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Als am 11.9.2001 wie aus heiterem Himmel Flugzeuge das World Trade Center und das Pentagon angriffen, waren Amerika und die Welt entsetzt über die Heimtücke dieses Anschlags. Und sofort standen die Täter und der Feind fest: Osama Bin Laden und seine islamistische Al Qaida. George W. Bush verkündete den Weltkrieg gegen den "internationalen Terrorismus", für den es vorher kaum Unterstützung gegeben hätte. Inzwischen mehren sich die Indizien: Die US-Regierung war über den Angriff vorinformiert. Mathias Bröckers, Wissenschaftsautor, Journalist und langjähriger Kultur-Chef der "Taz", misstraute von Anfang an dem einstimmigen Chor der Medien. Im Online- Magazin "telepolis" (als "unbestechlich" und "fachmännisch auf hohem Niveau" ausgezeichnet mit dem Grimme Preis Online Award 2002) führte er über seine Recherchen monatelang eine Art Fahndungsprotokoll, das, millionenfach angeklickt, heiße Debatten auslöste und - bedeutend erweitert und vertieft - bei Zweitausendeins als Buch erschienen ist. Es dokumentiert: Der 11.9. ist nicht nur das Datum eines entsetzlichen Massenmordes, sondern auch Kristallisationspunkt bizarrer Ungereimtheiten, fantastischer Widersprüche, verschwiegener Hintergründe und strategischer Geheimdienstoperationen. - Gehört ein so hochexplosiver Stoff in die Hände eines Zivilisten?, fragte die Frankfurter Allgemeine besorgt. - Bröckers fragt, wer die faktischen Nutznießer der Terroranschläge sind, und er bringt andere notorisch Verdächtige ins Spiel. Nicht um seinerseits Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen, sondern um das Verschwörungsdenken als skeptische Wissenschaft fruchtbar zu machen. Das erste Buch von Mathias Bröckers "Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9."
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Seitenzahl: 440
2
Ebook Edition
Mathias Bröckers
Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.
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Dieses e-book erschien gedruckt in 1. und 24. Auflage, September – Dezember 2002, bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.
ISBN 978-3-938060-77-3
Copyright der digitalen Ausgabe © Westend Verlag, Frankfurt/Main 2011
Lektorat und Register: Klaus Gabbert, Büro W, Wiesbaden
Korrektorat: Ursula Maria Ort, Frankfurt am Main und Ekkehard Kunze (Büro W, Wiesbaden).
Umschlag: Fritz Fischer und Sabine Kauf, Plön, mit einer Idee von Meisterstein
E-book: Publikations Atelier, Dreieich
Das abgedruckte Interview von Jürgen Elsässer und Andreas von Bülow erschien ursprünglich in Konkret 12/2001.
»Wir müssen die Wahrheit über den Terror aussprechen. Lasst uns niemals frevelhafte Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September tolerieren, boshafte Lügen, die bezwecken, die Schuld von den Terroristen selbst abzulenken, weg von den Schuldigen.«
George W. Bush vor der UN-Vollversammlung, 10.11.2001
Dies ist ein Buch über Verschwörungen. Wenn Sie das für etwas Schlimmes halten, kann ich Sie beruhigen: Verschwörungen sind das Selbstverständlichste der Welt. Ihr schlechter Ruf sowie die Tatsache, dass die meisten Staaten Gesetze gegen Verschwörungen erlassen haben, hat nichts mit ihnen selbst, sondern mit ihrem Missbrauch zu kriminellen Zwecken zu tun.
Dies ist auch ein Buch über Verschwörungstheorien. Diese stehen bei vielen Zeitgenossen ebenfalls in denkbar schlechtem Ruf, doch auch diese Tatsache ist weniger der Verschwörungstheorie an sich als vielmehr ihrem Missbrauch zu propagandistischen, demagogischen Zwecken geschuldet. Ohne angemessene Verschwörungstheorien aber, so wird zu zeigen sein, lässt sich unsere hochgradig komplexe und konspirative Welt gar nicht mehr verstehen.
Dies ist vor allem ein Buch über die Verschwörungen und Verschwörungstheorien des 11. September 2001. Wenn dieses Datum Ihnen nicht nur wegen der brennenden und zusammenstürzenden Zwillingstürme des World Trade Center selber, sondern mehr noch wegen der landauf, landab behaupteten Täterschaft zu denken gibt, dann sollten Sie sich zumindest probeweise von etwas verabschieden, das sich nach der größten Polizeifahndung aller Zeiten als lupenreine (weil unbewiesene) Verschwörungstheorie herausgestellt hat: die offizielle Version der Ereignisse. Gegen den angeblichen Chefplaner Osama Bin Laden und seine »Al-Qaida«-Bande liegen heute, ein knappes Jahr nach den Anschlägen, so viele Beweise vor wie wenige Stunden danach: praktisch keine.
Dies ist auch eine Art Tagebuch der Anschläge auf das WTC und das Pentagon, denn der Schock des 11. September erreichte mich mitten in der Arbeit an diesem Buch und krempelte es völlig um. Statt das Verschwörungswesen an historischen und theoretischen Beispielen studieren zu müssen, konnte ich es plötzlich aktuell und gleichsam auf freier Wildbahn beobachten. Als konspirologischer Beobachter und Forscher wurde ich so umgehend zu einem Kriegsgewinnler, denn mit dieser Katastrophe und ihren schrecklichen Folgen lieferte die Realität ein Forschungsobjekt par excellence live auf den Bildschirm. Meine Anmerkungen dazu habe ich vom 13. September an unter dem Titel »The WTC-Conspiracy« im Online-Magazin telepolis veröffentlicht. Sie finden sich hier nun in gedruckter Form.
In diesem Buch will ich Ihnen keine eigene Verschwörungstheorie zum 11. September verkaufen. Ich verspreche weder einfache Lösungen noch perfekt passende Deckel auf brodelnde Töpfe von Widersprüchen, noch stimmige Endreime auf Berge von Ungereimtheiten. Eines jedoch könnte die Lektüre bewirken: dass Ihnen das Propaganda-Menu, das die Köche in Brainwashington D. C. und ihre Medienkellner aufallen Kanälen servieren, nicht mehr so richtig schmeckt; dass Ihnen die Zutaten suspekt erscheinen und Sie beginnen, Fragen zu stellen und selbst nach möglichen Antworten zu suchen. Und falls Sie vorerst sprachlos sind: Die 100 dringlichsten FAQ, die »most frequently asked questions« zum 11. September, finden Sie am Ende dieses Buches.
Dieses Buch ist eine Einladung zur Anti-Conspiracy-Conspiracy, zur Gegen-Verschwörungs-Verschwörung. Es versucht eine Einübung in den konspirologischen Blick und begreift auch die makroskopische Welt als Bündel von Wahrscheinlichkeiten, aus dem erst durch den individuellen Akt der Beobachtung (Wahr-Nehmung) Realität entsteht. Es plädiert dafür, die Konspirologie aus der Verbannung als schmutzige, unscharfe Erkenntnistheorie zu befreien und als kritische Wahrnehmungswissenschaft ernst zu nehmen. Wenn es vor einigen Jahrhunderten naiv war und als Aberglauben galt, hinter den Dingen unsichtbare Drahtzieher und Interessen anzunehmen, sollte es im vor uns liegenden Jahrhundert als naiv gelten, hinter der Wirklichkeitssimulation der Medien keine Drahtzieher und Interessen zu vermuten.
