Vielgeliebte Falsette - Ewald Gerhard Seeliger - E-Book

Vielgeliebte Falsette E-Book

Ewald Gerhard Seeliger

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Beschreibung

Nach Ende des dreißigjährigen, männermordenden Krieges ist der Herzog bestrebt, das verödete Land schnellstmöglich wieder aufzuvölkern. Aus diesem Grunde erlässt er ein Edikt, wonach jeder gesunde, kräftige Mann nicht nur ein Weib, sondern auch ein zweites und drittes mit gleichen Pflichten und Rechten freien darf. So wird Falsette gleich dreimal gezeugt. Ihre Schönheit verwirrt von frühester Jugend an die Sinne und Herzen der Männer. Doch ihre Liebe gehört nur einem, dem edlen Junker Gustav von Telkow. Böse Intrigen vereiteln die Eheschließung. Falsette wird entführt und landet in einem Buhlhaus. Ihr Schicksal verschlägt sie in die Metropolen der damaligen Welt bis in den Orient. Auf ihrer abenteuerlichen Irrfahrt lernt sie viele Männer kennen und lieben, doch ihre große Liebe, Gustav von Telkow, vergisst sie nie. Wird sie ihm jemals wieder begegnen? Ein prachtvoller, lebendiger und spannender historischer Roman der Barockzeit.

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Ewald Gerhard Hartmann (Ewger) Seeliger

geboren am 11. Oktober 1877 in Schlesien, zu Rathau, Kreis Brieg, gestorben am 8. Juni 1959 in Cham/Oberpfalz, zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts.

Zu seinen bekanntesten Werken gehört „Peter Voß der Millionendieb“. Seine schlesische Heimat beschreibt er in „Siebzehn schlesische Schwänke“, „Schlesien, ein Buch Balladen“, „Schlesische Historien“ und in vielen Romanen.

Seine beiden erotischen Barockromane „Junker Schlörks tolle Liebschaften“ und „Vielgeliebte Falsette“ wurden in der Adenauerzeit der BRD auf den Index gesetzt und somit verboten.

Seeligers skurrile Autobiographie ist unter dem Titel „Messias Humor“ erschienen.

Inhaltsverzeichnis

Wie sie zum ersten Mal gezeugt wurde

Wie sie zum anderen Mal gezeugt wurde

Wie sie zum dritten Mal gezeugt wurde

Wie sie am Schussiner Markt teilgenommen

Wie sie auf die Pfarrhausschwelle gelegt worden

Wie sie zu Dobriwalk aufgewachsen

Wie die drei Buben mit ihr hochzeiten wollten

Wie sie ihre Großmutter bewirtet

Wie sie nach Lübeck verkauft werden sollte

Wie sie aus dem Adebarsee erlöst wurde

Wie sie zu Telkow glücklich gewesen

Wie sie vom Grafen adoptiert werden sollte

Wie sie trotzdem ins Güldene Ringlein geraten

Wie sie auch im Unglück ihre Tugend zu wahren versuchte

Wie sie doch noch daran glauben musste

Wie sie dem Buhlhaus entronnen

Wie sie mit zwei Brüdern der Seefahrt oblag

Wie sie sich zu Lübeck den Hof machen ließ

Wie sie auch in Hamburg nicht unter die Haube kam

Wie sie als eine Gräfin nach Holland fuhr

Wie sie über Zütphen nach Amsterdam gelangte

Wie sie den Antichrist zur Welt bringen sollte

Wie sie einen ins Tollhaus befördert

Wie sie in den Harem eines Kaisers kam

Wie sie anstatt nach Midnapur nach Batavia gelangt

Wie sie ihre Freiheit wiedergewann

Wie und durch wen sie ihren Befreier verlor

Wie sehr ihr das Glück wieder untreu wurde

Wie sie eines Herrschers Hand ausschlug

Wie sie nicht niederknien wollte

Wie ihr der Wille Gottes offenbart wurde

Wie sie aus dem Pavillon der Beschattung geworfen wurde

Wie und mit wem sie gen Mekka pilgerte

Wie und wo ihr die Schuppen von den Augen fielen

Wie sie für hundert Zechinen an den türkischen Großwesir verkauft werden sollte

Wie sie zu Rom einen alten Bekannten traf und eine Freundin fand

Wie sie in Venedig von einem Herzog hofiert wurde

Wie sie aus Treue untreu wurde

Wie sie in ein französisches Kloster gesteckt wurde

Wie und durch wen sie vor dem Schleier bewahrt wurde

Wie sie doch noch zu ihrer Erbschaft kam

Wie sie in die Heimat zurückkehrte und nach einer glücklichen Ehe in die Ewigkeit einging

Nachwort

Du schwebst, o Schönheit, zwischen Fluch und Segen

Und lockst mit allen Reizen deiner Gunst,

Du weißt der Dumpfheit Lüste zu erregen,

Wohin du blickst, entzündet sich die Brunst,

Du lenkst das Gold, die Griffel und die Degen,

Und wo du bist, erblüht das Reich der Kunst:

Du straffst den Schöpfungsfinger bis zur Beugung,

Weltmeisterin der Zeugung und der Saugung.

1. Wie sie zum ersten Mal gezeugt wurde

Als das dreißigjährige Männermorden zu Ende war, und der Herzog, um das verödete Land schneller aufzuvölkern, das Edikt erlassen hatte, wonach jeder gesunde, kräftige Mann, ausgenommen die höhere und niedere Geistlichkeit, bei Lebzeiten seines ersten Weibes und neben ihm mit gleichen Rechten und Pflichten ein zweites und nach Vermögen auch ein drittes Weib freien dürfe, schritt der Pfarrer Seyfried Drömpel in der Abenddämmerung des letzten Maitages durch den dichten Buchenhain, der zwischen Telkow und Dobriwalk lag.

Dieser sechsunddreißigjährige, vierschrötige und starkknochige Dorfseelenhirte, der Sohn eines Rostocker Bierbrauers, hatte vor zwei Jahren seine Ehefrau Karoline, eines Güstrower Bäckermeisters Tochter, in ihrem ersten Wochenbett samt dem Kindlein verloren und lebte zurzeit noch in dem Stande der christlichen Witwerschaft. Die Wirtschaft in Haus und Hof führte ihm die achtundsechzigjährige Tante Gesina Glubsch, die aber schon so gebrechlich war, dass sie es nicht mehr allein schaffen konnte, und ihm schon längere Zeit in den Ohren lag, dass er sich wieder beweiben müsse.

„Nimm die Katharina Mengel.“

„Ihr Trauerjahr ist noch nicht herum.“

„Wenn du es anstehen lässt, wird dir ein anderer zuvorkommen. Hinter so einer jungen und hübschen Witib, die ihre zehntausend Taler im Kasten hat, sind alle her. Also zögere nicht länger und mach dich endlich ans Werk!“

„Ich werde sie besuchen.“

„Aber mit schönen Worten ist es nicht getan. Sie ist jetzt neun Monate vom Manne. Sie hat Blut geleckt, und es ist ihr schon zuzutrauen, dass sie den Kater nicht im Sack kaufen will. Wer zuerst den Mut hat, ihr unter die Röcke zu kommen, der hat sie. Das lass dir gesagt sein! Darum stell den Pfarrer solange in die Ecke und zeig ihr den Mann. Bei ihr musst du gleich aufs Ganze gehen. Nur so kannst du das Spiel gewinnen. Sie nimmt dich nur, wenn du ihr behagst.“

An dieses wichtige Gespräch, das schon vor etlichen Tagen stattgefunden hatte, erinnerte sich Seyfried Drömpel auf das deutlichste, als er am Abend des letzten Maitages den zwischen Telkow und Dobriwalk gelegenen Buchenhain durchschritt, um nach Hause zurückzukehren.

Unterdessen ließ sich drüben im Haselbuschknick am Nixenweiher eine Nachtigall vernehmen.

Aber Seyfried Drömpel hörte nicht auf ihr herzbetörendes Flöten und Schluchzen, dieweil er an die verlockend reiche und bildhübsche Witwe des durch einen wildgewordenen Stier ums Leben gebrachten Schussiner Viehhändlers Benjamin Mengel denken musste, die bald nach seinem Begräbnis gen Dobriwalk zurückgekehrt war, um in dem von ihren Eltern ererbten Häuschen, das am Anfang des Dorfes etwas abseits vom Wege lag, einen ehrbaren und gottwohlgefälligen Lebenswandel zu führen.

Ja, ich begehre sie, sprach er zu sich selbst, ich begehre sie auf das allerheftigste, und ich werde nicht dulden, dass mir ein anderer bei ihr zuvorkommt! Und wenn ich sie jetzt hier im Düstern zufällig träfe, so würde ich kein langes Federlesen mit ihr machen, zumal in solchen schweren Landesnöten!

Damit griff er in seine rechte Flauschrocktasche und fingerte nach dem Ledersäcklein, darin auf Heller, Groschen und Taler die Telkower Stolgebühren steckten, deren Eintreiben ihm soeben Mühe genug gekostet hatte, denn das gute Geld war überaus rar geworden im Laufe des langen Krieges. Zudem war die übliche Gottesfurcht von dem gar zu hart geplagten Landvolk merklich gewichen, und das neue Edikt des herzoglichen Landesvaters war keineswegs dazu angetan, dieses Grunderfordernis für den Untertanengehorsam wieder heranzulocken und herbeizuzaubern.

Heute noch versuche ich es bei ihr, nahm er sich vor, als er aus dem Buchenhain trat und Katharina Mengels Häuschen im Scheine der untergehenden Sonne vor sich liegen sah.

Mit jedem Schritt wuchs sein Begehren, bis er beim Näherkommen merkte, dass die Esse nicht rauchte und die Fensterläden geschlossen waren.

