, wie man Kinder zeugte. Später würde das Clara einmal betrüben, aber mit dreizehn war sie einfach nur fasziniert gewesen und hatte jede kleinste Einzelheit wissen wollen. Er hatte ihren Wunsch bereitwillig erfüllt und sie mit seinen Erzählungen schockiert, aber hinterher hatte er sie neben sich auf den Rasen gezogen, ihr den Arm um die Taille gelegt und gesagt: »Du sollst nicht denken, daß ich dich je betrügen würde, Clara. Onkel Robby sagt, daß ein Mann, wenn er einmal die Frau gefunden hat, die er heiraten möchte, alle anderen vergessen muß und mit Vertrauen in die Ehe gehen soll, sonst ist er kein ehrenhafter Mann. Ich kann nicht rückgängig machen, was gewesen ist, aber ich werde an keine andere Frau denken oder sie berühren, bis wir verheiratet sind.«
Am Abend vor seiner Abreise schlich sich Lucien um Mitternacht in Claras Zimmer.
»Ich wollte mich nur ungestört von dir verabschieden«, erklärte er, setzte sich zu ihr aufs Bett und ergriff ihre Hände.
»Ich wünschte, du würdest nicht gehen«, stieß sie heftig hervor und weinte. »Ich werde dich vermissen.«
»Ich dich auch«, erwiderte er und küßte sie auf die nasse Wange. »Du bist noch jung, Clara, das darf ich nicht vergessen. Aber ich liebe dich von ganzem Herzen und werde keine andere lieben.«
»Ich liebe dich auch, Lucien.«
»Ich bete, daß es so ist«, flüsterte er. »Clara, du bist so jung ... aber ich bitte dich, vergiß mich und deine Versprechen nicht. Ich werde meine nicht vergessen, und eines Tages, das schwöre ich, werde ich dich für deine Treue belohnen. Ich will mein Leben damit verbringen, dich zur glücklichsten Frau auf Gottes Erdboden zu machen.«
Wie befremdlich diese Erinnerungen heute waren, dachte Clara, als sie jetzt als erwachsene Frau in der Kirche von St. Genevieve neben ihm saß. Der freundliche, liebevolle Lucien jener Tage war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Sie hatte sich an seine Versprechen geklammert, als er und sein Onkel und Tante Anna die elegante Kutsche des Earl of Manning bestiegen hatten, die sie nach London bringen sollte, wo Tante Annas Verlobung mit dem Earl offiziell bekanntgemacht werden sollte. Sie hatte gedacht, daß sie Lucien einen Monat später wiedersehen würde, als sie mit ihren Eltern und Geschwistern nach London fuhr, um sich auf Tante Annas Hochzeit vorzubereiten. Danach würde Lucien arrangieren, daß sie einander schreiben und so oft wie möglich besuchen würden, was keine Schwierigkeit darstellte, wenn ihre Tante und sein Onkel erst einmal verheiratet waren.
Aber es sollten vier Jahre vergehen, bis sie Lucien wiedersah. Tante Anna kam nach einem Monat aus London zurück, hatte die Verlobung mit dem Earl gelöst und heiratete fast sofort danach ihren Nachbarn Colonel Huntington in einer kleinen, privaten Feier in derselben Kirche, in der Clara gerade saß. Clara hatte nicht verstanden, was Tante Anna dazu gebracht hatte, so etwas zu tun; sie hatte nur die Verzweiflung gespürt, die den Haushalt ihrer Eltern für die folgenden Monate dämpfte, als Tante Anna mit dem Colonel abgereist war, um der Armee zu folgen. Papa hatte sich sehr gegrämt, und Mama hatte sich unablässig Sorgen um Papa gemacht. Clara ihrerseits hatte sich nach Lucien gesehnt und auf ein Wort von ihm gewartet, einen Brief, irgend etwas. Aber nichts kam, und als die Jahre vergingen, kam sie zu der Auffassung, daß er sich in jenem Sommer vielleicht nur die Zeit mit ihr vertrieben hatte und daß er nicht nur die Versprechen vergessen hatte, die er ihr gegeben hatte, sondern auch sie. Als sie älter wurde, verblaßten die Erinnerungen an ihn, zumal ihre zahlreichen Bewunderer ihr mit Aufmerksamkeiten schmeichelten. Andrew Blakesley war ihr glühendster Verehrer und machte es sehr klar, daß er sie eines Tages zu seiner Frau machen wollte. Clara mochte ihn zwar sehr gerne, hatte aber Schwierigkeiten damit, in dem Freund ihrer Kindheitstage etwas anderes als einen Bruder zu sehen.
