Wege der Verwandlung - Andreas Schmidt - E-Book

Wege der Verwandlung E-Book

Andreas Schmidt

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Beschreibung

"Der Weg des Gebets umfasst das ganze Leben. Beten lernen wir nicht nur in der Zeit der Stille, die wir für das Gebet reservieren. Viel grundsätzlicher geht es um die Frage, ob wir bereit sind, unser ganzes Leben für Gott zu öffnen, uns ihm zu schenken, damit er uns erneuere und verwandle. So ist das Gebet ein lebenslanger Weg. Beten lernen kann ich nicht, indem ich mir einige Tricks und Methoden aneigne. Es ist ein Weg der Verwandlung unseres ganzen Menschseins." In der Rastlosigkeit des Alltags dennoch in Gott verwurzelt leben, in der Zeit des Gebets tief in ihm ruhen – das ist eine Sehnsucht, die heute viele Menschen bewegt.Nach seinem ersten Buch "Bleibt in mir", das in ein Leben des Gebets einführt, legt Andreas Schmidt nun diesen Folgeband vor, der ein Übungsweg zur Vertiefung des inneren Gebets sein will. Er bezieht den Reichtum der Kirchenlehrer und Mystiker genauso mit ein wie aktuelle Stimmen zum kontemplativen Gebet.Der Leser kann sich so auf eine innere Reise begeben, um sich immer mehr der wirkmächtigen Gegenwart Gottes zu öffnen und aus ihr zu leben.

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Andreas Schmidt

WegederVerwandlung

Inneres Gebetund Kontemplation

© 2016 Adamas Verlag GmbH, KölnPaulistraße 22, D-50933 Kölnwww.adamasverlag.de

Umschlaggestaltung: Ignaz Brosaunter Verwendung des Bildes vonRobert DelaunaySoleil Nr. 1, 1912/13

eISBN 978 3 937626 88 8

Inhalt

1.Gebetsmethoden?

2.Beginn

3.Christuswerdung

4.Zustimmung

5.Gegenwart

6.Gedanken

7.Maria

8.Schweigen

9.Abstieg

10.Verwandlung

11.Alltag

Anmerkungen

1. Gebetsmethoden?

Dieses Buch ist aus Exerzitien erwachsen und für Exerzitien gedacht. Es will eine konkrete Hinführung sein zum kontemplativen Gebet, dieses aber gleichzeitig theologisch reflektieren. Es kann auch einfach als Information über das kontemplative Beten gelesen werden. Die einzelnen Kapitel sind aber so aufgebaut, dass sie einen persönlichen Exerzitienweg begleiten können, sei es in der Form, dass man sich für einige Tage an einen Ort der Stille zurückzieht, sei es in der Form von »Exerzitien im Alltag«.

In unserer Zeit zeigt sich eine neue Sehnsucht nach dem »kontemplativen Gebet«. Hinter diesem Modewort können sich recht verschiedene Inhalte und Gebetsformen verbergen, je nach Gottesbild und Theologie, die in den vielfältigen Exerzitienangeboten oft nur durchscheinen, ohne offen dargelegt zu werden.

Die folgenden Überlegungen schöpfen aus der Gebetstradition der Kirche, vor allem aus den Quellen des Karmel. Daher ist im Titel dieses Buches nicht nur von »Kontemplation« die Rede, sondern auch von »innerem Gebet«, das für Teresa von Avila den weiteren Überbegriff darstellt. Es umfasst auch das Gespräch mit Gott, der mir im Gebet liebend gegenwärtig ist, sowie das Nachsinnen über ihn. Kontemplation meint für Teresa eine Form des inneren Betens, in der die Gegenwart Gottes in besonderer Weise erfahrbar wird, so dass menschliche Worte und Gedanken verstummen. Es ist weniger eine Gebetsform, die der Mensch wählen könnte, als vielmehr ein geheimnisvolles Wirken Gottes im Menschen, durch das seine Gegenwart und seine Liebe unmittelbar erlebt werden. Damit unterscheidet sich der Kontemplationsbegriff Teresas vom heutigen Verständnis. Heute meint »Kontemplation« meist ein Beten, das auf Worte und Gedanken verzichtet, ohne dass damit notwendigerweise eine innere Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott intendiert oder ein Wirken der Gnade Gottes vorausgesetzt wäre. Über diese Unterschiede wird noch im Einzelnen zu reden sein. Wenn im Folgenden vom »kontemplativen Gebet« die Rede ist, dann im Sinn eines schweigenden Betens, nach dem sich der Mensch sehnen und auf das er sich vorbereiten kann, das aber nur durch Gottes Wirken möglich wird.

