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Was ist gelingendes Leben? Können Religionen dazu Hilfestellung leisten? Axel Burghausen ergänzt die Erläuterungen seines Oberstufen-Unterrichts durch weitere hilfreiche Aspekte.
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Seitenzahl: 72
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Nachtrag
Unterwegs mit einem „Engel“ (das Buch Tobit)
1.1 Tobit – die freudlose Seite der Anständigkeit
1.2 Sara – Die Fesseln primärer Bindung
1.3 Tobias – Dem Lebenstrieb eine Richtung geben
1.4 Tobias und Sara – Gemeinsamkeit der Befreiung
In der Vielzahl das Eine suchen (Hinduismus)
2.1 „Das bist du“
2.2 Das Rad in Bewegung
2.3 Erlösungswege
2.4 Lebenswege und Lebenspflichten
Sein Leben verwandeln (Buddhismus)
3.1 Der Erwachte
3.2 Alles ist vernetzt
3.3 Innere Haltungen zum Leben
3.4 Achtsam – Worauf?
Spuren des Glücks
4.1 Das Glück verfolgen
4.2 Den Augenblick empfangen
Zueinander – Ineinander (Aspekte der Sexualethik)
5.1 Alles an dir ist schön
5.2 Nur zur Fortpflanzung?
5.3 Außerehelicher Geschlechtsverkehr
5.4 Gleichgeschlechtliche Liebe
5.5 Selbstbefriedigung
5.6 Geschäft mit Sex?
Ein Buch mit einem Nachtrag beginnen? Nein, dieses Buch ist der Nachtrag. Als ich meine fünf Erläuterungsbände zu meinem Religionsunterricht in der Oberstufe verfasste, fielen mich einige Themen geradezu an, Themen, die ich nie unterrichtet habe, die aber nach meiner Einschätzung meine Schüler auch interessiert hätten. Einige dieser Themen haben ihren Standort möglicherweise in Jgst. 10, am Ende der Sekundarstufe I. Ich habe sie lose zusammengebunden mit dem Symbol des Weges und der Frage nach dem Glück bzw. einem gelingenden Leben.
Als ich meinem Band „Salzes Geschmack“ das Buch Jona hinzugefügt habe, fiel mir auf, dass es weitere Lehr-Literatur im AT gibt, die Stationen in der Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit skizziert und Hilfestellungen leistet. Was nötig ist, um sich zu einem Erwachsenen zu entwickeln, zeigt das Buch Tobit im Rahmen einer märchenhaften Erzählung. Auch das Hohelied, eine Sammlung von Liebeslyrik, gehört zu den Werken der Weltliteratur, erschließt aber zugleich, dass die Bibel ein deutlich entkrampfteres Verhältnis zu Liebe und Sexualität aufweist, als die Kirche es oft wahrhaben möchte.
Den Buddhismus habe ich unter dem Aspekt der Reinkarnation kurz im Band „Tod im Leben – Leben im Tod“ angesprochen. Ebenso wie der Hinduismus wird er in der Regel in Jgst. 10 unterrichtet. Beide Religionen sollen hier noch einmal aufgenommen werden. Dabei geht es mir nicht um exotische Kulte oder spezifische Götter, auch nicht um die verschiedenen Richtungen dieser Religionen und ihre Geschichte. Ich möchte einerseits die spezifische Art, in der östlichen Tradition zu denken und zu fühlen, verdeutlichen, andererseits aber auch Hinweise geben, wie wir als Menschen im Westen von ihr lernen können.
Als ich im Band „Wie mich selbst?“ die bioethischen und sozialethischen Konfliktfelder darstellte, fragte ich mich, warum das Thema Sexualität in der Oberstufe keine Rolle spielt. Schnell fand ich auf diese Frage drei Antworten: Das Thema ist vor allem in der Zeit der Pubertät aktuell, es wird außerdem teilweise von anderen Fächern übernommen. Der dritte Grund ist blamabler: Die katholische Kirche hat seit Längerem nichts Nennenswertes zu der Thematik zu äußern, was die Menschen wirklich beträfe. Fast symbolisch erscheint es mir, dass der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff, der Überlegungen zu einer veränderten Einstellung veröffentlichen wollte, verstorben ist, bevor er die konkreten Kapitel seines Buches „Die Kunst zu lieben“ formulieren konnte. So sehr die Sexualität die Mitte menschlichen Lebens betrifft, so wenig Materialien stehen für ältere Schüler zur Verfügung. Ich versuche hier, zumindest eine Richtung aufzuzeigen, und werde das Hohelied in meine Überlegungen mit einbeziehen.
Grundlage: Tob 1,3- 3,6; 4
Das Buch Tobit – wohl etwa um das Jahr 200 v. Chr. entstanden – ist eine Lehrerzählung. Es ist nur in griechischer Sprache überliefert, weshalb es für die evangelische Kirche nur zu den apokryphen (nicht zum Kanon der Bibel zählenden) Schriften gehört. Es gilt aber als sicher, dass ursprünglich eine semitische Urfassung bestand. Die dargestellte Handlung geht zwar auf das 8./7. Jh. zurück, hat aber keine historische Grundlage. Überhaupt scheint der Autor nur ungenaue historische und geographische Kenntnisse besessen zu haben. Seine Angaben zu Königs- und Städtenamen bilden nur den assoziativen Rahmen, innerhalb dessen sich die eigentliche Handlung vollzieht.
Als Erzählung von Gott und von den Menschen ist das Buch Tobit auf unterschiedlichen Ebenen interpretierbar. Einerseits wird die Situation der Juden in der Diaspora (Zerstreuung) reflektiert. Im 3./2. Jh. gab es vielfältige jüdische Gemeinden in einer hellenistischen Umgebung. Die Auseinandersetzung mit der fremden Kultur, die Frage nach der eigenen Identität, das Alltagsleben zwischen Anpassung und Beharrung bildeten den Fragehorizont des Textes. Gleichzeitig wird aber auch ein Lebensweg dargestellt: die Entwicklung eines jungen Mannes zur reifen, selbstständigen Persönlichkeit. Diese Entwicklung wird in Form einer Reise erzählt, wobei symbolische, märchen-hafte, z.T. auch parodistische Stilmittel benutzt werden. Das Buch Tobit zeigt also den Individuationsprozess eines Menschen und liefert damit ein Vorbild für die Entwicklung der Schüler.
Die ersten Kapitel des Buches werden von Tobit in der Ich-Form erzählt. Früh Waise geworden, wurde er von seiner Großmutter erzogen. In einer Zeit religiöser Lässigkeit lernte er, die Vorschriften des jüdischen Gesetzes einzuhalten. Als das Nordreich Israel von den Assyrern erobert und die Oberschicht ins Exil verschleppt wurde, musste auch Tobit das Heimatland verlassen und nach Ninive ziehen. In einer Umgebung, die noch weniger dazu anregte, jüdischen Sitten treu zu bleiben, lebte er weiterhin nach seiner religiösen Tradition. Die Art, wie er seine Bemühungen schildert, lässt vermuten, dass er seine pflichtvergessenen Glaubensbrüder verachtete. Umgekehrt machten diese sich über ihn lustig. Auf Grund seiner Tüchtigkeit hatte Tobit zunächst beruflichen Erfolg in der neuen Umgebung, geriet aber schnell in Konflikt mit den gesetzlichen Bestimmungen der Herrscher. Er missachtete ein Verbot, tote Juden zu bestatten, und musste vor einem drohenden Todesurteil fliehen. Begnadigt kehrte er wieder zurück, erblindete aber als Folge einer Handlung, in der er ebenfalls seinen religiösen Pflichten nachkam. Gerade seine Gesetzes-treue hat ihn also in eine Sackgasse geführt: in die äußerste Passivität, Begrenzung und Verarmung durch seine Blindheit sowie die gesellschaftliche Ausgrenzung. Sein Misstrauen wendet sich schließlich sogar gegen seine Frau Hanna, die er fälschlich beschuldigt, gestohlen zu haben.
Tobit schildert sich also als vorbildlichen Juden, ja als vorbildlichen Menschen, den ebenso wie Ijob ein unverdientes Unglück traf. Man könnte auch in seinem Fall darüber nachdenken, warum das „blinde“ Schicksal Gerechte nicht vor Unfällen verschont. Kümmert sich Gott nicht um seine Verehrer? Es bleibt aber ein fader Beigeschmack, der sich nicht nur daran entzündet, dass Tobit sich selber lobt. Auffällig ist bei genauerem Hinsehen nicht, was er sagt, sondern was er nicht sagt. Tobit ist so sehr in seine Gesetzestreue verwickelt und so sehr darauf konzentriert, dass er sich von seinen Mitmenschen positiv abhebt, dass er vergessen hat zu leben. So ist es kein Zufall, dass ihm gerade das Bestatten der Toten ein besonderes Anliegen ist. Sie stehen ihm näher als die Lebenden. Und wenn es gilt, einen Toten zu bestatten, verschiebt er festliche Mahlzeiten und das Zusammensein mit seiner Frau und seinem Sohn Tobias. So wird er selber zum noch lebenden „Toten“ und die Verzweiflung reißt ihn dazu hin, sich von Gott den endgültigen Tod zu wünschen. So wie er aber auch zunehmend blind für die Bedürfnisse der Familie wird, schlägt ihn die tatsächliche Blindheit. Als er Tobias verabschiedet, der von einem früheren Freund dort hinterlegtes Geld holen soll, gibt er ihm unzählige Ermahnungen für das Verhalten gegenüber Gott und den Menschen auf den Weg, ohne zugleich Ratschläge für das Wohlergehen des Sohnes zu geben oder ihn emotional anzusprechen. Es scheint fast so, als wolle er die eigene Freudlosigkeit an den Sohn weitergeben.
Grundlage: Tob 3,7-15
In der entfernt liegenden Stadt Ekbatana (im Nordwesten des heutigen Iran) lebte die Familie Raguёls. Dessen Tochter Sara war bereits sieben Mal verheiratet, doch unter dem Einfluss eines Dämons starben die Männer schon jeweils vor der Hochzeitsnacht. Sara wird daher als männermordender Vamp angesehen, selbst von ihrer Dienerin verachtet und verspottet. Sie selbst ist verzweifelt, da eine Frau ohne Mann und Kinder als eine verlorene und sinnlose Existenz angesehen wurde. Sie überlegt, ob sie Selbstmord begehen soll, entscheidet sich aber dagegen, weil sie sonst ihrem Vater noch mehr Kummer bereiten würde. (Die ebenfalls noch lebende Mutter wird hier nicht erwähnt.) Stattdessen betet sie zu Gott, er möge ihr Leben beenden oder Abhilfe schaffen.