Versuche über die Wirklichkeit - Alexa Mohl - E-Book

Versuche über die Wirklichkeit E-Book

Alexa Mohl

0,0

Beschreibung

"Versuche über die Wirklichkeit" hat sich über dreißig Jahre hinweg aus der beruflichen Tätigkeit von Dr. Alexa Mohl als NLP-Trainerin, Beraterin und Autorin heraus entwickelt. Darin wird analysiert, wie unsere Welt aus sensorischen Eindrücken aufgebaut ist, das "Ich" jedoch kein sensorischer Eindruck sein kann, sondern etwas jenseits dessen, was wir erforschen und wissen können. Dennoch sind wir uns unseres "Ich bin" sicher. Wer kontrolliert unsere Handlungen - oder läuft alles Geschehen automatisch ab? Sind andere Menschen nichts als sensorische Gestalten in unserem Lebenstraum? Alexa Mohl trägt nicht nur Argumente vor, sondern gibt ihren Lesern auch Hinweise, wie sie diese praktisch selber überprüfen können. Das Buch stellt einen Beitrag zur Erkenntnistheorie dar, der als Grundlage nicht philosophische Spekulation, sondern praktische Erfahrungen mentaler Analyse hat. Zielgruppe dieser Arbeit sind alle, die wie Alexa Mohl auf der Suche nach der Wirklichkeit sind.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 298

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Erstes Kapitel: Die Rätsel der Wahrnehmung

NLP: Sensorische Wahrnehmung und die Natur der Eindrücke

Nisargadatta Maharaj: Die Welt, Ich und der Ablauf der Wirklichkeit

Ernst Mach: Die Welt der Empfindungen und das unrettbare Ich

Zweites Kapitel: Das dynamische System der sensorischen Eindrücke

Wahrnehmen

Wahrnehmungskomplexe

Der Wahrnehmungsstrom

Wahrnehmungsverknüpfungen

Lernen

Sprechen

Sätze

Lesen und schreiben

Denken

Forschen

Rechnen

Drittes Kapitel: „Ich“

Was „Ich“ nicht sein kann

„Ich“ und das dynamische System der sensorischen Eindrücke

Sensorische Strategien (Operationen)

Geistige Aktivitäten?

ICH bin

Viertes Kapitel: Schlussfolgerungen

Alles geschieht automatisch

Niemand trägt die Verantwortung

Andere Menschen

Verwendete Literatur

Verzeichnis der Zitate

Einleitung

Es gibt zwei unbezweifelbare Gewissheiten: „Sensorische Erfahrungen sind mir gegeben“ und „Ich bin“. In dem, was ich erfahre, kann ich mich irren; aber nicht darin, dass ich Erfahrungen mache. Was ich bin, kann ich nicht wissen; aber, dass ich bin, ist unbezweifelbar gewiss und bedarf keines Beweises.

Mein praktischer Lebensalltag scheint jedoch anders gestaltet zu sein: Ich erlebe keine sensorischen Eindrücke, sondern feste Körper in meiner Umwelt und mich selber als ein lebendiges Subjekt. Im praktischen Lebensalltag brauche ich etwas, woran ich mich halten kann, Gegenstände, mit denen ich umgehen kann, und die Vorstellung, selber ein solcher Körper zu sein, ein beständiges „Ich“, dessen Gedanken und Pläne von gestern auch morgen fortgesetzt werden können. Obwohl ich es besser weiß, erlebe ich immer wieder eine von mir unabhängige Außenwelt. Darin tauchen, sobald ich am Morgen die Augen öffne, die Gegenstände in meinem Schlafzimmer auf, die Lampe an der Decke, der Kleiderschrank, und durch das Fenster die Zweige der Kiefer in meinem Garten. Ich erlebe die Welt so wie ich sie im Physikunterricht aufzufassen gelernt habe, als eine unabhängig von mir bestehende objektive Wirklichkeit. Und ich erlebe mich als ein erfahrendes und handelndes „Ich“. Aber die Wirklichkeit ist anders als ich im Physikunterricht gelernt habe. Die Welt und mein Körper darin sind sensorische Eindrücke. „Ich“ bin nicht in dieser Welt der sensorischen Eindrücke, weil das, was „Ich“ bin, kein sensorischer Eindruck ist. Deshalb wird es in diesen Aufzeichnungen Schwierigkeiten mit dem Wort „Ich“ geben, aber diese Schwierigkeiten kann ich nicht umgehen. Ich will mich aber bemühen, diese andere, die wirkliche Wirklichkeit, so zu beschreiben, wie sie ist, soweit mir das möglich ist. Dafür will ich nicht nur alle mir bekannten Argumente zusammentragen, sondern auch praktische Hinweise geben, wie diese Wirklichkeit auch so erfahren werden kann, wie sie ist.

Diese Aufzeichnungen sind in erster Linie eine Selbstverständigung. Ich möchte mir selber helfen, diese beiden Gewissheiten festzuhalten: Die Welt und mein Körper darin sind sensorische Eindrücke und „Ich“ bin nicht in dieser Welt der sensorischen Eindrücke. Und ich möchte andere, die sich auch auf die Suche nach der Wirklichkeit gemacht haben, darin unterstützen. Vor allem möchte ich weitergeben, was ich im Neurolinguistischen Programmieren (NLP) gelernt habe und was mir neu erscheint, dass nämlich das, was wir für menschliches Tun halten – uns bewegen und verhalten, sprechen und handeln – auch sensorische Eindrücke sind, nämlich Abfolgen sensorischer Eindrücke, die von keinem „Ich“ in Gang gesetzt, geleitet, kontrolliert und abgeschlossen werden, sondern die, Vorgängen in der Natur ähnlich wie Blitz und Donner, automatisch ablaufen. Vor allem möchte ich deutlich machen, dass auch das, was wir als geistige Tätigkeiten aufzufassen gelernt haben - erkennen, denken, wollen, glauben, zweifeln, entscheiden - keine geistigen Aktionen sind, sondern Strukturen und Abfolgen sensorischer Eindrücke. Solche Einsichten kann man nicht nur gewinnen, wenn man so wie ich im NLP mentale Muster und Abfolgen zu untersuchen gelernt hat. Die Welt besteht aus sensorischen Eindrücken, und das Leben darin vollzieht sich als Ablauf sensorischer Eindrücke. Solche Einsichten kann jeder durch Selbstbeobachtung gewinnen.