An Claras siebzehntem Geburtstag traf Lucien unangemeldet in St. Genevieve ein und sah viel älter und reifer aus als seine zwanzig Jahre. Groß, muskulös und tief gebräunt war der Viscount Callan bereits ein Mann, und ein so attraktiver, daß Clara, als sie ihn aus Andrew Blakesleys Umarmung heraus ansah, der ihr gerade einen Geburtstagskuß gab, das Herz stockte. Verblüfft und überrumpelt, hatte sie nicht gewußt, wie sie reagieren sollte, und sie hatte es nicht geschafft, auf ihn zuzugehen, um ihn zu begrüßen. Stattdessen hatte sie den Blick abgewandt, als wäre er gar nicht da, und da sein plötzliches Erscheinen sie in tiefste Verwirrung gestürzt hatte, hatte sie gelacht und mit Andrew geflirtet und sich so dumm benommen, daß sie jedesmal bei der Erinnerung daran aufstöhnte. Als ihr Vater sie schließlich drängte, Lucien zu begrüßen, tat sie es mit so schrecklicher, alberner Nervosität, daß er sie verwirrt ansah. Dann bat er sie um den nächsten Tanz. Sie hatte vergessen, daß sie den schon vergeben hatte, aber sofort erschien Andrew an ihrer Seite und verlangte den Tanz für sich. Über eine Stunde verging, ehe Lucien wieder mit ihr sprach und sie bat, ihn in den Garten zu begleiten. Die Erlaubnis ihres Vaters hatte er bereits eingeholt.
Er setzte sich neben sie auf die Bank neben dem Bach, ergriff ihre Hand und sprach dann so hastig und ernst auf sie ein, daß sie sich fragte, ob er vielleicht genauso nervös war wie sie.
»Ich habe keine wirkliche Entschuldigung dafür, Clara, daß ich dir die ganze Zeit nicht geschrieben habe, aber bitte, glaube mir, daß ich oft an dich gedacht habe und es vorhatte. Robby ging es nicht gut, nachdem deine Tante die Verlobung gelöst hatte, und wir sind wieder auf Reisen gegangen, aber diesmal in so entfernte Länder, daß wir es kaum geschafft haben, wieder zurückzukommen.«
»Weit entfernt?« wiederholte sie verständnislos.
»Weit weg von England, sollte ich sagen, oder so weit weg, wie Robby kommen konnte.« Er lachte verlegen. »Wir haben in Italien begonnen und sind in den Anden gelandet, bis ich ihn endlich davon überzeugen konnte, mich nach England zurückzubringen, damit ich studieren konnte.«
»Die Anden?«
»Ja.« Er drückte ihre Hände, und sie spürte die Schwielen an seinen Fingern. »Es war eine weite Reise. Eines Tages werde ich dir gerne davon erzählen. Wir sind erst vor einem Monat nach London zurückgekommen, und dann gab es ein paar Probleme, als ich nach Oxford wollte, weil ich schon ein Jahr zu alt für die Erstsemester bin.«
»Du warst weg«, murmelte Clara kopfschüttelnd und fühlte sich schrecklich dumm, verlegen und unfähig, das zu tun, was sie gerne getan hätte. »Ich habe die ganze Zeit gedacht ... Ich habe angenommen, daß du nur ...«
»Bitte, Clara, glaube mir, ich wollte dir schreiben und erklären, was passiert ist, aber ich hatte alle Hände voll damit zu tun, mich um Robby zu kümmern. Es ging ihm lange sehr schlecht, und als ich dann die Zeit hatte zu schreiben, war ich so weit weg, daß ich nicht wußte, ob ein Brief überhaupt ankommen würde.«
Verstört betrachtete Clara ihn. Was sagte dieser attraktive, verwirrende Mann da? Daß sie ihm etwas bedeutete? Daß er all das ernst gemeint hatte, was er ihr vor vier Jahren gesagt hatte? Daß er sie heiraten wollte?
»Mylord«, begann sie mit zittriger Stimme, denn sie wollte höflich zu ihm sein und betrachtete ihn nach vier Jahren als einen Fremden. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich hätte mich sehr über einen Brief von Ihnen gefreut und auch darauf geantwortet. Sie müssen in den vergangenen Jahren sehr interessante Dinge auf Ihren Reisen erlebt haben.«
Ein beunruhigter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, der sie so sehr an den verletzlichen Jungen von damals erinnerte, in den sie sich verliebt hatte, daß ihr Herz auf einmal vor Liebe zu ihm schmerzte.
»Clara, du hast mich doch nicht vergessen, oder? Ich weiß, wie jung du warst. Wie jung wir beide waren. Wenn deine Gefühle sich gewandelt haben, mußt du es mir sagen.«
Am liebsten hätte Clara geweint. »Mylord, Sie scherzen doch sicher. Ich mache mir keine Illusionen wegen meiner Schönheit. Seit Sie mich das letzte Mal gesehen haben, bin ich kein schöner Schwan geworden. Ja, ich fürchte, es ist eher das Gegenteil der Fall. Ihre Gefühle werden es sein, die sich gewandelt haben.«
»Ah, Clara, nein.« Er hob die Hand und strich mit den Fingern über ihre kühle Wange. »Für mich bist du die schönste Frau der Welt. Du bist das Mädchen, dem ich mein Herz anvertrauen könnte. Mehr will ich nicht. Gib mir das, und ich will zufrieden sein und immer danach streben, auch dich zufrieden zu machen, das verspreche ich. Du hast mich doch nicht vergessen, oder?«
»Nein, Lucien«, flüsterte sie wahrheitsgemäß.
