Vor uns die Liebe - Manuela Inusa - E-Book

Vor uns die Liebe E-Book

Manuela Inusa

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Beschreibung

Im VW-Bus durch das sonnige Kalifornien – die Fortsetzung des stimmungsvollen Jugendromans von Bestsellerautorin Manuela Inusa Fast ein Jahr ist vergangen, seit die 18-jährige Alice bei der Suche nach ihrer Mutter ihrer ersten großen Liebe Cody begegnet ist. Auch in diesem Sommer wollen die beiden zusammen auf Reisen gehen: In Codys altem VW-Bus wollen sie von Kanada die Küste runter bis nach Südkalifornien fahren. Doch neben neuen Abenteuern und romantischen Stunden hat Alice noch etwas anderes im Sinn: Sie will Codys verschollenen Bruder Doug finden. Cody ist davon allerdings gar nicht begeistert, und es gibt noch andere Gründe, weshalb die beiden ständig streiten – nicht zuletzt wegen der hübschen Jeannie, die heftig mit Cody flirtet. Ist ihre Liebe stark genug, den Sommer zu überstehen?

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Seitenzahl: 278

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Manuela Inusa

Vor uns die Liebe

 

 

Über dieses Buch

 

 

Fast ein Jahr ist vergangen, seit die 18-jährige Alice bei der Suche nach ihrer Mutter ihrer ersten großen Liebe Cody begegnet ist. Auch in diesem Sommer wollen die beiden zusammen auf Reisen gehen: In Codys altem VW-Bus wollen sie von Kanada die Küste runter bis nach Südkalifornien fahren. Doch neben neuen Abenteuern und romantischen Stunden hat Alice noch etwas anderes im Sinn: Sie will Codys verschollenen Bruder Doug finden. Cody ist davon allerdings gar nicht begeistert, und es gibt noch andere Gründe, weshalb die beiden ständig streiten – nicht zuletzt wegen der hübschen Jeannie, die heftig mit Cody flirtet. Ist ihre Liebe stark genug, den Sommer zu überstehen?

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Manuela Inusa wurde 1981 in Hamburg geboren und ist gelernte Fremdsprachenkorrespondentin, aber schon als Kind wollte sie Autorin werden. Nach ersten Erfolgen im Selfpublishing eroberte sie die «Spiegel»-Bestsellerliste. Manuela Inusa lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in ihrer Heimatstadt.

Inhalt

Motto

Playlist 1

Heute

Dinner

Cody

Musik

A Cappella

Nachrichten

Träume

Entscheidungen

Abschluss

Der perfekte Tag

Playlist 2

Wiedersehen

Burritos

Portland

Mütter

Cannon Beach

Mücken

Disney-Tage

Seattle

Frank

Pancakes

Schlösser

Vancouver

Kanada

Playlist 3

Yakama

Kühe

Yosemite

Doug

Lagerfeuer

Jeannie

Lovesong

San Francisco

Big Sur

Santa Clarita

San Bernardino

Los Angeles

Playlist 4

Hollywood

Stars

Brudersuche

Hitze

Cara

Autopanne

Lila Haare

Mexiko

Brüder

Zukunft

Home

But you brought me here

And I’m happy that you did

’Cause now I’m as free

As birds catching the wind

 

Malibu

(Miley Cyrus)

Playlist 1

My new life

Fuck You – Lily Allen

Mama Said – Lukas Graham

I Hope She Cheats – Tory Rines

Underdog – Alicia Keys

Mercy – Shawn Mendes

Helium – Sia

Love Yourself – Justin Bieber

Play That Song – Train

Walk Me Home – P!nk

Dandelions – Ruth B.

Crazy – Gnarls Barkley

Wrecking Ball – Miley Cyrus

Scars to Your Beautiful – Alessia Cara

Skyscraper – Demi Lovato

White Winter Hymnal – Fleet Foxes

Heute

Meine Schwester betritt mein Zimmer. Sie hat sich vor ein paar Wochen das Haar pink gefärbt, ich muss mich noch daran gewöhnen.

«Na? Wie findest du die?», fragt Mika stolz, zeigt auf ihre neuen Schuhe und vollführt ein paar weitere Präsentationsgesten, als wären wir im Teleshopping. Sie sind ebenfalls pink.

Ich schätze, sie ist in einer Selbstfindungsphase, was mich an die Zeit denken lässt, als ich immer nur in Schwarz herumgelaufen bin. Das war im letzten Jahr, doch es war nicht aus Lust und Laune, sondern weil unser Dad gestorben war.

«Cool!», sage ich und erinnere mich an meine eigenen pinken Schuhe, die ich in einem anderen Leben getragen habe.

Mika setzt sich zu mir aufs Bett und strahlt mich an. Ich erkenne es sofort: Meine kleine Schwester ist verliebt.

Ich grinse sie an. «Na, heute irgendwelche süßen Typen unterwegs?»

Sie errötet ein wenig, zuckt dann unschuldig mit den Schultern. «Keine Ahnung, was du meinst. Ich war nur shoppen mit Tori und Lucy.»

