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heine bei brecht E-Book

Roland Hoja

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Beschreibung

geistvolle Berührungen, Annäherungen und Sympathien bestimmen das zusammentreffen der beiden Dichterschriftsteller in und um Berlin. wir schreiben das Jahr 1846/1953. gesundheitliche not, geistige nähe, wie Bewunderung, lässt Heine in die "Hauptstadt" reisen. der dort nun wieder beheimatete und anerkannte "BB" bereitet auf vielerlei Art und weise dem exilierten dichterfreund aus Paris ein herzliches willkommen. sie verbringen in Berlin sowie draußen in Buckow am See mit freunden genussvolle, auch politisch/ literarisch feinsinnige stunden, ja tage. - brisante gesellschaftliche wie auch kulturelle Ereignisse fordern von allen beteiligten persönliches und solidarisches Engagement, sodass über die verfliegende zeit der bevorstehende abschied nahezu unwirklich erscheint. rh

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„ … oder:

Wem gehört die Welt“

Inhalt

1846/1953

Reise von Hamburg nach Berlin

Ankunft und Aufenthalt in Berlin

Buckow am See

Berlin, 17. Juni 1953

Sommer 1953: Brecht und Heine in Buckow

Aufenthalt in der Charité

Rückkehr nach Paris

Nachwort

Literatur

Anhang:

Revolutionen in Frankreich und Preußen 1848/1849

Offener Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller

Anmerkungen

Heine machte nun doch noch seine bereits 1846 geplante dritte Reise nach Hamburg. Wir schreiben jetzt das Frühjahr 1953. Von Hamburg aus folgt er einer Einladung des deutschen, nun in der DDR lebenden Schriftstellerdichters Bertolt Brecht nach Berlin, um ihn zu besuchen und sich bei dieser Gelegenheit dort von Fachärzten der berühmten Charité bezüglich seiner zunehmend ausbrechenden Erkrankung behandeln zu lassen.Diesmal hatte Brecht vermittelt. Die Diagnose seines ungarischen Arztes in Paris lautete in die heutige medizinische Sprache übersetzt: amyotrophe Lateralsklerose. Man hatte ihm seitens der Berliner Spezialisten keine Hoffnung auf Heilung gemacht, aber man vertrat die Meinung, dass Heine wenigstens eine Besserung und Stärkung seiner Muskulatur zu erwarten hätte, um den schleichenden Prozess wenigstens zu verlangsamen, wenn nicht gar zu stoppen. So darin mit einiger Hoffnung bestärkt und gespannter Erwartung an Brecht und seine Freunde in Berlin, machte er sich also nun mit der Eisenbahn auf den Weg dorthin, sich erinnernd wie seinerzeit Friedrich Wilhelm IV., obwohl er bekannterweise Heines Gedichte schätzte, sich nicht in der Lage sah, Heine gegen seinen eigenen Innenminister Ernst von Bodelschwingh und den zuständigen Polizeidirektor von Berlin freies Geleit zu garantieren. Damals hatte es geheißen, Heine stünde „unter mehreren Anklagen wegen Majestätsbeleidigung und Aufreizung zur Unzufriedenheit“ und habe „mithin die Verhaftung zu erwarten ... sobald er preußischen Boden beträte“.

So hatte sich Heine seinerzeit am 10. Januar 1846 an seinen ehemaligen Kommilitonen Dieffenbach aus den Berliner Semestern und späteren medizinischen Professor an der Berliner Charité gewandt:

Liebster Dieffenbach!

Der Ueberbringer dieser Zeilen ist Herr Lassalle, einer meiner liebsten Freunde. Er überbringt Dir zugleich meine heitersten Grüße und kann Dir mündlich erzählen wie es mir körperlich und geistig geht. Mein verwünschtes Uebel ist sehr halsstarrig und greift um sich in der unverschämtesten Weise; ich selber aber werde täglich schwächlicher von Seele und diese ist müde und verdrießlich wie ein begossener Schmetterling – Nur wenn ich daran denke daß ich starke Freunde besitze, wie Du bist, so schwillt mir wieder der Kamm der Hahnenkampflust! Ich empfehle Dir aufs beste meinen Freund Lassalle, der ebenfalls keiner von den Schwachen ist und mein volles Zutrauen besitzt.

Herzlichste Grüße an Deine Damen, die mir blühend im

Gedächtnisse leben.