Vor einigen Jahren vertraute der Co-Chairman des Rates des Weltwirtschaftsforums in Davos, Maurice Strong, einem Reporter die groben Umrisse eines Romans an, den er, Strong, gern zu Papier bringen würde. Jeden Februar kämen ja in Davos über tausend Chief Executive Officers, Regierungschefs, Finanzminister und führende Wissenschaftler zusammen, um den Gang der Welt für das folgende Jahr zu besprechen. »Was würde passieren«, so Strong, »wenn eine kleine Gruppe aus dieser großen Runde zu dem Schluss käme, dass das Wohlergehen der Erde in erster Linie durch die reichsten Industrieländer gefährdet sei? ... Um den Planeten zu retten, entscheidet die Gruppe, es sei ihre Pflicht, den Zusammenbruch der westlichen Zivilisation herbeizuführen!« Maurice Strong redet sich heiß:
»Diese kleine Gruppe von World Leaders bildet also eine Verschwörung mit dem Ziel, die Weltwirtschaft aus dem Lot zubringen. Es ist Februar. Alle entscheidenden Leute sind in Davos. Die Verschwörer gehören zur Führungselite der Welt. Sie haben sich in den globalen Waren- und Aktienmärkten positioniert. Mittels ihres Zugangs zu den Finanzmärkten, zu den Computernetzen und zu den Goldreserven erzeugen sie eine Panik. Dann verhindern sie, dass überall auf der Welt die Finanzmärkte schließen. Sie blockieren das Getriebe. Sie heuern Söldner an, welche die übrigen Konferenzteilnehmer in Davos als Geiseln festhalten. Die Märkte bleiben offen ...«
Der Reporter kann seine Überraschung nicht verbergen. Maurice Strong kennt diese Weltelite. Er sitzt im Zentrum der Macht. Er könnte das alles tatsächlich in Gang bringen. Strong fängt sich und schließt: »Ich sollte so etwas eigentlich gar nicht sagen.«
H. J. Krysmanski, Professor der Soziologie in Münster, zitiert diese Anekdote auf seiner Website, um auf eine neue Qualität der Globalisierung aufmerksam zu machen: das Entstehen einer transnationalen Machtelite, die im Verhältnis zur Weltbevölkerung kleiner und im Vergleich zu früheren Herrschaftsverhältnissen mächtiger ist als jede herrschende Klasse zuvor – was aber bis dato kaum ins Blickfeld der Sozial- und Politikwissenschaften geraten ist. Die Behauptung, dass ein kleiner Club von Hyperkapitalisten insgeheim die Weltregiert, wäre vor wenigen Jahrzehnten noch als naive Verschwörungstheorie belächelt worden. Heute unterdessen darf als naiv belächelt werden, wer angesichts der globalen Netzwerke des Finanzkapitals und der Megakonzerne noch an Metaphern wie »freier Wettbewerb« und »Marktwirtschaft« glaubt – und nicht spätestens auf den zweiten Blick die Strukturen einer Verschwörung entdeckt.
Die krankhaften Erscheinungsformen des Verschwörungsdenkens mögen lange dazu beigetragen haben, das Thema an sich als Fall für Paranoiker und Crackpots nicht weiter ernst zu nehmen – geschweige denn eine nüchterne Methode, ein Werkzeug der Realitätswahrnehmung, eine skeptische Wissenschaft daraus zu machen. Eine solche kritische Konspirologie hätte die ständige Anwesenheit von Verschwörungen in lebenden Systemen zu berücksichtigen – das heißt, die Rolle der Konspiration in der evolutionären Dialektik von Konkurrenz und Kooperation genauer zu untersuchen. Sie hätte die Aufgabe, in dieser amorphen Unterwelt gegenseitiger Vorteilsnahme Strukturen und Muster auszumachen und möglichst allgemeingültige Prüfsteine und Kriterien für den Realitätscheck von Verschwörungstheorien zu liefern.
Für die kritische Konspirologie sind Verschwörungen die »dark matters« des Informationszeitalters und Verschwörungstheorien auf Indizien beruhende Vorstellungen über Zustand und Wirkungsweise dieser dunklen Materie. Ähnlich wie Neutrinos oder andere subatomare Teilchen lässt sich die Anwesenheit der dunklen Verschwörungsmaterie nur indirekt nachweisen: In dem Moment, wo man sie direkt beobachtet das heißt aufdeckt –, verliert sie ihren Verschwörungscharakter. Die Unschärferelation der Quantenphysik – die paradoxe Verschwörung von Teilchen und Welle, von Schrödingers Katze und Einsteins Maus – scheint auch für die Beobachtung von Verschwörungssystemen zu gelten. Je genauer man einen bestimmten Aspekt ins Auge fasst, umso unweigerlicher gerät ein anderer aus dem Blickfeld. Auf diese Unschärfe werden wir im Verlauf dieses Buchs noch an vielen Punkten stoßen, doch das entstehende Bild deshalb als untauglich zu verwerfen, wäre falsch.
Im ersten Teil des Buchs nähern wir uns dem Thema aus großem historischen Abstand, genauer: mit einem Rückblick auf die vielleicht einzige wirkliche Weltverschwörung, die seit über zwei Milliarden Jahren existierende Konspiration der Bakterien. Zu diesem Zeitpunkt schlossen sich die damaligen Weltherrscher – einzellige Bakterien – auf konspirative Weise zusammen, um mehrzellige Lebewesen hervorzubringen. Diese Bio-Konspiration wirft unsere derzeitigen Vorstellungen von der Evolution des Lebens ziemlich über den Haufen und entlarvt nebenbei den Neodarwinismus als Verschwörungstheorie. Denn nicht nur Kampf und Konkurrenz (im Darwinschen Sinne), sondern auch zwei weitere Prinzipien – Konspiration und Kooperation – haben dafür gesorgt, dass auf diesem Planeten Leben entstehen und gedeihen konnte.
Die nächsten Kapitel engen den historischen Rahmen dann schon deutlich ein und werfen einige Schlaglichter auf das menschliche Verschwörungswesen in den letzten Jahrhunderten sowie auf die Strukturen und Funktionsweisen von Verschwörungen und Verschwörungstheorien – von Hitler und Stalin bis zu den dunklen Geschäften der CIA, von den Templern und Freimaurern bis zur Federal Reserve Bank.
Der zweite Teil des Buchs ist dann sozusagen der »Live« Berichterstattung gewidmet und enthält ein konspirologisches Tagebuch in Form jener Artikel, die vom 12. September 2001 bis Ende März 2002 im Online-Magazin telepolis erschienen sind. Ich habe diese Texte weitestgehend in der Originalfassung belassen und stillschweigend nur Flüchtigkeitsfehler und Wiederholungsschleifen getilgt. Korrekturen, Ergänzungen und Kommentare aus späterer Sicht (mein »Redaktionsschluss« bei diesem Buch war Ende Juli 2002) sind jeweils kursiv angefügt. Das jeweilige Veröffentlichungsdatum ist in der Titelzeile angegeben und für die Einschätzung der Lektüre nicht unwichtig.
In der Hysterie und Medienuniformität in den Tagen und Wochen nach dem Anschlag schien meine verschwörungstheoretische Herangehensweise ziemlich schrill und unerhört – ein wutschnaubender Kollege wünschte mir dafür sogar den Tod als »Fettfleck an einer Hochhauswand«. Im Nachhinein, bei der Durchsicht für diese Buchausgabe, hat mich dann erstaunt, wie harmlos und fast selbstverständlich das mittlerweile schon klingt. Vielleicht hat das mit dem »Rückspiegeleffekt« zu tun, den der Schriftsteller William S. Burroughs meinte, als er den Mainstream kultureller Wahrnehmung einmal mit einem Beifahrer verglich, der die Landschaft nur im Rückspiegel betrachtet. Taucht etwas Unerwartetes, Neues auf, nimmt er es zuerst einmal nicht wahr. Die Behauptungen des vorausschauenden Fahrers über das, was auf sie zukommt, erklärt er für irrelevant. Erst wenn die Veränderungen dann auch im Rückspiegel sichtbar werden und beim besten Willen nicht mehr zu leugnen sind, erklärt er: »Aber das kennen wir doch schon, das ist doch gar nichts Neues.«
Diesen Effekt würde ich diesem Buch auch wünschen, und dass es von einigen Rückspiegelsehern für irrelevant, verrückt und also nicht weiter ernst zu nehmen erklärt wird, steht zu erwarten. Doch ebenso auch die Hoffnung, dass etwas vorausschauendere Zeitgenossen feststellen: »Das ist ja alles gar nichts Neues« – und beginnen, sich mit diesen altbekannten Fakten zu beschäftigen. Weil in der Welt der Konspiration alles mit allem zusammenhängt, werden einige vieles und viele einiges vermissen. Das ist leider unvermeidlich und schlicht mit der Aufnahme- und Verarbeitungskapazität meines Bioprozessors begründet. Allerdings, um noch einmal Burroughs heranzuziehen, kennen nur Paranoiker alle Fakten –das heißt, ein kritisch-konspirologischer Blick wird, anders als ein psychotisch-paranoider, ohnehin niemals eine naiv realistische Abbildung erzeugen, sondern stets ein eher kubistisches oder surreales, in jedem Fall fragmentarisches Bild.
Im dritten Teil des Buchs habe ich mich an einer solchen Skizze versucht und meine verschwörungstheoretischen »Feldforschungen« zusammengefasst bzw., da Verschwörungstheorien immer auch Spaghettitheorien sind – welchen Faden man auch rauszieht, man macht sich die Finger schmutzig –, versucht, mich in diesem komplexen Chaos überhaupt zurechtzufinden. Der Anschlag auf das WTC war ein Jahrtausendereignis, das noch Generationen von Historikern und Forschern beschäftigen wird. Noch weniger als am ersten Tag glaube ich heute, dass es sich dabei um einen »normalen« Terrorakt gehandelt hat. »Ob es tatsächlich ein Motiv für das Unvorstellbare, eine inszenierte Katastrophe wie in Pearl Harbour gibt, werden die nächsten Aktionen der Weltordnungsmacht bald zeigen«, hatte ich am 12. September notiert. Mittlerweile sind die Motive so deutlich geworden, dass ich mir das Unvorstellbare gut vorstellen kann. Das Nullergebnis der vermutlich größten Polizeiermittlung der Geschichte, die Nichtuntersuchung des Versagens der Geheimdienste und Terrorabwehr, die mit Kriegsgedröhn und Panikmache in Trance versetzte Öffentlichkeit, kurz: die gesamte Inszenierung einer al-qaidisch-ladinistischen Weltverschwörung und des Kampfes gegen den Terrorismus lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass es sich bei der Katastrophe vom 11. September um einen sorgsam geplanten Plot gehandelt hat. Wirklich gerichtsfeste Beweise auf die Hintermänner gibt es bis dato so wenige wie auf Bin Laden, doch reichten die Verdachtsmomente, Indizien und Motive der Verdächtigen allemal, um von einem unabhängigen Tribunal untersucht zu werden. Für den Anfang würde schon die Frage genügen: Wenn die CIA nicht involviert war, was hat sie eigentlich stattdessen getan?