Sie ist nicht daheim! seufzte er und ging vorüber.

Kaum aber hatte er das Häuschen hinter sich gelassen, hörte er die Gartenpforte fiepen, und sogleich wandte er sich um und blieb stehen.

Es war noch so hell, dass er das rote Leibchen, den weitgefältelten, blauweißgestreiften Beiderwandrock, der ihr gerade noch über die Knie reichte, die hellgrünen, selbstgewirkten Zwickelstrümpfe, in denen ihre schlanken Beine steckten, und die schneeweiße Flügelhaube erkennen konnte.

Den Mantel trug sie über dem linken Arme.

Da geht sie hin, dachte er, während ihm die Eifersucht wie ein quälender Ball zur Kehle quoll. Im besten Sonntagsstaat! Nach Schussin! Was tut sie dort? Bald ist es stockfinster! Es könnte ihr etwas zustoßen! Ich werde sie nicht allein gehen lassen!

Und schon eilte er ihr mit kühnen Tritten nach.

Sie merkte es wohl, denn sie begann plötzlich zu eilen, und er beschleunigte gleichfalls seinen Schritt und kam ihr immer näher und näher.

„Katharina!“, rief er, als sie dicht hintereinander in die Dunkelheit des Haines tauchten.

Aber sie blieb nicht stehen, wandte sich auch nicht nach ihm um, sondern sie hastete weiter, bog plötzlich vom Wege ab und fing an zu laufen, querwaldein auf den Nixenweiher zu.

Um sie in der Dunkelheit nicht aus den Augen zu verlieren, jagte er ihr mit langen Sprüngen nach.

Sie schlug zwei Haken, ohne ihn loswerden zu können, und lief dabei unversehens gegen einen am Boden liegenden ellendicken Baumstamm, blieb mit dem Rocksaum daran hängen, kippte nach vorn, ließ den Mantel fallen, begann zu strampeln und bot ihm alles dar, was eine junge hübsche Witwe zu zeigen hat, um einem Witwer die Besinnung zu rauben.

Und so konnte er sich denn nicht enthalten, den Rat der Muhme zu befolgen.

„O Katharina!“, ächzte er im Rausch des Begehrens, griff ihr an die runden Hüften und ging aufs Ganze.

Und sie sträubte sich nicht, ließ es geschehen und gurrte dazu wie eine brünstige Waldtaube.

Dazu schlug die Nachtigall im nahen Busch ihre Glockentriller, und die Frösche des Nixenweihers strichen dazu den Kontrabass.

„O Katharina!“, stöhnte Seyfried Drömpel, als er es siegreich vollbracht hatte, und half ihr vom Stamme herunter. „Habe ich dir behagt?“

„Ei gewiss, Hochehrwürden!“, kicherte sie, schlang die Arme um ihn, barg ihr Gesicht an seiner Brust und stibitzte ihm, ohne dass er es merkte, das Säcklein mit den Stolgebühren aus der Tasche.

Darauf bückte sie sich rasch nach dem Mantel, wobei sie das Säcklein in dessen Falten verschwinden ließ, holte mit der Rechten aus, versetzte dem Pfarrer von Dobriwalk eine vortrefflich gezielte Maulschelle und entsprang ihm mit füchslicher Hurtigkeit in die Nacht hinein.

Da erwachte er denn aus dem Taumel seiner Brunst, und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.

Und er rieb sich die wohlgetroffene Stelle und dachte: Das war Katharina Mengel nicht! Das war die Diebin, die ihr die Kleider aus dem Kasten geraubt hat!

„Pfui, du alter Hurenbock!“, schallte es im nächsten Augenblick über den Nixenweiher an sein Ohr.

Dieses harte Wort durchbohrte seine Seele wie ein glühendes Schwert. Unwillkürlich tastete er nach dem Geldsäcklein. Es war verschwunden.

Und er knirschte in sich hinein: Das ist eine geile Landstörzerin gewesen, der jeder Mann recht ist, der was im Beutel hat!

Und er fiel auf seine Knie und seufzte händeringend: „Herr, mein Gott, vergib mir diese Sünde, die ich aus begreiflicher Unkenntnis und in der Finsternis begangen habe!“

Und die Nachtigall flötete dazu so schmelzend, und der Chor der Frösche begleitete sie so grundgetreulich, als wollten sie verkündigen: Es ist nichts Ungebührliches vorgefallen am Nixenweiher!

Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf mich, überlegte Seyfried Drömpel, als er sich auf den Heimweg machte, und dann dachte er weiter: Und der Verlust der Stolgebühren wird sich schon verschmerzen lassen, wenn ich erst mit Katharina Mengel einig geworden bin!

Und er fasste sich ein Herz und nahm sich vor, bei allernächster Gelegenheit wiederum aufs Ganze zu gehen, aber an der richtigen Stelle.

Als er über die Schwelle des Pfarrhauses trat, rief Gesina Glubsch: „Warum kommst du so spät? Das Abendbrot steht schon längst auf dem Tische!“

„Geduld!“, erwiderte er abweisend. „Wie geschrieben steht im Prediger Salomonis: Ein jegliches Ding hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde.“

„Bist du bei Katharina Mengel gewesen?“, forschte sie weiter, nachdem er sich gesättigt hatte.

Er antwortete: „Sie war nicht daheim!“

„Und im Telkower Wald“, fuhr Gesina Glubsch fort, „hat sich eine Landstörzerbande eingenistet.“

„Das ist Sache des Herrn von Telkow“, winkte er ab, begab sich in sein Studierzimmer, schlug die Bibel auf, suchte und fand im Ersten Petrusbrief die Perikope für den kommenden Sonntag Exaudi und las: „Vor allen Dingen aber habt untereinander eine brünstige Liebe, denn die Liebe decket auch der Sünden Menge.“

Wohlan! sprach er zu sich selbst. Ich habe eine brünstige Liebe zu Katharina Mengel, und darum wird mir dieser Irrtum, den ich um ihretwillen begangen habe, vergeben werden müssen!

2. Wie sie zum anderen Mal gezeugt wurde

Schon am nächsten Morgen schritt Wunnibald von Telkow, ein fester, breiter, grauhaariger, aber noch sehr lebensfreudiger Witwer, der den Becher wie den Jagdspieß mit gleicher Hurtigkeit zu schwingen verstand, mit seinen beiden Bluthunden Arkas und Zenobia in den Wald, um die Landstörzer aufzuspüren. Die beiden Tiere fanden auch eine frische Fährte, nahmen sie auf und verfolgten sie ins Dickicht hinein, bis sie von einigen Schüssen zurückgescheucht wurden.

Sofort machte Wunnibald von Telkow kehrt, eilte nach Hause zurück, entwarf den Feldzugsplan und schrieb einen an seinen Nachbar Eberhard von Klemmin gerichteten Brief, worin er ihn aufforderte, den Wald von der anderen Seite her anzugreifen und unter Feuer zu nehmen.

Der Reitknecht Tobias brachte dieses Schreiben hinüber und kehrte mit dem Bescheid zurück, dass die Schrogauer rechtzeitig zur Stelle sein würden.

Das Gefecht begann gegen Mittag. Die von dem großen Krieg erzeugte und von ihm zurückgelassene, an die dreißig Köpfe starke Landstörzerbande, die aus dem Holsteinischen ins Mecklenburgische herübergewechselt war, saß in einem dichten Verhau, und wusste sich so kräftig zur Wehr zu setzen, dass die zum Kampf aufgebotenen Kätner, Sassen und Instleute immer weniger Lust verspürten, sich beim Sturm mit der blanken Waffe ein Loch in den Ranzen knallen zu lassen.

Also blieben sie tapfer hinter den Stämmen stehen und lauerten mit angelegten Schießgewehren auf die Gelegenheit, den Gegnern mehr als nur eine Kugel auf den Pelz zu brennen.

Auch Wunnibald von Telkow, der bereits einen Volltreffer durch den Stiefelschaft davongetragen hatte, zeigte sich geneigt, seinen Heldenmut bis zum Eingreifen der Schrogauer zu zügeln, zumal er bereits mit drei Leichtverwundeten und einem völlig Kampfunfähigen zu rechnen hatte.

Und das war kein anderer als Nickel Vink, der Telkower Dorfschulmeister, der gleichzeitig das Amt des Hofnarren zu versehen hatte. Er war so unvorsichtig gewesen, seine Hinterseite außer Deckung zu bringen, worauf ihm eine wohlgezielte Musketenkugel die linke seiner beiden Sitzflächen gestreift und nicht unbeträchtlich aufgeraut hatte. Nun lag er außerhalb des Schussbereichs der feindlichen Büchsen im weichen Moose auf dem Bauche und wimmerte nicht wenig, denn er hatte ziemliche Schmerzen.

„Horrido!“, lachte Wunnibald von Telkow, nachdem er die kuriose Schramme in Augenschein genommen hatte. „Ein Streifschuss am Achtersteven? Nickel, Nickel, du wolltest wohl auskneifen?“

„Mitnichten, gnädiger Herr!“, stöhnte er. „Ich wollte dem Feinde nur meine Verachtung bezeugen.“

„Erst schlagen, dann verachten!“, belehrte ihn Wunnibald von Telkow, ließ ihn verbinden und schickte dann zwei Knechte nach frischer Munition, dieweil der mitgenommene Vorrat schon dabei war, bedenklich auf die Neige zu gehen.

Aber noch bevor diese beiden Knechte zurückgekehrt waren, knallte es im Rücken der Landstörzerbande. Die Schrogauer waren endlich zum Angriff übergegangen.

„Hussah!“, schrien die Telkower und ließen gleichfalls ihre Büchsen donnern, bis sie ihr Pulver verschossen hatten.