Warum mache ich mir diese Mühe? Was möchte ich erreichen? Ich erhoffe mir von dieser Niederschrift zunächst, dass mir diese Einsichten nicht immer wieder durch Denk- und Sprechgewohnheiten und Erfordernisse des praktischen Lebensalltags verloren gehen. Darüber hinaus hoffe ich, mit meinen Bemühungen auch anderen nützlich zu sein, auch wenn sie nicht alle Auffassungen, die hier vorgestellt werden, teilen können. Mein wichtigstes Motiv ist jedoch ein anderes. In Niederschriften von Lehren erleuchteter Menschen dieser Welt habe ich ein Versprechen gefunden, das mich nicht mehr loslässt. Dieses Versprechen besteht darin, dass Bemühungen, das Falsche als falsch zu erkennen, den Weg zur Erleuchtung frei machen. Warum lässt dieses Versprechen mich nicht mehr los? Warum so etwas „Verrücktes“ wie Erleuchtung anstreben? Es geht mir eigentlich nicht um Erleuchtung, auch wenn ganz wenige Erfahrungen mir einen Vorgeschmack davon gegeben haben, wie sich das anfühlt. Es geht mir vielmehr darum, meine Angst zu überwinden, Angst um die Welt, die Natur und meine Mitgeschöpfe, Angst um mich und das Leben überhaupt.

Obwohl diese Aufzeichnungen erkenntnistheoretische Überlegungen enthalten, bin ich mir bewusst, dass Philosophen sie nicht ernst nehmen werden. Wer an einer von unserer Wahrnehmung unabhängigen, „objektiven“ Außenwelt festhält, wer Materie als eine universale Substanz und als Träger aller Eigenschaften begreift, wer Denken als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung oder als eine über Wahrnehmen und Vorstellen hinausgehende Erkenntnisquelle auffasst, wer Raum, Zeit und Kategorien für Schöpfungen eines menschlichen „Geistes“ hält, dem werde ich nicht vermitteln können, dass die Welt nur aus sensorischen Eindrücken aufgebaut ist, dem werde ich auch nicht klarmachen können, dass alle sogenannten Willkürhandlungen des Menschen sich als automatische Abläufe sensorischer Eindrücke erweisen, die nicht durch ein „Ich“ sondern durch sensorische Auslösereize angestoßen werden, die über Verknüpfungen auf einander folgen und bis zu Eindrücken von Körperbewegungen führen, also automatisch ablaufende Strategien sind. Philosophen werde ich nicht überzeugen können, dass die Welt Traumcharakter hat und „Ich“ in der Welt nicht vorhanden bin.

Ich habe für diese Aufzeichnung meiner Gedanken in Anlehnung an Gregory Bateson die Form eines Zwiegesprächs gewählt, nicht nur, weil meine Gedanken in der Form eines inneren Zwiegesprächs ablaufen. Ein Metalog, wie ihn Bateson in seiner „Ökologie des Geistes“ gezeigt hat, lockert einen komplexen Text auf.

Erstes Kapitel: Die Rätsel der Wahrnehmung

Paula: Was grübelst du da?

Anna: Ich bin auf der Suche nach der Wirklichkeit.

Paula: Das ist nichts Neues. Auf der Suche nach der Wirklichkeit bist du schon ziemlich lange.

Anna: Das ist richtig. Wann diese Suche begonnen hat, weiß ich gar nicht mehr. Es muss Jahrzehnte her sein. Diese Suche läuft auch nicht bewusst und gezielt ab. Sie geschieht einfach.

Paula: Wie weißt du das?

Anna: Immer wieder tauchen spontan Fragen auf, die mich auf die Suche nach Antworten treiben.

NLP: Sensorische Wahrnehmung und die Natur der Eindrücke

Anna: Möglicherweise hat diese Suche schon begonnen, als ich in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts NLP lernte.

Paula: Was ist NLP?

Anna: NLP ist eine Abkürzung von „Neurolinguistisches Programmieren“.

Paula: Und was ist das?

Anna: NLP ist eine Kurzzeittherapie, die Probleme lösen hilft, indem sie genau untersucht, was mental abläuft, bevor ein Problemzustand, zum Beispiel eine Phobie, auftaucht. Mit einer genauen Untersuchung kann der unbewusste Auslöser einer solchen Angst entdeckt werden.

Paula: Gib ein Beispiel.

Anna: Als ich 1985 meine eigene Autofahrphobie untersuchte, fand ich eine unbewusste visuelle Vorstellung einer gefährlichen Verkehrssituation, die meiner Angst vorausging und sie auslöste. Auch bei einem Problemverhalten, zum Beispiel Rauchen oder Naschen, wird genau untersucht, was mental abläuft, bevor das Problemverhalten auftritt. So kann man entdecken, dass auch dem Griff nach einer Zigarette oder nach einem Stück Schokolade sensorische Eindrücke vorausgehen, in der Regel ein physiologischer Eindruck und eine visuelle Vorstellung. Ein solches Untersuchungsergebnis eröffnet die Möglichkeit der „Umprogrammierung“.

Paula: Was ist eine Umprogrammierung?

Anna: Mit einer Umprogrammierung verändert man Auslösereize, so dass sie sich nicht mehr dazu eignen, den Problemzustand oder das Problemverhalten hervorzurufen. Für eine solche Veränderungsarbeit gibt es im NLP eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden.

Paula: Und die hast du gelernt.

Anna: Ja, aber ich lernte in meiner NLP-Ausbildung nicht nur Problemlösungsmethoden. Darüber hinaus wurde mir klar, wie wichtig es ist, bei problematischen Reaktionen und Verhaltensweisen die sensorischen Abläufe zu untersuchen. Dabei wird nämlich deutlich, dass es sensorische Vorstellungen und/oder die Form ihrer Verknüpfung sind, die ein Problem ausmachen. Wenn es gelingt, diese Vorstellungen und ihre Verknüpfungen zu verändern, ist es möglich, neue gewünschte emotionale Reaktionen oder neue gewünschte Verhaltensweisen zu zeigen.

