Was die Wörter flüstern - Thomas Brandsdörfer - E-Book

Was die Wörter flüstern E-Book

Thomas Brandsdörfer

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Beschreibung

Durch die oft Jahrtausende alte Geschichte eines Wortes kann man tief in sein Wesen hineinhorchen, kann man seine innere Welt der Sinne und Sinnlichkeit hören… man kann seine Aura spüren… In verschiedenen Abhandlungen habe ich wiederholt behauptet, dass oft die Sprache klüger ist als der Sprecher – das ist meine Überzeugung! Folglich kann ich dieses Buch nicht anders als eine Hommage an die Sprache verstehen – besonders an die Deutsche Sprache!

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Die Etymologie – oder Geschichte der Wörter, wie einige sie nennen – ist zweifelsohne ein faszinierender Bereich. Im Laufe der Zeit habe ich eine regelrechte Leidenschaft für sie entwickelt. Durch die oft Jahrtausende alte Geschichte eines Wortes kann man tief in sein Wesen hineinhorchen, kann man seine innere Welt der Sinne und Sinnlichkeit hören… man kann seine Aura spüren…

Aus meiner Sicht sind zwei Erkenntnisse die wichtigsten einer etymologischen Untersuchung: Auf der einen Seite bekommt man den Eindruck, alle Menschen sprechen eigentlich dieselbe Sprache – die Universal-Humane! Auf der anderen Seite zeigt uns die Etymologie, dass jede Nation in jeder Epoche, entsprechend ihrer Sensibilität, ihres Verstandes und ihrer Welt-Kenntnisse, und auch getreu ihres spezifischen Grund-Tons, die Ur-Sprache adaptiert und modelliert. In diesem ununterbrochenen Prozess erfrischt, nuanciert und personalisiert jede Nation ihre eigene Sprache, die nur so ein lebendes Organ, oder wie Heidegger sagt, das Haus der (nationalen)Seele, werden kann.

Am Anfang habe ich nur flüchtige Notizen über meine Auseinandersetzungen mit den Etymologien geschrieben. Dann wurden die Notizen immer umfangreicher. Doch viele Jahre kam mir nicht in den Sinn, diese Texte zu veröffentlichen. Jetzt habe ich aber meine Meinung revidiert und biete den Lesern diese kurze Sammlung von Essays an. In verschiedenen Abhandlungen habe ich wiederholt behauptet, dass oft die Sprache klüger ist als der Sprecher – das ist meine Überzeugung! Folglich kann ich dieses Buch nicht anders als eine Hommage an die Sprache verstehen – besonders an die Deutsche Sprache!

Thomas Brandsdörfer

INHALTVERZEICHNIS

Über Samen, Blumen, Gärten und Wörter (anstatt eines Vorwortes)

I – ETYMOLOGISCHE GEFLÜSTER

Religion

Nation

Demokratie

Maß, messen

Tugend, Tüchtigkeit, taugen, gut

Text, Technik, weben, Docht und Kunst

Leid, leiden, Leidenschaft

Lektion, Selektion, Intelligenz

Wirkung, Werk, Wirklichkeit, Realität, Wahrheit

Licht, Luxus, Phänomen, Fotografie (

mit einem Exkurs in den Himmel

)

II – ERWEITERTE GEFLÜSTER

Illusion, Konfusion

Friedhof, Anfang, Ende

Linie, Kreis

Kirche, Dorf

Titanen, Legenden, Zaren, Ikonen, Superstars, Megastars

Maximierung, Verführung

Wert, Optimum, Krise

Register der behandelten Begriffe

Kurze Biographie des Autors

Über Samen, Blumen, Gärten und Wörter

-anstatt eines Vorwortes-

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Samen in der Hand. Eindeutig einen Pflanzensamen, aber Sie wissen nicht, von welchen Pflanzen er ist. Fällt der Samen auf einen ungünstigen Boden, arm, undurchlässig, trocken, oder Sie haben keine Vorkenntnisse, wie man Pflanzen kultiviert, erstirbt er und es kann daraus gar nichts mehr werden. Sollte dieser Samen aber auf fruchtbaren Boden fallen, dabei auch Licht, Wärme und Feuchtigkeit bekommen, wird sein genetischer Kode erwachen und daraus wird eine Pflanze entstehen. Sagen wir: eine Tulpe. Erst jetzt wissen Sie: der Samen trug eine Tulpe in sich. Natürlich, je mehr Sie Samen und werdende Pflanze pflegen, desto schöner, größer und kräftiger wird Ihre Tulpe sein. Vergessen Sie bitte nicht, sie vor Krankheiten und Parasiten zu schützen – es könnte sein, dass sie sonst stirbt oder unkenntlich wird!