Dein Freund Heinrich Heine1

Folgend dann auch am 11. Januar an den ihm freundschaftlich bekannten Baron Alexander von Humboldt, seines Zeichens Minister in der Berliner Regierung:

Herr Baron!

Das Wohlwollen womit Sie mich seit Jahren beehren, ermuthigt mich Sie heute um einen Dienst anzugehn. Trübselige Familienangelegenheiten rufen mich dieses Frühjahr nach Hamburg, und ich möchte alsdann, die Gelegenheit benutzend, einen Abstecher für einige Tage nach Berlin machen, theils um alte Freunde wieder zu sehen, theils auch um die Berliner Aerzte über ein sehr bedenkliches Uebel zu konsultiren. Bey einer solchen Reise, deren einziger Zweck Erheiterung und Gesundheit ist, darf ich wahrlich von keiner atra cura beängstigt werden, und ich wende mich an Sie, Herr Baron, mit der Bitte, durch Ihren hohen Einfluß, mir von den resp. Behörden die bestimmte Zusicherung zu erwirken, daß ich von denselben, während meiner Reise durch die königlich Preußischen Staaten, wegen keinerley Beschuldigungen, welche auf die Vergangenheit Bezug haben, in Anspruch genommen werden soll. Ich weiß sehr gut, daß ein solches Gesuch keineswegs im Einklang steht mit den dortigen administrativen Bräuchen; aber in einer Zeit die selbst etwas exceptionel ist, dürfte man sich vielleicht dazu verstehen, die alte Registratur mit einer Rubrik für exceptionelle Zeitgenossen zu bereichern. Empfangen Sie, Herr Baron, im Voraus meinen tiefgefühlten Dank, und betrachten Sie meine Bitte selbst als einen Beweis der Verehrung womit ich verharre,Herr Baron!

Ihr ergebener u gehorsamer

Heinrich Heine

(46, Faubourg Poissonnière)

Ein Antwortbrief folgte einen Monat später im Februar 1846, nachdem Humboldt selbst seitens Bodelschwingh über die mögliche Aussichtslosigkeit der Einreise und des Aufenthalts informiert worden war:

Wenn, nach einer so langen Reihe von Jahren, Sie mir einmal wieder ein Zeichen des Lebens geben, wenn Sie sich meiner alten Bewunderung Ihres herrlichen, ein tiefes Naturgefühl athmenden »Buches der Lieder« erinnern, so darf ich nicht besorgen, daß Sie an der Aufrichtigkeit des Dankes zweifeln, der Ihrem Vertrauen in einer so rein menschlichen Angelegenheit gebührt: Noch ehe ich Ihren Brief vom 11ten Januar erhielt, hatte ich durch meinen geistreichen Freund Dieffenbach Kunde von Ihrem schweren physischen Leiden erhalten. Ihr Wunsch beschränkte sich auf die Erlaubnis, ohne Gefahr für Ihre persönliche Sicherheit, Berlin, von Hamburg aus, dieses Frühjahr auf einige Tage besuchen zu können, zu Ihrer Erholung, um hiesige Freunde einmal wieder zu sehen und Berliner Äerzte zu consultieren. Da mir nicht unbekannt sein konnte, daß in dem, was Sie als »die alte Registratur«

bezeichnen, viele sehr bittere Anklagen gegen Sie vorliegen, so habe ich gehofft, Ihren Wünschen am besten zu entsprechen, wenn ich auf das zweite Motiv Ihrer Reise den größten Werth lege. Ich habe mit Wärme gehandelt und habe mir keine Art des Vorwurfs zu machen – aber es ist mir garnichts geglückt. Die Verweigerung ist sogar so bestimmt gewesen, daß ich, Ihrer persönlichen Ruhe wegen, Sie ja bitten muß, den Preußischen Boden nicht zu berühren. Ich glaube, gegen Sie die

Pflicht erfüllen zu müssen, Ihnen ganz mit der Offenheit zu schreiben, die Schriftsteller sich gegeneinander schuldig sind. Empfangen Sie den Ausdruck meiner ausgezeichnetsten Hochachtung und die innigsten Wünsche für die Wiederherstellung Ihrer so tief erschütterten Gesundheit.

Ihr gehorsamer

A. Humboldt.2

Nachweislich hatte Alexander von Humboldt im Falle Heine aber eine Einreise- und Geleitgarantie seitens des Königs Wilhelm IV. nicht mit allem Nachdruck erwirkt, sondern eher allein seine loyalen Bedenken gegen den Negativentscheid geäußert, statt eben Kraft seiner Autorität im preußischen Regierungs- und Kulturapparat dem Anliegen Heines in Verbindung mit der vorliegenden Befürwortung durch den geachteten Chirurgen Johann Friedrich Dieffenbach Nachdruck zu verleihen. Insofern war diese letzte Chance vergeben und Heine verblieb schwerst erkrankt in seinem schönen und grausamen Exil Paris bis zu seinem Tode im März 1856, ohne jemals wieder nach Deutschland zurückgekehrt zu sein.

Aber nun reiste er nicht mehr unter Schreibverbot oder drohender Verfolgung, vielmehr machte er sich von Hamburg, aus der vor vier Jahren gegründeten BRD, auf in die eben falls neu gegründete DDR, bzw. in deren Hauptstadt Berlin. Im übrigen scheint es nicht unwichtig zu erwähnen, dass er weiterhin und in Folge im westlichen Teil Deutschlands, obwohl nicht mehr preußischer Staat, ziemlich unbekannt ist, bis hin in Teilen der so genannten parlamentarischen Kulturbürokratie sogar missachtet und verhasst.

Aber davon wollte er sich, Kummer gewohnt, nun nicht beeinflussen lassen, zumal ihn sein Weg in das neue Berlin führte, in das Berlin der Auseinandersetzung über eine ebenso neue demokratische und Volkskultur. Über eine Kultur, die dem Menschen eine neue Denkweise vermitteln soll als Werkzeug zur Gestaltung einer neuen Zukunft. Da kamen ihm deutliche Erinnerungen an seine Pariser Freunde Karl Marx und Friedrich Engels sowie an seine anderen linksintellektuellen Freunde, die sich mehr oder weniger utopisch eine solche so genannte sozialistische Gesellschaft gewünscht und teilweise heftig dafür gekämpft hatten. Von diesen Neugestaltungen hatte Heine in Paris eifrig teilnehmend und gespannt gehört und gelesen. Ebenso in diesem Zusammenhang von Bert Brecht, man könnte sagen er sei mit diesem gleichaltrig wie sinnverwandt in seinen wegweisenden und gleichzeitig umstrittenen Werken.

Auf Einladung des »Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« nimmt Heine dann am 10. Juni 1953 an einer Diskussion der so genanten »Mittwoch-Gesellschaft« in der Berliner Akademie der Künste über Hanns Eislers3 Opernlibretto »Johann Faustus« teil. In mehrfacher Hinsicht war ihm diese Veranstaltung von größtem Interesse, schließlich gab es den klassischen Faust, seinen eigenen Doktor Faust als Tanzpoem und nun wieder einen Faust gar als Oper geplant in einem Kulturland, dass sich angeschickt hat, neue Ziele und eine neue Zukunft als sozialistische Gesellschaft zu schaffen. Verwunderung, auch Ver wirrtheit und bewunderndes Interesse waren seine gespannten Motive. Dort trifft er mit Bert Brecht zusammen, der ihn gleich über diese Debatten hinaus für den Sommer in sein Haus in Buckow am Schermützelsee einlädt.

Wer und wie sind Brecht und Heine eigentlich? Beide Schriftsteller und Dichter, Brecht auch Dramenschreiber und Regisseur, ein revolutionärer Kulturarbeiter an der Seite der proletarischen Klasse für die Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaftsform, Heine für eine soziale und demokratische auf der Grundlage materieller und ideologischer Veränderungen. Zwei Menschen in Widersprüchen in sich und zu sich, im Widerspruch zu kapitalistischen und auch aristokratischen Verhältnissen und deutlich widersprechend den bürokratisch-doktrinären, napoleonischen, und angeordneten Denkweisen. Aufdecken statt zudecken, zerstören und aufbauen, streiten statt heucheln, verändern statt harmonisieren, produktiver Prozess statt manifeste Statik.

Die REISE

Eine recht spannend interessante, aber auch für Heines Begriffe unglaublich schnelle Fahrt im D-Zug der Deutschen Reichsbahn von Hamburg nach Berlin.

Ungewohnte getrennte Zugabteile mit Polstersitzen und automatischer Belüftung, eine insgesamt Schwindel erregende technische Entwicklung samt ebensolchem Reisekomfort als Ausdruck industrieller Revolution auf allen Gebieten menschlichen Lebens und Daseins, was ja Heines Freund Karl Marx in einer seiner Schriften als die Entwicklung der Produktivkräfte bezeichnet hatte.

Bei der ersten Inbetriebnahme dieser Streckenführung am 15. 0ktober 1846 durch die zu diesem Zweck gegründete Berlin-Hamburger Eisenbahn-Gesellschaft begann die Fahrt am Hamburger »Berliner Bahnhof« und endete nach ungefähr neun Stunden Fahrt unter vollem Dampf im Berliner »Hamburger Bahnhof«.

Nun hatte sich natürlich auch die Reisezeit prinzipiell erheblich auf gerade bis zu vier Stunden verkürzt, wenn nicht die Durchfahrt auf der Interzonen- bzw. Transitstrecke4 in der DDR anhand von beiderseitigen Grenzkontrollen und Umleitungen die Reisezeit sich wieder auf fast sechs Stunden erhöht hätte. Ebenso hatten sich die Hamburger und Berliner Bahnhöfe geändert, sodass nun eine Ankunft im Ostberliner Lehrter, bzw. Hauptbahnhof zu erwarten war, nachdem man den Westteil Berlins über den Bahnhof Zoologischer Garten, kurz Bahnhof Zoo, passiert hatte. Die Fahrt erlaubte es, dass Heine die ursprünglichen ehemaligen Herzogtümer und preußischen Landesteile entlang der Strecke passierte und historisierend wie tagträumend einordnete ganz gemäß verschiedener Schnittstellen seiner Deutschland-Wintermärchen-Reise von 1843, niedergeschrieben freilich am Ort der freien Luft und des freien Atmens in Paris im Januar 1844.

Heine erinnert einige Zeilen unweit des Hannoverschen Minden,unmittelbar angrenzend an das so genannte Zonengrenzgebiet, aus seinem Wintermärchen-Epos:

Minden ist eine feste Burg,

Hat gute Wehr und Waffen!

Mit preußischen Festungen hab ich jedoch

Nicht gerne was zu schaffen.

Wir kamen dort an zur Abendzeit.

Die Planken der Zugbrücke stöhnten

So schaurig, als wir hinübergerollt;

Die dunklen Gräben gähnten.

Der böse schmutzige Betthimmelquast!

Ich fand ihn gleichfalls wieder,

Doch sah er jetzt wie ein Geier aus,

Mit Krallen und schwarzem Gefieder.

Er glich dem preußischen Adler jetzt,

Und hielt meinen Leib umklammert;

Er fraß mir die Leber aus der Brust,

Ich habe gestöhnt und gejammert.

Ich reiste fort mit Extrapost,

Und schöpfte freien Odem

Erst draußen in der freien Natur,

Auf bückeburgischem Boden.5

. . .

Denkt Euch, mit Schmerzen sehne ich mich

Nach Torfgeruch, nach den lieben

Heidschnucken der Lüneburger Heid,

Nach Sauerkraut und Rüben.

Ich sehne mich nach Tabaksqualm,

Hofräten und Nachtwächtern,

Nach Plattdeutsch, Schwarzbrot, Grobheit sogar,Nach blonden Predigertöchtern.

Vor Ende des Jahres bin ich zurück

Aus Deutschland, und ich denke

Auch ganz genesen, ich kaufe dir dann

Die schönsten Neujahrsgeschenke.6

Es war ein Abschied damals wie heute.

Ja, damit kommt ihm auch Lüneburg wieder in den Sinn ,– jetzt auf westdeutscher Seite -, bei den Eltern, aus Düsseldorf weggezogen, der Ort eines Teils seiner frühen Jahre nach den Studien in Berlin, die davor versuchten kaufmännischen Ausbildungen beim reichen Kaufmannsonkel Salomon Heine in Hamburg. Ganz unverhofft sonderlich die Gedanken an die heftige Jugendliebe dort zu seiner Cousine Amalie. Nun, die Verweigerung ihrer Liebe war für den 16-Jährigen schmerzlich und brachte ihn damals scheinbar an die Grenzen seiner Daseinswünsche, fast litt er schon am Goetheschen Werthersyndrom. Ein damaliger Brief diesbezüglich an seinen Freund Christian Sethe erobert kurzfristig seine Sinne:

Sie liebt mich nicht. Mußt lieber Christian diese letzte Wörtchen ganz leise ,leise aussprechen. In den ersten Wörtchen liegt der ewig lebendige Himmel, aber auch in dem letzten liegt die ewig lebendige Hölle. – Könntest Du Deinem armen Freunde nur ein bischen ins Gesicht sehen, wie er so bleich aussieht und gewaltig verstört und wahnsinnig, so würde sich Dein gerechter Unmuth,wegen des langen Stillschweigens, sehr bald zur Ruhe legen; am Besten wär es zwar wenn Du einen einzigen Blick in seine inn’re Seele werfen könntest...7

„Es ist schon merkwürdig“, denkt er sich in die momentane Gegebenheit zurückgeworfen, „in einem Jahrhundert der Zukunft zu reisen, mit einer Eisenbahn der Zukunft in einen Staat der Zukunft, von dem man damals als politisch-soziale Notwendigkeit gedacht hatte, in eine Hauptstadt der Zukunft, Berlin, zu einem Mann, einem Schriftsteller der Zukunft, der sich gleich ihm die Veränderung, den Zweifel, die Dialektik der Zertrümmerung und des Neuaufbaus für eine gerechte gegen eine ungerechte Ordnung auf seine Fahnen geschrieben haben soll!? Was werde ich sehen, was werde ich dort erleben, hat das siegreiche Proletariat das Flitterwerk der Kunst zertrümmert, die Lorbeerhaine, die Lilien, die Rosen aus dem Boden gerissen und auch die Nachtigallen, die so unnützen Sänger aus dem romantischen Paradies vertrieben, gar nun tatsächlich mein »Buch der Lieder« dazu dient, daraus Tüten zu drehen?! Die Aristokratie und das monarchische System ist abgechafft, die Bürgerhäuser nun im weiteren Sinne sozialistisch. Vor zwanzig Jahren hatte ich noch aus Berlin in einem Brief ganz anders darüber geschrieben“:

Es ist eine der schönsten Züge im Charakter der Berliner, daß sie den König und das königliche Haus ganz unbeschreiblich lieben. Die Prinzen und Prinzessinnen sind hier ein Hauptgegenstand der Unterhaltung in den geringsten Bürgerhäusern .... Der Berliner lebt gleichsam in die königliche Familie hinein, alle Glieder derselben kommen ihm wie gute Bekannte vor, erkennt den Charakter eines jeden, und ist immer entzückt, neue schöne Seiten desselben zu bemerken...8

Doch die Verhältnisse sind sicherlich nicht (mehr) so!

Alle diese Gedanken kamen Heine in den Kopf, während außerhalb des Abteils Landschaften und Städte an ihm weiterhin vor bei rauschten. Die letztlich äußerst angenehme, behagliche und beschauliche Reise machte ihn kolossal ruhig und gleich auch erwartungsvoll unruhig.

„Wird man seiner Krankheit Einhalt gebieten können? Wer ist Bertolt Brecht eigentlich? Wer und wie anders als Mathilde ist seine Frau? Ach ja, Mathilde, auch das noch, wieder einmal musste er Mathilde allein in Paris zurück lassen. Ganz allein ja nicht, denn Pauline ist bei ihr. Aber dieser Alexandre Weill ist auch bei ihr!? Wird er freundschaftlich auf sie achten, wird er vielleicht sei

nen Charme mit ihr probieren? Schon bei seiner letzten Reise 1844 hatte sie aus Hamburg frühzeitig abreisen müssen, während dann in seiner noch verbliebenen Abwesenheit sein Freund Weill sich um sie bekümmert hatte.“ Doch Heine beruhigt seine bedenkliche, etwas eifersüchtige Haltung in der Hinsicht, dass er Mathilde trotz ihrer Burschikosität und Naivität dennoch die nötige Souveränität als liebender Ehefrau zuspricht. Zweifel gesteht er sich zu, aber kein Misstrauen.

Der Reisezug dampfte mit ziemlicher Geschwindigkeit durch das brandenburgische Havelland auf nun fast gerader Strecke in Richtung Falkensee auf Berliner Gebiet zu. In etwa einer Stunde sei dann der West-Berliner Bahnhof Zoo erreicht, wovon unmittelbar die Weiterfahrt unbekümmert und ohne hoffentlich notwendigen Streckenaufenthalt zum Ostberliner Bahnhof Friedrichstraße voran gehe, so war aus den umhergehenden Informationen des uniformierten Zugpersonals zu erfahren. Dabei klang noch eine letzte Ansage in ihm nach, die vom letzten Halt aus den Bahnhofslautsprechern blechern getönt hatte:

„Werte Reisende! Wir begrüßen Sie im Bahnhof Schwanheide in der Deutschen Demokratischen Republik. Reisende, die nicht bis Berlin wollen, werden aufgefordert, sofort den Zug zu verlassen.“

„Warum zusätzlich ein eventueller Streckenhalt?“ wollte Heine dann wissen. Die kurze Antwort war nur dahingehend zu deuten, dass es manchmal bahn- und zolltechnische Schwierigkeiten zwischen den nun folgenden beiden Bahnhöfen geben könne, wegen der „Zwei- Staatenregelung“. Dies sei aber nicht zwingend so, wenn jeder seine „Passdokumente“ in Ordnung hätte!

Berlin Zoologischer Garten – Für Heine eine ungewohnte hastige Betriebsamkeit, Koffer über Koffer auf Transportgestellen- und Wagen, bunte moderne Kleidungen und Haarfrisuren, auch grau wirkende Menschen in ebenso grau erscheinender Kleidung, öffentlich Zigaretten rauchende Männer und Frauen, ihm unbekannte neuartige Kopfbedeckungen, Anzüge tragende Männer, Frauen in schmalen Röcken wenig nur die Beine bedeckend, alles fast einheitlich, nicht verstehbare, aber überlaut schrillende Ansagen in der hohen Bahnhofshalle. Schon geht es nach lautem Pfeifen des Bahnpersonals weiter unter Dampf und lautem Quietschen der anziehenden Waggons.

In wenigen 20 Minuten wird der Zielbahnhof im Osten der Stadt Berlin erreicht sein, Heine wird etwas unruhiger wegen gespannter Erwartungen.

„Brecht,ein Kommunist und Schriftsteller-Dichter!“ Zur vorbereitenden Einstellung zieht er schnell noch einmal den letzten einladenden Brief von Brecht aus der Jakkentasche, indem er nochmals ein paar Zeilen flink überliest und sich im Kopf eine ihm besonders wichtige Stelle vergegenwärtigt, weil sie so viel mit seinen eigenen Auffassungen gemein hat, wenn auch in seiner Sicht natürlich die Konkretion eines solchen sozialistischen Staates und einer ihn einrichtenden Macht fehlte. „Dies entspreche ja genau genommen sei ner bonapartistisch-napoleonischen Idee von der Einführung politischer, ökonomischer und sozialer Gleichheit, sofern die Zielformulierungen über die der Französischen Revolution hinaus stimmig seien“:

...es wird verschoben und es wird verdrängt.Alles fürchtet das Einreißen, ohne das das Aufbauen unmöglich ist .... ich betrachtete die sozialistische Entwicklung der DDR nicht als eine durch die revolutionäre Arbeiterklasse entstandene, sondern durch die sowjetische Besatzung geschaffenen Möglichkeit, so den Sozialismus als Zukunftsgesellschaft aufzubauen ,... die mächtigen Impulse wurden von den Russen gegeben....ein befoh lener Sozialismus ist besser als gar keiner.9

Heine hatte hiermit seine eigenen Gedanken im Sinne Brechts und im Sinne des jetzigen Jahrhunderts gelesen. „Kaum fassbar, sollten diese Inhalte jetzt tatsächlich verwirklicht sein, worüber er selbst geschrieben hatte und worüber einige seiner hauptsächlich deutschen Freunde geschrieben und tatkräftig in die Veränderung der Dinge eingewirkt hatten?“ Selbst hatte er seinerzeit den Fortschritt nicht ohne die Dialektik von Zerstörung und Befreiung, Unglück und Aufbau, Schrecken und Begeisterung, wie möglicherweise zeitweilig als Rückschritt denken können.

Der D-Zug verlangsamte zunehmend unter betörendem Dampfschub immer mehr seine ohnehin geringe Ge schwindigkeit bis er schließlich die letzten hunderte von Metern entlang des freigegebenen Schienenstranges eingefasst mit seitlich erhöhten Metall- und Stahlwänden kriechend Kurs auf den Zielbahnhof nahm.

Heine lehnte sich aus dem Abteilfenster in die wehenden Rauchschwaden der Lokomotive und sah in Richtung Ost-Berlin den gerade angekündigten Bahnhof Friedrichstraße erschwert erkennbar näher kommen, bis dann ein endgültiges Dampfen und tosendes Quietschen die Ankunft und den Halt signalisierte, was durch einen abrupten und ruckartigen Stillstand als Vorwärtsfall der Passagierkörper durch den ganzen Zug lief, während es von Erschreckensrufen begleitet wurde.

Ankunft, Berlin 9. Juni 1953

Der Zug stand zischend und schnaufend am Bahnsteig, während allmählich die Türen sich öffneten. Auf dem Bahnsteig hatten sich Bert Brecht, Hanns Eisler und Helene Weigel Ausschau haltend eingefunden, um Brechts Gast zu empfangen, von dem allerdings bislang noch nichts zu sehen war. So liefen sie den Zug entlang und entdeckten Heine, sein Gepäck sortierend, in einem Abteil am Ende des Zuges. Heine trat ans geöffnete Fenster:

„Guten Abend sehr verehrte Dame, meine Herren, ich nehme an, dass Sie“ - er schaute auf den schmaleren Mann neben dem etwas dicklicheren-„Herr Bertolt Brecht sind, wie mir mein Foto aus ihrem Brief zu erkennen verhilft!?“

„Ja, verehrter Heine, ich bin Brecht und das ist meine Frau Helli Weigel und mein Freund Hanns Eisler. Wir heißen Sie ganz herzlich in Berlin willkommen! Steigen Sie doch bitte aus, währenddessen wird man sich um ihr Gepäck kümmern!“ Ganz im Geheimen hatte Heine schon gedacht, dass die großen roten Transparente mit schwarzem Schriftzug seiner Begrüßung galten, schließlich sei er ja der größte deutsche Dichter, neben Goethe. Doch bei genauerem Hinsehen von der Plattform außerhalb des Abteils, ward ihm gewiss, dass das so wohl doch nicht sei, denn es waren durchweg Parolen, die den Aufbau und den Sieg des Sozialismus zu loben schienen, allerdings tatsächlich ohne irgendeine Erwähnung seiner Person. Nun begrüßte man sich per freundlichem Handschlag und einer ebenso besorgt freundlichen Nachfrage über den hoffentlich angenehmen Reiseablauf. Wie Brecht sich gleich über das angenehme Juniwetter und einem damit verbundenem hellen Abend trotz fortgeschrittener Zeit ausließ.

„Ich bedanke mich recht herzlich für das Willkommen und bin nach längerer Bahnfahrt mit den hervorragenden Bequemlichkeiten des Zugreisens sehr gespannt auf die Stadt, den Staat und die Menschen der Zukunft!“ – „Na, war das nicht ein bisschen schwülstig angesichts der Menschen, die ja nun tagtäglich hier arbeiten und leben!?“, dachte er bei sich. Aber schließlich entsprach das ja voll und ganz seiner momentanen Lage. Aber der Brecht machte ja so gar keinen unbedingt ganz bedeutenden Eindruck auf ihn, ein bisschen sehr schmal und klein bei etwas trist gräulich wirkender Kleidung, wobei ihm sein Tonfall deutlich als nicht berlinerisch, sondern tatsächlich eher süddeutsch vorkam, wie er sich aus seiner Zeit in München noch zu erinnern wusste.

„Guten Abend Herr Heine, ich begrüße Sie in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, mein Name ist Helene Weigel, ich bin die Lebenspartnerin Brechts!“

Damit überreichte sie ihm einen wunderschönen Strauß roter Rosen.

„Kommen Sie hier bitte entlang die Stufen zum Ausgang herunter, vor dem Bahnhof erwartet uns ein Wagen, der uns in Brechts Haus im Berliner Stadtteil Weißensee bringen wird, ihr Gepäck wird gleich dort sein, sodass Sie die Vollständigkeit überprüfen können. Falls etwas fehlen sollte, so macht das gar nichts, denn der Zug endet hier und so können wir eventuell Fehlendes noch aus dem Abteil holen lassen.“

Heine war sehr angetan von der Herzlichkeit des Empfangs, wiewohl er auch von Helene Weigels und auch von Eislers scheinbar süddeutschem Tonfall angenehm, aber doch sehr überrascht war hier in Berlin, der ehe maligen Capitale des preußischen Reiches und einem ihm noch sehr geläufigen Berliner Akzent...

Der Bahnhofsvorplatz und der Stellplatz des Autos war durchwühlt von mehrheitlich eilenden Fahrzeugen und Menschen darin und darum. Wo kamen sie her und wohin wollten sie? Heine war ´allerdings über diese Betriebsamkeit nicht wirklich erstaunt, denn allein sein »Gare de Lazare« in unmittelbarer Nähe seiner Pariser Wohnung war immer menschenüberfüllt und laut. Vielmehr erstaunte ihn das ratternde, aufheulende, aber auch dumpfmotorige Gewirr und Gestinke dieser neuartigen Klein-Fahrzeuge auf vier winzigen Rädern. Auch große Autobusse gab es, viele hinter- und nebeneinander, gelbfarbig doppelstöckig, wie in Paris, aber ganz ohne Pferdestärken angetrieben, sozusagen selbstfahrend.

Weigel, Brecht und Eisler komplementierten ihn durch dieses Gewirr zu einer mit schwarz-weiß-quadratischer Ränderung umgebenen Limousine, eines russischen »Wolga«. „Ein großes und bequemes Fahrzeug, luxuriös“, dachte Heine. Alle vier Personen fanden reichlich Platz darin, während Brecht die Adresse ansagte und sich das Fahrzeug dann in Bewegung setzte, nachdem der Fahrer eine als Taxameter bezeichnete kleine Einrichtung im Fond des Wagens in Betrieb gesetzt hatte.

Die Fahrt verlief durch das Zentrum Berlins vorbei an Häuserruinen, Trümmergrundstücken und zahlreichen monumentalen Baustellen, so gerade im Bereich der Neuen Allee, die nach dem Krieg als Stalin-Allee benannt worden war, wie Heine aus den umfänglichen Reisebeschreibungen seiner Berliner Gastgeber entnehmen konnte, wiewohl er sich gar nicht in der Lage sah, während der schnellen Fahrt die ganzen Informationen zum Wegrand aufzunehmen. Auf einer schon sehr gut ausgebauten Ausfallstraße in Richtung Nord-West gelangten sie dann nach einiger Zeit über die holprige und mit unebenen Straßenbahnschienen versehenen Klement-Gottwald-Allee in die Vorstadt Weißensee, in der Brecht seit Mai 1949 seine Wohnung hatte: Berliner Allee 190.

Gerade als der Wagen zum Aussteigen vor dem Haus anhielt, fuhr quietschend lärmend eine so genannte geschlossene Straßenbahn mit lautem schrillen Warnklingeln vorüber. Heine kannte Ähnliches aus dem Pariser Stadtverkehr, aber auch hier scheinbar selbstfahrende Wagons ohne Pferdestärke. Der Chauffeur stellte das tickende Gerät aus, nannte Brecht einen Fahrpreis in einer für Heine bislang noch nicht vorgekommenen deutschen Währung. Dadurch konnte ihm nun auch nicht deutlich werden, ob man in der deutschen Capitale für eine so lange Fahrt mit einem Chauffeur vergleichsweise weniger oder mehr in solcher Schnelligkeit und Be quemlichkeit zu zahlen habe als im fernen Paris. Jedenfalls, die Fahrt von der Rue d’Amsterdam zur Heilanstalt seines Freundes Faultrier in den Jardin des Plantes mit dem öffentlichen Pariser Omnibus kostete schon einige Franc und war zudem langsam und äußerst unbequem auf den harten Holzbänken. Daher hatte er dort eigentlich grundsätzlich die Fahrt in der Droschke bevorzugt. Dabei erinnert er sich, dass er ja gerade im Revolutionsfebruar 1848 in der Nähe seiner Wohnung und bei der Rückkehr in die Klinik seines Freundes Foultrier in einen Straßenkampf geraten war, wobei die Aufständischen seine Droschke zum Barrikadenbau requiriert hatten. Ein hämisch-begeisterndes Schmunzeln zog sich bei diesen Gedanken über seine Lippen. Gleich bat ihn Helene Weigel auszusteigen, sie seien nun am Hause Brechts angekommen.

Heine befand sich angenehm erstaunt vor einer kleinen Villa mit zwei Etagen im klassizistischen Stil. Brecht ging mit dem Schlüssel voraus und lud sie alle zum Eintritt, beförderte Heine sogleich ins vorbereitete Gästezimmer in der oberen Etage, während sich die Freunde, scheinbar mit den Räumlichkeiten gut vertraut, sogleich in Küche und Wohnraum verteilten.