Paula: Das ist ja super!

Anna: Richtig. Mit NLP lernte ich also, gerade die sogenannte black box zu untersuchen, die die Behavioristen von der Verhaltensanalyse ausgeschlossen hatten.

Paula: Nicht so schnell! Was ist eine black box, und wer sind die Behavioristen?

Anna: Die Behavioristen sind Wissenschaftler, die für die Erforschung psychologischer Zusammenhänge nur berücksichtigen, was man von außen beobachten kann, also Reize und Reaktionen. Was zwischen Reiz und Reaktion vor sich geht, ignorieren sie, weil sie das, was man nicht objektiv beobachten kann, für unwissenschaftlich halten. Was also in der black box vor sich geht, bleibt dabei unberücksichtigt.

Paula: Und NLP untersucht gerade die black box.

Anna: Genau: NLP-ler untersuchen gerade die black box. Und bei solchen Untersuchungen stellt sich heraus, dass es sensorische Vorstellungen sind, die die grundlegenden Komponenten von ungewünschten Verhaltensweisen ausmachen, die man zwar nicht von außen beobachten, aber dennoch in seinen wichtigsten Komponenten erfragen kann. Grundsätzlich wird deshalb in der NLP-Arbeit bei jedem Problem eine VAKOG-Analyse gemacht.

Paula: Was ist das?

Anna: VAKOG ist kein Wort, sondern eine Zusammenstellung von Versalien, V für visuelle, A für auditive, K für kinästhetische, O für olfaktorische und G für gustatorische Eindrücke. Es geht dabei um die sensorischen Komponenten. Jede Problemsituation wird hinterfragt auf die sensorischen Vorstellungen, deren Struktur und Zusammenhang ein Problem ausmachen. Für eine solche Untersuchung gibt es im NLP auch eine spezifische Fragetechnik, um hinter sprachlichen und auch nonverbalen Äußerungen von Klienten die bewussten und unbewussten sensorischen Vorstellungen aufzudecken.

Paula: Mit NLP deckst du also sensorische Eindrücke auf.

Anna: Ja, aber nicht nur. In der NLP-VAKOG-Analyse werden nicht nur die sensorischen Vorstellungen erfragt, die bei einem Problem eine Rolle spielen. Bei der Untersuchung eines Verhaltensproblems beispielsweise wird auch die Abfolge der sensorischen Vorstellungen, die das Problem ausmachen, festgestellt. Wenn Menschen sich beispielsweise nicht motivieren können, eine ungeliebte Pflicht zu erfüllen, könnte folgende Strategie dafür verantwortlich sein: Ich sehe in meiner Todo-Liste, dass ich die Steuerklärung machen müsste (V), sage mir, das kann ich morgen auch noch machen (Ad), sehe, dass draußen die Sonne scheint (V), spüre Lust auf einen Spaziergang (K+) und fühle, wie ich mich auf den Weg mache (Kp).

Paula: Das ist aber keine gute Motivation!

Anna: Genau. Diese Person schafft es erst dann, die Steuererklärung zu machen, wenn auf die Wahrnehmung, dass die Steuererklärung zu machen ist, eine Vorstellung von den negativen Konsequenzen auftaucht, die eintreten, wenn das nicht erledigt wird. Erst dann geht sie, allerdings unter Druck, an die Arbeit.

Paula: Solche Probleme scheint es öfter zu geben.

Anna: Da hast du Recht. Durch meine NLP-Praxis wurde mir klar, dass Verhalten darin besteht, eine sensorische Strategie zu durchlaufen. Zum Beispiel: Ich sehe auf meinem Weg zur Arbeit eine Bäckerei (V), erinnere mich an den Geschmack von Croissants (G), bekomme ein danach verlangendes Gefühl (K+) und erfahre mich (Kp) den Laden betreten.

Paula: Ich wusste gar nicht, dass du so wild auf Croissants bist.

Anna: Das ist doch nur ein Beispiel. Aber nicht nur beim Verhalten, auch beim Handeln durchlaufe ich eine solche Strategie, zum Beispiel: Ich langweile mich (K-), frage mich, was könntest du jetzt tun? (Ad), stelle mir visuell vor, meinen Roman weiter zu lesen (V), stelle mir weiterhin vor, wie das sein wird, dies zu tun (K+) und fühle meine Hände zum Buch greifen (Kt). Dies sind einfache Beispiele, aber meine Erfahrungen mit solchen VAKOG-Analysen machten mir deutlich, dass menschliches Verhalten und menschliches Handeln automatisch ablaufen, und dass es immer einen externen oder internen Auslösereiz für den Ablauf solcher Strategien gibt.

Paula: Wirklich immer?

Anna: Zumindest immer dann, wenn ich in der NLP-Beratung eine Strategie untersucht habe, und auch dann, wenn ich eigene Verhaltens- und Handlungsweisen überprüfe. Dabei tauchte schon früh der Verdacht auf, dass da kein „Ich“ am Werk ist, das Verhalten und Handeln in Gang setzt und steuert, sondern dass Verhalten und Handeln automatisch ablaufen.

Paula: Aber wir sind doch keine Automaten!

Anna: Ich weiß, das klingt verrückt. Aber Untersuchungen von mentalen Verhaltens- und Handlungsabläufen legen diese Auffassung nahe. Und es geht noch weiter: Bei bestimmten Problemanalysen werden im NLP nicht nur die VAKOG-Eindrücke untersucht, sondern auch die sogenannten Submodalitäten.

Paula: Was sind Submodalitäten?

Anna: Submodalitäten sind die unterschiedlichen Merkmale, die ein sensorischer Eindruck annehmen kann. Ein visueller Eindruck – ein Bild – kann beispielsweise farbig oder schwarz/weiß, hell oder dunkel, scharf oder unscharf sein. Das sind visuelle Submodalitäten. Ob ich etwas glaube oder an etwas zweifle, weist typische submodale Muster auf. Ein Glaubensbild kann unbewegt, farbig und scharf sein, während das Zweifelsbild bewegt, schwarz/weiß und unscharf ist.

Paula: Das ist ja erstaunlich!