Er entspannte sich sichtlich und lächelte sie an. »Ich habe dich keinen Moment lang vergessen. Die Gedanken an dich haben mich gesund gehalten, besonders in frostkalten Nächten, in denen ich nichts als die Erinnerung an dich hatte, um mich warm zu halten. Du wirst nie wissen, wie sehr ich mich nach dir gesehnt habe, deine Stimme hören wollte.« Er lachte leise. »Ich hätte ein Vermögen dafür gegeben, dich genauso plappern zu hören wie in jenem Sommer. Clara.« Er sprach ihren Namen aus, als könnte er nicht glauben, daß sie wirklich neben ihm saß. »Ich kann nicht einmal anfangen zu sagen, wie sehr ich dich –«
Weiter hatte er nichts sagen können, denn das war der unglückliche Moment gewesen, den Andrew gewählt hatte, um sie zu unterbrechen. Er und Lucien waren gleich alt, aber im Vergleich zu Lucien wirkte Andrew plötzlich wie ein Jugendlicher.
»Clara, ich habe überall nach dir gesucht«, rief Andrew, ergriff ihr Handgelenk und zog sie von der Bank. Dann wandte er sich an Lucien. »Lord Callan, nicht wahr? Wir haben uns vor vier Jahren kennengelernt, als Sie mit Ihrem Onkel, dem Earl of Manning, auf St. Genevieve zu Besuch waren.«
Innerhalb von Sekunden machte Lucien eine dramatische Wandlung durch. Der freundliche, offene Mann, der eben noch Claras Hand gehalten hatte, war verschwunden, und an seine Stelle war ein ernster, steifer Adliger mit ausdruckslosem Gesicht getreten, der sie zutiefst einschüchterte.
»Blakesley«, sagte Lucien mit einem Nicken.
»Sie waren hier, um Erinnerungen aufzufrischen, nicht wahr?« fragte Andrew gutmütig. »Clara hat mir erzählt, was in jenem Sommer passiert ist, als sie hier waren. Verliebte, und so. Ich nehme an, ihr beide werdet bei der Erinnerung immer lachen können, nicht wahr?« Er lachte, als wollte er das beweisen, und ignorierte Clara, die in dem vergeblichen Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen, den Kopf schüttelte. »Aber trotzdem keine schlechten Gefühle, Callan. Sie sind nicht ihr einziges Opfer. Jeder verliebt sich unweigerlich in Clara. Sie flirtet zu gerne, fürchte ich.«
»Andrew!« protestierte Clara schwach, die seine Neckereien als solche erkannte, gleichzeitig aber wußte, wie Lucien sie verstehen würde. »Das stimmt doch gar nicht.«
»Oh, doch, du kleine Lügnerin!« Andrew legte ihr eine Hand besitzergreifend auf die Schulter und schüttelte sie scherzhaft, wobei er nie aufhörte zu grinsen. »Selbst Mr. Webster ist in sie verliebt, Mylord. Sie sollten sehen, wie der alte Knabe am Sonntag seine Predigt zu halten versucht, während er nur Augen für Clara hat und darüber jedes zweite Wort vergißt.« Wieder lachte er, und Clara legte sich die Hand vor den Mund, als sie sah, wie Luciens Augen schmal wurden.
»Oh, das hat nichts zu bedeuten«, fuhr Andrew fort, ohne die wachsende Spannung zu bemerken. »Clara war schon als Kind zu allem bereit. Sie hat jeden Mann im Umkreis dazu gebracht, sich in sie zu verlieben, um dann seine Hoffnungen zu enttäuschen. Das macht mir natürlich nichts aus.« Wieder schüttelte er sie spielerisch, ehe er sie fest in die Arme zog, was von langer Vertrautheit sprach. »Ich weiß, daß sie nichts davon ernst meint, außer dem, was sie mir sagt. Hat sie Ihnen erzählt, daß wir verlobt sind?«
»Andrew!« murmelte Clara entsetzt. »Wir sind nicht verlobt!«
»Offiziell nicht«, gab er sofort zu, »aber das ist nur eine Frage der Zeit.« Er sah Lucien an. »Wir warten nur noch auf den richtigen Zeitpunkt, um es ihren Eltern zu sagen.«
»Lucien«, begann Clara und ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, um ihn davon zu überzeugen, daß sie nie einem von Andrews erdachten Vorschlägen zugestimmt hatte, aber er fiel ihr kalt ins Wort.
»Diese Zeit wird nie kommen, fürchte ich«, stellte Lucien fest, steif wie eine Statue. »Lady Clara mag Sie von der Tatsache nicht unterrichtet haben, aber sie und ich sind einander von Kindheit an versprochen. Sie wird meine Frau werden.«
Das schockierte Clara mehr als alles andere, was sie an diesem Tag erlebt hatte.
»Lucien! Ist das wahr?«
Er sah sie so kalt an, daß sie erbebte.