«Klar.» Ich grinse weiter und fische ein Blatt Papier aus meinem Rucksack. Ein Songtext, den ich noch einstudieren muss bis zum nächsten Auftritt der Rockappellas.

Wenn mir vor einem Jahr jemand gesagt hätte, dass ich heute Mitglied einer A-cappella-Musikgruppe sein würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Nach Dads Tod hatte ich nämlich komplett aufgehört mit dem Musikmachen. Ich konnte es einfach nicht mehr. Nur meine Gitarre in die Hand zu nehmen, hat mich an unsere happy Wohnzimmer-Sessions erinnert, und ich war mir sicher, ich würde nie wieder auch nur ein einziges Wort singen können. Doch dann, nach und nach, habe ich es geschafft, mich meinem liebsten Hobby wieder anzunähern. Und am Ende war ich mir sogar sicher, dass es genau das ist, was Dad von mir erwartet, was er sich für mich gewünscht hätte.

Als ich nach den Sommerferien, in denen ich so ganz nebenbei meine erste große Liebe gefunden habe, auf eine neue Schule gekommen bin, wollte ich unbedingt wieder richtig Musik machen. Auf meiner alten Highschool, bevor meine Welt in tausend Stücke zersplittert ist, habe ich bei den Ballad Queens gespielt und gesungen, doch dann sind Mika und ich zu unserer Tante April gezogen und wir mussten beide nach den Ferien auf eine Schule in unserem neuen Bezirk wechseln. Die ersten Tage hab ich mich da ein wenig allein gefühlt und war unschlüssig, ob ich mich irgendeiner Gruppe oder Band anschließen sollte. Aber dann sah ich das Plakat der Rockappellas am Schwarzen Brett, auf dem sie nach neuen Mitgliedern suchten. Also bin ich zum Vorsingen gegangen.

Ohne meine Gitarre fühlte ich mich zuerst ganz fehl am Platz, doch schließlich habe ich mich von den guten Vibes der anderen mitreißen lassen und habe schnell gemerkt, dass es ein ziemlich cooler Ersatz ist. Und vielleicht war es auch einfach Zeit für etwas Neues. Ja, ich fühle mich bei den Rockappellas richtig gut aufgehoben und bin gerne bereit, einen großen Teil meiner Freizeit ins Proben von Texten und Performances zu stecken.

«Ein neuer Song?», fragt Mika und schielt auf den Zettel in meiner Hand.

Ich nicke. «Ja. Mama Said von Lukas Graham. Kennst du den?» Ich halte ihr den Text vor die Augen. So nah, dass der Zettel ihr Gesicht berührt.

Mika lacht und windet sich. «Bin mir nicht sicher», sagt sie.

Ich fange an zu singen, und nur fünf Sekunden später summt Mika mit. Den Chorus kann sie sogar mitsingen.

«Na, du kennst ihn ja doch!», stelle ich fest.

«Anscheinend, ja.» Mika zwinkert mir zu und sieht mich dann an, wie nur eine Schwester es kann – voller Liebe und Zuneigung und als wäre ich der wichtigste Mensch in ihrem Leben. «Wann habt ihr euren nächsten Auftritt?», fragt sie.

«Am Freitag bei der Schulfeier. Ich hab April schon Bescheid gesagt, sie will kommen. Was ist mit dir?»

Mika sieht mich an, als wäre das eine total bescheuerte Frage. War sie nicht bisher bei all meinen Auftritten dabei? Und hat sie nicht am lautesten von allen geklatscht und gejubelt?

«Natürlich komme ich, Ally.»

«Sicher? Du musst wirklich nicht jedes Mal kommen, falls du Besseres zu tun hast.» Immerhin ist Mika inzwischen vierzehn und hat nicht nur mehr Freundinnen, als ich jemals hatte, sondern fängt langsam auch an, sich fürs andere Geschlecht zu interessieren.

«Ich komme, Ally», sagt Mika noch einmal mit Nachdruck und klingt fast beleidigt.

«Danke, Süße. Du bist echt die beste Schwester, die man sich wünschen kann.» Ich umarme sie ganz fest, bin so froh, sie zu haben. Wir beide haben wirklich viel durchgemacht, sind zusammen durch die Hölle gegangen.

Ohne sie hätte ich es niemals geschafft.

«Hab dich voll lieb», erwidert sie und umarmt mich. «Wollen wir den Text zusammen üben?», bietet sie dann an.

«Nur, wenn du nichts …» Ich stoppe mich selbst. «Gerne», sage ich, und wir lehnen uns beide mit dem Rücken an die Wand und singen. Seit wir keine Wohnzimmerband mehr sind, haben wir das nicht allzu oft zusammen getan, aber – verdammt! – es fühlt sich so gut an.

Irgendwann ruft April nach uns. Das Dinner ist fertig. Wir stehen auf, und ich sage: «Wer als Erstes in der Küche ist!», während ich schon loslaufe.

Mika rennt mir lachend hinterher.

Zwei unbeschwerte Schwestern.

Nicht alle Tage sind so. Doch es werden mehr und mehr, und ich weiß, unser Dad sieht zu und freut sich.