Anna: Nicht nur das. Mit diesen Unterschieden kann ich auch therapeutisch arbeiten.

Paula: Wie das denn?

Anna: Ich kann einen negativen Glauben in Zweifel ziehen, indem ich das dazugehörige Bild mit den visuellen Submodalitäten des Zweifels ausstatte. Damit ziehe ich den Glauben in Zweifel. Und ich kann etwas, was ich noch nicht glaube, was zu glauben jedoch für mich von Vorteil wäre, mit den visuellen Submodalitäten des Glaubens ausstatten. Damit überzeuge ich mich von dem, was der Inhalt des Bildes mich wissen lässt.

Paula: So einfach ist das?

Anna: Im Prinzip schon! Allerdings muss man die Ökologie von Glaubenssätzen berücksichtigen. Doch das nur nebenbei. Wichtiger erscheint mir eine Schlussfolgerung, die man daraus ziehen müsste, nämlich, dass Glauben und Zweifeln nicht das sind, wofür wir sie halten. NLP-Arbeiten mit Submodalitäten haben mich schon früh vermuten lassen, dass das, was wir Glauben und Zweifeln nennen, keine „geistigen“ Fähigkeiten oder Aktionen sind, wie allgemein angenommen wird, sondern Zustände, die sich bestimmten Strukturen in unseren Vorstellungen verdanken.

Paula: Aber was sind sie dann?

Anna: Genau das, was die Untersuchung zu Tage fördert: Strukturen von sensorischen Vorstellungen! Mit NLP lernte ich nicht nur eine Vielzahl therapeutischer Verfahren. NLP vermittelte mir auch den Verdacht, dass da kein persönliches „Ich“ am Werk ist, das den Körper bewegt, Verhalten und Handeln in Gang setzt und steuert. NLP vermittelte mir auch, dass Fähigkeiten, die für geistige Fähigkeiten gehalten werden, keine geistigen Fähigkeiten sind. So zeigt sich durch NLP-Analyse „Erkennen“ als Vergleich eines gegenwärtigen Eindrucks mit einer Erinnerung. Wollen besteht in einer bewegenden Emotion, die ein bestimmtes Verhalten auslöst. Glauben und Zweifeln zeigen sich als submodale Strukturen von sensorischen Vorstellungen, mit denen innere Zustände einhergehen.

Paula: Ganz schön heftig, was die Arbeit mit NLP bei dir ausgelöst hat!

Anna: Aber das war nicht alles, was die Arbeit mit NLP bei mir bewirkt hat. Ich habe immer wieder an einem Thema herumgeknabbert wie mein Hund an seinem Knochen, nämlich an der sensorischen Wahrnehmung. Im NLP habe ich gelernt, die sensorischen Eindrücke und Vorstellungen – VAKOG – als die grundlegenden Komponenten menschlichen Erlebens und Handelns zu betrachten. Aber was passiert eigentlich, wenn wir wahrnehmen? Wie kommt VAKOG zustande?

Paula: Darauf müssten doch die Sinnesphysiologen eine Antwort haben.

Anna: Genau! Um darauf eine Antwort zu finden, habe ich mir selbstverständlich ein Lehrbuch der Sinnesphysiologie vorgenommen. Und dann habe ich mir folgendes Szenario vorgestellt: Wenn ein wissenschaftlicher Beobachter in einem Labor den visuellen Wahrnehmungsprozess eines Probanden untersucht, dann sieht er, also der wissenschaftliche Beobachter, einen Gegenstand (1), von dem Licht ausgeht, das in das Auge des Probanden (2) trifft und in den Zellen der Netzhaut chemische Prozesse auslöst, die als elektrische Impulse ins Gehirn (3) eingehen und dort verarbeitet werden. Um den Überblick zu bewahren, kann ich das folgendermaßen aufzeichnen:

Paula: Okay, das ist ein Überblick, und was nun?

Anna: Ich habe mich jetzt gefragt, was der wissenschaftliche Beobachter und was der Proband wahrnimmt.

Paula: Und was soll dabei herauskommen?

Anna: Du wirst dich wundern: ein Unterschied.

Paula: Wie bitte?

Was der wissenschaftliche Beobachter visuell wahrnimmt

Anna: Pass auf! Der wissenschaftliche Beobachter hat bei seiner Arbeit Gegenstände vor sich, den Wahrnehmungsgegenstand – nehmen wir eine Vase an - und den physischen Körper des Probanden. Was zwischen der Vase und dem Auge des Probanden vor sich geht, kann er einem Lehrbuch der Physik, was im Auge passiert, einem Lehrbuch der Biologie, und was im Gehirn passiert, kann er einem Lehrbuch der Neurologie entnehmen. Mehr aber kann er nicht wahrnehmen oder in einem Lehrbuch beschrieben finden: Was der Proband wahrnimmt, kann der wissenschaftliche Beobachter nicht wahrnehmen.

Paula: Wieso nicht?

Anna: Ganz einfach. Im Gehirn des Probanden findet ein Neurologe kein Bild von der Vase, sondern nur feuernde Nervenzellen. Was der Proband visuell wahrnimmt, kann kein wissenschaftlicher Beobachter, kein Physiker, kein Biologe und kein Neurologe beobachten. Was ein anderer wahrnimmt, kann man nicht wahrnehmen. Wenn der wissenschaftliche Beobachter wissen will, was der Proband wahrnimmt, muss er den Probanden fragen.

Paula: Das kann ich nachvollziehen. Aber du hast doch eben behauptet, dass sich die Wahrnehmungen von Beobachter und Proband unterscheiden.

Was der Proband visuell wahrnimmt

Anna: Genau. Wenn ich mich nun in die Position des Probanden versetze, ergibt sich Folgendes: Der Proband kann den Wahrnehmungsgegenstand – die Vase – nicht wahrnehmen.

Paula: Warum das denn nicht?