Die solcherart zwischen zwei Feuer genommenen Landstörzer zogen es nun vor, der Übermacht zu weichen und sich nach beiden Seiten hin durch die Büsche zu schlagen, was ihnen dank ihrer außerordentlichen Durchtriebenheit und Heimtücke auch ohne Verluste gelang.

Nur einen rotbärtigen Riesenkerl, der den Rückzug deckte, bekamen die Angreifer zu Gesicht.

„Packt ihn!“, donnerte Wunnibald von Telkow.

Aber nachdem dieser bärenhäutige Landstörzer, der einen wuchtigen Reiterpallasch in der Rechten schwang, als sei er ein Flederwisch, mit zwei meisterhaften Lungenhieben die beiden Bluthunde zur Strecke gebracht hatte, hielten es die Telkower doch für geraten, diesen gar zu bösewichtigen Schlagetot ungekränkt entschlüpfen zu lassen.

Darauf wurde das Lager gestürmt und erobert, wobei Wunnibald von Telkow der einzige war, der eine Beute erhaschen konnte, nämlich eine verteufelt hübsche Landstörzerin, die so listig gewesen war, sich in einem Laubhaufen zu verstecken.

„Ha, du Hexe!“, schnaubte er sie an und hielt sie an ihrem blauweißgestreiften Beiderwandrock fest, obschon sie gar keine Fluchtgedanken zu hegen schien. „Wie heißt du, Kanaille?“

‚Helena Stubenrauch“, flötete sie ihn geradezu zärtlich an und zeigte ihm ihre perlmutterlich glänzenden Zähne.

„Wie kommst du unter die Landstörzer?“, fragte er in einer schon sanfteren Tonart, nachdem er sie genauer gemustert hatte, und sie antwortete: „Sie haben mich aufgegriffen und festgehalten. Habt Dank, gnädiger Herr, dass Ihr mich von diesen Buben befreit habt, und lasst mich nun meines Weges gehen.“

„Nichts da, mein Schätzchen!“, knirschte er, winkte zwei Knechte heran und befahl ihnen: „Führt die Gefangene ab, aber fasst sie fein säuberlich an!“

Denn sein Zorn begann schon ganz erheblich zu verrauchen.

Unterdessen war Eberhard von Klemmin mit seinem reisigen Haufen herangekommen. In seiner Begleitung befand sich sein Neffe Dietrich. Und schon erhob sich ein großes Jubelgeschrei ob des so gründlich vertriebenen Feindes.

„Die haben genug, die kommen nicht wieder!“, triumphierte Wunnibald von Telkow und lud die wackeren Nachbarn zu einem Siegestrunk ein.

Dem Zuge voran wurde die Landstörzerin geführt, die sich ihre Gefangenschaft keineswegs zu Herzen nahm, und den Beschluss machte der bäuchlings auf einer Tragbahre liegende Nickel Vink.

Vor dem Schloss angekommen, wurde die Gefangene in Nickel Vinks Kammer gesperrt, weil sie das einzige Gelass war, das ein vergittertes Fenster hatte. Wunnibald von Telkow ließ ein Bund Gerstenstroh in die Ecke werfen und ein Schwarzbrot mit einem Krug Rostocker Bier daneben stellen.

„Setz dich und bereu deine Missetaten!“, donnerte er sie an. „Bald werde ich wieder erscheinen, um dich zu verhören! Und wehe, du sagst mir nicht die lautere Wahrheit!“

Damit schmetterte er die Tür hinter sich zu, drehte den Schlüssel herum und steckte ihn in die Tasche.

Sodann ließen sich die drei Standesherren an der Tafel nieder und feierten den Sieg mit Zechen und Schmausen. Und damit sie ihre Lust hatten, musste Nickel Vink auf seiner Tragbahre an diesem Gelage teilnehmen.

Aber sein Witz war matt, und sein Geist wollte keine Funken geben, denn er musste sich immer wieder die schmerzende Hinterseite betasten, worüber sich die Herren schier ausschütten wollten vor Lachen.

Nach Beendigung des Mahles stand Wunnibald von Telkow auf, entschuldigte sich bei seinen Gästen und begab sich zu der Gefangenen, die sich inzwischen an Speise und Trank gütlich getan hatte.

Nun saß sie, als könne sie kein Wässerlein trüben, auf Nickel Vinks Bett und lächelte so verlockend, als wüsste sie schon, was ihr von Wunnibald von Telkow bevorstand.

„Nun, mein Schätzchen“, fragte er augenzwinkernd und kniff sie in die Wange, „was zahlst du mir als Lösegeld, wenn ich dich laufen lasse? Immer heraus mit der Sprache!“

„Spreiz dich nicht so, du Gockel!“, schalt sie ihn aus und schlug ihm mit der flachen Hand mitten auf den Hosenlatz. „Ich weiß schon, was du im Sinn hast. Du willst mir ein Kindlein machen. Aber das soll dir mitnichten gelingen!“

„Ei, zum Teufel!“, lachte er und kam ihr nun an die Zwickelstrümpfe. „Ich will es trotzdem einmal versuchen. Aber halt stille und mucks dich nicht, sonst sollst du mich von einer ganz anderen Seite kennen lernen!“

Damit ging er zum Angriff über. Sie sträubte sich zunächst, aber nur, um sein Begehren noch heftiger zu reizen. Dann gab sie plötzlich nach und war ihm zu Willen, bis er sein nicht geringes Mütchen an ihr gekühlt hatte.

„Potztausend!“, bärschte er sich, während sie sich die Rockfalten glatt strich. ‚Du bist eine verdammt tüchtige Hure!“

„Nun lasst mich frei, gnädiger Herr!“, bettelte sie.

„Das soll geschehen“, grinste er diabolisch, „sobald du mit Nickel Vink Hochzeit gehalten hast. Denn die anderen beiden wollen auch ihr Vergnügen haben!“

Damit verließ er sie, versäumte aber nicht, die Tür zum anderen Male zu verschließen, und steckte den Schlüssel wiederum in seine Tasche.

Als er an die Tafel zurückkehrte, rief Eberhard von Klemmin: „Hast du sie verhört?“

„Nach allen Regeln der Kunst!“, nickte Wunnibald von Telkow mit grimmigem Lächeln und leerte die Kanne bis auf die Nagelprobe.

„Und hat sie was eingestanden?“, forschte Dietrich von Klemmin gespannt.

„Sie will durchaus mit dem Nickel Vink Hochzeit halten!“, trumpfte Wunnibald von Telkow auf. „Und das habe ich ihr allergnädigst zugestanden.“

„O Jammer, o Schreck!“, ächzte Nickel Vink, der auch nicht mehr nüchtern war.

„Du wirst sie beschatten“, befahl Wunnibald von Telkow, „und wir werden zusehen und aufpassen, dass dir dabei kein Fehler unterläuft.“

Diesen tollen Vorschlag bejauchzten die beiden wackeren Nachbarn nach Gebühr und stießen mit Nickel Vink auf eine gedeihliche Brautnacht an.

‚Herrgott von Bentheim“, wimmerte er, „mein letztes Stündlein ist herbeigekommen!“

Sein Sträuben half ihm nichts. Er musste noch eine halbe Kanne spanischen Weines leeren, und dann wurde er von zwei Knechten in sein Gelass getragen, wohin ihm die drei Herren ein ebenso schwankendes wie fröhliches Geleit gaben.

„Frisch ans Werk!“, gebot Wunnibald von Telkow, als Nickel Vink unter beträchtlichem Schmerzgestöhn auf sein Lager geglitten war. „Du kommst nicht eher heraus, bis du ihr ein Kindlein gemacht hast!“

Dabei deutete er auf die Landstörzerin, die auf dem Strohbund saß und nun diese Gelegenheit wahrnahm, um ihm die Zunge herauszustrecken, so lang und spitz sie war.

„Und dass du dich benimmst wie eine keusche Braut!“, fuhr er sie an. „Andernfalls werde ich dir morgen früh mit eigener Hand den Hintern vollhauen, dass du die Engel pfeifen hörst!“

Damit warf er die Tür ins Schloss, drehte den Schlüssel herum und ließ ihn zum dritten Mal in seiner Tasche verschwinden.

Nun trat er mit seinen beiden Gästen ans Fenstergitter, um das angekündigte Schauspiel zu genießen. Allein Nickel Vink traf noch immer keine Anstalten, damit zu beginnen.

„Gleich wird er sich wie ein Wolf auf sie stürzen!“, spottete Eberhard von Klemmin mit schwerer Zunge, und sein Neffe stammelte hinterdrein: „Seht nur, seht, wie er zittert! Er hat schon das Fieber nach ihr!“

„Halloh, wie lange sollen wir noch lauern?“, wetterte Wunnibald von Telkow. „Willst du nicht endlich deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit tun, du Narrhauskavalier!“

„Ich will wohl, aber ich kann nicht!“, winselte Nickel Vink. „Ich habe nicht das Kavaliersfieber, ich habe das Wundfieber!“

„Der Tropf verstellt sich nur“, flüsterte Wunnibald von Telkow seinen beiden Gästen zu. „Kaum haben wir ihm den Rücken gekehrt, wird er sich über sie hermachen. Doch das werde ich ihm auf der Stelle versalzen!“

Und schon erhob er seine Stimme und rief durch das Gitter:

„Aber nimm dich in Acht, Nickel, das Mensch hat die Krätze!“

Hier aber sprang die Landstörzerin auf, nahm den noch halbgefüllten Bierkrug zur Hand, schwappte seinen Inhalt mit kühnen Schwung durch das Gitter den edlen Zuschauern in die Gesichter und schrie: „Zur Hölle mit euch, ihr besoffenen Schweine!“

„O du Satansweib!“, schimpfte Wunnibald von Telkow und warf den Fensterladen zu, dass er einschnappte und nun von draußen nicht mehr geöffnet werden konnte.