Dinner

Wir sitzen am Tisch und essen vegane Lasagne, für die April heute über eine Stunde in der Küche gestanden hat. Es schmeckt echt lecker, ich bin bereits beim zweiten Stück.

Mika erzählt gerade etwas von einer Zwei in Mathe, als mein Handy vibriert. Ich bin sicher, es ist eine Nachricht von Cody, aber das muss leider warten. Denn in der Hinsicht ist unsere Tante streng. Mika darf sich zwar ihre Haare färben, und hin und wieder dürfen wir uns in ihrem ansonsten strikt veganen Haushalt ein paar Eier braten, doch am Tisch sind keine Handys erlaubt, darauf besteht April. Es ist okay. Cody wird sich schon zwanzig Minuten gedulden können.

Oder auch nicht. Denn mein Freund ist leider ziemlich ungeduldig, vor allem, wenn er mir irgendwas – in seinen Augen – Superwichtiges zu erzählen hat. Zum Beispiel, wenn er mir ein neues Foto, das er für seinen Kurs geschossen hat, zeigen und von mir wissen will, ob es auch gut genug ist. Oder wenn die Red Hot Chili Peppers einen neuen Song draußen haben und Cody fragt, ob ich ihn schon kenne. Oder auch nur, weil er hören will, ob ich den neuen Veggieburger von Burger King schon probiert habe.

Als wüsste April genau, an wen ich gerade denke, sieht sie mich an und fragt: «Wie geht es Cody?»

«Ihm geht es gut, danke», antworte ich.

«Wie läuft es für ihn an der Kunsthochschule?», erkundigt sich meine Tante. Sie ist ziemlich neugierig, was noch schlimmer geworden ist, seit sie Cody persönlich kennengelernt hat. Das war in den Weihnachtsferien. Damals waren auch meine einst verschollene Mutter und mein kleiner Halbbruder Adam, von dem ich bis vor Kurzem noch nicht einmal wusste, dass es ihn gibt, zu Besuch bei uns in Elk Grove, und wir haben alle zusammen ein fröhliches Familienfest gefeiert.

«Sehr gut. Er liebt es total», antworte ich auf Aprils Frage.

Das stimmt. Seit Cody seine Mutter dazu gebracht hat, seinen gewalttätigen Vater zu verlassen, und die beiden zu seinem Grandpa Walter nach Portland gezogen sind, hat sich Codys gesamtes Leben verändert. Er ist nicht nur viel glücklicher und muss nicht mehr in ständiger Angst um sich und seine Mom leben, sondern er blickt der Zukunft endlich optimistisch entgegen. Außerdem hat er ein Teilstipendium für die renommierte Warwick School of Arts ergattert und studiert dort seit diesem Semester Fotografie. Mit voller Leidenschaft.

«Das freut mich. Und da wir schon beim Thema Cody sind – ich würde gerne mit euch die Sommerferien besprechen.» April sieht uns an. Im letzten Jahr haben wir das nicht getan, denn da war gerade Dad gestorben, wir waren zu April gezogen und keiner von uns hatte irgendwelche Reisen im Sinn. Damals habe ich natürlich noch nicht gewusst, dass ich mich auf die Suche nach meiner Mutter machen und zusammen mit Cody wochenlang durch das halbe Land reisen würde.

«Elodies Mom hat mich doch gefragt, ob ich wieder mit ihnen in den Yosemite komme», sagt Mika, als hätte April es vergessen.

«Ja, das weiß ich. Und Alice hat Pläne mit Cody. Während ihr beide weg seid, würde ich gerne selbst ein paar Tage mit Mitch verreisen.»

April lächelt vor sich hin. Mitch ist vor ein paar Monaten in ihr Leben getreten. Er ist ihr neuer Steuerberater, und sie ist ganz hin und weg von ihm.

«Nur ein paar Tage?», frage ich. «Also ich werde bestimmt mindestens einen Monat mit Cody unterwegs sein, und Mika ist auch den ganzen Juni campen.» Wenn alles gut geht, werden Cody und ich sie im Yosemite-Nationalpark besuchen kommen. «Warum gönnst du dir nicht eine längere Auszeit?», frage ich. Denn April hätte sie ehrlich verdient.

«Nun, zuerst einmal kann ich meine Klienten nicht so lang allein lassen …», meint April, und Mika und ich sehen einander an und müssen grinsen.

Wir nennen Aprils Klienten eher Patienten, denn ganz gesund scheinen die meisten wirklich nicht zu sein. April ist Life Coach und sie hat recht, ein Großteil der Typen, die sie berät, und es sind komischerweise fast nur Männer, wären ohne sie wohl aufgeschmissen. Wie sollte zum Beispiel der megaschüchterne Kerl zurechtkommen, dem April jede Woche aufs Neue erklären muss, wie man seinen Mitmenschen begegnet? Oder der notorische Fremdgänger! Wie könnte er es ohne April schaffen, in dieser einen Beziehung endlich einmal treu zu bleiben?

«Macht euch nicht über meine Klienten lustig!», schimpft unsere Tante, allerdings mit einem belustigten Unterton.

«Würden wir niemals wagen», sage ich.

«Also wie auch immer», fährt April fort. «Ich kann nicht allzu lange weg. Und ich würde viel lieber noch einmal ein paar Tage freinehmen und etwas mit euch beiden unternehmen. Die Sommerferien sind lang. Und bedenkt, dass Alice uns bald verlassen wird und dies vorerst unsere letzte Chance auf einen gemeinsamen Urlaub ist.»

April ist fast die Einzige, die mich bei meinem richtigen Namen nennt. Für alle anderen bin ich einfach Ally. Für Dad war ich Al. Für Cody bin ich manchmal Frito, weil Fritos meine Lieblingschips sind.

Ich verdrehe die Augen. «Du hörst dich an, als würde ich in den peruanischen Dschungel ziehen.» Dabei gehe ich doch nur aufs College. Das hoffe ich zumindest. Bis jetzt habe ich noch immer keine Zusage erhalten. Ich habe mich an sechs Colleges beworben und warte sehnsüchtig auf Antwort.

«Na, ein bisschen fühlt es sich auch so an», sagt April und klingt fast ein bisschen gefühlsduselig. So kenne ich sie ja gar nicht!

«Ich hoffe, du wirst auf der UCLA angenommen, dann komme ich dich immer in Los Angeles besuchen», sagt Mika.

Ja, das hoffe ich auch. Besonders weil mir die Stadt auf meinem Roadtrip im letzten Jahr so gut gefallen hat. Zudem war L.A. Dads Lieblingsstadt, und wenn er da, wo er jetzt ist, noch irgendwas zu sagen hat, hilft er dem Ganzen vielleicht ein bisschen nach.

«Egal, wo ich hingehe, wir werden uns immer noch ganz oft sehen. Ich habe mich doch nur an kalifornischen Colleges beworben, ich verlasse also nicht mal den Staat, und die Ferien werde ich sowieso immer bei euch verbringen und euch auf die Nerven gehen.» Ich zwinkere den beiden zu.

Kurz hatte ich überlegt, mich an einem College in Texas zu bewerben, wo meine Mom lebt. Doch so weit weg von Mika könnte ich es gar nicht aushalten, und Cody hat es nach Kalifornien auch nicht ganz so weit.

«Versprochen?», fragt Mika.

«Versprochen», sage ich.

«Na gut, wenn das jetzt geklärt wäre, müssten wir uns nur noch überlegen, wo wir zu dritt hinfahren wollen. Wenn ihr beide von euren Trips zurück seid, Mitte August vielleicht», schlägt April vor.

Ich blicke meine Schwester an, die noch heute von einer ganz besonderen Reise schwärmt, die wir einmal mit unserem Dad gemacht haben. Und ich sage: «Ich will ins Disneyland.»

Mikas Augen leuchten auf.

April sieht mich mit gerunzelter Stirn an. «Ist das dein Ernst?»

«Klar. Dafür ist man doch nie zu alt, oder?»

«Oh, bitte, bitte. Das wäre so cool!», sagt Mika aufgeregt.

Wir beide schauen unsere Tante erwartungsvoll an.

«Na, ich glaube, ihr habt euch bereits entschieden, oder?» Sie lacht. Zum Glück. Denn ich hatte schon befürchtet, sie will mit uns ins Napa Valley, weil sie so gerne zu Weinproben geht und so weiter. Doch sie scheint sich schnell mit der Idee anzufreunden. «Nun gut, das Disneyland soll es sein.»

«Yay!», ruft Mika und stopft sich die letzten Reste ihrer Lasagne rein. «Kann ich jetzt aufstehen? Ich muss noch fürs Referat üben.»

«Ja, natürlich. Viel Erfolg. Falls du Hilfe brauchst, ruf nach mir», meint April.

Mika nickt, springt auf und läuft in ihr Zimmer.

Ich lächle meine Tante an. «Danke, April.»

Sie lächelt zurück. «Mika kann sich wirklich glücklich schätzen, so eine tolle Schwester zu haben», sagt sie.

Mir wird ganz warm uns Herz.

Cody

Sobald ich auf meinem Zimmer bin, rufe ich Codys Nachricht auf. Sofort muss ich lächeln. Weil Cody mich immer zum Lächeln bringt.

Soll ich dir einen neuen Song für deine Gruppe vorschlagen? Under the Bridge von den Red Hot Chili Peppers. Na, was sagst du?

 

Wie kommst du denn auf den Song?

 

Habe gerade ein paar alte Songs meiner Lieblingsband gehört und dachte, der würde sich gut eignen. Stell ihn dir mehrstimmig vor.

 

Ach, Cody. Ist echt süß von dir, aber ich glaube nicht, dass sich die anderen dafür begeistern können. So was ist einfach nichts für die Rockappellas.

 

Alles gut. Ich wollte es dir nur vorgeschlagen haben.

 

Sei nicht beleidigt, okay?

Cody meint es ja nur gut. Er liebt die Peppers und er weiß, wie sehr ich auf die Musik der Neunziger stehe. Gestanden habe. Keine Ahnung. Mein Dad hat sie sehr gemocht, und seit ich denken kann, haben wir als Wohnzimmerband neben den Songs von Justin Bieber und Miley Cyrus (Mikas Auswahl) und P!nk und Lana Del Rey (meine Beiträge) immer auch Hits der Neunzigerjahre gespielt. Weshalb es dann dazu gekommen ist, dass die Ballad Queens ebenfalls hauptsächlich Neunzigerjahre-Balladen gesungen haben.

Doch das ist Vergangenheit. Das alles. Jetzt will ich im Hier und Jetzt leben, und dazu gehören auch die Songs der Gegenwart.

Bin ich nicht. Alles cool. Was machst du so?

 

Ich habe gerade mit April und Mika gegessen. Weshalb ich auch nicht gleich antworten konnte.

 

Oh. Was gab es Leckeres? Quinoa mit Grünkernbratlingen? Oder die guten alten Tofuschnitzel mit Gemüse an Gemüse?

 

Haha. Sehr lustig. Es gab Lasagne. Und die war sogar unerwartet lecker.

 

Freut mich für dich. Wir hatten Steaks.

Einen Moment halte ich inne. Steaks? Meint er etwa welche aus Fleisch? Ich dachte eigentlich, dass Cody ebenfalls Vegetarier geworden ist, seit wir unsere gemeinsame Reise gemacht haben. Zumindest hat er damals mir zuliebe auf totes Tier verzichtet. Und auch bei seinem Besuch zu Weihnachten hat er keins gegessen.

Ich hoffe, du sprichst da gerade von Sojasteaks.

 

Ääähm. Sorry, aber mein Grandpa wollte seinen neuen Grill ausprobieren.

 

Du weißt schon, dass man auch Fake-Fleisch grillen kann?

 

Er hatte die Steaks schon besorgt. Ich wollte nicht unhöflich sein.

Ich frage mich, wieso würde sein Grandpa Fleisch besorgen, wenn Cody sich sonst vegetarisch ernährt?

Tja, anscheinend tut er das nicht.

Und natürlich wusste ich das nicht, weil wir nun mal tausend Meilen voneinander entfernt wohnen und jeder sein eigenes Leben führt.

Cody weiß ja auch nicht, dass ich neulich auf einer Party viel zu viel getrunken habe. Er verabscheut Alkohol und Leute, die ihn zu sich nehmen, da sein Vater früher oft unter dem Einfluss von Scotch und Bier ziemlich mies zu ihm und seiner Mutter gewesen ist. Und zu seinem Bruder Doug, weshalb der sich, sobald er achtzehn wurde, aus dem Staub gemacht hat.

Na ja, ich kann ihm nicht böse sein. Wir haben alle unsere Schwächen.

Sei nicht sauer, ja? Wenn wir im Sommer zusammen unterwegs sind, bin ich wieder voll dabei. Okay?

 

Okay.

 

Was machst du gerade?

 

Hab ich doch vor zwei Minuten schon gesagt.

 

Du hast gesagt, was du eben gemacht hast. Aber was machst du jetzt?

 

Ich liege auf dem Bett und chatte mit dir.

 

Denkst du auch an mich?

 

Na klar.

 

Vermisst du mich?

 

Sehr.

 

Ich vermiss dich auch.

Wir schicken einander noch ein kitschiges Kuss-Foto, dann schreibe ich Cody, dass ich nun wirklich noch meinen Text lernen muss. Morgen ist Bandprobe.

Ich hoffe so, euch bald endlich mal live zu sehen.

Das schreibt er noch. Dann lässt er mich proben. Ich stehe in meinem Zimmer, tanze die einstudierten Schritte und singe dazu meinen Part des Songs. Und ich freue mich schon riesig auf unseren Auftritt.

Unglaublich, zu was für einem Menschen ich geworden bin.

Musik

Ich singe. Ganz ohne meine Gitarre, die ich immer als meinen dritten Arm bezeichnet habe. Doch es läuft. Es passt. Es macht Spaß. Riesigen Spaß.

Ich stehe in zweiter Reihe unserer Gruppe, die aus zwölf Mitgliedern besteht: acht Mädchen und vier Jungen. Die anderen singen teilweise schon jahrelang zusammen, ich bin ja erst im September, also vor knapp sieben Monaten, dazugestoßen. Und doch habe ich das Gefühl, ich wäre schon immer dabei gewesen.

Die anderen Rockappellas sind toll, man fühlt sich bei ihnen wie zu Hause. Und ich bin froh, ein Teil von ihnen sein zu dürfen.

«Kannst du das zweite Okay ein wenig tiefer singen, Ally?», bittet mich Cassandra, die die Leaderin unserer Gruppe ist. Sie nimmt schon Musikunterricht, seit sie vier ist, und hat notentechnisch und auch was die Aufstellung angeht, viel mehr drauf als der Rest von uns zusammen. Und deshalb hören wir auf sie. Weil sie weiß, wie wir am besten klingen.

Ich singe also das zweite Okay tiefer, und Cassie nickt zufrieden. Dann fangen wir noch mal von vorne an. Ricky, Jordan und Ruby übernehmen den Rap-Part, während wir anderen Babada und Uh-uh-uh als Background singen und bei einigen Stellen im Kanon einsteigen. Beim Refrain übernehmen Cassie, Libby, Kayla und ich, während die Jungs den Background angehen. Dann enden wir alle zusammen auf Babada-babada-baba.

Ich kann nicht aufhören zu strahlen. Wieso bin ich nicht schon früher auf die Idee gekommen, a cappella zu singen? All die Male, die ich mir mit Mika die Pitch-Perfect-Filme angeschaut habe? Während Mika und ich den Bellas zugesehen haben, wie sie Songs auf so coole Weise performt haben? Doch daran musste ich gleich bei meiner ersten Probe denken, und ich wusste, dass Mika ebenfalls begeistert sein würde.

Und so war es dann auch. Mika genauso wie April. Und wie Mom, der Mika jedes Mal ein Video schickt, wenn ich einen Auftritt hatte.

Wir sind schon überall aufgetreten. Bei Schulveranstaltungen, Gesangsabenden, bei einer Kaufhaus-Eröffnung, bei der Einweihungsfeier des neuen Bowlingcenters, bei Weihnachtsfeiern, Geburtstagsfeiern, zwei Hochzeiten und einer Beerdigung. Die war für eine Katze. Die von unserem Schuldirektor, Headmaster Newton.

Er steht total auf unsere Musik und wippt immer mit, wenn er im Publikum sitzt. Er ist mächtig stolz, dass seine Schule eine so beliebte Musikgruppe hervorbringt, und hat uns sogar einen Auftritt im Regionalfernsehen verschafft. Headmaster Newton ist unser größter Fan.

Und ich bin endlich wieder am Leben.

Nach Dads Tod war es nicht leicht für mich. Klar, für kein Kind ist es leicht, wenn ein Elternteil stirbt. Doch für Mika und mich war es besonders schlimm, weil wir dabei waren, als Dad seinen tödlichen Unfall hatte. Wir waren im Schwimmbad. Er ist kopfüber ins Becken gesprungen – und aufgeschlagen. Mika und ich sind dem Krankenwagen in unserem eigenen Auto gefolgt – ich weiß bis heute nicht, wie ich es überhaupt geschafft habe, den Wagen zu lenken. Doch wir haben Dad nicht mehr lebend wiedergesehen.

Und das war es dann. Unsere Welt brach zusammen. Wir standen ohne Vater da. Und auch ohne Mutter. Denn unsere Mom hat uns verlassen, als ich sieben und Mika drei Jahre alt war.

All die Jahre haben wir geglaubt, dass Mom uns nicht geliebt hat, doch als Dad dann von uns ging, hat April einen Stapel Briefe hervorgeholt, die ich alle gelesen habe und die meine Sicht auf Mom völlig verändert haben. Denn meine Mutter war krank, genauer gesagt bipolar, und hat uns nur deshalb verlassen, weil sie Angst um uns hatte. Angst davor, sie könnte uns etwas antun oder nicht genug auf uns Acht geben, und uns könnte etwas passieren, wie es schon ein paarmal der Fall gewesen war. Daran habe ich mich nach und nach wieder erinnern können auf meiner Reise. Denn ich habe mich, gleich nach Ende des Schuljahres und sobald ich achtzehn geworden bin, auf den Weg gemacht. Auf die Suche. Erst zu ihrem letzten bekannten Wohnort, Sedona, Arizona, wo ich mich mit Cody zusammengetan habe, der zu dem Zeitpunkt noch dort gelebt hat.

Ich kannte Cody bereits aus dem Internet, bei meiner Recherche bin ich auf ihn gestoßen und hatte gleich das Gefühl, in ihm einen Verbündeten gefunden zu haben. Und so war es dann auch. Gemeinsam fanden wir immer mehr Anhaltspunkte und fuhren weiter nach Las Vegas, wo meine Mom eine Zeit lang in einer Kneipe gesungen hat. Dort erfuhren wir, dass sie inzwischen in San Antonio, Texas lebt, und auch dorthin bin ich zusammen mit Cody gefahren. Er war die ganze Zeit an meiner Seite und hat mir Mut gemacht – bis ich Mom endlich in meinen Armen hielt.

Cody. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn gemacht hätte. Ob ich sie ohne ihn geschafft hätte, diese lange Reise. Und ob ich ohne ihn die Verzweiflung, die sie immer wieder mit sich brachte, durchgestanden hätte.

Ich liebe Cody. Auch wenn ich ihm das erst einmal gesagt habe. Es fällt mir noch immer schwer, Menschen zu sehr in mein Herz zu lassen, weil ich fürchte, sie nur doch wieder zu verlieren. Aber ich will ihm vertrauen. Weil ich weiß, dass ich es kann. Cody ist für mich da, mehr als jeder andere Mensch auf der Welt. Er ist meine andere Hälfte. Und ich kann es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Und wieder mit ihm auf Reisen zu gehen. Er weiß es noch nicht, aber in diesem Sommer habe ich vor, jemanden zu suchen, den er schrecklich vermisst: seinen Bruder Doug.

Im letzten Sommer habe ich ihm genau das vorgeschlagen, ihm angeboten, sich gemeinsam auf die Suche nach Doug zu machen. Und zuerst schien Cody auch ganz gerührt von der Idee zu sein. Seitdem hat er die Sache aber nie mehr erwähnt, und als ich einmal versucht habe, es anzusprechen, war er gleich gereizt und meinte, mit Doug hätte er abgeschlossen.

Doch ich kenne Cody besser.

Ich weiß, er wünscht sich nichts sehnlicher, als seinen großen Bruder endlich wiederzusehen. Und ich hoffe, ich kann der Mensch sein, der ihm diesen Wunsch erfüllt.

«So, Leute, der Song sitzt. Jetzt müssen wir uns noch überlegen, was wir am Freitag neben Mama Said noch singen wollen», sagt Cassie. «Irgendwelche Vorschläge?»

«Fuck You!», schlägt Jordan vor. Den Lily-Allen-Song, den ich nebenbei bemerkt ziemlich cool finde, haben wir im letzten Monat einstudiert.

Doch Cassie schüttelt sofort den Kopf. «Der ist super für die Geburtstagsparty eines Mitschülers, aber eher weniger geeignet für eine Schulveranstaltung mit Lehrern und Eltern.»

Ich muss lachen. Ich glaube nicht, dass April etwas gegen einen solchen Song einzuwenden hätte, doch ich kenne die Mütter und Väter einiger anderer Schüler: zugeknöpft und hochnäsig und nur mit einem Lächeln im Gesicht, wenn ihre Kinder eine Eins schreiben. Fuck you, fuck you very, very much … könnte sie einem Herzinfarkt näherbringen.

«Wie wäre es mit Walk Me Home?», frage ich, weil ich P!nk nach wie vor vergöttere.

«Hmmm», macht Cassie und legt sich einen Finger ans Kinn. «Guter Vorschlag. Der Text ist elterntauglich, und wir haben die Choreografie gut drauf. Letzten Monat bei der Kaufhauseröffnung kam der Song wirklich gut an. Wer ist dafür?»

Wir stimmen ab, alle sind dafür, und ich freue mich.

Das wäre geklärt. Wir suchen noch nach einem dritten Song und entscheiden uns für Helium von Sia. Es ist nie leicht, die passende Mischung zu finden, am Ende liegen wir aber doch immer richtig und erhalten rasenden Applaus.

Es fühlt sich gut an, wieder gesehen zu werden.

Es fühlt sich gut an, die Musik wieder mein Leben bestimmen zu lassen.

Thank you, thank you very, very much.

A Cappella

Der Auftritt läuft fantastisch. Wir machen keinen einzigen Fehler und sind voll auf der Höhe. Das Publikum applaudiert, und wir müssen sogar eine Zugabe geben. Mika nimmt alles auf Video auf, für Mom, und April könnte nicht stolzer aussehen.

Manchmal schaut meine Tante noch immer so aus, als könne sie nicht glauben, dass wirklich ich das bin, dort auf der Bühne. Ich, dieser Mensch, der sich noch vor nicht allzu langer Zeit in ein Loch verkrochen und geschworen hat, nie wieder rauszukommen.

Doch hier stehe ich und singe. Und ich spüre Dad bei mir. So, wie ich ihn in Momenten wie diesen immer spüre.

 

Nach dem Auftritt fragt uns Headmaster Newton, ob wir nicht auf der Abschlussfeier singen wollen. Wir nicken, während es in unseren Köpfen schon rattert, weil wir überlegen, welches der passende Song für solch einen wichtigen Auftritt sein könnte.

Der Auftritt unseres Lebens. Der, der uns garantiert für immer am meisten in Erinnerung bleiben wird.

«Okay, Rockappellas», sagt Cassie, bevor wir uns an diesem Abend voneinander verabschieden. «Jeder von uns denkt mal scharf nach und schreibt einen Song auf, okay? Bei der nächsten Probe gehen wir alle Vorschläge durch.»

Ich bin bereits am Grübeln, als Mika und April zu mir kommen und mich umarmen. Danach fahren wir Pizza essen, mein Lieblingsessen. April bestellt eine ohne Käse, ich eine Margherita mit extra Käse im Rand. Wir reden und lachen und verbringen einen wirklich schönen Abend. Doch zwischendurch wandern meine Gedanken immer wieder zur Abschlussfeier. Dass Headmaster Newton sie angesprochen hat, macht es so real.

Bald wird wirklich alles vorbei sein. Zwölf Jahre Schule. Und ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Die Antworten der Colleges müssten bald eintreffen. Ich bin nervös ohne Ende.

Als wir nach dem Essen nach Hause kommen, fragt April mich, ob alles in Ordnung ist. Ich nicke. Klar.

«Kann ich dir das glauben? Du wirkst ein wenig bedrückt.»

«Ich mache mir nur Gedanken.»

«Wegen der Colleges?»

April kennt mich gut. Ich nicke erneut.

«Das kann ich verstehen. Aber du wirst deinen Weg gehen, Alice, was immer das Leben auch für dich bereithält.»

«Danke», sage ich und umarme sie.

«Ich bin für dich da, wenn du reden willst, ja?»

«Okay. Du, April, ich hab eine Frage.» Das will ich sie schon lange fragen.

«Worum geht es?»

«Ich wollte … dich bitten … ob du vielleicht mit mir zu deiner Ärztin gehen kannst?»

«Zu meiner Ärztin? Fehlt dir etwas?» Sorge mischt sich in ihren gerade noch so zuversichtlichen Blick.

«Nein, nein, ich meinte … Ich würde mir gerne … ähm … die Pille verschreiben lassen.»

«Oh.» April sieht mich an. «Du hast also schon Sex mit Cody?», fragt sie behutsam.

Fast muss ich lachen. Was denkt April denn? Ich bin achtzehn, wir sind seit fast einem Jahr zusammen, und wir lieben uns. Sehr.

«Ja. Und da wir bald wieder mehrere Wochen miteinander verbringen, dachte ich, ich will auf der sicheren Seite sein.»

«Das finde ich sehr verantwortungsbewusst», sagt meine Tante. «Aber Alice, du bist fast neunzehn. Du brauchst mich nicht, um dir die Pille zu besorgen.»

«Ich weiß. Ich hätte es aber gerne, dass du mitkommst.»

Sie sieht mich mit Wärme in den Augen an. «Dann begleite ich dich natürlich. Ich mache einen Termin, ja?»

Ich nicke. «Danke.»

Ich nehme mir noch eine Cola light aus dem Kühlschrank und gehe in mein Zimmer. Plötzlich steht Mika vor mir.

«Ich hab euch gehört», sagt sie, halb schockiert, halb erfreut. Weil sie denkt, gerade ein Geheimnis erfahren zu haben. Doch es war nie eins. Wenn sie mich gefragt hätte, hätte ich es ihr gesagt.

«Ja?» Ich setze mich auf mein Bett.

Mika schließt die Tür hinter sich und bleibt vor mir stehen. «Du hattest Sex mit Cody?», fragt sie mit großen Augen.

«Ach, Mika. Du bist echt noch ein Kind, oder?»

«Bin ich nicht! Ich habe River Strand geküsst.»

Jetzt mache ich große Augen. «Was? Wann?»

«Gestern.»

«Und warum hast du mir das nicht erzählt?»

«Na, weil du so mit Proben beschäftigt warst. Und weil ich vielleicht auch mal ein Geheimnis haben wollte.»

Ich sehe sie an, meine kleine vierzehnjährige Schwester, die zum ersten Mal geküsst wurde.

«War es schön?», frage ich.

Mika strahlt und nickt. Errötet dann. Total. «Es war perfekt.»

«Ich will alles hören», sage ich und ziehe Mika auf mein Bett. Wir setzen uns im Schneidersitz gegenüber und dann höre ich zu, wie Mika mir von River erzählt und von dem überwältigenden Gefühl, das allererste Mal die Lippen eines Jungen auf den eigenen zu spüren.

Mein erster Kuss ist schon so lange her. Es war auf einer Geburtstagsparty, und der Junge, der mich geküsst hat, hat am selben Abend noch mit einer anderen rumgeknutscht. Ich habe diesen ersten Kuss nicht in guter Erinnerung, doch Mika scheint schwer verliebt zu sein, und ich freue mich für sie.

Meine kleine Schwester wird erwachsen. Jetzt fühle ich mich gleich ein wenig besser bei dem Gedanken, sie bald verlassen zu müssen. Falls ich denn auf einem der Colleges angenommen werde.

Während Mika weiterschwärmt, denke ich an Cody, an weite Straßen und an einen wunderbaren Sommer, der vor mir liegt.

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Anfang Mai erhalte ich endlich die langersehnten Briefe. Sechs Briefe von sechs Colleges. April hat sie anscheinend aus dem Briefkasten gefischt und mir auf den Schreibtisch gelegt, ohne jedoch etwas dazu zu sagen, obwohl ich weiß, dass sie mindestens genauso aufgeregt ist wie ich. Sie wünscht mir, dass ich auf ein College komme, auf dem ich mich wohlfühle. Eins, auf dem ich mich entfalten kann. Und das wünsche ich mir auch.

Und doch ist die UCLA meine erste Wahl. Also lege ich den Brief von diesem College zur Seite und beschließe, ihn als Letztes zu öffnen.

Zuerst nehme ich den Umschlag der Sacramento State in die Hand. Einem staatlichen College, bei dem sich die Kosten in Grenzen halten würden. April hat mir zwar gesagt, dass es okay wäre, meinen Anteil aus Dads Lebensversicherung für eine private Schulausbildung zu verwenden, doch irgendwie fühle ich mich schlecht dabei. Ich mag den Gedanken nicht, dass Dad für mein College gestorben sein soll. Und deshalb habe ich mich auch bei staatlichen Schulen beworben.

Gleich der erste Brief ist eine Zusage. Ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Einerseits ist da Freude, ich meine, wenigstens werde ich auf irgendein College gehen, und bei der Sacramento State könnte ich sogar zu Hause wohnen bleiben. Doch es fühlt sich irgendwie noch nicht richtig an.