Anna: Weil die Vase nicht als das, was sie ist, in den Wahrnehmungsprozess eingeht. Der Proband kann auch das Licht nicht wahrnehmen, weil auch dieses nicht als das, was es ist, ins Gehirn eindringt. Der Proband kann seine Augen nicht wahrnehmen, auch nicht die Prozesse, die in der Netzhaut ablaufen, und auch die nicht, die im Gehirn stattfinden. Die Vase, das Licht, das Auge, das Gehirn und die darin ablaufenden Prozesse tauchen in den Wahrnehmungen des Probanden gar nicht auf. Der Prozess des Wahrnehmens (des Probanden) taucht nur im System der Eindrücke des wissenschaftlichen Beobachters auf. Der Proband selber nimmt nur einen visuellen Eindruck wahr. Woher dieser Eindruck kommt und wie er zustande kommt, bleibt verborgen.

Paula: Aber sein Eindruck muss doch irgendwie mit seiner sensorischen Ausstattung zusammenhängen, weil beispielsweise Hirnverletzungen den sensorischen Eindruck beeinflussen.

Anna: Ja, aber niemand kann den Zusammenhang zwischen neuronalen Prozessen und dem wahrgenommenen Eindruck aufzeigen.

Paula: Merkwürdig!

Was ein zweiter wissenschaftlicher Beobachter wahrnimmt

Anna: Wart‘s ab! Meine Untersuchung des Wahrnehmungsprozesses führt zu einem weiteren überraschenden Ergebnis.

Paula: Und das wäre?

Anna: Dem wissenschaftlichen Beobachter ergeht es mit seiner Wahrnehmung nicht anders als dem Probanden.

Paula: Das glaube ich nicht!

Anna: Dann hör zu. Ich führe jetzt in meinem Denkexperiment einen zweiten wissenschaftlichen Beobachter ein, der den Wahrnehmungsprozess des ersten wissenschaftlichen Beobachters beobachtet. Was der beobachtet, könntest du dir denken.

Paula: Der zweite wissenschaftliche Beobachter sieht die Gegenstände, die Vase und die Körper des Probanden und des ersten wissenschaftlichen Beobachters im Versuchslabor, von denen Licht ausgeht, in das Auge des ersten wissenschaftlichen Beobachters trifft und in den Zellen der Netzhaut chemische Prozesse auslöst, die als elektrische Impulse ins Gehirn eingehen und dort verarbeitet werden. Das hast du doch eben beschrieben.

Anna: Richtig! Und was ist, wenn der zweite wissenschaftliche Beobachter wissen will, was der erste wissenschaftliche Beobachter wahrnimmt? Wie kommt er zu diesem Wissen?

Paula: Wie kommt der zweite wissenschaftliche Beobachter zu dem Wissen, was der erste wissenschaftliche Beobachter wahrnimmt? Er muss ihn fragen!

Anna: Genau! Auch er muss fragen. Wenn der zweite wissenschaftliche Beobachter wissen will, was der erste wissenschaftliche Beobachter wahrnimmt, muss auch er ihn fragen, denn was der erste wissenschaftliche Beobachter wahrnimmt, kann der zweite nicht wahrnehmen.

Paula: Könntest du das nochmal sortieren. Ich finde das doch etwas verwirrend.

Anna: Das mache ich. Nehmen wir das erste Paar: Wissenschaftlicher Beobachter und Proband. Der wissenschaftliche Beobachter kann den Wahrnehmungsprozess des Probanden wahrnehmen bis zu dessen neuronalen Aktivitäten. Was der Proband wahrnimmt, kann er nicht wahrnehmen. Er muss es erfragen. Der Proband kann seinen Wahrnehmungsprozess nicht wahrnehmen. Er nimmt nur einen visuellen Eindruck wahr. Hast du das?

Paula: Habe ich.

Anna: Nehmen wir jetzt das zweite Paar: Der zweite wissenschaftliche Beobachter beobachtet den ersten wissenschaftlichen Beobachter. Der zweite wissenschaftliche Beobachter kann den Wahrnehmungsprozess des ersten wissenschaftlichen Beobachters wahrnehmen bis zu dessen neuronalen Aktivitäten. Was der erste wissenschaftliche Beobachter wahrnimmt, kann er nicht wahrnehmen. Er muss es erfragen. Der erste wissenschaftliche Beobachter kann seinen Wahrnehmungsprozess auch nicht wahrnehmen. Auch er nimmt nur einen visuellen Eindruck wahr.

Paula: Dem ersten wissenschaftlichen Beobachter ergeht es also nicht anders als seinem Probanden.

Anna: Genau das!

Es gibt nur Wahrnehmungen (VAKOG), deren Quelle verborgen bleibt.

Anna: Jeder weitere wissenschaftliche Beobachter, wenn ich ihn einführte, würde zu keinem anderen Ergebnis führen. Es gibt nur Wahrnehmungen, deren Quelle verborgen bleibt. Und Wahrnehmungen können wir nur selber haben, aber bei anderen nicht wahrnehmen. Wir alle aber nehmen, wenn wir über Wahrnehmung reden, naiv die Position des ersten wissenschaftlichen Beobachters ein und gehen davon aus, dass es da draußen Gegenstände, materielle Körper, gibt, von denen Licht ausgeht, das in der Netzhaut des Auges chemische und im Gehirn elektrische Prozesse auslöst, die zur Wahrnehmung der Körper führen. Wir alle nehmen aber keine Gegenstände wahr, kein Licht, kein Auge, kein Gehirn und keine darin ablaufenden Prozesse. Wir haben nur VAKOG, sensorische Eindrücke, die uns gegeben sind, und von denen wir nicht wissen können, woher sie kommen.

Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken

Anna: Zur Wahrnehmung gehört aber nicht nur Sehen, sondern mehr, nämlich auch Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken. Ich beginne mit Hören. Wie läuft Hören ab, wenn ein wissenschaftlicher Beobachter einen Probanden dabei beobachtet? Schallwellen durchqueren den Gehörgang und treffen auf das Trommelfell. Die Schwingungen werden auf die Flüssigkeit im Innenohr (die Cochlea) übertragen. Die darin befindlichen Haarzellen erkennen die Schwingungen und wandeln sie in Signale für den Hörnerv um. Der Hörnerv übermittelt die Informationen mit elektrischen Impulsen an das Gehirn.

Paula: Und dann hören wir etwas.