Dann kehrte er mit seinen begossenen Gästen an die Tafel zurück und gab erst Ruhe, als er sie unter den Tisch gezecht hatte, worauf er sie nach Landessitte in die Kutsche verladen und nach Schrogau zurückbringen ließ.

3. Wie sie zum dritten Mal gezeugt wurde

Unterdessen war der Vollmond so hoch gestiegen, dass er durch das Herzlöchlein des geschlossenen Fensterladens in Nickel Vinks Kammer gucken konnte.

„Lasst mich die Wunde beschauen?“, sprach die Landstörzerin zu ihm und trat an sein Bett.

‚Hinweg von mir!“, rief er. „Du hast die Krätze!“

„Ei, warum nicht gar?“, lachte sie und schüttelte den Kopf, dass ihr Katharina Mengels schon ziemlich zerknitterte Haube um die blonden Locken flatterte.

„Der Herr hat es gesagt!“, behauptete er.

„Ein Narr sagt viel, wenn der Tag lang ist!“, begehrte sie auf. „Ich werde dir sogleich beweisen, dass ich nicht die Krätze habe.“

Und schon nestelte sie an dem roten Mieder herum, bis es sich öffnete und ihre apfelrunden Brüste herauskugelten.

Bei diesem überaus verlockenden Anblick vergaß Nickel Vink seine nicht geringen Schmerzen und rief: „Ich werde es dir erst glauben können, wenn du mir noch mehr zeigst. Aber das wagst du nicht!“

„Was ist dabei zu wagen?“, antwortet sie trotzig. „Ich habe, weiß Gott, nicht nötig, mein Licht unter den Scheffel zu stellen.“

Damit streifte sie sich mit hurtigen Griffen Katharina Mengels Sonntagsstaat vom Leibe, der so glatt war wie ein Spiegel, und drehte sich wie ein Kreisel rund herum.

Nur die Haube und die Gürteltasche tat sie nicht von sich.

„Wahrhaftig!“, stöhnte Nickel Vink vor Wonne, und riss die Augen auf. „Du bist ein blitzsauberes Frauenzimmer! Das muss dir der Neid lassen! Aber warum hat er mich dann so grausam angelogen?“

„Warum wohl?“, spottete sie. „Weil ich es ihm eingeredet habe, um ihn loszuwerden, den geilen Hurenbock!“

„Gott im Himmel!“, seufzte Nickel Vink und verdrehte die Augen. „Was gibt es doch für kuriose Dinge auf dieser närrischen Gotteswelt.“

„Er wollte mich beschlafen“, tuschelte sie, „das wollen sie alle, aber ich wollte es nicht. Und da hab ich ihm Angst gemacht mit der Krätze, diesem hochgeborenen Dummkopf!“

„Sieh so!“, atmete Nickel Vink auf. „Und er ist darauf hereingefallen? Das sieht ihm ganz ähnlich, unserem Gnädigen Herrn!“

„Und hier“, fuhr sie fort, indem sie aus ihrer Tasche Seyfried Drömpels Stolgebührensäcklein herausholte, „hab ich einen Wunderbalsam für alle Wunden. Sobald man ihn darauf streicht, vergeht der Schmerz.“

„Streich auf, streich auf!“, flehte er und hielt ihr die beschädigte Sitzflächenhälfte hin.

Nun zog sie ihm die Hosen aus, nahm den Verband ab, beschaute die Wunde, was bei der mangelhaften Beleuchtung keine leichte Sache war, und lachte: „Nur ein Mückenstich!“

„Eine schöne Mücke!“, grollte er. „Sie war gut vier Fuß lang und hatte einen Rüssel, zweimal so dick wie mein Daumen!“

Darauf holte sie aus dem Säckel ein hellblaues Tonkrüglein und sprach: „Die Salbe stammt von dem weltberühmten Professor Innocentius Dusenschön in Rostock, bei dem ich einmal in Diensten war. Der wollte mich auch beschlafen, aber ich bin ihm davongelaufen, weil er noch viel gräulicher war als dein Gnädiger Herr.“

„Schmier auf, schmier auf!“, bettelte er. „Und zum Dank werde ich dich beschlafen, so ich es vermag.“

„Du wirst es nur vermögen, wenn es mir behagt“, kicherte sie, während sie die Salbe auf die Wunde tat und den Verband wieder darauf legte.

„O, wie wohl das tut!“, atmete er auf. „Du hast eine sehr gute Hand! Die Schmerzen lassen schon nach. So du dich nur etwas gedulden willst, werde ich es schon vermögen. Der weltberühmte Professor Innocentius Dusenschön sei gesegnet, wenn er dir auch nicht sonderlich behagt hat. Bei mir soll dir das nicht widerfahren! Ich werde mir jede erdenkliche Mühe geben, dich zufriedenzustellen.“

„Dann hilf mir heraus aus diesem Loch!“, flüsterte sie wie eine Verschwörerin, nachdem sie ihm einen zärtlichen Klaps auf die gesunde Achterwange versetzt und ihn sorgsam zugedeckt hatte. „Wo hast du den Schlüssel?“

„Wenn ich ihn hätte“, seufzte er, „was könnte er dir nützen, wo draußen die Bluthunde herumlaufen, die jeden zerreißen, den sie nicht kennen!“

‚Aber dich kennen sie!“, warf sie ein.

„Ich habe sie ja aufgezogen“, antwortete er, „aber ich bin keine Schlange. Die Kunst, mich auf dem Bauche fortzubewegen, habe ich noch nicht gelernt. Bis morgen früh musst du schon verziehen. Dann hat der Gnädige Herr seinen Kanonenrausch ausgeschlafen. Und wenn du ihm dann auf Ehre und Gewissen bezeugst, dass ich dich trotz deiner Krätze beschlafen und dir ein Kindlein gemacht habe, dann wird er dich schon laufen lassen. Er ist sonst gar nicht so übel! Er hat eine offene Hand und lässt fünf gerade sein. Es lässt sich schon unter ihm leben. Warum willst du es nicht versuchen? Du brauchst nur ja zu sagen, und ich gehe, sowie ich nur gehen kann, nach Dobriwalk zum Pfarrer Drömpel und bestelle das Aufgebot.“

„Heiraten willst du mich?“, kicherte sie, schlug dann die Hände zusammen und stopfte das Ledersäcklein mit dem Balsamkrügchen rasch in die Tasche zurück. „Du bist wohl nicht bei Troste?“

„So tröste mich ein wenig!“, fiel er ein, und sie antwortete ihm: „Sobald du das Schloss bezwungen hast.“

Nun erhob er sich mit Ächzen und Stöhnen und schlug Licht, wodurch sie veranlasst wurde, unter die Bettdecke zu schlüpfen. Darauf entnahm er seinem Werkzeugkasten Meißel, Zange und einen handfesten Draht und ging damit dem Schlossriegel zu Leibe.

Wohl eine halbe Stunde mühte er sich, ihn zu überlisten, dann war das Werk vollbracht, und die Tür ließ sich wieder öffnen.

„Nun können wir gehen!“, flüsterte er. „Steh auf und zieh dich an!“

„Erst sollst Du deinen Lohn haben!“, erwiderte sie. „Oder willst du mich verschmähen?“

„Nicht um die Welt!“, stammelte er und sank in ihre Arme.

Und so vermochte er denn alles, was ihr behagte.

Eine Stunde später verließen sie gemeinsam die Kammer. Sie hielt ihn umschlungen, und er stützte sich auf sie, denn jeder Schritt bereitete ihm Pein. Die drei Wachhunde, die ihn mit ihren scharfen Nasen sogleich erkannten, gaben ihnen bis zum Schweinegatter das Geleit. Dann ging es langsam durch den Würzgarten weiter.

„Wenn du nun ein Kindlein davon bekommst?“, fragte er besorgt.

„Das soll deine Sorge nicht sein“, erklärte sie trotzig. „Ist es ein Knäblein, dann lege ich es deinem Gnädigen Herrn auf die Schwelle.“

„Und wenn es ein Mägdlein wird?“, unterbrach er sie gespannt. „Dann wird sich schon ein anderer finden“, versetzte sie achselzuckend, „dem ich es mit gutem Gewissen anvertrauen kann.“

„Wer bist du? Wer bist du?“, suchte er sie zu beschwören.

„Ich bin eine Prinzessin“, antwortete sie lächelnd, „und mein Königreich ist die Freiheit!“

Da umschlang er sie mit beiden Armen und flehte sie an: „O bleibe bei mir! Ich liebe dich, wie ich noch niemals ein Weib geliebt habe! Was willst du in der Fremde, wo du zuletzt doch nur unter die Räder kommst? Ich bin auch zwei Jahre draußen herumgezogen als Tischlergeselle. Bis nach Lübeck und Hamburg bin ich gekommen. Da habe ich bei einem Meister auf dem Valentinskamp gearbeitet und bei der Meisterin geschlafen, bis ich mehr als genug von ihr hatte. Und jetzt bin ich froh, dass ich hier eine Bleibe gefunden habe.“

„Was tust du hier?“, fragte sie und blieb stehen.

„Ich bringe den Kindern das ABC und das Einmaleins bei“, gestand er ihr, „und sonnabends spiele ich mit der Trompete zum Tanz auf, und sonntags schlage ich drüben in Dobriwalk die Orgel.“

„Und damit willst du mich verlocken?“, lachte sie hellauf und zog ihn weiter. „Ein Schulmeisterweib soll ich werden, die ich die Hand eines ordentlichen Professors der Medizin ausgeschlagen habe?“

So schritten sie über die Gänsewiese bis zu der kleinen Brücke, die in den Wald hineinführte.

