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Unmittelbar nach der Machtergreifung der 'NSDAP' am 30. Januar 1933 und dem einen Monat darauf folgenden Reichstagsbrand, flüchteten Menschen aus der Kultur, der Politik, der Wissenschaft und Medizin, Juden, Christen, Anders- oder Nichtgläubige, Männer wie Frauen, Mädchen wie Jungen. Das Deutschland nach der faschistischen Machtübernahme konnte nicht mehr das Ihre sein, und sie glaubten und hofften, mit ihrer Flucht ins Exil drohender Verfolgung und bedrohtem Leben entgehen zu können. Unter den Flüchtenden waren zahlreiche Schriftstellerinnen des deutschen Sprachraumes, die im Zentrum dieses Buches stehen sollen. Frauen unterschiedlicher Biografie, antifaschistischer Haltung sowie sehr sich unterscheidender literarischer Produktion und Intensität.
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Seitenzahl: 135
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Paris/Marseille/Lissabon
Schriftstellerinnen im französischen Exil
1933-1941
Brennpunkte 'gewöhnlichen und gefährlichen Lebens'1
Kleine Sammlung
1 Anna Seghers in: Anna Seghers-Wieland Herzfelde. Gewöhnliches und gefährliches Leben. Ein Briefwechsel aus der Zeit des Exils 1939-1946. Darmstadt-Neuwied 1986. S. 129-131
Jener Lüge von der totalen Mobilmachung des Geistes und des Körpers, mit der die Jugend der faschistischen Länder für den Krieg gelockt wird, müssen wir unsere Wahrheit entgegenhalten, unsere totale Mobilmachung des Geistes und des Körpers für die Veränderung dieser Gesellschaftsordnung … Aber wir müssen lernen, unsere Wahrheit mächtiger und verlockender zu zeigen als die anderen ihre Lügen.2
2Anna Seghers, Kunstwerk und Wirklichkeit. Band III. Berlin 1970. S.40
Einleitung
I.
Einführung zur politischen Situation im Verlauf 1933-1941
Lektürebegegnung: Texte als Abbild von historischen Wirklichkeiten 1933-141
II.
Stadtwirklichkeiten1933-1941
Paris
Marseille
Lissabon
III.
Das gewöhnliche Leben in
gefährlicher und gewöhnlicher
Situation des Exils: Paris 1933-1941 Schriftstellerinnen:Frauen, Ehefrauen, Mütter, werktätig und schreibend
Anna Seghers
Erika Mann
Marta Feuchtwanger
Lisa Fittko
Gina Kaus
Anna Gmeyner
Hertha Pauli
Susanne Bach
Louise Straus-Ernst (‚Lou Ernst‘)
IV.
'Wartesäle der Poesie'
Orte in Texten widerspiegeln die vorfindbare Exilsituation der Schriftstellerinnen
V.
Epilog
Anhang
Kurzbiografien
Pariser Cafés (Fotos)
Cafés (Liste)
Editorial
Literatur
Personenregister
der Autor
Unmittelbar nach der Machtergreifung der ‚NSDAP’ am 30. Januar 1933 und dem einen Monat darauf folgenden Reichstagsbrand vom 26.-27.Februar flüchteten unzählige Menschen aus der Kultur, der Politik, der Wissenschaft und Medizin, - Christen, Juden, Anders- oder Nichtgläubige -, Männer wie Frauen, Mädchen wie Jungen. Das Deutschland nach der faschistischen Machtübernahme konnte nicht mehr das Ihre sein, und sie glaubten und hofften, mit ihrer Flucht in die Emigration drohender Verfolgung und bedrohtem Leben entgehen zu können.
Unter den Flüchtenden waren zahlreiche Schriftstellerinnen3 des deutschen Sprachraumes, die im Zentrum dieses Buches stehen sollen: Anna Seghers, Erika Mann, Marta Feuchtwanger sowie weniger prominente oder sogar vergessene wie Louise Straus-Ernst (gen.‚Lou Ernst‘), Anna Gmeyner, Lisa Fittko, Gina Kaus, Hertha Pauli und Susanne Bach. Frauen unterschiedlicher Biografie, antifaschistischer Auffassung und Haltung, sowie sehr sich unterscheidender literarischer Produktion und Intensität. Was sie aber alle in ihrem exilierten Dasein und schriftstellerischem Arbeiten einte, war das weniger und mehr bis vollständige Arbeits- und Publikationsverbot bei realer Lebensbedrohung durch den faschistischen Macht- und Gewaltapparat, entweder aufgrund jüdisch-familiärer Kontexte oder/und kulturpolitisch bereits indizierter Textveröffentlichungen oder des absehbar drohenden Verbots. Manche von ihnen flüchteten bereits mit der faschistischen Machtübernahme 1933, andere wie die 'Les Autrichienes' unter ihnen oft erst mit dem sog. Anschluss an das 'Deutsche Reich'1938, wie Gina Kaus, Hertha Pauli und Lisa Fittko.
Darin eingebunden ihre wirklichen Lebensräume im Exil, ihre erhaltenen und selbst gestalteten Nischen. Respektive deren Hohlräumen der Gefühle4, in die hinein der Nationalsozialismus tatsächlich auch wirkte, bzw. hier in wesentlicher Bedeutung, erfolgreich konsequent nicht wirken konnte.
Eine authentisch erscheinende Beschreibung eines exilierten weiblichen Lebens in dem Widerspruch von Gewöhnlichkeit und Gefahr, - während dieser auch gleichermaßen nahezu gewöhnlich zu einer Einheit verschmilzt -, liefert exemplarisch Anna Seghers in ihrer kleinen Schrift Frauen und Kinder in der Emigration:
(…)sobald die Last untragbar, sobald das Leben unlebbar, sobald der Entschluß zur Emigration unweigerlich ist, tritt die Frau auf den Plan. Dieser Entschluß erweckt ihr ganzes Wesen, Teile ihres Wesens, die ein gewöhnliches, alltägliches Leben nie gezeigt hätte.(…)Die Frau, die die Grenze passiert hat, die eines Abends am Gare de l’Est ankommt, die ist hellwach, nicht nur aus Gespanntheit, aus Erschöpfung – hellwach in ihr ist die Kraft, die vielleicht ihr Leben lang, vielleicht Jahrhunderte verschüttet war, weil niemand ihrer bedurfte. Sie wird vor den ungewöhnlichsten Augenblick gestellt, auf daß sie ihn zwinge, die Züge des gewöhnlichen Lebens anzunehmen, damit man ihn ertragen kann.
Der Mann schimpft wohl über all das Gehabe, doch ist er plötzlich erleichtert. Der furchtbarste Augenblick des gemeinsamen Lebens wird dadurch gezähmt und gebändigt. Geht diese Kraft der Frau ab, dann ist es schwerer für die Familie. Ob sie die Familie eines bolschewistischen Metallarbeiters ist oder eines jüdischen Schneiders.5
Natürlich betrifft das, was auch zu zeigen sein wird, die verfügbare Kraft einer schriftstellernden Frau und selbstredend, - soweit deren persönlicher Bezugszusammenhang eine Familie oder 'nur' der Partner im Exil ist -, darin die einer Frau überhaupt in ihrer Mehrfachfunktion im zurückliegenden, aber natürlich präsenten, wie momentanen gesellschaftlichen Kontext des Exils. Nämlich eben der als Frau, Mutter, als der Familienmittelpunkt und selbst werktätig Schaffende, wenn auch dem Mann mehrheitlich die Funktion des eigentlichen 'Ernährers' zugeschrieben und realiter im jeweiligen Gesellschaftskontext zukommt.
Gleichermaßen soll Anna Seghers‘ Aussage Problemstellung wie auch Zielformulierung dieser Arbeit in Doppelheit ausdrücken. Nämlich einerseits die abzubildende alltägliche, gewöhnliche wie gefährliche Lebens- und Arbeitssituation von Emigrant_Innen überhaupt in oft mehrfacher Funktion. Zum anderen auch der dazugehörige Teil, der die Verortungen außerhalb ihres Exil-Zuhauses in den metropolen Städten Paris, Marseille, Lissabon betrifft, nämlich insbesondere öffentliche Räume wie Cafés, Warteräume und Flure von Botschaften und Konsulaten, worin die Emigrant_Innen oft gezwungen waren sich aufzuhalten. Anlehnend an die sehr schöne Begriffsprägung von Hermann Kesten bezeichne ich diese zusammenfassend und folgerichtig als Wartesäle der Poesie.6
Damit ist sozusagen dann auch gleichermaßen der situative und produktiv-tätige Kontext als Einheit umrissen, während die darin innewohnende Widersprüchlichkeit zur jeweiligen vorfindbaren historischen und gesellschaftlichen Situation als dialektischer Prozess zu verstehen und zu beschreiben sein wird.
Literarisch-methodisch sollen Textaussagen ausgewählter Autorinnen als kleine Sammlung Fundus, Quelle sein, um überhaupt die Alltäglichkeit subjektiv wie objektivierend adäquat beschreiben zu können. Worum es auch handeln wird, ist die Unterschiedlichkeit exilierten Seins7, wie dessen Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen. Dabei soll deutlich werden, dass Frauen möglicherweise die 'Tragenden' in der Gewöhnlichkeit und Gefährlichkeit dieses außergewöhnlichen Daseins waren. Für sich ausschließlich oder/und mit Männern und Kindern. Berthold Viertel hatte das einmal trefflich aus anerkennender männlicher Sicht in seinem Gedicht Die Frauen so ausgedrückt:
Die durchs Exil uns tragen
Die Frauen, uns verbunden ...
Im endlosen Trott und mit Hast
Und der Mann war oft eine schwere Undankbare
Last
3 Gesonderte Beachtung österreichischer oder deutscher Abstammung erscheinen angesichts des bedrohten Lebens obsolet
4 Vgl. Anna Seghers, Über Kunstwerk und Wirklichkeit. Band I. Berlin 1970. S.197f: Die Bewußtbarmachung der Wirklichkeit durch die Kunst umfaßt alle Gebiete des Lebens. Die »Tendenzkunst « hat große Gebiete unbeachtet gelassen, und der Faschismus hat später diese Hohlräume der Gefühle für sich benutzt. Die «reinen« Künstler lassen einen gefährlicheren Hohlraum, indem sie das Wichtigste, das Menschlichste, das geschichtsbildende Element auslassen.
5 Heike Klapdor: Überlebensstrategie statt Lebensentwurf. In: Exilforschung Band 11, Frauen im Exil. München 1993. S. 12ff.; In: Anna Seghers, »Frauen und Kinder in der Emigration«, Anna Seghers – Wieland Herzfelde, Gewöhnliches und gefährliches Leben, a.a.O. S.129-131.
6 Hermann Kesten prägte einmal dieses wunderbar treffende Idiom (vgl. Hermann Kesten: Dichter im Café. Wien/München/Basel 1959. S.12
7 vgl. Inge Hansen Schaberg, Exilforschung – Stand und Perspektive. In: Politik und Zeitgeschichte. 64. Jahrgang-42/2014. Bonn 2014. S.5: Übersehen wurde dabei oft (bzgl. der Bewahrung und Pflege des kulturellen Erbes, RH), dass mit diesem Begriff von einer ins Exil geretteten einheitlichen nationalen und kulturellen Identität ausgegangen wurde, die jedoch nie bestanden hat.
24.10.1929
Der Schwarze Donnerstag ist mit seinem Börsenkrach in New York der Beginn einer weltweiten Wirtschaftskrise.
28.1.1933
Hitler und Papen verbünden sich gegen Schleicher.
Schleicher erklärt am 28. Januar 1933 seinen Rücktritt.
30.1.1933
Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler bringt für Deutschland und Europa schwerwiegende Folgen mit sich.
1.2.1933
RP Hindenburg löst im Februar den Reichstag auf und setzt Neuwahlen für den 5. März 1933 an.
27.2.1933
Ende Februar brennt der Reichstag. Die Folgen des Brandes sind das Ende der sog. ‚Weimarer‘Demokratie in Deutschland.
10.5.1933
13.1.1935
Die meisten Saarländer stimmen für eine Wiedereingliederung des Saargebietes in das Deutsche Reich.
16.3.1935
bedeutet einen Bruch des Versailler Vertrages.
26.6.1935
Der Reichsarbeitsdienst wird ab 1935 für die Männer Pflicht, für die Frauen ab 1939._
15.9.1935
Hitler verkündet auf dem Reichsparteitag in Nürnberg die so genannten "Nürnberger Gesetze".
Februar 1938
Am 12. Februar trifft sich Hitler mit dem österreichischen Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg. Hitler droht mit dem Einmarsch der Wehrmacht.
12.3.1938
In Österreich marschieren deutsche Truppen ein und besetzen das Land. Die Nationalsozialisten sehen dies als Wiedervereinigung mit Österreich._
10.4.1938
Spätsommer 1938
Nach der Konferenz von München ist das Ende der Tschechoslowakei schon fast abzusehen. Das erste Ergebnis ist die Abtretung des Sudentenlandes.
15.3.1939
Deutsche Truppen marschieren in die Tschechoslowakei ein. Am Tag darauf wird das Protektorat Böhmen und Mähren errichtet.
23.8.1939
Die Sowjetunion und das Deutsche Reich schließen einen auf zehn Jahre befristeten Nichtangriffspakt.
1.9.1939
Den vorgetäuschten Überfall auf den deutschen Sender Gleiwitz durch Polen nimmt Hitler zum Anlass für einen Gegenangriff auf Polen.
9.4.1940
Ohne Kriegserklärung marschiert die deutsche Wehrmacht in Dänemark und Norwegen ein und stößt auf wenig Gegenwehr.
10.5.1940
Die deutsche Wehrmacht marschiert durch die Benelux-Staaten. Der Angriff kommt überraschend.
Mai 1940
Im Mai 1940 beginnt die so genannte Westoffensive. Neben dem Krieg im Osten soll der Krieg im Westen schnell eine Entscheidung herbeiführen.
5.6.1940
Die zweite Phase der so genannten Schlacht um Frankreich beginnt am 5. Juni.
22.6.1940
Der französisch-deutsche Waffenstillstand ist für die Deutschen eine späte Rache für den Waffenstillstand von Compiègne 1918.
22.6.1941
ist der Deckname für Hitlers Angriffsplan auf die Sowjetunion. Am 22. Juni 1941 beginnt der Angriff ohne Kriegserklärung.
Das Wesen eines geschichtlichen Zeitstrahls liegt darin, eine punktuelle Kurzübersicht zu zeigen. Das kann natürlich keine Geschichtsschreibung ersetzen, geschweige denn als eine solche Gültigkeit beanspruchen.
Hier kommt es auf eine Übersicht an, die auf im Text bezeichnete Daten und Ereignisse, mit denen dort bezeichnete Personen in Verbindung standen, verweisen. Damit ist natürlich noch nicht eine Hintergründung und ein Zusammenhang bereit- und hergestellt. Um dies zu leisten, sind Leser_Innen, gefordert, sich darum zu kümmern. Über den hier vorgelegten Ansatz, wenn nötig, hinaus.
Es erscheint in herkömmlich medial verbreiteter bürgerlicher Geschichtsdarstellung oft als sei die 'Machtergreifung' Adolf Hitlers im wesentlichen eine Frage der Vielparteilichkeit der 'Weimarer Republik' und letztlich ein zunächst nicht zu verhindernder Akt parlamentarischer Gesetzlichkeit und darin solcher Mehrheiten. Die'Ernennung' Hitlers zum Reichskanzler stellte sich zwar scheinbar zunächst dar als parlamentarischer Akt des zuständigen Reichspräsidenten Heinrich von Hindenburg. Dem Wesen nach allerdings handelte es sich um eine gefährliche Kollaboration der deutschen kapitalistischen Konzernspitzen mit der NSDAP, die sie als Zauberlehrling hofierten, lancier -ten und protegierten. Das entsprechende historische Ereignis dazu im Vorlauf bedeutete gewissermaßen das Spitzentreffen als 'Geheimtreffen' Adolf Hitlers mit diesem Kreis der Auserwählten am 20.2.1933 im Berliner 'Reichstagspräsidentenpalais'9. Dies und der Bezug auf die ökonomische Misslage der Industriekonzerne und Großbanken während der noch anhaltenden 'Weltwirtschaftskrise als Krise des Kapitals, kann als Grundstruktur gelten, um mit Macht diesem Adolf Hitler und der NSDAP zur vollkommenen parlamentarisch legitimierten Macht zu verhelfen.
Die weiteren im Zeitstrahl aufgeführten Kerndaten basieren auf dieser Grundlage, indem sie sozusagen aus diesem bereitgestellten Schoß krochen. Indem sie ökonomisch, politisch-militärisch nach Innen und nach Außen, antihumanistisch-mörderisch zur imperialen Erweiterung des Reichs, zur Vernichtung des Judentums als 'antiarisch- und bolschewistisch-kommunistischer' Rasse, wie eben zur vernichtenden Bekämpfung des noch jungen Kommunismus als Weltbewegung antraten. Derlei Betrachtung versteht notwendig den Faschismus als höchstes, menschenverachtendes Stadium des Kapitalismus.
Schon mit dem selbst inszenierten sog. Reichtagsbrand, für den das Judentum und der Kommunismus in einer Person verantwortlich dekretiert wurde, während die bereits vorbereitete Verordnung zum Schutz von Volk und Staat schon am darauffolgenden Tag, 27.Februar, verkündet wurde. Dieses Gesetz wie das sog. Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 und folgende sollten nach Innen die erneute Prosperität, dh. den Maximalprofit der Großindustrie und der Banken sichern, wozu natürlich die entwickelte Massenarbeitslosigkeit massiv bekämpft werden musste durch Senkung des Lohnniveaus vor der Krise, durch Investitutionen in die teils marode Infrastruktur und in den Konsumtionssektor zur Einheit von Volk und Staat. Nach Außen ein als gemeinsam geltender Feind des Volkes ausgemacht werden musste, die'Unter'- Menschen der Ostgebiete, deren Siedlungs-,Arbeits- und Lebensgebiete. Die UdSSR als solche.
All das war nicht allein die agressiv-imperiale Leistung einer Person Adolf Hitler, sondern eine, deren Interessensbasis und -leitung sich im herrschenden kapitalistischen System gründete, deren kapitalen Stellvertretern und deren konservativ bis faschistischer Interessensvertreter in der namhaften Politik. Das war auch der Grund, zunächst jedenfalls, warum sich der antifaschistische Kampf auch gegen Kapitalismus und Imperialismus richtete, ja richten musste.
Nach der de facto Machtergreifung Adolf Hitlers als von Kapital und Politik implantiertem Reichskanzler und damit der NSDAP als führendes Machtinstrument im Januar1933, entwickelten sich unterschiedliche historische, nationale wie internationale Ereignisse in Folge.
Befanden sich Schriftstellerinnen auf der Flucht, bereits exiliert in Paris oder aber arbeits- und lebensbedroht noch geduldet, wie eben die österreichischen Schriftstellerinnen ab 1938, so reflektier ten sie diese aus unterschiedlichen zeitlichen und situativen Kontexten. Soweit solche, erneute Gefahren wie aber auch Hoffnung bringende Ereignisse, virulent in allgemeiner und auch individueller Seinslage aus der Beobachtung oder gar Betroffenheit texturiert wurden, werden sie in diesem Kapitel zunächst weitgehend unkommentiert, narrativ zitiert. Gelesen werden sollten sie als Äußerung im Kontext der beschriebenen Situation selbst, als erzeugtes literarisches Produkt in dialektischer Wechselbeziehung der aktuell individuellen und der sie umgebenden weltlich-gesellschaftlichen Situation. Nämlich grundlegend der, nicht mehr an die jeweilige Heimat gebunden arbeiten und leben zu können. Diese Literatur wird so verstehbar als politisch begründete, auch wenn manche Autorinnen, wie gerade Gina Kaus und Susanne Bach, sich nicht als 'Politische' bezeichneten. Das scheint eher dem Umstand geschuldet, dass sie in der Weise nicht aktiv antifaschistisch tätig waren.
Als nicht im Besonderen hervorhebbar an dieser Stelle erachte ich die grundlegende Tatsache, dass es sich bei den ausgewählten Schriftstellerinnen um jüdische, mit jüdischem Hintergrund oder politisch aktive bzw. nicht aktive handelt. Vielmehr darum, dass sie überhaupt verfolgte Frauen und Schriftstellerinnen und,- bis auf Ausnahmen -, zu den weniger bekannten und erörterten in der historisch motivierten Literaturwissenschaft gehören. Dies erscheint mir Grund genug, ihre textgebundenen Aussagen in den Focus zu stellen.
Um vier Uhr (Januar 1933, d.Verf.) hatten die Nazis den Oberbürgermeister Adenauer zum Rücktritt gezwungen. Das hatte schon in den Zeitungen gestanden. Aber ich wollte wissen, vor allem sehen, ob Jo (d.i.?) überhaupt noch da war. Er war noch da, ernst und gedrückt. «Hast du das schon gesehen?» fragte er mit verhaltener Stimme und führte mich ans Fenster. Das Büro lag in einem Anbau, sodass man über den Platz weg auf den Rathausturm sehen konnte, den schönen, stolzen, spätgotischen Turm, den die Kölner Bürger zum Zeichen ihrer Unabhängigkeit errichtet hatten. Hoch flatterte auf diesem Turm die rote Hakenkreuzfahne … Nein, ich wollte nicht weinen vor diesem Symbol unserer Niederlage. Ich kniff die Augen fest zusammen, sah scheu zu Jo hinüber. Dem liefen die Tränen übers Gesicht … Da weinten wir zusammen. … Viele meiner Freunde verloren ihre Stellen an Museen und Verwaltungen. Nicht alle waren Juden, aber sie hatten vielleicht eine jüdische Frau oder Beziehungen zu Sozialisten.10
[...]
In den folgenden Monaten übernahmen die Nationalsozialisten die Polizeigewalt und andere ‚Abweichungen von der Verfassung‘ folgten, gegen die nur wenige protestierten. Lehrer trugen ihre Hakenkreuz-Abzeichen offen am Kragen, während sie Latein gaben; in einer eilends angesetzten Unterrichtspause wurde die Nazifahne auf dem Turm des Gymnasiums gehisst. Mein Kunstlehrer sagte zu mir: »Abgesehen davon, daß du Jude bist, ist dein Vater obendrein auch ein degenerierter Künstler, und es wundert mich gar nicht, daß du ein so schlechter Schüler bist«.11
Dazu kam eine neue, größere Unsicherheit. Deutschland war ein bedrohlicher Nachbar und begann allmählich, sich bemerkbar zu machen. Seit der Ermordung Dollfuß' (25.Juli 1934, Begründer des sog. 'Austrofaschismus', d.Verf.) hatten wir vier Jahre in den Tag hinein gelebt.; in Wien war es äußerlich ruhig, die nationalsozialistische Partei war verboten, man sah keine Hakenkreuze.
Das alles änderte sich über Nacht, nachdem der »Führer« Schuschnigg zu sich nach Berchtesgaden (12. Februar 1938, d.Verf.)