Anna: Weiter: Wie funktioniert Riechen? Duftstoffe sind chemische Verbindungen, die durch die Luft in die Nase gelangen, In deren Riechschleimhaut befinden sich Riechzellen mit feinen Härchen (den Zilien), die Duftmoleküle erkennen und über einen Nervenfortsatz elektrische Impulse zum Gehirn weiterleiten.

Paula: Und wie funktioniert Schmecken?

Anna: In der Schleimhaut der Zungenoberfläche liegen kleine Erhebungen und Vertiefungen, die Geschmacksknospen, in denen Sinneszellen die chemischen Stoffe erkennen und in neuronale Signale umwandeln.

Paula: Und nun Tasten.

Anna: Verschiedene Sinneszellen und Nervenenden, die unterschiedlich tief in der Haut liegen, reagieren auf feinste Berührungen, Vibration, Druck, Temperatur und Schmerz. Alle diese Sinneszellen melden ihre Erregung durch das Rückenmark an das Gehirn. Aber nicht nur die Haut enthält Sensoren, die Erregungen an das Gehirn weiterleiten. Auch in den Muskeln, Sehnen und Gelenken gibt es Sensoren, die Rückmeldungen über den Bewegungsablauf an das zentrale Nervensystem liefern. Auch Hunger und Durst und andere physische Bedürfnisse, darüber hinaus Gefühle wie Freude und Angst werden neuronal vermittelt.

Paula: Jetzt hast du alle Sinne beieinander.

Anna: Genau. Ich habe jetzt alle Elemente der sensorischen Wahrnehmung versammelt. Sehen (V für visuell), Hören (A für auditiv) Tasten (Kt für kinästhetisch taktil) Empfinden (Kp für kinästhetisch propriozeptiv) Fühlen (K oder E für Emotionen), Riechen (O für olfaktorisch) und Schmecken (G für gustatorisch): VAKOG. Wie diese neuro- und sinnesphysiologischen Prozesse ablaufen, ist natürlich sehr viel komplexer als ich sie hier beschrieben habe. Aber die Eindrücke, die meine Wahrnehmung ausmachen, kommen alle vermittels oder ausgelöst durch neuronale Aktivität zustande. Auch die kinästhetischtaktilen Eindrücke, die uns die Festigkeit und Undurchdringlichkeit der „materiellen“ Körper vermitteln, kommen ausgelöst durch neuronale Aktivität zustande. Wenn ich nun frage, welcher Art oder von welcher Beschaffenheit oder welcher Natur diese Eindrücke sind, oder die Frage so stelle: was sind Eindrücke, dann muss ich festhalten: Sie müssen alle von gleicher Art sein, von gleicher Beschaffenheit oder gleicher Natur.

Paula: Und was ist deren Natur?

Anna: Alle sind sensorische Eindrücke, oder neutral formuliert: sensorische Befunde.

Paula: Bilder, Klänge, Gefühle, Gerüche und Geschmack sollen gleichartig sein?

Anna: Genau.

Paula: Aber Bilder, Klänge, Gefühle, Gerüche und Geschmack sind doch sehr verschieden. Wenn ich etwas sehe und höre, ist das doch etwas ganz anderes als wenn ich mir meinen Kopf anstoße und den Schmerz fühle.

Anna: Aber was vermittelt dir das schmerzhafte Gefühl?

Paula: Neuronale Aktivität.

Anna: Und was vermittelt dir ein Bild oder ein Lied?

Paula: Neuronale Aktivität.

Anna: Dass alle sensorischen Eindrücke von gleicher Natur sind, kannst du dir klar machen, wenn du an Träume denkst: Wenn du dich an Träume erinnerst, weiß du doch, dass der Traumtisch, an dem du dich im Traum gestoßen hast, der Traumbecher, den du gesehen und aus dem du getrunken hast, die Traummelodie, die du gehört, die Traumblume, die du gerochen und der Traumwein, den du gekostet hast, dass das alles sensorische Eindrücke waren und nichts als sensorische Eindrücke. In Träumen zeigt sich wie im Wachen eine ganze Welt sensorischer Eindrücke.

Paula: Aber wenn ich wach bin, erlebe das nicht so.

Anna: Dann denke an Filme. Wenn du einen Film anschaust, gehst du auch davon aus, auf der Leinwand Gegenstände wahrzunehmen. Mein Hund ist so naiv, dass er einen Hund auf dem Bildschirm des Fernsehers für einen Eindringling in sein Revier hält und ihn mit bösem Bellen vertreiben will. Du weißt jedoch, da sind keine Gegenstände. Da sind nur visuelle Eindrücke.

Paula: Da sind keine Gegenstände. Da sind nur visuelle Eindrücke. Ich verstehe, was du sagst, aber mein Verständnis verflüchtigt sich immer wieder.

Anna: Ich weiß, dass es schwierig ist, das festzuhalten. Mir geht es nicht anders. Aber ich will es wenigstens versuchen. Selbst wenn ich als wissenschaftlicher Beobachter (vorläufig) davon ausgehe, dass da ein von mir und dem Probanden unabhängiger Gegenstand, ein materielles Ding, vorhanden ist, von dem Licht ausgeht, das in den Netzhautzellen der Augen chemische Prozesse auslöst, die als elektrische Impulse im Gehirn verarbeitet werden, kann ich nicht annehmen, ein solches unabhängiges materielles Ding auch bei 4 VAKOG wiederzufinden. Eindrücke sind das Einzige, was wir wirklich haben.

Paula: Das hat Lichtenberg schon gesagt.

Nisargadatta Maharaj: Die Welt, Ich und der Ablauf der Wirklichkeit

Paula: Aber nicht nur NLP hat deine Auffassung der Wirklichkeit verunsichert, wie ich mitbekommen habe.

Anna: Richtig. Nach der Jahrtausendwende begann ich, Bücher zu lesen, die festhielten, was indische Weise gelehrt haben: Ramana Maharshi: „Sei, was du bist“1 und die drei Bände mit den Lehren von Nisargadatta Maharaj: „Ich bin“2. Das war für mich schwieriger Stoff.

Paula: Schwierig inwiefern?