Sie haben also Erfolg gehabt! Sie bewundern Ihre Tulpe. Es könnte sein, dass Sie sie auch lieben, denn sie ist auch Ihr Werk – sie ist nicht nur dank dem genetischen Kode ihres Samens, sondern auch mit Ihrer Hilfe entstanden! Leider wird die Freude schnell nachlassen. Sie wollen Ihre Tulpe nicht alleine lassen, Sie wollen mehr von den schönen Blumen, Sie wollen, ja, einen ganzen Garten. So ist es: um Schönheit zu erweitern, verlangen Blumen Blumen. Im Strauß, auf dem Beet, im Klein- oder Großgarten sind sie am schönsten nur in Gemeinsamkeit. Die Farbe jeder einzelnen wird leuchtender und ausdrucksvoller in der Nachbarschaft zu anderen erscheinen. Farben, Formen, Düfte helfen einander in voller Sympathie und bilden so zusammen, zum Staunen und zur Erhebung der Menschenseele, wahre Symphonien, Märchen, Sagen.

Obwohl schöne Gärten fast überall anzutreffen und zu genießen sind, könnte es sein, dass einer oder der andere im Spiel der Samen und der Blumen, im Spiel des Kultivierens sein Leben sieht. Also: an die Arbeit, guter Gärtner! Der neue Garten braucht dein Können, dein Wissen und auch dein Herz. In eine Ecke wirst du vermutlich blaue Blumen pflanzen, daneben vielleicht die gelben, da Rosen, hier, vorne, Veilchen oder Margeriten; vergiss nicht den Rhododendronbusch, und auch nicht, dass dein schöner Garten ein bisschen Schatten haben muss… Du machst es schon! Sollte deine Tat am Ende gelungen sein, brauchst du uns nichts mehr zu sagen – der Garten wird an deiner Stelle die Rede halten; er wird malen und sogar auch musizieren. Er ist dein Werk und auch dein Wort an uns… Aber gib Acht, mein Lieber, und sei nicht traurig: du wirst deinen Garten nur als Samen weitergeben können. Ein anderer wird diese Samen erwecken und kultivieren, um sich über einen Garten ähnlich deinem – und nicht identisch! – zu freuen…

Sie haben ein Büchlein über Wörter in den Händen. Warum denn als Vorwort diese poetisch gefärbte Gärtnerei-Lektion? Ich will Ihnen die Antwort nicht lange schuldig bleiben:

Ersetzen wir in diesem Text ein paar Begriffe. „Samen“ ersetzen wir mit Wort. Anstatt „genetischer Kode des Samens“ lesen wir die Bedeutungsintention des Wortes, wie Edmund Husserl sagte1. Anstatt „Blume“ ist die erfüllte (bestätigte, bekräftigte, illustrierte – Husserl) Bedeutung eines Wortes zu verstehen. Den günstigen oder ungünstigen „Boden“, worauf der Samen fällt, sollen wir mit der Fähigkeit bzw. Unfähigkeit, ein Wort zu verstehen, ersetzen. Die „Vorkenntnisse, wie man Pflanzen kultiviert“ sind, ganz einfach, die Sprachkenntnisse, die benötigt werden um ein Wort überhaupt zu identifizieren. Durch die „Pflege“ der Pflanze ist die Erweiterung und Nuancierung der Bedeutung eines Wortes zu verstehen. Die „Krankheiten und Parasiten“, die die Blume unkenntlich machen können, sind der Verfall und die Pervertierung der Bedeutung eines Wortes. Schließlich ist es klar, dass in diesem Schlüssel „Blumenstrauß“, „Beet“ und „Garten“ gesprochene oder geschriebene Phrasen, Texte, bis hin zu langen Reden oder Büchern bedeuten. Was sind letztere anderes, als wunderschöne Gärten des menschlichen Geistes? Wo kann man gewinnbringender ein Spazierengehen erfahren, als durch- und in die guten Bücher?