‚Halt die Hunde fest und leb wohl!“, flüsterte sie und entschwand seinen Blicken.

„Warum hast du sie entschlüpfen lassen?“, knirschte Wunnibald von Telkow am nächsten Morgen, als er in Nickel Vinks Kammer trat.

„Weil sie die Krätze hatte“, antwortete er, „und weil sie eine dänische Prinzessin ist, und weil sie von Piraten geraubt worden ist, und weil sich ihr königlicher Vater darüber vor Herzeleid zu Tode gegrämt hat, und weil sie hexen kann. Erst hat sie mich behext, dann die Tür und dann die Hunde. Und darum hab ich gedacht: Euer Gnaden werden sich riesig freuen, wenn sie über alle blauen Berge ist. Lieber einen ehrlichen Musketenschuss in den Hintern, als die Krätze von einem fahrenden Fräulein!“

„Hast du sie denn wenigstens beschlafen?“, forschte Wunnibald von Telkow mit gerunzelter Stirn.

„Zu Befehl, Euer Gnaden!“, nickte Nickel Vink. „Aber erst, nachdem ich ihr die Krätze weggehext hatte. Und wenn es ein Knäblein wird, dann wird sie es uns hier auf die Schwelle legen lassen, damit wir uns den Danebrogorden verdienen können.“

Da lachte Wunnibald von Telkow so laut, dass er sich den Bauch halten musste, und rief: „Nickel, du bist und bleibst ein Narr in Folio!“

Worauf er ihm eine Kanne Rostocker Bier zu schicken geruhte.

Der Gottesdienst am Sonntag Exaudi blieb ohne Orgelklang, aber schon am Pfingstsonntag hatte der Wunderbalsam des ordentlichen Professors Innocentius Dusenschön seine Wirkung so gründlich getan, dass Nickel Vink wieder, wenn auch ganz behutsam, die Orgelritsche besteigen und seines Amtes walten konnte.

Und er griff und trat, trotz aller Schmerzen, tapfer in die Tasten, und ließ als Morgenlied mit Einstimmung der frommen Gemeinde den Choral ertönen:

„Allein Gott in der Höh sei Ehr

Und Dank für seine Gnade,

Darum, dass nun und nimmermehr

Uns rühren kann kein Schade:

Ganz unermessen ist seine Macht,

Allzeit geschieht, was er bedacht,

Wohl uns des starken Herren!“

Bei dieser Zeile dachte der Hofmeister Tobias Schippolt, der mit seinem Zögling Gustav von Telkow auf ein paar Ferientage von Rostock herübergekommen war und nun mit ihm in dem reichgeschnitzten Herrengestühl unterhalb der Kanzel saß, an die viel zu jugendliche Gattin des weltberühmten Professors der Medizin Innocentius Dusenschön und sprach zu sich selbst: Ich halte es lieber mit der Herrin, die den starken Herrn an der Nase herumzuführen weiß!

Dann hörten sie beide mit gebührender Andacht auf Seyfried Drömpels Predigt über den Text: Sie entsetzten sich alle und wurden irre und sprachen einer zu dem anderen: Was will das werden? Die anderen aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.

Und er predigte mit solchem Eifer von dem Wehen des Geistes, dass die Fenster klirrten und den Zuhörern die Ohren klangen.

Unter ihnen befand sich auch die vor zwei Tagen nach Dobriwalk zurückgekommene Witwe Katharina Mengel, die sich nach dem Gottesdienst bei ihren Nachbarinnen bitter darüber beklagte, dass ihr der Sonntagsstaat nebst Flügelhaube und Zwickelstrümpfen aus dem verschlossenen Häuschen und aus dem doppelt verschlossenen Kasten entwendet worden sei.

„Noch diese Woche will ich zu ihr gehen!“ sprach Seyfried Drömpel zu Gesina Glubsch, aber es wurde nichts daraus, denn Katharina Mengel hatte es diesmal so eilig, dass sie schon am Dienstag nach Schussin zurückkehrte.

„Du kommst immer zu spät!“, schalt Gesina Glubsch, und er antwortete ihr: „Nur Geduld! Sie wird schon wiedererscheinen!“

Aber das sollte noch sehr gute Weile haben.

4. Wie sie am Schussiner Markt teilgenommen

Drei Wochen wartete er vergeblich auf ihre Rückkehr. Schon war er entschlossen, sich nach Schussin auf den Weg zu machen, da kam Gesina Glubsch mit der Nachricht heim, dass Katharina Mengel nach Hamburg abgereist sei, wo ihre Schwester mit einem Schiffskapitän verheiratet war.

„Da hast du die Bescherung!“, bezeterte sie ihn. „Sie will sich dort unter die Haube bringen lassen. Du musst ihr sogleich einen Brief schreiben und um ihre Hand anhalten.“

„Das Trauerjahr ist noch nicht ganz herum“, winkte er ab und begab sich in sein Studierzimmer.

Nun eilte sie nach Schussin und erfuhr hier von der Wirtin des Gasthauses „Zum Wappen von Mecklenburg“, wo Katharina Mengel ein Zimmer gemietet hatte, dass sie in Hamburg plötzlich erkrankt sei und schon aus diesem Grunde nicht die geringste Lust verspürte, das schwere Joch des christlichen Ehestandes noch einmal auf ihre schwachen Schultern zu nehmen.

Trotzdem ließ Gesina Glubsch nicht ab, ihn weiterhin zu bedrängen, nach Hamburg zu schreiben, und schließlich, sowie das Trauerjahr abgelaufen war, verstand er sich auch dazu.

Er brachte einen ganz ansehnlichen Brieftext zustande und ließ ihn nach Hamburg abgehen.

Sechs Wochen später traf Katharina Mengels Antwort ein, aus der hervorging, dass sie sich von dem Antrag hochgeehrt fühle und zum Kirmesmarkt wieder in Schussin sein würde.

Und so machte er sich denn, als der Tag dieses großrufigen Kauf-, Sauf- und Rauftrubels herbeigekommen war, auf den Marsch, um mit Katharina Mengel endlich ins Reine zu kommen.

Das Gewühl in den engen Gassen war so groß, dass er Mühe genug hatte, bis „Zum Wappen von Mecklenburg“ durchzudringen. Hier erfuhr er, dass Katharina Mengel schon vorgestern angekommen, nun aber soeben wieder fortgegangen sei, um sich den Markt zu besehen und Einkäufe zu machen.

Sogleich begann er, sie überall zu suchen, und kam dabei auch an die Bude des riesigen, kohlrabenschwarzbärtigen Heilkünstlers, der sich Quercosartorius nannte, und der seine Stimme wie die Posaune des Jüngsten Gerichts über den Haufen der andächtig lauschenden Gaffer also erdröhnen ließ: „Herbei! Herbei! Hier gibt es zu kaufen das neue unübertreffliche Wunderpulver! Jede Tüte nur einen halben Groschen! Der Glaube macht selig, das Wunderpulver macht seliger! Immer einen Löffel voll auf den nüchternen Magen. Hilft gegen alle Übel und Gebrechen des Leibes und der Seele. Die Kranken werden im Hui gesund, und die Gesunden bleiben von allen Schmerzen bewahrt. Das Paradies auf Erden ist da! Kauft Wunderpulver! Dieses von mir verbesserte Rezept stammt von dem großen Paracelsus! Ewiges Leben in der Tüte! Ewiges Leben im Löffel! Ewiges Leben für einen halben Groschen!“

Welch eine Lästerung! dachte Seyfried Drömpel, da fiel sein suchender Blick auf die verteufelt hübsche Heilkünstlerin, die neben dem Wunderpulverpropheten auf den erhöhten Brettern saß, um die Tüten zu verkaufen und die Groschen einzustreichen. Sie trug ein blauseidenes Spitzenkleid mit dem Anstand einer Prinzessin und ließ sich nicht davon anfechten, dass es vorn etwas zu kurz war, denn sie hatte unter dem Herzen ein Kindlein, das schon mit dabei sein wollte.

In diesem Augenblick gewahrte Seyfried Drömpel die gesuchte Witib Katharina Mengel, die ganz vorn am Brettergerüst stand und die Heilkünstlerin unverwandt anstarrte.

Sie war krank und will das Wunderpulver probieren, dachte er, aber Katharina Mengel hatte ganz andere Absichten, denn sie griff plötzlich mit allen zehn Fingern der Wunderpulverkünstlerin an die Beine und rief: „Her mit meinen Strümpfen, du niederträchtige Diebin!“

Und schon hielten alle, sogar der Wunderdoktor Quercosartorius, den Atem an, und Seyfried Drömpel stand sogar das Herz stille vor Schreck, da er nun an den grünen Zwickelstrümpfen die Landstreicherin wiedererkannte, von der ihm am Nixenweiher das Säcklein mit den Telkower Stolgebühren aus der Tasche gezogen worden war, nachdem er an ihr irrtümlicherweise die schwere Sünde der fleischlichen Vermischung begangen und vollbracht hatte, und zwar, wie er nun leider annehmen musste, mit sichtbarlichstem Erfolg.

„Dass du erstickst an deiner Lüge!“, donnerte der Wunderdoktor Quercosartorius, aber Katharina Mengel ließ sich nicht einschüchtern und schrie: „Das sind meine Strümpfe, meine Strümpfe! Ich habe sie mit eigener Hand gewirkt!“

„Die Seuche in deinen Hals!“, schnaubte er gegen sie an. „Ich habe diese Strümpfe auf dem Schweriner Markt gekauft für drei gute Groschen. Das will ich sogleich beschwören vor dem Marktgericht!“

„Der Hehler ist so schlimm wie der Stehler!“, kreischte Katharina Mengel und ließ nicht los.

„Fahr zur Hölle, du Närrin!“, zischte die Wunderdoktorin und hatte sogleich die Lacher und damit auch das gute Recht auf ihrer Seite, nachdem es ihr gelungen war, eine mit Wunderpulver gefüllte Tüte durch die Luft sausen und auf Katharina Mengels dunkelrotem Mieder zerplatzen zu lassen.

Das verbesserte Rezept des großen Paracelsus verfehlte auch in diesem Falle seine durchschlagende Wirkung nicht.

Katharina Mengel ließ los, begann vor Wut zu schluchzen, wurde von dem schadenfrohen Zuschauerhaufen ausgespien und landete in Seyfried Drömpels hilfsbereiten Armen und an seiner von Treue geschwellten Brust.

Er führte sie aus dem Gedränge, putzte ihr mit seinem Nastuch das Wunderpulver vom Mieder, redete ihr die Absicht aus, zum Richter zu laufen, und kaufte ihr, um sie über den Verlust hinwegzutrösten, für vier gute Groschen ein Paar neue Strümpfe. Dann suchte er ihre Laune noch weiter zu verbessern, indem er sie hinaus auf die Schützenwiese brachte, wo er mit ihr, während die Büchsen lustig knallten, um den Vogel von der Stange zu holen, einen behaglichen und wohlbekömmlichen Trunkschmaus hielt.

„Weihnachten werde ich das Aufgebot verkündigen“, schlug er vor, und sie war sogleich damit einverstanden.

„Und da es Euch nun behagt“, flüsterte er ihr ins Ohr, „mein Eheweib zu werden, so scheint es mir nicht unbillig, schon heute damit zu beginnen.“

„O Herr Pfarrer“, hauchte sie errötend und schlug die Augen nieder, „Ihr wollt mich doch nicht zur Sünde verführen?“

„Das sei ferne von mir!“, verwahrte er sich. „Ich werde, bei Gott, nichts unternehmen und tun, wozu Ihr mich nicht ermuntert. Ihr seid keine Jungfrau mehr, sondern eine Witib, und das Trauerjahr ist herum. Und wenn Ihr mir jetzo schon die Huld gewährt, weil Ihr den Kater nicht im Sack kaufen wollt, so ist das Euer gutes Recht und mitnichten eine Sünde wider das Sechste Gebot Gottes. So wahr ich mit euch selig werden will!“

„Aber“, tuschelte sie hurtig, ‚Ihr dürft mir um Gottes willen kein Kindlein machen!“

„Dann wär ich ja ein Tor!“, versicherte er ihr, zog sie an sich, gab ihr einen Verlobungskuss, den sie herzhaft erwiderte, ließ die Kanne zum dritten Mal füllen und leerte sie mit ihrer munteren Hilfe bis auf die Nagelprobe.

Eine Stunde später kehrten sie in fröhlichster Stimmung zur Stadt zurück, wo der glückliche Bräutigam zwei goldene Ringe erstand. Darauf ließ er noch einige Taler springen, dieweil es der glücklichen Braut nicht nur nach einem himmelblauen Mieder und einer Flügelhaube, sondern auch nach einem rotweißgefältelten Beiderwandrock gelüstete.

Sodann brachte er sie in das „Wappen von Mecklenburg“ zurück, wo sie sich, da alle Stühle des Hauses in der überfüllten Wirtsstube gebraucht wurden, auf das Bett setzen mussten. Und als sie sich gegenseitig die Ringe angesteckt hatten, hielt sie ihn auch nicht davon ab, aufs Ganze zu gehen, und gewährte ihm alles, wonach er begehrte, und das mit beiderseitigem Behagen drei Nächte lang.

Als er sie aber am letzten Morgen aufforderte, mit ihm nach Dobriwalk zurückzukehren, schlug sie es ihm ab und sprach: „Wir wollen den bösen Zungen keine Nahrung geben.“

Also musste er sich denn dreinfügen und allein nach Hause pilgern, nachdem er den allerherzlichsten Abschied von ihr genommen hatte.

Trotzdem kam diese Heirat nicht zustande, und schuld daran war niemand anders als Katharina Mengels Schwester, die Kapitänsfrau, die sie noch einmal nach Hamburg zu locken wusste, um sie mit dem Steuermann Gerrit Breckwoldt zu verkuppeln.

Aus diesem Grunde erhielt Seyfried Drömpel noch vor Weihnachten den Verlobungsring und sein Jawort zurück.

Er fiel darüber fast aus den Wolken.

„Welch ein Unglück!“, jammerte Gesina Glubsch, und er hob die Augen zum Himmel empor und seufzte: „Des Herrn Wille geschehe!“

Aber dieses Unglück blieb nicht allein, denn bald nach Neujahr musste er mit Zittern und Zagen erkennen, dass ihm die am Nixenweiher vollzogene Sünde noch nicht vergeben worden war, sondern dass ihn der Allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden, ohne dessen Zulassung kein Sperling vom Dache fällt und selbst in Mecklenburg kein Prediger unter die Haube kommen kann, mit der galanten Krankheit geschlagen hatte, die durch die Spanier aus der von ihnen entdeckten Neuen in die Alte Welt geschleppt und von den Franzosen während des großen Krieges über alle europäischen Grenzen hinweg verbreitet worden war.

Und sogleich eilte er nach Rostock, um sich von dieser gefährlichen Seuche kurieren zu lassen.

Der Professor Innocentius Dusenschön, die Leuchte der Medizinischen Fakultät, beschaute ihn genau, schüttelte den Kahlkopf, räusperte sich und sprach: „Kein Zweifel, Ihr habt, was Ihr nicht haben solltet! Und nun werdet Ihr, um das Übel loszuwerden, einige Jahre zum heiligen Merkurius beten und Euch genau solange jeglicher galanter Abenteuer enthalten müssen. VOLUPTAS CAUSA MALORUM. (Die Lust ist die Ursache des Bösen.) QUAE NOCENT DOCENT. (Aus Schaden wird man klug.) CLAUDITE IAM RIVOS, PUERI, SAT PRATA BIBERUNT! (Verschließt die Bäche, o Knaben, die Wiesen haben genug getrunken.) LABOR IMPROBUS OM-NIA VINCIT. (Miese Arbeit besiegt alles.)“

Und es begann also zu geschehen.

Seyfried Drömpel nahm sich diese göttliche Rachetat so heftig zu Herzen, dass ihm nichts anders übrig blieb, als sich der völligen Zerknirschung in die Arme zu werfen. Er fluchte Katharina Mengel nicht, weil er in ihr nur noch das Werkzeug der himmlischen Justizverwaltung sah, und blieb auch weiterhin ein getreuer Hirt seiner Herde, nur dass er fortan auf das Allerhef-tigste wider die Augenlust und das Sündenfleisch wetterte, die Leib wie Seele zur Hölle verderben. Ja, er verstieg sich sogar dazu, am Sonntag Oculi gegen das landesväterliche, die Mehrweiberei gestattende Edikt zu eifern, obschon es weder zu Dobriwalk noch zu Telkow auch nur von einer einzigen Mannesperson öffentlich befolgt worden war.

Und als dieses behördliche Silbengespinst gleich nach dem Osterfest wieder ausgestrichen und außer Kraft gesetzt worden war, da wuchs Seyfried Drömpels Ansehen in der ganzen Gegend, und er geriet geschwind in den Geruch eines besonders frommen und gottseligen Predigers.

Und Gesina Glubsch musste sich nun nach einer Magd umsehen. Ihre Wahl fiel auf Karoline Marlow, die fast das kanonische Alter erreicht hatte und nichts besaß, was geeignet gewesen wäre, zu fleischlichen Gelüsten anzureizen. Sie erwies sich als treu, sauber und anstellig, obschon sie auf dem linken Auge schielte.

Am folgenden Sonntag predigte Seyfried Drömpel über den Text: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.

Und der inzwischen von seiner Wunde genesene Nickel Vink drehte am Schluss dieses Gottesdienstes den Orgelschlüssel herum, steckte ihn in die Tasche und machte sich auf den Heimweg.

Erquicken? überlegte er, als ihm an der Waldecke der dicke Zwingturm des Telkower Schlosses in die Augen stach. Ach, du lieber himmlischer Vater, warum zielt das Christentum immer nur auf die Erquickung der Mühseligen und Beladenen und nicht auf die Erleichterung ihrer Plagen und Lasten? Wie viele Steine mussten zusammengetragen werden, um diesen stolzen Turm aufzurichten, der doch nur der Hoffart dient? Hätte nicht ein geringerer Aufwand genügen können?

Aber es kam ihm weder Stimme noch Antwort.

5. Wie sie auf die Pfarrhausschwelle gelegt worden

Am Mittwoch nach Jubilate büßte Wunnibald von Telkow sein Leben ein. Er wollte an diesem Tage nach einem kräftigen Frühtrunk einen Hengst zureiten, stürzte dabei aus dem Sattel und brach sich den Hals. Sein Leichnam wurde unter Teilnahme beider Gemeinden am Sonntag Cantate in der Dobriwalker Kirche beigesetzt. Seyfried Drömpel hielt ihm eine ergreifende Leichenpredigt, und Nickel Vink sang mit seinen Schulkindern das Grablied, wobei ihm die hellen Tränen über die Wangen rollten.

Auch Gustav von Telkow, des so jählings Dahingerafften einziger Sohn und Erbe, stand mit seinem Hofmeister Tobias Schippolt an der offenen Gruft und vergoss Tränen über Tränen.

Neben ihm paradierte mit weiß gepuderter Perücke und goldbetresstem Staatskleid Maximilian von Telkow, des Verstorbenen Bruder, der zu Wismar als Rat in Königlich Schwedischen Diensten stand, und über den das Gerücht umlief, dass er die schmucken Knaben lieber hätte als die anmutigsten Mädchen.

Diesem alten Schweden, wie ihn die Telkower zu nennen pflegten, verblieb auch die durch das plötzliche Abscheiden des Verstorbenen nötig gewordene Neuordnung der Gutsgeschäfte. Nickel Vink, der bisher die Wirtschaftsbücher geführt hatte, wurde dieses Postens enthoben, und zu seinem Nachfolger wurde der Gutsverwalter Iwo Reichart bestimmt, der bei seiner Buchführung weder sich selbst noch seine hungrige, in Wismar hausende Sippe vergaß. Denn das Gut warf weit mehr ab, als Gustav von Telkow und sein Hofmeister, die gleich nach der Beerdigung wieder nach Rostock zurückgekehrt waren, zu verbrauchen imstande waren.

Und wenn Iwo Reichart trotzdem in der Folgezeit einen ganz erklecklichen Überschuss herauszurechnen wusste, so geschah das auf Kosten der Kätner und Instleute und aus Furcht vor den übrigen Herren von Telkow, die zahlreich in der Runde saßen und aus dieser vollen Krippe von Herzen gern auch etwas gelöffelt hätten.

Beklagten sich die Telkower bei Nickel Vink über das stetige Anwachsen der Dienstlasten, dann tröstete er sie und sprach: „Murret nicht über den Stab Wehe und hoffet über ein Kleines, da der Herr daherkommen wird mit dem Stabe Sanft, um das Joch zu erleichtern.“

Ungefähr dasselbe hörten sie von Seyfried Drömpel, wenn er auf der Kanzel stand, um ihnen den Willen des Herrn und die von ihm gelenkten kommenden Dinge zu erläutern, nur dass er dabei auf den Herrn der Heerscharen und nicht, wie Nickel Vink, auf den jungen Herrn von Telkow zielte, der sich auch weiterhin auf dem Rostocker Gymnasium mit der standesgemäßen Erziehung und den Wissenschaften herumplagen musste.

Als Seyfried Drömpel am Sonntag Trinitatis, nachdem er der Gemeinde den Segen erteilt hatte, als erster die Kirche verließ, fand er auf der Schwelle seiner Haustür einen weidenen Marktkorb und darin ein schlafendes, in Windeln gewickeltes Kindlein, und sogleich begann sein Herz darob zu zittern, dieweil er an die vor dreizehn Monden am Nixenweiher vollbrachte Fleischessünde denken musste. Denn das Kindlein, neben dem eine halbgeleerte Zulpflasche lag, konnte nicht älter sein als fünfzehn Wochen.

„Gott im Himmel!“, ächzte er, aufs höchste bestürzt.

Dann aber ermannte er sich und rief die Magd, die den auf dem Küchenherd stehenden Sonntagsbraten bewachte.

Karoline Marlow eilte herbei, riss die Augen auf, schielte das Kindlein an, als wäre es vom Himmel heruntergefallen, schlug die Hände zusammen und öffnete die Lippen, um einen Schrei der höchsten Verwunderung von sich zu geben.

„Still!“, gebot ihr der Pfarrer. „Nimm es auf und trage es hinein!“

Und sie gehorchte ihm.

Gleich darauf erschien Gesina Glubsch, die dem Gottesdienst beigewohnt und bis zum Postludium ausgehalten hatte, in der Küche und sah die seltsame Vermehrungsbescherung.

„Frau Tante, Frau Tante!“, stammelte die Magd und deutete mit beiden Zeigefingern auf den inhaltsvollen Korb. „Der liebe Gott hat uns ein Kindlein geschenkt! Ach, wie süß!“

Gesina Glubsch erstarrte zur Salzsäule.

„Der Herr Pfarrer“, fuhr die Magd fort, „hat es auf der Haustürschwelle gefunden.“

Gesina Glubsch verdrehte die Augen und rang vergeblich nach Worten.

Hier aber erwachte das Kindlein, schlug die großen, dunkelblauen Augen auf, lächelte ein wenig und begann dann zu greinen.

„Es muss trockengelegt werden!“, flüsterte Karoline Marlow. „Das arme Würmchen!“ seufzte Gesina Glubsch, wickelte das Kindlein aus, fand dabei ein an seinem Halse hängendes rein gewaschenes Geldsäcklein und buchstabierte die vier mit Tinte darauf geschriebenen Wörter: „Sie soll Falsette heißen.“

„Fal-set-te!“, silbte die Magd kopfschüttelnd, als wollte sie sagen: Welch ein Name!

Im gleichen Augenblick entdeckte Gesina Glubsch an dem Säcklein einen von ihr selbst angebrachten Zwirnstopf und ächzte: „Was ist das?“

„Ein Lederflecklein“, antwortete die Magd.

Gesina Glubsch warf ihr einen niederschmetternden Blick zu, löste das Säcklein vom Halse des Kindes und eilte mit diesem seltsamen Dokument zu Seyfried Drömpel hinüber, der schwer atmend im Lehnstuhl hockte und vor sich hinstarrte.

„Seyfried“, herrschte sie ihn an und hielt ihm das beschriftete Ledersäcklein vor die Augen, „was hat das zu bedeuten?“

„Auch das noch!“, hauchte er erschüttert und schlug die Hände vor sein Angesicht.

„Bist du der Vater?“, fragte sie drohend.

„Ich vermag es nicht zu leugnen“, stammelte er. „Und wer“, inquirierte sie ihn weiter, „ist die Mutter? Heraus mit der Wahrheit!“

„Eine Unbekannte“, silbte er ganz zerknirscht, „die ich in der Dunkelheit für die Witfrau Mengel gehalten habe.“

„Und dafür“, fiel sie ihm strafend ins Wort, „hast du ihr die Telkower Stolgebühren in den Hals geworfen!“

„Jawohl“, nickte er, indem erdas Säcklein an sich nahm, „das ist der Beutel, in dem die Telkower Stolgebühren steckten. Und du allein bist schuld daran, denn du hast mich gedrängt und verführt, aufs Ganze zu gehen. Das ist die lautere Wahrheit! Oder willst du es bestreiten?“

„Großer Gott!“, schluchzte sie händeringend. „Wenn ich das geahnt hätte!“

„Nur still!“, ermahnte er sie. „Gott hat es nun einmal zugelassen, und so kann nichts mehr daran geändert werden. Lass die Vergangenheit ruhen und denke an die Zukunft. Sage mir, was mit dem Kindlein geschehen soll.“

„Darüber hast du zu bestimmen!“, wich sie aus. „Denn es ist dir und nicht mir gebracht worden.“

„Wir werden es wohl“, seufzte er bekümmert, „ins Rostocker Waisenhaus bringen müssen.“

„Und das soll ich dulden?“, ereiferte sie sich. „Dein eigen Fleisch und Blut willst du von dir stoßen? In die arge Welt hinaus? Kann das Gottes Wille sein? Ist das christlich? Ist das klug? Das Kind bleibt hier bei uns!“

„Denk an die bösen Zungen!“, stöhnte er.

„Es ist dein Amt“, entgegnete sie, „die Zungen zu lenken. Und ich helfe dir dabei. Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen. Wenn du das Mägdlein nicht adoptieren magst, so werde ich es tun.“

„Vortrefflich!“, atmete er auf. „Diesen Gedanken hat dir der Herrgott eingegeben!“

So gelangte das auf die Schwelle gelegte Kind in das Dobriwalker Pfarrhaus.

Drei Tage später wurde es in aller Stille getauft, und als die Findlingin Maria Johanna Dorothea genannt Glubsch in das Kirchenregister eingetragen. Seyfried Drömpel und Karoline Marlow übernahmen die Patenschaft.

Allein der Vermerk auf dem Ledersäcklein erwies sich als stärker, denn die Magd brachte es geschwind im ganzen Dorf herum, und das Kindlein hieß seitdem nicht anders als des Pfarrers Falsette.

Und Seyfried Drömpel hütete sich wohl, diese ihm keineswegs unwillkommene Vermutung zu erschüttern.

Nur Nickel Vink dachte anders darüber, dieweil er den Dank für den bezwungenen Türschlossriegel noch in bester Erinnerung hatte. Er war auch der erste Besucher, der das Kindlein in näheren Augenschein nehmen durfte.

„Es sieht aus wie ein Englein aus dem Paradiese!“, behauptete er freudigen Herzens.

„Versündigt Euch nicht!“, verwarnte ihn Seyfried Drömpel. „Denn es ist die Frucht eines Fehltrittes!“

„Nun denn, Herr Pfarrer“, schmunzelte Nickel Vink treuherzig, „wenn alle Fehltritte solche Früchte tragen, dann will ich mein Lebtag nichts anderes mehr tun als fehltreten!“

„Wohl dem“, suchte ihn Seyfried Drömpel zurechtzuweisen, „der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzet, da die Spötter sitzen.“

„Also steht geschrieben im Ersten der Psalmen“, stimmte Nickel Vink zu, „aber dieses liebreizende Mägdlein wird davon mitnichten getroffen. Denn es ist so rein und unschuldig wie die Lilie auf dem Felde und wie der Vogel unter dem Himmel. Und Ihr werdet gewisslich nichts an ihm versäumen und es aufziehen in der Zucht und Vermahnung des Herrn, und es wird zu einer wunderschönen Jungfrau erblühen, daran jedermann seine Freude haben wird.“

„Trotzdem“, murmelte Seyfried Drömpel im bibelbüchlichen Beschwörungston, „werden auch an diesem Kindlein die Sünden der Eltern heimgesucht werden, und das bis ins dritte und vierte Glied.“

„Steht im Alten Testament“, fuhr Nickel Vink fort. „Dagegen ist im Neuen Testament zu lesen: Jesus nimmt die Sünder an und isset mit ihnen. Um wieviel mehr wird er sich dieses Kindleins annehmen, das noch von keiner Sünde weiß.“

„Das Dichten und Trachten“, fiel ihm Seyfried Drömpel ins Wort, „des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf immerdar.“

„Aber die Gnade Gottes währet ewiglich!“, stach ihm Nickel Vink dazwischen. „Wie er an diesem Kindlein bereits bewiesen hat. Denn er hat seine Hand ausgestreckt, um es daherzuführen in dieses überaus christliche und tugendreiche Haus. Er hat Euer Herz gerührt, dass Ihr es bei Euch behalten habt, anstatt es nach Rostock ins Waisenhaus zu bringen.“

„Das ist wohl wahr!“, seufzte Seyfried Drömpel. „Aber es steht auch geschrieben: Kann man Trauben lesen von den Dornen und Feigen von den Disteln? Darum: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“

„Warum also“, warf Nickel Vink ein, „wollt Ihr den Stab über ein Bäumchen brechen, das eben erst aus dem Boden gesprossen ist und noch gar nicht daran denkt, Blüten zu treiben?“

Also sprachen die beiden Männer miteinander, deren jeder Grund genug dazu hatte, sich für den Urheber des Kindleins zu halten, das zwischen ihnen in seiner Wiege lag und lächelte.

Am folgenden Sonntag kanzelte Seyfried Drömpel über den Text: Gehet hin in alle Welt und predigt allen Völkern und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Gehet hin in alle Welt und kommet her zu mir alle? fragte sich Nickel Vink auf dem Heimweg. Wie reimt sich das zusammen? Ach, du lieber Herr Jesu, du Erlöser dieser noch immer nicht von der Sünde der Torheit erlösten Welt, warum hast du das Neue Testament nicht mit eigener Hand niedergeschrieben, sondern diese Arbeit Leuten überlassen, die dir weder das Wasser noch die Tinte reichen können?

Hier schob sich aus dem Astloch einer Eiche ein Grünspecht ans Licht, spiralte sich zum Gipfel empor und bäumte ab mit dem Gelächter: Ich bleibe im Lande und nähre mich redlich!

Falsette aber lag um diese Zeit in der Wiege und begann sich die Welt zu beschauen, in die sie hineingeraten war und die ihr nicht übel gefiel.

Denn über ihr hielt die zweihundertjährige Linde, die hinter dem Pfarrhause stand, ihre Äste ausgebreitet, in deren honigduftenden Blütenwogen sich die fleißigen Immen tummelten.

Und dann kam ein Schwalbenschwanz daher geschaukelt, und Falsette griff mit beiden Händchen nach ihm und lachte ihn an wie einen alten Bekannten.

6. Wie sie zu Dobriwalk aufgewachsen

Unter Seyfried Drömpels Aufsicht, in Obhut der Tante und mit Wartung der Magd lernte Falsette stehen, gehen, sprechen, beten und singen. Sie blieb zunächst von jeglicher Krankheit verschont und nahm zu an Alter, Schönheit und Wissbegierde.

Den Herrn Pfarrer hielt sie für ihren Vater und die Frau Tante für ihre Mutter, und niemand fand sich, der es ihr ausgeredet hätte, denn bei allen Dorfbewohnern war sie wohlgelitten.

Sie hatte ein zärtliches Herz und ein sanftes Gemüt, und so konnte es gar nicht ausbleiben, dass sie von Gesina Glubsch und Karoline Marlow, diesen beiden alten Jungfern, tüchtig verzogen und wie eine Puppe herausgeputzt wurde.

„Die Eitelkeit ist ein Laster“, murmelte Seyfried Drömpel missbilligend, aber Gesina Glubsch, die mit der Ankunft des Kindes ihre Gebrechlichkeit ein wenig an den Nagel gehängt hatte, rief kampfbereit: „Ein Frauenzimmer muss was von sich hermachen, sonst kommt sie nicht unter die Haube!“

Was Falsette wollte, das geschah, denn ihrem Lächeln konnte niemand widerstehen. Und da sie niemals etwas Böses wollte, so kam sie nur dazu, Tränen zu vergießen, wenn sie sich einmal wehgetan hatte.

Sogar Seyfried Drömpel begann sich mit ihr zu befreunden, wenn er auch dem Landfrieden nicht ganz trauen mochte. Er nahm sie auf seinen Spaziergängen mit, wobei er jedoch den Nixenweiher geflissentlich mied, ließ keine ihrer Fragen unbeantwortet und versäumte keine Gelegenheit, ihr Herz mit Gottesfurcht und ihr Gewissen mit Treue und Redlichkeit zu erfüllen.

Nicht minder gut verstand sich Falsette mit Nickel Vink, der ihr zu jedem Weihnachtsfest eine Tüte mit Äpfeln verehrte, worauf er von Gesina Glubsch mit einem Becher Glühwein bewirtet wurde.

„Ich danke Euch herzlich, Ohm Kantor!“, sprach Falsette an ihrem sechsten Weihnachten und küsste ihm die Hand.

„Welch ein Jammer“, rief er, hob sie auf sein Knie und küsste sie auf beide Wangen, „dass du nicht zehn Jahre älter bist. Ich würde sofort das Aufgebot bestellen.“

„Das werdet Ihr Euch wohl aus dem Kopfe schlagen müssen“, meinte Gesina Glubsch, und Seyfried Drömpel fragte verwundert:

„Wollt Ihr Euch denn beweiben?“

„Diese löbliche Absicht habe ich!“, nickte Nickel Vink. „Denn der Gnädige Herr hat es auf meine Bitte beim Kammerherrn durchgesetzt, dass das Schulhaus, das solange wie eine Fata Morgana in der Luft geschwebt hat, endlich gebaut wird. Und dann muss, koste es, was es wolle, eine Schulmeisterin her!“

„Habt Ihr denn schon eine an der Hand?“, fragte Gesina Glubsch neugierig.

„Bis jetzt noch nicht“, bekannte Nickel Vink treuherzig. „Und wenn Ihr nur zehn Jahre jünger wäret, dann wüsste ich schon, was ich täte. Ich hätte dann gleich zwei Weiber im Haus, eine ältere und eine jüngere.“

Damit wies er auf Falsette.

„Ich weiß schon, woher dieser Wind weht“, meinte Gesina Glubsch, „Euch ist es nur um die Jüngere zu tun, die Ältere nehmt Ihr nur als Draufgabe.“

„Jeder Schulmeister ist ein Kindernarr“, bemerkte Seyfried Drömpel am Rande.

„Hoppe, hoppe Reiter!“ lachte Falsette, und sogleich ließ Nickel Vink sie auf seinem Knie auf und ab hüpfen und sang dazu:

„Hoppe, hoppe Reiter:

Wenn er fällt, dann schreit er,

Fällt er in den Graben,

Fressen ihn die Raben,

Fällt er in den Sumpf,

Macht der Reiter plumps!“

Und schon saß Falsette auf der Diele, wobei die Tüte platzte und die Äpfel nach allen Windrichtungen auseinanderrollten.

Nickel Vink half ihr beim Einsammeln und sprach sodann: „Wie geschrieben steht: Wenn ihr nicht werdet wie Kinder, so könnet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“

„Him-mel-reich!“, silbte Falsette und biss in einen Apfel hinein, dass er lustig aufknirschte.

Ihr nächster Freund war der Haushahn, der so zahm war, dass er ihr die Körner aus der Hand pickte. Doch dass er die Hennen der Reihe nach beim Schopf kriegte und nach Herzenslust auf ihnen herumtrat, das wollte ihr durchaus nicht behagen.

„Warum tut er das?“, befragte sie die Magd.

Da lachte Karoline Marlow, dass sie sich die Seiten halten musste, worauf sie den Hahn mit ihrem linken Auge beschielte und antwortete: „Er ermahnt sie zum fleißigen Eierlegen.“

Auch mit dem kohlrabenschwarzen Ziegenbock, der auf den von Nickel Vink stammenden Spitznamen Jupiter hörte, war Falsette gut bekannt. Dieser wackere Hörnerträger war der einzige Ziegenbock im ganzen Kirchspiel, denn er gehörte zur Gerechtsame des Pfarrhofes und hatte Seyfried Drömpel schon manchen guten Batzen eingebracht. Nur dass er hin und wieder so heftig roch, empfand Falsette als überaus peinlich.

„Warum tut er das?“, befragte sie die Magd, und sie antwortete prustend: „Weil er so wasserscheu ist.“

In diesen duftreichen Wochen wurde der Ziegenbock Jupiter immer von Leuten aus Dobriwalk und aus Telkow abgeholt, davongeführt und zurückgebracht.

„Was tun sie mit dem Bock?“, fragte Falsette, und Gesina Glubsch antwortete naserümpfend: „Sie führen ihn auf die Weide.“

Um diese Zeit begann die böse Seuche von Seyfried Drömpel zu weichen, und schon im nächsten Jahr fühlte er sich gänzlich befreit von ihr. Und er fiel auf die Knie, dankte dem allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde für diese Gnade und tat das feierliche Gelübde, der Fleischeslust und allem, was damit zusammenhing, den Abschied zu geben.

Und er fand auch tatsächlich die Kraft, den Mann Seyfried Drömpel für immer in die Ecke zu stellen und fortan nichts anderes mehr zu sein als der Pfarrer von Dobriwalk und Telkow.

Vorerst ist die Tante noch ganz gut zu Wege! sprach er zu sich selbst. Und wenn sie einmal die Augen schließt, um nach Gottes Willen in das Himmelreich einzugehen, dann wird das Kind meine Stütze und Helferin sein! Denn es ist ja Fleisch und Bein von meinem Fleisch und Bein!