Einer der blutigsten Verschwörungstheoretiker des vergangenen Jahrhunderts, Josef Stalin, prägte einst das definitive Diktum des paranoiden Staatsstils: »Ich traue niemandem, nicht einmal mir selbst.« Als Arbeitshypothese im Umgang mit Verschwörungstheorien scheint mir der Satz gut geeignet, und ich habe mich bemüht, so wenig eselhaft wie möglich den Möhren hinterherzutraben, die ich mir selbst vor die Nase halte. Und habe mich dabei auch so gut es geht an die goldene Regel des weisen Kybernetikers Heinz von Foerster gehalten: »Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.« Dennoch finden sich in diesem Buch viele dieser Erfindungen: Worte wie wahr«, »wirklich«, »eigentlich«, »tatsächlich«, pauschale Abstrakta und Verallgemeinerungen wie »die Taliban«, »die CIA«, »die USA«, »die Ölindustrie« –und ich kann Ihnen nur raten, diesen »Lügen« nicht auf den Leim zu gehen. Es sind alles nur »Erfindungen«. Glauben Sie mir also nichts, auch wenn ich natürlich behaupte, alles nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert zu haben. Und wenn es Ihnen an bestimmten Stellen und Zusammenhängen aufgeht: »Jawohl, so ist es, das stimmt, das passt!«, dann schalten Sie sofort den inneren Beobachter ein und stellen die konspirologische Frage Nr. 1. »Und was steckt dahinter?«
Wenn dieses Buch so zuerst einmal zu einer allgemeinen Verunsicherung beitragen könnte, wäre sein aufklärerischer Zweck schon halb erfüllt. Dennoch ist seine Absicht nicht bloß dekonstruktivistisch, auch wenn es durchaus eine reife Leistung darstellt, den Blick für die Weite, die Komplexität und den Schrecken eines Trümmerfelds zu öffnen, statt sich in die beruhigende Blockbebauung von Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Freund und Feind zu flüchten. Die Panik, die mit dem WTC-Anschlag erzeugt werden sollte, die Angst, die geschürt und gestreut wird, durch Briefe mit Anthrax, durch Dutzende explodierender Briefkastenbomben in ländlichen US-Gebieten, die Hysterie, die erzeugt wird durch Warnungen vor »Schläfern« und nahezu tägliche Ankündigungen neuer Anschläge: Wenn die Terroristen irgend etwas erreichen wollten, dann diese Angst; und wenn den Operatoren der Massenbeeinflussung und Propaganda an irgend etwas gelegen ist, dann an verängstigten, paralysierten Herdentieren, die ihren individuellen Verstand ausgeschaltet haben. Auch hier ist die Frage »Was steckt dahinter?« hilfreich, schon die verschwörungstheoretische Einsicht »Hier will mir nur jemand Angst machen! « reicht oft, um sie zu beseitigen. Dieser Geisterbahneffekt, die Entzauberung des Horrors, die Selbstimmunisierung gegen den Schrecken wirkt befreiend – und eröffnet den Blick hinter die Kulissen, auf die Manipulationen, Tricks und Täuschungen, auf den potemkinschen Terror.
Zauberei und Magie sind nicht ausgestorben, die Verwandlung von Ideen – Geist – in Wirklichkeit – Materie – obliegt nicht allein dem »Herrn der Ringe« in unseren Fantasiewelten, sie findet auch in unserer realen Welt täglich statt. Sprechende Kristallkugeln – Bildschirme und Mattscheiben murmeln beschwörende Mantras, wieder und wieder; kleine Mundgeräusche – Zaubersprüche – werden zu Papier gebracht und millionenfach nachgebetet. Und so gelingt das Wunder, Ideen aus dem Nichts in die Wirklichkeit zu zaubern. Inhaltslose Leerformeln wie »Gott«, »Vaterland«, »Zivilisation« und dergleichen werden derart aufgeladen, dass sie realitätsmächtig werden und sich Millionen hinter ihnen versammeln, um sich für die »Wahrheit« dieser Formeln die Köpfe einzuschlagen, und keinen Stein auf dem anderen lassen.
Achtung: »Raider« heißt jetzt »Twix«, und »Infinite Justice« wurde in »Enduring Freedom« umbenannt! Ab sofort im Regal, im praktischen Sechserpack: »die Achse des Bösen«.
Und nun willkommen in der Geisterbahn ins 21. Jahrhundert! Bedenken Sie: Wer Chaos erzeugt, will Kontrolle ausüben; wer Angst einjagt, will Sicherheit verkaufen; wo beschwörend und betörend die immer gleiche Formel wiederholt wird, steckt meistens eine Verschwörung dahinter. Schnallen Sie sich an, denn der 3. Weltkrieg wird keine Kaffeefahrt, halten Sie Augen und Ohren offen und erwarten Sie das Unerwartete. Nichts ist, wie es scheint – alles erscheint nur, wie es ist, weil Sie es so erscheinen lassen. Oder wie es die alte, von den Hopis an die Hippies vererbte Regel zur Überwindung dieser Trägheit und zur Neuformatierung von Wahrnehmung und Wirklichkeit ausdrückt: Free your mind and your ass will follow!
Berlin, 11. Juli 2002
Mathias Bröckers
(Nach der Fertigstellung des Buchs hatte mich der Verlag gebeten, in einem Vorspann zu erklären, was Google ist und wie man damit sucht. Heute, zum Erscheinen des e-Books im Sommer 2011, scheint das unverständlich, doch im Juli 2002 war Google für die meisten noch etwas völlig Unbekanntes.)
Um an die Informationen in diesem Buch zu kommen, musste ich weder über besondere Beziehungen verfügen noch mich mit Schlapphüten oder Turbanträgern zu klandestinen Treffen verabreden – alle Quellen liegen offen. Sie zu finden, leistete mir die Internet-Suchmaschine Google unschätzbare Dienste. Wer noch nie davon gehört hat, sollte sich sofort an seinen Rechner setzen und »www.google.de« eingeben.
»Die Werkzeuge arbeiten mit an unseren Gedanken«, notierte einst Friedrich Nietzsche als einer der Ersten mit Schreibmaschine arbeitenden Autoren. Wenn das stimmt, dann ist vieles in diesem Buch dem neuen Handwerk des Googelns geschuldet – und natürlich dem Werkzeug, für das Google eine unermessliche Hilfe darstellt, dem Internet selbst. Es hat sich in den vergangenen zehn Jahren zum Über-Medium entwickelt, das alle bisherigen Medien in sich vereint: die etablierten, großen Sender und Zeitungen ebenso wie die randständigen kleinen Alternativmedien und Fachpublikationen. Das World Wide Web bietet alles. Aufklärer und Spinner, Mainstreamer und Sektierer, Verschwörer und kritische Konspirologen tummeln sich hier gleichermaßen in zumeist friedlicher Koexistenz. Mit Google sind sie allesamt erreichbar. Wer Veröffentlichungen zu einem bestimmten Zusammenhang sucht, muss bloß zwei, drei Suchbegriffe oder Namen kombinieren und kommt in Sekundenschnelle zum gewünschten Ziel.
Doch dass Google »alles« findet, ist gleichzeitig das Problem. Wie trenne ich die Spreu vom Weizen, den baren Unfug von der seriösen Nachricht ? Die erste Einschätzung liefert die Quelle, sie taucht meist schon in der Webadresse auf der Google-Liste auf. Handelt es sich dabei um alte Bekannte BBC, CNN, New York Times etc. –, läuft die Bewertung wie bei allen Zeitungen, TV-Stationen und Medien-»Markenartikeln« auch. Handelt es sich um eine unbekannte Website, liefert der erste Überblick auf die Präsentation und das Umfeld des gesuchten Artikels sowie ein Blick ins Impressum meist schon brauchbare Kriterien. Gerade in den emotional bewegten Tagen nach dem 11. September gab bereits der Tonfall, in dem das Entsetzen präsentiert und kundgetan wurde, einen guten Eindruck von der Qualität und geistigen Befindlichkeit der Autoren und Redakteure von mir bis dato unbekannten Internetseiten. Zur konkreten Bewertung einer Quelle ist natürlich ein »proof of the pudding«, d.h. die zumindest flüchtige Lektüre des Artikels und seiner Dokumentation erforderlich. Erst wenn hier auch nichts Unangenehmes – wie etwa fehlende Belege für zentrale Behauptungen – auffällt, lohnt sich das Speichern zur späteren genauen Lektüre.
Viel wichtiges Material habe ich den hier angeführten Websites zu verdanken, deren Macher ihrerseits auf der Suche nach den Hintergründen der Anschläge waren und die Ergebnisse ihrer Recherchen in Form von aktuellen Presseschauen, Link-Sammlungen und Kommentaren zur Verfügung stellten:
www.globalresearch.ca : Die Seite von Michel Chossudovsky, Wirtschaftswissenschaftler in Ottawa und Autor von Global Brutal (kürzlich beiZweitausendeins erschienen) wartet mit faktenreichen Analysen und Hintergrundberichten nicht nur zu »9/11«, sondern zu Globalisierungsfragen insgesamt auf.
www.whatreallyhappened.com : Auch wenn Michael Rivero nicht behauptet zu wissen, was wirklich geschah, erweitern seine täglich aktualisierten Links den Horizont auf das Geschehen erheblich.
www.emperorsclothes.com : Die sehr gut dokumentierten 9/11-Analysen des Journalisten Jahred Israel, vor allem zum Ausbleiben der Luftabwehr, mussten kaum aktualisiert werden.
www.fromthewilderness.com : Seit 20 Jahren führt Mike Ruppert, ehemaliger Drogenfahnder der Polizei von Los Angeles, einen heroischen Ein-Mann-Krieg gegen die Drogengeschäfte der CIA. So unglaublich seine Behauptungen oft klingen, in den allermeisten Fällen sind sie gut belegt.
www.gnn.com : Das Guerilla News Network glänzt durch Hintergrundberichte zum »war on terrorism«, »war on drugs« und »corporate state«.
www.counterpunch.org : Ein linksdemokratisch-libertärer Newsletter und täglich aktualisiertes politisches Online-Magazin.
www.antiwar.com : Ein neokonservativ-libertäres (»pro market – anti-state«) Online-Magazin.
www.bushwatch.com : Ein Newsletter mit einer täglichen Bush-kritischen Presseschau.
www.medienanalyse-international.de : Andreas Hauß pflegt die beste deutschsprachige Seite über die Ungereimtheiten des 11. September.
Während die »Markenartikler« im Medienbereich nahezu gleichgeschaltet die Verschwörungstheorie »Osama Bin Laden« und sonstige Pentagonpropaganda verbreiteten, stellten diese und einige andere »no names« die letzte Oase dessen dar, was man in Friedenszeiten als sauberen, unabhängigen Journalismus kannte. Fragen zu stellen, Ungereimtheiten namhaft zu machen, Hintergründe aufzudecken – die simpelsten journalistischen Pflichten wurden (und werden) seit dem 11.9. nicht von denen erfüllt, die laut Verfassungsauftrag (und per Gehaltsscheck) als vierte Gewalt im demokratischen Staat zu fungieren hätten, sondern von unter- oder unbezahlten Freelancern und Freigeistern am Rande. Dass deren Einschätzungen und Prognosen, ebenso wie der Wahrheitsgehalt und die Seriosität ihrer WWW Reports, dem Ausstoß des Medienbordells um ein Vielfaches überlegen sind, müsste beim Lesen dieser Seiten selbst dem Tagesschau- und Spiegel-Gläubigsten offenbar werden.
Da die Mainstream-Medien ihrem politischen Auftrag als investigativer, kontrollierender Macht zwar hervorragend nachkommen, wenn es um eher lässliche Verfehlungen wie Präsidenten-Sex mit Praktikantinnen oder Bonusmeilen von Politikern geht, sich bei den Hintergründen weltbewegender Ereignisse wie dem WTC-Anschlag aber gern mit dem Nebel zufrieden geben, der in der Sphäre ebenso hoher wie abgründiger Politik systematisch geworfen wird, bleibt als Ausweg aus dieser allgemeinen Gehirnwäsche nur die Selbsthilfe: Information.
Zweimal täglich googeln und sich sein eigenes Bild machen – das hilft zuverlässig gegen virulente Manipulationen, Propaganda-Infektionen und drohende chronische Verblödung!
»Er setzt sich an des Tisches Mitte / liest zwei Bücher, schreibt das dritte...« – so leicht, wie Wilhelm Busch es reimte, ging mir dieses Buch nicht von der Hand, und ohne die Hilfe und Hinweise vieler Unterstützer wäre es nicht zustande gekommen.
Besonderer Dank gebührt Florian Rötzer, dem Chefredakteur von telepolis, der meine »verschwörungstheoretischen Anmerkungen« von der ersten Folge an unterstützte und mir als Autor absolute Freiheit ließ. Angesichts der nahezu gleichgeschalteten Medien vor allem in den Wochen nach den Anschlägen kann diese – einst zu den journalistischen Selbstverständlichkeiten zählende – Haltung gar nicht hoch genug veranschlagt werden.
Mein Freund Eberhard Sens hat durch professionelle Defensivtaktik als advocatus diaboli mein argumentatives Dribbling permanent verbessert. Dass das virtuelle Freund/Feind-Verhältnis an unserer herzlichen Verbundenheit nichts ändert, macht ihn zum idealen Gesprächspartner. Meine Eigentore konnte zwar auch Eberhard nicht verhindern, ohne seine Hinweise und Hilfen wären aber reichlich mehr gefallen.
Mein Freund Gerhard Seyfried hat nicht nur so wunderbare Formulierungen wie »Brainwashington D.C.« beigetragen, sondern mit seinem definitiven Diagramm zum internationalen Verschwörungswesen, das diesem Buch beiliegt, auch den vielleicht wichtigsten Hinweis gegeben, wie man den Abgründen, die sich hier auftun, begegnen kann, ohne gleich depressiv zu werden: mit Lachen.
Dank auch an Alex Foyle, der mich als Mitdenker und Mitleser aus Barcelona mit vielen Links und Hinweisen versorgt hat.
Von den vielen tausend Postings und Diskussionsbeiträgen, die von telepolis-Lesern im Forum »WTC-Serie« ausgetauscht wurden, konnte ich nicht alle lesen, doch verdanke ich ihnen ebenfalls manche Anregung. Ebenso wie den vielen E-Mails, die mich erreichten, ohne dass ich auf jede antworten konnte. Dieses riesige Feedback sorgte für einen nicht versiegenden Quell der Motivation, ohne den ich die Sisyphusarbeit der letzten Monate nicht durchgehalten hätte.
Als ich im Sommer vor neun Jahren das Manuskript für die deutsche Ausgabe von Jack Herers The Emperor wears no clothes. Hemp and the Marihuana Conspiracy (Herer/Bröckers, Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf, Zweitausendeins) gerade abgeschlossen hatte, starb aus heiterem Himmel mein Vater, Walter Bröckers (1922–1993). Er war Journalist und hat mich selbst dann, wenn er meine Ansichten nicht teilte, immer bestärkt, sie zum Ausdruck zu bringen. Das hätte er auch bei diesem unerhörten »Märchen« über die neuen Kleider von Kaiser Bush II. getan. Seinem Andenken – der sowohl väterlichen als auch journalistischen Tugend unbedingter Meinungsfreiheit – ist dieses Buch gewidmet.
»Du siehst die Welt freylich nicht, wie sie ist, sondern wie man sie von deinem Standorte, durch das von deinen Wünschen gefärbte Glas sehen kann; und dieser Standort ist dir zu lieb, als dass du ihn verlassen wolltest. Strenge dich aber doch an; und wir wollen dir das Land zeigen, wo die Häßlichkeit zurSchönheit wird und anscheinende Unordnung zur regelmässigsten Uebereinstimmung ...«
Adam Weishaupt, Gründer des Illuminatenordens, 1786
»Question authority. Think for yourself.«
Am Anfang war die Verschwörung. Einzelne Moleküle schlossen sich zu Gruppen zusammen, um die Ressourcen des Planeten besser auszubeuten. Wann genau sich die ersten Kohlenstoffverbindungen dazu entschlossen, wie sie dabei vorgingen und wie lange es dauerte, bis sie erfolgreich waren, kann die Wissenschaft bisher nicht vollständig rekonstruieren – sicher ist nur, dass vor etwa 3,5 Milliarden Jahren das Ergebnis dieser molekularen Verschwörung erscheint: fortpflanzungsfähige Einzeller ... Bakterien ... Leben! Und sicher scheint auch, dass es dabei konspirativ zuging.
Conspirareheißt wörtlich »zusammen atmen«, doch zum Zeitpunkt dieser ersten biochemischen Aktivitäten existierte in der globalen Atmosphäre noch gar kein Sauerstoff. Spiritus bedeutet aber nicht nur Hauch und Atem, sondern auch Geist, und ein solcher scheint – konspirativ – schon vor dem Entstehen von Sauerstoff anwesend gewesen zu sein: in Gestalt einer Topagentin namens RNA, die zusammen mit der ihr bald folgenden Kollegin DNA als Mastermind jener Verschwörung gelten muss, die den Planeten Erde nun heimsucht. Wo immer RNA und ihre Partnerin DNA ihren Ursprung haben, ob sie als Eigengewächs oder als außerirdische Eroberer zu bezeichnen sind: Mit dem Auftauchen dieser beiden Supermoleküle beginnt eine neue Geschichte auf der Erde, die Verschwörung des Lebens.
Nun sind diese beiden Topagentinnen keine Lebewesen, sondern chemische Verbindungen, und solchen eine Verschwörungsabsicht – also einen Plan und damit Intelligenz zuzusprechen, scheint gewagt. Und doch deutet aus heutiger Sicht alles auf eine Konspiration. Die RNA-Eroberer lassen jedenfalls in den folgenden vier Milliarden Jahren keinen Zweifel an ihrer Absicht. Jeden Quadratzentimeter der toten Erde und der Wasseroberfläche besiedeln sie mit dem, was wir Leben nennen: Bakterien, Mikroorganismen, Pilze, Pflanzen, Tiere und schließlich Menschen. Die bis vor kurzem noch weit verbreitete Meinung, dass es sich bei diesem Prozess um eine Kette reiner Zufälle handelte, gesteuert von den Naturgesetzen und zufälligen Veränderungen (Mutationen), die sich dann als vorteilhaft durchsetzen, wird von der neueren Evolutionsbiologie ernsthaft in Frage gestellt.
Wie ist aber nun Leben entstanden? Freeman Dyson[1] nimmt an, dass es zu einer »Symbiose« zwischen der RNA und einem »Proteinwesen« gekommen ist – wobei für eine Säureverbindung wie RNA und eine ebenfalls leblose Eiweißverbindung der Begriff »Symbiose« nicht korrekt ist. Es ist ja noch gar kein »Bios«, kein Leben, vorhanden, das sich zusammentun könnte. Konspiration scheint uns deshalb hier den besseren Begriff zu liefern: Zwei Einheiten, die RNA-Agentin und das »Proteinwesen«, sprechen sich ab, um in einer feindlichen Umgebung zu überleben. Und wie jede richtige Verschwörung hat auch die chemische Konspiration, die selbstreproduzierende, stoffwechselnde Lebewesen hervorbringt, ihr Geheimnis. Bis heute ist es aller Gen- und Biotechnik zum Trotz nicht gelungen, die Kluft zwischen Chemie und Biologie, den Übergang von toten Kohlenstoffverbindungen zu lebendigen Zellen zu schließen. Wie das Säuremolekül und die Eiweißverbindung sich – hinter dem Rücken aller anderen Verbindungen – zur Kooperation verabredeten, ist unbekannt.
Zuerst allerdings existierten noch überhaupt keine Lebewesen mit einem festen Zellkern, sondern nur die von einer dünnen Membran zusammengehaltenen Bakterien bevölkerten die Weltmeere. Sie hatten sich auf die verschiedenen Ressourcen, wie etwa den reichlich vorhandenen Schwefel, spezialisiert und fraßen fröhlich vor sich hin. Irgendwann freilich gingen ihnen die Nährstoffe aus – doch parallel und unbemerkt hat das RNA-DNA-Protein-Trio ganz offensichtlich seine Fäden gezogen. Denn die bisher allein auf freier Wildbahn agierenden Bakterien schließen sich zu Gruppen zusammen, lösen sich als Einzelwesen auf und ordnen sich einem Funktionszusammenhang, einem mehrzelligen Wesen, unter.
Nach der derzeit noch herrschenden Lehrmeinung in der Evolutionsbiologie, die man als Post, Neo- oder Ultradarwinismus bezeichnet, handelt es sich bei der Tätigkeit von RNA und DNA nur um einen einfachen Replikationstrick, einen Kopiermechanismus, der keinerlei Geheimnis birgt, geschweige denn den Anlass zu einer Verschwörungstheorie. Die Evolutionsfabrik, die das Leben auf diesem Planeten hervorbringt, ist nach dieser Ansicht nichts anderes als ein gigantischer Copyshop, der unter Leitung eines blinden Uhrmachers mechanisch Kopien fertigt. Eine Entwicklungsabteilung gibt es nicht, und das Geheimnis, wie durch simples Kopieren aus einem einzelligen Bakterium drei Milliarden Jahre später komplexe Lebewesen wie Louis Pasteur oder Robert Koch entstehen, verlagert der Neodarwinismus auf den Hinterhof der Kopierfabrik. Dort landet der Ausschuss, die fehlerhaften Kopien, die »Mutationen«. Doch wenn sich die Marktbedingungen, d. h. die Umweltsituationen, ändern, erweisen sich die fehlerhaften Exemplare plötzlich als Renner und werden in die Massenproduktion übernommen.
Darwin selbst hat nie abgestritten, dass seine Theorie der natürlichen Auslese noch viele Fragen offen lässt und weiterer Ergänzungen bedarf. Er wehrte sich nur und als Naturwissenschaftler zu Recht gegen »wundertätige Hinzufügungen«. An solchen war auch einer seiner Zeitgenossen, der russische Graf und Intellektuelle Pjotr Kropotkin, wenig interessiert, der nach der Lektüre der Entstehung der Arten auf einer Reise durch Sibirien und die Mandschurei Naturbeobachtungen anstellte und dem auf der Gegenseite des unerbittlichen Existenzkampfs der Arten ein so strenger Zwang zur Kooperation und gegenseitigen Unterstützung auffiel, dass er schrieb:
»Wenn wir die Natur fragen, ›wer sind die Tüchtigsten: jene, die ständig miteinander im Krieg liegen, oder jene, die einander unterstützen?‹, so sehen wir sofort, dass jene Tiere, die die Gewohnheit gegenseitiger Hilfe erworben haben, zweifellos die tüchtigsten, bestangepassten sind. Sie haben mehr Überlebenschancen und sie bringen es auf ihrer jeweiligen Stufe zum höchsten Entwicklungsgrad der Intelligenz und der Körperorganisation. «[2]
Kropotkins Wahrnehmung wurde nicht weiter ernst genommen, zumal er als Bohemien, Mitglied der anarchistischen Bewegung und wissenschaftlicher Außenseiter ohnehin suspekt war, und doch gibt der Titel des Buchs, das er über seine Beobachtungen verfasste, eine gute Umschreibung dessen, welcher natürlichen (und gar nicht »wundertätigen«) Hinzufügung es bedarf, um mit Darwins Theorie der natürlichen Auslese die Entwicklung des Lebens zu erklären: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt. Solange wir bei der Beobachtung des Systems »Evolution« nur den Prozess der Konkurrenz wahrnehmen, bleibt der gegenläufige, völlig andersgeartete Prozess der Kooperation außerhalb des Blickfelds. So wie die Physiker zum Beispiel die Theorie des Lichts experimentell und mathematisch überprüfen können, indem sie Licht als eine große Menge einzelner Lichtteilchen auffassen, versuchen uns die Neo- und Ultradarwinisten in ihren Rechenschaftsberichten ziemlich schlüssig vorzurechnen, dass nur der Zufallsgenerator in der Kopierfabrik und das Konkurrenzprinzip draußen für das Wunder der Schöpfung zuständig sind. Aber Licht hat auch Wellencharakter, verbreitet sich als Frequenz im ganzen Raum und ist überhaupt nicht aufgeteilt in einzelne Teilchen. Wirklich verstehen können wir das Phänomen nur, wenn wir diesen Doppelcharakter akzeptieren. Ähnlich paradox verhält es sich mit der Evolution, in der Konkurrenz und Kooperation zugleich wirksam werden, obwohl sie sich gegenseitig ausschließen. Doch es existiert ein Verbindungsglied, ein verborgenes Netz, ein vereinigendes Prinzip, das zwischen den gegenläufigen Prozessen von Konkurrenz und Kooperation vermittelt: die Konspiration. Erst die konspirative Anstiftung zur Symbiose ist es, die die große Kette der Wesen hervorbringt. Als die Biologin Lynn Margulis[3] Mitte der 60er Jahre nachwies, dass die ersten Lebewesen mit festem Zellkern durch eine Kooperation von Bakterien entstanden und diese »Symbiogenese« als Motor der Evolution zu sehen sei, wurde dies als wilde Spekulation abgetan; mittlerweile steht ihre Theorie der Zellentstehung in jedem Lehrbuch. Dass sie das herrschende Dogma von Mutation und Selektion aufs schärfste unterminiert, ist allerdings von der Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt geblieben.
Die Konspiration, die RNA und Protein in Gang gesetzt haben, hat nur ein Ziel: so viel Leben wie möglich in die Welt zu setzen. Und weil dazu der dumpfe Kopiermechanismus nicht ausreicht und über das bakterielle Stadium nicht hinaus gekommen wäre, wird in der ersten großen Krise des Lebens auf Erden der Kooperationsmechanismus zugeschaltet. Anders als beim Kopierprogramm, das in den Nukleinsäuren codiert ist, ist das Kooperationsprogramm konspirativ – kein Skript, kein Code, keine materiellen Spuren. Und wie bei jeder perfekten Verschwörung werden wir ihre Struktur auch nicht aufdecken, wenn wir uns einzelne der vermutlichen Mafiamitglieder schnappen und zum Geständnis zwingen: Sie kennen die gesamte Struktur gar nicht, haben höchstens vom Hörensagen davon erfahren und sind nur mit einigen anderen Mitgliedern in ihrer Region in direktem Kontakt. Die Raupe kann den Schmetterling nicht verstehen – und die bakteriellen Geißeltierchen, die sich im Archaikum zum Eintritt in einen geschlossenen Zellverband überreden ließen, hatten keine Ahnung, dass sie 1,5 Milliarden Jahre später bei männlichen Säugetieren als Sperma-Rennpferdchen zum Einsatz kommen sollten.
Das konspirative Element der Evolution ist nicht zu erkennen, solange wir uns einzelne Teile vornehmen. Es wird erst sichtbar, wenn wir ihr Zusammenwirken, den Gesamtzusammenhang ins Auge fassen. »Leben« entsteht erst durch die Kooperation von Lebewesen. Das Kopieren und die Konkurrenz um knappe Ressourcen sind als völlig geistloses Spiel vorstellbar, reine Mechanik, saubere Physik, null »Sozialarbeit« – die einsetzenden Symbiosen aber, die erst all die höheren Arten hervorbringen, sind es nicht. Kooperation aber setzt nicht nur Kommunikation voraus, sondern auch Konspiration: Einverständnis, eine gemeinsame Idee, Geist.
Schon in den Frühzeiten der Erde verfügten die Mikroben über konspirative Kommunikationsmöglichkeiten, von denen wir bis vor wenigen Jahren nicht die geringste Ahnung hatten. Wir mögen Einrichtungen wie Telekommunikation und Datenfernübertragung für große technische Leistungen halten und Demokratie oder Volksabstimmungen für den Gipfel der Zivilisation. Tatsächlich aber verfügten schon die Bakterienkolonien vor zwei Milliarden Jahren über solche Einrichtungen. Für ein einzelnes Bakterium ist der zehn Meter lange Planktonteppich seiner Kolonie, der auf den Meereswellen schaukelt, so groß wie für einen Menschen der Kontinent Amerika – und doch ist es in »Alaska« in der Lage, sich mit seinen Kollegen in »Feuerland« unmittelbar abzustimmen und so das Verhalten der gesamten Kolonie zu koordinieren. Das Verfahren wird »Quorum sensing« genannt, nach dem aus dem römischen Recht stammenden Begriff »Quorum«, der jene Teilnehmerzahl einer Versammlung bezeichnet, die mindestens erreicht sein muss, um beschlussfähig zu sein. Die Bakterien ermitteln ihr Quorum, indem sie einen biochemischen Signalstoff an ihre Umgebung abgeben. Wird ein bestimmter Schwellenwert erreicht, strömen die Stoffe zurück, schalten einige Gene an, andere aus und verändern so die Aktivitäten und das Fortpflanzungsverhalten der Bakterien über den gesamten »Kontinent« hinweg.
Diese medialen Fähigkeiten der Mikroben haben nicht nur eine neue Sichtweise auf diese eben gar nicht so primitiven Lebewesen eröffnet, sondern auch auf die Entstehung »höheren« Lebens insgesamt. Und diese verlief insgesamt so konspirativ, dass der Code ihrer Kommunikation erst vor wenigen Jahren geknackt werden konnte. Wir wissen jetzt, dass schon einfachste Lebensformen in der Lage waren, zu kommunizieren; wir wissen auch, dass sich bestimmte Bakterien vor etwa 2,5 Milliarden Jahren zu Verbänden zusammenschlossen, um die ersten mehrzelligen Lebewesen zu bilden – und dass sie seitdem daran arbeiten, immer komplexere Lebensformen hervorzubringen.
Das menschliche Gehirn ist aus dieser Sicht die wahrscheinlich höchstentwickelte, komplexeste Kolonie, die von der Mikrobenintelligenz seither geschaffen wurde – so komplex, dass ihre Träger, die Menschen, es selbst nicht verstehen. »Wenn unser Gehirn so simpel wäre, dass wir es verstehen könnten, wären wir so simpel, dass wir es nicht könnten«, hat der Gehirnforscher Emerson Puigh[4] dieses Dilemma einmal ausgedrückt. Und das spricht dafür, dass es sich tatsächlich um eine Kolonie, die Filiale einer höheren Intelligenz handelt. Als Kandidat dafür kommt nur das »Gobal Brain«[5] in Frage: das selbstorganisierte, billionenfach vernetzte, seit Milliarden Jahren stabile Netzwerk der Bakterien. Dies, die geheime Absprache verschiedener Mikroben zur Kooperation, ist wahrscheinlich die einzige real existierende Weltverschwörung überhaupt, und ihr einziges Ziel heißt: Leben.
Verschwörungen, so scheint es unter dieser naturgeschichtlichen Perspektive, sind eine evolutionäre Norm, ein Verhaltensmuster, das allen gesellschaftsfähigen Gruppen – also eben nicht nur Trickbetrügern, Geheimdiensten oder ganzen Staatengemeinschaften – eigen ist. Vielleicht ist das der Grund, warum das Thema Konspiration noch nicht ins rechte Licht der Wissenschaft gerückt ist und bis heute keine allgemeine Theorie der Verschwörung existiert.
SIE stecken dahinter. Wenn Agent Fox Mulder die Augen aufreißt und seiner Partnerin, Agent Scully, einen verzweifelten Blick zuwirft – worauf diese vielsagend die schöne Stirn in Falten zieht – , dann wissen die Zuschauer von Akte X: SIE haben wieder zugeschlagen. Wer SIE genau sind, bleibt auch nach mehr als hundert Folgen der »Ungeklärten Fälle des FBI« im Dunkeln, aber dass irgendwer dahinter stecken muss, hinter all diesen mysteriösen Ereignissen – und nicht nur irgendwer, sondern eine machtvolle Struktur oder Organisation –, das ist klar. Zumindest für den Agenten Mulder. Denn der findet Beweise über Beweise, und da, wo keine zu finden sind, findet er Beweise dafür, dass sie vernichtet wurden. »Ein Paranoiker«, so William S. Burroughs, »kennt immer alle Fakten.« Der unermüdlich Fakten aufdeckende Agent Mulder wäre insofern der perfekte Paranoiker – und tatsächlich ohne die skeptische, erdgebundene Frau Dr. Scully an seiner Seite spätestens in Folge 3 im Irrenhaus gelandet. So aber wurde er zu einem der beliebtesten Fernsehhelden und die Akte X zu einer der weltweit erfolgreichsten TV-Serien der 90er Jahre. Ein postmoderner Don Quichotte, der nicht nur den alten aussichtslosen Kampf kämpft – in diesem Fall gegen die Windmühlenflügel mysteriöser Verbrechen und Vertuschungen –, sondern der auch weiß, dass die mit der Aufdeckung dieser Fälle beauftragte Agentur, und damit er selbst, ebenfalls ein Teil der Vertuschung sind. Insofern wird aus dem Puzzle, das Mulder und Scully zusammentragen, nie ein ganzes Bild und wenn, dann zeigt es nicht, wer SIE wirklich sind, denn SIE haben das Bild manipuliert. Nur eines zeigt sich wieder und wieder: dass es eine Große Verschwörung geben muss, die hinter alledem steckt.
»Paranoia ist nicht das Schlechteste, wenn man Freund und Feind nicht mehr auseinanderhalten kann. « (Christoph Spehr, Die Aliens sind unter uns!, München 1999)
Mulders Dilemma ist ein doppeltes: Einerseits hat sich die ganze Welt (einschließlich aller Geheimdienste, Militärs und möglicher extraterrestrischer Zivilisationen) gegen ihn und seine Ermittlungen verschworen – und diese Verschwörung ist so mächtig und universell, dass sie niemals aufgedeckt werden kann. Andererseits aber kann niemand, nicht einmal seine Vertraute Scully, seine verrückten Theorien widerlegen denn jeder Beweis gegen sie funktioniert gleichzeitig auch für sie. Zumindest für Mulder. SIE stecken wieder dahinter ... Nichts ist, wie es scheint – gegen derlei doppeltes Blendwerkkämpfen selbst Superhelden vergeblich.
»Wem es gelingt, dir falsche Fragen einzureden, dem braucht auch vor der Antwort nicht zu bangen«, heißt es in Thomas Pynchons großem Verschwörungsroman „Die Enden der Parabel“[6]. Für die Agenten der ausgehenden 90er ist diese fatale Erkenntnisfalle täglich Brot. Und es ist vielleicht kein Zufall, dass mit Mulder und Scully zwei Fernsehfiguren zu Superhelden wurden, die unentrinnbar in ein Spiegelgefecht von Wahrheit und Lüge, Manipulation und Realität verwickelt sind. Sie markieren das Ende der klassischen Aufklärung: dem Glauben, dass sich eine objektive Wahrheit, eine eindeutige Realität von außen erkunden lässt. Die Agentur, in deren Auftrag die beiden nach Wahrheit suchen, ist selber Teil des Problems – und wie der Beobachter in der Quantenphysik kann Mulder den Dingen nur auf die Spur kommen, indem er selbst Teil des Experiments wird.
Verschwörungen sind etwas so Allgemeines, Selbstverständliches, dass es dazu scheinbar gar keiner großen Erklärung bedarf. Dass A und B eine Absprache treffen, um sich gegen über C einen Vorteil zu verschaffen, gehört auf allen Ebenen des gesellschaftlichen und natürlichen Lebens zur alltäglichen Praxis – und ebenso alltäglich ist es, dass A und B, um ihren Vorteil gegenüber C zu vergrößern, diesen über ihre Absprachen im Dunkeln lassen. Mit dieser geheimen Absprache sind schon alle Ingredienzien einer Verschwörung komplett – ob in der Natur zwei Parasiten einander zuarbeiten, um einen dritten beim Beute machen auszustechen, ob im Geschäftsleben mit diskreten Absprachen die Konkurrenz ausgetrickst wird, ob in der Politik die Nachrichten– und Geheimdienste ihr eigenes Schattenreich errichten oder ob im Privatleben Klatsch und Intrigen an der Tagesordnung sind. Auch wenn es bis heute jede Menge Verschwörungstheorien, bloß keine allgemeine Theorie der Verschwörung gibt, so hat doch das Fernsehvolk von der Realität der Verschwörung eine ziemlich eindeutige Meinung.
Im September 1996 ergab eine Umfrage, die das Magazin George veröffentlichte, dass unter erwachsenen Amerikanern 74 Prozent – praktisch also drei von vier Bürgern – glauben, die US-Regierung sei regelmäßig in geheime und verschwörerische Aktivitäten verstrickt. Verwechseln diese zutiefst misstrauischen US-Bürger einfach nur Fernsehen und Realität? Auch wenn das Ergebnis einer solchen Umfrage in Deutschland, wo man der Obrigkeit traditionell eher mit Blauäugigkeit als mit Misstrauen begegnet, weniger drastisch ausfallen würde, sind diese drei von vier Durchschnittsamerikanern, die ihre Regierung ruchloser, verbrecherischer Aktivitäten verdächtigen, keineswegs alle verrückt oder paranoid. Dieselbe Studie ergab, dass nur 29 Prozent an Zauberkräfte glauben und ganze zehn Prozent davon überzeugt sind, dass Elvis Presley noch lebt. Ziemlich normale Zeitgenossen also – und doch hegen Dreiviertel von ihnen Ansichten über den Staat, wie sie noch vor hundert Jahren allenfalls von einer Handvoll Anarchisten und Berufszynikern vertreten wurden. Sie wissen sehr wohl zwischen Nachrichten und Akte X zu unterscheiden – doch sie ahnen, dass selbst die verrücktesten Fälle von Mulder und Scully nicht völlig fiktiv und auch die offiziellen Fakten der Nachrichten längst nicht mehr wahr sind. Dass die Parteien und Vater Staat für Demokratie und Gerechtigkeit sorgen und die Polizei dein Freund und Helfer ist: Derlei fromme Denkungsarten, wie wir sie noch auf der Schule lernten, müssen aus dieser Perspektive als hoffnungslos naiv gelten. Stattdessen zieht sich der Verdacht, von einer korrupten, kriminellen Clique regiert zu werden, durch das gesamte politische Spektrum und alle Schichten.
Politiker und Großkapital sind freilich nicht die einzigen, die einem derart massiven Vertrauensschwund ausgesetzt sind. Es gibt wohl kaum irgendeine Gruppe der Gattung Homo sapiens, die von einer anderen Gruppe nicht schon zum Objekt angstvoller Verdächtigungen und Vorwürfe gemacht worden wäre. Das reicht von Großgruppen wie Nationen, Rassen, Religionsgemeinschaften über Berufsklassen wie Gebrauchtwagenhändler, TV-Mechaniker oder Zahnärzte bis zur Straßengang oder dem Dorfclan nebenan. Das Verschwörungsdenken blüht – und es gibt weder ein Weltübel noch ein Lokalproblem, das sich nicht irgendeiner bestimmten Gruppe anlasten ließe. Historisch wurden zum Beispiel zuerst die Juden, später die Ketzer und danach die Hexen über lange Jahrhunderte als Inkarnation der Weltübel und »Antichrist« schlechthin betrachtet, nach der Französischen Revolution kamen dann die Freimaurer, Kapitalisten und Kommunisten sowie die Geheimdienste dazu. Hitler kombinierte zwei der beliebtesten Hassgruppen zur »jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung«, hetzte seine willigen Vollstrecker damit zum Weltkrieg und wurde zum schreckensreichsten Verschwörungstheoretiker des letzten Jahrhunderts. Seitdem sind Auswahl und Kombinationsmöglichkeiten potenzieller Hassgruppen noch viel größer geworden – und weil der menschliche Geist offenbar dazu neigt, alles, was er in eine bestimmte Perspektive rückt, in dieser Perspektive zu vergrößern, lässt sich das Böse im Prinzip überall entdecken. Man muss nur lange genug hinsehen.
Insofern überleben auch Verschwörungstheorien jede Kritik. Als populäre Dämonologie teilen sie diesen erhabenen Zustand mit ihrem klassischen Zwitter, der Theologie. Dass Gott überall ist, lässt sich mit wissenschaftlichen Experimenten ebenso wenig beweisen, wie man die These widerlegen kann, letztlich und allerletzten Endes übe das Böse doch die Kontrolle über die Welt aus. Hängen also die zahlreichen Zeitgenossen, die ihren Regierungen, Finanzämtern, Institutionen, Wissenschaftlern, Medien, kurz: allem und jedem misstrauen, nur einer Art materialisierten Aberglaubens an, der nicht mehr Teufel, Dämonen und Übersinnliches für alle Missgeschicke verantwortlich macht, sondern leibhaftige Personen oder Gruppen? Auch wenn jeder Verschwörungstheoretiker den Einwand von sich weist, dass es sich in seinem Fall um eine Glaubensangelegenheit handelt, und er sogleich Fakten, Dokumente, Beweise präsentiert, sind die strukturellen Parallelen zwischen altem Dämonenglauben und neuem Verschwörungsdenken nicht zu übersehen. Sie reduzieren eine komplexe, unbegreifbare Realität auf ein simples Ursache-Wirkung-Schema.
Für Robert A. Wilson, der in den 70er Jahren zusammen mit Robert Shea die zum Kultroman und Weltbestseller avancierte Verschwörungstrilogie „Illuminatus“[7] schrieb und unter dem Titel „Everything Under Control“ ein Kompendium der Konspiration vorgelegt hat[8], sind Verschwörungen als »ganz normale Fortsetzung ganz normaler Geschäfts- und Wirtschaftspraktiken mit ganz normalen Absichten« unserem Gesellschaftssystem »eingeboren«: »Im Prinzip«, so Wilson, »verhält sich jedes einzelne Individuum als Verschwörer, wie beim Poker.«
Wenn sich im Prinzip jedes Individuum als Verschwörer verhält und dies eine ganz normale Fortsetzung ganz normaler Geschäftspraktiken mit ganz normalen Mitteln darstellt Verschwörungen also etwas durch und durch Selbstverständliches sind –, warum gibt es dann in den meisten Ländern Gesetze dagegen? Weil es eben meist doch nicht so ganz normal und mit ganz normalen Mitteln zugeht.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Terrorismus, Drogen und internationale Operationen, John Kerry, war entsetzt, als er bei der Untersuchung der Iran-Contra-Affäre 1992 aus den Akten erfuhr, dass der Geheimdienst CIA Drogen ins Land schmuggelte und die Narco-Dollars aus diesen Geschäften zur Finanzierung seiner Operationen verwendete:
»Was wir zuerst fanden, konnten wir einfach nicht glauben, nein, das ist einfach zu unglaublich. Ich glaube das nicht. Und dann wird es an einer anderen Stelle von jemandem erhärtet,Detail für Detail: die Macht des Narco-Dollars, der ganze Länder kauft und ganze Rechtsinstitutionen – auf beiden Seiten der Revolutionen – und der die Geopolitik in einer Weise ändert, mit der wir wirklich nichts zu tun haben wollen. Und das geschieht nicht nur in Mittelamerika, sondern es geschieht auch im Fernen Osten und es geschieht im Bekaa-Tal. Ist es wahr, oder ist es nicht wahr, dass nahezu alle politischen Gruppen, ob revolutionär oder nicht, Profite aus Drogengeschäften nutzten, um Waffen zu kaufen und ihre Operationen zu finanzieren?«[9]
Dass der Chef des Geheimdienstes CIA auf diese entsetzte Frage wahrheitsgemäß antwortet: »Ja, Sir. Da Ihr Senat uns die Gelder, die wir zur Stabilisierung unseres geopolitischen Einflusses in insgesamt 50 Ländern benötigen, niemals bewilligen würde, sind wir gezwungen, andere Einnahmequellen zu erschließen. Drogengeschäfte bieten sich wegen der hohen Profitraten da ebenso an wie der Waffenhandel, vor allem wenn wir beide Konfliktparteien damit beliefern ...« – mit einer solchen Antwort ist nicht zu rechnen. Nicht weil sie falsch wäre (zu den Punkt für Punkt erhärteten Details, die den Ausschussvorsitzenden Kerry sprachlos machten, sind mittlerweile viele weitere, sorgsam recherchierte Beweise hinzugekommen), sondern weil diese Wahrheit mit der nationalen Sicherheit kollidieren würde.
Hier berühren wir einen weiteren, für eine Theorie der Verschwörungstheorien wesentlichen Punkt: Es ist nicht in erster Linie der überforderte, zu naivem Sündenbockdenken neigende Bürger, der den Nährboden für das Wuchern von Verschwörungstheorien abgibt, es sind die von chronischer Paranoia befallenen Staaten und Machteliten. Oder anders ausgedrückt: Wenn heutzutage drei Viertel der Bevölkerung ihrer Regierung misstrauen, dann trauen die Regierungen ihrer Bevölkerung erst recht nicht mehr über den Weg.
Lauschangriff, Videoüberwachung, Urinkontrollen, »homeland security« sind nur einige aktuelle Stichworte. Darüber hinaus hat jeder Staat Gesetze gegen Verschwörungen und verfügt über Behörden und Sonderstäbe, die Tag und Nacht jeder Art von Subversion auf der Spur sind. Folgen wir dem englischen Historiker R. J. Blackburn[10] , dann sind Stämme, Nationen, Staaten ohne Geheimdienste gar nicht lebensfähig, weil es immer einen anderen Stamm gibt, von dem man sich abgrenzen oder vor dem man sich schützen muss, und weil auch im Inneren potenzielle Feinde, die am Stuhl der jeweils Herrschenden sägen, stets eine Bedrohung darstellen. Das Verschwörerische ist also nicht nur dem Wirtschaftsleben, sondern auch dem Leben der Staaten eingeboren – und dies sorgt für eine grausame Ironie: Der Hang zur Bekämpfung von Verschwörungen führt nicht zur Eindämmung konspirativen Verhaltens, sondern produziert und fördert es geradezu. Mulders Dilemma, dass die Agentur zur Aufdeckung von Vertuschungen selbst zur Vertuschung beiträgt, ist keine Einbildung, sondern Realität und sein Schlachtruf »Trau keinem« längst von der Wirklichkeit übertroffen – nicht von irgendeinem Phantasten, sondern einem der mächtigsten Staatsmänner des Jahrhunderts: Josef Stalin.
Stalin traute in der Tat nicht einmal mehr seinen engsten Mitarbeitern, und nach den mörderischen Säuberungsaktionen, mit denen er Mitte der 30er Jahre jede Opposition in Partei und Militär eliminiert hatte, trauten die verbliebenen Genossen ihm ebenfalls nicht mehr. Hinter jeder Kritik, jedem Widerspruch und noch hinter jedem kleinen Witz argwöhnte der Diktator eine Verschwörung – und so verlegten sich seine Mitarbeiter aufs Köpfenicken und Speichellecken. Niemand widersprach, als er sämtliche Nachrichten über eine bevorstehende deutsche Invasion als »fragwürdige Quellen« oder»britische Provokationen« abtat und seine Militärs anwies, nichts zu unternehmen. Noch nachdem die deutsche Wehrmacht innerhalb von zehn Monaten 3,2 Millionen Mann an der russischen Grenze zusammengezogen hatte, tat Stalin Berichte über eine bevorstehende Aggression als »grundlose Panikmache« ab. Sein Vertrauen in den Nichtangriffspakt mit Hitler war ebenso grenzenlos wie sein Misstrauen gegen innere Feinde und Desinformation – und seine Angst, in die Falle eines britischen Komplotts zu geraten. »Es gibt wenige Völker«, so ein Historiker des Zweiten Weltkriegs, »die vor einer anstehenden Invasion besser gewarnt waren als die Sowjetunion im Juni 1941.«[11] Dennoch schränkte Stalin nach dem Beginn der Invasion – am 22. Juni 1941 um 3.15 Uhr die Gegenmaßnahmen noch weitere acht Stunden ein. Notgelandete deutsche Aufklärungsflugzeuge wurden sogar repariert und mit vollem Tank zurückgeschickt. Bis zu diesem Zeitpunkt hielt Stalin den deutschen Angriff noch für eine Aktion eigensinniger oder von den Briten gesteuerter deutscher Generäle, die sich über Hitlers eigentliche Wünsche hinwegsetzten. Stalins haltlose Verschwörungstheorie hatte ihn dazu veranlasst, die reale Verschwörung gegen sein Land völlig zu ignorieren. So konnte der deutsche Generalstab in seinem Tagebuch festhalten, dass die Sowjetarmee in keiner Weise verteidigungsbereit war und »taktisch an der gesamten Front überrascht« wurde.
Hätte sich Stalin nicht die falschen Fragen eingeredet, sondern die richtigen zugelassen und rechtzeitig ein Bollwerk an seiner Westgrenze errichtet, wäre der Zweite Weltkrieg sehrviel anders verlaufen. Sein Verhalten offenbart einen weiteren Aspekt einer Theorie der Verschwörung: Die Verstrickung in Verschwörungstheorien kann die Wahrnehmung der Realität so stark beeinträchtigen, dass die wirkliche Gefahr einer Verschwörung völlig aus dem Blick gerät. Der isolierte Machtmensch im Kreml glaubte wirklich niemandem mehr, weder seinen Untergebenen noch den gleichlautenden Geheimdienstberichten aus aller Welt. Nur einem Menschen schenkte er noch Vertrauen, und die furchtbare Ironie der Konspiration dass der Versuch ihrer Eindämmung ihre Ausbreitung fördert – wird hier zum Aberwitz: Der einzige Mensch, dem der Paranoiker Stalin noch traute und dem gegenüber er nie sein Wort gebrochen hatte, war ausgerechnet Hitler.
»Der äußere Schein trügt«: Diese Grundregel des Verschwörungsdenkens hatte der sowjetische Diktator so verinnerlicht, dass er die Wolkenkratzer der deutschen Angriffsmaschinerie für potemkinsche Dörfer hielt – und Hitler für einen Ehrenmann. Über die Parallelen der beiden Großdiktatoren ist bereits viel geschrieben worden, die verschwörungstheoretische Sicht offenbart hier weitere interessante Aspekte. Ein wichtiger Grund, warum Stalin die Hitler-Gefahr übersehen konnte, war, dass er es schon mit einem leibhaftigen Gottseibeiuns und Urheber alles Bösen zu tun gehabt hatte: mit seinem ehemaligen Kampfgenossen Leo Trotzki, dessen Vasallen er auch nach Trotzkis Ermordung überall im Land am Werke sah. Für Stalin kamen alle Gefahren eher von innen, und diese von ihm stets befürchteten Verschwörungen machten ihn taub für alle Nachrichten über reale Verschwörungen von außen. Bei Hitler indessen lief es verschwörungstechnisch genau umgekehrt: Er benutzte und instrumentalisierte eine eingebildete Verschwörung von außen – die angeblichen Gefahren der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung zum Aufbau eines realen Verschwörungssystems im Inneren und entfesselte den Weltkrieg. Und wie es so ist, in den seltsamen Schleifen des paranoiden Denkens, scheint er sich auf das Drehbuch und die Anleitung eben jener Verschwörungstheorie gestützt zu haben, zu deren definitiver Ausrottung er anzutreten vorgab: die Protokolle der Weisen von Zion.