Zentral für den christlichen Glauben ist die Offenbarung des dreifaltigen Gottes. Von daher trägt das christliche Beten eine trinitarische Grundstruktur. Es lässt uns teilnehmen an der Beziehung des Sohnes zum Vater in der Liebe des Heiligen Geistes. Im Wort, das Fleisch geworden ist, können wir das Bild schlechthin für die Kontemplation entdecken. Der Sohn des Vaters war »bei Gott«, lesen wir im Johannesprolog (Joh 1,1). Griechisch steht hier »pros ton theon«, eine präpositionale Wortverbindung, die eine Bewegung, eine Ausrichtung zum Ausdruck bringt, wörtlich etwa: »auf Gott hin«. Der Sohn ist von Anfang an und bleibt zu jeder Zeit dem Vater zugewandt, auf den Vater ausgerichtet, den Blick auf ihn gerichtet. Im gesamten Johannesevangelium spricht Jesus immer wieder davon, dass er gekommen ist, den Willen des Vaters zu erfüllen (vgl. Joh 4,34; 5,30; 6,38), die Worte des Vaters zu sprechen (vgl. Joh 3,34; 7,16; 12,49), die Werke des Vaters zu tun (vgl. Joh 5,36; 10,25) und den Auftrag zu Ende zu führen, den er von ihm erhalten hat (vgl. Joh 4,34; 14,31; 17,4). So ist sein ganzes Leben Ausfaltung seiner kontemplativen Grundhaltung, seines »auf Gott hin Seins«. In all seinem Tun »ruht« der Sohn »am Herzen des Vaters« (Joh 1,18). Er »kennt« den Vater (Mt 11,27) und »hat ihn gesehen« (Joh 6,46). Hier ist in höchster Vollkommenheit verwirklicht, was Kontemplation meint: das beständige Bleiben in der Einheit mit Gott, in der stillen Zurückgezogenheit genauso wie mitten in der Aktion. Christliche Kontemplation kann daher nichts anderes sein als teilnehmen am »kontemplativen Leben« des Sohnes. Jesus Christus lehrt uns, in der Liebe des Vaters zu bleiben.

Der Gebetsweg, der hier vorgeschlagen wird, verzichtet im Unterschied zu anderen Anleitungen zur Kontemplation darauf, genau festgelegte Anweisungen zu geben, mit welchen Worten, Atemtechniken, in welcher Haltung etc. gebetet werden soll. Damit soll nicht bestritten werden, dass solche detaillierten Anweisungen für viele Menschen hilfreich sein können. Es gibt aber auch die Erfahrung – es ist meine eigene und diejenige von Menschen, die ich auf dem Gebetsweg begleitet habe –, dass ein solcher Rahmen als zu eng erlebt wird, dass er nicht den inneren Impulsen entspricht, durch die man auf dem Weg des Gebets geführt wird.

Die Grundidee des hier vorgeschlagenen Exerzitienweges möchte ernst nehmen, was der Katechismus der Katholischen Kirche so formuliert: »Der Herr führt alle Menschen auf den Wegen und auf die Weise, die ihm gefallen« (KKK 2699). »Der Heilige Geist … ist der innere Lehrmeister des christlichen Betens« (KKK 2672). »Es lassen sich wohl ebenso viele Wege des Betens finden, wie es betende Menschen gibt« (KKK 2672).

Auf dem Weg des Betens wird jeder Mensch ganz individuell vom Geist Gottes geführt! Wenn dem so ist, hat das Folgen für die Art und Weise, wie man zum Gebet anleitet. Es kann kein Pauschalrezept geben, auch keinen Weg oder keine Form, die gleichzeitig für alle passt. Auch wenn schematische Anweisungen für Anfänger hilfreich sein können – im Laufe eines Gebetsweges können sie sogar zum Hindernis werden, das Gebet eher einengen als in die Tiefe führen. Daher werden im Folgenden zwar Hinweise gegeben und Vorschläge gemacht, aber die wichtigste Grundregel, auf die immer wieder zurückzukommen ist, lautet: sich führen lassen vom »inneren Lehrmeister«; versuchen, die Impulse des Geistes Gottes in uns zu erkennen und ihnen zu folgen.

Bei Anleitungen zur Kontemplation, die sehr detaillierte Anweisungen geben, kann leicht eine trügerische Erwartung entstehen: Ich muss nur genau die richtige Technik anwenden, dann werde ich in kürzester Zeit zum kontemplativen Gebet gelangen, ja gar: ein »großer Kontemplativer« werden. Hier kommt – im geistlichen Gewand – eine Urversuchung des Menschen zum Vorschein: »selbst machen« zu wollen und zu meinen, es auch zu können – klassisch ausgedrückt: der Hochmut. Das Gegenteil davon ist die Wahrheit: Wir können aus uns allein heraus »nichts tun« (vgl. Joh 15,5). Daher erteilt Thomas Merton solchen verfehlten Herangehensweisen an das kontemplative Gebet zurecht eine klare Absage: »Echte Beschauung ist kein psychologischer Trick, sondern eine theologische Gnade. Wir können sie nur als Geschenk erhalten, sie ist niemals das Ergebnis von geschickt angewandten geistlichen Techniken.«1 Das Bewusstsein der eigenen Unfähigkeit und der bleibenden Angewiesenheit auf Gottes Hilfe – klassisch gesprochen: die Demut – ist die Grundvoraussetzung für das Gebet. Wir werden darüber noch ausführlicher sprechen.

Im kontemplativen Gebet geht es nicht oder nur sehr nebensächlich um Methoden. »Methode« ist etwas Äußerliches, Technisches. Gebet aber ist zutiefst eine Beziehung des Glaubens und der Liebe. Die kann ich nicht einfach mit der richtigen Methode »machen«. So geht es darum, »dass wir in der Meditation nicht nach einer ›Methode‹ oder einem ›System‹ suchen, sondern eine ›Haltung‹, eine ›Blickrichtung‹ herausbilden sollen: Glaube, Geöffnetsein, Aufmerksamkeit, Ehrfurcht, Erwartung, Bitte, Vertrauen, Freude. All dies wird schließlich unser Sein mit Liebe durchdringen, insofern unser lebendiger Glaube uns sagt, dass wir in der Gegenwart Gottes sind, dass wir in Christus leben, dass wir im Geiste Gottes Gott als unseren Vater ›sehen‹.«2 Unser Gebet wird dann in die Tiefe führen, wenn wir bereit sind, Liebe zu empfangen und Liebe zu schenken. Wenn wir bereit sind, uns verwundbar zu machen, Gott auch unser Innerstes zu öffnen. Wenn wir bereit sind, uns zu schenken, mit unserer ganzen Existenz. Wenn diese Hingabe echt ist, dann wird auch die Liebesbeziehung echt und damit das Gebet wahrhaftig sein. »Mein Sohn, gib mir dein Herz!«, heißt es im Buch der Sprichwörter (Spr 23,26). Das ist auf der einen Seite herausfordernd – es wird nicht weniger als alles von uns verlangt! Auf der anderen Seite ist es entlastend: Es kommt eben nicht darauf an, die richtige Technik zu kennen und anzuwenden, sondern darauf, Gott wirklich und immer mehr unser Herz zu schenken! Das kann jeder, dazu ist kein »technisches Können« nötig. Wie jeder Mensch einzigartig ist, so wird auch die Art und Weise zu lieben und zu beten bei jedem Menschen einzigartig sein. Charles de Foucauld weist auf diese unterschiedlichen Veranlagungen hin: »Die seelischen Gegebenheiten sind unendlich verschieden … Aber wie es auch um eine Seele bestellt sein mag, bei allen Arten des Gebetes, mag das Denken, der Verstand, die Überlegung, das Wort viel oder wenig Platz darin einnehmen, den ersten und meisten Platz soll jenes eine, die Liebe haben. Um was für eine Gebetsart es sich auch handelt, sei es die reine Kontemplation, der einfache, auf Gott gerichtete Blick … das Nachdenken, das Gespräch der Seele mit Gott … bei all diesen und anderen Gebetsweisen muss immer das eine vorherrschen: die Liebe. Für alle Gebetsarten ohne Ausnahme … bleibt ewig wahr: Das Gebet, das aus der größten Liebe kommt, ist das beste.«3

Die folgenden Impulse wollen die individuellen Wege des Betens eines jeden respektieren, sind daher als eine Art Wanderkarte zu verstehen: Sie zeigen Wege, aber jeder einzelne möge entscheiden, wann er welchen Weg einschlägt. Losgehen und die Wege erkunden, das muss jeder selbst tun, das kann ihm von niemand abgenommen werden. Im Wort »erfahren« steckt das Wort »fahren«. Man muss selbst losfahren, sich für einen Weg entscheiden, ihn einschlagen und ausprobieren – sonst wird man nie etwas »er-fahren«. Über das Gebet kann man theoretisch – durch Lektüre und Studium – nur sehr bedingt etwas lernen. Das entscheidende Wissen erwirbt man durch die eigene Gebetserfahrung. Thomas Merton formuliert es pointiert: »Nichts, was man über das Gebet sagen kann, ist letztlich von Bedeutung. Aufs Beten als solches kommt es an. Sucht ihr ein Leben des Gebets? Nun, der einzige Weg dahin führt übers Beten.«4 Das ist auch die Grundidee dieses Exerzitienweges: Beten lernen durch Beten. Die Zeiten des persönlichen Betens sind daher das Herzstück dieser Exerzitien. Wer an einem Kurs teilnimmt, dem schlage ich mindestens drei lange Zeiten des Gebets pro Tag vor. Auch Zeiten darüber hinaus sind möglich, insbesondere Gebetsstunden in der Nacht. Man sollte allerdings darauf achten, dass der menschliche Geist immer wieder auch Zeiten der Entspannung braucht. Als Dauer für eine Gebetszeit empfiehlt die Exerzitientradition eine Stunde. Wer kann, möge das übernehmen. Wem es zuviel ist, möge für sich entscheiden, welche Zeit er sich vornimmt. Auch für die Länge der Gebetszeit gilt es, auf das zu hören, was mir momentan entspricht und wie ich innerlich geführt werde.

Die einzelnen Kapitel des Buches sind so geschrieben, dass sie zum kontemplativen Gebet hinführen. Wie schon gesagt, muss Gottes Geist selbst uns auf dem Weg des Gebets führen. Es hat wenig Sinn zu versuchen, »kontemplativ zu beten«, wenn man sich nicht zu einem solch schweigenden Zusammensein mit Gott innerlich hingezogen fühlt, sich sehnt nach der liebenden Gemeinschaft mit Gott ohne Worte. An dieser Sehnsucht erkennen wir, dass Gott uns zum kontemplativen Beten führen will, denn er legt sie in unser Herz. Nur solchen Lesern kann ich empfehlen, dieses Buch als Begleiter für die persönlichen Gebetszeiten zu wählen. Wer aus anderen Gründen dieses Buch zur Hand genommen hat, etwa weil man etwas über das kontemplative Gebet erfahren oder es »einmal ausprobieren« möchte, weil man sich neue Erfahrungen davon verspricht, dem rate ich, zunächst zu lesen und zu warten, ob eine innere Sehnsucht entsteht, in dieser Form zu beten. Erst dann sollte man mit dem Gebet beginnen.

Wer dieses Buch als Exerzitienbegleiter wählt, in der Zurückgezogenheit oder im Alltag, dem empfehle ich, nach jedem Kapitel mindestens eine persönliche Gebetszeit zu halten. In dieser Zeit sollte versucht werden, sich vom Gelesenen für das eigene Beten inspirieren zu lassen – nicht im Sinn einer Anweisung, die strikt zu befolgen wäre, sondern im Hören darauf, was jetzt zu mir spricht und wovon ich spüre, dass es mir hilft zu beten.

So wollen wir uns nun den konkreten Formen des Betens zuwenden und unseren Exerzitienweg beginnen.

2. Beginn

Im Laufe dieser Exerzitien werden verschiedene Wege zum kontemplativen Gebet angeboten. Sie wollen zum schweigenden Gebet, zur Gemeinschaft der Liebe mit Gott jenseits von Worten und Gedanken hinführen. Ich möchte aber nochmals betonen, dass diese Wege nicht als »Techniken« missverstanden werden dürfen. Ein Denken der Art: »Ich muss gleichsam nur den Schalter umlegen und versuchen, an nichts mehr zu denken, dann bete ich kontemplativ«, kann nicht nur zu Frustration führen, wenn es nicht funktioniert, es kann auch ein gefährlicher Irrweg sein, wenn man meint, eine wie auch immer geartete Form selbstgemachter Konzentration sei schon Gebet oder Gemeinschaft mit Gott. Die oberste Regel lautet stets, auch das sei wiederholt: Sich führen lassen vom Heiligen Geist, der unser innerer Lehrmeister des Betens ist. Solange ich also das Bedürfnis habe, mündlich zu beten, und mich daran freue, mich mit Gott als meinem besten Freund zu unterhalten, darf und soll ich das tun. Wenn ich spüre, ich soll über diese oder jene Frage in meinem Leben (im Licht Gottes!) nachdenken oder über eine Wahrheit des Glaubens oder einen Text aus der Heiligen Schrift – dann darf und soll ich das tun. Und wenn ich die Sehnsucht spüre nach einem einfachen schweigenden Verweilen bei Gott, also nach dem kontemplativen Gebet, dann ist es die rechte Zeit, mich vom Geist Gottes in dieses Gebet ziehen zu lassen.

Nun aber zum Gebet selbst. Gebet heißt, mit Gott zu sein – mit dem Gott, der mit uns ist. Jesus ist der »Emmanuel«, der »Gott mit uns« (vgl. Mt 1,23). Er ist immer mit uns. Das Problem ist aber, dass wir nicht immer bei ihm sind. Das Leben des Gebets besteht nun genau darin: »dass wir immer in Gegenwart des dreimal heiligen Gottes und in Gemeinschaft mit ihm sind« (KKK 2565). In den Zeiten, die wir ausschließlich dem Gebet widmen, üben wir uns ein, um dann zu jeder Zeit in Gottes Gegenwart zu leben.

Beten heißt, unser Herz zu Gott erheben, unsere Aufmerksamkeit mit Liebe auf ihn richten5. Nicht angestrengte Konzentration (das ermüdet uns schnell), sondern ein bloßes Aufmerken auf Gottes Gegenwart. Ein einfacher Blick auf ihn. Ein Staunen. So wie wir einen Sonnenuntergang oder das Meer oder eine Berglandschaft anschauen und staunen, uns berühren lassen von dieser Schönheit. Da muss nichts »passieren«, da müssen wir nichts Neues erkennen, da müssen wir nichts Intelligentes sagen. Einfach nur schauen und staunen, sein in seiner Gegenwart und innewerden, dass diese Gegenwart Gottes immer schon Sichschenken und Verströmen seiner Liebe ist. Johannes vom Kreuz nennt das kontemplative Gebet »nur ein Aufmerken auf Gott allein und ein unmittelbares liebendes Innewerden ohne Einzelwahrnehmungen und ohne ein bestimmbares Verstehen«6.

Wie können wir eintreten in ein solches Gebet? Oft genug geht es uns ja so, dass wir den Blick unseres Herzens nicht einfach auf Gott ruhen lassen können, sondern zunächst einmal von der Vielfalt der alltäglichen Dinge umgetrieben werden. Teresa von Avila empfiehlt als Weg zum inneren Gebet, sich zunächst bewusst zu machen, zu wem wir da sprechen, in wessen Gegenwart wir sind: Wer ist Gott? Und wer bin ich, der ich vor ihm bin?7 In der Sprache der Psalmen ausgedrückt: Am Beginn der Gebetszeit müssen wir »das Angesicht Gottes suchen« (Ps 27,8). Was wir unter Menschen erfahren, dürfen wir auf die Gottesbeziehung übertragen: Wer das Gesicht des anderen gefunden hat, in die Augen des anderen blickt, der hat den Kontakt zum Herzen des anderen hergestellt, hat zu persönlicher Gemeinschaft mit ihm gefunden.

Hier wird deutlich: Um wirklich einzutreten in Gottes Gegenwart, braucht es mehr als nur das Nachdenken mit unserem Verstand. Um wirklich zu erkennen, wer Gott ist und wie Gott ist, brauchen wir den Heiligen Geist, der »die Tiefen Gottes ergründet« (1 Kor 2,10). In Ezechiel 39,29 gibt der Herr die Verheißung: »Ich verberge mein Gesicht nicht mehr vor ihnen. Denn ich habe meinen Geist über sie ausgegossen.« Gottes Geist lässt uns Gottes Angesicht finden, seine Gegenwart und seine Liebe erkennen. Um ihn bitten wir am Anfang der Gebetszeit, und Jesus hat uns verheißen, dass dieses Gebet gewiss erhört wird (vgl. Lk 11,13). Wenn ich durch das Wirken des Heiligen Geistes Gottes Angesicht gefunden habe, dann kann ich im Licht seiner Liebe ruhen, in seiner Liebe bleiben, kontemplativ beten.