Anna: Normalerweise bin ich in der Lage, neue Erkenntnisse in mein schon vorhandenes System von Erkenntnissen zu integrieren, auch wenn dabei das Vorhandene nicht in der Form bestehen bleibt, die es vorher innegehabt hat. Ich las die drei Bände von „Ich bin“ von Nisargadatta Maharaj und verstand so gut wie nichts. Aber ich ließ mich nicht beirren und nahm das auf, was ich verstehen konnte. Damit hatte ich kleine Inseln von Verstandenem in einem Meer von Unbegreiflichem. Beim zweiten Lesen wurden diese Inseln größer, so dass ich mir einbilden konnte, irgendwann stehe ich auf festem Boden und verstehe alles.

Paula: Das heißt, du hast dir herausgepickt, was du verstehen konntest und das andere erst einmal beiseitegelassen in der Hoffnung, es später verstehen zu können.

Anna: Genau so! Der erste Satz, den ich verstand, war: „Wirklichkeit muss immer wirklich sein“.3 Diese Aussage leuchtete mir ein. Es gibt nichts auf der Welt, was sich nicht verändert, was also im Bruchteil einer Sekunde etwas anderes ist, als es vorher war. Selbst Steine und Metalle sind nur relativ beständig. Auch der Erdball ist nicht beständig. Die Kontinentalplatten verschieben sich. Sogar das Universum ist im Fluss. Sterne entstehen und vergehen. Was ich für Gegenstände in meiner Umwelt halte, sind keine beständigen Körper oder Dinge. Als solche sind sie nicht wirklich.

Paula: Aber was sind sie dann?

Anna: Auf diese Frage hatte ich schon eine NLP-Antwort: Es sind sensorische Eindrücke, Sichtbares, Hörbares, Fühlbares etc. Eindrücke sind ja nicht Nichts. Nur wenn man sie als von unserer Wahrnehmung unabhängige unbelebte und belebte materielle Körper auffasst, unterliegt man einem Irrtum. Als Verbindungen, als „Komplexe“ von sensorischen Eindrücken sind sie gewiss.

Paula: Das verstehe ich immer noch nicht.

Anna: Denke doch mal daran, was du erlebst, wenn du einen Film anschaust. Dabei bildest du dir doch auch ein, dass du Gegenstände wahrnimmst.

Paula: Richtig.

Anna: Aber du weißt ganz genau, dass du es nur mit visuellen Eindrücken zu tun hast, Licht, Farben, Kontraste und so weiter.

Paula: Stimmt.

Anna: Auch wenn du träumst, gehst du davon aus, dich in einer zwar seltsamen, aber doch gegenständlichen Umwelt zu befinden, und weißt doch hinterher, wenn du aufgewacht bist, da waren keine Gegenstände, nur sensorische Eindrücke, da war nur ein Traum.

Paula: Stimmt.

Anna: Auch ein Traum ist nicht Nichts. Als du träumtest, befandst du dich in einer Welt von Eindrücken, aber nicht in einer wirklichen Welt, sondern in einer Traumwelt.

Paula: Stimmt.

Anna: Nisargadatta Maharai drückt das so aus: „Es ist nicht so, dass die Welt nicht existieren würde. Die existiert sehr wohl, aber nur als Erscheinung innerhalb des Bewusstseins“.4 Und er fragt: „Was die Welt oder das Universum betrifft, unterscheiden sie sich in ihrem Wesen in irgendeiner Weise von der Welt, die Sie in ihren Träumen erschaffen? Ist diese nicht aus denselben Bestandteilen zusammengesetzt … wie das, was Sie die wirkliche Welt nennen?“ 5

Paula: Aber eine Traumwelt gibt es nur, wenn ich träume.

Anna: Du meinst, die wirkliche Welt existiert nicht nur in einem Traum, sondern hat, wie dauerhafte Dinge zeigen, schon lange, auch bevor wir geboren wurden, existiert?

Paula: Ja, so ähnlich.

Anna: Diesen Einwand kann Maharaj widerlegen. „In Ihrer Traumwelt gibt es ebenfalls Dinge, die offensichtlich schon lange existiert haben, wie Erde, Mond und Sterne, Berge, Häuser und Kathedralen.6 Wie können Sie wissen“, fragt er einen seiner Zuhörer, „dass diese Welt, die Sie wirklich nennen, nicht ebenfalls ein Traum ist? Es ist ein Traum, aus dem Sie sich aufwecken müssen, indem sie das Falsche als falsch erkennen, das Unwirkliche als unwirklich, das Vergängliche als vergänglich.“ 7

Paula: Dieser letzte Satz ist dir sehr wichtig, stimmt‘s?

Anna: Das ist er wirklich. Meine gesamten Bemühungen kann ich in dieser Aussage zusammenfassen: Ich hoffe, dass ich das kann: das Falsche als falsch erkennen.

Paula: Aber das war doch nicht alles, was Nisargadatta Maharaj dir vermittelt hat.

Anna: Das ist richtig. Es war auch nicht einmal das Wichtigste.

Paula: Und was war das Wichtigste?

Anna: Das, was er über das „Ich“ sagt. Das war sein wichtigstes Anliegen, nämlich seinen Zuhörern zu vermitteln, was sie sind, oder was das ist, was sie als ihr „Ich“ begreifen. Dabei versucht er ihnen klar zu machen, was sie nicht sein können:

Paula: Warum so umständlich?

Anna: Das ist nicht umständlich. Maharaj geht davon aus, dass man positiv gar nicht sagen kann, was das „Ich“ ist.

Paula: Aber wenn man die Leute fragt, was sie unter ihrem „Ich“ verstehen, deuten sie entweder auf ihre Brust oder ihre Stirn.

Anna: Ja, das tun sie. Aber können sie in ihrer Brust oder hinter ihrer Stirn ein „Ich“ finden? Was es dort zu finden gibt, können nur Körperzellen oder Nervenzellen sein. Kann das, was „Ich“ bin, aus Körper-und/oder Nervengewebe bestehen, aus Zellen, die sich permanent aufbauen und wieder abbauen?

Paula: Hhm!

Anna: Denk doch mal nach! Als neugeborenes Baby, dann als Kind, als Jugendlicher und als Erwachsener sind Menschen sowohl stofflich als auch der Form nach verschieden. Wir können deshalb nicht unser Körper sein, weil unser Körper der veränderlichen Welt der sensorischen Eindrücke angehört, die keinen Augenblick das bleiben, was sie sind.