Um mehr Deutlichkeit zu erlangen, hier die Umschreibung unserer Gärtnerei-Lektion:

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Wort vor sich (gehört oder geschrieben) z.B. dieses: φρονεĩν (ein altgriechisches Wort). Eindeutig ist es ein Wort, aber Sie wissen nicht, was es bedeuten soll. Trifft dieses Wort auf einen kranken Menschen, der unfähig ist zu verstehen, oder der keine Sprachkenntnisse in Altgriechisch hat, ist es so gut wie tot und es kann daraus gar nichts mehr werden. Sollte aber dieses Wort auf einen Menschen treffen, der fähig ist zu verstehen und auch in Altgriechisch Sprachkenntnisse hat, wird seine Bedeutungsintention begreifbar, sprich: sie wird erwachen. Unter dieser Voraussetzung wird dabei auch seine erfüllte Bedeutung, d.h. bestätigte, bekräftigte, illustrierte Bedeutung, wie Husserl sagt, entstehen. Erst jetzt wissen Sie, dass das Wort den Begriff denken in sich trug. Natürlich, je mehr Sie Wort und Bedeutung pflegen – d.h. Erweiterung und Nuancierung durch logische, kulturelle und emotionelle Verknüpfungen und Vergleiche betreiben – desto schöner, größer und kräftiger wird dessen Sinn und Welt sein. Vergessen Sie bitte nicht, die so gebildete Bedeutung vor Verfall und Pervertierung zu schützen – es könnte sein, dass sie stirbt oder unkenntlich wird!

Sie haben also Erfolg gehabt! Sie bewundern die Menge der verstandenen und gefundenen Bedeutungen. Es könnte sein, dass Sie sie auch lieben, denn sie sind auch Ihr Werk – sie sind nicht nur dank der schon vorhandenen Bedeutungsintention des Wortes, sondern auch mit Ihrer Hilfe entstanden! Leider wird die Freude schnell nachlassen. Sie wollen die Bedeutungen des Wortes nicht alleine lassen, Sie wollen mehr von dem Verstehen, Finden und Erfüllen haben, Sie wollen, ja, eine ganze Phrase, eine volle Aussage, wenn möglich ein ganzes Buch davon. So ist es: um die eigene Bedeutung zu erweitern, verlangen Wörter Wörter. In Phrasen, in Aussagen, in kleinen oder großen Büchern sind die Bedeutungen am Tiefsten und am Sinnlichsten nur in Gemeinsamkeit. Die „Farbe“ jedes einzelnen Begriffs wird leuchtender und ausdrucksvoller in Nachbarschaft zu anderen erscheinen. Sinn, Bedeutungen, Wörter-Farben und Düfte helfen einander in voller Sympathie und bilden so zusammen, zum Staunen und zur Erhebung der Menschenseele, wahre Symphonien, Märchen, Sagen – Gärten des Geistes.

Obwohl Wortsymphonien, Sagen und Aussagen, Märchen – sprich: Bücher-Gärten-des-Geistes – fast überall zu treffen und zu genießen sind, könnte es sein, dass einer oder der andere im Spiel des Wortes und der Bedeutung, im Spiel des Kultivierens sein Leben sieht. Also: an die Arbeit, guter Gärtner! Der neue Garten, Buch oder Aussage – du kannst es nennen wie du willst – bedarf deines Könnens, deines Wissens und auch deines Herzens. Hier und da wirst du den Wörtern verschiedene Bedeutungen, Nuancen, aber auch Farben oder Düfte geben, und alle wirst du in Harmonie verflechten. Du machst es schon! Sollte deine Tat zu Ende und auch gelungen sein, brauchst du nichts mehr zu sagen – der Buch-Garten wird an deiner Stelle die Rede halten; er wird malen und sogar auch musizieren. Der ist dein Werk und auch dein Wort an uns… Aber gib Acht, mein Lieber, und sei nicht traurig: du wirst deinen Buch-Garten nur als Wörter-Samen weitergeben können. Ein anderer wird diese Wörter erwecken und kultivieren, um über einen Garten ähnlich deinem – und nicht identisch! – sich zu freuen…

In einer anderen Abhandlung zu diesem Thema kam ich zur folgenden Metapher:

Besonders bei der Beschreibung und dem Ausdruck von tiefen, intensiven seelischen Zuständen – die oft in Romanen vorkommen –, erreichen die Wörter bzw. die Sprache, ihre Grenzen. Auch die sehr begabten Schriftsteller, wahre Künstler der Sprache, müssen sich zufrieden geben mit der Tatsache, dass ihre Beschreibungen für den Leser nur eine Suggestion, eine Andeutung und gar nicht eine hundertprozentige Übertragung sein kann. Dieser Umstand ist nicht nur der typischen subjektiven Wahrnehmung jedes Kunstwerkes zu verdanken, sondern vor allem den Wörtern, die nur ein semantischer Keim – ein Samen eben – sind. In dem Geist des Schriftstellers waren damals seine Emotionen, Gedanken und Empfindungen lebendige Blumen. Niedergeschrieben, sind diese Erlebnisse zu Wörter-Samen geworden, mehr oder weniger trocken, mehr oder weniger tot. Sie warten auf das Wunder ihrer Auferstehung, ihres Wiederaufblühens – ähnlich, aber nicht identisch(!) – in dem Geist des Lesers. Das Wort ist der Winter der Emotionen, ihr Winterschlaf, und das Lesen und Verstehen des Geschriebenen ist der Emotionen Frühling. Der Schriftsteller verschließt seine Emotionen in Wörter-Winter, die geduldig auf ihre Wiederbelebung in dem Lese-Frühling warten. Schreiben ist Konservieren, lesen Gebären.

So ist unsere etwas eigenartige Gärtnerei-Lektion zur Skizze und Andeutung der semantischen Funktionalität des Wortes geworden.

Tatsächlich ist anerkannt, dass das Wort, an und in sich, durch seine schlichte Funktion, etwas nur zu bezeichnen, semantisch mit Zeichen(das etwas zeigt) und dadurch auch mit zeichnen bzw. Zeichnung (andeutende Skizze) verwandt ist. Entsprechend kann das Wort nur ein Anzeiger sein. Das Wort ist ein Kode, eine Chiffre, eine Konvention – oder wie ich zu sagen pflege: ein Samen. Ist Konvention oder Kode des Wortes bekannt (Sprachkenntnisse!), erscheint gleichzeitig seine Bedeutungsintention. Wir wissen automatisch, dass z.B. das Wort Haus eben ein Haus anzeigt. Aber dieses Wort bezeichnet nicht viel mehr als ein Gebäude, wo sich in der Regel Menschen befinden. Zu wissen, ob es ein Wohn-Haus, ein Park-Haus, ein Bank-Haus oder Freuden-Haus ist, bedarf es eben, neben dem Wort Haus, noch anderer anzeigender Wörter, wie oben: wohn(en), park(en), Bank, Freude. Umso mehr brauchen wir Wörter, um uns ein Bild zu machen, welche zusätzlichen Eigenschaften dieses Haus haben soll. Wie schon gesagt: Um die eigene Bedeutung zu erweitern, verlangen Wörter Wörter!

Es ist hier wichtig zu betonen, dass alle Prozesse, die nach dem Verstehen des Kodes, also nach der Erscheinung der Bedeutungsintention stattfinden, subjektiv gefärbte Deutungs- und Vorstellungsprozesse sind. Damit ist gesagt, dass sowohl die Bedeutungserfüllung, als auch die von mir erwähnte Pflege, d.h. Erweiterung und Nuancierung der Bedeutung eines Wortes, von der eigenen Wahrnehmungserfahrung, Kultur und Sensibilität des Subjektes direkt abhängig sind. So ist es zu erklären, warum in unserem Text dem Gärtner bzw. Schriftsteller gesagt wird: „du wirst deinen Buch-Garten nur als Wörter-Samen weitergeben können. Ein anderer wird diese Wörter erwecken und kultivieren, um über einen Garten ähnlich deinem – und nicht identisch! – sich zu freuen…“ Auch die sehr nuancierten und präzisen Bedeutungsstrukturen erzeugen bei dem Leser oder Hörer Vorstellungen, die immer etwas abweichend von denen sind, die der Schreiber oder Sprecher ursprünglich hatte. Folglich ist nicht nur Schreiben oder Reden ein kreativer Akt, sondern auch Lesen und Hören. Kurzum: die Sprache ist ein kreativer Akt.

In dieser Hinsicht hier ein oft erwähntes, weil vollkommen zutreffendes Zitat aus Wilhelm von Humboldt2: Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische seyn. Sie ist nemlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den articulirten Laut zum Ausdruck des Gedanken fähig zu machen. Es ist genau diese „Arbeit des Geistes“ die die Schlichtheit des Wortes in wahre Welten von Bedeutungen und Nuancen verwandelt. Die Sprache als Tätigkeit (Energeia) ist die Chance des Wortes, das ursprünglich nur ein Anzeiger ist. Anders ausgedrückt: die Sprache umhüllt und bereichert den denotativen Kern des Wortes mit einer konnotativen Aura. Der Übergang von der Bedeutungsintention zur Bedeutungserfüllung und besonders hin zur Erweiterung und Nuancierung der Bedeutung eines Wortes ist eigentlich der Qualitäts-Sprung vom Wort zur Sprache, ist der Sprung von der normativen Welt der Denotation zu der freiheitlichen Welt der Konnotation. Sprache und Konnotation, d.h. zusätzliche, assoziative Bedeutungen oder unterschwellige Bedeutungen bilden zusammen einen flexiblen Entfaltungsraum für die Freiheit und die Individualität.

Es liegt auf der Hand: man könnte viele Parallelen zwischen dem Wesen der Sprache und dem der Musik, Malerei und auch der Architektur ziehen. Was der Komponist aus den relativ armen musikalischen Noten, der Maler aus den Farben, oder der Architekt aus den wenig aussagenden Baumaterialien, wie Zement, Ziegelsteine, Glas, Holz usw. gestalten, gestalten Redner und Schriftsteller, aber wohl auch Hörer und Leser, mit den Wörtern – und zwar wahre Kunstwerke! Denn alle diese Tätigkeiten sind nichts anderes als Strukturieren im Namen und Dienste der Bedeutung und des Ausdrucks. Aber das Verfahren des Strukturierens ist ein anderes – sehr umfangreiches und spannendes – philosophisches Thema.

***

Die Aufmerksamkeit dieses Buches richtet sich ausschließlich auf die Wörter und deren Bedeutungen; dabei nicht mal auf Kode oder Chiffre der Wörter und deren Entzifferung sprich: Wahrnehmung und Verstehen der Bedeutungsintentionen. Sie richtet sich auch nur bedingt auf die Bedeutungserfüllung, obwohl diese, wie oben gezeigt, schon einen Subjektiven Akt darstellt. Der wahre Anlass dieses Buches ist die Erweiterung und Nuancierung der Bedeutung eines Wortes, was in diesem Text auch „Pflege der Pflanze“ genannt wurde. Denn nur durch Pflege zur Erweiterung und Nuancierung der Wörter werden diese viel mehr sagen als sie be-zeichnen. Nur durch diese Pflege kann das wahre Be-greifen, als Krönung des Be-zeichnens, entstehen. Erweiterung und Nuancierung der Bedeutungen der Wörter heißt Armut des Bezeichnens überwinden, um an den Reichtum des Be-greifens zu gelangen. Nur so können wir hören – natürlich mental, und nicht akustisch –, was die Wörter flüstern. Nur so, getragen von symphonisch vermähltem Geflüster, verwandelt sich ein Text vom schlichten Telegramm in eine Rede, Dichtung und Roman. Nur so verwandelt sich der Garten in eine ganze Welt.

Es ist schon erwähnt, dass diese „Pflege“ von der eigenen Wahrnehmungserfahrung, Kultur und Sensibilität des Subjektes direkt abhängig ist. Da die Wahrnehmungserfahrung eines Menschen nicht beeinflusst werden kann, bleibt es Aufgabe dieses Buches, nur ein paar Beispiele zu geben, wie mittels Kultur und Sensibilität die Welt der Bedeutungen eines Wortes erweitert und vertieft werden kann. Wie kann man das Geflüster der Wörter hören?

Dafür gibt es zwei Wege:

-Der Ursprung und Werdegang eines Wortes – sprich: die Etymologie – ist nicht selten ein sehr geeignetes Mittel, seine wahre Bedeutung zu kennen, zu erweitern und zu befestigen. Es verhindert auch die Gefahr der falschen Benutzung, d.h. schützt vor Verfall und Pervertierung, vor Sterben der Bedeutung. Es bedarf nur ein wenig Wissen und gut auf das Wort zu horchen, um seine intimsten Bedeutungsklänge, seine Ur-Aussage unmittelbar nach der Geburt, wahrzunehmen. Aus diesem Grund habe ich im ersten Teil des Buches eine Serie von Klein- und Kleinstartikel eingeführt, die sich auf die Etymologie der Wörter berufen. Dazu zeigt die Etymologie oft die Gedankengänge der Menschheit und dadurch auch die Verdienste einer oder der anderen Sprache. Dieses Mittel stützt sich ausschließlich auf die Kultur des Subjektes.

-Ein anderes Mittel zur Erweiterung und Nuancierung der Bedeutung eines Wortes ist die Assoziation zweier Begriffe und die Analyse der gegenseitigen Bedeutungsbereicherung. Wie schon gesagt: Wörter bereichern sich durch Wörter! So z.B. klären sich die Wörter Kirche und