Paula: Das sagt Maharaj.

Anna: Ja, und er fragt einen Zuhörer: „Gibt es irgendeine besondere Form von Identität, die Sie ganz Ihr Eigen nennen können und die immer bei Ihnen bleibt, unverändert und unveränderbar?“8

Paula: Hhm.

Anna: Für Maharaj ist es eine unbestreitbare Tatsache, dass wir ganz offensichtlich nicht das sein können, was wir wahrnehmen: Der Wahrnehmende muss verschieden vom Wahrgenommenen sein.9 Wenn ich auf etwas, das ich vor mir wahrnehme, deute, dann kann das, worauf ich deute, nicht ich selbst sein.

Paula: Aber ich kann doch auf meinen Körper deuten!

Anna: Aber woraus besteht denn dein Körper?

Paula: Aus Körperzellen.

Anna: Und wenn du jetzt tot umfällst, sind noch alle Körperzellen da. Welche bilden dein „Ich“?

Paula: Hmm? Was aber ist das „Ich“, wenn es nicht der Körper sein kann?

Anna: Die Antwort darauf müsste zweierlei Kriterien genügen:

Paula: Das hast du schon gesagt: Es darf sich nicht verändern und es kann kein Objekt sein.

Anna: Richtig. „Denn was Sie als dies oder das bezeichnen, können Sie nicht selbst sein“, so Maharaj.10

Paula: Was kann das sein, das kein Objekt ist und sich nicht verändert?

Anna: Es kann nichts sein, was der veränderlichen Welt angehört.

Paula: Was kann denn existieren, ohne der veränderlichen Welt anzugehören?

Anna: Dies ist Maharajs Antwort darauf: Was sich nicht ändert, während alles andere sich ändert, ist das beständige Gefühl von Anwesenheit, das Wissen, dass Sie existieren. Dieses Gefühl von „Ich bin“ hat sich nie geändert und ändert sich nie. Sie wissen es ohne irgendeinen Zweifel und ohne irgendeine Bestätigung dafür zu brauchen.11

Paula: Ich soll ein Gefühl sein?

Anna: Maharaj spricht hier vom „Gefühl“ der Anwesenheit. An manchen Stellen finde ich außer dem „Gefühl von Ich bin“ auch den Ausdruck von einem „Gedanken Ich bin“. Dabei geht es aber nicht um ein sensorisches Gefühl und auch nicht um etwas, was als Gedanke auftaucht. Es gibt überhaupt kein Wort für das, was „Ich bin“. An manchen Stellen versucht Maharaj, zu verdeutlichen, was er das Gefühl von Anwesenheit nennt, indem er es ein „unmittelbares Gefühl von Existenz und Anwesenheit“ bezeichnet und hinzufügt: „Aber es ist nicht meine Anwesenheit, sondern Anwesenheit als solche. Wenn das Bewusstsein abwesend ist, im Tiefschlaf oder unter Narkose beispielsweise, gibt es kein Gefühl einer eigenen Existenz oder Anwesenheit, geschweige denn der Existenz einer Welt und ihrer Bewohner …“ Aber wenn ich aus dem Schlaf oder der Narkose erwache, entsteht – so formuliert es Maharaj – „ein unmittelbares Gefühl von Existenz und Anwesenheit. Aber es ist nicht meine Anwesenheit, sondern Anwesenheit als solche.“12

Paula: Damit habe ich Schwierigkeiten.

Anna: Ich auch. Aber ich bringe nochmal ein paar Zitate von Maharaj. Vielleicht ist eine Aussage darunter, die dir mehr einleuchtet. Das „Ich“ ist nach Maharaj kein Objekt. „Es ist jenseits aller Dinge.“13 „Das Ich ist nichts, auf das man deuten könnte und sagen: das bin ich“14, „denn im „das“, das heißt in einer sensorischen Wahrnehmung, gibt es kein „Ich bin“15. Das „Ich“ kann man nicht beschreiben, außer als totale Negierung. Das Ich ist weder der Körper noch der Verstand.16 Das Ich, das wir sind, ist zeitlos und raumlos und nicht durch die Sinne wahrnehmbar.17 Schon der eigentliche Akt der Wahrnehmung zeige, so Maharajs Antwort auf eine Frage seine Zuhörer, „dass Sie nicht sind, was Sie wahrnehmen. Kann es Wahrnehmung oder Erfahrungen ohne Sie geben? Eine Erfahrung muss jemandem gehören. Jemand muss sie als seine eigene Erfahrung bezeichnen.“18 Dies alles sind Hinweise für seine Zuhörer, die auf der Suche nach sich selber sind. Intellektuelle jedoch wollen Beweise, und die kann es nicht geben.19 Aber jede intelligente Person muss nach Maharaj zugeben, dass „Ich bin“ - das Gefühl bewusster Anwesenheit, das Gefühl zu sein – der einzige Beweis ist, den sie erhalten können.20

Paula: Ich kann mich aber nicht mit „Anwesenheit als solcher“ identifizieren.

Anna: Ich auch nicht. Allerdings glaube ich schon lange nicht mehr, mein Körper zu sein.

Paula: Und was ist damit, mich für eine Person zu halten?

Anna: Gute Frage. Auch wenn Menschen vielleicht zugeben können, nicht der Körper zu sein, so halten sich selber doch für eine Person und legen dabei die Erfahrungen eines ganzen Lebens zugrunde. Solchen Einwänden hält Maharaj den Hinweis entgegen, dass ihre Erfahrungen eine Person gar nicht ausmachen können. Denn was sind denn Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe? Es sind nichts als Erinnerungen, abgespeicherte Kopien von einst gegenwärtigen Erfahrungen. In Wahrheit gibt es gar keine Person, so Maharaj. Bilder, Klänge, Gefühle, Worte und Gedanken sind in endloser Folge abgelaufen, haben Spuren hinterlassen und die Illusion von Dauer geschaffen. „Natürlich ist ein Gefühl von Identität vorhanden, aber es ist die Identität einer Erinnerungsspur, wie die Identität einer Abfolge von Bildern auf der immer vorhandenen Leinwand.“21

Paula: